Editorial

Verputzte Aussenwärmedämmung (VAWD) ist heute vor allem im ­Wohnungsbau allgegenwärtig, bei Neubauten wie im Sanierungs­bereich. Den Ausschlag für die massenhafte Verwendung gibt in erster Linie der niedrige Preis. Dem gegenüber steht eine ganze Reihe offener Fragen: Wo liegt die Wertigkeit des Materials, seine spezifische Qualität im Ausdruck?

Allzu oft begegnet man undifferenzierten Fassaden, durch Fehler in Planung und Ausführung oft mit Schäden behaftet oder mangels Instandhaltung rasch gealtert. ­Ökologische Probleme sind absehbar, seien es lösliche Chemikalien auf der Oberfläche oder Schwierigkeiten beim Rückbau und bei der Entsorgung.

Dieses Heft ist eine Momentaufnahme unserer aktuellen Baurealität – kein Plädoyer für oder gegen VAWD. Es lässt in der hitzigen Debatte, die vom Häuslebauer bis zur Nationalrätin jede und jeder führt, Fachleute zu Wort kommen, die an Lösungen für die diskutierten Pro­bleme arbeiten. Wir fragen unsere Nachbarn: Zwei Architekten aus Deutschland und Österreich berichten im Interview, was sie – trotzdem – an VAWD reizt. Der Bauphysiker weiss, welche Dämmstärke in der energetischen Gesamtbilanz Sinn ergibt. Und ein Baufachmann bringt auf den Punkt, wodurch häufige Bauschäden an VAWD entstehen und wie sie zu verhindern sind.
Lässt sich aus der Not am Ende doch noch eine Tugend machen?

Pauline Bach

Inhalt

07 WETTBEWERBE
Behutsam weiterentwickeln

14 PANORAMA
Aktuelle Ausstellungen | Es geht auch von innen | 10 Jahre Eco-Bau | Liechtenstein an der Lagune

20 VITRINE
Neues aus der Bauindustrie

24 AUCH NORDFASSADEN LIEERN STROM
SIA-Export-Forum in Basel | SIA-Form Fort- und Weiterbildung

29 VERANSTALTUNGEN

30 «WIR WOLLEN OFFENSIV DAMIT UMGEHEN»
Pauline Bach
Auf der Suche nach einer spezifischen Form von VAWD: Architekt Andreas Hild.

34 «FARBE GEHT IMMER»
Pauline Bach
Günstig, ohne billig zu wirken: Andreas Marth vom Wiener Büro AllesWirdGut sieht VAWD pragmatisch.

36 VERNUNFT STATT IDEOLOGIE
Marco Ragonesi
Wie ökologisch ist Wärmedämmung? Das hängt ganz vom eingesetzten Heizsystem ab.

39 DER TEUFEL STECKT IM DETAIL
André Rohner
Kleine Fehler bei der Verarbeitung können er­heb­liche Schäden verursachen. Wie kann man vorbeugen?

42 STELLENINSERATE

45 IMPRESSUM

46 UNVORHERGESEHENES

«Wir wollen offensiv damit umgehen»

Das Münchner Architekturbüro Hild und K untersucht kontinuierlich das gestalterische Potenzial von verputzter Aussenwärmedämmung. Andreas Hild über Hintergründe, Absichten und Erkenntnisse.

TEC21: Herr Hild, wie ist Ihre grundsätzliche Haltung zur verputzten Aussenwärmedämmung (VAWD)?
Andreas Hild: Wir sind wie viele unserer Kollegen skeptisch – allerdings auch gegenüber anderen Dingen: Von einem normalen Fussbodenaufbau mit all seinen Schichten beispielsweise wissen wir auch nicht, wie sauber er sich trennen und entsorgen lässt. Wir Architekten sind immer darauf angewiesen, vielen Leuten innerhalb der Bauindustrie zu vertrauen. Warum sollten wir den Herstellern der VAWD in besonderer Weise misstrauen? Realistisch gesehen können wir die VAWD bei Bauaufgaben in den billigen Marktsegmenten nicht vermeiden. Da gibt es zwei Möglichkeiten: entweder all diese Aufträge ablehnen oder nach einer Methode suchen, die VAWD zu thematisieren. Wenn wir sie verwenden, müssen wir offensiv damit umgehen und können nicht so tun, als handle es sich um eine konventionell verputzte Fassade. Interessant ist, dass das architektonische Potenzial der VAWD inzwischen ein echtes Thema wird. Mit unserem Buch (vgl. S. 33) wollen wir unseren Ansatz als mögliche Alternative zur ausschliesslichen Kritik zeigen.

Sie haben einmal den Gedanken geäussert, dass viele Fassaden mit VAWD daran scheitern, die Putzfassade eines Massivbaus nachahmen zu wollen.Was wäre denn ein besserer Weg?
Hild: Wir haben ein gewisses Interesse an der Logik, die den Dingen innewohnt oder die wir hineininterpretieren. Es macht uns Freude, diese zu erforschen und zu untersuchen, wohin es sich dann entwickelt. Mit VAWD bieten sich formale Möglichkeiten, die mit anderen Materialien nicht realisierbar sind. Das ist unser persönlicher Fokus, der nicht allgemeingültig ist.

Worin liegen die spezifischen Materialeigenschaften der VAWD, von denen sich Grundsätze für eine Gestaltung ableiten lassen?
Hild: Im Vergleich zu einer konventionellen Putzfassade gibt es Dinge, die die VAWD besser kann, und andere, die sie nicht kann. Normalerweise hat ein Relief Vor- und Rücksprünge. Bei der VAWD sind aber alle waagrechten Flächen, auf denen das Wasser stehen könnte, schwierig (vgl. S. 40) – ein Relief muss also anders aussehen. Dafür kann man der Dämmung eine Form geben, sie im weitesten Sinn modellieren. Das ist teuer und schwierig, aber es geht – anders als bei einem Massivbau, dessen Modellierung enorm aufwendig wäre. Das sind zwei zentrale Themen, die wir für unsere Arbeit identifiziert haben. An den Möglichkeiten, die sich daraus ergeben, arbeiten wir kontinuierlich.

Das Spezielle bei der VAWD ist, dass das Verbundmaterial erst noch seine eigene, spezifische Form und Wertigkeit finden muss. Entscheidend bei dieser Entwicklung ist auch, welche Bedeutung es in Zukunft haben wird.
Hild: Das ist im Buch die These von Thomas Will – ein sehr interessanter Gedanke. Es könnte durchaus sein, dass wir gerade erleben, wie ein neues Bausystem in den architektonischen Sprachgebrauch einsickert, ähnlich wie beim Gusseisen damals. Irgendwann entwickelt sich vielleicht eine Form, die breiter anerkannt wird. Aber ja, Dämmung ist nicht zwingend die beste Idee, sondern nur die derzeitige Strategie, um die Treibhausgasemissionen zu beschränken. Wenn unsere Energie nur noch aus erneuerbaren Quellen käme, würde sich das Problem schon wieder ganz anders darstellen (vgl. S. 38). Diese Strategie könnte sich in absehbarer Zeit auch ändern.

VAWD wird von Herstellern in geschlossenen Systemen angeboten. Im Vergleich zur freien Kombination von Materialien gibt es starke Einschränkungen. Welcher Gestaltungsspielraum bleibt dem Architekten?
Hild: Es handelt sich um komplizierte Gesamtsysteme mit Zulassungen, Restriktionen, Einbauvorschriften. Nur wenn man alle Vorschriften erfüllt, sind sie zulassungskonform. Als Architekt muss man also viel über ihre Funktionsweise wissen, um überhaupt schöpferisch damit umgehen zu können. Essenziell ist die intensive Zusammenarbeit mit den Herstellern, wodurch sich immer wieder neue und unerwartete Möglichkeiten ergeben. Der Gestaltungsspielraum könnte allerdings viel grösser sein, wenn die Industrie ebenfalls Interesse daran hätte. Noch scheint sie das nicht nötig zu haben. Mit einzelnen Herstellern haben wir zwar positive Erfahrungen gemacht, aber das ist nur ein winziges Segment.

Wie sind Ihre Erfahrungen mit dem Alterungsverhalten von Fassaden mit VAWD?
Hild: Die Behauptung, VAWD sei generell nach zehn Jahren kaputt, runtergefault oder vermoost, stimmt nicht. Wir haben bisher nur einen ernsthaften Schadensfall. Ursache ist dort aber nicht das System, sondern die schlechte Ausführung. Dem Generalunternehmer wurde gekündigt, deshalb stand das Dämmmaterial etwa drei Monate unverspachtelt, ohne Gewebe und unverputzt da. Die Differenzen durch Schrumpfen liessen sich mit Gewebe und Putz offenbar nicht mehr ausgleichen. Zur Sanierung müsste man in diesem Fall die ganze Dämmung ersetzen. Die gleiche Fassade auf der Rückseite ist schadlos; da wurde sie korrekt ausgeführt.

Welchen Mehraufwand bedeuten Ihre Fassaden planerisch, konstruktiv und finanziell? Müssen Sie viel Überzeugungsarbeit bei der Bauherrschaft leisten, um sie umsetzen zu können?
Hild: Bei allen Projekten mit VAWD ist die Entscheidung überwiegend aus Kostenüberlegungen gefallen. Dennoch kommen die Bauherrschaften mit gewissen Vorstellungen zu uns und wollen keine 08/15-Fassade. VAWD ist die billigste Fassadenmaterialität – selbstverständlich kosten unsere Varianten mehr, vielleicht etwa das Doppelte bezogen auf die reine VAWD-Fläche. Planerisch ist es natürlich ein Mehraufwand, auch auf der Baustelle hinsichtlich Montagezeiten.

Wie kamen Sie bei den Bauten an der Welfen- und an der Ismaningerstrasse (vgl. Abb. S. 31 und 32) konkret auf diese Reliefformen, die Schuppen, die Schichten?
Hild: Wir verwenden Formen, die im weitesten Sinn auf bekannte Putzreliefs rekurrieren. Durch die Überschuppung an der Welfen- oder durch die zwei Putzarten an der Ismaningerstrasse entstehen aber Reliefs, denen man bei genauerem Hinsehen ansieht, dass sie nach anderen Gesetzmässigkeiten zustande gekommen sind. Diesen Effekt des Mimikrys für den uninteressierten Betrachter und des Offenlegens der Machart für den interessierten Betrachter finden wir spannend. Wie kann ich etwas machen, das der nicht Eingeweihte auf eine Weise liest und der Eingeweihte auf eine andere? Wir suchen eine gewisse Breite von Rezeptionsmöglichkeiten. Die konkreten Formen sind mehr oder weniger frei entworfen – es gibt keine direkten Vorbilder.

Den geschichtet wirkenden Reliefs sieht man eine Analogie zu Kartonplatten von Entwurfsmodellen an. Aus wie vielen Dämmplatten bestehen jeweils die zusammenhängenden Schichten?
Hild: Wir haben die auskragenden Reliefs in Schichten gedacht, entworfen und konstruiert. Das hat gestalterische Gründe und ist nicht baukonstruktiv bedingt, normalerweise sind es Blöcke. Auch denkbar wäre, dass die Dämmstärke gleich bleibt und der Rohbau vorspringt, um den Vorsprung nach oben hin zu erreichen. Das Ergebnis wäre optisch identisch, aber viel aufwendiger und teurer im Bau. Die ursprüngliche Idee war, dass die Dämmung nach oben hin zunehmen muss, weil die Aussenwand dünner wird. Beim Altbau an der Ismaningerstrasse war das der Fall, beim Neubau an der Welfenstrasse aber nicht. Die zusammenhängenden Schichten wurden aus mehreren einzelnen Dämmplatten zusammengesetzt.

Was war bei der Fassadensanierung an der Ismaningerstrasse anders als bei einem Neubau?
Hild: Es war ein nach 1945 purifiziertes Haus mit glatter Putzfassade, relativ öde. Das jetzige Fassadenbild hat nichts mit dem Bestand zu tun. Uns geht es in solchen Situationen weniger um das einzelne Haus als um die ganze Strasse. Wir wollen nicht erzählen, wie das Haus vorher aussah, sondern es in die Blockrandbebauung aus dem 19. Jahrhundert integrieren. Im Prinzip unterscheidet sich die Verwendung von VAWD bei Umbauten kaum von der bei Neubauten – nur dass es im Sanierungsbereich aufgrund von Gesetzeslage, Bauphysik, Konstruktion und Kosten noch weniger Alternativen gibt.

VAWD werden massenhaft vor allem eingesetzt, weil sie billig sind. Ein Ausweg aus der architektonischen Einförmigkeit müsste also ebenfalls günstig sein, um reale Chancen auf eine breite Umsetzung zu haben.
Hild: Für den Preis von 80 Euro pro m2 Fassade lässt sich kein gestalterischer Anspruch erfüllen. Es ist eine grundsätzliche Frage, ob die Gesellschaft Wert auf eine gestalterische Qualität von Häusern legt oder ob sie glaubt, darauf verzichten zu können. Diese Entscheidung ist nicht an ein bestimmtes Material gebunden, sondern stellt sich bei jedem gleich. Auch Häuser ohne VAWD sind oft nicht gut gestaltet.

Sie haben einmal gesagt, Sie bedienten sich gern «am Giftschrank». An den kritischen Stellen, die keiner anpackt, läge am meisten Innovationspotenzial. Sind Sie dabei auf einem guten Weg?
Hild: Es hat sich tatsächlich als strategisch sinnvoll erwiesen, Themen zu bearbeiten, die alle anderen meiden. Das, womit sich nicht viele beschäftigt haben, lässt sich noch entwickeln. Diese Strategie ist so simpel wie erfolgreich. Ich habe mittlerweile den Eindruck, dass viele junge Architekten einen frischen und pragmatischen Zugang zur VAWD haben, mit weniger ideologischen Vorbehalten, auch weil sie angesichts ihrer Auftragslage gar keine andere Wahl haben. Das bringt die Sache voran. Unsere Arbeit bleibt aber ein sehr kleiner Teil der gesamten Bauproduktion und macht die Welt nicht besser.

Apropos junge Architekten: Beeinflussen all diese Fragen auch Ihre Lehre an der TU München?
Hild: Es braucht sehr viel Wissen und Erfahrung, um das Thema VAWD zu behandeln. Das kann ich nicht in sechs Wochen in die Studenten reinprügeln und dann hoffen, dass sie etwas anderes machen als wir. Davon verspreche ich mir keinen Lerneffekt. Die VAWD ist besonders heikel; sie erfährt Ablehnung von allen Seiten. Ich will die Studenten nicht in eine Diskussion verwickeln, der sie gar nicht gewachsen sein können. Da fangen wir erst mal mit ein paar bodenständigeren Sachen an.

TEC21, Fr., 2014.10.31

31. Oktober 2014 Pauline Bach

«Farbe geht immer»

Die Wiener Architekten von AllesWirdGut sind bei ihrer Arbeit im sozialen Wohnungsbau permanent mit hohem Kostendruck konfrontiert. Geld für die Fassadengestaltung ist dann knapp – für Andreas Marth umso mehr ein Grund, mit viel Erfindungsgeist an den Entwurf zu gehen.
Interview: Pauline Bach

TEC21: Herr Marth, wie stehen Sie grundsätzlich zur verputzten Aussenwärmedämmung (VAWD)?
Andreas Marth: Die VAWD bzw. die Putzfassade ist für unsere Umgebung typisch; wir können sehr gut damit leben. Problematisch ist, dass wir im sozialen Wohnungsbau aus Kostengründen immer in diese Richtung gedrängt werden. Sie ist aber auch dort nicht für jedes Projekt richtig – daher unsere Hassliebe. Man muss unglaubliche Anstrengungen unternehmen, um nicht damit zu arbeiten. Sie ist unschlagbar billig. Gern würden wir die VAWD mehr gestalten, doch die Bauträger bestehen auf dem Billigsten vom Billigen: Nur für den Putz 60 statt 35 Euro auszugeben liegt nicht drin, weil man eher in Richtung 30 Euro kommen muss. Will man das Dämmmaterial modellieren, kostet die Verarbeitung 15 Euro pro m2 mehr – unmöglich. Deswegen landen wir oft bei der Farbe als Gestaltungsmittel, die kriegt man fast immer durch. Allenfalls im Sockelbereich gibt es ein Umdenken, hochwertigere Materialien einzusetzen.

Ist diese Vorrangstellung ihrer Meinung nach berechtigt?
Marth: Die VAWD ist auf lange Sicht nicht unbedingt die billigste Konstruktion. Leider suchen viele Investoren nur kurzfristigen Profit. Wenn die Entsorgungskosten in die Investition einflössen, würden andere Fassadensysteme finanziell besser abschneiden. Dann könnte man die Diskussion auf einer ehrlichen Grundlage führen. Die Wärmedämmung wird zurzeit sehr vorangetrieben, aber noch nicht ganzheitlich beurteilt.

Wie reagieren Sie als Büro auf die Problematik?
Marth: Wir sind nicht in der Situation, die Aufträge ablehnen zu können. Das Image der VAWD ist schlecht – viele Kollegen lehnen sie reflexartig ab. Wir haben diesbezüglich eine andere Haltung, sehen uns als Dienstleister und arbeiten eng mit dem Auftraggeber zusammen. Wir stellen uns der Aufgabe, uns mit VAWD auseinanderzusetzen. Es reizt uns auch auszuloten, welche Ästhetik sich erreichen lässt. Der Spielraum im günstigen Bauen ist klein, aber wir nutzen ihn gern für die Arbeit an der VAWD.

Welche besonderen Qualitäten sehen Sie im Verbundmaterial VAWD, auch im Unterschied zur Putzoberfläche eines Massivbaus?
Marth: Den monolithischen Charakter, das Plastische, die Dicke, die Formbarkeit. Man kann die Dämmung abschrägen und auf null zulaufen lassen; die meisten anderen Materialien haben eine Mindeststärke. Man ist weder zu Fugen gezwungen noch auf Plattengrössen limitiert. Wir finden es spannend, dass heutige Aussenwände wieder so extrem dick werden wie die von alten Schlössern – neu dabei ist, dass die tragende Konstruktion den kleineren Teil einnimmt. Die VAWD kann viele Ungenauigkeiten im Rohbau kaschieren. Dämmplatten werden auch geziegelt – die Differenzen durch das Kleben könnte man bei grossen Fassadenflächen auch bewusst thematisieren. Leider ist die Qualität im Handwerk des Verputzens verloren gegangen. Mit Putz kann viel verschmiert werden. Die Bauweise mit VAWD ist billig, schnell und eher unpräzise. Das liegt aber nicht am System, sondern an der Art und Weise, wie es verwendet wird.

VAWD wird von Herstellern in geschlossenen Systemen angeboten. Im Vergleich zur freien Kombination von Materialien gibt es starke Einschränkungen. Welcher Gestaltungsspielraum bleibt dem Architekten?
Marth: Hier liegt tatsächlich ein Problem, vor allem, weil die Hersteller nicht zur Innovation motiviert sind. Bei anderen Materialien herrscht ein ganz anderer Entwicklungswille. Es gibt aber durchaus Spielräume zur Gestaltung über die Materialstärke der Dämmung, Putzarten von verschiedenen Stärken und Strukturen, Farbe. Auch kann man theoretisch alle möglichen Sachen einputzen, bis hin zu Gesimsen.

Welche Innovationen würden Sie sich wünschen?
Marth: Speicherfähigkeit von Wärmedämmung. Die Technologie, zum Beispiel von Phasenwechselmaterialien bei Wärmetauschern, entwickelt sich – und ist auch für die Fassade interessant. Neue gestalterische Möglichkeiten könnten aus einer anderen Methode der Formgebung resultieren: Wird das Dämmmaterial künftig vielleicht gegossen statt geschnitten? Ist die Dämmung dann vor Schlafräumen dicker und vor Lagerräumen dünner? Wichtig ist allerdings, dass das Material günstig bleibt.

Dass Fassadenbemalungen gleichzeitig als Schmuck und Illusion einer hochwertigeren Materialität dienen, hat es schon immer gegeben. Was möchten Sie mit der Farbe erreichen? Haben Sie Vorbilder aus der Architekturgeschichte?
Marth: Unsere Inspirationen kommen von überall her. Wir arbeiten mit Referenzen, haben aber keine historischen Vorbilder im klassischen Sinn; sie wechseln von Projekt zu Projekt. Wir entwerfen nicht historisierend, sondern wollen etwas Neues machen. Viele Dinge entwickeln wir intuitiv. Immer sehr wichtig ist der Kontext, selbst wenn wir ihn im nächsten Schritt bewusst kontrastieren. Bei manchen Projekten wird die Regelmässigkeit des Wohnungsbaus gebrochen, bei anderen werden heterogene Inhalte zu einer äusserlichen Einheit zusammengefasst (vgl. Abb. S. 35). Zu streng gerasterte Fassaden sehen wir kritisch. Natürlich sind die «spielerischen» Momente genau durchdacht. Leichte Unregelmässigkeiten und Ausnahmen von der Regel machen Fassaden interessant. Durch sie werden die Häuser robuster gegenüber der Nutzung. Wenn die Bewohner einziehen und ihre Blumentöpfe aufhängen, sollen die Gebäude besser, nicht unansehnlich werden. Brüche machen schliesslich das Leben aus.

TEC21, Fr., 2014.10.31

31. Oktober 2014 Pauline Bach

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