Editorial

Kuppelbauten beeindrucken seit Jahrtausenden. Konstruktionen wie das Pan­theon in Rom, die Hagia Sophia in Istanbul oder Brunelleschis Kuppel für den Dom von Florenz sind eindrückliche Zeugen der Baugeschichte. Ursprünglich aus Stein, wurden sie mit fortschreitender Entwicklung der Bautechnik bald auch aus Holz und später, mit der Entwicklung von Eisen und Stahl, auch aus diesen Baustoffen gefertigt. Durch die Materialinnovationen des Industriezeitalters waren nicht nur grössere Spannweiten möglich, auch die Konstruktionen wurden schlanker. Durch den Einsatz von Glas entstanden so die Gewächshauskonstruktionen Loudons im 19. Jahrhundert. Die grosszügigen, lichten Hallen wurden bald zum Sinnbild der englischen Gewächshausarchitektur. Später wurden auch im übrigen Europa solitäre Kuppelkonstruktionen als gestalterisches Element in die Gesamtkomposition von Parkanlagen integriert, so auch die Kuppeln der Schaugewächshäuser des Botanischen Gartens in Zürich. Auch wenn diese erst in den 1970er-Jahren entstanden sind, beziehen sie sich doch auf die ursprüngliche innerstädtische Anlage am Bollwerk «zur Katz» von 1833. Die auf einer einfachen Kreisgeometrie beruhende Konstruktion der Kuppeln und ihr Aufbau aus industriell gefertigten, eindimensional gebogenen Aluminiumrohren und Stahlgussknoten verraten jedoch, dass sie jüngeren Datums sind. Der bauliche Zustand und der hohe Energiebedarf machten nun eine aufwendige und massgeschneiderte Instandsetzung erforderlich («Hightech-Hülle für exotische Pflanzen»).

Im Gegensatz zu den einfachen Kreisgeometrien ist das geodätische Konstruktionsprinzip Richard Buckminster Fullers auf polygonalen Geometrien aufgebaut. Fuller entwickelte mit seinen geodätischen Kuppeln in den 1950er-Jahren ein materialsparendes und serielles Bauprinzip für grosse Kuppeln und Hüllen in Leichtbauweise. Der Durchbruch gelang ihm 1953, als das Unternehmen Ford eine geodätische Kuppel aus zweilagigen Aluminiumstäben mit Kunststoffeindeckungen konstruierte. Seither wurden geodätische Kuppeln für verschiedene Zwecke erstellt, die wohl bekannteste ist die Kuppelkonstruktion für die Expo in Montreal 1967.

In der neuen Salzlagerhalle der Rheinsalinen «Saldome 2» in Rheinfelden, der bisher grössten Holzkuppel Europas, wurden Fullers Konstruktionsprinzipien in Holz übersetzt und weiterentwickelt («Riesenkuppel aus Holz»). Holz ist im Gegensatz zu Metallen und Stahlbeton in Gegenwart von Natriumchlorid korrosionsbeständig und deshalb als Baustoff für Salzlager etabliert. Bedauerlich ist, dass die eindrückliche Holztragkonstruktion des Saldome durch eine Aussenschale überdeckt wird und sich nur den wenigen Benutzern des Doms erschliessen wird.

Andrea Wiegelmann, Aldo Rota

Inhalt

05 WETTBEWERBE
Wohnheim Bergquelle in Lenk

11 MAGAZIN
Bücher | Eine Kuppel für Zürichs Elefanten

16 HIGH-TECHHÜLLE FÜR EXOTISCHE PFLANZEN
Andreas Buss
Die ursprünglich seriell hergestellten Kuppeln der Schaugewächshäuser des Botanischen Gartens Zürich werden derzeit mit grossem Aufwand und speziell angefertigten Elementen instand gesetzt.

21 RIESENKUPPEL AUS HOLZ
Christoph Häring, Roman Schneider
In Rheinfelden AG wurde Mitte Mai der grösste Holzkuppelbau Europas mit einer Spannweite von 120 m eingeweiht – der zweite Saldome der Schweizer Rheinsalinen. Darin können über 100 000 t Streusalz gelagert werden.

28 SIA
Erstes Dîner Baukultur | Schweizer Experte für Beton gesucht | Japan – eine Analyse vor Ort | Neuerscheinungen | Fort- und Weiterbildung

37 IMPRESSUM

38 VERANSTALTUNGEN

Hightech-Hülle für exotische Pflanzen

Die drei Schaugewächshäuser des Botanischen Gartens der Universität Zürich bieten exotischen Pflanzen adäquate, konditionierte Lebensräume. Die 1977 von den Architekten Hans und Annemarie Hubacher mit dem Architekt Peter Issler und dem Ingenieur Max Walt erbauten Kuppeln beruhen auf einem damals in den USA seriell hergestellten Kuppeltyp. Mittlerweile sind sie zum Wahrzeichen des Gartens avanciert. Daher wird die ursprünglich einfache Konstruktion bis Ende Oktober 2012 mit grossem Aufwand und speziell angefertigten Elementen instand gesetzt und den heutigen energetischen Anforderungen angepasst.

Der heutige Botanische Garten der Universität Zürich wurde 1975 bis 1977 im Quartier Weinegg angelegt. Zuvor hatte sich die Anlage seit 1833 auf dem Bollwerk «zur Katz» in der Innenstadt befunden, wo sie bis heute als Park weiterbesteht. In das neue, mit 5.6 ha dreimal grössere Areal an der Zollikerstrasse sind die Gebäude des Instituts für systematische Botanik und des Instituts für Pflanzenbiologie sowie Schau- und Anzuchtgewächshäuser eingebettet (Abb. 1). Neben seiner Bedeutung als Wissenschafts- und Bildungseinrichtung ist der Garten auch ein beliebter Erholungsort. Die Anlage wurde ab 1971 vom Landschaftsarchitekten Fred Eicher (vgl. TEC21 35/2004), von den Architekten Hans und Annemarie Hubacher, vom Architekten Peter Issler und vom Ingenieur Max Walt geplant. Ihre räumliche Gliederung, die Wegführung und das Erscheinungsbild lassen Prinzipien eines Landschaftsgartens erkennen, in den Teile des ehedem dort bestehenden Anwesens Schönau integriert sind. Die Topografie ist vielseitig: Auf dem gegen die Zollikerstrasse hin abfallenden Moränenrücken erheben sich die Institutsgebäude, während sich das Areal nach Osten in eine geschützte Senke hinein ausdehnt. Der darin eingebettete Teich bildet einen pittoresken Vordergrund zu den drei unterschiedlich hohen Kuppeln der Schaugewächshäuser (Abb. 2). Darin wird die nach Habitaten geordnete Sammlung exotischer Pflanzen kultiviert und präsentiert.

Die Besucher treten über einen Vorhof und durch das Foyer, metaphorisch als Grotte zu verstehen, von unten in die Hemisphären ein. Ihre eingesenkten Innenwelten sind von Rundwegen durchzogen und illusionistisch inszeniert: Funktional in den Komplex integrierte Einrichtungen wie Werkhof und Anzuchtgewächshaus entziehen sich den Blicken der Besucher. Vor der Instandsetzung band die Materialisierung mit dem schalungsrauen Beton im Sockelbereich, den Mauern aus porösem Tuffstein, dem Bronzeton der strukturellen Metallteile sowie der getönten Kuppelverglasung landschaftliche und architektonische Elemente zusammen. Eine erdige Schwere charakterisiert auch die nahe gelegenen Institutsgebäude mit ihren dunklen Vorhangfassaden.

Die Ökonomie des konstruktiven Systems

In ihrer elementaren Geometrie und konstruktiven Finesse sind die Kuppeln von bemerkenswerter ästhetischer Qualität. Es handelt sich um Kugelkalotten mit einem filigranen Tragwerk aus gebogenen Aluminiumrohren, das analog einer globalen Netzgeometrie aus Meridianen und Latituden aufgebaut ist (Abb. 4, 5). An den Kreuzungspunkten sind die einzelnen Rohre auf gegossene Knotenstücke gesteckt und fixiert (Abb. 10). Die rotationssymmetrische Anordnung aller Glieder um die gedachte Polachse ermöglicht die Wiederholung nur weniger Typen von Strukturelementen. So sind alle Rohre, die sich zur Stütze (= Meridiane) zusammensetzen, identisch geformt, ebenso alle Knotenstücke. Nur die ringförmigen, horizontalen Verbände weisen, je nach Höhenlage der jeweiligen Latitude, voneinander abweichende Krümmungsradien und Elementlängen auf. Die ursprüngliche Verglasung der Struktur bestand aus einer einschichtigen Haut bombierter Acrylglaselemente (PMMA), deren Fugen kongruent zur Rohrstruktur verliefen. Gekoppelt wurden die Glaselemente durch Klemmung ihrer Ränder zwischen zwei Aluminiumprofile, von denen das innere auf einem Steg des lastabtragenden Aluminiumrohrs aufsass. Derart in die Primärstruktur integriert, wirkten die Glaselemente als aussteifende Schubfelder gegen horizontale Einwirkungen wie Windkräfte (Abb. 7).

Die Kuppeln waren keine projektspezifische Einzelanfertigung, sondern Varianten eines seriell hergestellten Typs. Entwickelt, patentiert und kommerzialisiert von der US-amerikanischen Firma Ickes Brown Glasshouses (IBG), ist dieses System in Europa allerdings selten anzutreffen (vgl. Kasten S. 20).

Instandsetzungsbedarf und architektonische Strategie

Nach 40 Betriebsjahren war eine Instandsetzung erforderlich, die alle Teile des Gewächshauskomplexes berührt. Probleme bestanden im baulichen Zustand des Sockels, in der veralteten Gebäudetechnik und im hohen Energiebedarf. An letzterem hatten die noch vor der Ölkrise konzipierten Kuppelhüllen massgeblichen Anteil. Augenfälligstes Manko der Hüllen war die Eintrübung des Acryls. Die dadurch erheblich verminderte Lichtdurchlässigkeit hemmte das Wachstum der Pflanzen (Abb. 2). Eine Machbarkeitsstudie zur Instandsetzung, die zunächst auch den vollständigen Ersatz der charakteristischen Gewächshäuser in Betracht zog, begann 2005. Daraus resultierte der Auftrag für die Instandsetzung an die ARGE Botanik (Architekturbüros Hubacher Peier und Haerle Hubacher, Zürich). Ein von ihr geführtes Expertenteam verfolgte Lösungsansätze, die den architektonischen Gestus der Anlage der 1970er-Jahre zugleich respektieren und pflegen, ihre technische Funktionalität aber verbessern sollten. Obwohl die Kuppeln nicht als denkmalpflegerisches Schutzobjekt klassiert sind, setzte man die Prämisse, sie in ihrer Erscheinung möglichst wenig zu beeinträchtigen. Aus der engen Verknüpfung ihrer Struktur und Hülle, besonders aber der Wechselwirkung mit dem Gedeihen der Pflanzen, entstand ein Anspruch, der mit Standardlösungen nicht erfüllt werden konnte. Der Weg zur Realisierung führte über einen Prototyp, bei dem die bestehende Einfachverglasung lediglich erneuert und mit einem raumseits eingehängten, transluziden Membrankissen als thermische Isolation ergänzt wurde. Da das Ergebnis bauphysikalisch noch nicht überzeugte und mineralisches Glas wegen seines Gewichts nicht infrage kam, entschied man sich schliesslich für den Neuaufbau einer doppelten, aussenliegenden Verglasungsebene aus Acryl. Darin wurden bauphysikalische, strukturelle, aber auch montagetechnische Belange zu einer funktionalen und ästhetischen Einheit mit dem Bestand zusammengeführt.

modifikation der kopplung von Hülle und Tragstruktur

Anstelle von Glas und Eisen – Werkstoffe, die den Gewächshausbau zu Beginn des 19. Jahrhunderts revolutionierten (vgl. Kasten links) – sind in den Kuppeln Aluminium und Kunststoff (PMMA) kombiniert. In ihrem Zusammenwirken sind diese in ihren Eigenschaften so unterschiedlichen Werkstoffe nicht problemlos. So zeigten die Ecken der 40 Jahre alten Gläser eine durch Zwängungen bei Temperaturdehnung bedingte Rissbildung, zudem waren sie unter UV-Einfluss versprödet, weshalb sie nur noch eingeschränkt als Schubfelder funktionierten. Dem wirkt nach der Instandsetzung nun einerseits eine neue, elastische Form der Kopplung entgegen, andererseits die Wahl des PMMA, die den bestmöglichen Kompromiss aus hoher Lichttransmission und der Absorption materialschädigender Wellenlängen darstellt.

Für die Instandsetzung wurden Doppelglaspaneele mit Randverbund entwickelt, die aus zwei miteinander verklebten PMMA-Scheiben bestehen und somit ein geschlossenes Element bilden (Abb. 8). Entscheidend für die Kraftübertragung zwischen neuem Glaselement und bestehender Primärstruktur ist eine elastische Klebefuge aus Spezialsilikon, die einen genau definierten Bewegungsgrad zulässt, denn die thermische Ausdehnung von PMMA ist ca. zehnmal höher als bei mineralischen Gläsern. Die signifikante, schon im Ursprungszustand vorhandene Wölbung der Gläser federt ebenfalls einen Teil ihrer Temperaturdehnung ab und steift die Elemente in sich aus.

Der insgesamt schwerere Aufbau der neuen Hülle, eine infolge des verbesserten U-Werts (vgl. Kasten S. 16), erhöhte Schneelast und Alterungsprozesse in der Aluminiumlegierung der über 600 Gussknoten erforderten eine Stabilisierung der Tragkonstruktion. Die Ingenieure von Walt+Galmarini brachten deshalb eine Ringvorspannung mit Stahlseilen entlang mehrerer unterer Latituden auf (Abb. 10). Die Vorspannkraft hält die Knoten in allen Gebrauchszuständen unter Druck und minimiert so das Risiko von spröden und spontanen Zugbrüchen.

Eigener Belüftungskreislauf für die Hülle

PMMA ist nur bedingt gas- und dampfdicht. Die übliche Füllung des Scheibenzwischenraums mit Inertgas wäre daher nicht dauerhaft. Der Isolationseffekt wird stattdessen durch eine Luftschicht erreicht, wobei eingedrungener Wasserdampf kontrolliert aus dem Scheibenzwischenraum abgeführt werden muss. Dazu wurde ein eigener Belüftungskreislauf mit miniaturisierten Installationen eingerichtet, der in dieser Form hier erstmals angewendet wird. In die untere Reihe der Paneele wird über eine Ringleitung Luft eingeblasen. Da diese jeweils abgeschlossene Einheiten bilden, sind sie untereinander mit speziellen Tüllen verbunden, die den inneren Luftstrom in der Vertikalen weiterleiten, bis er rings um das obere Kuppelauge gesammelt und durch das Grundprofil, das den tragenden Aluminiumrohren aufgesattelt ist, zurückgeführt wird (Abb. 8). Die Luft wird getrocknet und gefiltert, da nicht nur eindringender Dampf, sondern auch Feinstaub die Lichtdurchlässigkeit beeinträchtigen würde. Ein zusätzlicher Effekt wird im Ausgleich von Temperaturspitzen innerhalb der Aussenhaut erwartet.

Interaktion von Pflanzen und Technik

Die Konditionierung des Pflanzenraums bildet ein davon getrenntes System, in dem die technisch regulierten Komponenten Temperierung, Belüftung und Befeuchtung mit der natürlichen Licht- und Wärmeeinstrahlung sowie den Aktivitäten der Pflanzen selbst in Wechselwirkung stehen. Pflanzen sind in der Lage, Luftfeuchtigkeit und Umgebungstemperatur durch gezielte Transpiration zu beeinflussen. Im Aufzeigen solcher Anpassungsmechanismen an die klimatischen Bedingungen ihrer natürlichen Habitate liegt auch ein neuer didaktischer Schwerpunkt in den Schaugewächshäusern.

Das Lüftungskonzept wurde erstmalig bei der 2003 eingeweihten Masoalahalle im Zoo Zürich (Gautschi Storrer Architekten, Zürich) angewandt und nun im Rahmen der Instandsetzung auf die Schauhäuser des Botanischen Gartens übertragen. An der Fassade umlaufende Spezialdüsen, die entweder Aussenluft zuführen oder selber Raumluft ansaugen können, sorgen für eine gute Durchmischung der Raumluft, um Schichtungen mit hohen lokalen Luftfeuchtigkeiten und Kaltluftseen zu verhindern. Je nach Tages- und Jahreszeit wird mit Radiatoren geheizt, Aussenluft zur Kühlung und Feuchtigkeitsregulierung zugeführt oder Luft umgewälzt. Das System, das ohne Kältemaschine auskommt, erfordert ein fliessendes Ineinandergreifen verschiedener Mechanismen, etwa beim Wechsel von freier Thermik zu mechanischer Lüftung (Abb. 6). Insgesamt soll sich mit der optimierten Hülle (U-Werte, Lüftung, solarer Gewinn) der Energieverbrauch um etwa die Hälfte reduzieren.

Landschaft und Bepflanzung

Die ursprünglichen Wege im Innern wurden durch einige Seitenpfade ergänzt, die innere Topografie und ihre Ausstattungselemente aber weitgehend beibehalten. In den bisher als Tropen, Subtropen und Savanne ausgewiesenen Hemisphären werden nach der Wiedereröffnung im Frühjahr 2013 neu Pflanzengemeinschaften des Tieflands (mit Regenwald), des Bergwalds und der Trockengebiete der Erde angesiedelt. Temperaturverlauf, Feuchtigkeitsgehalt der Luft und Luftbewegung unterscheiden sich dementsprechend. Die Bewässerung wird zum grössten Teil mit Regenwasser gedeckt, das in einer 250 m³ grossen Zisterne gesammelt wird.

Die Kuppelform birgt aus botanischer und gärtnerischer Perspektive durchaus auch Schwierigkeiten. So kann der Schattenwurf hoher Pflanzen, die der Raumform entsprechend eher im Zentrum angesiedelt sind, ihre kleineren Nachbarn in der Peripherie benachteiligen. Umgekehrt führt die Höhenstaffelung der Pflanzen zu einem visuell harmonischen Übergang zwischen Innen- und Aussenraum.

Das Gewächshaus als Gesamtkunstwerk

In kaum einem Gebäudetypus sind natürliche und technische Prozesse enger verknüpft als im Gewächshaus. Wie schon das gusseiserne Palmenhaus im alten Botanischen Garten der Universität Zürich lässt sich der Komplex der Kuppelgewächshäuser in die über 200-jährige Tradition moderner Schaugewächshäuser einreihen. Die Instandsetzung verändert zwar das Erscheinungsbild, indem sie der Struktur mehr Kontrast und Härte verleiht, respektiert aber ihren konstruktiven und funktionalen Zusammenhang. Ein Teil der ursprünglichen Einfachheit der Konstruktion verschwindet, da sie nun mit zusätzlichen Funktionen angereichert wird. Dass sich die Instandsetzung trotzdem schon jetzt als gelungen darstellt, führt die erfolgreiche Interaktion von Architekten, Spezialisten und Unternehmern in einem komplexen Planungsprozess vor Augen – eine Tatsache, die man sich im Umgang mit vergleichbaren, industriell gefertigten Bauten der 1960er- bis 1970er-Jahre häufiger wünschen würde.

TEC21, Fr., 2012.07.27

27. Juli 2012 Andreas Buss

Riesenkuppel aus Holz

In Rheinfelden AG wurde Mitte Mai der grösste Holzkuppelbau Europas mit einer Spannweite von 120 m eingeweiht – der zweite Saldome der Schweizer Rheinsalinen. Darin können über 100 000 t Streusalz gelagert werden. Die Bauingenieure des Unternehmens Häring aus Pratteln planten und realisierten das Tragwerk aus Holz.

Im strengen Winter 2010/11 wurden allein in der Stadt Zürich 4750 t Streusalz ausgetragen. Da im Dezember 2010 nicht garantiert war, dass die Salzvorräte bis Ende der Saison ausreichen würden, befreite man vielerorts nur noch die Hauptverkehrsachsen von Schnee und Eis. Dass Streusalz kurzfristig zur Mangelware wird, kommt in der Schweiz immer wieder vor. Vor diesem Hintergrund ist es weitsichtig, die Lagerkapazität zu vergrössern. Einen ersten sogenannten Saldome – einen Kuppelbau aus Holz zur Lagerung von Streusalz – erstellte das Unternehmen Häring bereits 2005 für die Vereinigten Schweizer Rheinsalinen im Rheinfeldener Ortsteil Riburg im Kanton Aargau. Diese Holzkuppel mit 93 m Durchmesser und 30 m Höhe fasst 80000t Salz. Damit konnten die Rheinsalinen insgesamt 130000t Salz zentral lagern. Da auch diese Lagerkapazität nicht immer genügte, errichteten die Rheinsalinen zusammen mit denselben Planern 2012 den «Saldome 2», eine noch gössere Kuppel mit einem Durchmesser von 120 m, einer Firsthöhe von 32 m und einem Fassungsvermögen von rund 110000t Salz.

Kuppel, Kugelkalotte und RundlagerKonzept

Als die Rheinsalinen Mitte der 1990er-Jahre Ausschau nach Tragkonstruktionen für bedeutend mehr Lagervolumen hielten, waren die bestehenden Salzlagerhallen in Schweizerhalle und Rheinfelden – konventionelle Dreigelenkbogenhallen in Holzbauweise – nach wie vor bewährte Konstruktionen. Trotz der korrosiven Atmosphäre wiesen die Holztragwerke auch nach über 40-jähriger Nutzung noch eine überzeugende Dauerhaftigkeit und Beständigkeit auf. Mehr Schüttgutvolumen als in solchen Hallen und reduzierte Lagerkosten pro Tonne sind nur bei einer Erhöhung des Rauminhaltes und einem leistungsfähigeren Tragwerkssystem möglich. Die Kugel ist die beste Form für die materialoptimierte Umhüllung eines Raumes. Die Kugelkalotte wiederum schützt den Salzkegel bei grösstmöglicher Grundfläche und kleinstmöglicher Oberfläche vor Witterungseinflüssen (Abb. 2 und 3). Ein Rundlagerkonzept mit zentraler Befüllung im Pol und zentraler Entnahme an der Basis konzentriert ausserdem die Mechanik der Anlagelogistik. Dieses Konzept wurde mit dem Bau des Saldome 1 erstmals angewendet (Abb. 1).

Holznetzschale namens Ensphere

Grosse «Timber Dome Structures» kamen in den 1970er- und 1980er-Jahren in den USA in verschiedenen Mehrzweck- und Sportstadien zum Einsatz. Die geodätische Netzstruktur wurde auch als sogenannte Fuller’sche Raumfachwerkstruktur bekannt (vgl. Kasten S. 20). 1982 erstellten die Architekten McGranahan und Messenger in der Stadt Tacoma im US-Bundesstaat Washington für eine Mehrzweckhalle aus Holz die damals weltweit grösste frei tragende Schale mit 160 m stützenfreier Spannweite. Die dabei eingesetzte Netzstruktur wurde «Ensphere» genannt. Sie entspricht einer Modifikation der geodätischen Netzstruktur und eignet sich besser für flache Kuppeln mit Kugelkalottenform. Die Entwicklung der Ensphere-Struktur geht auf den deutschen Architekten Wendell E. Rossmann zurück.[1] Die Geometrie der Ensphere-Holznetzschale entsteht in einem mehrstufigen Algorithmus: Ein Raster gleichseitiger Dreiecke auf einer gedanklich über der Kugel schwebenden Ebene wird auf die Kugeloberfläche projiziert (Abb.5) und ein konstanter Abstand zwischen den 48 Widerlagern vorgegeben. Mit wenigen Irregularitäten im Auflagerbereich bilden so drei sich durchdringende, optisch geradlinige Bogensysteme das wirkungsvolle Tragwerk – der Kraftverlauf in den Drucktrajektorien ist offensichtlich. Jeder Tragwerksstab liegt auf einem Grosskreis der Kugel, deren Zentrum beim Saldome 2 rund 40 m unter Terrain liegt. Damit haben alle Brettschichtholzträger denselben Radius von 72 m und können auf einer einzigen Bogenschablone verleimt werden. Die Flucht der Kreuzungsknoten zeigt ebenfalls auf das Kugelzentrum und erzeugt damit bei allen Brettschichtholzbögen rechtwinklige Schnitte (Abb. 8). Neben den genannten Konstanten zeichnet sich die Netzstruktur durch zwei variable Parameter aus. Die erste Variable ist die Stablänge: Die drei sich durchdringenden Bogensysteme erzeugen sechs baugleiche Sektoren, in welchen jeder Stab eine individuelle Länge besitzt (Abb. 7). Die 534 Stäbe unterscheiden sich also in 89 Typen. Die zweite Variable sind die Winkel, die die Stäbe an den Kreuzungsknoten aufspannen. Daraus ergeben sich für die 163 «Zentral-Knoten» 28 unterschiedliche Typen.

Reduzierter Materialaufwand und flexibler Kräftefluss

Schalen als Membrantragwerke nehmen gleichmässige Lasten sehr effizient auf. Die Natur liefert mit der Eierschale und der Seifenblase eindrückliche Beispiele für diese Materialoptimierung. Ein reales Bauwerk ist aber nicht nur gleichmässigen, sondern vielen verschiedenen Einwirkungen und Belastungen ausgesetzt (Abb.6), weshalb die Optimierungsaufgabe nicht mehr eindeutig lösbar ist. Insbesondere können die Lasten symmetrisch oder asymmetrisch und verteilt oder konzentriert auftreten; zudem fehlt im Holzbau, einer Leichtbauweise, ein klar dominierender Belastungszustand (Eigengewicht und Schnee). Unter diesen Gesichtspunkten heben sich die Vorteile der Netzschale hervor: Das 1000 m³ grosse Materialvolumen an Brettschichtholz ist nicht etwa auf eine Membran konstanter Dicke von rund 7cm auf der Oberfläche von 14000 m² verteilt, sondern in Primär- und Sekundärträgern konzentriert. Durch die Diskretisierung der Fläche und die Materialkonzentration auf die Stäbe gewinnt das Tragwerk an Biegewiderstand, wodurch sich insgesamt der Widerstand gegenüber asymmetrischen und konzentrierten Belastungen erhöht. Bei hochgradig statisch unbestimmten Systemen wie der Netzstruktur der Saldome, besteht ausserdem eine Redundanz, welche die Wahrscheinlichkeit eines fortschreitenden, von einer lokalen Schwachstelle im Tragwerk ausgehenden Kollapses verschwindend klein macht. Allerdings ist bei solchen Tragsystemen der Kraftfluss in der Netzschale nicht mit letzter Genauigkeit vorherzusagen, er passt sich sensibel den Reaktionen der Fundamente an. Kraftspitzen können sich zudem nicht wie beispielsweise bei Tragsystemen aus Stahl durch plastische Verformungen abbauen. Bilden Ingenieure also hochgradig statisch unbestimmte Systeme im Holzbau aus, müssen sie die Sensitivität der auftretenden Kräfte auf äussere Einflüsse abschätzen (vgl. Kasten links). So tragen sie den grundsätzlich linear-elastisch-spröden Materialeigenschaften Rechnung und erhalten auf der sicheren Seite liegende Schnitt- und Auflagerkräfte beziehungsweise Verschiebungen an den Widerlagern.

Bemessung der Tragwerksteile

Für die Bemessung des Saldome 2 legten die Bauingenieure die Knoten auf die auftretenden Kräfte aus und wiesen die Stabilität der unter grossen Druckkräften stehenden Holzträger nach. Im Knicknachweis der mit 12 m längsten Stäbe, die eine Druckkraft von 900kN aufnehmen, berücksichtigten sie die Sekundärträger als seitliche Halterung. Die Knoten sind mit acht eingeklebten Gewindestangen im Holz verankert. Diese Stangen sind in einem Anschlussteil zusammengefasst und über zwei hochfeste Bauschrauben an einem Zentralrohr verschraubt. Das Zentralrohr ist zweiteilig unterbrochen und erlaubt damit eine zwängungsfreie Querdehnung der Holzträger. In den Knoten treffen auf engstem Raum – der kleinste Winkel zwischen zwei Stäben beträgt 39° – grosse Kräfte aufeinander. Über die im oberen und unteren Trägerdrittel angeordneten Anschlussteile werden Druckkräfte von 600kN und Zugkräfte von 300kN im Bemessungszustand übertragen. Die hohen Anschlusskapazitäten, die mit eingeklebten Gewindestangen erreichbar sind, sind nicht in den Schweizer Tragwerksnormen erfasst. Die Vorbemessung der Anschlüsse erfolgte deshalb mit Werten, die auf Versuchsresultaten der Klebstoffhersteller basieren. Weitere Sicherheit zum Design des Knotenanschlusses wurde durch speziell für dieses Projekt durchgeführte Versuche in Zusammenarbeit mit dem Institut für Baustatik und Konstruktion der ETH Zürich gewonnen. Die Ingenieure machten Ausziehversuche an einzelnen eingeklebten Gewindestangen und an Gruppen von eingeklebten Gewindestangen. Mit Zugversuchen ermittelten sie die effektive Fliessgrenze und Zugfestigkeit der Gewindestangen.

Fundamentring aus Einzelfundamenten und Ringzugband

Bei Bogen- und Kuppeltragwerken ist eine hohe Auflagersteifigkeit entscheidend dafür, dass sich die angestrebte Tragwirkung ausbildet. Für die flache Kuppelgeometrie des Saldome 2 mit einem Pfeilverhältnis von rund 1:4 gewinnt dieser Aspekt zusätzlich an Bedeutung. Die Fundation des Saldomenn 2 geschieht über eine Kombination von Einzelfundamenten zur Übertragung der konzentrierten Vertikalkräfte in den Baugrund und einem Ringzugband aus Stahlbeton zur Aufnahme des Bogenschubs (Abb.7). Die entscheidende radiale Steifigkeit der Widerlager setzt sich unter Gebrauchslasten aus der Steifigkeit des Ringzugbandes und der Einzelfundamente zusammen. Die Primärträger sind in die Einzelfundamente eingespannt – dadurch war es im Übrigen auch möglich, das Tragwerk ohne Hilfsgerüste im Freivorbau zu montieren.

Doppelt gekrümmte Dacheindeckung

Eine wesentliche Neuerung beim Saldome 2 gegenüber dem Saldome 1 – die sich ansonsten nur in den Abmessungen voneinander unterscheiden – nahmen die Planenden bei der Dacheindeckung vor. Bei doppelt gekrümmten Dachflächen ist es eine Herausforderung, mit den gängigen, einfach krümmbaren Plattenwerkstoffen eine ästhetisch überzeugende und dichte Bedachung auszuführen. Eine einfach zu konstruierende Membrandachhaut aus transparenten Kunststoffplanen kam aus bauphysikalischen Gründen nicht infrage. Stattdessen wählten sie Holzwerkstoffplatten. Diese haben eine feuchtigkeitsausgleichende Wirkung, welche wiederum zusammen mit der durch den Kamineffekt angetriebenen natürlichen Lüftung die Kondenswasserbildung einschränkt. Die Planenden verfeinerten das Stützraster des Primärtragwerks mit zusätzlichen Sekundärträgern, sodass man die einzelnen Dachelemente losgelöst von der Netzstruktur entlang von Breitenkreisen unterteilen konnte (Abb. 4). Die Elemente wurden mit «fliegenden» Stössen, die nicht auf der Netzstruktur auflagen, verbunden. Die 13 m langen und etwa 2 m breiten, leicht konisch zugeschnittenen sowie längs gekrümmten Dachelemente konnten rationell als Teil der automatisierten Produktionskette vorgefertigt werden. Ein neuartiger Flüssigkunststoff mit aufgestreuten Schieferschuppen dichtet das Dach ab und wurde im Werk auf die Dachelemente aufgebracht. Die Ränder entlang der Elementstösse kamen unbeschichtet ab Werk und wurden auf der Baustelle verklebt und beschiefert. Die fertige Dachhaut des Saldome 2 erscheint aus diesem Grund mit nur noch schwach sichtbaren Elementübergängen.


Anmerkung:
[01] Wendell E. Rossmann, 1926 in München geboren, absolvierte seine Schulzeit und die Ausbildung zum Zimmermann in der Schweiz und wanderte als junger Mann nach Kanada aus. Er studierte an der University of Alberta Architektur und promovierte als Ingenieur in München. Seine Firma gründete er in Phoenix USA. Er stellte die auf dem Varax-System (Varax = Variable Axis) beruhende Holzkuppelbauweise 1983 unter anderem in dieser Zeitschrift vor (vgl. Wendell E. Rossmann: Netzschalen aus Holz für grosse Spannweiten, in: Schweizer Ingenieur und Architekt, Nr. 25/1983) und erregte damals grosse Aufmerksamkeit in der Fachwelt.

Rossmann plante und baute mehrere derartige Hallen und auch Kirchenbauten. Er verstarb 1997. Christoph Häring, dessen Unternehmen die Tragkonstruktion der Saldome geplant und realisiert hat, hat sich bereits in den 1970er-Jahren mit Rossmann fachlich ausgetauscht. Er hat die Ensphere- Holznetzschale weiterentwickelt und vor allem die Knotensysteme verbessert (vgl. Christoph H. Häring: Zur Konstruktion von Holznetzschalen, in: Schweizer Ingenieur und Architekt, Nr. 25/1983)

TEC21, Fr., 2012.07.27

27. Juli 2012 Roman Schneider, Christoph Häring

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