Editorial
Historische Bauten erzählen Geschichten – ihre Struktur, ihr Zustand und ihre Nutzung geben Auskunft über Gesellschaftliches, Soziales oder Technisches vergangener Zeiten. Diese Geschichten zu wahren und sie bei einer Renovation, einem Umbau oder einer Sanierung nicht zu verlieren ist eine Herausforderung, die es lohnt, anzugehen, denn sie geben dem Bauwerk einen ganz besonderen Charakter. TEC21 berichtet über die Transformationen von vier historischen Bauwerken und einer historischen Parkanlage.
Der Raum unter den Bögen der Aussersihler Bahnviadukte in Zürich – Denkmäler der Technikgeschichte – wurde umgestaltet («Strip und Netz-werk», S.32ff.), ihm wurde die Nutzung als Marktgasse zugespielt. Sichtbar bleibt das charakteristische Zyklopenmauerwek und im leichten Masse spürbar die Erschütterungen, die durch den Bahnverkehr auf den Viadukten verursacht werden. Eine Umnutzung von einer Markthalle zum Veranstaltungs- und Konsumtempel erfolgt derzeit in Basel an der Viaduktstrasse («Auf Zahnstochern», S.38ff).
Die imposante Betonschale aus dem Jahr 1929 prägt den Raum: Sie stellt sich wie eine Hand mit acht Fingern über den Eventbereich auf die Fingerkuppen, wobei zwischen den Fingern das emsige und geschäftige Treiben stattfinden kann. Ebenso öffnete die Schweizer Kirche in London im November letzten Jahres ihre Türen einem erweiterten Besucherkreis («Hinter dem Paravent», S.43ff.). Mit der Umformung des Innenraums der klassizistischen Kirche wurde die sakrale Halle entstaubt, von Veraltetem befreit und mit einem Stellwand-ähnlichen Einbau neu bestückt. Auch der neue Hauptsitz der Alternativen Bank in Olten erhielt eine Generalüberholung: Der ehemalige Geschäftssitz des Walter-Verlags wurde gemäss den Zielen der 2000-Watt-Gesellschaft saniert. Dazu gehört neben der Innendämmung der denkmalgeschützten Sandsteinfassade auch eine bankenuntypische Schlichtheit im Innenausbau («Sparsame Bank», S. 12–13). Die Verwandlung des Brühlgutparks in Winterthur in eine zeitgemässe Grünanlage baut genauso auf vorhandenen Qualitäten auf («Handwerk und Magie», S.46ff.): Der alte Baumbestand und die grosszügige Rasenfläche wurden belassen. Die Anlage an der Einfallsachse von Zürich kann von Beginn an genutzt werden, als wäre es nie anders gewesen.
Alle fünf Objekte wurden nicht zuletzt in die Gegenwart transformiert, um heute wieder modifiziert nutzbar zu sein. Der Glanz des Ursprüngli-chen schimmert – gerechtfertigter- und glücklicherweise – bei Markthallen, sakralem Kleinod und stattlichem Haus sowie beim Stadtgarten noch durch. Ein neuer «Lebensabschnitt» mit einer neuen Geschichte kann den «Lebensläufen» beigefügt werden.
Clementine van Rooden
Inhalt
05 WETTBEWERBE
Ein neuer Platz für Bern
12 MAGAZIN
Sparsame Bank | Akustischer und visueller Genuss | Überlegungn zum Schattenwurf | In der Welt der Kapseln | Sachverhalt in Sachen Seiler/Schiess | Klettern für Kunst und Architektur | Berner Baumweg
32 STRIP UND NETZWERK
Rahel Hartmann
Schweizer EM2N Architekten haben mit der Strategie des Sowohl-als-auch aus der Barriere des Wipkinger Viadukts eine vernetzende Struktur geschaffen. Stefan Bänziger Tragkonstruktion
38 AUF ZAHNSTOCHERN
Dominik Weiss, Tomaž Ulaga
Die Markthalle in Basel wird bis 2012 instand gesetzt. Walt Galmarini und Ulaga Partner haben die Kuppel abgefangen und neu fundiert. Rahel Hartmann Schweizer
Von der Kuppel bis zum Campanile
43 HINTER DEM PARAVENT
Maren Harnack
Ein leichtes Möbel, das Christ & Gantenbein der Schweizer reformierten Kirche in London einverleibt haben, ersetzt die schwerfälligen Einbauten von einst.
46 HANDWERK UND MAGIE
Hansjörg Gadient
Die Landschaftsarchitekten Rotzler Krebs Partner haben den Brühlgutpark in Winterthur mit Magie in einen Stadtgarten verwandelt.
52 SIA
Geschäftslage im 2. Quartal 2010 | Wider den Bauleiter-Mangel | Tagung und Veranstaltungen | Aktuelle Kurse SIA Form
58 MESSE
600 Ausstellende, 15 Sonderschauen und ein grosses Rahmenprogramm bietet die «Bauen & Modernisieren» vom 2.–6.9.2010.
61 PRODUKTE
63 FIRMEN
77 IMPRESSUM
78 VERANSTALTUNGEN
Strip und Netzwerk
Das Wipkinger Viadukt ist ein höchst hybrides Bauwerk, nachdem EM2N zusammen mit WGG Schnetzer Puskas Ingenieure AG die 52 Bogen zu einer 590 Meter langen Marktgasse transformiert haben. Zwischen Heinrich- und Geroldstrasse entstanden für 32 Millionen Franken in 38 Bogen Laden, Atelier- und Gewerberäume sowie im Spickel der beiden Viadukte an der Limmatstrasse Zürichs erste Markthalle, die sich über 14 Bogen erstreckt. Ihre Eröffnung ist auf Anfang September terminiert. Aus einer städtebaulichen Barriere haben die Architekten eine vernetzende Struktur geschaffen, die dereinst sogar den Strom des Gleisfelds überbrücken könnte. Es ist ein typisches «sowohl als auch»[1]-Projekt von Em2n.
Die 1889–1898 errichteten Aussersihler Bahnviadukte sind Denkmäler der Technikgeschichte und herausragende Zeugen von Zürichs Stadtentwicklung. Im Laufe ihrer 100-jährigen Geschichte bildeten sie sich aber gewissermassen als natürliche Grenze heraus – EM2N bezeichnen sie denn auch als ein von Menschenhand errichtetes Gebirgsmassiv – zwischen dem Industriegebiet «ausserhalb» des Schienen-S (Abb. 1) und den Wohnquartieren auf dessen Innenseite.
Im Zuge der Sanierung der Viadukte (vgl. Kasten S. 34) entschieden sich die Stadt Zürich und SBB Immobilien, eine Neunutzung der Viaduktbögen ins Visier zu nehmen, und schrieben einen Wettbewerb für die Umgestaltung aus. Zusammen mit der zusätzlich von den Auslobern verlangten landschaftlich gestalteten Fortsetzung des Fuss- und Velowegs auf dem Letten-Viadukt sollte das Projekt dem Verkehrsweg eine ganz neue Qualität eintragen: Die Durchlässigkeit sollte sich nicht mehr auf die durch die Bögen vorgezeichnete West- Ost-Richtung konzentrieren, d. h. den «alten» an den «neuen» Kreis 5 andocken, sondern auch die Nord-Süd-Richtung erschliessen und die Aussenräume an der Limmat mit jenen im Kreis 5 verbinden. Statt einer linearen Struktur sollte ein Netz resultieren. Bedingung war ausserdem, die Transformation möglichst kostengünstig ausführen zu können, damit die Stiftung zur Erhaltung von preisgünstigen Wohn- und Gewerberäumen der Stadt Zürich (PWG), welche die Einbauten in Letten- und Wipkinger Viadukt im Baurecht übernommen hat, in der Lage sein würde, die Mieten niedrig zu halten.
«Sowohl als auch»
Im Sommer 2004 überzeugten EM2N Architekten und Zulauf, Seippel, Schweingruber Landschaftsarchitekten (heute: Schweingruber Zulauf) die Jury mit der Konzeption eines «sowohl als auch». Indem die Architekten die Situation einerseits als ein künstliches Gebirgsmassiv auffassten, betonten sie den landschaftlich-topografischen Massstab und kreierten mit dem Letten viaduktweg eine Art Höhenstrasse für Fussgänger und Velofahrer. Anderseits strickten sie an der Vernetzung weiter, um das Viadukt – als Verkehrs v erbindung verstanden – gleichermassen zu einem linearen Park wie zu einer Kultur-, Arbeits- und Freizeitmeile zu transformieren – mit der Markthalle als Auftakt und den Läden, Restaurants und Kultureinrichtungen als serielle Reihung. Die Idee der Architekten war, den «Letten-Viadukt-Strip» zu verlängern, als den sie die nach Funktionen und Öffentlichkeitsstufen gegliederte Abfolge von Einrichtungen entlang der Limmat zwischen dem Hauptbahnhof und der Josefwiese auffassen. Dieser führt vom Landesmuseum über den Platzspitz, das Museum für Gestaltung, den Oberen Letten, das EWZ, den Unteren Letten, die Berufs schule, diverse Clubs und Galerien, Migrosmuseum sowie Sporteinrichtungen bis zur Kehrichtverbrennungsanlage.
Ambivalenz oder zwei Gesichter
Die Ambivalenz, die sie mittels des «sowohl als auch» lösten, orteten EM2N aber auch in der Fragestellung, «wie sich ein denkmalgeschütztes Infrastrukturelement programmieren [lässt], sodass es integraler Teil des Stadtgefüges wird», und «wie man heute in der Schweiz noch günstig bauen [kann], trotz drastisch zunehmender Regulierungsdichte und Komfortansprüchen in Bereichen wie Energie, Hygiene und Brandschutz».
EM2N erhoben das Zyklopenmauerwerk zur prägenden Landmark, rückten sie in den Vordergrund, indem sie die Einbauten zurückhaltend gestalteten. Aber sie stellten diese nicht losgelöst in die Bögen hinein, sondern verbanden sie symbiotisch mit dem Mauerwerk.
Unprätentiös sind die Bögen «zugemauert» und mit Glas (Holzmetallscheiben) ausgefacht, wobei die Bögen des niedrigeren Lettenviadukts auf der «Innenseite» zur Josefwiese hin bis zum Scheitel gefüllt sind, während jene des Wipkinger Viadukts auf der «Aussenseite» zur Hard hin nur etwa zur Hälfte geschlossen sind, sodass sich zwei Gesichter zeigen: Zur Hardbrücke hin bleibt das monumentale Antlitz des Viadukts bewahrt, zur Josefwiese entspricht der «verhüllte» Auftritt dem intimen Charakter des Quartiers, das sich um die Josefwiese drängt.
Im Innern sind Galerien eingezogen – Holzrippenböden, deren Balken roh belassen oder hell gestrichen sind, und die entweder an der stark gedämmten Holzdecke aufgehängt oder auf Stützen abgestellt sind –, erschlossen jeweils von einer Treppe aus verzinktem Stahl, mit Tageslicht versorgt durch die kreisrunden Oberlichtkuppeln (Cupolux). Zu dem Baukasten, den die Architekten für den Innenausbau zusammenstellten und aus dem sich die meisten Mieter bedienten, gehören schliesslich auch die schwarz gestrichenen Toilettenzylinder. Das Restaurant hingegen ist mit einer Flucht von Kabinen ausgestattet, die innen und aussen farblich variieren, sodass sie etwas wie einen Deckstoff und ein Innenfutter haben.
Nahtstelle, Grat, Höhenstrasse
Das Projekt ist für das Werk von EM2N schon fast «klassisch» zu nennen – nicht nur, weil es ein weiteres ist, das sich der Umnutzung von Bestehendem verschreibt, sondern weil es sich auf dem Grat zwischen Architektur und Städtebau bewegt, auf der «Nahtstelle»[2] zwischen Einzelbau und Netzwerk. Tatsächlich ist es eine Aufreihung der einzelnen Einbauten zur Perlenschnur. Doch nicht nur weist jeder Bogen eine andere Geometrie auf, auch die Schnitte und Grundrisse differieren, sodass jeder Bogen ein eigenes Projekt war – so, als hätten 40 Einfamilienhäuser geplant werden müssen. Als Netzwerk beschränkt sich die Erschliessung nicht auf die Ebene, auf die Verbindung in Nord-Süd- und West-Ost-Richtung, sondern erstreckt sich auch über die Vertikale: Einzelne «Häuser» sind als Treppen ausgebildet, um den Lettensteg zugänglich zu machen: Es sind Treppenhäuser im Wortsinn – mithin ebenfalls hybride Bauten.
Der Wechsel von Haus-Brücke-Haus-Brücke als Abfolge verstärkt noch die Assozia tion mit der Höhenstrasse an der Landi 1939, die ebenfalls eine Aneinanderreihung von Pavillons passierte. Diese Analogie wäre noch markanter gewesen, wenn nicht aus Kostengründen auf Aufgänge von den Galerien auf den Lettensteg hätte verzichtet werden müssen. Dann hätte sich ausserdem noch ein weiteres Bild eingestellt: die Referenz an die Berner Lauben und die dortigen Kellerlokale – das Hybride zwischen ober- und unterirdisch wäre demnach noch ausgeprägter zum Tragen gekommen.
Spannring und Membran
Bei aller Durchlässigkeit setzt das Viadukt einer ausufernden Entwicklung aber auch eine klare Figur als Widerstand entgegen, nicht von ungefähr haben EM2N das mittelalterliche Arles als Referenzbild gewählt, auf dem das römische Amphitheater wirkt wie ein Spannring, den die Häuser im Innern fast zu sprengen drohen.
Ähnlich brandet die Josefwiese an das Viadukt – erst recht, nachdem der Zaun und die Hecke zum Viadukt hin im Zuge der Auffrischung gewichen sind, welche die Stadt 2009 für 2.5 Millionen Franken ins Werk setzte. Obwohl die seit 1920 bestehende Josefwiese mit einer Fläche von gut 20 000 m² knapp so gross ist wie drei Fussballfelder, offenbart sie sich aus der Vogelperspektive als grüner Teppich eines Innenraums. Gewissermassen als Erweiterung des Wohnzimmers wird er von den Quartierbewohnern auch genutzt. Ausserdem profitieren sie vom Umbau des 1926 von Stadtbaumeister Hermann Herter errichteten «Kiosks Josefwiese», den Ladner Meier Architekten im selben Zeitraum realisierten.
Balg und Reissverschluß
EM2N interpretieren das Bild der Stadtmauer zeitgemäss – nicht als starre Barrikade, sondern als pulsierende Membran. Tatsächlich ist das Viadukt ein Organismus, der sich bewegt: Je nach Temperatur variieren die Dehnungsfugen (Dilatationsfugen) um bis zu 2 bis 3 cm, was sich in unterschiedlichem Schlagverhalten niederschlägt, das mittels Erschütterungsdämmung nivelliert wurde (vgl. Kasten S. 36).
Das Faltwerk der Markthalle mit der schokoladebraunen genoppten Dachhaut vergleicht Daniel Niggli mit dem Schokoladeaufstrich zwischen zwei Brotscheiben, die auseinandergezogen werden. Es erinnert aber auch an den Balg eines Akkordeons. Das Moment des Beweglichen, das der Markthalle eignet, weckt indes noch eine andere Assoziation: diejenige mit dem Schieber eines Reissverschlusses, in den die beiden sowohl in der Horizontalen als auch in der Vertikalen auseinanderdriftenden Viadukte einmünden und als dessen Zähne sich die Bogen ausnehmen.
Anmerkungen:
[01] Titel der monografischen Darstellung des Werks der Architekten: Andreas Ruby, Ilka Ruby (Hg.): EM2N: sowohl – als auch. gta Verlag, Zürich, 2009
[02] Stanislaus von Moos, «Versteckspiel am Puls der Stadt», zit. op., S. 198TEC21, Fr., 2010.08.27
27. August 2010 Rahel Hartmann Schweizer
Auf Zahnstochern
Die Umnutzung der Markthalle in Basel wird von Blaser Architekten geplant und ausgeführt. Die Halle soll im Frühling 2012 mit ihrer neuen Nutzung eröffnet werden und einem breiten Publikum zugänglich sein. Die Ingenieure von Walt Galmarini und Ulaga Partner führen die Indstandsetzungsarbeiten aus und haben kürzlich eine spannende Rohbauphase abgeschlossen: Sie haben die Kuppel abgefangen, eine Stütze verlängert und auf tieferem Niveau neu fundiert. Nun werden die Arbeiten auf «festem Boden» fortgesetzt.
Zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts wurde der Basler Barfüsserplatz als Marktplatz genutzt. Der Aufschwung nach dem Ersten Weltkrieg führte zu einer betrieblichen Ausweitung auf die umliegenden Strassen und zu einem enormen Verkehrsaufkommen – ein Zustand, der bald als unhaltbar betrachtet wurde. Der Regierungsrat empfahl deshalb, den Marktbetrieb auf den ehemaligen Kohleplatz beim Bahnhof zu verlegen. Eine überdachte Anlage entsprechend vorbildlichen Bauten in Frankreich und Deutschland wurde erst durch die zu diesem Zweck gegründete Markthallengenossenschaft Basel und durch deren engagierte Geldmittelbeschaffung realisiert.
Massivkuppel nach Vorbildern im Ausland
Im Rahmen eines Variantenstudiums wurden verschiedene Arten von Längshallen untersucht und auf Anregung der Baukommission um die Möglichkeit eines Kuppelbaus erweitert. Die Planer stellten fest, dass mit diesem Gebäudetyp die Ausnutzung der unförmigen und abfallenden Parzelle viel besser gelingt. Die 1929 im Baurecht fertiggestellte Anlage bestand schliesslich aus drei strukturell unterschiedlichen Bereichen: der Halle unter der Stahlbetonkuppel, dem Bereich unter dem Flachdach und der Randbebauung.
Die Stahlbetonkuppel hat einen Durchmesser von 60 m und eine Höhe von 25.7 m. Die Wandstärke beträgt im Allgemeinen 8.5 cm (Abb 4). Die Rippenschale mit achteckigem Grundriss war zur Zeit der Erstellung die drittgrösste Massivkuppel der Welt. Die Fläche der Halle entspricht ungefähr derjenigen des Barfüsserplatzes. Acht Betonstützen tragen den «Schirm». Sie durchdringen den Boden sowie das darunterliegende Geschoss und sind auf Einzelfundamenten mit Grundrissabmessung von 4.8 × 4.8 m fundiert.
Das Flachdach neben der Halle besteht aus einer dreistufigen Stahlkonstruktion. Die Hauptbinder sind Fachwerke mit Spannweiten bis 29 m bei einer statischen Höhe von 2.5 m. 12 m lange Fachwerkpfetten bilden die Sekundärträger, sie spannen von Binder zu Binder. In die Pfetten sind Einzelprofile mit Zwischenabstand von 80 cm eingelegt, die als Verteilträger dienen. Sie sind mit einer Dach-Hourdiskonstruktion ausgefacht. Die am Flachdach anschliessende Randbebauung hat ein Sockelgeschoss mit variabler Höhe und gemauerten Wänden. Die Decken sind Hourdiskonstruktionen. Einzelne Bereiche wurden später aufgestockt.
Erweiterungs- und Umbauprojekt
Der Kuppelraum wurde während 75 Jahren für Marktzwecke genutzt. Die Konsumgüterverteilung hat sich in dieser Zeit gewandelt, sodass nach Ablauf des Baurechtvertrags 2004 eine neue Verwendung für die Anlage gesucht wurde. Der Kanton Basel-Stadt formulierte die Ziele und hielt fest, dass eine publikumsorientierte Nutzung angstrebt und das Ensemble unter Denkmalschutz gestellt werden soll. Ausserdem durfte ein zusätzlicher Baukörper erstellt werden. Der Vorschlag der Allreal und Blaser Architekten ging als Siegerprojekt aus dem Investorenwettbewerb hervor. Künftig dient der Kuppelraum als offener Platz für Veranstaltungen. Darum herum und in der darunterliegenden Ebene werden Läden und Lokale bereitgestellt. Eine Kaskadentreppe im Norden, neue Haupteingänge und eine Verbindungs rolltreppe sollen eine publikumsfreundliche Erschliessung sicherstellen. Im Nordwesten wird die Anlage um ein Wohnhochhaus erweitert. Mit neuen Untergeschossen wird Nutzfläche für Technik und Parking sowie Kellerabteile für die Bewohner des neuen Hochhauses geschaffen.
Da die Anlage während der ursprünglichen Nutzung Schaden nahm durch Nässezutritt von aussen, Kondenswasser von innen und Tausalzwasser von Fahrzeugen und keine vollumfängliche Instandsetzung stattgefunden hatte, müssen entsprechende Sanierungsmassnahmen im Rahmen des vorliegenden Projekts durchgeführt werden.
Abfangung einer Kuppelstütze
Die Grundstücksfom und die Bestrebung nach maximaler Nutzflächengewinnung führen zu komplexen geometrischen Verhältnissen und zu Verflechtungen zwischen Abbruch und Aushub bzw. zwischen bestehender und neuer Bausubstanz. Die neuen Untergeschosse befinden sich zu einem grossen Teil unter den Gebäudeeinheiten von 1929. Für die Realisierung mussten darum bestehende Fundamente abgefangen und bis 5 m tiefer neu abgestellt werden. So werden im nördlichen Bereich bis zu vier neue Kellergeschosse in den Boden unter der Halle eingelassen. Da eine der Stützen in dieser Zone steht und sich deren Funda- mentsohle ca. 4.5 m über der neuen Bodenplatte befindet, musste die Stütze abgefangen, verlängert und auf tieferem Niveau neu fundiert werden. Die beiden benachbarten Stützen liegen jeweils knapp neben den neuen Kellergeschossen. Sie mussten deshalb zwar nicht verlängert, für die Erstellung der Baugrube aber ebenfalls temporär abgefangen werden.
Die Stützen mit einem Querschnitt von 1.5 m × 1.5 m sind 11° aus der Vertikalen zum Kuppelzentrum hin geneigt, sodass die Kombination aus Vertikallast und Horizontalschub zu einer praktisch reinen Normalkraft in den Stützen führt. Im Gebrauchszustand beträgt die Normalkraft in jeder Kuppelstütze 3.8 MN (380 t). Die Abfangung war so zu konstruieren, dass diese Normalkraft in Stützenlängsrichtung bis in den Baugrund weitergeleitet wird. Ebenso müssen Ablenkkräfte senkrecht zur Stützenachse abgetragen werden. Sie resultieren aus der asymmetrischen Kuppelbeanspruchung durch Wind-, Schnee- und Temperatur- einwirkungen oder aus geometrischen Imperfektionen wie der Abweichung der geneigten Abfangkonstruktion von der Sollrichtung und der Differenz zwischen vorhandener und projektierter Kuppelgeometrie.
Bevor die Unterfangungsarbeiten begannen, wurde die Abfangkonstruktion mittels kraftgesteuerten Pressen «aktiviert». Die Stahlkonstruktion und die eingebohrten Mikropfähle wurden dabei mit der errechneten Gebrauchslast der Stütze belastet. Trotz Vermessung der Stützengeometrie und anschliessender Ausführungsplanung der Abfangkonstruktion in 3D waren erhebliche Ausführungstoleranzen zu berücksichtigen. Die ganze Konstruktion besteht deshalb aus Stahl S235, womit ein Grossteil der Verbindungen vor Ort geschweisst und gleichzeitig eine notwendige Robustheit erzeugt werden konnte. Sobald die verlängerte Stütze und die ersten zwei Geschossdecken erstellt waren, wurde die Stahlkonstruktion abgesenkt.
Die Stützenkraft wurde dann in die neue Stützenverlängerung umgeleitet. Die bei diesem Vorgang gemessene Setzung war kleiner als 1 mm, da die Pfähle im Stützenfundament verblieben und sich der Spannungszustand im Boden praktisch nicht veränderte.
Überwachung der Kuppelbewegungen
Die bestehende Kuppelkonstruktion ist während des Baus diversen Einflüssen ausgesetzt. Um diese quantifizieren und notfalls gezielt Gegenmassnahmen einsetzen zu können, wird die Bewegung der Schale an 33 Punkten laufend überwacht. Technisch erfolgt dies mit einem fest installierten Theodolit, der die an der Innenseite befestigten Messprismen automatisch vermisst. Die Ergebnisse sind über einen Datenserver und das Internet jederzeit einsehbar; ergänzend existiert ein Alarmierungskonzept.
Neben möglichen Deformationen aus der Unterfangung bestehender Bauteile sind weitere Faktoren wie beispielsweise Temperaturveränderungen zu erwarten, die die Deformation der Kuppel beeinflussen. Der Unterschied der Tages- zur Nachttemperatur wirkt sich aufgrund der trägen Konstruktion nicht messbar aus. Der saisonale Temperaturunterschied hingegen erzeugt ein messbares «Pumpen»: Der Scheitel bewegt sich bei Erwärmung von 25° um 7 mm nach oben, der untere Rand gleichzeitig um 4 mm radial nach aussen. Um diese Einflüsse herauszufiltern, starteten die Ingenieure die Deformationsüberwachung bereits vor Baubeginn. Während der Bauzeit wird in der Regel alle drei Tage gemessen – in der kritischen Phase der Stützenabfangung wurde die Messung verdichtet und während des Pressvorgangs täglich mit zusätzlichen Einzelmessungen ergänzt.
Den signifikantesten Einfluss auf die Bewegung der Kuppel bewirkte der Aushub für den neuen Gebäudeteil im Norden. Durch die Entlas tung des Baugrundes hob sich der Boden und der darauf stehende Pfeiler; die Kuppel hob sich im Norden um 6 mm. Diese Hebung geht wieder zurück, sobald die Auflast des neuen Gebäudeteils aufgebracht ist. Die messbaren Bewegungen infolge der Unterfangungsarbeiten blieben wie erwartet gering. Beim Umsetzen der Last von der Stütze auf die Schiftkonstruktion wurden mit 2 mm in Stützenlängsrichtung die grössten Bewegungen aufgezeichnet.
Zum Vergleich seien die beim Ausrüsten der Kuppel gemessenen Deformationen erwähnt: Am 9. August 1929 ermittelte der damalige Prüfingenieur Max Ritter bei seiner Überwachungsmessung maximale absolute vertikale Deformatio nen von 2 mm im Bereich der radialen Rippen und bis 5 mm in den Feldern der Tonnengewölbe. Diese Zahlen bestätigen die im Laufe des Bauvorhabens beobachtete hohe Gesamtsteifigkeit der Kuppelkonstruktion.TEC21, Fr., 2010.08.27
27. August 2010 Dominik Weissmüller, Tomaž Ulaga