Editorial
Die Macht des Eigentums hält alles zusammen: die Gesellschaft, den Staat, die Staatengemeinschaft. Doch das Knirschen im Gebälk ist nicht mehr zu überhören. Im Wochentakt werden irgendwo an grossen Sitzungstischen Rettungspakete verabschiedet; die Summen, um die es da geht, sind zu hoch und abstrakt, als dass man sich noch etwas darunter vorstellen könnte. Ist das noch jene Marktwirtschaft, von der es einmal hiess, sie sei die Organisationsform mit der effizientesten Ressourcen-Allokation? Vielleicht ist aber gerade die Effizienz, beziehungsweise der Profit das Problem – nicht grundsätzlich, aber strukturell. Wer sich umschaut, stellt mit zunehmendem Unbehagen fest, dass es kaum noch Bereiche gibt, die nicht vom Streben nach Profit erfasst sind. Der Eindruck mag stimmen, und doch ist er nicht ganz richtig. Die jahrhundertealte Idee der Allmende erlebt gerade eine Renaissance, nicht direkt aufgrund der seit nunmehr bald vier Jahren schwelenden Geldkrise, aber durchaus in deren Windschatten.
In der Schweiz ist die Allmende wohlbekannt und selbst im 21. Jahrhundert nicht verschwunden. Obwohl heute in der Forschung vermehrt der englische Begriff «Commons» verwendet wird, bleibt der Grundgedanke mit dem gemeinsamen Eigentum verbunden, darüber hinaus auch mit der gemeinsamen Nutzung des Bodens, der Wasserquelle oder des Gebäudes. Und doch sind Commons wesentlich mehr als nur eine bestimmte Form von Besitz und Eigentum. Silke Helfrich, die im einleitenden Beitrag dieses Hefts die Komplexität der Commons anschaulich und systematisch erklärt, beschreibt «commoning» als kommunikativen sozialen Prozess, der sich im Unterschied zwischen einem Kochrezept und einem gelungenen Abendessen mit Gästen erhelle. Commons beschränken sich auch keineswegs nur auf Grund und Boden, sondern erfassen insbesondere die scheinbar virtuelle Welt des Internets, das ganz stark auf dem Konzept des Gemeinsamen und des Teilens beruht.
Georg Franck nimmt in seinem Plädoyer für eine «Architektur in Gesellschaft» die Bedingungen der Open Source Softwareproduktion gar als Vorbild: Autorenschaft müsste dann neu ausgehandelt werden, da sie kollektiv erfolgt und das Wissen jeweils an den Nächsten weitergegeben wird. Ganz so weit ist die Architektur zwar noch nicht, trotzdem zeigen wir konkrete Beispiele, an denen verschiedene Aspekte der Commons-Idee verwirklicht wurden. Beim Wohnhaus für Studierende von Charles Pictet in Genf etwa wurde die Fassade von der Loterie romande mitfinanziert, sie ist also sozusagen ein Produkt der Kulturföderung. Im «KraftWerk 2» in Zürich-Höngg hingegen sind die Commons in den Wohnungsgrundrissen zu finden: Adrian Streich leistet dort einen bemerkenswerten Beitrag zur Entwicklung des Cluster-Typs, einer Grosswohnung, in der das Private und Gemeinsame räumlich neu geordnet werden. Das Thema der Commons liegt in der Luft, das zeigt nicht zuletzt auch die diesjährige Architekturbiennale in Venedig, die der Direktor David Chipperfield unter das Motto «Common Ground» stellt.