Editorial

Mit dem vorliegenden Heft wird die vierteilige Serie zur Raumplanung fortgesetzt. Die erste Ausgabe vom 5. März mit dem Titel «Die Schweiz wird knapp» lieferte einen Überblick über Geschichte und aktuelle Aufgaben der Schweizer Raumplanung. In der zweiten Ausgabe vom 21. Mai lag der Schwerpunkt auf der Zusammenarbeit und der Planungskultur. Beides ist für eine nachhaltige Raumentwicklung unabdingbar. Das vorliegende Heft ist nun verschiedenen Instrumenten in der Raumplanung gewidmet – einige davon werden bereits eingesetzt, andere sind erst angedacht und befinden sich im Stadium der Entwicklung. Gemeinsam ist allen, dass es sich um neue Ansätze und Ideen zur Lösung von Problemen im Raum handelt.

Der haushälterische Umgang mit dem Boden – eines der Hauptziele der Raumplanung – ist allgemein anerkannt. Die Herausforderung liegt vor allem in der Umsetzung. Dazu braucht es politischen Willen auf allen Ebenen – vom Bund über die Kantone bis hin zu den Gemeinden. Ebenso wichtig ist es aber auch, dass effektive, praxistaugliche und allgemein akzeptierte Instrumente zur Verfügung stehen.

Im Artikel «Marktkräfte nutzen» wird ein Überblick über marktwirtschaftliche bzw. anreizorientierte Instrumente präsentiert. Während viele Ökonomen die Umsetzung solcher Ansätze begrüssen, dominiert bei den Raumplanungsfachleuten Skepsis. Doch ökonomische Instrumente stellen lediglich ein Mittel dar, um bestimmte Ziele zu erreichen. Die Ziele selber sind durch die Raumordnungspolitik bzw. die Gesellschaft in einem demokratischen Prozess festzulegen. In «Modellvorhaben nachhaltige Raumentwicklung» werden die Modellvorhaben des Bundes vorgestellt. Seit 2002 unterstützt das Bundesamt für Raumplanung Projekte, die neue Ansätze für eine nachhaltige Raumentwicklung erproben, beispielswei-e die Zusammenarbeit über administrative Grenzen hinweg. Damit werden in Gemeinden oder Regionen Lernprozesse in Gang gesetzt, die auch für andere als Vorbild dienen können. Der Artikel auf Seite 28ff. stellt mit den Testplanungen ein neues Instrument vor, das sich bei diversen komplexen Planungsvorhaben bewährt hat. Verschiedene Teams erarbeiten gleichzeitig Lösungsvorschläge. Der strukturierte Prozess erlaubt das Testen verschiedener Ideen, wobei sich dank dem interdisziplinären Ansatz relativ rasch gangbare Wege herauskristallisieren.

Wie schon bei den ersten beiden Heften zur Raumplanung stammen die Fotos wiederum von Hannes Henz. Auf dem Land hat er Impressionen eingefangen, die uns vertraut sind – und bei genauerer Betrachtung doch auch irritieren. Aber was ist es eigentlich, das uns wichtig ist an der heimischen Landschaft? Vielleicht helfen die Bilder, eine Antwort zu finden.
Lukas Denzler

Inhalt

05 WETTBEWERBE
Neuer Birskopfsteg, Basel–Birsfelden

10 MAGAZIN
Neutra: begehbare Anmutung | Kinderbücher | Die Redaktion dankt Rita Schiess | Keine Hotelzone in Arosa

12 PERSÖNLICH
Remo Caminada: «Ich habe keinen Plan für mein Leben» | Ämter und Ehren

18 MARKTKRÄFTE NUTZEN
Lukas Denzler
Anreizorientierte Instrumente könnten das aktuelle Instrumentarium der Raumplanung ergänzen und dieser neue Impulse verleihen.

22 MODELLVORHABEN NACHHALTIGE RAUMENTWICKLUNG
Melanie Butterling, Jude Schindelholz
Das Bundesamt für Raumentwicklung unterstützt innovative Projekte, die wichtige Anliegen der Raumentwicklungspolitik umsetzen.

28 TESTPLANUNGEN ALS NEUE METHODE
Bernd Scholl
Testplanungen eignen sich für komplexe raumplanerische Aufgaben. Dabei werden Vorschläge verschiedener Teams offen diskutiert und miteinander verglichen.

34 SIA
Hans-Georg Bächtold: «Wir haben nie knappes Gut erzeugt» | Die Schweiz ist (noch) nicht knapp

39 PRODUKTE

45 IMPRESSUM

46 VERANSTALTUNGEN

Marktkräfte nutzen

Die Schweizer Raumplanung setzt weitgehend auf Zusammenarbeit sowie Gebote und Verbote. Ihre Ziele verfehlt sie jedoch in zentralen Bereichen. Nach der Überzeugung vieler Ökonomen würden anreizorientierte Instrumente der Raumplanung neue Impulse verleihen. Diese stellen aber kein Wundermittel zur Lösung der raumplanerischen Probleme dar. Vielmehr sind sie als Ergänzung zu den heutigen Instrumenten zu sehen.

Seit der Einführung des Raumplanungsgesetzes 1979 ist einiges erreicht worden; bei zentralen Problemen kommt die Raumplanung aber nicht richtig vom Fleck. Am Offensichtlichsten ist dies beim hohen Bodenverbrauch und bei der Zersiedlung der Landschaft. Partikularinteressen, die den allgemein anerkannten raumpolitischen Zielen entgegenwirken, dominieren offenbar nach wie vor sehr stark. Weil eine Kurskorrektur derzeit nicht in Sicht ist, stellt sich die Frage nach neuen Instrumenten. Eine Möglichkeit, die zurzeit vor allem in wissenschaftlichen Kreisen, teilweise aber auch in der Verwaltung diskutiert wird, stellen anreizorientierte Instrumente dar. Diese sollen die Marktkräfte nutzen und dabei gleichzeitig die Raumentwicklung in die gewünschte Richtung lenken.

Anlehnung an die Umweltökonomie

Die Idee, in der Raumplanung anreizorientierte Instrumente einzusetzen, hat ihre Wurzeln in der Umweltökonomie.[1] Grundsätzlich lassen sich bei diesen Instrumenten zwei Kategorien unterscheiden. Bei den preissteuernden oder fiskalischen Instrumenten werden Steuern oder Abgaben erhoben, um Angebot und Nachfrage über höhere Preise zu beeinflussen. Die mengensteuernden Instrumente in Form von handelbaren Zertifikaten oder Kontingenten zielen hingegen direkt auf eine Begrenzung des Verbrauchs von Umweltgütern ab. Umgesetzt wird dieses Konzept aktuell etwa in der Klimapolitik der EU: Über CO2-Zertifikate will man den Ausstoss an Treibhausgasen auf einen fixen Wert begrenzen. Der Preis ergibt sich aus Angebot und Nachfrage, wobei sich ein hoher Preis einstellt, wenn die Menge der Zertifikate deutlich kleiner ist als die Nachfrage.

Sollen anreizorientierte Instrumente aber auf die Bodennutzung übertragen werden, so stellen sich einige Probleme, die mit dem Boden als Ressource zusammenhängen. Im Unterschied zu Umweltgütern wie Luft und Wasser ist Boden weder homogen noch mobil. Deshalb kann eine bestimmte Bodenparzelle nie vollständig durch eine andere ersetzt werden. Boden ist auch ein zentraler Produktionsfaktor, Vermögensanlage und Spekulationsobjekt.

Ungeachtet dieser komplizierten Ausgangslage beschäftigen sich Ökonomen seit etwa zehn Jahren auch in der Schweiz mit der Frage, ob und wenn ja in welcher Form anreizorientierte Instrumente in der Raumplanung eingesetzt werden können. 2003 habe das Bundesamt für Raumentwicklung (ARE) einen Workshop über marktwirtschaftliche Instrumente organisiert, erinnert sich Markus Gmünder von der B,S,S Volkswirtschaftliche Beratung in Basel. Der Wirtschaftsgeograf hat kürzlich die Ergebnisse seiner Dissertation über anreizorientierte Instrumente in Buchform veröffentlicht.[2] Weil der Begriff «marktwirtschaftlich» unter Raumplanungsfachleuten oft Abwehrreflexe auslöse, spreche man besser von «anreizorientierten» Instrumenten, sagt Gmünder. Letztlich müsse es darum gehen, dass es sich für den Einzelnen lohne, sich so zu verhalten, dass gleichzeitig auch die übergeordneten Ziele der Raumplanung erreicht würden. Und aus ökonomischer Sicht soll dies natürlich auch möglichst effizient erfolgen.

Preissteuernde Instrumente

In seiner Analyse wägt Gmünder die Stärken und Schwächen der einzelnen Instrumente ab. Zu den preissteuernden Instrumenten zählen verursachergerechte Erschliessungsabgaben, Flächennutzungssteuern sowie Siedlungsflächen- und Zersiedlungsabgaben. Planungsfachleute fordern schon seit längerem verursachergerechte Erschliessungsabgaben, auch aus Gründen der Transparenz. Würden sie in voller Höhe erhoben, so hätte dies auch einen dämpfenden Effekt auf den Neuverbrauch von Siedlungsfläche. Bei Flächennutzungssteuern ginge es darum, die durch die bauliche Bodennutzung verursachten externen Kosten in Form einer Sozialkostenabgabe zu internalisieren. Aufgrund unvollständiger Informationen über die externen Effekte bereitet die Bestimmung der Höhe dieser Abgabe laut Gmünder allerdings Probleme. Als geeigneter beurteilt er hingegen Siedlungsflächen- und Zersiedlungsabgaben.

Diese würden auch gezielt bei den akuten Problemen der Raumplanung ansetzen, nämlich dem hohen Bedarf an Siedlungsfläche und der Zersiedlung der Landschaft. Alle diese Instrumente wirken primär über den Preis. Das genaue Ausmass ihrer Wirkung lässt sich aber nicht im Voraus beurteilen.

Mengensteuernde Instrumente

Anders ist dies bei den mengensteuernden Instrumenten, weil hier eine feste Obergrenze des Verbrauchs an Umweltgütern festlegt wird. Bei der Bodennutzung spricht man von Flächennutzungszertifikaten, bei Bauland-Neueinzonungen von Flächenausweisungszertifikaten. Laut Gmünder entsprechen handelbare Flächennutzungszertifikate in hohem Masse einer effizienten Marktlösung. Ihr grösster Vorteil ist darin zu sehen, dass ein festgelegtes quantitatives Ziel tatsächlich auch erreicht wird. Weltweit werden Flächennutzungszertifikate allerdings erst in wenigen Fällen eingesetzt, so etwa im US-Bundesstaat Maryland – dort bekannt unter dem Begriff «Transferable Development Rights». Interessanterweise wurde dieses Instrument zuerst im Denkmalschutz eingesetzt: 1968 führte die Stadt New York ein Gesetz ein, das den Umbau oder Abriss von historisch oder städtebaulich wertvollen Gebäuden verbot. Die Eigentümer konnten die nicht mehr realisierbare Ausnutzung an andere Grundeigentümer verkaufen, die dadurch die Möglichkeit erhielten, ihre Gebäude über die im Zonenplan festgehaltenen Werte auszubauen.

In den Augen der Ökonomen stellen Flächennutzungs- und Flächenausweisungszertifikate auch für die Schweiz eine interessante Möglichkeit dar, den Flächenverbrauch in den Griff zu bekommen.[3] So hat etwa eine Forschungsgruppe an der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) hierzu ein Konzept ausgearbeitet.[4] Ein solches Instrument könnte wie folgt aussehen: Für eine Rückzonung geeignete Baulandreserven werden von der Raumplanung sogenannten Sendergebieten zugeteilt. Gebiete, die künftig Bauland werden sollten, werden – wiederum von der Raumplanung – als Empfängergebiete ausgewiesen. Anschliessend beginnt ein Handel von Nutzungsrechten zwischen Sender- und Empfängergebieten. Laut Irmi Seidl von der WSL ist dabei zentral, dass Neueinzonungen nur möglich sind, wenn Nutzungszertifikate aus einem Sendergebiet vorliegen. Zweckmässig sei zudem ein schweizweiter Handel, damit die Preisbildung auf genügend Angebot und Nachfrage basieren könne.

Weil in der Schweiz vielerorts und über das ganze Land betrachtet mehr als genug Bauland ausgeschieden ist, fragt es sich allerdings, ob ein System, das sich im Wesentlichen auf Neueinzonungen abstützt, genug wirksam ist. Gmünder schlägt deshalb vor, Kontingente für die noch bebaubaren Flächen in den Bauzonenreserven einzuführen. Die Höhe des Kontingentes wäre politisch festzulegen. Ein heikler Punkt dürfte jedoch die Zuteilung der Flächennutzungszertifikate sein. Werden nämlich weniger Nutzungszertifikate ausgegeben, als Bauland ausgeschieden ist, ergibt sich nicht nur das Problem, wie und wem diese zugeteilt werden, sondern es stellen sich auch grundsätzliche rechtliche Fragen.[5]

Skeptische Raumplanungsfachleute

Handelbare Flächennutzungszertifikate werden von den Raumplanungsfachleuten zurzeit mehrheitlich kritisch beurteilt. Dies ergab eine Umfrage mit Antworten von 348 Personen aus Planungsbüros sowie kantonalen, regionalen und kommunalen Planungsfachstellen.[6] Markus Gmünder stellte dabei aber auch fest, dass Personen, die sich mit diesem Instrument bereits einmal auseinandergesetzt hatten, dieses deutlich besser bewerteten. Wie zu erwarten war, schnitt das Instrument der verursachergerechten Erschliessungsabgaben gut ab. Nach Einschätzung der Planungsfachleute dürften solche Abgaben auch politisch akzeptiert werden. Anders sieht es bei den Flächennutzungssteuern und Lenkungsabgaben auf Siedlungsflächen aus: Die Befragten beurteilen diese zwar als wirksam, ihre politische Akzeptanz wird aber als gering eingestuft. Aufgrund der Umfrage kommt Gmünder zum Schluss, dass unter den Planungsfachleuten derzeit eine recht hohe Skepsis gegenüber anreizorientierten Instrumenten besteht, die unter anderem aber auf deren nach wie vor geringen Bekanntheitsgrad zurückzuführen ist.

Martin Eggenberger, der Präsident des Fachverbandes Schweizer Raumplanerinnen und Raumplaner (FSU), bestätigt diese Einschätzung. Bei den Flächennutzungszertifikaten wisse man noch zu wenig, wie sich ein solcher Handel auf die Raumentwicklung insgesamt auswirken würde. Auch würde eine Entwicklung in den Zentren verteuert, und zwar auch an Standorten, wo eine solche grundsätzlich erwünscht sei, gibt Eggenberger zu bedenken. Zudem sollten nicht die «billigsten» Bauzonen entfernt werden, sondern diejenigen, die am falschen Ort lägen. Eggenberger bezweifelt, dass der Markt alleine zu einer aus raumplanerischer Sicht erwünschten Anpassung führen wird. Vielmehr sei die Planung zu verbessern. Anstelle eines Handels mit Zertifikaten fordern Raumplanungsfachleute seit langem eine konsequente Umsetzung des im Raumplanungsgesetz vorgesehenen Ausgleichs von Planungsmehrwerten. Eine Mehrwertabschöpfung würde Einzonungen weniger attraktiv machen.

Aus Einzonungen abgeschöpftes Geld könnte zudem benutzt werden, um aus planerischer Sicht wichtige Auszonungen zu finanzieren. Laut Eggenberger besteht nämlich die Gefahr, dass gerade hier auf eine kohärente Raumplanung verzichtet wird, weil die Gemeinden das finanzielle Risiko von Entschädigungen nicht eingehen wollen.[7] Unterstützung kommt in diesem Punkt für einmal auch von Avenir Suisse. Im soeben publizierten Bericht zum Kantonsmonitoring im Bereich der Raumplanung ist festgehalten, dass ein durch zweckgebundene Mehrwertabgaben gespeister Ausgleichsfonds auf kantonaler Ebene leichter zu organisieren wäre als ein Handel mit Flächennutzungszertifikaten.[8]

Landschaftsinitiative liefert neue Impulse

Irmi Seidl hält die Mehrwertabschöpfung für notwendig und sinnvoll. Sie warnt aber vor übertriebenen Hoffnungen, wenn es darum geht, mit diesen Einnahmen Rückzonungen zu finanzieren. In vielen Regionen sei Bauland für viele Jahre bereits ausgeschieden, weshalb über die Mehrwertabschöpfung nicht allzu viele Mittel generiert werden könnten. Neue Impulse für das Instrument der Flächennutzungszertifikate erwartet Seidl von der Landschaftsinitiative. Bei einer Annahme durch das Volk wären Neueinzonungen während 20 Jahren verboten. In den stark boomenden Agglomerationen würde das Bauland knapp, und der Handel von Zertifikaten wäre ein möglicher Weg, um einerseits die Initiative zu erfüllen und andererseits trotzdem eine weitere bauliche Entwicklung zuzulassen. Konkret könnten so Bauzonen von Regionen mit grossem Vorrat (Sendergebiet) in solche mit Bedarf an Bauzonen (Empfängergebiet) transferiert werden. Die Raumplanung würde sowohl Sender- als auch Empfängergebiete nach den heutigen Planungskriterien ausweisen. Ein politisch heikler Punkt ist, ob von diesem (Geld-)Transfer auch Regionen profitieren sollen, die in der Vergangenheit viel zu grosszügig Bauzonen ausgeschieden haben.

Dieses Problems sind sich auch die Träger der Landschaftsinitiative bewusst. Dennoch setzten sie sich im Februar 2009 an einem Workshop, an dem neben Vertretern der Landschaftsinitiative auch Raumplanungsexperten teilnahmen, mit marktwirtschaftlichen Lösungsansätzen auseinander.[9] Laut dem Bericht des Workshops stehen die Träger der Landschaftsinitiaitve solchen Instrumenten grundsätzlich offen gegenüber. Sie sehen darin langfristig sogar den wirksameren Weg als in den gegenwärtigen Instrumenten der Raumplanung. Ein Nachteil sei aber, dass marktwirtschaftliche Instrumente bei den politischen Akteuren und der Bevölkerung derzeit kaum bekannt seien und ihre Wirksamkeit wenig erprobt sei. Darum sprach sich eine Mehrheit am Workshop für die Verbesserung des aktuellen regulatorischen Instrumentariums aus. In den Augen der Träger der Landschaftsinitiative sollte den geltenden, aber oft nicht eingehaltenen gesetzlichen Bestimmungen im Bereich der Bauzonen zudem mit einem Verbandsbeschwerderecht zum Durchbruch verholfen werden.


Anmerkungen:
[01] I. Seidl: Potentiale und Grenzen ökonomischer Instrumente bei der Lenkung der Siedlungsentwicklung. In: Ballungsräume für Mensch und Natur. Forum für Wissen, Eidgenössische Forschungsanstalt WSL, S. 31–35, 2008
[02] M. Gmünder: Raumplanung zwischen Regulierung und Markt. Eine ökonomische Analyse anreizorientierter Instrumente in der Raumplanung. Rüegger Verlag, Zürich/Chur, 2010
[03] Siehe unter anderem: A. Süess, M. Gmünder: Weniger Zersiedlung durch handelbare Flächennutzungszertifikate? DISP 160, S. 58–66, 2005; F. Zollinger: Bauzonenhandel könnte Land sparen. TEC 21 31-32/2006, S. 4–8
[04] I. Seidl et al.: Flächenzertifikate. Ein Instrument zur Senkung der Flächeninanspruchnahme. Wissenschaft & Umwelt Interdisziplinär 12, S. 150–156, 2009
[05] Wie Anm. 2, S. 254 ff; S. 177 ff.
[06] Wie Anm. 2, S. 209 ff.
[07] Siehe auch: D. Baumgartner, I. Seidl: Rückzonung – eine Herausforderung für die kommunale Nutzungsplanung. Eine empirische Untersuchung in drei Schweizer Gemeinden. DISP 173, S. 22–33, 2008
[08] D. Müller-Jentsch, L. Rühli: Kantonsmonitoring – Raumplanung zwischen Vorgabe und Vollzug. Inventar der kantonalen Instrumente zur Siedlungssteuerung. Avenir Suisse, 2010
[09] R. Muggli, R. Rodewald: «Bauzonenumlegung» – Möglichkeiten einer haushälterischen Nutzung des Bodens durch Begrenzung der Bauzonengrösse und bessere Steuerung der Lage von Bauzonenreserven. Ergebnisse des Workshops de Träger der Landschaftsinitiative vom 26. Februar 2009. Bern, 2009

TEC21, Fr., 2010.07.16

16. Juli 2010 Lukas Denzler

Modellvorhaben nachhaltige Raumentwicklung

Unter dem Titel «Modellvorhaben Nachhaltige Raumentwicklung» unterstützt das Bundesamt für Raumentwicklung innovative Projekte, die wichtige Anliegen der Raumentwicklungspolitik umsetzen wie beispielsweise die Zusammenarbeit über administrative Grenzen hinweg. Die Modellvorhaben tragen dazu bei, entsprechende Prozesse in Gemeinden oder Regionen in Gang zu bringen oder zu beschleunigen, die dann zum Vorbild für andere werden sollen.

Die Gemeinden Agno, Bioggio und Manno in der Agglomeration von Lugano (Region Basso Vedeggio) haben sich in den letzten Jahren wirtschaftlich stark entwickelt. Die räumliche und funktionale Organisation der Region ist hingegen diejenige eines Vororts geblieben. Die drei Gemeinden haben daher mit Unterstützung des Kantons und des Bundes die Initiative ergriffen, um die räumliche Entwicklung der Region voranzutreiben und Massnahmen untereinander zu koordinieren. Auf diese Weise wollen sie ihre Region auch aus Sicht der Siedlungsentwicklung zu einem komplementären Zentrum zu Lugano werden lassen. Dafür wurde ein strategisches Leitbild erarbeitet, das z.B. die Ausscheidung von Arbeitsplatzzonen, bessere Anschlüsse an den öffentlichen Verkehr oder die Ausgestaltung der öffentlichen Grünfläche sicherstellen und koordinieren soll. Das Leitbild wurde auf die kantonalen Politiken und Herausforderungen wie etwa die geplante Umfahrungsstrasse Agno–Bioggio abgestimmt. Die Zusammenarbeit der verschiedenen Ebenen und die Einbindung privater Akteure stellen sicher, dass die Überlegungen zum Leitbild umsetzbar sind.

Laboratorien künftiger Entwicklung

Dieses Projekt ist eines von insgesamt 46 Modellvorhaben «Nachhaltige Raumentwicklung», die derzeit vom Bundesamt für Raumentwicklung (ARE) in Zusammenarbeit mit weiteren Bundesämtern unterstützt werden. Im Raumentwicklungsbericht 2005 stellte das ARE fest, dass für eine nachhaltige Entwicklung der Schweiz noch erhebliche Anstrengungen notwendig sind. Dafür braucht es auch neue Ansätze. Mit den Modellvorhaben werden daher innovative Strategien, Projekte und Prozesse für eine nachhaltige Raumentwicklung gefördert.

Nicht über Ge- und Verbote, sondern durch positive Beispiele will der Bund damit zur Umsetzung wichtiger Anliegen der Raumentwicklungspolitik – wie etwa der Inwertsetzung regionaler Potenziale, der Siedlungsentwicklung nach Innen und der bereichsübergreifenden Zusammenarbeit aller Akteure der Raumentwicklung – beitragen. Das Instrument der Modellvorhaben gibt lokalen, regionalen und kantonalen Akteuren einen Anreiz, Ideen in den vom Bund gesetzten Schwerpunkten zu entwickeln, und soll Experimente zu neuen Inhalten und Verfahren ermöglichen. Das bedeutet, dass Ausgang und Ergebnisse eines Modellvorhabens offen sein können. Die Modellvorhaben sind gewissermassen Laboratorien künftiger Entwicklung und sollen in der Verwaltung, in der Politik und bei der Bevölkerung Lernprozesse anstossen und letztlich Vorbild für andere Projekte sein.

Eine erste Runde von Modellvorhaben startete 2002 im Bereich Agglomerationspolitik und lieferte gute Erfahrungen in der interkommunalen Zusammenarbeit.1 Aufgrund der positiven Ergebnisse wurde das Instrument der Modellvorhaben 2007 auf weitere Bereiche – Nachhaltige Siedlungsentwicklung und Synergien im ländlichen Raum – ausgedehnt und unter dem Titel «Modellvorhaben der Nachhaltigen Raumentwicklung» zusammengefasst. Diese Modellvorhaben wurden im Rahmen von zwei Ausschreibungsrunden ausgewählt, die das ARE 2007 und 2008 für die nun drei Themenbereiche Agglomerationspolitik (hier gemeinsam mit dem Staatssekretariat für Wirtschaft, Seco), Nachhaltige Siedlungsentwicklung und Synergien im ländlichen Raum (gemeinsam mit dem Bundesamt für Umwelt, Bafu), dem Bundesamt für Landwirtschaft, BLW und dem Seco) durchführte. Interessierte Kantone, Regionen und Gemeinden sowie private und gemischte Trägerschaften konnten einen Projektantrag einreichen. Entscheidend für die Auswahl war, dass das Modellvorhaben innovativ ist, eine langfristige Wirkung anstrebt, einen politischen Prozess initiiert und der besseren Abstimmung der verschiedenen Sachpolitiken dient. Nach eingehender Prüfung wurde 46 von 93 eingereichten Projekten Unterstützung zugesichert.

Jura: Leben in der Altstadt

Eines davon ist das Modellvorhaben «Habiter le centre ancien», das derzeit in Pruntrut und Fontenais im Kanton Jura läuft. Sowohl in den Städten des Kantons als auch auf dem Land droht ein Teil des architektonischen Erbes in naher Zukunft zu verschwinden, da immer mehr Menschen aus den historischen Zentren in neue Quartiere ziehen und die Ortskerne verwaisen. Um diesem Trend entgegenzuwirken, will der Kanton das Wohnen in der Altstadt fördern. Im Rahmen des Modellvorhabens unterstützen Kanton und Gemeinden Sanierungsprojekte mit maximal 40 000 Franken pro Vorhaben.

Im ersten Jahr erhielten zwei Bauprojekte Beiträge: In einem Gebäude in der Altstadt von Pruntrut, in dem früher kleine Wohnungen ohne Komfort untergebracht waren und das seit Jahren leer stand, werden neu fünf Wohnungen und zwei Büros eingerichtet. Das zweite Projekt wird im Dorf Fontenais umgesetzt: Hier sollen in zwei verlassenen Scheunen vier Wohnungen entstehen. Weitere Vorprojekte sind angekündigt. Nach Ablauf der zweijährigen Pilotphase soll präzisiert werden, wie dieses Projekt über ein Gesetz und einen langfristigen Rahmenkredit auf das gesamte Kantonsgebiet ausgedehnt werden kann.[2]

Drei Themenbereiche der Modellvorhaben

Angesiedelt ist das Beispiel aus dem Kanton Jura im Themenbereich «Nachhaltige Siedlungsentwicklung ». Modellvorhaben in diesem Themenbereich können sich auf den ländlichen oder den urbanen Raum beziehen. Schwerpunkte sind das Siedlungsflächenmanagement (z. B. Siedlungsentwicklung nach innen; Begrenzung des Siedlungswachstums in die Fläche) und die interkommunale Zusammenarbeit (z. B. Festlegung von grösseren Siedlungsentwicklungsgebieten) (siehe Übersicht Abb. 1 S. 23).

Die Modellvorhaben «Agglomerationspolitik» befassen sich in erster Linie mit den Fragen und Herausforderungen des städtischen Raums und fokussieren auf zwei Themen: zum einen auf Projekte zur Entwicklung eines Stadtteils («projet urbain»), die in bestehenden wie in neuen Quartieren realisiert werden (Quartierentwicklung, Umnutzung von Brachen oder Entwicklung neuer zentraler oder periurbaner Quartiere) und die sowohl soziale als auch wirtschaftliche Aspekte sowie Umweltaspekte integrieren. Ein zweiter Schwerpunkt im Themenbereich «Agglomerationspolitik» ist die Zusammenarbeit in Agglomerationen, Städtenetzen und Metropolitanräumen.

Mit den Modellvorhaben «Synergien im ländlichen Raum» soll einerseits die Koordination der verschiedenen im ländlichen Raum wirkenden Sektoralpolitiken des Bundes und der Kantone optimiert und andererseits die institutionelle Zusammenarbeit öffentlicher und privater Akteure auf regionaler und lokaler Ebene gefördert werden. Die Projekte liegen folglich an der Schnittstelle verschiedener Sektoralpolitiken und Themenbereiche. Um sicherzustellen, dass alle Beteiligten von den Erkenntnissen aus den Modellvorhaben profitieren können, begleitet die Bundesverwaltung die Projekte zusammen mit den Kantonen und Regionen (inhaltliche Begleitung, technische Unterstützung, Wissenstransfer aus verschiedenen Sachbereichen). Die Bundesverwaltung organisiert regelmässig themenspezifische Tagungen, die dem Erfahrungsaustausch, der Vernetzung zwischen den Projekten und dem Erkenntnisgewinn dienen.[3]

Eigenamt: Bauland gemeinsam nutzen

Ein weiteres Beispiel der Modellvorhaben soll das Spektrum der bearbeiteten Themen illustrieren: Die fünf Gemeinden der Region Eigenamt AG haben beschlossen, die Erschliessung und Nutzung der vorhandenen Reserven an Industrie- und Gewerbebauland über die Gemeindegrenzen hinweg zu koordinieren und gleichzeitig auf Neueinzonungen zu verzichten. Damit wird an bester Verkehrslage eine der letzten grossen Industrie- und Gewerbebaulandreserven des Kantons Aargau mobilisiert. In den fünf Gemeinden sind insgesamt 160 ha Bauzone ausgeschieden, wovon rund ein Drittel noch nicht überbaut ist. Um die Zusammenarbeit zu ermöglichen, mussten schwierige Fragen diskutiert werden: Soll eine Gemeinde zugunsten von Nachbargemeinden auf Bauland und Steuereinnahmen verzichten? Wie können Nachteile durch Industrie- und Gewerbeansiedlungen für die Standortgemeinden, insbesondere im Bereich Lärm und Verkehrsaufkommen, ausgeglichen werden? Ein zentraler Punkt war daher der Nutzen-Lasten-Ausgleich. Dieser konnte am räumlichen Entwicklungskonzept anknüpfen, das zuvor von den fünf Gemeinden mit der Absicht einer koordinierten Entwicklung der Arbeitsplatzgebiete erarbeitet worden war. Damit waren strategische Weichen wie die Erschliessung der Gebiete bereits gestellt.

Heute, zwei Jahre nach Projektstart, arbeiten die Gemeinden gemeinsam an der Umsetzung der gesteckten Ziele. Die rechtliche Basis bildet der interkommunale Gemeindevertrag «Räumliche Entwicklung Eigenamt», der für die nächsten fünf Jahre konkrete Realisierungsvorhaben und einen ausgeklügelten Kostenverteilschlüssel vorsieht. Die entsprechenden Kredite wurden von allen Gemeindeversammlungen gesprochen. Zwei Projekte sind bereits weit gediehen: Die für die ganze Region einheitliche Muster-Bau- und Nutzungsordnung für Arbeitsplatzzonen ist schon behördenverbindlich, und der Bauland-Info-Pool, ein Onlineportal für Industrie- und Gewerbeflächen bzw. -objekte, wird im August 2010 aufgeschaltet.[4]

Raumentwicklungspolitik vor Ort verankern

Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass die Modellvorhaben Nachhaltige Raumentwicklung einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen den Gemeinden und den Kantonen leisten, indem sie als Prozessbeschleuniger oder auch Initiant einer Zusammenarbeit wirken. Die beteiligten Regionen und Gemeinden haben die Wichtigkeit erkannt, über die administrativen Grenzen hinweg in funktionalen Räumen zusammenzuarbeiten, neue Netzwerke und Governance-Strukturen sind entstanden. Die Unterstützung durch den Bund erhöhte die Akzeptanz und die Legitimation der Projekte. Der Wettbewerb um die finanzielle Unterstützung löste auch ausserhalb der 46 unterstützten Projekte eine Dynamik aus. Um direkte Wirkungen der Modellvorhaben im Bereich Siedlungsentwicklung nach innen zu beurteilen, ist es noch zu früh.

Für den Bund sind die Modellvorhaben gewinnbringend, da sie eine räumliche Verankerung seiner Raumentwicklungspolitik «vor Ort» bewirken. Die Modellvorhaben bieten mit ihrem kreativen und offenen Ansatz Gelegenheit, je nach Rahmenbedingungen passende Formen für die horizontale und die vertikale Zusammenarbeit zu finden. Die Erkenntnisse der Modellvorhaben dienen der Weiterentwicklung der Agglomerationspolitik und der Politik des ländlichen Raumes (besonders bei der besseren Abstimmung der Sektoralpolitiken) sowie den Überlegungen der Tripartiten Agglomerationskonferenz[5]. Sie fliessen auch in das Raumkonzept Schweiz ein, besonders im Bereich der funktionalen Räume. Themen wie die Siedlungsentwicklung nach innen und die Dorfkernerneuerung werden bei der laufenden Revision des Raumplanungsgesetzes behandelt. Die Modellvorhaben liefern hier gute Beispiele und Lösungsansätze.


Anmerkungen:
[01] Der Schlussbericht «Agglomerationspolitik des Bundes: Modellvorhaben zur Verbesserung der Zusammenarbeit in Agglomerationen, Bilanz 2002–2007» wurde veröffentlicht: www.are.admin.ch/themen/agglomeration/ 00563/index.html?lang=de
[02] Die Passage über das Modellvorhaben im Kanton Jura erschien erstmals im Rahmen eines ausführlicheren Artikels von Alain Beuret in Collage 1/10: Habiter le centre ancien: projet-pilote à Porrentruy
[03] Die Synthese der sechs Tagungen, die seit 2007 stattgefunden haben, steht auf dem Internet zu Verfügung: www.are.admin.ch/themen/ raumplanung/modellvorhaben/04079/ index.html?lang=de
[04] Die Passage zum Modellvorhaben «Bauland- Info-Pool» wurde von Gabi Kerschbaumer und Katharina Dobler, PLANAR AG für Raumentwicklung (vormals Hesse+Schwarze+Partner), verfasst
[05] Die Tripartite Agglomerationskonferenz ist die politische Plattform von Bund, Kantonen, Städten und Gemeinden für eine gemeinsame Agglomerationspolitik in der Schweiz

TEC21, Fr., 2010.07.16

16. Juli 2010 Jude Schindelholz, Melanie Butterling

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