Editorial

Schienen, Schotter, Weichen, Fahrleitungen, Haupt- und Zwergsignale prägen die Szenerie zwischen Altstetten und dem Hauptbahnhof Zürich. Im Zürcher Vorbahnhof befinden sich auch die ehemalige Rangieranlage, die nach der Eröffnung des neuen Rangierbahnhofs Zürich-Limmattal 1978 stillgelegt wurde, sowie die Eisenbahnhauptwerkstätte. Die Gleise in diesem Bereich dienen heute als Abstellanlage für Reisezugwaggons. Ausserdem steht hier das denkmalgeschützte Lokdepot F. Zwischen den Schienen finden auf Lager- und Kiesplätzen zahlreiche Pflanzen- und Tierarten ideale Bedingungen vor. Das unwirtlich erscheinende Areal bietet ihnen wertvolle Lebensräume. Unter anderem ist hier eine der grössten Mauereidechsenpopulationen ­nördlich der Alpen ansässig. Um ihr Habitat zu erhalten, legen die SBB spezielle Klein­strukturen an.

Weitere Zielarten, die auf dem Gelände gefördert werden, sind Wildbienen und Blauflügelige Sandschrecken.

Als der Bahnhof Zürich vor über 160 Jahren gebaut wurde, stand er noch ziemlich allein auf der grünen Wiese. Trotz Bevölkerungszunahme und erhöhtem Verkehrsaufkommen befindet er sich noch heute an seinem ursprünglichen Ort. Doch inzwischen wird es eng auf dem Areal. Täglich verkehren im Hauptbahnhof Zürich 2000 Züge, benutzen 350?000 Personen diesen Knotenpunkt.

Die 1847 eröffnete Spanisch-Brötli-Bahn hat in ihrem gesamten ersten Jahr nur die Hälfte, nämlich 166?248 Passagiere befördert. Um die immer weiter wachsenden Menschenströme bewältigen zu können, wurde insbesondere in den vergangenen Jahren viel gebaut, zum Beispiel die Bahn-2000-Projekte zur Beschleunigung und Verdichtung bestehender Verbindungen. Im Zuge des Projekts Durchmesserlinie, die eine neue Verbindung zwischen Zürich ­Oerlikon und dem Hauptbahnhof schafft, stehen die Verantwortlichen vor der Herausforderung, in diesem dichten und hochfrequentierten Umfeld zwei Brücken zu reali­sieren ? nach dem Bau des Weinbergtunnels und des unterirdischen Durchgangsbahnhofs Löwenstrasse eine weitere Meisterleistung der Ingenieurbaukunst.

Die Berichterstattung in unseren Schwesterzeitschriften zeigt, dass die zurzeit grösste innerstädtische Baustelle des Landes mit ihren besonderen Anforderungen schweizweit Beachtung findet (vgl. Tracés 15-16/2012 und ARCHI 6/2012). Alle Artikel zum Thema - auch die unserer Ausgabe «Durchmesserlinie I» (TEC21 17/2012) - sind auf espazium.ch nachzulesen.

Daniela Dietsche

Inhalt

05 WETTBEWERBE
Mättelisteg, Baden/Ennetbaden

12 MAGAZIN
Neubau in sensibler Umgebung | Vermischte Meldungen

16 SCHRITT FÜR SCHRITT ÜBER DAS GLEISFELD
Jacques Perret et al.
Die neuen Trogbrücken der Durchmesserlinie dienen der Ausfahrt aus dem Bahnhof Löwenstrasse Richtung Westen. Sie werden im dichten innerstädtischen Umfeld, bei laufendem Bahnverkehr erstellt.

22 LEBENSRAUM FÜR ZUGEREISTE
Daniela Dietsche
Das Bahnareal bietet spe­zialisierten Tieren und Pflanzen einen neuen Lebensraum. Mit gezielten Massnahmen ver­suchen die SBB, diese Vielfalt zu erhalten.

28 SIA
Drei prägnante rote Buchstaben | «Etwas Einfaches, Zeitloses, Pures»

32 FIRMEN
CRH Swiss Distribution | Franke | Greutol

33 WEITERBILDUNG
HSLU | FHNW

37 IMPRESSUM

38 VERANSTALTUNGEN

Schienenauszugsschritt für Schritt über das Gleisfeld

Reisenden, die mit der Bahn am Hauptbahnhof Zürich ankommen, springt das grosse gelbe Vorschubgerüst ins Auge, mit dem der Brückentrog der Letzigrabenbrücke gebaut wird. Nach ihrer Fertigstellung wird sie die längste E isenbahnbrücke der Schweiz sein und zusammen mit der Kohlendreieckbrücke das ganze Gleisfeld und zwei bestehende Brücken über- bzw. unterqueren. Im Dezember 2015 sollen die Brücken der Durchmesserlinie in Betrieb genommen werden.

Die beiden eingleisigen Brücken, die zurzeit für die Durchmesserlinie entstehen, werden die westliche Anbindung des unterirdischen Bahnhofs Löwenstrasse bilden (vgl. TEC21 17/2012). Zunächst überquert die Kohlendreieckbrücke die Gleise, die vom Hauptbahnhof in südwestlicher Richtung nach Thalwil, Luzern, Chur und ins Tessin laufen. Danach taucht die Neubaustrecke ebenerdig unter der Hardbrücke durch und schwingt sich anschliessend auf der neuen Letzigrabenbrücke über die Duttweiler-Strassenbrücke und das Gleisfeld des Vorbahnhofs (Abb. 02). Dank diesem Streckenverlauf können die Fernverkehrszüge kreuzungsfrei aus dem Bahnhof Löwenstrasse ausfahren. Als Alternative zu den beiden Überwerfungsbauwerken hatten die SBB eine unterirdische Querung des Gleisfelds erwogen. Diese Variante wurde allerdings rasch verworfen – ein Tunnel wäre wesentlich teurer gewesen und hätte den Grundwasserstrom blockiert.

Pfeiler für elegante Betonbrücken

Das dichte Gleisfeld im Vorbahnhof liess den Ingenieuren nur wenige Optionen für geeignete Pfeilerstandorte. Sie sollten neben den bestehenden Gleisen liegen oder, wo das nicht realisierbar war, mit möglichst kleinen Anpassungen an bestehenden Gleisen verbunden sein. Zudem versuchten die Planenden möglichst gleichmässige Spannweiten zu erreichen. So wurde die 394 m lange Kohlendreieckbrücke in acht Felder von 50 bis 62 m Spannweite und die 1156 m lange Letzigrabenbrücke in 24 Felder von 34.5 bis 60.8 m Spannweite unterteilt. Am Brückenanfang und -ende wurde jeweils eine Rampe angeordnet, um die Höhendifferenz zwischen Terrain und Brücke zu überwinden. Um am westlichen Ende der Letzigrabenbrücke ebenerdig an den Bahnhof Altstetten anschliessen zu können, hat die Rampe dort – bedingt durch die engen räumlichen Verhältnisse – ein Gefälle von 40 ‰ (zum Vergleich: Die maximale Steigung auf der Gotthard-Bergstrecke beträgt 28 ‰). Dank dieser Streckenführung sollen Züge die Kohlendreieckbrücke mit einer Geschwindigkeit von 80 km/h und die Letzigrabenbrücke mit bis zu 120 km/h befahren können. Die seitlichen Wände der beiden Trogbrücken wirken als Längsträger und geben dem Querschnitt die notwendige statische Höhe von generell 3.70 m. Ausserdem leisten die Trogwände einen Beitrag zum Schallschutz, der bei der Kohlendreieckbrücke durch zusätzliche schallschluckende Elemente im Brückentrog verstärkt wird.

Etappenweise spannen

In der ersten Phase des Projekts wurden Werkleitungen, Hochspannungskabel, Entwässerungsleitungen und Gleise verlegt. Der eigentliche Bau der Letzigrabenbrücke begann mit dem Erstellen der 30 Pfeiler, von denen bei der Letzigrabenbrücke zwei als Portalrahmen ausgebildet sind. Sie erlauben es, die Brücke neben bestehenden Gleisen abzustützen, und bilden den Fixpunkt der Brücke. Die einzigen Dilatationsfugen und Schienenauszugs vorrichtungen befinden sich am Ende der Rampenbauwerke. Sie nehmen die Längsverschiebungen der Brücke von bis zu /– 20 cm auf. Die Portalrahmen leiten die Horizontalkräfte in Quer- und Längsrichtung aus dem Überbau in den Untergrund ab. Die vertikalen Lasten müssen im Rahmenriegel als Biegemoment zu den beiden seitlichen Stielen getragen werden. Dies erfordert eine starke Vorspannung des Riegels mittels zehn Spanngliedern. Sie können allerdings erst dann vollständig gespannt werden, wenn die Portalrahmen durch das Gewicht des Brückenüberbaus belastet sind. Unmittelbar nach dem Betonieren wurden sie deshalb nur auf 40 % vorgespannt.

224 Bohrpfähle für die Pfeilerfundamente

Wegen der hohen Lasten aus dem Brückenüberbau und des inhomogenen Baugrunds werden die Pfeiler auf Bohrpfählen fundiert: Fünf bis acht Bohrpfähle mit einem Durchmesser von 1.2 m tragen die Lasten jedes Pfeilers ab; die Pfahllängen variieren zwischen 13 und 36 m. Der Untergrund ist heterogen aufgebaut; gut tragende Schichten wechseln sich mit weniger tragfähigen ab. Die Pfähle sind daher schwimmend gelagert, wobei sich der äussere Tragwiderstand im Mittel aus rund 30 % Spitzenwiderstand und 70 % Mantelreibung zusammensetzt.

Auf die Bohrpfähle wird eine 3.5 m dicke Pfahlbankettplatte gegossen. Die zur Erstellung von Pfählen und Bankett erforderliche Baugrube wird jeweils mit Spundwänden gesichert. Der sichtbare Teil des Pfeilers wird in zwei oder drei Etappen betoniert. Der variable Teil besteht aus einem massiven Zylinder mit 2.5 m Durchmesser, der auf den obersten 4.25 m mit einem Hammerkopf auf den Brückenquerschnitt ausgeweitet wird. Darauf sind seitlich die beiden Lager angebracht, die den Brückenüberbau tragen. Je nach Standort dauert der Bau eines Pfeilers und seines Fundaments ungefähr zwei Monate.

Höhendifferenz zwischen Brücken und Terrain überwinden

Die Auffahrtsrampen werden zeitgleich zur Errichtung der Pfeiler erstellt. Auf sie entfallen rund 800 m der insgesamt 2400 m Länge der Brückenkonstruktion. Die Rampen sind ebenfalls auf Bohrpfählen fundiert. Auf kontinuierlich an Höhe zunehmenden, 60 cm dicken Stahlbetonwänden liegt eine 62 cm starke Fahrbahnplatte, auf der im Endzustand das Bahngleis verlegt wird. Seitlich sind bis zu 2.1 m hohe Wände als Lärmschutz angebracht. Der Innenraum der Rampe dient als Rückhaltebecken für Regenwasser, das von dort in die Versickerungsbecken abfliesst (vgl. «Lebensraum für Zugereiste», S. 22).

Recyceltes Vorschubgerüst

Der Überbau der Letzigrabenbrücke wird von Ost nach West vorangetrieben, dabei wird ein 650 t schweres Vorschubgerüst eingesetzt. So ist es möglich, den Überbau unabhängig vom darunter herrschenden Zugverkehr und ohne Zwischenabstützung im Gleisfeld zu erstellen.

Ein grosser Teil des verwendeten Vorschubgerüsts kam bereits 2000 bis 2004 beim Bau der Brücken über die Rhône in der Nähe des Walliser Portals des Lötschberg-Basistunnels zum Einsatz. Es handelt sich um eine 91 m lange Konstruktion, bestehend aus 67 m langen Hauptträgern, die die Schalungselemente tragen, und einem 24 m langen Vorbauschnabel, der ein provisorisches Auflager bildet, wenn das Gerüst vorgeschoben wird. Ist das Gerüst positioniert, kann eine Etappe geschalt, bewehrt, betoniert und vorgespannt werden (vgl. Kasten «Mit dem Vorschubgerüst von Pfeiler zu Pfeiler», S. 20). Pro Feld wird der Brückenquerschnitt in zwei Etappen betoniert – zuerst die Fahrbahnplatte bis auf die Höhe der seitlichen Bankette, anschliessend der Konsolkopf. Neun der 25 Brückenfelder wurden bis Mitte November 2012 erstellt. Bis Sommer 2014 wird die Letzigrabenbrücke fertig sein, bis Ende 2014 das Vorschubgerüst demontiert und die Brücke für die Installation der Bahntechnik freigegeben.

Eröffnung und Inbetriebnahme 201

5Die Kohlendreieckbrücke wird von West nach Ost gebaut. Hier wird dank der einfacheren Platzverhältnisse ein konventionelles Lehrgerüst eingesetzt. Ein Feld der Kohlendreieckbrücke verläuft nur knapp 80 cm über dem denkmalgeschützten Gebäude des Architekten Hans Hilfiker[1]. Dort wird lokal mit einem obenliegenden Lehrgerüst gearbeitet. Insgesamt rechnen die SBB für den Rohbau beider Brücken mit einer Bauzeit von sechseinhalb Jahren und Baukosten von rund 300 Mio. Fr. für den ganzen Abschnitt 1, das heisst die Arbeiten zwischen Altstetten und Hauptbahnhof Zürich. Läuft alles nach Plan, können die ersten Züge ab Dezember 2015 über die Brücken fahren.

[Dieser Text basiert auf dem Artikel «Construction des ponts de la Durchmesserlinie» (Tracés 15-16/2012), Übersetzung: Alexandra Geese.]


Anmerkung:
[01] Hans Hilfiker (1901–1993) ist einer der Pioniere des schweizerischen Industriedesigns und Erfinder der berühmten SBB-Bahnhofsuhr. Sein Fahrleitungsgebäude im Kohlendreieck gilt als technik- und bahngeschichtlich bedeutender Zeitzeuge.

TEC21, Fr., 2012.11.23

23. November 2012 Aldo Bacchetta, Michel Brun, Patrick Fehlmann, Jacques Perret, Christoph Schlatter

Lebensraum für Zugereiste

Im Gleisfeld zwischen dem Zürcher Hauptbahnhof und Altstetten haben viele seltene Tiere und Pflanzen einen Lebensraum gefunden. Das Areal gilt als wertvolle Pionierfläche im Mittelland und steht unter Naturschutz. Durch neue Bauten und Gleise für die Durchmesserlinie werden jedoch Teile davon versiegelt. Mit verschiedenen Massnahmen versuchen die Projektbeteiligten zu erreichen, dass es Fauna und Flora nach den Bauarbeiten mindestens so gut geht wie zuvor. Doch der Platz wird immer knapper.

Zwischen dem Hauptbahnhof Zürich und Altstetten können Reisende derzeit jeden Tag beobachten, wie der Brückenbau für die Durchmesserlinie voranschreitet (vgl. «Schritt für Schritt über das Gleisfeld», S. 16). Aber nicht nur auf und über den stark befahrenen Gleisen des Zürcher Vorbahnhofs herrscht reges Treiben, sondern auch auf den vielen Teilflächen zwischen den Schienen. Diese bilden kein einheitliches Biotop, sondern unterschiedliche Lebensräume mit einer erstaunlichen Artenvielfalt. Doch man muss genau hinsehen, denn eins haben die dort lebenden Tiere und Pflanzen gemeinsam: Sie sind eher unauffällig.

Wertvolle 3000 x 300 Meter für Pflanzen und Tiere

Insgesamt 150 000 m² der 900 000 m² Bahnfläche zwischen dem Zürcher Hauptbahnhof und Altstetten gelten als naturnahe Flächen. Auf den Freiflächen entlang den Gleisen ist es sehr trocken und warm, denn es gibt keine Schatten spendenden Bäume. Die Böden sind mager und speichern kaum Feuchtigkeit. Die Bedingungen ähneln denen der steinig-sonnigen Jurahänge. Der Lebensraum lässt sich mit Pionierstandorten in Flussauen vergleichen, erklärt Barbara Huber, SBB-Projektleiterin Umwelt. Die natürliche Auendynamik entsteht durch Hochwasser, die, wenn sie zurückgehen, magere Kiesbänke hinterlassen. Dort siedeln sich Pionierpflanzen an – bis zum nächsten Hochwasser. Auf dem Bahnareal sorgen Menschen für die nötige Dynamik, indem sie es als Maschinenpark- oder Lagerplatz für Baumaterial nutzen. Dieses Umfeld zieht spezialisierte Tiere und Pflanzen an, die andernorts im Mittelland selten geworden sind. Weit verbreitet ist die lockere Pioniervegetation auf Kiesflächen oder die Besiedelung ungenutzter Randstreifen und schmaler Böschungen durch Ruderalpflanzen wie die Eselsdistel (Onopordum acanthium), die Wilde Möhre ( Daucus carota), den Schmalblättrigen Hohlzahn (Galeopsis angustifolia), den Scharfen Mauerpfeffer (Sedum acre), die Wegwarte (Cichorium intybus) oder den Rainfarn ( Tanacetum vulgare). Zudem werden hier drei in der Schweiz gefährdete Tierarten gezielt gefördert: die Blauflüglige Sandschrecke (Sphingonotus caerulans), die Mauereidechse ( Podarcis muralis) und die Wildbienen (in der Schweiz sind über 580 Arten bekannt).

Vor Baubeginn den Zustand erfassen

Die Planenden der Durchmesserlinie standen vor der Herausforderung, die neuen Brücken und Gleise bauen und gleichzeitig die erforderlichen Strukturen für die ökologisch wertvollen Populationen erhalten zu sollen. Dabei geht es nicht vorrangig um den Schutz der Tiere, denn umgesiedelt werden sie nicht – es gilt vielmehr, ihre Lebensräume zu erhalten. Bereits als der Bahnhofausbau für das Projekt Bahn 2000 bevorstand und dieser die Freiflächen zu beeinträchtigen drohte, begannen sich die SBB damit zu beschäftigen, wie Fauna und Flora geschützt werden könnten. Denn das Bundesgesetz vom 1. Juli 1966 über den Natur- und Heimatschutz (NHG) gibt vor: Falls sich eine Beeinträchtigung schutz würdiger Lebensräume durch technische Eingriffe unter Abwägung aller Interessen nicht vermeiden lässt, hat der Verursacher für besondere Massnahmen zu deren bestmöglichem Schutz, für Wiederherstellung oder für angemessenen Ersatz zu sorgen.

Anfang der 1990er-Jahre liessen die SBB die von den damals geplanten Grossprojekten betroffenen Flächen erstmalig hinsichtlich ihres ökologischen Werts untersuchen. Die Umweltfachleute der SBB legten ein Raster (50 m × 25 m) über den Perimeter und bewerteten jede Zelle. Auf der Grundlage dieser ökologischen Aufnahmen entstand ein Bewertungsund Ausgleichsmodell, das eine begrenzte Anzahl von Lebensraumtypen für trockene Standorte beinhaltet. Dieses Schema kam anschliessend bei allen Grossprojekten im Abschnitt Altstetten–Zürich HB zur Anwendung. Die Fachleute betrachteten jeweils den Vegetationsdeckungsgrad in der Rasterzelle und prüften, ob es dort Habitatstrukturen für Tiere gibt. Stellvertretend für die besonders gefährdeten und verletzlichen Arten werden drei Zielarten mit Kleinstrukturen gefördert: das heisst Spezies, die auf diesem Areal typisch und einfach nachzuweisen sind sowie auf der Roten Liste der gefährdeten Tierarten stehen. Auf ihre Anforderungen an den Lebensraum wurden die Ersatzmassnahmen zugeschnitten. Die durch bauliche Eingriffe verloren gegangenen Flächen werden bisher noch innerhalb des SBB-Areals ersetzt. Doch der Raum, auf dem ökologischer Ersatz möglich und sinnvoll ist, werde immer knapper, sagt Projektleiterin Huber. Der Konflikt zwischen dem Naturschutz und dem wirtschaftlichen Druck auf diese Flächen in bester innerstädtischer Lage sei nicht gelöst, und es sei durchaus legitim, über eine andere Nutzung dieser Bereiche nachzudenken.

Lebensräume für Tiere erhalten und gestalten

Mit Massnahmen, die den natürlichen Bedingungen nachempfunden sind, schaffen die Projektbeteiligten neue Lebensräume. Diese Eingriffe wurden im Umweltverträglichkeitsbericht grob festgelegt und im landschaftspflegerischen Begleitplan (vgl. «Instrument LBP», TEC21 5/2008) detailliert beschrieben. Für eine der drei Zielarten, die solitär lebenden Wildbienen, werden beispielsweise künstliche Nisthilfen aufgestellt, und das Gebiet wird mit Altholz und Sandlinsen einladend gestaltet. Die Blauflüglige Sandschrecke hingegen liebt grosse, offene Kies- oder Sandflächen mit geringem Pflanzenbewuchs. Sie ernährt sich von Gräsern und Kräutern. Doch solche Flächen sind rar auf dem SBB-Areal, und die Bauarbeiten setzen dem Insekt zu.

Eine erste Erfolgskontrolle nach den Bahn-2000-Arbeiten ergab, dass die Population kleiner geworden war. Wie sich der Verlust weiterer Flächen auswirkt, kontrollieren die SBB nach Abschluss der Arbeiten zur Durchmesserlinie erneut. Für die Zielart Mauereidechse ist vor allem die Möglichkeit zur Vernetzung relevant. Die Umweltbehörden schreiben daher vor, dass entlang wichtiger Korridore ein unbefestigter Kiesstreifen als lineares Vernetzungselement anzulegen sei, denn auf Belag oder Schotter wandern die Tiere nicht. Zudem werden Gitterkörbe mit Steinen oder Steinpackungen in der Böschung platziert, die als frostsichere Winterquartiere dienen können.

Neben diesen drei festgelegten Zielarten wird derzeit auch die Gelbbauchunke (Bombina variegata) gefördert. Sie wurde im beschriebenen Perimeter gefunden und steht ebenfalls auf der Roten Liste der gefährdeten Tierarten. Da aber die Lebensräume im Gleisfeld eher trocken und warm sind, hat die Fachstelle Naturschutz von Grün Stadt Zürich angeregt, zu ihrer Unterstützung kleine Feuchtareale anzulegen. Die SBB haben dies aufgegriffen, und bereits im vergangenen Frühjahr konnte die Umweltbaubegleitung nachweisen, dass die Gelbbauchunken die für sie erstellten Tümpel beim Bahnhof Altstetten angenommen haben, um sich fortzupflanzen. Renaturierung und Allmählicher Wa ndel Flächen, die während den Bahnhofausbauten als Baupiste oder Deponie genutzt wurden, werden nach Abschluss der Bauarbeiten renaturiert. Auf den beanspruchten Flächen entsteht durch gezieltes Aussaat neue Vegetation. Das einheimische Saatgut hierfür wird eingekauft, denn es muss sich dabei um regionale Ökotypen wie Ruderalflora oder Wildblumenwiese handeln, sagt Barbara Huber. Es ist jedoch durchaus möglich, dass die neu angesäten Pflanzen nicht so wachsen wie geplant. So kann beispielsweise in einem Kies-Sand-Gemisch, das aufgebracht wird, bereits fremdes Saatgut erhalten sein. Problematisch werden fremde Pflanzen allerdings erst, wenn sie die einheimischen Arten verdrängen. In der Plangenehmigungsverfügung ist deshalb auch die Neophytenkontrolle als Auflage enthalten. Wichtig für die Vegetation ist der regelmässige Unterhalt, damit sich die gebietsfremden Pflanzen nicht zu stark ausbreiten. Die einzelnen Flächen werden aber nicht künstlich auf dem Stand des Sekundärbiotops gehalten.

Mit der Zeit können die Böden durchaus fetter werden, und mit zunehmender Biomasse verändern sich die Lebensräume. Für die Zielarten kann das zu einem Problem werden, das die SBB aber in Kauf nehmen. Sollten offene Kiesflächen einwachsen, so ginge das auf Kosten der Blauflügligen Sandschrecke; werden die Flächen nicht geschnitten und Drahtgitterkörbe überwuchert, fehlen den Eidechsen die heissen Steine, um sich zu sonnen.

TEC21, Fr., 2012.11.23

23. November 2012 Daniela Dietsche

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