Editorial

Ganz im Westen der Ukraine, in Transkarpatien, befindet sich der grösste Buchenurwald Europas. Während soeben fünf alte deutsche Buchenwälder zum Unesco-Weltnaturerbe erklärt wurden haben die Buchenurwälder in den ukrainischen und den slowakischen Karpaten diesen exklusiven Status bereits 2007 erlangt.

Wenn man die ukrainischen Karpaten besucht, so sticht der Waldreichtum ins Auge. Und der Wald prägt das Leben der Menschen in den Karpaten. Auf den zweiten Blick stellt man erstaunt fest, dass sich in Transkarpatien viele Schweizer engagieren. Vielleicht fasziniert hierzulande die Mentalität eines Bergvolkes, das immer wieder den Grossmächten zu trotzen versuchte – vor noch nicht langer Zeit dem Sowjetsystem und möglicherweise je länger, je mehr auch den gegenwärtigen Machthabern in Kiew. Respekt verdient zweifellos der Überlebenswille der Menschen in den abgelegenen Bergtälern, die in letzter Zeit von schweren Überschwemmungen heimgesucht wurden.

Als Kontrast zum rauen Gebirgsklima versprühen die vorgelagerten kleinen Städte am Rande der ungarischen Tiefebene fast schon mediterranes Flair. Und tatsächlich gab es früher Verbindungen nach Westen und nach Süden. Der bekannte Schriftsteller Juri Andruchowytsch, der in Iwano-Frankiwsk in den ukrainischen Karpaten lebt und noch bis Ende Juli dank einem Atelierstipendium in der Schweiz weilt, schrieb in einem Essay 2003, dass man zu Zeiten der österreichisch-ungarischen Monarchie von seiner Heimat aus bis nach Venedig visumfrei reisen konnte. Heute hingegen findet die Durchlässigkeit im neuen Europa an der ukrainischen Grenze ein abruptes Ende.

In den letzten Jahren hat sich die Schweiz in Transkarpatien unter anderem im Rahmen eines Forstentwicklungsprojektes engagiert. Nach schwierigem Anfang hat sich eine fruchtbare Zusammenarbeit entwickelt. Besondere Beachtung fanden dabei die Bedürfnisse der lokalen Bevölkerung. So könnte ein grüner Tourismus künftig zu einer bedeutenden Einkommensquelle der ländlichen Bevölkerung werden. Die Buchenurwälder, heute noch ein Geheimtipp, dürften dabei eine wichtige Rolle spielen («Gelungene Kooperation»).

Die Region hat nicht nur Naturschätze zu bieten. Erstaunlich wenig bekannt sind etwa die zahlreichen Holzkirchen. Andrij Kutnyi hat in seiner Dissertation an der Universität Bamberg die Vielfalt dieser teilweise sehr alten Bauwerke untersucht und dokumentiert. Seine sehr umfangreichen Forschungsergebnisse sind als Buch veröffentlicht. Der Autor hat für uns die engen Bindungen zwischen Wald und Kirchenbau kurz zusammengefasst («Kirchen aus Holz»).

Die Erhaltung der ukrainischen Buchenurwälder scheint gesichert. Damit aber auch künftige Generationen Holzkirchen bewundern können, dafür bedarf es noch einiger Anstrengungen und innovativer Konzepte.
Lukas Denzler

Inhalt

05 WETTBEWERBE
Wettbewerb Laubholz 2011

12 MAGAZIN
Renaissance der Karpatenbahn im Jura | 75 Jahre Wasserforschung an der Eawag

20 GELUNGENE KOOPERATION
Lukas Denzler
Die Schweiz engagiert sich in den ukrainischen Karpaten im Rahmen von verschiedenen Kooperationsprojekten. Im Zentrum stehen dabei die Waldwirtschaft, der Aufbau eines grünen Tourismus sowie die Erforschung der Buchenurwälder.

26 KIRCHEN AUS HOLZ
Andrij Kutnyi
In den ukrainischen Karpaten gibt es noch zahlreiche Holzkirchen, deren Baugeschichte bislang weitgehend unbekannt war. Die Forschungen des Autors dokumentieren den Bestand und offenbaren interessante Details der Konstruktionen.

31 SIA
Unternehmensführung kultivieren | WEC2011: «Aufruf von Genf» | Leadership in Gebäudeerneuerung | ZNO-Sitzung: intensive Diskussionen

34 PRODUKTE

45 IMPRESSUM

46 VERANSTALTUNGEN

Gelungene Kooperation

Die Karpaten erstrecken sich über sieben mittel- und osteuropäische Länder. Der am stärksten bewaldete Teil des Gebirgszugs liegt mit den Waldkarpaten in der Ukraine. In den letzten Jahren konnten in dieser Region zahlreiche schweizerisch-ukrainische Kooperationsprojekte realisiert werden – etwa zur Erforschung der letzten grossen Buchenurwälder Europas oder im Rahmen eines von der Schweiz finanzierten Forstentwicklungsprojektes.

«In den östlichen, beinahe ausschliesslich mit Wäldern und Forsten bedeckten Karpaten, tief im Gebirge, findet man noch echte Urwälder, welche ihre Unzugänglichkeit und besonders das Fehlen geeigneter wilder Flosswässer vor den Angriffen des Menschen schützten und bis auf unsere Tage bewahrten. Durch Wälder, die schon mehr oder weniger forstmässig genutzt wurden, gelangt man allmählich in eine Wildnis, die wirklich ergreifend ist.»

Diese Zeilen stammen aus dem «Kronprinzenwerk», das die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild beschreibt.[1] Kronprinz Rudolf von Österreich hat dieses mehrbändige Werk, das zwischen 1885 und 1902 erschienen ist, angeregt und teilweise auch selber verfasst. Ganz offensichtlich haben die Berge der östlichen Provinzen des Habsburgerreiches und insbesondere die Urwälder beim Kronprinzen und seinen Helfern einen tiefen Eindruck hinterlassen. Doch wie sieht es heute, nach mehr als 100 Jahren, aus? Um es vorwegzunehmen: In den Karpaten befinden sich die grössten europäischen Urwälder ausserhalb Russlands. Und ihre Schönheit und Harmonie beeindrucken nach wie vor.

Vielfältige Naturschätze

Neben den Alpen sind die Karpaten das bedeutendste Gebirgssystem in Mitteleuropa. Sie bilden einen 1300 km langen und 100 bis 350 km breiten, nach Südwesten offenen Bogen. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs dauerte es einige Jahre, bis die Westeuropäer die vielfältigen Naturschätze der Karpaten entdeckten. In dem über weite Strecken nur dünn besiedelten und stark bewaldeten Gebirge leben Bären, Wölfe und Luchse. Nach Angaben des WWF leben mehr als die Hälfte der europäischen Populationen dieser Wildtiere in den Karpaten. Ein Drittel aller europäischen Gefässpflanzen kommen hier vor. Von diesen knapp 4000 Arten kommen 481 nur in den Karpaten vor. Der lang gestreckte Gebirgszug bildet eine Art Brücke zwischen den nordosteuropäischen Wäldern und denjenigen im Süden und Westen des Kontinentes.[2] Mittlerweile engagieren sich daher zahlreiche Umwelt- und Naturschutzorganisationen für den Naturraum der Karpaten.[3]

Im Folgenden wird der Schwerpunkt auf die ukrainische Region Transkarpatien gelegt, die an die die Slowakei, Ungarn und Rumänien grenzt. Während die Karpaten insgesamt etwa zur Hälfte bewaldet sind, beträgt der Anteil des Waldes in den ukrainischen Karpaten 66 %. Sie werden deshalb auch Waldkarpaten genannt. Der Holzreichtum dieser Region führte im 18. Jahrhundert zur Ansiedlung von Holzfällern aus Deutschland und Österreich.[4]

Die Entdeckung der Urwälder

Trotz der seit Jahrhunderten andauernden Nutzung des Waldes sind einige Urwälder in Transkarpatien erhalten geblieben. Der Urwald von Uholka und Schyrokyj Luh, der im Karpaten- Biosphärenreservat liegt, umfasst eine Fläche von rund 10 000 ha und gilt damit als der grösste Buchenurwald Europas. Seit 2007 gehören die Buchenurwälder Transkarpatiens zusammen mit einigen Buchenurwaldresten in der Slowakei zum Weltnaturerbe der Unesco.[5] Conrad Roth ist wohl einer der ersten Schweizer, der über diese Wälder berichtete. Als Forstingenieur reiste er 1930 im Auftrag einer Schweizer Holzhandelsfirma nach Transkarpatien. Er hatte abzuklären, ob sich die Waldungen eines ehemaligen ungarischen Grossgrundbesitzers für eine Holznutzung eigneten – und stiess dabei auf noch unberührte Wälder. Roth war von dem Vorgefundenen tief beeindruckt. Von besonderem Interesse sind seine Beschreibungen des Buchenurwaldes.[6] Nach seinen Angaben kommen gleichförmige Waldbestände nur auf sehr beschränkter Fläche vor, während sich wirklich gleich alte Bäume nur über Gruppen und Horste (bis 50 Aren) erstrecken. Diese Beobachtungen legen nahe, dass sich Buchenurwälder meist auf sehr kleiner Fläche und kontinuierlich erneuern. Zur selben Zeit begann Alois Zlatnik, ein tschechoslowakischer Forstwissenschaftler, die Wälder in dieser Region zu erforschen. Transkarpatien gehörte damals zur Tschechoslowakei. 1936 legte er in einigen Urwaldbeständen Dauerbeobachtungsflächen an. Zlatnik gehört damit zu den Pionieren der europäischen Urwaldforschung. Die geplanten Folgeaufnahmen konnte er jedoch nicht realisieren, weil Transkarpatien 1939 zunächst an Ungarn und später an die Sowjetunion fiel – und als Tschechoslowake durfte Zlatnik nicht mehr nach Transkarpatien einreisen.[7]

Im Buchenurwald von Uholka und Schyrokyj Luh machte Zlatnik keine Aufnahmen. Aufgrund seiner Empfehlung wurde dort aber bereits in den 1920er-Jahren ein Waldreservat ausgeschieden. Zusammen mit einigen anderen Reservaten bildete dieses später in der Ukraine den Kern des Karpaten-Biosphärenreservates. Während des Kalten Krieges gerieten die Urwälder in dieser Region in Vergessenheit; doch nach dem Fall des Eisernen Vorhangs änderte sich dies. 1992 wurde das Biosphärenreservat durch die Unesco anerkannt, und 1994 besuchten Fachleute aus der Schweiz, Österreich und Liechtenstein diese damals in Westeuropa unbekannten Buchenurwälder. Sie wollten dort unter anderem Antworten auf die Frage finden, wie sich der Sihlwald bei Zürich entwickeln könnte, wenn dieser nicht mehr bewirtschaftet wird. Mit dabei war auch Mario Broggi. Fünf Jahre später initiierte er als Direktor der Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) die wissenschaftliche Zusammenarbeit mit Partnerinstitutionen in der Ukraine, die bis heute andauert. Einen Höhepunkt stellt zweifellos die umfassende Stichprobeninventur in den Urwäldern von Uholka und Schyrokyi Luh dar, die im Sommer 2010 durchgeführt werden konnte (vgl. Kasten S. 20).

Schweizer Engagement im Forstbereich

Neben der Erforschung der Urwälder entwickelten sich auch in anderen Gebieten Kooperationen zwischen der Schweiz und der Ukraine. 1998 und 2001 ereigneten sich in Transkarpatien Überschwemmungen mit grossen Schäden. Die Schweiz leistete damals humanitäre Hilfe, und die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) engagierte sich anschliessend zunächst im Bereich des Wasserbaus und des Hochwasserschutzes. Weil aber immer wieder auch die Forstwirtschaft und insbesondere die grossen Kahlschläge kritisiert wurden, entstand die Idee eines gemeinsamen Forstprojektes.

Es gibt einige forstliche Gemeinsamkeiten zwischen der Schweiz und den ukrainischen Karpaten. Mit der Fichte und der Buche dominieren etwa die gleichen Baumarten. Auch die topografischen Verhältnisse und die Vegetationsstufung sind vergleichbar. In den Ebenen wachsen von Natur aus Eichen-Laubwälder; in den Hügeln gedeihen Buchenwälder, und in höheren Lagen dominieren Nadelwälder, die mehrheitlich aus Fichten bestehen. Komplett unterschiedlich sind aber die Eigentumsverhältnisse: Während der Wald in der Schweiz zu rund 30 % Privaten, zu 65 % politischen Gemeinden, Bürgergemeinden sowie Korporationen und nur zu 5 % den Kantonen und dem Bund gehört, ist er in der Ukraine vollständig Eigentum des Zentralstaates. Die Strukturen sind denn auch sehr zentralistisch organisiert, und die oberste Kontrolle liegt beim Staatlichen Forstkomitee der Ukraine in Kiew.

Für die ländliche Bevölkerung ist der Wald überlebenswichtig. Neben dem Holz sind es vor allem Pilze und Beeren, die gesammelt und auf lokalen Märkten oder an Grosshändler verkauft werden. Schätzungen gehen davon aus, dass in den Bergen jede zweite Person damit beschäftigt ist, solche Nahrungsquellen aus dem Wald zu erschliessen – zum grossen Teil für den Eigenbedarf. In der forstlichen Planung spielte die Bevölkerung bisher aber so gut wie keine Rolle. Damit waren die Schwerpunkte des schweizerisch-ukrainischen Forstentwicklungsprojektes Forza vorgezeichnet. Als oberstes Ziel wurden die Etablierung einer nachhaltigen, multifunktionalen Waldbewirtschaftung mit starker Betonung der ökologischen Methoden (naturnaher Waldbau) sowie die Verbesserung der Existenzgrundlagen der lokalen Bevölkerung definiert.[9]

Schwieriger Anfang

Der Anfang war nicht einfach. «Nach etwa drei Jahren hat sich das Blatt aber zum Positiven gewendet», erinnert sich Lesya Loyko. Die Juristin wirkte seit Projektbeginn im Koordinationsbüro von Forza in Uschhorod, die letzten zwei Jahre als dessen Leiterin. Ähnlich hat es auch Raphael Schwitter vom Bildungszentrum Wald in Maienfeld erlebt. Als Experte mit viel Erfahrung im Gebirgswaldbau und in der Ausbildung von Schweizer Förstern reiste er in den letzten Jahren immer wieder nach Transkarpatien. «Am Anfang haben wir nur in einer kleinen Gruppe über naturnahen Waldbau diskutiert», sagt Schwitter. Dann aber sei das Netzwerk kontinuierlich gewachsen. Und am offiziellen Abschluss-Workshop zum waldbaulichen Teil des Projektes im Sommer 2010 hätten über 50 Personen aus verschiedensten Institutionen teilgenommen.

Für Ausbildungszwecke wurden in zwei Pilotregionen 126 Demonstrationsflächen eingerichtet. Am Beispiel dieser Flächen konnte konkret über die verschiedenen Möglichkeiten diskutiert werden, wie die entsprechenden Waldbestände am besten zu behandeln sind. Anschliessend wurden die Holzschläge ausgeführt und dokumentiert. Auf diesen Flächen sei es auch möglich gewesen, von den stark reglementierten und teils sturen Weisungen der Forstbehörden, die im Gebirgswald oft keinen Sinn ergeben, abzuweichen, sagt Schwitter. Die Schweizer Waldexperten schlugen zudem ein zweistufiges Konzept für die Waldplanung vor. Auf der übergeordneten Ebene sollten die allgemeinen Ziele unter Berücksichtigung der Bedürfnisse der lokalen Bevölkerung festgehalten werden. Auf einer tieferen Ebene geht es schliesslich um die konkrete forstliche Planung in den Forstbetrieben. Dieses Modell lehnt sich an die Schweizer Praxis an, bei der regionale Waldentwicklungspläne getrennt von den forstlichen Betriebsplänen erstellt werden.

Wertvolle Studienreisen

Als sehr nützlich haben sich die Besuche von ukrainischen Förstern in der Schweiz erwiesen. Andriy Uhryn, ein Förster aus Rhakiw, war zwei Mal in der Schweiz. Da er früher nur wenig Kontakt zu ausländischen Berufskollegen gehabt habe, sei er sehr neugierig gewesen, wie die Schweizer Förster mit dem Wald umgingen, sagt Uhryn. Vom Konzept des naturnahen Waldbaus habe er in der Schweiz zum ersten Mal gehört. In der Ukraine orientiere sich die Forstwirtschaft vorwiegend an der Holznutzung. Aber die Probleme, die mit einer grossflächigen Kahlschlagwirtschaft verbunden seien, würden in der Öffentlichkeit immer mehr thematisiert. Laut Uhryn müssen die Förster deshalb offen sein für Veränderungen in der Waldbewirtschaftung.

Transkarpatien liegt zwar im äussersten Westen der Ukraine. Doch in der Zentrale in Kiew werde wahrgenommen, dass im Forstbereich in den Karpaten einiges in Bewegung gekommen sei, sagt Lesya Loyko. Das zeigt sich zum Beispiel daran, dass viele Anliegen, die unter anderem im Rahmen des schweizerisch-ukrainischen Forstprojektes diskutiert wurden, in die Zielsetzung des staatlichen Programms für die Wälder der Ukraine eingeflossen sind. Inzwischen ist das Konzept des naturnahen Waldbaus durch die zentrale Forstbehörde der Ukraine anerkannt und eine nachhaltige, multifunktionale Waldbewirtschaftung für das ganze Land gesetzlich verankert worden.[9]

Doch die zu bewältigenden Herausforderungen sind riesig. Die grössten Hindernisse liegen nicht in der Forstwirtschaft selbst. Vielmehr sind es die politischen, ökonomischen und sozialen Probleme, mit denen die Ukraine konfrontiert ist. So müssen sich die staatlichen Forstbetriebe beispielsweise weitgehend selbst finanzieren. Und das geschieht in der Regel über die Einnahmen aus dem Holzverkauf. Diese wiederum hängen von den bewilligten Holzschlägen ab. Da liegt es auf der Hand, dass Korruption und illegale Holzerei allgegenwärtig sind. Der Autor konnte selbst beobachten, wie in einem abgelegenen, waldreichen Tal die Holztransporte mit den Lastwagen aus nicht nachvollziehbaren Gründen vorwiegend in der Dunkelheit der Nacht abgewickelt wurden. Weit verbreitet scheint auch die Praxis zu sein, dass grossflächige Holzschläge mit einem schlechten Gesundheitszustand von Waldbeständen begründet werden.[10]

Grüner Tourismus

Vor diesem Hintergrund ist es folgerichtig, dass das Projekt Forza über den engen Rahmen der Forstwirtschaft hinausgehen sollte. Und dies ist auch gelungen. Ein wichtiger Aspekt war etwa die Förderung eines grünen Tourismus. Dieser soll künftig mithelfen, die ökonomische Basis der Landbevölkerung zu verbreitern: Entstanden ist im Rahmen des Projektes beispielsweise ein markierter Wanderweg durch ganz Transkarpatien. Ein Problem auf dem Land sind zurzeit jedoch die spärlichen Übernachtungsmöglichkeiten für Touristen. Deshalb hat man angefangen, Familien zu suchen, die in ihrem Haus Gäste empfangen. Für die Beherbergung von Besuchern aus Westeuropa stellen jedoch die sprachlichen Hürden ein nicht zu unterschätzendes Hindernis dar.

Die Buchenurwälder sind schon heute ein attraktives Reiseziel für Förster und Naturliebhaber aus Deutschland, Frankreich und der Schweiz. Das Kapital für einen grünen Tourismus ist in erster Linie die charakteristische Landschaft der Karpaten. Ihr müsste man Sorge tragen, was insbesondere auch für den Bereich der Abfallentsorgung gilt. Seit Glas durch PET abgelöst wurde, liegen Plastikflaschen überall herum. Besonders bedenklich ist deren Entsorgung via Bäche und Flüsse. Die Mitarbeitenden von Forza haben versucht, dieses Problem aufzugreifen. So wurden in drei Dörfern versuchsweise Behälter aufgestellt, in denen Plastikflaschen gesammelt und anschliessend dem Recycling zugeführt werden (Abb. 9). Und es funktioniert. Aufgrund der positiven Erfahrungen in den Pilotgemeinden wurden mehr als 370 Behälter in den Regionen von Rakhiw und Khust aufgestellt.[9]

Das schweizerisch-ukrainische Forstentwicklungsprojekt wurde Ende 2010 offiziell abgeschlossen. «Der grösste Erfolg von Forza ist, dass es gelungen ist, in der ukrainischen Waldwirtschaft einen Mentalitätswandel zu initiieren», sagt Manuel Etter, der in Kiew das Deza-Büro leitet. Die Konzepte der Nachhaltigkeit und der naturnahen Waldbewirtschaftung seien in die Forstbehörden eingebracht und auch gesetzlich verankert worden. Weniger gelungen sei hingegen der Einbezug der lokalen Bevölkerung. Hier sei noch viel Arbeit nötig, findet Etter. Zum einen gehe es darum, die Behörden für die Belange der Bevölkerung zu sensibilisieren, und zum anderen brauche es eine signifikante Dezentralisierung der Entscheide und Kompetenzen.

Waldprotokoll verabschiedet

In eine solche Richtung zielen auch die jüngsten Beschlüsse der Vertragsstaaten der Karpatenkonvention. An ihrem Treffen Ende Mai in Bratislava unterschrieben die Länder je ein Protokoll zum nachhaltigen Tourismus und zur nachhaltigen Waldbewirtschaftung (vgl. Kasten S. 22, «Karpatenkonvention»). Für die Implementierung des Waldprotokolls soll nun ein Aktionsplan ausgearbeitet werden. Es ist zu hoffen, dass es gelingt, die zukunftsweisenden Inhalte dieser beiden Protokolle in den einzelnen Ländern auch umzusetzen.


Anmerkungen:
[01] I. Kohl, E. Brix: Galizien in Bildern. Die Originalillustrationen für das «Kronprinzenwerk» aus den Beständen der Fideikommissbibliothek der Österreichischen Nationalbibliothek. Selbstverlag Verein für Volkskunde in Wien, 1997
[02] Eine zentrale Nahtstelle ergibt sich bei Wien, wo die Gebirgszüge der Karpaten und der Alpen aufeinandertreffen. Ein grenzüberschreitendes Projekt hat zum Ziel, diese beiden Gebirgslebensräume besser zu vernetzen. Informationen: www.alpenkarpatenkorridor.at
[03] Die in den Karpaten tätigen Umweltorganisationen und Forschungsinstitute haben sich in der Carpathian EcoRegion zusammengeschlossen. Ihr gemeinsames Anliegen ist der Schutz der Biodiversität und die nachhaltige Entwicklung der gesamten Region: www.carpates.org
[04] Das Theresiental ist beispielsweise nach der österreichischen Kaiserin Maria-Theresia benannt, die dort 1775 Menschen aus dem Salzkammergut ansiedelte. Einen guten Überblick über die Geschichte und die Wälder bieten: U.-B. Brändli, J. Dowhanytsch: Urwälder im Zentrum Europas: Ein Naturführer durch das Karpaten-Biosphärenreservat in der Ukraine. Haupt Verlag, 2003
[05] Durch den nationalen Schutz sowie die Anerkennung als Unsesco-Weltnaturerbe kann nach Einschätzung unabhängiger ukrainischer Naturschutz- Fachleute des WWF davon ausgegangen werden, dass die Erhaltung dieser Urwälder gesichert ist
[06] C. Roth: Beobachtungen und Aufnahmen in Buchen-Urwäldern der Wald-Karpathen. Schweiz. Zeitschrift für Forstwesen, 83, S. 1–13, 1932
[07] S. Stoyko et al.: Alois Zlatnik – ein wegweisender Forscher in transkarpatischen Urwäldern. Schweiz. Zeitschrift für Forstwesen, 154, S. 219–225, 2003
[08] A. Schuck, J. Van Brusselen, R. Päivinen, T. Häme, P. Kennedy and S. Folving: Compilation of a calibrated European forest map derived from NOAA-AVHRR data. European Forest Institute. EFI Internal Report 13, S. 44 sowie Anhang, 2002
[09] Swiss-Ukrainian Forest Development Project in Tanscarpathia: End of Phase Report, Uzhhorod, 2011. Download: www.forza.org.ua
[10] V. Sabadosh, O. Suprunenko: Das waldreiche obere Theresiental (Transkarpatien, Ukraine) – geografisch-ökologische und sozioökonomische Beschreibung. Schweiz. Zeitschrift für Forstwesen, 158, S. 14–21, 2007; K. Grunder: Leben mit dem Wald im oberen Theresiental – Portrait einer Waldregion vor den Toren der Europäischen Union. Schweiz. Zeitschrift für Forstwesen, 158, S. 22–29, 2007

TEC21, Fr., 2011.07.15

15. Juli 2011 Lukas Denzler

Kirchen aus Holz

Kirchenbauten aus Holz sind typisch für die Waldkarpaten. Sie sind eng mit der regionalen Kultur und Forstnutzung verbunden. Ein eindrucksvolles Beispiel ist die über 250 Jahre alte Kirche der heiligen Paraskewa in Oleksandrivka. Ihre Konstruktion und Gestaltung zeugt vom sorgfältigen Umgang mit dem Baustoff Holz. Andere Holzkirchen sind heute jedoch von Zerstörung bedroht.

Holzkirchen haben eine lange Tradition in Europa. Bekannt sind sie vor allem aus Norwegen (29 Objekte) und weiteren Gebieten Skandinaviens. In Mitteleuropa hat die Archäologie Überreste vieler Holzkirchen zutage gefördert. Wer jedoch heute durch Osteuropa reist, entdeckt eine Vielzahl Holzkirchen, die immer noch benutzt werden. Über 3500 dieser Bauwerke befinden sich in den osteuropäischen Ländern – die ältesten stammen aus dem 14.–15. Jahrhundert. Die grösste Vielfalt dieser Holzbauten findet man in der ukrainischen Karpatenregion. Aus dem reichen Holzvorkommen entstand hier eine aussergewöhnliche Kirchenarchitektur, die eng mit den Eigenschaften des Baumaterials verbunden ist.

Durch die bogenartige, nach Westen geöffnete Form des Gebirges bilden sich in der Region der ukrainischen Karpaten drei klimatische Zonen heraus: die nördliche mit einem stark ausgeprägten, gemässigt kontinentalen Klima (im galizischen Karpatenvorland), die mittlere mit einem Gebirgsklima (Region der Huzulen, Boika und Lemka) mit hohen Niederschlagsmengen und grossen Temperaturschwankungen sowie die südliche Zone (Transkarpatien, Maramuresch) mit einem vor den kalten Nordostwinden geschützten, milden und stark vom Mittelmeer beeinflussten Klima (Abb. 2). Dieses ist am Waldbestand, der für den Kirchenbau von grosser Bedeutung war, gut zu erkennen – in Transkarpatien finden sich Buchen- und Eichenwälder an den Berghängen, in höheren Lagen und auf der nördlichen Seite dagegen nur Nadelbäume (Fichte, Tanne, seltener Kiefer und Lärche).

Ethnisch und regional geprägter Kirchentypus

Die Geschichte der Karpatenregion wurde stark von der Kultur unterschiedlicher ethnischer und konfessioneller Gruppen geprägt. Im gesamten Gebiet lebten Ukrainer bzw. Ruthenen, Polen, Ungarn, Slowaken, Rumänen, Deutsche, Armenier, Russen, Tataren und Fahrende zusammen. Zusätzlich leben dort, damals wie heute, zahlreiche verschiedene religiöse Gruppen – Christen, Juden und Muslime – neben- und miteinander. Diese vielfältige, sich über die Jahrhunderte immer wieder neu zusammensetzende Besiedlung beeinflusst auch das Bauen. Dabei zeigt die Geschichte, dass die Menschen besonders im Kirchenbau ihre entwerferischen Fähigkeiten und handwerklichen Fertigkeiten entwickelt haben. So entstand eine aussergewöhnliche Holzbauweise, die auf dem Blockbau basiert, aber in der Ausformung eine beeindruckende Vielfalt aufweist.

Die meisten Holzkirchen in den ukrainischen Karpaten folgen, auch wenn sie nicht zur griechisch- katholischen Kirche gehören, dem byzantinischen Ritus. Unabhängig von der Konfession bieten alle einer ähnlichen Liturgie den Raum. Deswegen ist auch die funktionale Nutzung der drei Gebäudeteile der Kirche – Pronaos, Naos und Sanktuarium – gleich: Durch den Pronaos (oder auch Narthex genannt) betritt man den Kirchenraum. In der Ukraine wird er auch Frauenraum genannt, da er früher als Aufenthaltsraum sowohl für Frauen als auch für noch ungetaufte Mitglieder der Gemeinde während des Gottesdienstes diente. Im Hauptraum – dem Naos – findet der Gottesdienst statt. Er soll für den Gläubigen die «reale Welt» verkörpern. Der Gottesdienst wird durchgehend im Stehen gefeiert, sodass meist keine Bestuhlung vorhanden ist. Das östlich anschliessende Sanktuarium, das ausschliesslich dem Priester vorbehalten ist, wird durch eine Ikonostase (griechisch für Bilder wand) vom Naos getrennt. Diese Wand ist jedoch nicht als Abtrennung, sondern eher als spirituelle Verbindung des Altarraumes mit dem Hauptraum gedacht (Abb. 7).

Obwohl der kanonische Aufbau der Holzkirchen sehr einheitlich ist, entstanden zahlreiche Variationen in der Umsetzung. Jede Bevölkerungsgruppe brachte eigene Formen ein und setzte sie im Zusammenspiel mit den örtlichen Gegebenheiten und in gegenseitiger Beeinflussung durch die Nachbarn um. Die verschiedenen Kirchentypen werden nach den ethnischen Gruppen und den Regionen benannt. Die Fachliteratur unterscheidet zwischen den Lemka-, Boika-, Huzulen-, Galizien-, Bukowina- und Maramuresch-Typen. Einzelne Objekte haben Eigenschaften zweier Bautypen und werden als Mischtypen bezeichnet.

Von der Schwelle bis zur Schindel aus Eiche

Auch die Bevorzugung bestimmter Holzarten war regional unterschiedlich und ist hauptsächlich durch das Klima bedingt: In Transkarpatien wurden viele Holzkirchen von der Schwelle bis zur Dachschindel ausschliesslich aus Eichenholz errichtet. Man pflanzte zu Baubeginn sogar eine Eiche auf den Kirchhof als Symbol für die Beständigkeit. In Galizien hingegen wurden die wertvollen Eichen nur für Schwellen und Türen verwendet – für den Baukörper selbst nutzte man Fichte, Tanne und Kiefer. Dafür wurden auf dem Hof Lindenbäume gepflanzt, was durch die damaligen österreichischen Baubehörden als Brandschutzmassnahme vorgeschrieben wurde: Ihre breite und dichte Krone sollte vermutlich den Funkenflug behindern. Insbesondere in höheren Lagen wurden neben den Kirchen hoch wachsende Nadelbäume gepflanzt, die als Blitzableiter dienen sollten.

Die für den Kirchenbau verwendeten Hölzer zeugen von der Grösse der damals in den Wäldern gewachsenen Bäume. So bilden etwa 9.5 m lange Kanthölzer aus Eiche mit einem Querschnitt von 65 × 35 cm die Schwellen der Kirche von Oleksandrivka (Abb. 1). Darüber verlaufen die Blockwände senkrecht nach oben bis zu einer Höhe von 2.5 (Pronaos) bzw. 3.3 m (Naos). Ab hier verjüngt sich der Raum als Übergang zu einem Tonnengewölbe – ebenfalls in Blockbauweise (Scheitelhöhe 5.5 m). Der Kirchturm über dem Pronaos ist in Ständerbauweise errichtet (Abb. 3 4, 6 7).

Da das Holz im Mittelalter und in noch jüngerer Zeit ein wertvolles Baumaterial war, trafen die Handwerker zahlreiche Massnahmen zum konstruktiven Holzschutz, die das typische Bild der Holzkirchen im Karpatengebiet prägen. So schützen beispielsweise die das Erscheinungsbild prägenden Dach- und Wandschindeln die tragenden Bauteile vor Feuchtigkeit und sind bei Beschädigungen leicht zu ersetzen. Zu den wichtigsten konstruktiven Holzschutzmassnahmen gehört das sogenannte Flugdach. Durch seine Auskragung schützt es die darunterliegenden Wandbereiche und die Schwellen. Eine Verkleidung der Wände unter dem Flugdach erübrigt sich, sodass die Wandkonstruktion auf diese Weise belüftet werden kann. Auch die stufenartige Form der Bekrönungen gehört zum konstruktiven Holzschutz. Die gebrochene Form ermöglicht die Ausbildung mehrerer kleiner Dächer und reduziert somit die dem Wasser ausgesetzte Wandoberfläche.

In der ukrainischen Karpatenregion sind überwiegend zwei Arten der Schindeldeckung gebräuchlich: zum einen Nutschindeln, die aus Nadelholz bzw. Fichtenholz gefertigt und auf einer Seite mit einer Nut versehen sind. Da sie im Querschnitt keilförmig sind, können sie nach dem sogenannten Nut-und-Feder-Prinzip seitlich ineinander gesteckt werden, um eine wasserabweisende Dachdeckung zu erreichen. Den zweiten Holzschindeltyp bilden die schuppenartigen Schindeln, die ausschliesslich aus Eichenholz hergestellt werden. Im Gegensatz zu den Nutschindeln sind sie im Längsschnitt keilförmig und werden stumpf aneinandergestossen.

Am dichtesten ist diese Art der Deckung, wie die Befunde an der Kirche in Oleksandrivka zeigen, wenn die Schindeln auf einer Schalung aus im Querschnitt rautenförmigen Brettern verlegt sind (Abb. 5). Die quer zu den Schindeln verlaufenden Bretterfugen haben eine leichte Neigung nach unten und ergeben so eine tropfwasserdichte Deckung, die das Eindringen von Wasser verhindert.

Zukunft für die Holzkirchen?

Leider wurden in den letzten 20 Jahren die Holzschindeln oftmals durch Blecheindeckungen ersetzt (Abb. 8). Dieser Eingriff ändert nicht nur den optischen Eindruck, unter der Verblechung kann sich zudem Kondenswasser bilden, das die Holzkonstruktion der Bauten beschädigt. In letzter Zeit kann man leider noch andere traurige Entwicklung verfolgen: Seit den 1990er-Jahren werden jährlich vier bis sechs Holzkirchen durch Brände zerstört.

Häufige Ursachen sind Sicherheitsmängel der meist sorglos eingebauten elektrischen Einrichtung, nicht mehr funktionsfähige oder komplett fehlende Blitzableiter sowie der achtlose Umgang mit brennenden Kerzen. Darüber hinaus gibt es etliche Beispiele vorsätzlicher Zerstörung, beispielsweise wenn die Kirchengemeinde eine neue Kirche bauen will, kein anderer Platz für den Neubau zur Verfügung steht und auch kein Verkauf der Holzkirche an ein Freilichtmuseum möglich ist. Mancher Brand wurde auch vorsätzlich gelegt, um Spuren eines Diebstahls von Kirchengut oder Ikonen zu vertuschen.

Neben solchen Beispielen gibt es aber auch eine gegensätzliche Tendenz: In einigen Dörfern oder auch in den Städten werden wieder Holzkirchen gebaut. Sie werden in traditionellen Formen errichtet – trotz den damit eingeschränkten Nutzungsmöglichkeiten und der geringen Grösse. Und in manchen Ortschaften, wo das Verständnis für die historische Substanz noch vorhanden ist, wird die Blechdeckung inzwischen wieder durch eine Schindeldeckung ersetzt. Seit 2002 gibt es ausserdem Bestrebungen einer Forschergruppe, zehn dieser Holzkirchen in die Liste des Unesco-Weltkulturerbes aufzunehmen. Leider gibt es von der Regierung und den zuständigen Behörden dafür keine grosse Unterstützung. Nur etwa 17 % der erhaltenen Kirchen stehen heute unter Denkmalschutz. Selbst diese können vom Staat nicht in angemessener Weise geschützt werden, und eine denkmalgerechte Erhaltung übersteigt die finanziellen Möglichkeiten der Kirchengemeinden bei Weitem.

TEC21, Fr., 2011.07.15

15. Juli 2011 Andrij Kutnyi

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