Editorial

Die Stadt Zürich und die SBB bauen in Oerlikon, was das Zeug hält: ­Gleise verlegen, Brücken verlängern, Betonkon­struktionen erstellen, Gebäude verschieben, Plätze gestalten. Neue Zugänge, Übergänge, Unterquerungen für Züge, Autos, Fahrräder oder Fussgänger.

Taktgeber der jüngsten Arbeiten ist die Durchmesserlinie Zürich (siehe links). Allerdings ist in Oerlikon schon länger alles underobsi.

Auf dem ehemaligen Industrieareal blieb kein Stein auf dem anderen. Der Stadtteil Neu-Oerlikon wurde in Rekordzeit aus dem Boden gestampft. Mit dem Ergebnis, dass vor allem punkto Städtebau und Erdgeschoss­nutzungen die Meinungen auseinandergehen. Bei Arbeiten im Bahneinschnitt verschwanden Kunst­bauten aus vergangenen Zeiten: das ­gemauerte Portal des Wipkingertunnels oder die Regens­bergbrücke, eine Stahlkonstruktion von 1908.

Egal ist das alles den Bewohnern von Oerlikon offensichtlich nicht. Verschiedene ­Ini­tiativen versuchen die industriellen Wurzeln zu zeigen und an die Geschichte des Stadtteils zu erinnern.

Prominentestes Beispiel ist vermutlich die Verschiebung des Hauptsitzes der Maschinenfabrik Oerlikon im Jahr 2012 oder als kleineres Beispiel das Bestreben, ein «Krokodil», ein ­Exemplar der legendären Elektrolokomotiven, an seinen «Geburtsort» zurückzuholen.

Denn während der Blütezeit der Industrie war der Ortsname Oerlikon in der Welt bekannter als die Stadt Zürich – dank den Lokomotiven, Generatoren, Motoren und Werkzeugmaschinen, die hier hergestellt wurden.

Daniela Dietsche

Inhalt

AKTUELL
07 WETTBEWERBE
Kunstvoll gegliedert

10 PANORAMA
Pantons bunte Wohn(t)räume | Statisches Spiegelbild

14 VITRINE
Neues aus der Bauindustrie

16 PFLICHTEN DES ARBEITSNEHMERS
Durch Bildkarten zur Bau­kultur | SIA-Form Fort- und Weiterbildung

21 VERANSTALTUNGEN

22 OERLIKON UNDEROBSI

22 EIN SCHMETTERLING FÜR ZÜRICH-NORD
Lukas Denzler
Der Ausbau des Bahnhofs Zürich Oerlikon ist eine Chance, den Stadtteil weiter­zuentwickeln und fit zu ­machen für die Zukunft.

26 LOGISTISCHE MEISTERLEISTUNG
Daniela Dietsche
Enge Platz­verhältnisse und viel Verkehr – das waren die Herausforde­run­gen beim Ausbau des Bahnhofs und bei der Erweiterung des Gleisfelds in Oerlikon.

32 STELLENINSERATE

37 IMPRESSUM

38 UNVORHERGESEHENES

Ein Schmetterling für Zürich-Nord

Oerlikon durchläuft einen tiefgreifenden Wandel. Der Bahnhof wird komplett neu gestaltet. Er wird zum Zentrum und Bindeglied zwischen den Quartieren in Zürich-Nord.

Der Kabarettist und Schriftsteller Franz Hohler beschreibt auf den ersten Seiten seines jüngsten Buchs «Gleis 4»[1] die enge Unterführung des Bahnhofs Zürich Oerlikon. Isabelle, die Protagonistin des Romans, ist auf dem Weg zum Flughafen in Kloten. «Zu spät hatte sie daran gedacht, ganz nach hinten zum Ende der Geleise zu gehen, wo es schräg ansteigende Auf- und Abgänge ohne Treppen gab, und erst als sie die Stufen vor sich sah, die ihr so steil und feindlich vorkamen wie noch nie, merkte sie, wie schwer ihr Koffer eigentlich war, und ärgerte sich, dass ein so stark frequentierter Bahnhof wie dieser immer noch nicht über Rolltreppen verfügte, sondern wie die Provinzstation behandelt wurde, die er vor hundert Jahren einmal war.» – Das Kofferschleppen über steile Treppen wird bald vorbei sein. Rolltreppen wird es im neuen Bahnhof Zürich Oerlikon zwar nicht geben. Von den Unterführungen werden aber künftig Lifte zu den Perrons führen. Franz Hohler wird es freuen. Er lebt seit 1978 in Oerlikon.

Vom Dorf zum Industriestandort

Vor 100 Jahren war Oerlikon ein kleines Dorf. 1934 wurde der Ort zusammen mit Seebach, Affoltern und Schwamendingen durch Eingemeindung zum nördlichen Teil der Stadt Zürich (Lageplan S. 23). Der am Rand des Wohngebiets gelegene Bahnhof war damals in der Tat eine Provinzstation. Auf der anderen Seite befanden sich die Industriegelände der Maschinenfabrik Oerlikon (MFO), der Accumulatoren Fabrik (später Accu Oerlikon) und der Schweizerischen Werkzeugmaschinenfabrik Oerlikon (später Oerlikon-Bührle AG). In der MFO wurden unter anderem die legendären Krokodil-Lokomotiven gebaut (Kasten S. 25). 1967 übernahm die in Baden ansässige BBC die MFO und fusionierte ihrerseits 1988 mit der schwedischen Asea zu ABB.

Wer nicht im Industriegebiet arbeitete, hatte dort, auf der anderen Seite der Gleise, keinen Zutritt. Nur die Birchstrasse, die in süd-nördlicher Richtung mitten durchs Industriequartier führte, war frei zugänglich. Christian Relly, Präsident des Quartiervereins Oerlikon, ist bei der Regensbergbrücke aufgewachsen. Er erinnert sich, wie er als Bub mit dem Velo jeweils via Birchstrasse nach Seebach fuhr. Auf der linken Seite befand sich das Areal der Oerlikon-Bührle, auf der rechten Seite dasjenige der MFO. Das Industriegebiet war ein umzäuntes, unbekanntes Land.

Auch Röbi Stolz kennt das Areal seit seiner Kindheit. Sein Vater arbeitete bei der MFO; er selber absolvierte bei der BBC die Lehre. Heute betreibt er ein Velogeschäft beim Bucheggplatz und ist Präsident des Vereins WerkStadt Oerlikon, in dem die wichtigen Oerlikoner Quartierorganisationen zusammengeschlossen sind. Manchmal wird das ehemalige Industriegebiet auch als «verbotene Stadt» bezeichnet. Der Architekturkritiker Benedikt Loderer soll diesen Begriff in Zusammenhang mit Industriebrachen populär gemacht haben. Laut Stolz kam diese Bezeichnung erst auf, als sich in den 1990er-Jahren die Öffnung des Areals abzeichnete. Für ein wirklich «verbotenes» Gebiet arbeiteten im Industrieareal schlicht zu viele Leute aus Oerlikon. Etwas geheimnisumwittert war es aber schon, vor allem das Areal der Waffenschmiede der Oerlikon-Bührle.

Der Bahnhof als Dreh- und Angelpunkt

Nach der Öffnung des Industrieareals entstanden seit der Inkraftsetzung der Sonderbauvorschriften 1998 viele Geschäfts- und Wohnhäuser nördlich des Bahnhofs. Dieser Stadtteil, man gab ihm den Namen Neu-Oerlikon, beherbergt im Endausbau rund 12 000 Arbeitsplätze und bietet Wohnraum für 5000 Einwohner. Dadurch war der Bahnhof plötzlich mittendrin. Auch östlich des Bahnhofs verläuft die Entwicklung rasant. Im Gebiet Leutschenbach, wo sich das Fernsehstudio des SRF befindet, werden viele neue Wohnungen und Bürohäuser gebaut.

Rudolf Steiner vom Tiefbauamt der Stadt Zürich sagt: «Wir möchten den Bahnhof hin zu den Quartieren öffnen und im Osten ebenerdige Fusswege zu den Bahnhofsunterführungen schaffen.» Die Anbindung der Quartiere erinnert an einen Schmetterling.

Momentan ist der Bahnhof eine grosse Baustelle. Bis die Raupe sich verpuppt und der Schmetterling endlich fliegt, haben Anwohner und Benützer des Bahnhofs noch einige Unannehmlichkeiten zu erdulden. Doch lassen sich jetzt immerhin die Konturen des neuen Bahnhofs erkennen.

2007 erfolgten wichtige Weichenstellungen. Einerseits fiel der Entscheid, in Oerlikon zwei zusätzliche Gleise zu bauen. Die damit verbundenen Anpassungen der Unterführungen bewogen die SBB, gleichzeitig den Bahnhof auszubauen. Andererseits vereinbarten Stadt und Kanton Zürich sowie die SBB, ihre Projekte zu koordinieren. Der Stadtrat beauftragte daraufhin das Tiefbauamt, eine Projektorganisation einzurichten, deren Aufgabe es ist, den Informationsfluss innerhalb der städtischen Verwaltungsstellen zu gewährleisten (Gebietsmanagement). Sie dient zudem als Anlaufstelle für den Kanton, die SBB und die Quartierorganisationen. Die SBB gaben mit den zeitlichen Vorgaben der Durchmesserlinie den Takt an. Der enge Zeitplan habe einen gewissen Druck auf die städtischen Projekte und die Bewilligungsbehörden erzeugt, sagt Steiner.

Bereits im Jahr 2000 hielt der Zürcher Stadtrat im Entwicklungsrichtplan für den Bahnhof Zürich Oerlikon fest, dass für die Quartierverbindung zwischen dem Zentrum in Oerlikon und Neu-Oerlikon keine Passerelle über den Gleisen, sondern eine zusätzliche Unterführung zu planen sei. Den Wettbewerb gewannen 2004 das Atelier 10 : 8 und Leutwyler Partner Architekten. Nach dem Entscheid der SBB, den Bahnhof auszubauen, war das Projekt anzupassen. Die neue, 16 m breite Quartierverbindung ergänzt die Personenunterführung Mitte der SBB (vgl. Abb. S. 30). Die breiten Treppen auf beiden Seiten setzen zusammen mit den laternenartigen gelben Oberlichtern ein prägnantes Zeichen und weisen auf die Quartierverbindung hin. Die Oberlichter überspannen jeweils Aufzüge, Treppen und Rampen, die in die Passage führen. Die Kosten betragen 50 Mio. Fr. Die Quartierverbindung wurde 2009 mit 78 % der Stimmen von den Zürchern angenommen.

Verlängerung der SBB-Brücken

Die SBB-Brücken östlich des Bahnhofs über die Schaffhauserstrasse wurden bereits teilweise verlängert, der Neubau der Brücken für die Gleise 3 bis 6 folgt bis Ende 2015. Damit wird unter den Gleisen eine zeitgemässe Führung von Tram- und Buslinien, des Langsamverkehrs und des motorisierten Individualverkehrs möglich. Derzeit wird der Zugang zum Bahnhof von Seebach und von der Andreasstrasse aus dem Gebiet Leutschenbach erstellt. Er mündet in die Personenunterführung Ost der SBB. Die Gesamtkosten für die Quartieranbindung Ost betragen 110 Mio. Fr. Das Projekt wurde 2010 mit 71 % der Stimmen an der Urne angenommen.

Ursprünglich war in der Unterführung Schaffhauserstrasse ein grosses Umsteigezentrum des öffentlichen Verkehrs vorgesehen. «Im Lauf der Planung realisierten wir aber, dass dieses zu stark am Rand des Bahnhofs zu liegen gekommen wäre», sagt Rudolf Steiner. Zudem erwies sich der Ort für eine grosse öV-Drehscheibe als zu wenig attraktiv. Es wird deshalb weiterhin die drei Umsteigeknoten beim Bahnhofplatz Süd, beim Max-Frisch-Platz im Norden und bei der Schaffhauserstrasse im Osten geben (Plan unten).

Zwei markante Plätze

Der Oerliker Bahnhofplatz Süd wird vom Durchgangsverkehr entlastet und fussgängerfreundlich gestaltet. Er bildet künftig die Verbindung zwischen dem Bahnhof und dem zentralen Marktplatz. Das denkmalgeschützte alte Bahnhofsgebäude und die ebenfalls denkmalgeschützte ehemalige Post mit dem Turm und der grossen Uhr (heute Pestalozzi-Bibliothek) bleiben erhalten. Der Kundenschalter der SBB im alten Bahnhofsgebäude und die ebenerdigen kommerziellen Nutzungen werden in die Personenunterführung Mitte verlegt.

Das Pendant zum Bahnhofplatz im Süden ist der Max-Frisch-Platz im Norden. Dieser wird ab 2015 neu gestaltet. Er umfasst die Bushaltestellen entlang dem neuen Perron von Gleis 8 und einen Aufenthaltsbereich mit Bäumen, Sitzgelegenheiten und Brunnen. Laut Steiner kann der Platz auf der Nordseite nicht abschliessend erstellt werden, weil noch nicht klar ist, was auf dem angrenzenden, lang gezogenen Grundstück, das der ABB und dem Kanton Zürich gehört, dereinst zu stehen kommt.

Die Quartierkräfte mischen sich ein

Der Wandel in Oerlikon vollzieht sich in atemberaubendem Tempo. Für die Quartiere bleibt das nicht ohne Folgen. Bereits in den 1990er-Jahren bildete sich der Verein «zürifüfzg». Engagierte Bewohner aus Zü-rich-Nord wollten den Prozess der Umnutzung des Industrieareals mitgestalten. Einer der führenden Köpfe war Martin Waser, der später in den Stadtrat gewählt wurde. Röbi Stolz erinnert sich, dass es damals gelungen sei, über die Parteigrenzen hinweg einen runden Tisch zu bilden. Auch heute ist die Meinung der Quartiervereinigungen gefragt. Laut Rudolf Steiner ist für die Stadt vor allem die WerkStadt Oerlikon eine wichtige Ansprechpartnerin. Diese umfasst den Gewerbeverein und den Quartierverein Oerlikon, aber auch einige Firmen. Neu-Oerlikon ist als Wohn- und Arbeitsquartier viel schneller gewachsen, als man in den 1990er-Jahren gedacht hatte. Hansruedi Diggelmann, Geschäftsführer der WerkStadt Oerlikon und Raumplaner, sieht einen der Gründe für die rasante Entwicklung darin, dass die Öffnung des Areals mit der Renaissance der Städte zusammenfiel. Der Wandel in Oerlikon sei grundsätzlicher Natur. Laut Diggelmann sollte man in der Planung und Quartierentwicklung deshalb etwas weiter denken; unter anderem gehe es auch darum, erkannte Defizite zu beheben. Dazu seien die Stimmen aus den Quartieren zu bündeln, wofür es ein geeignetes Gefäss brauche. Die WerkStadt Oerlikon wäre dafür prädestiniert, findet Diggelmann. Weil die meisten Personen ehrenamtlich mitarbeiteten, brauche der Verein aber mehr Unterstützung. Diggelmann verweist auf den Legislaturschwerpunkt «Stadt und Quartiere gemeinsam gestalten» der Stadtregierung. Unter diesem Titel wäre in der eben zu Ende gehenden Legislaturperiode jedoch mehr möglich gewesen, ist er überzeugt.

Für Christian Relly, Präsident des Quartiervereins, ist einer der nächsten wichtigen Punkte die Realisierung des Max-Frisch-Platzes. Dieser Ort sei für Neu-Oerlikon zentral, bei der Umsetzung dürfe es deshalb keine Abstriche geben.

Entscheidend wird sein, wie der Platz gegenüber dem Bahnhof abgeschlossen wird – doch gerade das ist derzeit die grosse Unbekannte. Gleich hinter der fraglichen Parzelle befindet sich die Ausbildungsstätte für industrielle Berufslehren Schweiz (libs). Sie ist derzeit in einem Gebäude der ABB untergebracht. Für Hansruedi Diggelmann ist die Frage, ob sie dort bleiben kann oder zumindest im Quartier einen Platz haben soll – ein gutes Beispiel dafür, worüber man im Rahmen einer ganzheitlichen Quartierentwicklung unbedingt auch nachdenken sollte. Und ganz allgemein möchte man früh informiert werden: Vom SBB-Projekt des 80 m hohen Franklin-Turms haben die Quartiervertreter erst erfahren, als es den Medien präsentiert wurde (vgl. «Kunstvoll gegliedert», S. 8).

Das alte MFO-Gebäude als Symbol

Die erfolgreiche Verschiebung des ehemaligen Verwaltungsgebäudes der MFO im Mai 2012 ist für viele in Oerlikon zu einem Symbol geworden.[2] Nicht nur, weil das alte und für den ehemaligen Industriestandort wichtige Gebäude erhalten werden konnte, sondern weil es aufzeigt, was möglich ist, wenn man sich gemeinsam für etwas einsetzt. Dieser Kraftakt gelang nur, weil sich die Quartierbewohner energisch für das Gebäude stark machten. Irgendwann sprang der Funken auf die Politiker über, und auch die beteiligten Firmen realisierten, dass sie einlenken mussten. Über die gelungene Aktion freut sich vor allem auch Röbi Stolz, der mit dem Gebäude auch ein Stück seiner Jugend verbindet: Als Vertreter der BBC-Lehrlinge musste er nämlich hin und wieder beim obersten Lehrlingschef der BBC antraben. Und dieser hatte sein Büro im alten MFO-Verwaltungsgebäude. Heute kann man in diesem altehrwürdigen Gebäude im Restaurant «Gleis 9» an der Bar ein Bier trinken.


Anmerkung:
[01] Franz Hohler: Gleis 4. München 2013, S. 6
[02] Das 80 m lange, 12 m breite und 6200 t schwere MFO-Gebäude von 1889 wurde in Mai 2012 um 60 m nach Westen verschoben. Ein Bautagebuch und weitere Informationen unter: www.espazium.ch/tec21/article/gebaeudeverschiebung-auf-500-stahlrollen. Zudem erscheint im März 2014 das Buch «Ein Haus geht auf Reisen», Herausgeber ist der Verein Oerlikoner Industriegeschichte(n), 34.90 Fr., ISBN 978-3-280-05548-9

TEC21, Fr., 2014.03.28

28. März 2014 Lukas Denzler

Logistische Meisterleistung

Die neuen Gleise der Durchmesserlinie brauchen Platz. Doch im Bahnhof Zürich Oerlikon und im angrenzenden Bahneinschnitt war es schon bisher eng und voll. Schritt für Schritt wurden Ingenieurbauwerke erstellt, um die Voraussetzungen für den Fahrplanwechsel 2015 zu schaffen.

Im Juni 2014 wird die Durchmesserlinie Zürich auf der Nord-Süd-Achse Oerlikon–HB– Wiedikon eröffnet. Die ersten S-Bahn-Züge der Linien 2, 8 und 14 verkehren dann zwischen Zürich Oerlikon und Zürich HB durch den doppelspurigen Weinbergtunnel (vgl. TEC21 17/2012, 48/2012 und 31-32/2013). Die zwei neuen Gleise wurden im Einschnitt Oerlikon in die bestehende Gleisanlage eingeflochten. Was einfach klingt, war ein technisch komplexes und logistisch aufwendiges Unterfangen: Um sie unterzubringen, wurde der 10 bzw. 25 m breite Bahneinschnitt seit 2008 auf seiner ganzen Länge um bis zu 18 m verbreitert. Alle bestehenden Gleise und Weichen wurden umgebaut oder entfernt und in anderer Lage und Höhe neu verlegt – Fahrleitungen, Signal- und Kabelanlagen eingeschlossen. Die enge Baugrube und die hohen Sicherheitsansprüche forderten mehr als 20 Bauphasen. Der Zugverkehr hatte immer Vorrang: Pro Tag fuhren rund 800 Züge an den Bauarbeitern vorbei. Ein grosser Teil der Arbeiten konnte daher nur nachts oder an Wochenenden ausgeführt werden, wenn Gleise gesperrt werden konnten.

Neun Stockwerke für Rettung und Technik

Die Zugpassagiere, die durch den Weinberg- oder den Wipkingertunnel nach Zürich Oerlikon kommen, unterqueren das neue, neunstöckige Rettungs- und Technikgebäude (Schnitt rechts). Es beherbergt unter anderem Bahntechnikanlagen (Strom- und Bahnstromversorgung inkl. Trafostation, Sicherungs- und Telekommunikationsanlagen), die Wasser- und Löschwasserversorgung und einen Notausgang, Einsatzräume, Rettungsmittel und eine Rauchdruckanlage für einen Notfall oder Brand im Weinberg- oder Wipkingertunnel. Das rund 36 m hohe Gebäude ist flach auf Fels fundiert. Die massive Betonkonstruktion muss die grossen, auf drei Seiten anfallenden Erddrücke und gleichzeitig den Druck von aufstauendem Wasser zwischen Fels und Gebäude aufnehmen. Um die Stabilität sicherzustellen, wurde unter anderem ein Teil des Tagbautunnels als Fundamentfuss ausgebildet und monolithisch mit dem Gebäude verbunden. Die Hinterfüllung westlich des Gebäudes besteht aus mit Geotextilien bewehrter Erde. So können keine Lasten auf die grossflächige Portalwand einwirken. Um dem Umweltkonzept der Durchmesserlinie gerecht zu werden, sind in der Portalwand kleine Schlitze eingelassen, damit Fledermäuse in den Hohlräumen dahinter siedeln können.

Stützmauern lösen dichtes Grün ab

Umweltmassnahmen sind auch im Einschnitt vorgesehen, der noch vor einigen Jahren dicht bewachsen war. An Stelle der Bepflanzung stehen heute bis zu 33 m hohe Betonstützmauern. In der verbleibenden Böschung zwischen Bahnhof Zürich Oerlikon und der Regensbergbrücke wurden Steinkörbe für Eidechsen aufgebaut. Im Gesamtperimeter der Durchmesserlinie werden als Ausgleich weitere ökologische Ersatzmassnahmen wie Sandlinsen oder Wildbienen-Nisthilfen aus Holz ausgeführt (vgl. TEC21 48/2012). Die 670 m lange, teilweise überhängende Stützmauer auf der Ostseite ist als Nagelwand mit Spritzbeton, Vorsatzschale und hinten liegender Entwässerung konstruiert. Um Setzungen zu vermeiden, wurden zu Baubeginn zahlreiche Häuser nahe der Stützmauer unterfangen. Die Nagelwand mit nicht vorgespannten Ankern wurde in Etappen von oben nach unten gebaut, die Vorsatzschale von unten nach oben mit Grossflächenschalungen betoniert.

Die Strecke zwischen Bahnhof und Tunnelportalen ist auf beiden Seiten von Wohnhäusern gesäumt. Vor Baubeginn führte die Bauherrschaft Gebäudeaufnahmen zur Beweissicherung durch. Derzeit werden sie erneut vermessen. Insgesamt sind keine grossen Schäden zu beklagen; wo notwendig, werden die Gebäude nun instand gesetzt. Ferner misst ein Überwachungssystem halbstündlich Bewegungen der Betriebsgleise und Gebäude. Werden die festgelegten Grenzwerte überschritten, bekommen die verantwortlichen Ingenieure eine Nachricht per SMS und E-Mail, damit sie notwendige Massnahmen einleiten können.

Anwohner vor Lärm schützen

Im Quartier überstiegen die Lärmwerte die Grenzwerte schon vor Baubeginn – die Situation wird nun im Rahmen der Erweiterungsarbeiten verbessert. Auf den Stützmauern auf beiden Seiten des Bahneinschnitts entstanden auf 700 m Länge rund 4 m hohe Lärmschutzwände aus Glas und Stahl. Auf der Gleisebene wurden und werden an allen seitlichen Stützmauern 1 bis 2 m hohe schallabsorbierende Lavabetonelemente und auf den Stützmauern zwischen den Gleisen 1.10 m hohe schallabsorbierende Alu-Elemente montiert, die den Lärm nah an der Quelle – beim Berührungspunkt Rad und Schiene – dämpfen. Aufgrund des nicht unerheblichen Lärms während der Bauarbeiten wurden Schallschutzmatten montiert. Die Bauherrschaft stand zudem ständig in Kontakt mit den Anwohnern und Hausbesitzern. Frühzeitige Information über aussergewöhnlich laute Arbeiten mindert die Lärmbelastung zumindest gefühlsmässig.

Die naheliegende Alternative zu den aufwendigen Konstruktionen im Einschnitt – ein geschlossener Deckel – wurde schon früh im Planungsprozess verworfen. Ausschlaggebend waren finanzielle Gründe hinsichtlich Bau und Unterhalt und die Tatsache, dass er einen weiteren langfristigen Ausbau eingeschränkt hätte. Jetzt wären noch Ausbauten sowohl in die Höhe (Brücken oder Überwerfungen) als auch in die Tiefe (Untertunnelung oder Unterquerungsbauwerke) möglich. Beides wäre durch eine Überdeckung verunmöglicht oder zumindest stark erschwert worden.

Brücken und Unterquerungsbauwerk

Der Birchsteg und die Regensbergbrücke verbinden die Quartiere nördlich und südlich des Bahneinschnitts in Zürich-Nord. Da der Bahneinschnitt verbreitert wurde, mussten beide Brücken rückgebaut und verlängert neu erstellt werden. Ausserdem musste die Abstützung der Regensbergbrücke im Gleisfeld neu positioniert werden. Der neue Birchsteg, eine Fuss- und Radwegbrücke, führt als Balkentragwerk aus Stahlbeton mit einer Spannweite von 42 m stützenfrei über den Einschnitt. Der Überbau besteht aus einem vorgespannten, nach unten geöffneten Trogquerschnitt. Auf seiner Westseite ist der Querschnitt monolithisch mit einem 6 × 13 m grossen Widerlager verbunden. Die dadurch entstehende Einspannwirkung erlaubt es, die Brücke in dieser Schlankheit ohne Mittelstütze auszuführen. Beim Widerlager Ost ist die Brücke gelenkig und in Längsrichtung verschieblich gelagert. Die neue Regensbergbrücke dient weiterhin dem Strassenverkehr, ist jedoch auch für eine zukünftige Tramlinie ausgelegt. Das 46 m lange Bauwerk ist als integrale, zweifeldrige Rahmenbrücke mit vorgespanntem Plattenbalkenquerschnitt ausgebildet. Die Brücke wurde konventionell mittels Lehrgerüst gebaut, nachdem die alte Stahlbrücke aus dem Jahr 1908 in drei Teilen mit einem grossen Kran herausgehoben worden war. Der motorisierte Verkehr wurde während einem Jahr umgeleitet. Fussgänger und Radfahrer benutzten einen provisorischen Steg.

Die Mittelstütze der Brücke steht auf der Seitenwand des Unterquerungsbauwerks für den Zugverkehr. Dieses 510 m lange Bauwerk bauten die SBB, damit die Züge vom Hauptbahnhof Zürich kreuzungsfrei Richtung Flughafen und Ostschweiz fahren können. Denn allein mehr Platz für die Gleise aus dem Weinbergtunnel hätte nicht gereicht, um die Kapazität zu erhöhen. Der Weinbergtunnel unterquert im Bereich Oerlikon ein Gleis der Wipkingerlinie und kommt in zwei eingleisigen Tunnelausfahrten an die Oberfläche.

Ein Portal liegt direkt an der Stützmauer auf der Ostseite, das zweite in Verlängerung des Wipkingertunnels ungefähr auf Höhe des Käferbergtunnelportals. Durch den Käferbergtunnel gelangen die Passagiere nach Zürich Hardbrücke bzw. nach Altstetten.

Passagen unter dem Bahnhof

Zürich Oerlikon ist der siebtgrösste Bahnhof der Schweiz, gemessen an der Zahl der ein- und aussteigenden Personen pro Werktag. Praktisch alle Züge, die Zürich Richtung Norden und (Nord-)Osten verlassen, müssen ihn passieren. Trotzdem war sein Ausbau nicht immer Teil der Durchmesserlinie: Deren Perimeter endete bis 2009 an der westlichen Perronkante. Ursprünglich war geplant, den Bahnhof erst zu erweitern, wenn die Arbeiten an der Durchmesserlinie abgeschlossen wären – als Teil der vierten Teilergänzung der Zürcher S-Bahn. Im Lauf der Zeit ergaben sich Synergien, die die SBB, der Kanton Zürich, der ZVV und die Stadt Zürich nutzen wollten.

Hauptschlagader des neuen Bahnhofs Zürich Oerlikon wird die Personenunterführung Mitte. Mit einer Breite von 12.50 m wird sie auch den weiter wachsenden Passantenströmen gerecht. Je zwei Treppen und ein Lift führen von den Perrons in die Unterführung. Die Aufzüge sind analog denen in der Passage Sihlquai am Hauptbahnhof dimensioniert, das heisst 1 t Nutzlast und Platz für 13 Personen. Die Verkaufsfläche wird von 150 m² auf 2300 m² erhöht, damit ist der Geschäftsanteil vergleichbar mit dem im Bahnhof Bern. Westlich neben der Personenunterführung der SBB wird die Quartierverbindung der Stadt Zürich für den Fuss- und Veloverkehr gebaut. Sie verbindet ab 2016 das Zentrum von Oerlikon mit Neu-Oerlikon. Fussgänger und Velofahrer werden in dem rund 16 m breiten Raum getrennt geführt. Radfahrer können den Bahnhof kreuzen, ohne abzusteigen – dank einer befahrbaren Velorampe mit einer Steigung von 6 %. Eine unterirdische Abstellanlage für rund 370 Velos ermöglicht schnelles Umsteigen. Die Passagiere gelangen über eine Treppe aus der Passage auf die Perrons. Zwei Kopfbauten verbinden die Personenunterführung und die Quartierverbindung.

Über Hilfsbrücken fahren

Die beiden Unterführungen werden in Etappen in einer 70 m breiten Baugrube parallel zum Gleis erstellt. Der Kopfbau auf der Nordseite ist im Rohbau fertiggestellt, das neu erstellte Gleis 8 nahmen die SBB im August 2013 in Betrieb. Hier verkehren im Endausbau die meisten Züge und auch alle S-Bahnen, die aus Richtung Hardbrücke zum Flughafen oder nach Seebach und Opfikon fahren. Das neue Gleis 7 ist im Bau, es wird ab dem 7. April 2014 genutzt werden. Von dort fahren vorwiegend Züge vom Flughafen bzw. der (Nord-)Ostschweiz nach Zürich. In den folgenden Phasen werden immer zwei Gleise ausser Betrieb genommen, um in der offenen Baugrube den nächsten Teil der Unterführungen zu erstellen. Sie wird mit einer Rühlwand mit Holzausfachung gesichert, dem sogenannten Berliner Verbau, die Stirnseiten mit Nagelwänden. Die Bauphasen dauern jeweils rund sechs Monate. In dieser Zeit werden die Baugruben ausgehoben, die Personenunterführungen in Stahlbeton gebaut, Abdichtungen aufgebracht, Wiederauffüllungen erstellt, die Gleise neu gelegt (einschliesslich Signalen, Fahrleitung, Kabel) und die Perrons mit ihrer gesamten Ausstattung neu erstellt.

Die Züge aus und in Richtung Wallisellen, die auf Gleis 1 oder 2 verkehren, haben keine Möglichkeit, das Gleis nach dem Bahnhof zu wechseln. Eine Sperrung ist daher hier nicht realisierbar. Voraussichtlich ab November 2014 kommt deshalb eine technisch und logistisch anspruchsvolle Lösung zum Einsatz: Hilfsbrückenketten aus je fünf aneinander gehängten Brücken mit einer Gesamtlänge von 80 m pro Gleis. Fundiert werden diese auf Mikropfahltürmen, die bis in 16 m Tiefe unter der Baugrube gegründet sind. Um das Risiko eines hydraulischen Grundbruchs zu minimieren, werden die Pfähle vollständig unter Wasser gebohrt und betoniert. Um die Hilfsbrückenketten zu erstellen, sind sechs Intensivbauwochenenden mit 60-Stunden-Betrieb vorgesehen. Während 15 Monaten sollen die Züge über die Hilfsbrücken verkehren. In diesem Bereich erfolgt der Bau der Personenunterführung somit nicht neben, sondern unter den in Betrieb stehenden Gleisen. Der Bahnverkehr im Bahnhof Zürich Oerlikon und im gesamten Raum Zürich darf durch die Arbeiten nicht beeinträchtigt werden. Die Gleisanlagen und Baugruben werden rund um die Uhr überwacht, um kleinste Verschiebungen feststellen zu können. Das Überwachungssystem ist in einem engen Raster entlang der Baugruben eingerichtet.

Hinter den Messungen steht ein dreistufiges Alarmsystem. Entsprechend dem Alarmwert werden Massnahmen eingeleitet – bis hin zur Sperrung.

Sichtbeton prägt die neue Umgebung

Östlich des Bahnhofs im Gebiet Seebach und Leutschenbach entstehen neue Büro- und Wohngebäude (vgl. «Ein Schmetterling für Zürich-Nord» S. 22). Fusswege verbinden die öV-Haltestellen mit dem Bahnhof, ebenerdige Zugänge verkürzen die Gehdistanz zur bestehenden Personenunterführung Ost. Sie wird analog zur Personenunterführung Mitte in den sechsmonatigen Bauphasen ausgebaut.

Bis 2015 erstellen die SBB im Auftrag der Stadt Zürich zudem die neuen, breiteren Brücken über die Schaffhauserstrasse.

Insgesamt entstehen drei neue Brückentröge für je zwei Gleise. Im Widerlager unterhalb des Gleises 3 wird eine Abstellanlage für rund 300 Velos gebaut. Unter dem grossen Vorplatz zum Zugang Ost bei der Wattstrasse befindet sich eines von zwei neuen Retentionsfilterbecken im Bahnhof Zürich Oerlikon. Primär sammelt es das im Gleisbereich anfallende Schmutz- und Regenwasser.

Es wird durch einen Filterkies gereinigt und in den Vorfluter Riedgraben geleitet. In einem Havariefall wird im Becken mit einem Volumen von 1300 m³ das anfallende verschmutzte Löschwasser gesammelt. Das Ablaufen in die öffentlichen Gewässer kann so verhindert werden. Ein weiteres, kleineres Becken wurde in die Stützmauer entlang der Friesstrasse integriert. Beide Becken sind von aussen nicht sichtbar.

TEC21, Fr., 2014.03.28

28. März 2014 Daniela Dietsche

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