Editorial
et cetera Paulo Mendes da Rocha
«Ich hätte schon gewusst, wo ich meine Brücke gegründet hätte». Dies schreibt der Schweizer Schriftsteller Hugo Loetscher, der die beiden lusitanischen Länder, von denen dieses Heft berichtet, von zahlreichen Reisen kannte. Dort, wo Loetscher in seinem letzten Buch «War meine Zeit meine Zeit» seine Brücke gebaut hätte, über die Bucht von San Francisco, steht allerdings bereits eine. Kein Übergang über das Tal des Flusses Carpinteira existierte in Covilhã im Zentrum von Portugal, wo João Luís Carrilho da Graça einen 220 Meter langen, elegant geschwungenen Steg für Fussgänger und Radfahrer baute. «Auch über meine Brücke hätte ich Nebel hinwegziehen lassen, als gäbe es keine Zufahrten», meint Loetscher, «nur nackter Fels, unerwartet ein Pfeiler im Sonnenlicht und der Pfeiler gegenüber im Dunst, für Augenblicke eine einbeinige Brücke, getragen von Luftgespinst…» Eine ähnliche Qualität einer Plastik zeichnet die luftige Verbindung bei Covilhã aus: Die weisse Horizontale, die aus der Ferne erkennbar ist, wird beim Näherkommen zum raumhaltigen Objekt.
Ein subtiles Spiel mit dem Raum betreibt auch der brasilianische Altmeister Paulo Mendes da Rocha in Recife im Nordosten Brasiliens. Die Stadt habe ihre Fähigkeit, Bauten umzufunktionieren, verschiedentlich bewiesen, schreibt Hugo Loetscher: Die Casa da Cultura richtete sich im ehemaligen Stadtgefängnis ein – und aus der Ruine eines traditionellen Gutshauses hat Paolo Mendes da Rocha eine Kirche entstehen lassen. Die Kapelle Nossa Senhora da Conceição bringt Natur und Mensch in sinnliche Verbindung: Die Fragmente des einst gedeckten Umgangs sind ebenso wie die alten Hausmauern mit insgesamt neunzehn Türöffnungen stehen geblieben. Darüber schwebt ein neues Betondach, getragen von zwei massiven Betonpfeilern auf der zentralen Längsachse. Der offene Kirchenraum richtet sich in die Horizontale, Himmel und Erde verbindet der Glockenturm im wörtlichen Sinn: Er leitet das Regenwasser über die Dachspitze in eine Zisterne ab. Das alte Wohnhaus ist in der aussen schneeweiss verputzten, innen roh und rustikal anmutenden Kapelle nur noch als abstrakte Erinnerung lesbar. Damit wird eine imaginäre Brücke über die Zeiten geschlagen und würdevoll im dichten Urwald verankert.
Vom Amazonas über den Carpinteira findet der Erzählfluss dieses Heftes den Weg via die Spree wieder an den Zürichsee – so wie der Zürcher Junge Hugo Loetscher, der an der Sihl aufwuchs, stets wieder an seinem Heimatfluss landete. In Berlin ist das Team der AFF Architekten zu Hause, das sich bei seinen Bauten vom jeweiligen Standort ebenso wie von seinem Fundus skurriler Gebrauchsgegenstände inspirieren lässt. Am oberen Zürichsee steht der Gemeinde- und Musiksaal mit Bibliothek von e2a in Stäfa: ein wuchtiger, schrundiger Betonblock, der einen Ort gänzlich unerwarteter Monumentalität im Alltag schafft. Und auch das Wohnheim Mathilde Escher für körperbehinderte Erwachsene von Darlington Meier Architekten in Zürich offenbart bildhauerische Qualitäten – geschickt verbunden mit den komplexen funktionalen Anforderungen.