Editorial

Die Materialfrage

Bei Sanierungen von Bauwerken ist der Entscheid für die Konstruktion und für die Baustoffe oft von mehr Faktoren abhängig, als dies bei Neubauten der Fall ist. Die schon bestehende Konstruktion ist zu berücksichtigen, statische Randbedingungen sind einzuhalten, und der Umbau muss allenfalls unter Betrieb und damit in sehr kurzer Zeit durchgeführt werden. Damit wird die Materialwahl über das architektonische Konzept hinaus zusätzlich eingeschränkt. Im guten Fall beeinflussen die gewählten Materialien ihrerseits die Konstruktion und das architektonische Konzept.

Die Erweiterung der Messe in der Stadt Hamburg ging aus einem Projektwettbewerb hervor, der sich durch eine Besonderheit auszeichnete: Ihm war eine Investorenausschreibung vorausgegangen. Damit war man gezwungen, das siegreiche Projekt nachträglich den Bedingungen und insbesondere dem Preisangebot des ausgewählten Investors anzupassen. Ingenieure und Architekten mussten also versuchen, durch Optimierungen des Wettbewerbsprojektes innerhalb des vom Investor vorgegebenen Kostenrahmens zu bleiben. So musste unter anderem die von den Architekten Ingenhoven und Partner zusammen mit Sobek Ingenieuren entwickelte reine Stahltragkonstruktion einer kombinierten Stahl-Holz-Lösung weichen. Durch ein statisches System, das die gewölbten Holzkuppeldächer nicht einfach auf der stählernen Primärstruktur auflegte, sondern sich die Membrankräfte der Fläche zunutze macht, ist ein echter Hybridbau entstanden.

Die Wahl der Materialien hat einen grossen Einfluss auf die Lebensdauer und die Unterhaltskosten von Bauwerken. Eine neue SIA-Norm soll diese Grössen und ihre monetären Auswirkungen besser vergleichbar und damit aussagekräftiger machen (S.21). Insbesondere bei Brücken ist diese Frage aufgrund der grossen Beanspruchung durch Witterung und Abnutzung zentral. Unser Beitrag auf S.14 zeigt, dass bei den Unterhaltskosten hölzerner Brücken sehr grosse Unterschiede auftreten können. Auf der anderen Seite wird aber auch festgestellt, dass es verschiedene Wege gibt, solche Bauwerke wirtschaftlich zu betreiben. Sei es durch eine geschützte Konstruktion oder dann durch einen sehr sorgfältig ausgeführten Unterhalt. Daniel Engler, engler@tec21.ch

Inhalt

Neue Messe Hamburg
Armin Bronner
Bei der Erneuerung und dem Ausbau der Messe Hamburg mussten grosse Hallen und eine 56 m lange Passerelle erstellt werden. In beiden Fällen konnte die Bauherrschaft von den Vorteilen einer Holzlösung überzeugt werden.

Langes Leben für Holzbrücken
Matthias Gerold
Verschiedene Studien weisen darauf hin, dass richtig konstruierte, geschützte Holzbrücken langlebiger und billiger im Unterhalt sind als bislang vermutet.

Druck im Treppenhaus
Andreas Matthaei
Im Brandschutz galt bis anhin das Prinzip, dass in einen Fluchtweg eintretender Rauch abgesaugt und weggeführt werden muss. Manchmal verspricht aber eine Umkehrung dieser Denkweise mehr Sicherheit.

Wirtschaftlichkeitsberechnung
Othmar Humm
Für die Beurteilung der Wirtschaftlichkeit von Bauinvestitionen sind der zugrunde gelegte Zinssatz sowie die veranschlagte Lebensdauer zwei Schlüsselgrössen. Eine neue SIA-Norm soll die Vergleichbarkeit der Werte verbessern.

Wettbewerbe
Neue Ausschreibungen und Preise | Gessnerbrücke in Zürich| Wohnüberbauung Strandweg, Burgdorf | Rathaus des Standes Obwalden, Sarnen

Magazin
Publikation: «SvM – die Festschrift» | Bauen in der Flughafenregion | Aufhebung der Lex Koller befürwortet | Natur in Liechtensteins Siedlungsgebiet | Schutzwürdigkeit eines Gebäudes klären | Doch Annexbau für Spielcasino Baden? | In Kürze

Aus dem SIA
«Neue Horizonte»: Ausschreibung 2006 | Neue Erhebung
Z-Werte 2006 | Weltingenieurtage 2011

Produkte

Impressum

Veranstaltungen

Neue Messe Hamburg

Der Senat der Freien und Hansestadt Hamburg hat im Januar 2003 den Ausbau und die Modernisierung der mitten in der Stadt gelegenen Hamburger Messe beschlossen. Sowohl für das rund 90000 m² grosse Hallendach als auch für eine Fussgänger-Verbindungsbrücke konnte die Bauherrschaft von den Vorteilen einer Holzlösung überzeugt werden.

Messehallen: Nach einer Investorenausschreibung wurde ein städtebaulicher Wettbewerb ausgelobt. Diese Vorgehensweise erwies sich als echte Herausforderung, musste doch der durch den Juryentscheid prämierte Entwurf in das Budget der Investoren «eingepasst» werden. Das Siegerprojekt stammt von Ingenhoven und Partner aus Düsseldorf, der Tragwerksentwurf von Werner Sobek Ingenieure aus Stuttgart. Aus einer anfänglich reinen Stahlkonstruktion entwickelte sich eine kombinierte Holz-Stahl-Lösung.

Der Grundriss einer Halle von 76.80 mu134.40 m ist unterteilt durch einen Raster aus Quadraten von 19.20 m Seitenlänge, gebildet durch einen Trägerrost aus unterspannten, stählernen Hohlkastenträgern (Bild 6). Die Stützenweite beträgt 38.40 m, im orthogonalen Wechsel hängen Querträger an Längsträgern. Darüber spannen sich Tonnengewölbe aus Brettschichtholzbögen und die eigentliche Dachfläche aus Lignotrend-Holzelementen.

Alle Stützen sind als Pendelstützen ausgebildet, die Aussteifung des Gebäudes geschieht über die Dachkonstruktion. Die horizontalen Lasten werden über die Tonnenschalen in die Stahlkonstruktion eingeleitet und dann weiter in Betonscheiben abgetragen, die sich etwa in der Mitte jeder Aussenwand befinden. Die ursprünglich geplante Übereck-Anordnung musste wegen zu hoher Kräfte aus Zwängungen und Temperaturverformungen verworfen werden.

Tragstruktur

Die Anforderungen an das Tragwerk sind hoch. So müssen alle Stahl- und Holztragelemente den Brandwiderstand F-30 erfüllen, die Dachelemente müssen zusätzlich schwer entflammbar sein und akustische Anforderungen erfüllen (Bilder 8 und 9). Der Messebetrieb verlangt Anhängelasten von 0.50 kN/m2 sowie Einzellasten von 10 kN auf jeweils 2.40 mu4.80 m. Die höchsten Ansprüche wurden aber durch den Entwurf selbst vorgegeben. Dieser sah unterspannte Stahlträger mit einer Spannweite von 38.40 m und einer statischen Höhe von lediglich 2.50 m vor – bei gleichzeitig «äusserst filigranem Erscheinungsbild». Um dieses Ziel zu erreichen, wurden insbesondere zwei Massnahmen getroffen: Werkseitig eingebaute Zugstangen zwängten die Obergurt-Hohlkästen (600 mmu800 mm) in eine Überhöhung und spannten damit die Zugstangen der Unterspannungen (mehrteilige Flachstähle) vor. Mit Ballast wurden die überhöhten Stahlträger dann auf dem Bau in die horizontale Lage gebracht. Somit konnte die rechnerisch ermittelte vertikale Verformung unter Volllast von 280 mm auf 120 mm (L/320) reduziert werden.

Zweitens unterstützt die darüber liegende Tonnenschale die Stahlkonstruktion. Die Brettschichtholzteile sind also nicht nur «lose» aufgesetzt, sondern über zug- und druckfeste Anschlüsse mit der Stahlkonstruktion fest verbunden. Ebenso sind die Dachelemente linienfest an die Bögen und Längsträger angeschlossen (Bild 7). In der Tonnenschale entstehen Membranschnittkräfte, in den Brettschichtholzteilen grosse Normalkräfte.

Die oben beschriebene Vorspannung der Stahlträger mittels Ballast wurde so eingestellt, dass die Holzkonstruktion im Montagezustand nahezu lastfrei ist. Die Membranschnittkräfte entstehen erst aus der weiteren Belastung, aus der Dacheindeckung, den Anhängelasten sowie aus Wind und Schnee. Im Tragverhalten ergänzen sich Stahl und Holz, und man kann die Konstruktion als echten Hybridbau bezeichnen.

Wie oben erwähnt steht die gesamte Halle auf Pendelstützen. Somit kommt dem Dach als aussteifender Scheibe eine erhöhte Bedeutung zu. Bei einer Hallenlänge von bis zu 134.40 m ist die horizontale Verformung auf L/1000 zu begrenzen. Der Stahlträgerrost ist hierfür nur in Ausnahmefällen in seiner Ebene horizontal durch einen Verband diagonal ausgekreuzt. Die Windlasten werden somit aus der Fassade in die Stahlrandträger eingeleitet und von dort in die Tonnenschalen weitergegeben. Auf Grund der Tonnenhöhe ergibt sich eine Exzentrizität zwischen der Lasteintragung und der aussteifenden Ebene (Tonnenschale), sodass zusätzliche Membranschnittkräfte entstehen.

Eine weitere strukturbedingte Anforderung ist die Ausbildung der so genannten Schirmmützen. Ursprünglich war eine Auflagerung der schräg geneigten äusseren Vordachbögen auf den durch die Fassade durchstossenden Stahlträgern vorgesehen. Um diese grossen Kältebrücken zu vermeiden, wurden die jetzt freihängenden Schirmmützenbögen über die Tonnenschalen – einhergehend mit nun notwendigen biegesteifen Anschlüssen der Holzlängsträger – «zurückgehängt».

Holztragwerk

Das Holztragwerk besteht aus Brettschichtholzbögen im Querschnitt 160 mm u 440 mm sowie Brettschichtholzlängsträgern im Format 120 mmu360 mm bis 160 mmu360 mm (Bild 5). Bis auf die oben genannten Bereiche der Schirmmützen sind die Anschlüsse untereinander auf Normal- und Querkräfte ausgelegt. Der Anschluss der Längsträger erfolgt über eine Schlitzblech-Stabdübelverbindung. Im Normalbereich sind diese Verbindungen als durch den ogenquerschnitt durchgesteckte Bleche ausgeführt, im hoch beanspruchten Bereich bzw. im Bereich der Schirmmützen erfolgt ein Übergang auf ein Sonderstahlteil. Diese Teile ermöglichen die Aufnahme hoher Schnittkräfte, und die Längsträger lassen sich dabei durch das Eintreiben von nur wenigen Montagestabdübeln sehr schnell anschliessen. Für die Montagearbeiten zur Messehalle A1 war dies nicht unwichtig, musste doch das gesamte Tragwerk einschliesslich der Dachelemente innerhalb von nur fünf Wochen errichtet werden.

Jeweils vier Bögen wurden zusammen mit den Längsträgern am Boden vormontiert und so per Kran in Position gebracht. Zum Anschliessen der Bögen an die Stahlkonstruktion waren je Anschlusspunkt zwei Montageschrauben M36 einzudrehen. Zwischen den so montierten 4er-Bünden konnten anschliessend die fehlenden Längsträger eingebaut werden.

Dachelemente

Die Erfüllung der Forderung nach einem F-30-Brandschutz der Dachelemente war durch eine entsprechende Bemessung ohne weiteres möglich. Durch eine Modifikation konnte auch die Schwerentflammbarkeit erreicht werden. Eine spezielle Druckimprägnierung in Zusammenhang mit einem erforderlichen Schutzlack ertüchtigte die unteren Lamellen der Elemente. Die normalerweise aus Holzweichfaser bestehenden Schallabsorber wurden durch eine zementgebundene, nicht brennbare Holzwolle-Leichtbauplatte ersetzt. Der bewertete Schallabsorptionsgrad liegt damit bei 0.40.

Ein weiteres Ziel war die Ermittlung gesicherter Abbrandwerte. An der Empa in Dübendorf wurden ca. 0.80 mu1.00 m grosse, 100 mm dicke Versuchsplatten geprüft. Die wichtigsten Versuchsergebnisse: Es fand kein Durchbrand statt, F-30 wurde erreicht.
Nach Beendigung des Versuchs erloschen die Flammen sofort. Im Vergleich zu nicht imprägnierten Elementen wurde über die Hälfte mehr Brennstoff verbraucht, die durch das Holz eingebrachte Brandlast also weniger effizient in Energie umgesetzt. Der effektive Abbrand ist tendenziell geringer als die für Nadelholz üblichen 0.8 mm/min. Die maximale Temperaturzunahme auf der Kaltseite betrug 11°K. Es besteht also keine Gefahr für die darüber liegenden Bauteile (Bild 4).

Passerelle

Das Messegelände wird nach der Erweiterung durch eine vierspurige Hauptverkehrsstrasse, die Karolinenstrasse, in zwei Teile getrennt. Um den Besuchern einen komfortablen und dem Aufkommen gerechten Übergang zu ermöglichen, wurde eine geschlossen eingedeckte Brücke von 56 m Länge mit einem 10 m breiten Gehweg vorgesehen. Zur Ausführung kam wiederum statt des ursprünglich geplanten, geschweissten Stahlhohlkörpers eine Holzkonstruktion. Eine einzige V-förmige Stahlstütze trägt den als Gerberträger konzipierten, im Querschnitt elliptischen Baukörper.

Ein sehr hoher Vorfertigungsgrad bzw. Elementbau erlaubte eine geringere Bauzeit, sowohl bei der Werkfertigung als auch vor allem bei der Montage. Wegen der resultierenden Verkehrsbehinderungen war dies ein zentrales Entscheidungskriterium. Der BSH-Hauptträger-Hohlkasten war geometrisch einfacher zu bewältigen als der geplante Stahlträger mit komplexer
3D-Struktur, ebenso die elliptischen Bögen.

Komplexer Montagevorgang

Die primären Tragelemente der Brücke liegen unterhalb des Gehwegs. Der Hauptträger ist mittig längs geteilt. So konnten die transport- und montagetechnischen Anforderungen gemeistert werden. Das schwerste Bauteil wog allerdings auch so noch knapp 50t. Die halben Trägerquerschnitte mit einer Breite von 2.30 m bildeten über die gesamte Brückenlänge einen Gerberträger. Dessen Auskragung erleichterte die Montage. Beim Einhängen des zweiten, kurzen Gerberteiles wurde die einzige verbleibende Fahrspur (eine Fahrtrichtung wurde weiträumig umgeleitet) unter das auskragende Gerberstück geführt, was eine Montage ohne Vollsperrung ermöglichte (Bilder 10–12).

Die im Grundriss schräge Auflagersituation erforderte den Einbau von aufwändig zusammengesetzten Stahlteilen während des Verleimvorgangs der Hauptträger aus BSH. Gleiches galt für den Gerberstoss.

Seitlich am Hauptträger wurden in angenagelte Stahlknaggen die Konsolenträger eingehängt. Diese Dreiecke aus geraden Brettschichthölzern waren werkseitig vorgefertigt worden. Die Zugkräfte aus den Konsolen werden durch Bewehrungsspannstähle aufgenommen. Über den Konsolenträgern (alle 2.40 m) spannt eine 70 mm dicke Furnierschichtholzplatte als Gehweg. Sie dient gleichzeitig der horizontalen Aussteifung von Auflager zu Auflager.
An den äusseren Ecken der Konsolen sind die elliptischen Bögen angeschlossen. Der Anschluss ist als Montagestoss und wie oben beschrieben biegesteif ausgeführt. Die Brettschichtholzbögen haben im engen Ellipsenradius Lamellendicken von lediglich 6 mm. Die Dachkonstruktion besteht aus Brettschichtholzpfetten und Dachplatten aus Baufurniersperrholz.

Die Mittelstütze ist eine 2-teilige, V-förmige Stahl- Beton-Verbundstütze. Die Stahlrohre sind für die Tragsicherheit ausreichend, die bewehrte Betonfüllung dient dem Brandschutz.

TEC21, Sa., 2006.03.18

18. März 2006 Armin Bronner

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