Editorial

Vor vier Jahren stand die 1929 von Otto Zollinger für den Kaufmann Harry Streiff erbaute gleichnamige Villa in Goldbach-Küsnacht ZH zum Verkauf. Die Wirtschaftszeitschrift Bilanz machte einen «Sammlermarkt» für «Autorenarchitektur» aus und nannte als Beispiel Ludwig Mies van der Rohes Farnsworth House, das der National Trust for Historic Preservation 2003 für 7,5 Millionen Dollar der Nachwelt sicherte.

Ein Liebhaberobjekt ist die Villa Streiff zweifelsohne ebenfalls. In ihr verbinden sich die Schiffsästhetik, die sie als Zeugin des Neuen Bauens qualifiziert, mit einem Dekor und einer Raumgliederung, die sie im bürgerlichen Haushalt des 19. Jahrhunderts ver­ankern (vgl. «Schiffsästhetik»). Dass sie als Schutzobjekt inventarisiert, mithin mit ­einer Eigentumsbeschränkung belegt ist, drückte auf den Preis, als sie 2009 den Be­sitzer wechselte. Für die 440 m² Wohnfläche auf einem Grundstück von rund 2000 m² löste die Erbengemeinschaft weniger als die anvisierten 8,5 Millionen Franken.

Der Unterhalt des Hauses war jahrzehntelang vernachlässigt worden, eine Renovation daher unumgänglich. Dabei kam unter Tapeten, Spannteppichen, Farbanstrichen ein grosser Teil der originalen Ausstattung zum Vorschein, die seinerzeit «vom Architekten mit tief empfindender Liebe erdacht und mit bewundernswertem Können durch­gebildet, aber auch mit seltenem Verständnis vom Bauherr erkannt und genehmigt worden» war.[1] Die heutigen Eigentümer teilen diese Sensibilität und Einsicht nur ­bedingt, weshalb die Trouvaillen mehrheitlich wieder unter einer Schutzschicht verschwanden. «Entkleiden und verkleiden» nennt Ruggero Tropeano die Strategie, auf die sich Denkmalpflege, Architekt und Bauherr im Unterschutzstellungs­vertrag verständigt ­haben. Dieses Vorgehen ist zu verschmerzen, denn es ist rückbaubar und schützt die ursprüngliche Substanz. Unter dieser Prämisse der Reversibilität haben die Wächter des Denkmalschutzes die Wünsche der Bauherrschaft respektiert und Hand geboten zu abweichenden Farbanstrichen und Durchbrüchen von Wänden (vgl. «Bergen und ­Verbergen»). Gelohnt hat sie es ihnen schlecht und den Vertrag – auch Basis für die ­Bemessung des finanziellen Zuschusses von rund einem Viertel der Renova­tions­­kos­ten – mit Eingriffen verletzt. Der jüngste datiert von vor zwei Wochen, als die Stampfbeton-Sockelmauer des Gartens mit weisser Farbe entmaterialisiert wurde: vermutlich ein Tribut an die «weisse Moderne», um die sich die Eigentümer betrogen gefühlt haben mochten, als sich erwies, dass sich unter der weissen Oberfläche wider Erwarten der schwarz durchgefärbte Originalputz erhalten hatte.

Rahel Hartmann Schweizer


Anmerkung:
[01] Baer, C. Hermann, Magie eines Hauses, in: Das ideale Heim (1932), H. 2, S. 54–64.

Inhalt

05 WETTBEWERBE
Auszeichnung «Nachhaltig Sanieren»

12 MAGAZIN
«ETH vernachlässigt Nachhaltigkeit» | Kurzmeldungen

16 SCHIFFSÄSTHETIK IN FORM, FARBE UND MATERIAL
Pietro Wallnöfer
In Küsnacht sticht eine Villa durch ihre schwarz ver­putzten ­Fassaden her­aus. Das 1929 für den Kaufmann Harry Streiff erbaute Wohnhaus war jahrzehntelang als Zeuge der «weissen ­Moderne» getarnt, sein Farbenkleid innen wie aussen verborgen.

20 BERGEN UND VERBERGEN
Roger Strub
Bei der Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands der Villa Streiff durch ruggero tropeano architekten wurden denkmalpflegerische Anliegen und Bau­herrenwünsche nach dem Prinzip des Verdeckens von Entdecktem versöhnt.

27 SIA
DV 2/2012: Vereinsstatuten revidiert | ­Direktionsmitglied gesucht | «15n»: 2014 Start mit neuem Konzept

31 PRODUKTE| FIRMEN
Richner | Feller | Uretek | Bürli | EgoKiefer

37 IMPRESSUM

38 VERANSTALTUNGEN

Bauteilkatalog der Villa Streiff

(SUBTITLE) Vom Schiff zum Luftschiff

Vom Schiff zum Luftschiff – für die Generation von Harry Streiff, dem Bauherrn der 1929 von Otto Zollinger erbauten Villa Streiff in Goldbach-Küsnacht, war der aus Stahl, dem Material des industriellen Zeitalters, gebaute Ozeandampfer der Inbegriff des Fortschrittsglaubens. Man verband ihn mit «Reinheit, Technizität, Klarheit, Offenheit, Sachlichkeit, Modernität und Weltoffenheit».[1]

Der deutsche Architekt Hans Scharoun (1893–1972) schrieb 1923: «Man ersehnt, etwas von der Kühnheit moderner Schiffskonstruktionen auf die Gestaltung des neuen Hauses übertragen zu sehen.»[2] Seine 1932–1933 erbaute Villa Schminke im sächsischen Löbau bedient sich der Elemente und der Formensprache der Schifffahrt wie Kommandobrücke, Reling und Bullauge. Auch Le Corbusiers (1887–1965) Villa Savoye in Poissy (1928–1931) ist von der maritimen Architektur inspiriert. Hier führt eine von einer Reling begleitete Rampe auf das «Oberdeck» der Dachterrasse, wo die geschwungenen Wände und Kamine wie Schornsteine eines Dampfers emporragen.

Die Zukunft des Reisens gehörte nach dem Ersten Weltkrieg aber der Luftfahrt, bis 1937 vor allem den oft nach dem deutschen Pionier Ferdinand Graf von Zeppelin (1838–1917) benannten Luftschiffen. Sie boten einer begüterten, technikbegeisterten Elite den Komfort und die Reichweite eines Dampfers mit der Geschwindigkeit eines Flugzeugs und knüpften in Ausstattung und Symbolik an die Tradition der stählernen Ozeanriesen an.

Aluminium statt Stahl

Der erst seit dem späten 19. Jahrhundert in der Technik bekannte Werkstoff Aluminium ermöglichte die neue Dimension des Reisens in der Luft. Mit diesem leichten und beständigen Metall war der Bau von Flugzeugen und Luftschiffen, aber auch von leichten Fahrzeugen überhaupt möglich geworden. Es galt deshalb als Leitwerkstoff eines neuen, futuristischen Industriezeitalters, der den Stahl der Schiffe und Eisenbahnen ablöste – möglicherweise ein Grund für Zollingers für diese Zeit bemerkenswerte Verwendung von rohem Aluminium als Verkleidung und gestaltendes Element bei der Villa Streiff (vgl. «Schiffsästhetik in Form, Farbe und Material» und «Bergen und verbergen»).

Glanzanstriche

Wände und Decke der Esszimmerrotunde (Titelbild) waren ursprünglich «zitronengelb in Ripolin geschliffen»1. Die Verglasung des stützenlosen Bandfensters lässt sich bis heute weit öffnen. Der Garten wurde so in den Innenraum gespiegelt. Die Kombination von fassadenauflösender Fensteröffnung und Glanzanstrich im Innenraum fand sich, den historischen Fotos nach zu schliessen, auch im Restaurant des Strandbads in Vevey-Corseaux.

Korrespondierende Muster in Boden und Decke

Die Verwendung von korrespondierenden Mustern an Decke und Boden, die gleichsam imaginäre Membranen aufspannen, ist ebenfalls eine Gestaltungsidee, die Otto Zollinger an den gleichzeitig entstandenen und gestalterisch verwandten Bauten in Küsnacht und Vevey-Corseaux einsetzte.

Fenster der Esszimmerrotunde

Die Esszimmerrotunde (Titelbild und Abb. 1) hat Metallfenster, die mit gewölbtem Glas ausgerüstet sind. Jeweils drei Segmente lassen sich in Messing-schienen hinter ein viertes Element auf jeder Seite schieben, sodass das Fensterband praktisch vollständig geöffnet werden kann. Weil der Beton der ursprünglich frei vorkragenden Decke über die Jahrzehnte gekrochen war, liessen sich die Fenster kaum mehr bewegen. Um sie vor Druckbelastungen zu schützen, wurden im Zug der Gesamtrestaurierung zwei schlanke Stützen eingebaut.

Elektrische Sitzbankheizung

Die in rotem Terrazzo ausgeführte runde Sitzbank in der Esszimmerrotunde war bereits zur Bauzeit mit einer elektrischen Heizung ausgerüstet. Dies war damals so speziell, dass die «elektrische Bodenheizanlage» explizit im Grundbucheintrag von 1929 erwähnt wurde.

Tisch in der Esszimmerrotunde

Auf historischen Fotos ist in der Esszimmerrotunde ein runder Tisch zu sehen (Abb. 1). Dieser Esstisch hat die Villa Streiff nach dem ersten Besitzerwechsel verlassen, sein Verbleib ist bekannt. Es handelt sich um einen «Liegnitzer Ringtisch» – einen runden Tisch mit speziellem Ausziehmechanismus, den Josef Seiler aus Liegnitz 1920 zum Patent anmeldete und der heute als Sammlerstück gilt. Der Tisch wird dabei mit Platten fächerartig so erweitert, dass sie in Form eines Rings an einer festen runden Tischplatte liegen. Nach dem Ausziehen hat der runde Tisch also wieder die Form eines Kreises. Die Platten befinden sich im geschlossenen Zustand des Ringtischs hinter dem Rand unter der Tischplatte. Um den Ringtisch auszuziehen, wird der Rand heruntergedreht. Die Erweiterung wird dann fächerartig herausgezogen und hochgedreht.

Dachkonstruktion

In der frontalen Ansicht erscheint der schwarz verputzte Hauptbaukörper aufgrund der Hanglage des Gebäudes und der Dachrandblende in Aluminium als Flachdachbau. Der Gebäudeteil wird jedoch von -einem in Stahl konstruierten Walmdach überspannt. Die Kupfereindeckung zeigt höchstes handwerkliches Können (vgl. Bild 2 in «Schiffsästhetik in Form, Farbe und Material»).

Verdunklungsläden im Herrenzimmer

Im Herrenzimmer gibt es an der Südostecke eine pfostenlose Eckbefensterung, die im Innern von fest eingebauten Bücherregalen gerahmt ist. Darin integriert sind zwei Verdunklungsschiebeläden, die mit Bemalungen von Freda Zollinger-Streiff, Ehefrau des Architekten und Tochter des Bauherrn, dekoriert waren. Sie zeigten die Neffen und Nichten der Künstlerin (Abb. 3 und 4). Die Bemalungen sind unter einer einfarbigen Überfassung noch vorhanden. Sie wurden bei der Restaurierung nicht freigelegt.

Türgriffe

Die im ganzen Haus vorhandenen überlangen Türklinken sind am hinteren Ende zurückgebogen und -in einer Schiene geführt (Abb. 8). Vermutlich stammen diese Klinken aus dem Schiffsbau – die metallbeplankten Innentüren der Villa Streiff sind als Ganzes als Referenz an die Schiffsarchitektur zu verstehen.

Marbrit

Im Badezimmer der Dame und im Office-Bereich der Küche verwendete Otto Zollinger durchgefärbtes Glas (Marbrit) als Wandbelag und für Tablare (Abb. 6 und 7). Das Material war in dieser Zeit unter anderem für modisch-hochwertige Innenausbauten von Bars und Restaurant beliebt – eine Gestaltungsaufgabe, die Otto Zollinger gut kannte und mit der er sich ein grosses Renommee verschafft hatte.


Anmerkungen:
[01] Kähler, Gert, Architektur als Symbolverfall. Das Dampfermotiv in der Baukunst, Braunschweig 1981, S. 110.
[02] Pfankuch, Peter (Hg.), Hans Scharoun. Bauten, -Entwürfe, Texte, in: Schriftenreihe der Akademie der Künste, Bd. 10, Berlin 1974, S. 82.
[03] Baer, Casimir Hermann, Magie eines Hauses, in: «Das ideale Heim» (1932), H. 2, S. 54–64

TEC21, Fr., 2012.11.30

30. November 2012 Roger Strub

Bergen und verbergen

Mit der Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands der 1929 von Otto Zollinger erbauten Villa in Goldbach-Küsnacht ZH begannen ruggero tropeano architekten 70 Jahre nach dem Ableben ihres Besitzers Harry Streiff. Sie rehabilitierten das intensive Farbkleid. Dessen nach dem ersten Besitzerwechsel 1939 einsetzende fast komplette Neutralisierung hatte den architektonischen Ausdruck der Villa markant geschwächt. Um denkmalpflegerische Anliegen und Bauherrenwünsche zu versöhnen, wurde nach dem Prinzip des Verdeckens von Entdecktem vorgegangen.

Die starke Wirkung der äusseren Erscheinung der Villa und ihrer volumetrischen Komposi tion verdankte sie nicht zuletzt der von dem Architekten Otto Zollinger seinerzeit gewählten, von Schwarz und Weiss geprägten Farbgestaltung. Sie war durch die nach dem Verkauf 1939 vorgenommene weisse Übertünchung genauso verloren gegangen wie die individuelle Identität der Räume im Innern, die ebenfalls weiss übermalt oder tapeziert wurden. Eine wesentliche Komponente von Zollingers «reifster Arbeit»[1], in der er die Beschaffenheit von Oberflächenmaterialien und Farben sowie deren Kombination meisterlich kontrolliert hatte, war damit also weggebrochen.

Baulich erfuhr die Villa in dieser Zeit hingegen wenige Eingriffe, und etliche Elemente der ­Innenausstattung sind nahezu unverändert erhalten geblieben. Der indes nur noch minimal betriebene Unterhalt in den letzten Jahren machte eine grundlegende Restaurierung notwendig. Für die entsprechenden Untersuchungen zog das von den neuen Besitzern im Jahr 2009 beauftragte Zürcher Büro ruggero tropeano architekten die Werkstätten für Malerei Fontana & Fontana aus Jona-Rapperswil hinzu.

Aussenrestaurierung

Das Zusammenwirken von Farbe und Form ist ein Aspekt, den Otto Zollinger in seinem gesamten Schaffen intensiv verfolgt hat und den er in zahlreichen selbst verfassten Berichten über seine Werke und in theoretischen Fachartikeln thematisierte. Zumindest für das Äussere der Villa Streiff es denn auch das unmittelbarste denkmalpflegerische Ziel, dem Erscheinungsbild zur Bauzeit möglichst nahe zu kommen. Mit Rückbauten von späteren Zufügungen, Rekonstruktionen und Freilegungen konnte dies weitgehend erreicht werden. So wurden die Walmdachaufsätze über dem Bedienstetentrakt sowie dessen Treppenhaus abgetragen und die darunterliegenden Flachdachkonstruktionen instand gesetzt. Um den Bodenbelag auf der oberen Terrasse wieder herzustellen, der zu einem unbekannten Zeitpunkt entfernt worden war, musste nach einem geeigneten Klinker als Ersatz für den nicht mehr verfüg baren Schütte-Klinker gesucht werden.

Die gesprossten Holzfenster, die in den 1980er-Jahren durch sprossenlose Aluminiumfenster ersetzt worden waren, wurden anhand von älteren Fotografien rekonstruiert. Das Garagentor und der Dachkranz in Aluminium waren hingegen noch genauso vorhanden wie die originalen, teils mit aufwendigen Öffnungsmechanismen versehenen Spezialfenster in Metall. Auf Letzteren konnte unter jüngeren Graufassungen noch der bauzeitliche rosafarbene Anstrich nachgewiesen und wieder aufgebracht werden, sodass in dem von Zollinger komponierten «Akkord Silber-Schwarz-Weiss-Rosa»[2] nur noch das Schwarz der Putzflächen am gerundeten Hauptbaukörper fehlte.

Die 2009 durchgeführte restauratorische Untersuchung der Fassade zeigte, dass dieser durchgefärbte Originalputz nicht entfernt, sondern in einer Stärke von etwa 3 cm überputzt und im Lauf der Jahre mehrfach weiss gestrichen worden war. In Abwägung verschiedener möglicher Herangehensweisen entschieden sich der restaurierende Architekt und die Kantonale Denkmalpflege im Fall der ehemals schwarzen Fassadenteile für die Freilegung des bauzeitlichen Verputzes mittels sorgfältigem Strahlverfahren. Für die Reparatur einiger Fehlstellen wurde auf der Basis von Materialanalysen ein mit Eisenoxid tiefschwarz pigmentierter Reparaturputz nachgestellt. Den Anspruch, diese Flickstellen so auszuführen, dass sie ohne weitere Massnahmen auf Sicht hätten belassen werden können, erfüllte der ausführende Handwerker mit grossem Können. Zur Festigung des freigelegten Originalputzes und im Sinne einer Opferschicht wurde als Schlussbehandlung auf der gesamten Putzfläche eine ebenfalls schwarz pigmentierte Schlemme aufgebracht. Diese Behandlung sorgt für einen ästhetisch gut akzeptierbaren Alterungsprozess und ist bei Bedarf problemlos wiederholbar.

Entdeckungen im Innern

Nicht nur bei der Bevölkerung in Küsnacht, auch in Fachkreisen erregte der Bau der Villa Streiff in den späten 1920er-Jahren ein gewisses Aufsehen. Zahlreiche Fachzeitschriften widmeten dem Haus Beiträge und Fotoreportagen.[3] Im Hinblick auf die Restaurierung der Innenräume der Villa waren speziell diejenigen Artikel aufschlussreich, die ein besonderes Augenmerk auf die Raumgestaltungen richteten. Insbesondere der 1932 im Heft «Das ­ideale Heim» unter dem Titel «Magie eines Hauses»[4] publizierte Bericht des Chefredaktors Casimir Hermann Baer liefert eine detaillierte Beschreibung der verwendeten Materialien und Farben (vgl. «Schiffsästhetik in Form, Farbe und Material»). Bei den vorbereitenden Untersuchungen für die Restaurierung des Hauses zeigte sich, dass die in den Medien beschriebenen festen Ausstattungselemente, Oberflächenmaterialien und -farben an vielen Stellen nicht nur in Spuren, sondern, unter jüngeren Schichten verborgen, praktisch vollständig erhalten waren. Es fanden sich unter der Tapete im kreisrunden Speisesaal Spuren vom hellem Gelb und im Treppenhaus kam unter dem weissen Anstrich ein maritimes Azurblau zum Vorschein. Die grösste Überraschung stellte die Entdeckung der verloren geglaubten Wandbilder dar: Im Wohnzimmer verbarg eine dicke Gipsschicht das intakte, in eine Wandnische eingepasste Glasmosaik nach dem Entwurf des Kunstmalers Karl Hügin (1887–1963). Es zeigt eine Herde wilder Pferde und wurde vom Glasmaler Charles Wasem (1875–1961) ausgeführt. Im Arbeitszimmer wurden auf den hölzernen Schiebeläden in der Fensterecke die Malereien von Freda Zollinger-Streiff (1898–1989), der Frau des Architekten, entdeckt, die die Enkelinnen und Enkel des Hausherrn zeigen. Der nahezu komplette Befund in mehreren Räumen der Villa gab eindrücklichen Aufschluss über das hohe Mass an gestalterischer Kontrolle, dem Zollinger jeden Bereich seines architektonischen Entwurfs unterwarf mit Unterstützung des Bauherrn: «[…] All dies und vieles andere ist vom Architekten mit tief empfindender Liebe erdacht und mit bewundernswertem Können durchgebildet, aber auch mit seltenem Verständnis vom Bauherr erkannt und genehmigt worden.»

Schutzziele Gemeinsam mit der Denkmalpflege legte der restaurierende Architekt für die einzelnen ­Räume auf die Befundsituation und die Raumhierarchie abgestimmte Schutzziele fest. Die Bedeutung der Farbigkeit für die architektonische Wirkung des Gebäudes musste der Bauherrschaft, die in ihren ursprünglichen Absichten von der nach wie vor verbreiteten ­Vorstellung einer weissen Moderne ausgegangen war, zuerst vermittelt werden. Das aus materialtechnologischen Gründen unumgängliche «Stripping» des Gebäudeinnern – also die vollflächige Freilegung der bauzeitlichen Oberflächen – und grossflächige Probe­restaurierungen boten wichtige Hilfestellungen in diesem Prozess (zu Materielien und Farben in der Villa Streiff siehe auch «Bauteilkatalog der Villa Streiff»). In den wichtigsten Haupträumen wurde die bauzeitliche Farbigkeit wiederhergestellt. Im Haupttreppenhaus wechselt sie von Papyrusweiss im Entrée zu einem intensiven Blau auf dem ersten Treppenlauf. Die zitronengelbe Fassung der Esszimmerrotunde wurde ebenfalls nachgestellt, bedauerlicherweise allerdings nicht als Glanzanstrich, mit dem Zollinger in den Räumen mit Panoramafenstern wohl die Einspiegelung des Gartens und damit die Verschmelzung von Innen und Aussen beabsichtigte. Unabhängig davon, ob der bauzeitliche Farbton übernommen oder mit Rücksicht auf die Wünsche der Bauherrschaft davon abge wichen wurde, sind die neuen Wand- und Deckenanstriche in einem reversiblen System mit Zelluloseleimfarbe ausgeführt. Die vom ursprünglich verwendeten silikatischen Farbmittel abweichende Farbwirkung wurde zugunsten der substanziellen Erhaltung der bauzeitlichen Farbschicht und der Reversibilität des aktuellen Eingriffs in Kauf genommen.

Aufdecken und bergen – oder verbergen Das Verdecken von Entdecktem wurde zum einzig möglichen Prinzip, um denkmalpflege­rische Anliegen und Bauherrenwünsche für die Gestaltung der privat bewohnten Räume ­unter einen Hut zu bringen. So sind die über Jahrzehnte unter Spannteppichen erhalten ­gebliebenen Bodenbeläge in den beiden Wohnräumenschachbrettartig verlegte Expanko-Platten (Korkschrot) im kleinen und zweifarbig getreppter Linoleum im grossen Wohnzimmer im Verlauf der Instandstellung der Villa ebenso wieder unter neuen, reversibel verlegten Belägen verschwunden, wie das einer konservierenden Reinigung und Sicherung unterzogene Glasmosaik von Karl Hügin und die Nischen der bauzeitlichen Wandleuchten hinter neuen Gipswänden ihren Dornröschenschlaf fortsetzen. Die chamoisfarbenen Fliesen im ehemaligen Herrenbadezimmer sind mit einer wieder ablösbaren Tapete abgedeckt. Die übermalten Malereien auf den hölzernen Schiebeläden in der Fensterecke von Freda Zollinger-Streiff legte man auf Wunsch des Eigentümers nicht frei. Einen authentischen Eindruck der ursprünglichen Raumstimmungen in der Villa kann man noch heute im Badezimmer der Dame gewinnen: Kontrastierend zum Schwarz des Kau tschukbodens und der Schrankeinbauten sind dort gelbe und hellblaue Wandbeläge aus Marbrit (durchgefärbtem Glas) mit einer auberginefarbenen Decke sowie Türblättern in Orangerot und gebrochenem Weiss zu einem fulminant-faszinierenden Farbenspiel kombiniert.

Heftreihe «Schutzobjekt Villa»

(Rahel Hartmann Schweizer/Redaktion TEC21) Diese Ausgabe über die Villa Streiff ist der Auftakt zur Serie «Schutzobjekt Villa», in der wir in den kommenden Monaten Häuser vorstellen, die – als Schutzobjekte inventarisiert – unter den Auspizien der Denkmalpflege renoviert wurden. (Unser nächstes Thema wird die Villa Patumbah in Zürich sein.) Dabei zeigen wir die verschiedenen Herangehensweisen, die sich am Grad der noch vorhandenen originalen Bausubstanz, an der Einsicht der Bauherrschaft und an den technischen Möglichkeiten beziehungsweise finanziellen Ressourcen orientieren.

Am Ende soll eine Evaluation stehen, in der die Methoden miteinander verglichen und die Resultate beurteilt werden. Dabei sollen nicht zuletzt der Einfluss der Besitzverhältnisse auf die Qualität der Renovation und die Frage erörtert werden, ob diese Einwirkung einen Systemwechsel nicht als überfällig erscheinen lässt.

Profitieren und torpedieren

Bereits in diesem ersten Heft drängen sich kontrovers diskutierte Themen auf. Statt die Mittel nach dem Giesskannenprinzip auszuschütten – im Kanton Zürich zwischen 20 und 50 % der Bausumme –, sollte die Denkmalpflege Gelder nur in Renovationen stecken müssen, deren Bauherrschaft die Sensibilität für die Schutzmassnahmen nicht vermissen lässt. Jedenfalls ist es stossend, wenn Eigentümer, die aufgrund der Unterschutzstellung von Hauspreisen unter Marktwert profitieren, Beiträge für die Wiederherstellung bekommen, die sie noch während der Arbeiten oder danach torpedieren – wie bei der Villa Streiff geschehen: Der Augenschein vom Nachbarhaus aus verrät, dass die sechs Schirmplatanen der originalen Gartengestaltung martialisch geköpft wurden. Und von der Strasse aus sieht man die erst kürzlich erfolgte weisse Übertünchung der Stampfbeton-Sockelmauer. Wenn nachträgliche Eingriffe an der äusseren Erscheinung eines Hauses nicht verhindert, geschweige denn wirksam sanktioniert werden können, welche Gewähr hat man, dass nicht Ähnliches oder Schlimmeres im Innern geschieht, sobald die Hüter des Denkmalschutzes abgezogen sind? Ganz zu schweigen davon, dass das baukulturelle Zeugnis wohl kaum je öffentlich zugänglich wird. Es stellt sich die Frage, ob die Denkmalpflege nicht besser mit Ressourcen alimentiert werden sollte, um einzigartige Objekte kaufen, instand setzen und für das Publikum öffnen zu können.


Anmerkungen:
[01] Bürkle, Johann Christoph, Wohnhäuser der Klassischen Moderne, Stuttgart, 1994, S. 116.
[02] Zollinger, Otto, Das Bauwerk in der Landschaft. Arbeiten von Architekt Otto Zollinger Saarbrücken, in: Innen-Dekoration 43 (1932), H. 3, S. 87–88, hier: S. 87.
[03] Vgl. The Concrete Home, in: The Architectural Review (Nov. 1932), S. 216; H. H. Haus Streiff in Goldbach bei Zürich, in: Moderne Bauformen (1931), H. 4, S. 160, 166, 167, 202. Das Haus Streiff in Goldbach bei Zürich, in: Das ideale Heim (1931), H. 1, S. 49–64.
[04] Baer, Casimir Hermann, Magie eines Hauses, in: Das ideale Heim (1932), H. 2, S. 54–64.
[05] Ebd.
[06 Zollinger 1932, wie Anm. 2.

TEC21, Fr., 2012.11.30

30. November 2012 Roger Strub

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