Editorial

Drei Viertel der Bevölkerung in der Schweiz leben in der Agglomeration. Trotz ihrer Bedeutung als Lebens- und Arbeitsraum wird diese erst ansatzweise als Realität anerkannt. In den letzten zehn Jahren ist immerhin das Bewusstsein für die Probleme der Agglomeration gewachsen. Im April 2011 hat sich der Bundesrat dafür ausgesprochen, die bisherige Agglomerationspolitik weiterzuentwickeln. Zu diesem Zweck hat er das Bundesamt für Raumentwicklung (ARE) und das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) beauftragt, ihm 2014 einen Vorschlag zu unterbreiten, wie die Agglomerationspolitik des Bundes ab der Legislaturperiode 2016–2019 ausgerichtet sein soll.

Es gibt indes ein Planungsinstrument, das bereits jetzt einiges in Bewegung gebracht hat: Mit den Agglomerationsprogrammen sollen Siedlungs- und Verkehrskonzepte über politische Grenzen hinweg aufeinander abgestimmt werden. Die Gewährung der Bundesmittel aus dem Infrastrukturfonds ist an die Voraussetzung gebunden, dass die Regionen jeweils ein verbindliches und in sich stimmiges Agglomerationsprogramm vorlegen. Neu in der schweizerischen Planungsgeschichte ist, dass die Wirksamkeit der Bundesfranken geprüft und sie nicht einfach mit der Giesskanne verteilt werden. Im September 2010 entschied das Parlament über die Freigabe der Mittel. Es bestand das Risiko, dass aufgrund regionalpolitischer Interessen das Paket aufgeschnürt würde, doch dem war nicht so: Dank der Transparenz in Bearbeitung und Bewertung wurde das Programm als ausgewogen angesehen und ohne grosse Diskussionen genehmigt.

Was sich hinter dem trockenen Begriff «Agglomerationsprogramm» verbirgt, was sich in den letzten zehn Jahren bewegt hat und wie es in den nächsten Jahren weitergehen soll, zeigt der Artikel «Ein Programm für die Agglomerationen» auf. Wie sind Siedlung und Verkehr aufeinander abzustimmen? Wie kann man den wachsenden Mobilitätsansprüchen in der Agglomeration gerecht werden? Welches ist das richtige Verkehrsmittel für den richtigen Ort? Hier gibt es grosse Unterschiede zwischen der subjektiven Wahrnehmung der Nutzerinnen und Nutzer und den technischen Möglichkeiten. «Mit Bus und Tram durch dichte Räume» vergleicht Vor- und Nachteile von Bus- und Tramsystemen. Vor der Frage «Bus- oder Tram-» steht auch die Stadt Biel. Vor rund 70 Jahren wurde hier das Tram aus der Stadt verbannt, weil man es für zu altmo-disch befand. Heute wird darüber diskutiert, ob es zurückkommen soll (vgl. «Tramrenaissance in der Autostadt Biel?»). Vielleicht kann ein iden-titätsstiftendes Tram dazu beitragen, die Umgebung von Biel nicht zu einer gewöhnlichen Agglomeration, sondern zur Vorstadt werden zu lassen.
Daniela Dietsche

Inhalt

05 WETTBEWERBE
Festzelt für Bubendorf

12 MAGAZIN
Holzbautag Biel | Flamingobeinchen und Affenklappen | Positionen des (Un)geschmacks | Denkraum für Raumdenkende | Leben in der Agglomeration

22 EIN PROGRAMM FÜR DIE AGGLOMERATIONEN
Lukas Denzler Mit den Agglomerationsprogrammen sollen Siedlung und Verkehr aufeinander abgestimmt werden. Die grosse Herausforderung sind die neuen Formen der Zusammenarbeit.

27 TRAMRENAISSANCE IN DER AUTOSTADT BIEL?
Daniela Dietsche Das Regiotram Biel soll eine schnelle und umsteigefreie Verbindung zwischen den Wohngebieten am Südostufer des Bielersees und den Entwicklungsgebieten im Osten der Stadt schaffen.

32 MIT BUS UND TRAM DURCH DICHTE RÄUME
Ulrich Weidmann, Hermann Orth Nutzerinnen und Nutzer des öffentlichen Verkehrs nehmen das Tram positiver wahr als den Bus. Objektiv gibt es wenig Unterschiede. Ein Vergleich.

37 SIA
Verdichtungsstudie Basel-Landschaft | «Lösungen sind noch nicht in Sicht»

41 FIRMEN

43 PRODUKTE

53 IMPRESSUM

54 VERANSTALTUNGEN

Ein Programm für die Agglomerationen

Agglomerationsprogramme streben eine bessere Abstimmung von Verkehrsinfrastruktur
und Siedlungsentwicklung an. Wie sich nun zeigt, besteht
eine der grössten Herausforderungen darin, ein Modell zu finden, das nicht
nur
eine effiziente gemeinde- und kantonsübergreifende Zusammenarbeit
in den
Agglomerationen ermöglicht, sondern auch den demokratischen
Anforderungen gerecht wird. Die Strategie des Bundes, die erwünschten
Entwicklungen über finanzielle Anreize zu fördern, scheint aufzugehen.
Rund drei Viertel der Schweizer Bevölkerung leben in Städten und Agglomerationen. Eine
offizielle Agglomerationspolitik des Bundes gibt es aber erst seit etwa zehn Jahren. Als
Geburtsstunde
könnte man die Publikation des Agglomerationsberichtes1 des Bundesrates
im Jahre 2001 bezeichnen. Im selben Jahr erfolgte auch die Gründung der Tripartiten
Agglomerationskonferenz
(TAK). Diese politische Plattform von Bund, Kantonen, Städten
und Gemeinden wurde vom Bundesrat, von der Konferenz der Kantonsregierungen (KdK),
dem Schweizerischen Gemeindeverband (SGV) und dem Schweizerischen Städteverband
(SSV) ins Leben gerufen. Ziel der TAK ist eine engere Zusammenarbeit der drei staatlichen
Ebenen
sowie die Entwicklung einer gemeinsamen Agglomerationspolitik.
Agglomerationen als funktionale Räume
Die Agglomerationen sind mit komplexen Aufgaben konfrontiert. In den letzten Jahren ist
das Bewusstsein allmählich gewachsen, dass diese Aufgaben nur gemeinsam zu bewältigen
sind. Bis die dafür erforderlichen Strukturen etabliert sind, verstreicht allerdings viel Zeit.
Aber es geht vorwärts. Und dank finanziellen Anreizen gelingt es dem Bund immer mehr, die
Agglomerationen zu einer engeren Zusammenarbeit zu bewegen.
Als funktionale Räume orientieren sich die Agglomerationen an wirtschaftlichen, sozialen
und kulturellen Entwicklungen. Sie stimmen deshalb immer weniger mit den Grenzen der
historisch
gewachsenen Räume überein, deren politisch-administrative Strukturen sich in
den letzten 150 Jahren kaum verändert haben. Einzig auf der Ebene der Gemeinden ist in
den letzten Jahren ein verstärkter Trend zu Fusionen auszumachen.2 Gemeindefusionen fänden
nicht nur zwischen kleinen ländlichen Gemeinden statt, sagt Thomas Minger, der bei
der KdK für den Bereich Innenpolitik und damit auch für die TAK zuständig ist. Bemerkenswert
sei, dass es auch in Agglomerationen vermehrt zu Gebietsreformen komme, wie etwa
in den Regionen Lugano und Luzern.
Die grosse Herausforderung besteht darin, dass es in den Ballungsräumen eine ganze Reihe
agglomerationsspezifischer Probleme zu lösen gibt, aber keine entsprechende staatliche
Ebene existiert, die legitimiert ist, sie zu bewältigen. «Am einfachsten wäre es, wenn die
politischen
Grenzen den funktionalen Räumen anpasst werden könnten», sagt Minger.
Grössere Gebietsreformen seien in der nächsten Zeit jedoch unrealistisch. Aus diesem
Grund wird ein pragmatischer Ansatz favorisiert. Dieser sieht vor, in den Agglomerationen
stärker zu kooperieren, die vorhandenen Strukturen weiterzuentwickeln und besser auf die
funktionalen Räume auszurichten. Angestrebt wird eine verbindlichere und klarer strukturierte
Zusammenarbeit als bisher. Nach Ansicht von Minger haben sich insbesondere die
Agglomerationsprogramme als ausgezeichnetes Instrument erwiesen, um in funktionalen
Räumen zu denken.
Verknüpfung mit dem Infrastrukturfonds
Die Agglomerationsprogramme sind denn auch ein zentrales Instrument der Agglomerationspolitik
des Bundes. Eine starke Aufwertung erhielten sie, als die Finanzierung der Programme
2007 mit dem Infrastrukturfonds verknüpft wurde. Von den Geldern dieses Fonds stehen
während 20 Jahren 6 Mrd. Fr. für die Verbesserung der Verkehrsinfrastrukturen in Städten
und Agglomerationen zur Verfügung. Das Parlament hat etwas mehr als 2.5 Mrd. Fr. für
dringende
und baureife Projekte bereits bewilligt, während knapp 3.5 Mrd. Fr. für die Agglomerationsprogramme
reserviert sind. Bisher war die Finanzierung von Verkehrsvorhaben in
den Agglomerationen in erster Linie Aufgabe der betroffenen Gemeinden und Kantone.
Lediglich an den Aufbau des S-Bahn-Verkehrs leistete der Bund finanzielle Beiträge, und bei
den Hauptstrassen gab es eine generelle Unterstützung je nach Finanzkraft der Kantone.
Damit der Bund sein finanzielles Engagement ausweiten konnte, mussten mit der Neugestaltung
des Finanzausgleichs und der Erweiterung der Zweckbindung der Mineralölsteuer zur
Finanzierung von Verkehrsvorhaben in Agglomerationen jedoch erst die gesetzlichen Grundlagen
dafür geschaffen werden. Im Zentrum der Agglomerationsprogramme stehen die
Siedlungsentwicklung und der Verkehr. Zum einen besteht bei der Abstimmung dieser beiden
Bereiche ein grosser Handlungsbedarf. Zum anderen hat die Politik dies so bestimmt:
Aus der Sicht des Bundes müssen die Programme mindestens die Bereiche Verkehrsplanung
und Siedlungsentwicklung beinhalten, damit Bundesmittel für den Agglomerationsverkehr
aus dem Infrastrukturfonds gewährt werden können.
Ende 2007 wurden beim Bundesamt für Raumentwicklung (ARE) 30 Agglomerationsprogramme
der 1. Generation eingereicht. Diese umfassen 37 der 50 definierten Schweizer
Agglomerationen
– einen Raum, in dem 90 % der Agglomerationsbevölkerung leben.

«Bedingung ist, dass die Agglomerationsgemeinden eine gemeinsame Trägerschaft für das
Agglomerationsprogramm bilden», sagt Georg Tobler, der beim ARE für die Agglomerationspolitik
zuständig ist. Die Trägerschaft ist auch primäre Ansprechpartnerin für den Bund.
Qualität entscheidet über Höhe der Bundesbeiträge
Die Umsetzung aller beantragten Projekte hätte rund doppelt so viel finanzielle Mittel erfordert
wie zur Verfügung stehen. Deshalb mussten Prioritäten gesetzt werden. Dies erfolgte
anhand einer Einteilung in A-, B- und C-Projekte (vgl. Kasten).
Die Qualität der eingereichten Programme beurteilte das ARE anhand von gesetzlich verankerten
Prüfkriterien. Die erzielte Programmwirkung bestimme die Höhe der Bundesbeiträge,
erläutert Tobler. Je besser das Kosten-Nutzen-Verhältnis eines Agglomerationsprogramms
in der Beurteilung ausfällt, desto höhere Beiträge werden geleistet. Der Beitragssatz des
Bundes liegt zwischen 30 und 50 %. Über die definitiven Beiträge hat das Parlament im
September
2010 entschieden und Mittel in der Höhe von 1.31 Mrd. Fr. freigegeben. Die
Leistungsvereinbarungen
für die erste Finanzierungstranche werden 2011 mit den Kantonen
abgeschlossen, die Umsetzung der Programme wird anschliessend in Angriff genommen.5
Bei den Agglomerationsprogrammen der 1. Generation sei Pionierarbeit geleistet worden, ist
Tobler überzeugt. Da es sich um einen Lernprozess handle, gebe es aber noch Verbesserungspotenzial.
Die maximalen Bundesbeiträge seien bei keinem Programm ausgelöst
worden,
so Tobler. In vielen Fällen sei kein schlüssiges Gesamtkonzept erkennbar gewesen.
Während beim Verkehr konkrete Projekte vorgeschlagen wurden, blieben die Massnahmen
im Siedlungsbereich oft sehr vage. Die Verantwortlichen in den Agglomerationen können
nun Verbesserungen vornehmen und die überarbeiteten Programme der 2. Generation bis
Mitte 2012 wiederum beim ARE einreichen. Dabei geht es um die Finanzierungsbeiträge ab
2015. Zu den bereits eingereichten und genehmigten Programmen werden bis Ende 2011
zudem 14 neue Programme hinzukommen.6
Effizienz und Demokratie gewährleisten
Ursprünglich habe man gedacht, man komme mit der Konstituierung der Trägerschaften
schneller voran, sagt Tobler. Doch es zeigte sich, dass insbesondere die Organisation der
Zusammenarbeit sehr anspruchsvoll ist. Als eigentliche Knacknuss erwiesen sich vor allem
staatsrechtliche und staatspolitische Fragen. Die Agglomerationen sprengen die drei politisch
legitimierten Ebenen von Gemeinden, Kantonen und Bund. Die Entscheidungsprozesse
sind oft langwierig, weil meistens Einstimmigkeit der beteiligten Gemeinwesen vorausgesetzt
wird. «Wenn die kantonsübergreifende Zusammenarbeit in den Agglomerationen verstärkt
werden soll, besteht die Herausforderung darin, die Effizienz zu verbessern, ohne dabei
Verluste
hinsichtlich demokratischer Strukturen in Kauf nehmen zu müssen», sagt Daniel Arn
von der Advokatur Arn Friedrich Strecker in Bern. Sein Büro hat für die Tripartite Agglomerationskonferenz
mehrere Berichte verfasst.7, 8 In diesem Rahmen wurden auch verschiedene
Modelle für die Zusammenarbeit entwickelt und bewertet. Bezüglich Effizienz werden rasche
Verfahren sowie koordinierte und verbindliche Entscheide angestrebt, während bei den
demokratischen
Anforderungen Transparenz, demokratische Mitbestimmung und Kontrolle
sowie Subsidiarität im Vordergrund stehen. Dies unter einen Hut zu bringen, gleicht der Quadratur
des Kreises. Ein Patentrezept gebe es nicht. «Jede Agglomeration muss ihre eigene
Form der Zusammenarbeit entwickeln», ist Arn überzeugt.
Verhältnismässig einfach gestaltet sich die Organisation, wenn sich eine Agglomeration nur
über einen Kanton erstreckt. Die Gemeinden können einen Agglomerationsrat bilden
(Abb. 2). Der Kanton Bern ist diesbezüglich schon relativ weit. Die Voraussetzungen sind insofern
günstig, als die Berner Agglomerationen nur zu einem kleinen Teil in andere Kantone
hineinreichen. In einer Volksabstimmung hat der Kanton Bern die Voraussetzungen für die
Bildung von sechs Regionalkonferenzen geschaffen. Laut Ulrich Seewer, dem Leiter der
Abteilung
Gesamtmobilität in der Bau-, Verkehrs- und Energiedirektion des Kantons Bern,
sind diese künftig für die Verkehrs- und Siedlungsentwicklung (bzw. die regionalen Gesamtverkehrs-
und Siedlungskonzepte) sowie die Regionalpolitik und Kulturförderung zuständig.
Von den sechs vorgesehenen Regionalkonferenzen haben die beiden Regionen Bern – Mittelland
und Oberland Ost die für ihre Einführung erforderliche Mehrheit der Stimmenden und
Gemeinden bereits erhalten.
Plattformen für die kantonsübergreifende Zusamm enarbeit
Bei der kantonsübergreifenden Kooperation erscheint vor allem die Zusammenarbeit über
eine Agglomerationsplattform sinnvoll (Abb. 3). Ein solches Modell ist in der Umsetzung
jedoch sehr anspruchsvoll.8 In der Schweiz wurde es bisher noch in keiner Agglomeration
realisiert. Dafür wären Gesetzes- und Verfassungsänderungen auf der Ebene der Kantone
notwendig, und die Verfahren und Zuständigkeiten müssten zwischen den Kantonen harmonisiert
werden. Sind weitere Länder wie etwa in Basel, Genf, dem Mendrisiotto oder der
Bodenseeregion involviert, so nimmt der Grad der Komplexität noch einmal deutlich zu.
Eine sehr komplexe Struktur weist beispielsweise der Metropolitanraum Zürich mit rund
2 Mio. Einwohnern auf. Dieser besteht aus elf Agglomerationen und insgesamt 236 Gemeinden
aus acht Kantonen (AG, TG, SH, SZ, SG, ZG, ZH, LU). Um der Zusammenarbeit eine
Struktur
zu geben, wurde 2009 der Verein Metropolitanraum Zürich gegründet. Ein Fernziel
könnte in einer Organisationsstruktur bestehen, wie sie in Abbildung 3 dargestellt ist.
Auf einer etwas tieferen Ebene bewegen sich die Agglomerationsprogramme. Zurzeit bereitet
man sich in Zürich auf die Eingabe für die Agglomerationsprogramme der 2. Generation
vor. Der Kanton Zürich vermochte mit seinem ersten Agglomerationsprogramm, das auf die
Städte Zürich und Winterthur sowie das Glatt- und das Limmattal fokussierte, nicht in allen
Punkten zu überzeugen. Zwar sei vom Bund positiv anerkannt worden, dass die im Programm
vorgestellten Massnahmen die gewünschte Siedlungsentwicklung nach innen unterstützten,
sagt Wilfried Anreiter vom Amt für Verkehr des Kantons Zürich. Auch seien mit dem
konsequenten Ausbau des S-Bahn-Netzes beträchtliche Vorleistungen erbracht worden. Der
Bund habe insbesondere bemängelt, dass im Programm der «rote Faden» zu wenig erkennbar
sei. Auch seien die bestehenden Schwachstellen in den Bereichen Verkehr und Siedlungsentwicklung
zu wenig gut dargestellt worden. Und der Bund hätte sich, so Anreiter, zudem
ein grenzüberschreitendes Agglomerationsprogramm gewünscht, das auch den
Aargauer Teil des Limmattals umfasst. Diese Punkte wolle man nun verbessern. Laut Anreiter
wird der Kanton Zürich anstelle eines Agglomerationsprogramms deren fünf einreichen.
Neu wird die Stadt Zürich zusammen mit dem Glattal betrachtet. Winterthur und Umgebung
bilden eine weitere Region, und im Limmattal wird mit dem Kanton Aargau ein gemeinsames
Programm erarbeitet. Aufgrund der wachsenden Dynamik erhält das Zürcher Oberland neu
ein eigenes Agglomerationsprogramm. Ebenfalls neu ist ein Dachprogramm für die gesamte
Agglomeration. Dieses bildet eine konzeptuelle Klammer und beinhaltet auch übergeordnete
Massnahmen.
Zukunftsbilder entwickeln
Künftig fordert der Bund von den Agglomerationen auch, dass diese ein Zukunftsbild vorlegen.
Wie soll es in 20 Jahren aussehen? Wo sollen die Verkehrsachsen gebündelt werden?
Wo wird das Siedlungsgebiet weiterentwickelt, und wie werden die Frei- und Naturräume gesichert?
Laut Georg Tobler hat sich gezeigt, dass ein Zukunftsbild für die Entwicklung eines
Agglomerationsprogramms sehr hilfreich ist. Dieses stellt ein räumlich konkretes Bild dar
und zeigt auf, an welcher zukünftigen Siedlungsstruktur und an welchem Verkehrssystem
sich eine Agglomeration orientiert. Insbesondere in der Westschweiz hat man in Genf,
Lausanne
und Yverdon mit solchen Zukunftsbildern gute Erfahrungen gemacht.9 Da bleibt
eigentlich nur die Frage, weshalb niemand früher auf diese Idee gekommen ist. Vielleicht
war vor 20 Jahren einfach die Zeit dafür noch nicht reif. Doch die Entwicklung geht weiter. In
50 Jahren wird man sich vielleicht daran erinnern, dass es in der Schweiz einmal 20 Kantone
und sechs Halbkantone gegeben hat.
Lukas Denzler, dipl. Forst-Ing. ETH und freier Journalist, lukas.denzler@bluewin.ch
Anmerkungen
1 Agglomerationspolitik des Bundes. Bericht des Bundesrates vom 19. Dezember 2001
2 Gemäss Bundesamt für Statistik gab es 1990 in der Schweiz 3021 Gemeinden, im Jahr 2000 noch
2899. Am 1. Januar 2010 waren es 2596 Gemeinden, also 303 weniger als im Jahr 2000
3 Eidg. Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation Uvek: Weisung über die Prüfung
und Mitfinanzierung der Agglomerationsprogramme. 2010
4 Eidg. Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation Uvek: Prüfung der Agglomerationsprogramme.
Erläuterungsbericht. 2009
5 Bundesamt für Raumentwicklung ARE: Evaluation und Weiterentwicklung der Agglomerationspolitik
des Bundes. Bericht zuhanden des Bundesrates. 2011
6 Eidg. Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation Uvek: Weisung über die Prüfung
und Mitfinanzierung der Agglomerationsprogramme der 2. Generation. 2010
7 Tripartite Agglomerationskonferenz (Hrsg.): Horizontale und vertikale Zusammenarbeit in der Agglomeration.
2004
8 Tripartite Agglomerationskonferenz (Hrsg.): Verstärkung der Zusammenarbeit in kantonsübergreifenden
Agglomerationen. 2006
9 G. Tobler: Agglomerationspolitik und Landschaft: Ansätze aus der Praxis. Forum für Wissen, Eidg. Forschungsanstalt
WSL. 2008

TEC21, Do., 2011.05.19

19. Mai 2011

Tramrenaissance in der Autostadt Biel?

Das geplante Regiotram in Biel soll die Wohngebiete am südöstlichen Seeufer
mit den Arbeitsplätzen in Bözingenfeld im Osten der Stadt schnell und
umsteigefrei verbinden. Das Projekt ist Teil des Agglomerationsprogramms
Biel und wird frühestens ab 2015 realisiert. Derzeit wird das Vorprojekt
erarbeitet.
Anschliessend wird entschieden, ob das Tram realisiert wird
oder ob die Erschliessung durch die bestehende Vorortbahn von Ins nach
Biel und die Feinverteilung in der Stadt durch Busse erhalten bleiben.
Biel wird meist mit seiner Uhren- und Metallindustrie in Verbindung gebracht, weniger bekannt
ist Biel als Autostadt. General Motors hatte hier von 1935 bis 1975 ein Montagewerk,
und bis heute ist eine überdurchschnittliche Affinität zum Automobil festzustellen. Biel war
die erste Stadt in der Schweiz, die das Tram abschaffte. Zwischen 1926 und 1948 wurden
die gut ausgebauten Tramlinien auf Trolleybusbetrieb umgestellt. Das Tram galt als veraltetes
Verkehrsmittel und als Hindernis für den Autoverkehr. Heute leben in der Agglomeration
Biel rund 93 500 Einwohner, bis 2020 sollen es 100 000 sein.1 Parallel zum Bevölkerungswachstum
wird eine wirtschaftliche Entwicklung in der Agglomeration prognostiziert
(Abb.1). Beides wird neuen Verkehr auslösen, der möglichst mit öffentlichen Verkehrsmitteln
aufgefangen werden soll. Der Anteil des öffentlichen Verkehrs am Modal Split ist heute vergleichsweise
gering, sagt Christian Aebi vom Amt für öffentlichen Verkehr des Kantons Bern.
Es besteht noch ein beachtliches
Potenzial, den Modal Split zugunsten des öffentlichen Verkehrs
zu beeinflussen. Um die Siedlungsentwicklung und die Verkehrsinfrastruktur aufeinander
abzustimmen, ist im
Agglomerationsprogramm Biel die Realisierung einer leistungsfähigen
Achse für den öffentlichen Verkehr vorgesehen. Verkehrsexperten beurteilten
verschiedene Verkehrssysteme hinsichtlich ihrer Zweckmässigkeit und kamen zum Schluss,
dass ein Tram die raumplanerischen und städtebaulichen Anforderungen am besten erfüllt.2
Schnell und umsteigefrei
Das geplante Regiotram soll die Wohngebiete am Südostufer des Bielersees umsteigefrei
mit dem Bözingenfeld verbinden, wo sich Arbeitsplätze, Dienstleistungszentren und Sportanlagen
konzentrieren (Abb. 3). Bis zum Bahnhof Biel soll es weitgehend die bestehenden
Gleise der Biel-Täuffelen-Ins-Bahn (BTI)3 benutzen. Die Anlagen bis in die Entwicklungsgebiete
im Osten müssten neu erstellt werden (Abb. 10). Die Endstation wird an einer neuen
SBB-Haltestelle Bözingenfeld eingerichtet. Damit würde ein neuer Umsteigepunkt zwischen
Regional- und Lokalverkehr entstehen; heutige Umwege, wie zum Beispiel von Solothurn
oder Grenchen nach Bözingenfeld via Mett oder Hauptbahnhof, könnten eliminiert werden.
Im Grundsatz steht die Linienführung fest, verschiedene Teilstücke werden derzeit detailliert
untersucht. Beispielsweise ist der Weg durch das Städtchen Nidau noch offen. Entweder
wird das Tram auf dem bestehenden Gleis der BTI durch die Keltenstrasse oder auf einem
neu zu erstellenden Trassee durch Nidaus Hauptstrasse zum Bahnhof Biel geführt. Heute
endet die BTI-Linie im Untergeschoss des Bahnhofs Biel. Die Idee, diesen zu unterqueren,
wurde wegen der zu erwartenden Kosten für die Aufrechterhaltung des Bahnbetriebs und
der schwierigen Einbindung des Rampenbauwerks ins Stadtbild auf dem Bahnhofplatz
verworfen.
Das Tram würde gemäss der heutigen Planung am Robert-Walser-Platz halten.
Die Fahrgäste könnten von dort durch die Bahnhofunterführung Aarbergstrasse zu den SBBGleisen
gehen. Fahrgäste, die nicht auf die Bahn umsteigen müssen, fahren in einer Schlaufe
um den Bahnhof herum, anschliessend durch die Bahnhofstrasse Richtung Zentralplatz
und weiter auf dem Oberen Quai der Schüss entlang. Verkehrsingenieure prüfen zurzeit, ob
sich die Jakob-Stämpfli-Strasse oder die Gottstattstrasse besser für die östliche Fortsetzung
eignet. Neben der technischen Machbarkeit ist die Einbindung der neuen Achse in das gebaute
Stadtgefüge wichtig für die Attraktivität des Stadtraums.
Vielfältige Ansprüche koordinieren
Die übergeordneten Gremien der Projektorganisation bestehen aus Vertreterinnen und Vertretern
des Kantons Bern, der Gemeinden Biel und Nidau sowie der betroffenen Gemeinden
am rechten Seeufer, der regionalen Verkehrskonferenz RVK, des Vereins Seeland.Biel/Bienne,
der SBB, der Verkehrsbetriebe Biel und der Aare Seeland mobil.
Für die Planung ist die Linie in vier Teilprojekte unterteilt. Hinzu kommen übergeordnete Teilprojekte,
die sich mit Themen wie der Bahnstromversorgung, der Wirtschaftlichkeit, dem Betrieb
oder der Umweltverträglichkeit befassen. Nach Auskunft von Projektleiter Aebi wählte
man diese Projektorganisation, da ein einzelnes Planungsbüro für die gesamte Tramlinie, bei
einem dicht gedrängten Terminplan, nicht genügend Kapazitäten habe. Von dieser Aufteilung
profitiert die Bauherrschaft auch hinsichtlich der Vergleichbarkeit der unterschiedlichen
Lösungsansätze und Planungsergebnisse. Um die verkehrlichen und städtebaulichen
Erkenntnisse auszutauschen, trafen sich die beteiligten Planungsbüros während der Ausarbeitung
der Vorstudien zu drei Workshops mit der Gesamtprojektleitung. Geleitet wird das
Projekt derzeit vom Amt für öffentlichen Verkehr des Kantons Bern. Falls das Regiotram realisiert
wird, ist ein Wechsel der Projektleitung zur Stadt Biel angedacht.
Autobahnbau als Chance und Hindernis
Biel ist sternförmig aus fünf Richtungen mit Bahn und auf Hochleistungsstrassen (HLS) erreichbar.
Am rechten Seeufer fehlt eine HLS-Verbindung. Miteinander verknüpft werden diese
Strassen erst durch die neue Autobahnumfahrung A5, deren Ostast gegenwärtig im Bau
ist, für deren Westast aber bis heute noch keine Linienführung gefunden werden konnte.4 Bis
dahin rollt der gesamte Durchgangsverkehr auf verschiedenen Achsen durch die Stadt Biel,
was mit entsprechenden Immissionen und Kapazitätsproblemen verbunden ist. Die Autobahnumfahrung
beeinflusst auch den Bau des Regiotrams. Durch die Fertigstellung der
Autobahn
im Jahr 2030 wird sich ein Teil des öffentlichen Verkehrs auf den motorisierten Individualverkehr
verlagern. Flankierende Massnahmen bieten aber die Chance, den Verkehr
in der Innenstadt zu reduzieren, Strassenräume aufzuwerten, die Sicherheit zu verbessern
und diese Wirkung möglicherweise umzukehren. Die Linienführung des Westastes5 ist
weiterhin
in Diskussion. Er soll im Gebiet zwischen dem Bahnhof Biel und dem Guido-Müller-
Platz in Nidau zu liegen kommen, was das Stadtbild durch Rampen oder Einschnitte stark
beeinträchtigen würde. Wird der Westast nicht realisiert, wird die Verkehrssituation auf dem
Guido-Müller-Platz kritisch. Falls das Regiotram durch die Hauptstrasse von Nidau geführt
wird, wird es ebenfalls diesen Platz queren. Um mögliche Konflikte rechtzeitig zu erkennen,
ist der Projektleiter der A5 in den Planungsgremien des Regiotrams vertreten.
Eigentlich ist Biel zu klein für ein Tram …
Biels Busnetz ist auf den Bahnhof ausgerichtet und sorgt für die Feinverteilung im Stadtgebiet.
Die östlichen Stadtteile bzw. Entwicklungsgebiete sind mit einer längeren Busfahrt zu
erreichen. Die heutige Linienführung der Busse bringt Konflikte mit dem motorisierten
Individualverkehr
mit sich. Die Geschwindigkeit und die Fahrplanstabilität der Busse sind
auf verschiedenen Linien ungenügend. Die Mehrheit der Buslinien durchfährt dort die
Haupteinkaufsstrasse
der Stadt.2 Das Regiotram soll einen der vier parallelen Buskorridore
im Stadtzentrum ersetzen.
Aufgrund der heutigen Nachfrage könnte die Transportkapazität auch mit Bussen sichergestellt
werden, sagt Aebi. Ausschlaggebend für die Idee eines Regiotrams war aber, dass die
Gleise der BTI benutzt werden können. Man müsste lediglich die Fortsetzung in Biel bauen
und das Rollmaterial ersetzen. Die Vorortbahn würde ihr charakteristisches Aussehen verlieren
und mit modernen Tramkompositionen zwischen Ipsach und Bözingenfeld im Siebeneinhalbminuten-
Takt verkehren. Zwischen Ipsach und Täuffelen ist ein Fünfzehnminuten-Takt
vorgesehen. Um den Takt und die Transportkapazität erhöhen zu können, ist bis hier auch
ein partieller Doppelspurausbau in Planung. Von Täuffelen bis Ins wird der heutige Fahrplan
vorläufig beibehalten. Dies soll einen Anreiz dafür schaffen, sich im besser erschlossenen
Gebiet zwischen Biel und Täuffelen niederzulassen.
Weitere Gründe, ein Regiotram einzuführen, sind das erwartete Bevölkerungswachstum und
die damit verbundene Stadtentwicklung. Ein Tram habe eine grössere Kapazität als ein Bussystem,
sagt Aebi. Das Tram würde im Stadtverkehr zwar bis auf wenige Ausnahmen nicht
eigentrassiert geführt und müsste sich den Raum mit anderen Verkehrsteilnehmenden teilen,
würde aber an den Knotenpunkten bevorzugt (vgl. «Mit Bus und Tram durch dichte Räume»,
S. 32). Dies führte bei der Mitwirkung zur Linienführung im Frühjahr 2010 zu Bedenken in der
Bevölkerung über mögliche Störungen des Fuss- und Veloverkehrs.
Signalwirkung des Regiotrams
An der geplanten Endstation des Regiotrams im Bözingenfeld, neben SBB-Haltestelle und
Autobahnausfahrt, ist keine Park-and-Ride-Anlage vorgesehen. Wer heute das Stadtzentrum
Biels besucht, staunt über die riesigen, leeren Parkplätze und die tiefen Parkgebühren.
Ohne flankierende Massnahmen wird es verlockend bleiben, mit dem Auto in die Innenstadt
zu fahren. Vor diesem Hintergrund scheint auch eine Signalwirkung des Regiotrams auf die
lokale Mobilitätskultur wünschbar. Die Erfahrung aus anderen Gebieten zeigt, dass das Tram
einen höheren Umsteigeeffekt hat als Busse und auch ein eindeutigeres Signal zur Aufwertung
urbaner Gebiete darstellt. Aebi vergleicht den Prozess mit dem Tram Bern West, dem
die Bevölkerung zunächst ebenfalls skeptisch gegenüberstand, das heute aber gerne benutzt
wird.
Und die Kosten?
Derzeit laufen Untersuchungen dazu, ob die Wirtschaftlichkeit des Systems gegeben ist.
Dabei werden auch allfällige Verlegungen oder Erneuerungen von Werkleitungen berücksichtigt.
Die Vorprojekte sollen im Sommer 2011 abgeschlossen werden. Der Zeitraum der
anschliessenden Mitwirkung ist noch nicht genau festgelegt. Das Regiotram wurde bei der
Bewertung der Agglomerationsprogramme vom Bund als B-Projekt eingestuft (vgl. «Ein Programm für die Agglomerationen», S. 22). Sollte die Kosten-Nutzen-Beurteilung zu dem
Schluss kommen, dass das Projekt realisiert werden kann, wäre es ab 2015 aus dem Infrastrukturfonds
finanzierbar. Bereits 2014 wird das A-Projekt «Busvorlauf» realisiert. Es bedient
das noch ungenügend erschlossene Gebiet Bözingenfeld mit Bussen und umfasst schon
einige
Teilprojekte wie etwa Haltestellen, die später für das Regiotram genutzt werden
könnten. Im Fokus steht dabei eine Verbindungsachse zwischen den geplanten Stadien und
dem östlichen Bözingenfeld, die heutigen Bushaltestellen werden weiterhin bedient. Die
Kosten
für das Regiotram werden derzeit auf ca. 200 Mio. Franken ( /−30 %) geschätzt, davon
übernimmt der Bund 40 % und der Kanton Bern 60 %. Die Kosten für die Aufwertung
des Strassenraums werden von den Gemeinden getragen. Wenn das Regiotram realisiert
wird und der heutige Terminplan eingehalten werden kann, würde 2018, 70 Jahre nach dem
letzten, erneut ein Tram durch Biel fahren.
Daniela Dietsche, dietsche@tec21.ch

TEC21, Do., 2011.05.19

19. Mai 2011

4 | 3 | 2 | 1