Editorial

Der Pianist und Dirigent Daniel Barenboim hat unlängst das Phänomen der Akustik auf den ebenso einfachen wie fundamentalen Nenner gebracht, man könne zwar wegschauen, aber nicht weghören.[1] Umgekehrt gilt: Wird das Gehör unterbunden, teilt sich einem der Raum im wahrsten Sinn des Wortes nicht mit. Die ausfallende Wahrnehmung der von den Wänden reflektierten oder von ihnen «geschluckten» Schallwellen lässt einen förmlich im «luftleeren Raum schweben». Das hat eine durchaus wissenschaftliche Komponente. Im Gegensatz zum Licht, dessen Wellen sich auch im Vakuum bewegen, ist der Schall auf ein Medium angewiesen, um sich auszubreiten.

Wenn man nichts hört, gewinnt man deshalb den Eindruck, sich in einem Vakuum zu befinden. Aus diesem Grund bedurfte die Akustik erst der Erkenntnisse über die Ausbreitung von Gasen, um sich als wissenschaftliche Disziplin zu etablieren (vgl. «Schall und Rauch», S. 16).

Barenboim war es auch, der seinerzeit, als es um den Abbruch des Kunst- und Konzerthauses von Armin Meili zugunsten von Jean Nouvels KKL ging, prononciert die mangelnde akustische Qualität des Meili-Baus bezeugte. Es gab indes auch Stimmen, die diese Einschätzung nicht teilten – Indiz einerseits dafür, dass die Qualität der Akustik abhängig ist von der Art des Klangs, der in einem Raum ertönt. Andererseits ist es auch ein Hinweis darauf, dass sie über die messbaren Grössen hinaus eine subjektive Komponente hat.

Sie hat aber ausserdem eine visuelle Dimension. So wird die Form des grossen Konzertsaals im KKL mit dem Resonanzkörper eines Streichinstruments assoziiert. Das ist zwar ein schönes Bild, aber noch kein Gütesiegel für die Akustik. Deshalb verliess sich Nouvel hier ebenso wenig darauf, dass die Form den Klang ausmacht, wie beim spektakulär wie ein Flügel auskragenden Dach, dass es kraft seiner optischen Wirkung über dem Gebäude und dem See schwebt.

Hier wie da zog er Spezialisten bei – Akustiker und Bauingenieure.
Das ist nicht selbstverständlich («… Ohren, die nicht hören …»[2], S. 20) und hängt auch mit der Ausbildungssituation zusammen. Spezialisierte Akustiker sind in der Schweiz dünn gesät. Wir haben einige der Besten gewählt, um uns der Akustik in diesem Jahr in drei Heften zu widmen.

Rahel Hartmann Schweizer, Aldo Rota


Anmerkungen:
[01] Tages-Anzeiger Magazin, 13.–18. August 2011
[02] «Gott hat einen Geist der Verblendung über sie kommen lassen. Sie haben Augen, die nicht sehen, und Ohren, die nicht hören, und so ist es bis zum heutigen Tag.» 5. Mose 29.3

Inhalt

05 WETTBEWERBE
Zollanlage Brig-Glis

08 MAGAZIN
Edelrohbau in Arbon | Villa Tugendhat restauriert

16 SCHALL UND RAUCH
Martin Lachmann
Als wissenschaftliches Fachgebiet ist die Akustik eine vergleichsweise junge Disziplin. Während sich die Bauakustik auf dem Gebiet der Lärmbekämpfung indes etabliert hat, bedarf die Beherrschung von Nachhall, Absorption und Reflexion in der Raumakustik noch der Aufklärung.

20 … OHREN, DIE NICHT HÖREN …
Martin Lachmann
Wenn sich die Akustik in jedem Planungs- und Bauprozess gleichberechtigt mit den anderen Fachbereichen Gehör verschaffen könnte, wären damit Räume zu gewinnen, die nicht nur mit den Augen, sondern auch mit den Ohren erlebbar sind.

27 SIA
Zur Geschichte des SIA-Sekretariats

30 PRODUKTE

37 IMPRESSUM

38 VERANSTALTUNGEN

Schall und Rauch

«Sound, that noble accident of the air…»[1] – diese Umschreibung des Phänomens Klang, gibt einen Eindruck davon, wie «unbeschrieben» die wissenschaftliche Akustik noch im Barock war. Selbst die führenden Naturgelehrten wussten bis gegen das Ende des 19. Jahrhunderts wenig über die wissenschaftlichen Grundlagen der Entstehung und Ausbreitung von Schall, was ihm eine mysteriöse Aura verlieh. Auf dem Gebiet der Bauakustik – der Lärmbekämpfung – hat er diese inzwischen verloren. Die Raumakustik hingegen ist nach wie vor von einem Nebel umwoben. Dieser wird in diesem Beitrag gelüftet.

Die Akustik ist ein interdisziplinäres Fachgebiet, das auf Erkenntnissen aus zahlreichen anderen Fachgebieten aufbaut, unter anderen aus der Physik, der Psychologie, der Nachrichtentechnik und der Materialwissenschaft. Bevor also Joseph Louis Gay-Lussac (1778–1850) und John Dalton (1766–1844) nicht ihre Gesetze zum Verhalten von Gasen formuliert hatten, war z. B. eine exakte Berechnung der Schallgeschwindigkeit nicht möglich. Selbst Isaac Newton (1642–1726) «fälschte» 1713 seine Formel zur Berechnung der Schallgeschwindigkeit, indem er eine Konstante einfügte, die das Resultat erstaunlicherweise exakt mit den Werten der einige Jahre zuvor durchgeführten Feldmessungen der Royal Society in Übereinstimmung brachte.

Die Wissenschafter und Baumeister der Antike und des Mittelalters verfügten noch nicht über genaue Kenntnisse von den Eigenschaften des Schalls. Es existierten keine klaren Vorstellungen, geschweige denn Theorien davon, wie Schall entsteht oder sich ausbreitet. Man konnte also nur auf empirische Erkenntnisse zurückgreifen. Noch lange Zeit herrschte z. B. die Meinung vor, dass sich hohe Töne schneller ausbreiten als tiefe. Die Einsicht, dass die Schallgeschwindigkeit für alle Frequenzen gleich ist, ist relativ jung.

In dasselbe Kapitel gehört das Klischee der ausgezeichneten Akustik in griechischen Theatern oder in mittelalterlichen Kirchen, war doch die gute Sprachverständlichkeit in den antiken Theatern ein erfreuliches Nebenprodukt der optimalen Bauform im Hinblick auf die Zuschauerkapazität und den visuellen Kontakt des Publikums zur Szene (konzentrische, stark ansteigende Ränge, um möglichst viele Personen bei optimalen Sichtbedingungen nahe an die Szene heranzubringen).

In vielen Kirchen ist die Akustik (ausser für spezifische musikalische Werke) sogar oft ausgesprochen schlecht. Entsprechend bemühen sich ganze Heerscharen von Elektroakustikern, die Sprachverständlichkeit in Kirchen mit technischen Mitteln einigermassen zu gewährleisten. In den umfangreichen Kirchenaufzeichnungen über alle Epochen ist kein Hinweis zu finden, dass man zu irgendeinem Zeitpunkt die Akustik in Kirchen zu einem bestimmten (theologischen) Zweck «gestaltet» hätte.2 Die Akustik ist in vielen historischen Bauwerken, so spektakulär und beeindruckend sie oft sein mag, in vielen Fällen ein «Zufallsprodukt» des Baustils.

Von der Berechenbarkeit des Nachhalls …

Ein Meilenstein in der wissenschaftlichen Akustik – insbesondere der Raumakustik – waren die Arbeiten von Wallace Clement Sabine (1868–1919) im ausgehenden 19. Jahrhundert. 1895 veröffentlichte er eine Formel zur Berechnung der Nachhallzeit, einer der nach wie vor wichtigsten Kenngrössen der Raumakustik. Es dauerte aber weitere 30 Jahre, bis die wissenschaftliche Raumakustik Eingang in das praktische Bauwesen fand. Vor allem bekannte nordische Architekten der Moderne, allen voran Alvar Aalto und Vilhelm Lauritzen, beschäftigten sich intensiv mit den neuen Erkenntnissen und arbeiteten sie mit grossem Aufwand und Leidenschaft in ihre Bauten ein. Der schwedische Architekt Sven Markelius, ein enger Freund Aaltos, erwähnte in seinem berühmten Vortrag 1928 im finnischen Abo die neue Wissenschaft der Raumakustik sogar als exemplarisches Beispiel für die in der Moderne so bedeutende Verbindung von Form und Funktion.3 Das von ihm entworfene und 1932 eingeweihte Konzerthaus in Helsingborg wird denn auch bis heute für seine hervorragende Akustik gepriesen.

Die Entwicklung der wissenschaftlichen Akustik im 20. Jahrhundert war aber auch immer wieder von Rückschlägen geprägt, welche die Akzeptanz und Glaubwürdigkeit der noch jungen Wissenschaft in der Bauwelt ebenso wie in der Gesellschaft schwächten. So wurden immer wieder Konzertsäle entworfen, die sich als akustisch unbefriedigend herausstellten. In einigen Fällen schien es fast, als seien elementare Grundlagen der Raumgestaltung und der Akustik vergessen worden. Solche Diskontinuitäten in der Wissensentwicklung respektive in der Anwendung der Akustik im gebauten Raum sind selbst in der jüngeren Geschichte zu beobachten.

Problematisch waren vor allem Konzertsaalbauten in Amerika in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, wie das «Eastman Theatre» in New York (1923; Architekt: William G. Kaelber) oder die «Kleinhans Music Hall» in Buffalo (1938–1940; Architekt: Eliel Saarinen). Problem war unter anderem die Grösse der Säle; sie wurden für zu viele Zuhörer gebaut, was zu viel Absorption zur Folge hatte. Ein weiteres Problem war der fächerförmige Grundriss, der dazu führte, dass die Reflexionen von den Wänden alle an die Rückwand gelenkt und die zentral im Raum befindlichen Plätze mangelhaft mit Schallenergie versorgt wurden, weshalb sich kein «umhüllender» Klang für die Zuhörer einstellte. Positive Beispiele sind noch immer eher die Ausnahme als die Regel (vgl. TEC21, Nr. 22/2008, Nr. 27-28/2010 und «… Ohren, die nicht hören …», S. 20).

… zur Darstellbarkeit von Zeit, Frequenz und Amplitude

Dies ist umso erstaunlicher, als die wissenschaftliche Akustik ab Mitte der 1920er-Jahre im Zusammenwirken mit der sich im gleichen Zeitraum entwickelnden Elektronik und Audiotechnik rasche Fortschritte machte. Die Tonaufnahmetechnik ermöglichte erstmals die Trennung eines Klanges von seiner Quelle – ein revolutionärer Fortschritt. Insbesondere die in den 1940er- und 1950er-Jahren entwickelte Magnetbandtechnik ermöglichte erstmals das exakte Speichern von Schallereignissen und deren spätere Auswertung – eine wichtige Grundlage für akustische Messungen und das Verständnis der Akustik generell. Ein neues Zeitalter in der Entwicklung der akustischen Messtechnik brach Ende der 1970er- Jahre an, als in der Elektronik und Audiotechnik die Digitaltechnik Einzug hielt. Damit wurde es erstmals möglich, Schallsignale «verlustfrei» – d. h. ohne Störgeräusche wie z. B. Bandrauschen etc. – aufzuzeichnen und zu speichern. Die nun digitalisierten Signale konnten in Rechenmodelle eingespeist werden. Damit liess sich zum ersten Mal die Dreidimensionalität der akustischen Signale – entlang der Achsen Zeit, Frequenz und Amplitude – umfassend visualisieren. Die anschauliche Darstellung von grossen Datenmengen ist zentral für das Verständnis komplizierter physikalischer Vorgänge.

Objektive Parameter versus subjektiven Klangeindruck

Die Entwicklung der akustischen Messtechnik, gerade im raumakustischen Bereich, ist längst nicht abgeschlossen. Man versucht, neue, «objektiv» messbare Parameter zu finden, die – zusammen mit den bereits bekannten Kenngrössen – den subjektiven Klangeindruck in Räumen möglichst gut abbilden sollen. Denn dies ist der Kern der Akustik: Sie besteht nur zur Hälfte aus objektiver Physik – der andere Teil ist der subjektive Höreindruck. Die Qualität eines akustischen Ereignisses, sei dies nun Raumklang oder Umgebungslärm, wird von jeder Person individuell aufgrund persönlicher Erfahrungen, Vorlieben etc. beurteilt und entzieht sich grundsätzlich einer objektiven Bewertung. Die Akustik rückt damit in die Nähe von gestaltenden Disziplinen wie der Architektur oder dem Produktdesign. In allen diesen Bereichen ergibt sich die Qualität eines Werks aus einer Mischung von funktional- objektiven und gestalterisch-subjektiven Aspekten. Das bedeutet, dass sich Akustiker bei ihrer Arbeit nicht allein auf physikalisches Wissen stützen können. Vielmehr müssen sie sich den noch nicht gebauten Raum hörend vorstellen können – wie es Architekten auf der visuellen Ebene tun.

TEC21, Fr., 2012.03.09

09. März 2012 Martin Lachmann

… Ohren, die nicht hören …

«As conscious beings, our perceptions are ours alone!»[1] Die Beurteilung von akustischen Situationen, sei es von Klang in der Raumakustik oder von Störung durch Lärm in der Bauakustik, ist immer subjektiv. Dies mag ein Grund dafür sein, dass man dem Thema in der Architekturdiskussion ausweicht – es sei denn, die Akustik steht im Zentrum der Nutzung, wie bei Konzertsälen, Ausstellungsarchitekturen oder klangkünstlerischen Projekten (Abb. 2, 3 und 11).

Wenn sich die Akustik in jedem Planungs- und Bauprozess gleichberechtigt mit anderen Fachbereichen Gehör verschaffen könnte, wären Räume zu gewinnen, die mit den Augen und auch mit den Ohren erlebbar sind. Die Akustik ist heute eine etablierte technische Wissenschaft. Das bedeutet aber nicht, dass sie alle Phänomene verstanden hätte. Die wichtigsten Knackpunkte sind das Verhältnis zwischen objektiver Messung und subjektiver Wahrnehmung, die geometrische Massstabsfrage, die Komplexität des Schallfeldes und der Mangel an Materialkennwerten. Die Qualität von akustischen Planungen und Werken kann nur beschränkt gemessen – und damit überprüft – werden.

Die geometrische Massstabsfrage ist eine Folge der Wellenlänge: Während die Wellenlängen des Lichts im Verhältnis zu unserer Umgebung klein sind (auch beim langwelligsten Licht liegt die Wellenlänge unter einem Millionstel Meter), umfasst die Wellenlänge des hörbaren Schalls den Bereich von ca. 17 Meter bis 1.7 Zentimeter – liegt also in den Dimensionen unseres Umfelds (Abb. 7). Entsprechend wird der Schall von der gebauten Umgebung anders beeinflusst als das Licht. Hinter einer Säule steht man im Konzertsaal immer im Schatten – egal, ob es sich um weisses, rotes oder grünes Licht handelt. Tieffrequente Töne (Bässe) hingegen hört man auch hinter der Säule, denn sie beugen sich darum herum, hochfrequente hingegen dringen kaum mehr ans Ohr, weil sie abgeschattet werden (Abb. 8).

Je nach Tonhöhe wird der Schall an grossen Objekten reflektiert, an mittleren gebeugt oder gestreut und passiert kleine Objekte teilweise ungehindert (Abb. 9 und 10). Daraus lässt sich erahnen, wie komplex sich das dreidimensionale Schallfeld gestaltet (Abb. 13). Ginge es nur um eine Frequenz, wäre es einfach, den akustisch idealen Raum zu entwerfen. Neben dieser grossmassstäblichen Wechselwirkung zwischen Schall und Bauwerk besteht auch eine kleinmassstäbliche Wechselwirkung zwischen den Schallwellen und der Oberfläche von Baustoffen. Entscheidend ist das Verhältnis zwischen der Unebenheit der Oberfläche (poliert, geriffelt, genoppt) und der Wellenlänge des auftreffenden Schalls. Entspricht die Unebenheit etwa der Wellenlänge, wird der Schall gestreut, andernfalls wird er reflektiert.

Grenzen der Simulation

Das führt dazu, dass für akustische Berechnungen oft mehr als ein theoretisches Modell nötig ist, um der Ausbreitung des Schalls bei verschiedenen Frequenzen Rechnung zu tragen. Wegen der Komplexität des Schallfeldes wird in der Akustikplanung trotz fortgeschrittener Computersimulation immer noch relativ oft mit Massstabmodellen gearbeitet ( gemessen).

Hier besteht eine Parallele zur Architektur, wo trotz fotorealistischer Computervisualisierung der Modellbau nach wie vor differenziertere Eindrücke bieten kann und darum auch weiterhin angewendet wird. In der Akustik zeigt sich das Problem von Simulationsprogrammen deutlich. Gerade weil auch hochentwickelte Software immer nur einen Ausschnitt des Problems beleuchten kann, spielt die Erfahrung beim Einspeisen der Daten in die Software und beim Beurteilen und Interpretieren der Resultate eine zentrale Rolle. Ist diese Erfahrung bei den Anwendern der Software nicht gegeben, werden auch unrealistische Ergebnisse für bare Münze genommen. den Klang gest alten In der Raumakustik sind Form, Struktur und akustische Eigenschaften der Raumoberflächen in wesentlichem Mass verantwortlich für den resultierenden Klang im Raum. Die zeitgenössische Formensprache und ihre Materialisierung birgt zahlreiche raumakustische Problemfelder und erzeugt leider nur selten «automatisch» gute Raumakustik. Grund dafür ist die Verwendung von mehrheitlich «schallharten» (nicht absorbierenden) Materialien, grossen, unstrukturierten, orthogonalen Flächen und die starke Reduktion von klassischen textilen Elementen wie Teppichen, Polstermöbeln, Vorhängen usw. im Innenausbau.

Der im späten 19. Jahrhundert vorherrschende Architekturstil führte praktisch zufällig zur Entstehung einiger der weltbesten Konzertsäle. So ist beispielsweise die Tonhalle in Zürich entstanden, kurz bevor die wissenschaftliche Raumakustik überhaupt anfing zu existieren. Bis in die 1980er- Jahre «retteten» Architektur- und Einrichtungsstil die Akustik in vielen Wohnbauten. Von der Architektur wäre in Zusammenarbeit mit der Akustik ein bewusstes akustisches Entwerfen gefordert. Dabei ginge es in erster Linie um die akustische Gestaltung der einzelnen Räume in einem Bauwerk – ist doch die Akustik ein zentraler Faktor, ob ein Raum seiner gedachten Funktion gerecht wird. Das akustische Entwerfen sollte aber weiter gehen: Analog zu visuellen Abfolgen könnten und sollten akustische Abfolgen und Atmosphärenwechsel ein Gebäude strukturieren, es interessant und angenehm machen und auch so erhalten.

Da es keine allgemeingültige «gute» und «schlechte» Raumakustik gibt – Raumakustik ist immer dann gut, wenn sie dem Benutzungszweck und der Atmosphäre des Raums dienlich ist – lässt sich raumakustische Planung nicht in einfache Schwarz-Weiss-Schemata pressen.

Heute ist es durchaus möglich, Räume akustisch zuverlässig zu planen. Zuerst müssen die Akustiker aber die voraussichtliche Nutzung und die Bedürfnisse und Wünsche der Nutzerinnen und Nutzer der zu planenden Räume kennenlernen. Anschliessend ist es ihre Aufgabe diese verbal/subjektiven Beschreibungen unter Einbezug der gestalterischen Ansprüche in Akustikmassnahmen zu übersetzen. Einschlägige Normen und Empfehlungen liefern zwar Richtwerte und Empfehlungen für die raumakustische Auslegung von bestimmten Raumtypen, ersetzen aber die individuelle Planung nicht. Es ist unerlässlich, dass sich die Akustiker aus ihrer Erfahrung vorstellen können, wie ein Raum klingen wird. Davon ausgehend «formen» sie den gewünschten Raumklang, abgestimmt auf die Verwendung eines Raumes, was sich anhand der Nachhallzeit anschaulich darstellen und überprüfen lässt (Abb. 5 und 6).

Neue Akustikmaterialien und ihre Grenzen

Die im Bauwesen verwendeten Materialien besitzen sehr unterschiedliche akustische Eigenschaften. Es ist darum eine der Aufgaben der Akustiker, geeignete Materialien so zu kombinieren, dass sich das gewünschte Klangbild im Raum einstellt. Ein Material mit idealen akustischen Eigenschaften für alle Anwendungen existiert nicht und ist auch – wie aus den physikalischen Gundlagen hervorgeht – nicht zu erwarten. Doch die Werkstofftechnologie entwickelt sich erfreulicherweise sehr dynamisch. So steht der Akustik heute eine grosse Palette von Materialien zur Verfügung, welche es ihr ermöglicht, auf viele Gestaltungswünsche der Architektur zu reagieren. Die Zeiten, in denen sich die Auswahl bei akustisch wirksamen Oberflächen auf gelochte Blechverkleidungen und Weichfaserplatten beschränkte, sind glücklicherweise vorbei.

Eine heute weitverbreitete neue Technologie für Akustikmaterialien ist die Mikroperforation. Dabei weist ein beliebiges hartes Plattenmaterial sehr viele feine Löcher mit einem Durchmesser im Sub-Millimeterbereich auf. Durch die Reibung der bewegten Luft in den Löchern wird Schallenergie in Wärme umgewandelt. Ein derart behandeltes Material hat schallabsorbierende Eigenschaften, ohne dass es zusätzlich mit herkömmlichen Absorbermaterialien hinterlegt werden muss.

Ausserdem sind die feinen Perforationen je nach Material meist unauffällig, sodass die Oberflächen optisch homogen wirken. Die akustische Notsanierung des ehemaligen Plenarsaals des deutschen Bundestags in Bonn mit mikroperforierten Glasbauteilen bedeutete 1993 den Durchbruch dieser in den 1980er-Jahren entwickelten Technologie. Aufgrund ihres physikalischen Prinzips absorbieren mikroperforierte Platten den Schall aber nur in einem relativ begrenzten Frequenzbereich. Sie müssen in der Regel mit anderen Materialien ergänzt werden, um die gewünschte Raumakustik zu erzeugen. Das bestätigt die Erfahrung, dass sich mit einem einzigen Material nicht alle akustischen Aufgaben zugleich lösen lassen.

Vorhänge und Filterplatten

Auch im Bereich der traditionellen Akustikmaterialien finden gegenwärtig interessante Entwicklungen statt. Bei Textilien wird beispielsweise intensiv daran gearbeitet, durch spezielle Webtechniken, die sich nur mit den modernsten Maschinen realisieren lassen, den Strömungswiderstand von Geweben zu optimieren. Denn ein poröses Material kann den Schall nur wirkungsvoll absorbieren, wenn sein Strömungswiderstand in einem definierten Idealbereich liegt. Ein aktuelles Beispiel für die innovative Nutzung dieses Prinzips sind optisch transparente Akustikvorhänge mit guter akustischer Absorption.[2]

Weitere neue Akustikmaterialien mit absorbierenden Eigenschaften sind metallische Produkte, die auf Umwegen aus anderen Bereichen der Industrie Eingang in den Bereich der Akustik gefunden haben. So werden beispielsweise in der Verfahrenstechnik metallische Filtergewebe verwendet, deren Maschen so fein sind, dass sich ein für die akustische Absorption günstiger Strömungswiderstand einstellt. Eine ähnliche Wirkung haben dünne Platten aus Sintermetall (zusammengebackene kleine Metallpartikel). Damit sind heute auch homogene metallische Flächen mit schallabsorbierender Wirkung realisierbar.

Schall zerstreuen, Schall messen, Schall gestalten

Neben der «Vernichtung» des Schalls mittels Schallabsorption (Abb. 12) ist dessen Lenkung oder Streuung (Diffusion) ein ebenso wichtiges akustisches Werkzeug. Aus diesem Bereich stammt eine der bedeutendsten akustischen Entwicklungen der jüngeren Vergangenheit: In den 1970er-Jahren legte der deutsche Physiker Manfred Schröder die zahlentheoretischen Grundlagen für den Bau von hochwirksamen schallstreuenden Strukturen, die seither als «Schröder-Diffusoren» in vielen Konzertsälen den Schall gleichmässiger verteilen und dadurch eine bessere Verständlichkeit ermöglichen (Abb. 4).

Leider fehlen in der Akustik auch heute noch vielfach verlässliche Materialdaten als Grundlage für akustische Berechnungen und Simulationen. Akustiklabors wie jenes der Empa in Dübendorf (Abb. 1), in denen Messungen an Materialien unter normgerechten Bedingungen durchgeführt werden können, sind darum für die Akustik sehr wichtig. Sie bieten oft die einzige Möglichkeit, über Messungen an konkreten Materialmustern verlässliche Daten für den akustischen Planungsprozess zu erhalten.

Trotz verschiedenen technischen, finanziellen und organisatorischen Hürden ist es heute für ein erfahrenes Team aus Architektinnen und Akustikern möglich, die Akustik in einem Gebäude – über den rein funktionalen Aspekt hinaus – zu gestalten. Während sich im Aussen- raum die Begriffe und Konzepte von «Soundscape», «Klangökologie» und «Klanggestaltung » langsam auf breiter Front durchsetzen, ist ein solches Verständnis für Innenräume leider noch nicht erkennbar – dabei könnten die subtilen akustischen Verläufe im Innenraum ebenfalls als «Soundscape» begriffen werden. Je früher die Diskussion über akustische Konzepte an einem Bauwerk ansetzt, desto grösser ist die Chance, die visuelle und die akustische Gestaltung zu einem harmonischen Ganzen verbinden zu können.


Anmerkungen:
[01] Lerman, P. D. Do You Hear What I Hear? Learning to Listen in a Mediated World. MIX Magazine, 2005, June 1
[02] Diese insbesondere für die Ausstattung von Büroräumen attraktiven Neuentwicklungen werden voraussichtlich in einem der folgenden TEC21-Hefte noch detailliert beschrieben

TEC21, Fr., 2012.03.09

09. März 2012 Martin Lachmann

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