Editorial
Informationen über den Zustand und das innere Gefüge eines Bauteils zu erhalten, ohne dieses aufzuschneiden, anzubohren oder gänzlich zu zerstören, ist vorteilhaft. Dies gilt für Bauteilversuche im Labor oder im Werk wie auch auch für Versuche und Zustandsanalysen am fertig gebauten Objekt. Mögliche Techniken und Prüfgeräte werden in «Zerstörungsfrei prüfen» (S. 20 ff.) erklärt und deren bevorzugte Anwendungsbereiche aufgezeigt. Dabei wird deutlich, dass sich die gesamte Palette der Physik, von der Mechanik über die Optik bis hin zum Schall, in den zerstörungsfreien Prüfverfahren wiederfindet. Vor allem der Schall zieht sich wie ein roter Faden durch alle drei Themenartikel. So auch in «Hammerevolution» (S. 27 ff.): Im Artikel «Der Beton-Prüfhammer» aus dem Jahr 1950 von Ernst Schmidt, erschienen in der «Schweizerischen Bauzeitung», Jahrgang 68, Nr. 28, wird erwähnt, dass die Baupraktiker zu dieser Zeit die Betonqualität mit einem leichten, langstieligen Hammer geprüft haben. Neben dem Gefühl des Rückpralls lieferte ihnen der Klang des Aufschlages Rückschlüsse auf die vorhandene Betonqualität. Somit war nicht nur das Hören, sondern auch das Gehörte zu verstehen unbedingt notwendig. Eine Voraussetzung, der auch im Artikel «Schallemissionsanalyse» (S. 24 ff.) besondere Bedeutung zukommt: Hier wird deutlich, dass ein Bauteil durch die Ultraschallanalyse zu uns «spricht». Sämtliche Informationen über seinen Zustand sind in dem von ihm ausgesandten Schallsignal enthalten. Das Analysieren und Auswerten dieser Signale ist allerdings alles andere als einfach und deshalb nur von erfahrenen Spezialisten mit entsprechendem Equipment zuverlässig durchführbar.
Auch Mikroelektromechanische Systeme (MEMS) werden zur zerstörungsfreien Untersuchung rsp. Überwachung von Gebäuden und Brücken eingesetzt. Als MEMS werden intelligente, miniaturisierte 3D-Bauteile bezeichnet, die aus mikroelektronischen Komponenten und mikromecha-nischen, optischen, chemischen oder biochemischen Komponenten bestehen. Bewegungs- und Beschleunigungssensoren sind nur einige Beispiele, die in Verbraucheranwendungen wie Mobiltelefonen, Digitalkameras, Laptops und eben auch in der zerstörungsfreien Prüfung am Bau zum Einsatz kommen. Diese winzigen Maschinen führen uns vor Augen, dass nicht alles, was gross ist, auch wichtig ist, und umgekehrt. So steckt in MEMS oft ebenso viel Ingenieur-Know-how wie z. B. in der kühnen Tragstruktur eines Hoch- oder Tiefbauobjektes. Trotzdem kommen wir kaum auf den Gedanken zu hinterfragen, wie diese kleinen Bauteile aussehen und wie sie funktionieren.
Bevor Sie also nächstes Mal Sondierbohrungen anordnen oder bestehende Fassaden öffnen: Denken Sie an die Möglichkeiten der zerstörungsfreien Prüfverfahren.
Markus Schmid
Inhalt
05 WETTBEWERBE
Feuerwehr-Ausbildungszentrum
11 MAGAZIN
Ursprung der Baukunst | Auf dem Nullpunkt | Gegendarstellung | Turbulente Gewässer, sichere Fahrt
20 ZERSTÖRUNGSFREI PRÜFEN
Peter Bindseil
Eine Übersicht über die Möglichkeiten rund um das Thema Zerstörungsfreie Prüfverfahren am Bau.
24 SCHALLEMISSIONS-ANALYSE
Christian Grosse
Bauteile «sprechen» zu uns und teilen uns ihren Zustand mit. Wie dieSignale beim Beton erfasst, ausgewertet und interpretiert werden, erklärt dieser Artikel.
27 HAMMEREVOLUTION
Marco Brandestini
Das Original wird 60-jährig, doch die Entwicklung geht weiter. Der Betonprüfhammer einst und heute.
32 SIA
Andrea Deplazes: «Die Dualität existiert nicht mehr» | Passerelle zum Energieingenieur | Aktuelle Kurse SIA-Form
37 FIRMEN
45 IMPRESSUM
46 VERANSTALTUNGEN
Störungsfrei prüfen
Mit zerstörungsfreien Prüfverfahren können aufwendige zerstörende Untersuchungen an Bauwerken vermieden werden, was die Akzeptanz von Bauwerksuntersuchungen erhöht. Dies ist wichtig in Anbetracht der Tatsache, dass viele Bestandsbauten immer noch ohne jede sachkundige Zustandsuntersuchung «modernisiert» werden.[1] Auch bei künftig häufiger durchzuführenden regelmässigen Bauwerksüberprüfungen[2] können zerstörungsfreie Untersuchungen zur Anwendung kommen.
Dieser Artikel stellt mehrere Prüfverfahren vor. Dabei wird besonders auf Untersuchungen Bezug genommen, die im Rahmen eines Forschungsvorhabens zum Thema Aspekte der Standsicherheit beim Bauen im Bestand an einer ehemaligen Kaserne (Abb. 3) in Pirmasens (D) aus dem Jahre 1938 durchgeführt wurden[3]. Das Gebäude ist etwa 70 m lang, 15 m breit und enthält ein Kellergeschoss, drei Obergeschosse und ein Dachgeschoss. Es wurde im Jahr 1977 geringfügig renoviert und anschliessend von amerikanischen Streitkräften genutzt.
Seit einigen Jahren steht das Gebäude nun leer. Die Wände bestehen aus Mauerwerk, wobei in Längsrichtung parallel zu den Aussenwänden zwei Innenwände als Begrenzung zum zentralen Flur angeordnet sind. Die Untersuchungen betrafen insbesondere die Stahlbetonrippendecken. Neben zerstörenden Prüfungen bis hin zu Traglastversuchen wurden auch zerstörungsarme und zerstörungsfreie Untersuchungsverfahren angewendet, um deren Eignung zur Erkundung der Baustrukturen zu erproben. Die untersuchten Decken bestehen aus Hohlziegeln mit quadratischem Grundriss, die mit durchgehenden Längslöchern in Richtung der Deckenspannrichtung verlegt sind. Zwischen den Ziegeln verbleiben sehr schmale Stege von nur 4 cm Breite, in denen Bewehrungsstäbe mit 20 mm bzw. 22 mm Durchmesser liegen (Abb. 1 und 2). Dies hatte schon bei der Errichtung zu grossen Problemen beim Einbau des Betons geführt. Infolge Entmischung wurden ausgedehnte Bereiche der Stege nur unvollständig ausbetoniert, weshalb die Bewehrung auf grossen Längen frei liegt (Abb. 4).
Prüfverfahren
Die folgenden Abschnitte beschreiben jeweils die Verfahren, mit welchen an der Kaserne die bestehende Bausubstanz analysiert wurde: – Bewehrungssuche: Bewehrungssuchgeräte dienten dem Aufsuchen oberflächennaher Bewehrung und der Ermittlung der für die Korrosion und den Brandschutz wichtigen Betondeckung. Sie beruhen auf elektromagnetischen Verfahren (in der Regel Wirbelstrommessungen). Abb. 7 und 8 zeigen exemplarische Messergebnisse. Im Fall der Rippendecke, bei der die Struktur der Decke massgeblich durch die Lage der Rippen und der darin verlegten Bewehrung bestimmt wird, gab die zerstörungsfreie Untersuchung der Bewehrung zusätzlich auch Auskunft über die Deckenstruktur. Die Messungen zeigen neben der Lage der Bewehrung auch deren Richtung und damit bereichsweise geänderte Spannrichtungen der Rippen an.
– Boreskop (Bauendoskop): Für die punktuelle Erkundung unbekannter Deckenaufbauten wird vorteilhaft ein Boreskop eingesetzt (Abb. 6). Es gestattet die Inspektion von Hohlräumen bei minimalem Eingriff ins Bauteil (Bohrungen ? Ø 12 mm). Für die periodische Inspektion von Fassadenverankerungen sind Boreskope besonders geeignet.
– Radar: Die Untersuchung der Rippendecken hat bestätigt, dass bei Altbauten immer wieder Unregelmässigkeiten in der Baustruktur auftreten. Lokale Untersuchungen allein reichen nicht aus, vielmehr sollten grossflächige Bereiche mit geeigneten zerstörungsfreien Verfahren auf Übereinstimmung mit bzw. Abweichungen von den lokal ermittelten Strukturen überprüft werden. Die Messung selbst ist relativ einfach durchführbar. Die Interpretation der Messbilder braucht allerdings viel Erfahrung. Bei Strukturänderungen (Lage und Richtung von Hohlräumen, Dickenänderungen der Decken und Ähnliches) können mit Vorteil Radaruntersuchungen (Abb. 15) eingesetzt werden. Auf diese Weise wurde rechtzeitig in einem für Traglastversuche vorgesehenen Deckenbereich ein äusserlich nicht erkennbarer Unterzug gefunden. Als Folge dieser Entdeckung mussten zwei Prüffelder in andere Deckenbereiche verschoben werden.
– Schallemission: In Bestandsbauten werden oft Belastungsversuche durchgeführt. Dabei treten im Beton Risse auf, deren Detektierung mit Schallemissionsmessungen (Abb. 9) die sonstigen Standardmessungen sinnvoll ergänzt. Die Messung von Schallemissionen gehört zu den sogenannten passiven Messverfahren: Das Bauteil selbst erzeugt das Signal. Dieses wird erfasst und hinsichtlich Entstehungsort und anderer Eigenschaften wie Intensität ausgewertet.
– Barkhausenrauschmessungen (BHR): Hierbei handelt es sich um induktive Messungen eines rauschartigen Signals. Dieses entsteht bei Einwirkung eines Magnetfeldes auf einen ferromagnetischen Werkstoff. Das Signal ändert sich u. a. mit der elastischen Spannung im Werkstoff. So können im Bauteil vorhandene mechanische Spannungen in Oberflächennähe gemessen werden.[4] Die Messungen wurden an der frei liegenden Bewehrung eines Deckenstreifens vor und während der Versuchsbelastung durchgeführt.[5] Die Untersuchun gen wurden neben einem Dehnungsmessstreifen (DMS) vorgenommen. Abb. 12 zeigt einen Vergleich der Ergebnisse nach Abzug der Vordehnung: Die Übereinstimmung ist relativ gut. Das Verfahren soll weiter entwickelt werden.
– Schwingungsanalysen: An der Leibniz Universität Hannover läuft ein Forschungsvorhaben zur Erkundung von Geschossdecken mittels Schwingungsuntersuchungen. Im Rahmen dieses Vorhabens wurden drei Rippendecken der Kaserne mit unterschiedlicher Struktur und Vorbelastung untersucht.[7,8] Beim Aufbringen einer Impulsbelastung durch einen aufprallenden Sandsack konnte die ers te und die zweite Eigenfrequenz ermittelt werden. Abb. 16 gibt die Lage der Impulsbelas tung und der Geschwindigkeitsaufnehmer für die Ermittlung der ersten Eigenfrequenz an. Abb. 10 und 11 zeigen die Antworten in Deckenmitte. Die Auswertung der Antworten aller drei Decken streifen bezüglich der ersten Eigenfrequenz ist in Abb. 17 zusammengestellt. Die Zahlenwerte sind deutlich unterschiedlich und gestatten Rückschlüsse auf die mechanischen Eigenschaften der Decken. Die Ermittlung der Eigenfrequenzen mittels Sandsackbelastung ist eine relativ einfache Methode, die die vergleichende Untersuchung zahlreicher Deckenfelder in kurzer Zeit ermöglicht. Auch dies kann dazu beitragen, Bauteilöffnungen auf ein Minimum zu beschränken.
– Potenzialdifferenzmessungen: Diese Messungen dienen der zerstörungsfreien Ermittlung von äusserlich noch nicht erkennbarer Korrosion des Betonstahls unter der Betonoberfläche. Dabei wird ausgenutzt, dass bei aktiver Korrosion Elektronen- und Ionenwanderungen im Stahl und im feuchten Beton stattfi nden. Es entstehen Potenzialdifferenzen zwischen der Betonoberfläche und dem Stahl. Diese Differenzen sind im Bereich von Korrosion negativ und betragsmässig auffällig gross. Sie können mit geeigneten Elektroden (Abb. 13) gemessen und flächig dargestellt werden (Abb. 14). Die Bewertung der Messergebnisse kann nach der Norm SIA 2006 vorgenommen werden. Die Messung wird z. B. bei Aussenbauteilen wie Fassaden mit ausreichend feuchtem Beton eingesetzt.
Anwendung erwünscht
Beim Bauen im Bestand wird die möglichst schonende, also weitgehend zerstörungsfreie Untersuchung zur Zustandserkundung und zur Schadensfeststellung immer wichtiger. Hierbei kommen je nach Komplexität des Bauwerks von den einfachen Standardverfahren bis hin zu anspruchsvollen Messtechniken alle Verfahren in Frage, die geeignet sind, die Akzeptanz von Zustandsuntersuchungen vor Beginn einer Umbauplanung und die Akzeptanz von künftigen Wiederholungsprüfungen zu erhöhen.3 Dieser Beitrag soll dazu ermutigen, auch solche zerstörungsfreien Prüfverfahren, die in der normalen Baupraxis noch weitgehend unbekannt sind oder als teuer und aufwendig angesehen werden, vermehrt anzuwenden. Die Kombination unterschiedlicher Prüfverfahren kann dazu beitragen, die Erkenntnisse über ein Bauwerk weiter zu vertiefen und abzusichern.
Anmerkungen:
[01] P. Bindseil: Zustandsuntersuchungen, Bauschäden und Instandsetzen beim Bauen im Bestand. Vortragsreihe Weiterbildung für Tragwerksplaner, TU Kaiserslautern 11.03.09 und TU Darmstadt 18.03.09
[02] VDI-Richtlinie 6200: Standsicherheit von Bauwerken, regelmässige Überprüfung, Febr. 2010
[03] P. Bindseil: Zerstörungsfreie Prüfungen beim Bauen im Bestand am Beispiel einer alten Deckenkonstruktion. Vortrag zur DGZfP-Fachtagung an der Bundesanstalt für Materialprüfung, Berlin 2010
[04] J. Ackermann: Kurzbericht, Spannungsmessungen an freiliegenden Bewehrungsstäben. 11.02.09 (Barkhausenrauschmessungen), ag engineering, Darmstadt
[05] M. Krüger: Untersuchungsbericht: Begleitende Messungen während zweier Belastungsversuche. Materialprüfungsanstalt Universität Stuttgart 13.01.2009
[06] B. Ebsen, C. Flohrer: Projekt EXTRABEST. Untersuchung der Deckenkonstruktion, Pirmasens, Hochtief Materials, 2009
[07] P. Bindseil, J. Schnell: Sachstandsbericht zum F E Vorhaben «Probleme der Standsicherheit beim Bauen im Bestand». FH und TU Kaiserslautern, Nov. 2009
[08] A. K. Zerbst: Bericht über die dynamischen Messungen von Stahlbetonrippendecken in einem Kasernengebäude in Pirmasens, 02.–03.03.2009; Institut für Statik und Dynamik ISD, Leibniz Universität HannoverTEC21, Fr., 2010.08.13
13. August 2010 Peter Bindseil
Schallemissionsanalyse
Das Verfahren der Schallemissionsanalyse (SEA ) macht sich zunutze, dass plötzliche Veränderungen im Gefüge eines Werkstoffs, die durch chemische, mechanische oder thermische Vorgänge ausgelöst werden, auch zur Emission von Schall führen. Hat man die Schallwellen erfasst, erlaubt deren Analyse Rückschlüsse auf den Zustand des Werkstoffs bzw. des Bauteils. Aber: zuhören allein reicht nicht, man muss die Signale auch verstehen.
Im Inneren mechanisch beanspruchter Materialien können sich Mikrorisse bilden, deren allmähliches Zusammenwachsen schliesslich zum Bruch führen oder das Bauteil in seiner Funktionsfähigkeit erheblich negativ beeinflussen. Bildung und Wachstum von Rissen führen zur Freisetzung von elastischer Energie in Form von Schallwellen. Dieses Phänomen wird als Schallemission bezeichnet und seit mehr als 50 Jahren im Rahmen der Schallemissionsanalyse systematisch untersucht. Häufig bestehen diese Signale aus einem sehr prägnanten kurzen Wellenzug, dem sogenannten «Burstsignal». In diesem kurzen Signal ist ein breites Frequenzspektrum von Wellen enthalten; nicht nur aus dem Ultraschallbereich (US), sondern teilweise sogar bis in den hörbaren Bereich hinein. Der Frequenzbereich von Schallemissionen beim Beton liegt zwischen 10 und 200 kHz mit entsprechenden Wellenlängen zwischen 2 und 40 cm.
Hören und verstehen
Selbst kleine Risse strahlen einen breiten Frequenzbereich und somit auch Wellen mit grösserer Wellenlänge als die Inhomogenitäten des Betons ab. So lassen sich mit diesem Verfahren im Gegensatz z. B. zu Ultraschallmethoden auch sehr kleine Fehlstellen lokalisieren. Da der Riss quasi selbst das Messsignal produziert, ist einerseits der Laufweg zum Aufnehmer kürzer als bei einer US-Durchschallung, und andererseits können mit einem Aufnehmer theoretisch ganze Bauteile «auf einen Schlag» (also integral) untersucht werden. Zuerst muss eine Schallemission erzeugt werden, d.h. das Bauteil muss belastet werden. Ganz so einfach ist dies allerdings nicht, da nach dem Kaiser-Effekt diese Belastung höher sein muss als alle vorher auf das Bauteil angewendeten. Für Beton (und evtl. auch für einige andere Materialien) scheint dieser Effekt jedoch zeitlich begrenzt zu sein. Als Nachteil bleibt, dass dieses passive Messverfahren in der Regel nur irreversible Vorgänge messen kann. Eine Ausnahme sind die Reibungen der Rissflächen aneinander (Rissuferreibung), jedoch ist dieses Phänomen für die meisten Baustoffe noch nicht befriedigend erforscht. Ausserdem kann es bei der plastischen Verformung von Materialien zu einer kontinuierlichen Emission von Schallsignalen kommen (Abb. 1). Die Analyse der Schallemissionssignale ist kompliziert. Alle Informationen über den Defekt stecken in dem von ihm ausgesendeten Signal – man muss die Signale allerdings richtig interpretieren. Die Interpretationsmethoden, nach denen die SE-Signale ausgewertet werden können, beruhen meist auf seismologischen Verfahren, da man es bei der Erdbebenkunde mit ganz ähnlichen Fragestellungen zu tun hat.
Verfeinerung der Technik
Mithilfe von SEA-Apparaturen war früher nur die Aufnahme von wenigen typischen Signalparametern (Ankunftszeit, Amplitude, Abklingzeit etc.) möglich; die Signale selbst wurden nicht aufgezeichnet. Die Auswertung beschränkte sich daher häufig auf eine zeitliche Statistik der Schallemissionen. Deswegen bezeichnet man diese Art der Anwendung häufig auch als «parameterbasierte Schallemissionsanalyse». Heute setzt sich jedoch immer mehr die Erkenntnis durch, dass – soweit möglich – eine sorgfältige Analyse der gesamten Signalform zur Interpretation erforderlich ist. Für diese sogenannte «signalbasierte Schallemissions analyse» ist eine Lokalisierung eines Ereignisses eine der wichtigsten Vorbedingungen. In einem dreidimensionalen Körper sind zur Ortung eines Ereignisses mindestens vier Aufnehmer nötig, da vier Unbekannte (drei Raumrichtungen und die Ursprungszeit) bestimmt werden müssen. Aus der relativen Laufzeit der einzelnen Signale zu den Aufnehmern kann auf den Ursprungsort geschlossen werden. Weitaus schwieriger ist die bruchmechanische Klassifizierung des Risses mithilfe der SEA. Hier befindet sich die Wissenschaft erst am Anfang. Anregungen für geeignete Auswertemethoden liefert hier ebenfalls die Seismologie (Herdflächenlösung, seismisches Moment).
Die Unterschiede zwischen parameter- und signalbasierter Schallemissionsanalyse haben einen grossen Einfluss auf die Aufzeichnungstechnik und die Auswertemethoden. Als passives zerstörungsfreies Verfahren eignet sich die Schallemissionsanalyse überwiegend für die Langzeitbeobachtung von Bruchprozessen im Labor oder bei der Dauerüberwachung von Bauwerken (Structural Health Monitoring). Während signalbasierte Verfahrend eher im Laborbereich angewendet werden, sind parameterbasierte Techniken oft die Wahl bei Bauwerksuntersuchungen.
Design und Optimierung neuer Werkstoffe
Die Schallemissionsanalyse ist ein exzellentes Werkzeug, um Bruchprozesse in Werkstoffen zu beobachten. In Kombination mit der numerischen Simulation können so Schädigungsprozesse analysiert und ein Werkstoff für bestimmte Anforderungen optimal hergestellt werden. Abb. 2 zeigt eine typische Anwendung, bei der das Verbundverhalten zwischen Bewehrung und Zementmatrix von Stahlbeton untersucht wurde, um die Rippengeometrie und die Betonmischung zu optimieren. Im Zusammenspiel mit der Modellierung ergeben sich neue Möglichkeiten für das Bauteildesign, sodass sich kosten- und zeitintensive Serienversuche erübrigen.
Ein weiteres Beispiel für solche Anwendungen ist die Entwicklung von Hochleistungsbeton für die Verwendung in Tunnelinnenschalen. Beton mit besonders hoher Druckfestigkeit (> 100 N/mm²) zeigt aufgrund seiner Gefügedichte bei hohen Temperaturen allerdings ein ungünstiges Abplatzverhalten. Die Schallemissionsanalyse lässt sich zur Untersuchung der Rissbildung und der Abplatzprozesse einsetzen (Abb. 3 und 4).[1] Derzeit wird die Schallemissionsanalyse auch benutzt, um Beton zu entwickeln, der selbstheilende Eigenschaften besitzt. Über die Zugabe von Nano- oder Mikrokapseln mit Kunstharz, die den Klebstoff bei Rissbildung ausschütten, soll ein Fortschreiten der Risse verhindert bzw. sollen aufgetretene Risse geschlossen werden.
Dauerüberwachung
Auf dem Gebiet der Schallemissions- und Datenanalyse hat die Entwicklung von Verfahren zur umfassenden Schädigungscharakterisierung in den letzten Jahren wesentliche Fortschritte gemacht. Im Hinblick auf eine Dauerüberwachung von Ingenieurbauwerken sind allerdings zwei zentrale Punkte noch nicht gelöst: Zum einen ist die heutige Sensortechnik nicht in der Lage, Daten kostengünstig und in hinreichender Qualität für die Anwendung komplexer Inversionsmethoden zu liefern. Aufgrund der Dämpfung der Schallwellen in Beton sind für die vollständige Überwachung eines Bauwerks viele Sensoren notwendig. Diese Tatsache trifft auch dann zu, wenn nur besonders kritische Punkte der Konstruktion untersucht und mit Sensoren appliziert werden. Andererseits ist die kabelgebundene Datenübertragung von Sensoren an verschiedenen Messpunkten, die bei grossen Bauwerken weit voneinander entfernt sein können, zum Aufzeichnungsgerät ein Problem.
Deswegen besteht aktueller Bedarf an neuen Sensortechniken und Auswertungsmethoden, die für ein dauerhaftes Monitoring von Bauwerken technisch geeignet und finanziell attraktiv sind. Eine Lösung zeichnet sich hier durch die Adaption verschiedener neuer Entwick- lungen aus anderen Bereichen wie der Kommunikations- oder der Mikrosystemtechnik ab.
Das Problem der Datenübertragung kann durch den Einsatz geeigneter kabelungebundener Lösungen («wireless LAN») in Verbindung mit adaptiven Netzwerken («adaptive self configuring wireless systems») gelöst werden. Prinzipiell ist es möglich, die notwendige Energie für den Betrieb der Sensoren über Hochleistungsbatterien oder ebenfalls kabelungebunden aus den Bauwerksschwingungen oder über Solarzellen zu gewinnen («energy harvesting»). Die Übertragung der Daten kann dann vom Bauwerk automatisch an jeden beliebigen Computer erfolgen.
Kleine Helfer
Winzige und kostengünstige Miniatursensoren – sogenannte Mikroelektromechanische Systeme (MEMS) – können für die Messung von Temperatur, Feuchte, Neigung, Druck, Verformung oder Beschleunigung eingesetzt werden. Diese Sensoren können mit einerentsprechenden «Intelligenz» versehen werden (Computerchips), die wichtige von unwichtigen Daten trennt. Die dabei verwendeten digitalen Signalprozessoren (DSP) können so programmiert werden, dass beispielsweise ein Teil der Signalanalyse bereits unmittelbar nach der Signalaufzeichnung durchgeführt wird, sodass nur noch relevante Daten weiterverarbeitet werden. Mehrere dieser sogenannten Sensorknoten können in Sensornetze zusammengefasst und so zur Gebäudeüberwachung eingesetzt werden. Neue Entwicklungen binden auch die Schallemissionsanalyse in diese Sensornetze ein, um vor einem strukturellen Versagen warnen zu können, was sich beispielsweise durch eine er- höhte Schallemissionsaktivität ankündigt. Eine viel versprechende Anwendung der – allerdings noch kabelgebundenen – Schallemissionsanalyse bei Bauwerken stellt die Detektion von Drahtbrüchen in Spannbetonbrücken dar, wie Untersuchungen der ETH Zürich zeigen (Abb. 5).[3]
Anmerkungen:
[01] C. Grosse, R. Richter: Schallemissionsverfahren zur Schädigungsanalyse bei Beton unter Brandeinwirkung. DGZfP Jahrestagung 2010, Erfurt, DGZfP: Berlin, BB94-CD (2005), V47, S. 356–363, (CD-ROM)
[02] S. Fricker: Schallemissionsanalyse zur Erfassung von Spanndrahtbrüchen bei Stahlbetonbrücken. Dissertation ETH Zürich Nr. 18692 (2010), 168 S.
[03] C. Grosse, M. Ohtsu (Hrsg.): Acoustic Emission Testing in Engineering - Basics and Applications. Springer publ., Heidelberg (2008), 404TEC21, Fr., 2010.08.13
13. August 2010 Christian Grosse