Editorial
Für unser diesjähriges Städteheft haben wir für einmal nicht ein Nachbarland besucht, sondern mit Freiburg eine Stadt in der Nähe. In Stadt und Kanton hat sich in den letzten Jahren eine interessante Szene etabliert, und dies nicht ohne Gründe: Der Kanton Freiburg hat im letzten Jahr 25 offene Wettbewerbe durchgeführt; bei einer Einwohnerzahl von rund 300 000 Menschen ist das eine sensationelle Quote. Und Freiburg floriert: Ein solider wirtschaftlicher Aufschwung in der Region paart sich im intellektuellen Zentrum der katholischen Schweiz mit Bewusstsein für Tradition und kulturelle Werte. Die Attraktivität des Kantons als Firmensitz oder Wohnort in Pendlerdistanz zur Genferseeregion wie zur Bundeshauptstadt ist hoch – und ebenso die Bautätigkeit.
Freiburg ist ein Phänomen der Gegensätze. Die Sprach-und Religionsgrenzen überlagern sich hier. Und ebenso durchdringen sich Landschaft und Stadt: Selbst vom urbanen Quartier Pérolles mit seinen «80 Metern Paris» fällt der Blick über die Einschnitte überdeckter Bachtobel hinweg unmittelbar auf die grüne Umgebung des Saanetals und die Landwirtschaft; und neben den Landsitzen alter Patrizierfamilien grasen mancherorts schwarzfleckige Kühe. Nicht von ungefähr sind die Brückenbauwerke in Freiburg stärker symbolisch aufgeladen als anderswo. Das gilt auch für die Poya-Brücke, die diesen Herbst eröffnet wird. Sie stellt den Anschluss an den deutschsprachigen Osten sicher, den aufstrebenden Sensebezirk – das einstige Armenhaus Freiburgs. Die von Niklaus Meienberg beschriebene soziokulturelle Spaltung in Oben und Unten, in die französischsprachige Oberstadt und die proletarischen Niederungen der Unterstadt wirkt heute noch nach.
Die deutschsprachigen Unterstädtler haben ihre Eigenständigkeit im Dialekt, dem Bolze, kultiviert. Darin mischen sich auf eigentümliche Weise französische Wörter mit deutschem Satzbau: «I bü its Grangmagasing ga nas P’tit-pain chùùffe.» (Ich bin ins Warenhaus ein kleines Brötchen kaufen gegangen.) Oder es mischt sich umgekehrt Deutsch in die französische Grammatik: «Le fatr a schlagué le katz avec le steck.» (Der Vater hat die Katze mit dem Stecken geschlagen.)
Freiburg ist innovativ: Das 1995 geschaffene Agglomerationsgesetz hat 2008 einen Planungsverbund entstehen lassen, dessen Name für sich spricht: die «Agglo». Diese neuartige Institution mit demokratisch gewählten Gremien koordiniert über Verkehrsfragen hinaus die räumliche Entwicklung im erweiterten Umkreis der Kantonshauptstadt. Freiburg ist in vielerlei Hinsicht ein Modell der multikulturellen Schweiz. Eine Konstruktion im besten dialektischen Sinn, ein lebendiges Gemisch. Bei der nächsten Fahrt ins Lavaux, nach Lausanne oder Genf ist also in Freiburg Halt zu machen. Ein Plan zu den Bauten ist mit diesem Heft zur Hand.