Editorial

«Global denken, lokal handeln» – dieser Leitgedanke bringt die Motivation der Menschen in Energieregionen auf den Punkt: Energetische Verbesserungen bei sich zu Hause in der eigenen Region erzielen, dabei aber die grösseren Zusammenhänge nicht aus den Augen verlieren.

Wer sich auf den Weg in eine neue Energiezukunft begibt und beispielsweise eine Energieregion gründet, sucht nach einprägsamen Begriffen und Bildern. Energieautarkie ist so ein Schlagwort. Zumindest in der Schweiz löst dieser scheinbar aus einer anderen Zeit stammende Begriff mehrheitlich positive Assoziationen aus. Der Wunsch nach Unabhängigkeit ist gross, auch wenn dies in einer zunehmend vernetzten Welt immer mehr zu einer Illusion wird und auch aus volkswirtschaftlicher Sicht gar nicht immer zu optimalen Ergebnissen führt («Die Energiezukunft selbst gestalten»).

Dabei geht es nicht darum, die Interaktionen und Handelsbeziehungen zur Aussenwelt zu kappen. Vielmehr gilt es, das Bewusstsein der Menschen zu schärfen, wie viel Energie eigentlich benötigt wird und welcher Teil davon selbst bereitgestellt werden kann. Die einheimischen Ressourcen optimal zu nutzen, zeugt auch von globalem Verantwortungsbewusstsein. Die reiche Schweiz könnte – zumindest so lange es ihr wirtschaftlich gut geht – ihren Energiebedarf über Importe decken. Doch eine solche Strategie bliebe nicht ohne Folgen für die Länder, die uns ihre Ressourcen liefern.

In jüngster Zeit sind in der Schweiz einige Energieregionen entstanden. Im Artikel «Energietäler im Aufwind» legen wir den Schwerpunkt auf das Toggenburg. Wie in den anderen Energieregionen will man dort nicht zuwarten, bis die grosse Politik die Weichen stellt. Durch die Erschliessung vieler kleiner energetischer Potenziale wird der Selbstversorgungsgrad einer Region mit Energie deutlich verbessert. Doch diese Entwicklung ist nicht ohne Risiken: Gerade der Ausbau der Kleinwasserkraft und Windenergie tangiert die Interessen des Natur- und Landschaftsschutzes. Eine Abwägung von Fall zu Fall ist unerlässlich.

Dabei sollen die öffentlichen Interessen gewahrt werden, ohne die Eigeninitiative von Privaten übermässig einzuschränken.
Auch bei der Nutzung von Bioenergie ergeben sich neben den Möglichkeiten auch Konflikte. Im niedersächsischen Jühnde («Bioenergiedorf Jühnde») wird ein Viertel der landwirtschaftlichen Nutzfläche für die Erzeugung von Bioenergie verwendet. 2009 wurden in Deutschland bereits auf 10 Prozent der Landwirtschaftsfläche Energiepflanzen angebaut. Letztlich stellt sich die Frage, wie viel Fläche der Nahrungsmittelproduktion entzogen werden darf. Diese Problematik hat eine globale Dimension – zumindest solange Europa Nahrungs- und Futtermittel im grossen Stil importiert und das Hungerproblem in den ärmeren Regionen der Welt nicht gelöst ist.

Lukas Denzler, Alexander Felix

Inhalt

05 WETTBEWERBE
Ökostadtquartier Sihl-Manegg Areal

10 PERSÖNLICH
Wechsel im Team von TEC21 | Ämter und Ehren

12 MAGAZIN
«Natur ist die Basis des Lebens» | Neue Architektur in Südtirol

18 DIE ENERGIEZUKUNFT SELBER GESTALTEN
Bruno Abegg
Die Vision, unabhängig von fossiler Energieimporten zu werden, übt auf viele Regionen eine starke Faszination aus.

22 ENERGIETÄLER IM AUFWIND
Lukas Denzler
Das Toggenburg und das Goms im Wallis gehen mit gutem Beispiel voran. Beide Regionen wollen die erneuerbaren Energieressourcen besser nutzen und gleichzeitig die regionale Wirtschaft ankurbeln.

29 BIOENERGIEDORF JÜHNDE
Swantje Eigner-Thiel
Das 780-Seelendorf in Niedersachsen setzt seit zehn Jahren voll auf Bioenergie. Dem Beispiel von Jühnde folgen immer mehr Dörfer.

33 SIA
«15n» – erstmals in der ganzen Schweiz | Kurzmitteilungen | Revidierte Norm SIA 265 Holzbau | Vakanzen

37 FIRMEN

45 IMPRESSUM

46 VERANSTALTUNGEN

Die Energiezukunft selber gestalten

Die Vision, unabhängig von Energieimporten zu werden, übt auf viele Regionen eine starke Faszination aus. Mit der angestrebten Energiewende bekommen die regionalen Initiativen Auftrieb. Da Regionen jedoch mit ihrer Umgebung auf vielfältigste Weise verflochten sind, geht es nicht darum, starre Insellösungen anzustreben.

Wie die Energieversorgung künftig gewährleistet werden kann, ist eine zentrale Frage. Eine neuere Entwicklung sind sogenannte Energieregionen. Diese haben sich zum Ziel gesetzt, den eigenen Energiebedarf möglichst durch regionale, erneuerbare Energieträger zu decken, Energie zu sparen und sie effizienter zu nutzen. Die meisten Regionen, die nach Energieautarkie streben, berufen sich auf das ­Konzept der Nachhaltigkeit in seinen drei Zieldimensionen. In der konkreten Ausgestaltung jedoch werden die wirtschaftlichen und sozialen Aspekte vergleichsweise prominent, die ökologischen dagegen eher stiefmütterlich behandelt. Augenfällig wird diese Problematik etwa, wenn es beim Bau von Anlagen zur Energieproduktion zu Zielkonflikten mit dem ­Natur- und Landschaftsschutz kommt. Eine Region kann aber nur dann als nachhaltig gelten, wenn auch diese Belange berücksichtigt werden.

Die fossile Abhängigkeit überwinden

Immer mehr Regionen in Europa erklären sich zu Energieregionen. Als Pioniere gelten die Stadt Güssing[1] im österreichischen Südburgenland, wo sich auch das europäische Zentrum für erneuerbare Energien angesiedelt hat, das deutsche Bioenergiedorf Jühnde (vgl. «Bioenergiedorf Jühnde», S. 29) und die dänische Insel Samsø[2]. Bei allen Unterschieden haben die Energieregionen eine gemeinsame, ehrgeizige Vision: Sie wollen sich vom Import fossiler Energie unabhängig machen. Die Vorreiter haben gezeigt, dass dies auch möglich ist. Eng damit verknüpft ist zudem oft das Ziel einer Klima- beziehungsweise CO2-neutralen Region. Und in vielen Fällen geht es auch darum, die regionale Wirtschaft anzukurbeln. Energiewende, Autarkie, Autonomie: Diese Begriffe sind nicht unbedingt wissenschaftlich gemeint, sondern dienen dazu, den eigenen Weg zu benennen und sich von anderen ab-zugrenzen. Sie sind Resultat eines politischen Entscheidungsfindungsprozesses und nicht eines fach­lichen Diskurses. Im Folgenden wird auf einige Probleme, die bei der Verwendung von Begriffen wie «autark» auftauchen können, hingewiesen. Gemäss Duden bedeutet autark «(vom Ausland) wirtschaftlich unabhängig, sich selbst versorgend, auf niemanden angewiesen». Auf eine Region übertragen heisst dies, dass der gesamte Energiebedarf aus einheimischen Energiequellen gedeckt wird. Viele Konzepte weichen jedoch mehr oder weniger deutlich von diesen Vorgaben ab. Relativierungen wie «soweit wie möglich» oder «weitestgehend» weisen darauf hin, dass in einigen Fällen lediglich von einer Teilautarkie gesprochen werden kann. Mitunter werden ganze Bereiche ausgeklammert, wie etwa der Verkehr. Im Weiteren stellt sich die Frage, ob die Autarkie ein rechnerisches oder ein absolutes Ziel darstellt. Rechnerisch wäre Autarkie erreicht, wenn die Defizite in einer Energieform wie zum Beispiel Treibstoff mit den Überschüssen einer anderen Energieform wie zum Beispiel Strom ausgeglichen werden, oder wenn Defizite zu gewissen Zeiten wie über Mittag mit Überschüssen zu anderen Zeiten, beispielsweise bei kräftigem Wind in der Nacht «verrechnet» werden. Absolute Energieautarkie sieht solches Gegenrechnen nicht vor.

Keine Insellösungen anstreben

Energieautarkie ist auf verschiedenen räumlichen Ebenen anzutreffen. Es gibt den energieautarken Bauernhof, die energieautarke Gemeinde, den energieautarken Landkreis und vieles mehr. Auch energieautarke Nationen sind denkbar. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, was eine geeignete Grösse ist, um das Autarkieziel zu erreichen. Gemäss einem in Deutschland erarbeiteten Leitfaden ist es wichtig, «einen gangbaren Kompromiss zwischen notwendiger räumlicher Nähe zu den Menschen vor Ort und der für die Schlagkräftigkeit gewünschten professionellen Ressourcenausstattung zu finden».[3] Es geht also auch um das Know-how, das für einen erfolgreichen Energiewende-Prozess unabdingbar ist. Dieses Wissen ist eher in einer Region vorhanden und weniger in einem Dorf, was für die Region als optimale räumliche Einheit spricht. Damit ist auch der Bilanzraum definiert. Hier tut sich ein Dilemma auf: Streng genommen verlangt Energieautarkie nach einem geschlossenen System – Regionen dagegen sind offene Systeme. Folglich müsste man eine Region als «Insel» begreifen – was in vielen Initia- tiven auch getan wird. Das wirkt jedoch geradezu anachronistisch, wenn man bedenkt, dass jede Region auf vielfältige Art und Weise mit ihrer Umgebung verflochten ist, also ­keineswegs ein «Inseldasein» führt. Autark bedeutet auch, dass die Energie in Eigenregie produziert wird. Hier geht es im weitesten Sinne um die Finanzierung und die Eigentumsverhältnisse – zwei wichtige Aspekte, will man die erhofften wirtschaftlichen Effekte einer «Energiewende» tatsächlich erreichen, zum Beispiel den Kapitalabfluss vermindern und die regionale Wertschöpfung erhöhen.

Motivation für Energieregionen

Es gibt gute Gründe, sich hin zu einer energieautarken Region zu entwickeln: Klima und Umwelt schützen: Die Produktion und der Verbrauch fossiler Energieträger sind mit gravierenden Umweltbelastungen verbunden. Durch sparsame und effizientere Energienutzung und eine Umstellung auf erneuerbare Energieträger können Umwelt und Klima geschützt werden. Da die Potenziale zur Erzeugung erneuerbarer Energien ungleich verteilt sind, bedeutet beispielsweise ein nationales Ziel von 30 % erneuerbarer Energie, dass einige Regionen weit darüber hinausgehen, sich also in Richtung einer 100-prozentigen Versorgung mit erneuerbaren Energien entwickeln müssen. Stabile Preise, sichere Versorgung: Die Energiepreise werden steigen. Eine verminderte Abhängigkeit von importierter fossiler Energie beziehungsweise die Umstellung auf erneuerbare Quellen gewährleisten Versorgungssicherheit und Preisstabilität. Arbeitsplätze und regionale Wertschöpfung: Die Förderung von einheimischen Energie­quellen und Energiesparmassnahmen haben positive Auswirkungen auf den regionalen Arbeitsmarkt. Land- und Forstwirtschaft können von einer verstärkten Nutzung der regionalen Rohstoffe (Biomasse) profitieren. Bereits bestehende Unternehmen aus den Bereichen Energietechnik, Wärmedämmung und Hochbau profitieren ebenfalls. Wird Energie importiert, so fliesst regionales Kapital ab, die Kontrolle liegt ausserhalb des Einflussbereichs der regionalen Akteure. Eine effizientere Energieverwendung und die dezentrale Versorgung auf der Basis von erneuerbaren Quellen können diese Nachteile beseitigen. Gestärkte Identität: Der Aufbau einer energieautarken Region setzt einen breiten Konsens der beteiligten Akteure voraus. Das gemeinsame Engagement verbindet und stärkt die sozialen Netze. Man kann sich als fortschrittliche und umweltbewusste Region präsentieren und eine Vorreiter- und Vorbildfunktion einnehmen. Eine positive Innensicht und ein Image als innovativer Standort fördern den Zusammenhalt und die Identifizierung mit der Region.

Der Weg in die Energiezukunft ist ein Prozess

Energieregionen planen ihre Zukunft langfristig. Die zugrunde liegenden Konzepte sind oft innovativ und vielversprechend, aber auch noch vergleichsweise jung. Mit anderen Worten: Es gibt kaum Erfahrungswerte und keine allgemein gültigen Vorgehensweisen. Häufig geht man nach dem Motto «Versuch und Irrtum» vor, im Wissen, dass der Weg in die Energie­autarkie ein Prozess ist. In jüngster Zeit haben sich einige Erfolgsfaktoren herauskristallisiert, die eine solche Entwicklung begünstigen.[4] Dazu zählen unter anderem: – Eine überzeugende Vision, mit der man die ganze Bevölkerung ansprechen und «Wir-Gefühle» auslösen kann. – Ein klares Umsetzungskonzept mit realistischen Zielen. Wichtig ist, dass erste Resultate schnell sicht- und erlebbar werden. – Engagierte Persönlichkeiten, die den Prozess tragen und vorantreiben. – Gute Teams, die ihre Aufgaben verantwortlich erledigen. – Eine langfristig gesicherte Finanzierung. Ein Anschub durch staatliche Fördermittel ist sehr hilfreich. Mittelfristig sollte jedoch darauf geachtet werden, dass möglichst viel Kapital in der Region mobilisiert werden kann.

In Regionen, die sich auf den Weg in die Energieselbständigkeit machen, schlummert viel ökonomisches Potenzial. Dieses gilt es auszuschöpfen. Die regionalwirtschaftlichen Effekte müssen detailliert ausgearbeitet werden. Von einfachen Annahmen und allzu optimistischen Hochrechnungen ist jedoch abzuraten: Schliesslich sollen berechtigte Hoffnungen und ­keine übertriebenen Erwartungen geweckt werden.

Dem Artikel liegt der 2010 erschienene CIPRA-Hintergrundbericht «Energieautarke Regionen» zugrunde, der auch elektronisch zur Verfügung steht: www.cipra.org/de/cc.alps/ergebnisse/compacts


Anmerkungen:
[01] Die Stadt Güssing erzeugt über eine Holzvergasungsanlage Strom und Wärme. Bereits 2005 stellte man aus nachwachsenden Rohstoffen bedeutend mehr Wärme und Strom bereit, als die Stadt benötigte. Informationen: www.guessing.at, www.eee-info.net
[02] Die Insel Samsø ist dank Windkraftanlagen, einem Sonnenkraftwerk und Biogasanlagen weitgehend energieunabhängig und kann sogar einen beträchtlichen Teil des erzeugten Stroms exportieren.
[03] Tischer, M. et al.: Auf dem Weg zur 100 % Region – Handbuch für eine nachhaltige Energieversorgung von Regionen. 4. Auflage, München, 2009, Seite 51
[04] Neges, B. & Schauer, K.: Energieregionen der Zukunft – erfolgreich vernetzen und entwickeln. Graz, 2007; Kompetenznetzwerk Dezentrale Energietechnologien (Hrsg.): Kompass für die Entwicklung nachhaltiger 100 %-Erneuerbare- Energie-Regionen. Kassel, 2010

TEC21, Mo., 2012.04.09

09. April 2012 Bruno Abegg

Energietäler im Aufwind

Immer mehr Regionen wollen ihre Energiezukunft selbst gestalten und den Anteil der einheimischen und erneuerbaren Energien markant steigern. Auch in der Schweiz gibt es Beispiele. Zum einen möchte man einen Beitrag zur Lösung der Energieprobleme leisten und zum anderen soll in der Bevölkerung eine Dynamik für innovative Energieprojekte ausgelöst werden, was sich positiv auf die regionale Wirtschaft auswirkt.

In Deutschland und Österreich erleben Initiativen zur Gründung von Energieregionen schon seit einiger Zeit einen Boom. Es handelt sich dabei um den Versuch, die viel beschworene Energiewende auf regionaler Ebene umzusetzen. Und wie sieht es in der Schweiz aus? Auf Gemeindeebene ist das «Energiestadt-Label» recht gut verankert. Aktuell leben 3.6  Mio. Menschen in 276 Energiestädten, das sind fast 49 % der Schweizer Bevölkerung.[1] Das Label läuft unter dem Programm EnergieSchweiz für Gemeinden – und dieses Programm hat eben eine neue Webseite aufgeschaltet, die sich an Regionen richtet, die sich zu einer sogenannten Energieregion entwickeln möchten. Zur Verfügung steht unter anderem ein Online-Werkzeug, das den interessierten Regionen hilft, einerseits die eigene Situation bezüglich Energie zu erfassen und andererseits das Potenzial für Energieeffizienz und erneuerbare Energien abzuschätzen (vgl. Kasten). Dieses neue Angebot von EnergieSchweiz lässt vermuten, dass in der Zwischenzeit auch in der Schweiz einiges in Bewegung gekommen ist. Und tatsächlich gibt es einige Pionierregionen, die sich bereits vor einigen Jahren auf den Weg in eine neue Energiezukunft gemacht haben.

Neue Perspektiven im Goms

Zum Beispiel das Goms im Wallis. Die Idee, ein Projekt zu den regionalen Energieressourcen zu ­lancieren, sei zusammen mit einem Kollegen auf einer Zugfahrt von Zürich ins Goms entstanden, erzählt Projektinitiator Dionys Hallenbarter, der im Goms aufgewachsen ist und heute abwechselnd an zwei ­Orten lebt, nämlich in Zürich und in Münster. Der Startschuss für die Energieregion fiel vor fünf Jahren, als man sich für ein Modellvorhaben «Synergien im ländlichen Raum» des Bundesamtes für Raumentwicklung (ARE) beworben hatte. «Die vom Bund hätten gesagt, der Kanton müsse mitmachen», erinnert sich Hallenbarter. Der Kanton befand, das sei eine gute Idee, aber die Gemeinden müssten mitmachen. Also mussten die Gemeinden überzeugt werden – keine leichte Aufgabe in einem Bergtal, in dem die kommunale Macht zu einem grossen Teil bei den Gemeindepräsidenten liegt. Doch die im Goms gut vernetzten Initianten konnten die Gemeinden über­zeugen, so dass die erste Energieregion der Schweizer Alpen lanciert werden konnte.[2]

Wenig produktive Diskussion um Energieautarkie

Zur Unterstützung der Aktivitäten der Energieregion Goms gründete Dionys Hallenbarter mit Gleichgesinnten den Verein unternehmenGOMS. «Am Anfang schwebte uns als Ziel eine autarke Bioenergieregion vor», sagt er. In der Folge hätten sie versucht, die Begriffe präzise zu definieren, was aber nicht gelungen sei. Weil es immer wieder zu Missverständnissen kam, verabschiedete man sich vom Begriff der Energie­autarkie. 5000 Menschen leben im Goms, und die Tourismusregion generiert eine Million Übernachtungen pro Jahr. Da müsse auch die Mobilität berücksichtigt werden, findet Hallenbarter. Das Goms sei keine Insel, und wolle auch keine sein. Deshalb spricht man heute einfach vom Goms, das sich auf dem Weg zur Energieregion befindet.

Die Perspektive einer Energieregion hat bereits viel bewirkt. Insbesondere geht die ausgelöste Dynamik über den engeren Energiebereich hinaus. Die Gemeinden würden besser zusammenarbeiten, sagt Hallenbarter. So etablierte sich etwa ein einziger grosser Forstbetrieb fürs ganze Goms, ein entscheidender Vorteil für die Belieferung von grossen Wärmenetzen, die mit Holzschnitzeln betrieben werden. Der Tourismus benötigt rund die Hälfte der Gesamtenergie im Tal. Deshalb haben Kooperationen mit dem Tourismus für Hallenbarter eine hohe Priorität. Sehr erfolgreich ist das Projekt Alpmobil[3]. Die Idee ist bestechend: Gäste und Einheimische können über ein Netzwerk von Ausleihstationen mit E-Autos und E-Bikes die Passlandschaften rund um den Gotthard erleben. Die Autos bieten Platz für zwei bis drei Personen, und die Batterien reichen rund 150 km. Zur Freude von Dionys Hallenbarter zieht das Projekt immer grössere Kreise und umfasst aktuell 13 Tourismusregionen in fünf Kantonen.

Damit Ideen Aussicht auf Erfolg haben, müssten sie logisch und einleuchtend sein sowie ein vorhandenes Bedürfnis abdecken, erläutert Dionys Hallenbarter. Anschliessend brauche es viel Ausdauer. Und die Finanzierung? «Das kommt erst später», sagt Hallenbarter. «Gute Projekte lassen sich in der Regel auch finanzieren.» Entscheidender sei es, die Leute grundsätzlich vom angestrebten Ziel zu überzeugen.

Der Toggenburger Weg

Ein zweites Beispiel ist das Energietal Toggenburg. Der 2009 gegründete Förderverein «energietal toggenburg» hat zwei Visionen: Das Toggenburg produziert bis 2034 so viel Energie aus erneuerbaren Quellen selber, wie es verbraucht. Die Mobilität wird grundsätzlich miteinbezogen, wobei Flugreisen der Menschen aus der Region mit dem Schweizer Durchschnitt erfasst werden. Und bis 2059 erreicht das Toggenburg die Ziele der 2000-Watt- beziehungsweise der 1-Tonne-CO2-Gesellschaft.[4] Die Arbeit des Vereins, der von einer Geschäftsstelle geführt wird, konzentriert sich einerseits auf die Förderung und Verbreitung von besseren Anlagen mit modernsten Techno­logien. Andererseits will der Verein bei den Menschen eine Begeisterung wecken, die notwendigen und sinnvollen Veränderungen anzugehen. Man will aufzeigen, dass ein verantwortungsvoller Umgang mit Energie nicht schmerzhaften Verzicht bedeuten muss, sondern eine Chance ist, das eigene Umfeld zu gestalten. Das Motto lautet denn auch «energietal toggenburg – das sind wir». Laut Peter Donatsch, der bei der Geschäftsstelle für die Kommunikation zuständig ist, ist seit dem Bestehen des Vereins eine neue Kultur bezüglich dem Thema Energie entstanden – ein Klima, das offen sei für Themen wie erneuerbare Energien, dezentrale Stromproduktion und nachhaltiges Wirtschaften. Der im Toggenburg eingeschlagene Weg strahle bereits weit über die Region hinaus, sagt Donatsch.

Mit Sonnenkollektoren-Aktion gestartet

Die erste grosse Publikums-Aktion des Fördervereins Energietal Toggenburg war das Projekt «Heisswasser vom Dach». Ziel war es, die Bevölkerung über Solarkollektoren zu informieren und interessierte Personen bei Planung und Bau von Anlagen zu unterstützen. Zwischen Januar 2010 und Juni 2011 entstanden in der Region etwa 180 thermische Solaranlagen zur Wasseraufbereitung und Heizungsunterstützung. Nach Angaben des Fördervereins entspricht das einer Verminderung des CO2-Ausstosses um 335 t pro Jahr. Den grössten Teil dieser Anlagen installierte das einheimische Gewerbe, was eine geschätzte Wertschöpfung von über 1.5 Mio. Fr. im Tal bewirkte. Der Förderverein organisierte zusammen mit Fachleuten 24 Informationsveranstaltungen in den Gemeinden, beriet und unterstützte interessierte ­Eigentümer bei Planung, Offerte und Abwicklung und half bei Baugesuchen und Förder­anträgen. Rund ein Drittel der Bevölkerung schätzt und benötigt die Hilfe einer neutralen Beratung und Begleitung. Und man kam im Toggenburg zu einer weiteren Erkenntnis: Nachdem die Informationsoffensive und das Projekt abgeschlossen waren, flachte das Interesse umgehend wieder ab. Das jüngste Projekt, das eben lanciert wurde, heisst StromSparTour. Angestrebt wird dabei, dass alte, unwirtschaftliche Haustechnikanlagen durch neue, stromsparende Geräte ersetzt werden. Der Anreiz dafür sind Förderbeiträge bis zu 1000 Fr., unter anderem für eine Beratung bei der Haustechnik, den Einbau von Fernsteuerungen für Elektroheizungen in Ferienwohnungen, den Ersatz von Heizungs-Umwälzpumpen durch Pumpen der A-Klasse sowie den Ersatz von Elektroboiler durch Wärmepumpenboiler oder den Anschluss an bestehende Heizsysteme wie Sonnenkollektoren, Wärmepumpen oder Fernwärme (der Ersatz der Elektroboiler wird gemeinsam mit dem Kanton St. Gallen durchgeführt und die Beiträge werden auch durch den Kanton ausgerichtet).

Holzenergie, Wasserkraft, Biogas, Windenergie und Fotovoltaik

Im Bereich der erneuerbaren Energien gehen einige Initiativen auf die Zeit vor der Gründung des Energietals zurück. Eine für Schweizer Verhältnisse recht grosse Dimension hat das ­Holzenergiezentrum Toggenburg in Nesslau (Abb. 2 und 3).[5] Als Brennstoff werden nur Holzschnitzel aus Wäldern und Sägereien der Region verwendet. Der Jahresbedarf beträgt rund 25000 Schnitzelkubikmeter. Die Schnitzelheizung mit Wärmekraftkoppelung hat eine Heizleistung von 4 MW und liefert jährlich rund 10000 MWh Wärme und 2400 MWh Strom; der erzeugte Strom deckt den Bedarf von 550 bis 600 Haushalten. Der Förderverein unterstützt auch einige bereits laufende Projekte. Dazu gehört eines zur Biogasgewinnung aus landwirtschaftlichen Reststoffen und Gastroabfällen. Dort liege noch ein grosses Potenzial brach, sagt Peter Donatsch. Windräder sieht man erst vereinzelt, ­während die Nutzung der Wasserkraft im Toggenburg Tradition hat (Abb. 1 und 5). Bei der Wasserkraft geht es einerseits um den Ausbau und die Modernisierung bestehender Kraftwerke und andererseits um die Reaktivierung stillgelegter Anlagen.

Grosse Hoffnungen setzt man in die Fotovoltaik. Mehrere Anlagen sind in den letzten Jahren installiert worden. So betreibt Peter Koller im Bergrestaurant Gamplüt am Fusse des Schafbergs bei Wildhaus eine Anlage mit einer Solarzellengesamtfläche von 400 m². Mit dem erzeugten Solarstrom wird unter anderem die Gondelbahn betrieben, deren Bergstation sich beim Restaurant befindet (Abb. 1, Seite 19). Sonnenkollektoren speisen einen Warmwasserspeicher von 7000 Liter. Koller möchte auch eine kleine, zylinderförmige Windkraftanlage aufstellen; eine Bewilligung dafür zu erhalten, hat sich jedoch als schwierig erwiesen.

Die grösste Fotovoltaikanlage des Toggenburgs (und eine der grössten der Ostschweiz) befindet sich auf dem Fabrikgebäude der Metallverarbeitungsfirma Högg in Wattwil (vgl. Titelbild). Die Solarzellenfläche beträgt 7163 m². Die Firma stellt das Dach zur Verfügung, betrieben wird die Anlage jedoch von Thomas Grob, Präsident des Fördervereins und Initiant des Energietals Toggenburg. Die Leistung der monokristallinen Solarzellen beträgt 1077 kWp[6], die erwartete Stromerzeugung 1.050000 kWh pro Jahr – das entspricht in etwa dem Verbrauch von 250 Haushalten.

Direkter Kontakt mit der Bevölkerung

Neben Sponsorenbeiträgen aus der regionalen Wirtschaft und kantonalen Unterstützungsbeiträgen erhält der Förderverein des Energietals Toggenburg von den 15 Gemeinden zwei Franken pro Einwohner. Alle Gemeinden hätten auch einen Energiebotschafter, sagt Peter Donatsch. Oft sei das der kommunale Bauchef, und zum Informationsaustausch treffe man sich drei Mal im Jahr. Seit der Gründung ist es auch gelungen, ein Netzwerk von ­Kooperationspartnern aufzubauen. Dieses umfasst beispielsweise auch die Toggenburger Raiffeisenbanken, die für Umbauten und Sanierungen mit dem Ziel, die energetische Effi­zienz zu verbessern, eine Energietal-Hypothek zu speziell günstigen Konditionen anbieten.

Wattwil und Kirchberg haben über 5000 Einwohner. Aufgrund des kantonalen Energiegesetzes sind die beiden Gemeinden deshalb verpflichtet, ein Energiekonzept zu entwickeln. Wattwil hat bereits ein solches im Rahmen des Energiestadtlabels erarbeitet, während Kirchberg aktuell daran ist. Im Rahmen des Energietales ist es nun das Ziel, ein Energiekonzept zu erarbeiten, das alle Gemeinden des Toggenburges umfasst. Dies würde die Möglichkeit bieten, die Vision des Energietals auf die einzelnen Gemeinden herunterzubrechen. In einem solchen Konzept würde der aktuelle Zustand erhoben und darauf basierend Ziele sowie konkrete Masnahmen festgelegt, wie diese erreicht werden können.

Um die Ziele des Energietals bekannt zu machen, ist ein direkter Kontakt zur Bevölkerung entscheidend. Einen Beitrag dazu leistet die Energieakademie Toggenburg, in deren ­Rahmen unter anderem die Fachausbildungen zum Solarteur und Energiemanager ange­boten werden (vgl. Kasten). Dahinter steckt die Absicht, dass die neuen Anlagen von ein­heimischen Handwerkern gebaut werden – damit Know-how und Wertschöpfung im Tal bleiben.

Oil of Emmental

Im Emmental setzt man ähnlich wie im Toggenburg auf verschiedene Energiequellen. Angefangen hat es zwar – aufgrund des Waldreichtums naheliegend – mit der Holzenergie, dem «Öl» der Region.[7] Doch seit das Emmental sich zu einer Energieregion entwickeln will, konzentriert man sich vor allem auf Solarenergie, Erdwärme, Biomasse und Kleinwasserkraft. Im Rahmen des Projektes «Strom von hier» wird etwa Ökostrom aus erneuerbaren Energiequellen des Emmentals angeboten.[8] Aktuell beträgt die Abhängigkeit von Energieimporten rund 90 %. Nach Angaben der Initianten könnte das Emmental 80 % seines Energiebedarfs aus einheimischen Ressourcen decken. Damit würden jährlich 200 Mio. Fr. im Emmental bleiben, die heute für Importe von Öl, Gas und Strom ausgegeben werden.

Betrachtet man das Emmental sowie die Beispiele im Toggenburg und Goms, so fällt auf, dass es sich um ländliche Regionen handelt. Beim Goms kommt das Handicap einer abgelegenen Region hinzu. Verbindendes Element ist die Idee, sparsamer mit den Energieressourcen umzugehen und einen hohen Selbstversorgungsgrad zu erreichen, aber auch, neue Perspektiven zu eröffnen, sodass die Region für die ansässige Bevölkerung attraktiver wird.

Regionale Energieplanung im Knonauer Amt

Es gibt jedoch bereits auch Initiativen für Energieregionen in den Agglomerationen, etwa im zürcherischen Knonauer Amt.[9] Über die Förderung der Energieeffizienz und der Energieproduktion in der Region möchten die Initianten das Knonauer Amt zur möglichst energieautarken Region machen, wobei der Verkehr davon ausgenommen ist. Der Vorschlag dafür kam aus der FDP des Bezirks Affoltern. Vor kurzem haben alle Gemeinden im Knonauer Amt einer regionalen Energieplanung zugestimmt. Die einzelnen Gemeinden kommen so deutlich günstiger zu einer umfassenden Energieplanung, als wenn sie eine solche im Alleingang durchgeführt hätten. Ein Vorteil ist auch, dass für planerische Fragen in der Region mit der Zürcher Planungsgruppe Knonauer Amt bereits eine institutionaliserte Zusammenarbeit besteht (siehe auch «Säuliamt unter Druck», TEC21 21/2010).

Während etwa in der Raumplanung oder bei der Abwasserinfrastruktur die Zusammenarbeit auf regionaler Ebene schon länger praktiziert wird, stehen wir bei der Energie erst am Anfang. Die Beispiele lassen drei Schlussfolgerungen zu. Erstens bietet die Ebene der Region einen überblickbaren Rahmen für Energieprojekte. Die Gemeinden sind für bestimmte Aufgaben zu klein. Das zeigt sich etwa bei der Nutzung der Holzenergie mit Wärmeverbünden und Wärmekraftkopplung. Auf regionaler Ebene ist man jedoch immer noch relativ nahe bei den Menschen – ein wichtiger Aspekt, wenn man diese in die Projekte einbeziehen möchte. Zweitens wird deutlich, dass der Energiebedarf künftig vermutlich durch verschiedene ­erneuerbare Quellen gedeckt werden wird. Viele kleine Beiträge ergeben dabei eine insgesamt bedeutende Summe. Nicht alle Energien haben das gleiche Potenzial; immer deut­licher zeichnet sich die wichtige Rolle der Fotovoltaik ab. Und drittens: Die zahlreichen Energieinitiativen in verschiedenen Schweizer Regionen stimmen zuversichtlich. Auch wenn es eine Herkulesaufgabe bleibt, die angestrebte Energiewende kann gelingen.


Anmerkungen:
[01] Siehe auch www.energiestadt.ch
[02] Informationen zur Energieregion Goms: www.energieregiongoms.ch
[03] Informationen zum Projekt Alpmobil: www.alpmobil.ch
[04] Informationen zum Energietal Toggenburg: www.energietal-toggenburg.ch
[05] Informationen zum Holzenergiezentrum Toggenburg: www.holzenergiezentrum-toggenburg.ch
[06] Der kWp-Wert (Kilowatt-Peak) beschreibt die optimale Leistung einer Fotovoltaikanlage unter standardisierten Testbedingungen.
[07] Informationen zur Energieregion Emmental: www.oil-of-emmental.ch
[08] Siehe auch www.stromvonhier.ch
[09] Informationen zur Energieregion Knonauer Amt: www.energieregion-knonaueramt.ch

TEC21, Mo., 2012.04.09

09. April 2012 Lukas Denzler

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