Editorial
„Ich mag Dinge, die dauerhaft sind und gut altern“, meinte der Schweizer Architekt Peter Zumthor im Juli bei der Eröffnung des Werkraum Hauses. In seinen Augen habe es diese Qualitäten schon immer gegeben, und erst seit 20 Jahren würden sie „Nachhaltigkeit“ genannt. Das neueste realisierte Projekt des Pritzker-Architektur-Preisträgers ist ein Haus für das Handwerk im Bregenzerwald, das wir Ihnen in dieser Ausgabe der deutschen Domus exklusiv vorstellen. Beim Bau waren fast ausschließlich Handwerksbetriebe aus der Region beteiligt. Ihr Selbstverständnis und ihr Knowhow im Umgang mit lokalen Ressourcen sind die Grundlage für eine Bauausführung, die bis zu den Details überzeugt – als Gemeinschaftswerk von Architekten und Handwerkern. Während Handwerksberufe andernorts verkümmern, erleben sie im Bregenzerwald eine regelrechte Blüte. Die kulturellen Grundlagen dieses Phänomens deckt Florian Aicher in seinem Beitrag über die Hintergründe, die Haltung und den Alltag in einzelnen Handwerksbetrieben auf.
Qualität ist ebenso der Ausgangspunkt anderer Ansätze zur Nachhaltigkeit, die je nach Zielsetzung unterschiedlich ausfallen. Im Zusammenhang mit Zertifikaten, wie sie beispielsweise von der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen oder vom U.S. Green Council ausgestellt werden, ist Nachhaltigkeit mithilfe umfassender Bewertungskataloge in einem Punktesystem messbar. Heide Schuster bringt Licht in das Dickicht verschiedener Zertifizierungsmethoden und erläutert Herkunft, Gemeinsamkeiten und Unterschiede der bekanntesten Zertifikate. Dass Energieautarkie heute ein Lebensziel ist, das dank elaborierter Technologien in unmittelbare Nähe rückt, offenbart das Diogene-Projekt des italienischen Architekten Renzo Piano und des Vitra-Chairman Rolf Fehlbaum. Der Prototyp des Hauses mit 7,5 Quadratmetern Grundfläche ist durch seine stringente Energieplanung unabhängig vom allgemeinen Strom- und Versorgnungsnetz. Gleichzeitig aber bietet Diogene alles, was zum Leben nötig ist. Insofern ist das kleine Haus eine Art Urhütte, die Pianos Lebenstraum von individueller Freiheit und Unabhägigkeit wahr macht. Ähnliche Lebensqualitäten beanspruchte auch der Philosoph Diogenes gegenüber Alexander dem Großen für sich.
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Sandra Hofmeister
Perfekte Details, handwerkliche Präzision, schöne Proportionen, das Zusammenspiel von Bau und Landschaft, Lichteinfall, Ausblick und Raumdimension: All das stimmig zu kombinieren, zählt zum Standardrepertoire echter Baukünstler. Einer, der dabei wahre Meisterschaft erlangte, ist Peter Zumthor. Sein revolutionärer Kollege Rem Koolhaas wagte erstmals den Dimensionssprung zum Möbel und entwarf für Knoll International „tools for life“. Joseph Grima sprach mit ihm. Auch Architektur kann als interaktiver Prozess betrachtet werden, bei dem der Austausch mit Nutzern, Anliegern und Betroffenen die Basis jeder gestalterischen Entscheidung bildet. Der Bau neuer Häuser für traumatisierte Menschen, die nach einer Katastrophe wie dem Tsunami in Japan plötzlich alles verloren haben, ist auch für Architekten eine spezielle Herausfoderung. Toyo Ito, Kumiko Inui, Sou Fujimoto und Akihisa Hirata ließen sich in der Stadt Rikuzentakata, die fast völlig zerstört wurde, auf eine lange, intensive Planungsphase ein. Das Resultat vieler Besuche und Begegnungen zwischen Architekten und Überlebenden sind Homes-for-All, die teils aus entrindeten, vom Tsunami entwurzelten Zedernstämmen gebaut wurden. Julian Worrall besuchte diesen Ort. Sein Bericht vermittelt das Ausmaß der Katastrophe ebenso wie die Kraft, die aus der Gemeinschaft erwachsen kann. Unweit vom Flughafen Nurita in Tokio realisierte Atelier Bow-Wow ein Betriebsgebäude, unter dessen Walmdächern eine landwirtschaftliche Produktion mit Restaurant steckt, in der körperlich und geistig Behinderte eine Erwerbsarbeit finden. In unseren Breiten entwickelte die Architektin Susanne Hofmann mit ihren Baupiloten Methoden, um in partizipativen Projekten die Vorstellungswelt künftiger Nutzer zu ergründen. Architektur kann also Rahmenbedingungen für eine bessere Gesellschaft schaffen.
Auch Design bewirkt mitunter einiges: So setzt Christoph Böninger mit Auerberg konsequent auf die Kooperation mit regionalen Handwerkern. Die Initiative Internoitaliano fördert italienische Traditionsbetriebe und spart Kosten, indem sie ihre Produkte direkt verbreitet. Das Duo Minale-Maeda bietet Anleitungen seiner Designs zum Download an. Man sieht: Soziale Nachhaltigkeit verträgt sich gut mit gestalterischer Qualität.
Die deutsche Domus gibt es ab jetzt auch als ePaper im iTunes-Store.
Isabella Marboe