Editorial

Von der Landschaftsarchitektur in der Romandie

Für die Qualität landschaftsarchitektonischer Projekte ist die Berücksichtigung des räumlichen Zusammenhanges und der örtlichen Bedingungen entscheidend, selbst wenn die Inspirationsquellen der Gestalter immer häufiger international sind. Welche Freiraumentwürfe gehören zu den «geheimen und feinfühligen Kreationen», die sich der «Formung der Welt nach einem Vorbild» verweigern, oder zur «Allerweltsproduktion», wie Laurent Wolf am 10. April 2010 in Le Temps in Bezug auf Frédéric Martels Buch «Mainstream» fragte?

Wenn Ungleichheiten zwischen dem Denken über Landschaft in der Romandie und der Deutschschweiz bestehen – poetischer
für die Erstere, wissenschaftlicher für die Letztere? – so scheinen diese Ansätze sich heute anzunähern. Führt der gegenseitige Einfluss zu einer umfassenderen Denkweise? Hier wirken die frischen Kräfte der «neuen» Landschaftsarchitekten, durch ausgedehnte Kommunikation gebildete Weltenbummler ohne Komplexe. Feine und bunte Entwürfe entstehen.

Es ist erlaubt, nicht alle von B. Crettaz im letzten der Westschweizer Landschaft gewidmeten anthos (2/1991) formulierten «Positionen für eine Debatte über die Westschweizer Landschaft » zu teilen. Aber seine Ziele sind noch aktuell. Er setzte sich ein für «die Chancen und Risiken einer Landschaft, die uns unsere Zeit erleben lässt», verlangte eine «wirklich urbane Gestaltung». Zwei der von ihm vorgeschlagenen Mittel wurden wenigsten teilweise angewandt: Heute kommen die «Städtebauer-Architekten-Landschaftsarchitekten» häufiger zum Zuge, und es entstehen hier und da «kollektive, provisorische, spontane, mobile, ungeordnete, lebendige Gestaltungen».

In der selben anthos-Ausgabe forderte E. Bonnemaison «die Suche nach einer der sprachlichen Identität entsprechenden Identität der Landschaftsarchitektur». Diese ist wohl heute für die selbstbewussten Landschaftsarchitekten der Romandie selbstverständlich. Die Metamorphose der Gesellschaft und fleissiges Schaffen haben das von unserer Profession bestehende Bild und unsere Arbeitsbedingungen verändert. Es bleibt viel zu tun, aber wir bewegen uns auf einer soliden Basis – aus bekannten Ursprüngen wachsen neue Ideen.

Zwischen Unorten oder lebensfreundlichen öffentlichen Räumen, banalen Landschaften oder bemerkenswerten Projekten erwarten neue Herausforderungen die Landschaftsarchitektur: Kontextualisierung, Diskussionen über den öffentlichen Raum, urbane Gärten, evolutive Bepflanzungskonzepte, wiederentdecktes Wissen über die Begrenztheit der Ressourcen…

Um solche Herausforderungen besser annehmen zu können, möchte anthos den Spass am Entdecken fördern. Zum umfriedeten Garten gehört der offene Blick.
Stéphanie Perrochet

Inhalt

Olivier Lasserre
- Das «Learning Center» und seine Gärten

Jean-Yves Le Baron
- Im Dialog mit der Landschaft

Stéphanie Perrochet, Marc-Antoine Kaeser
- Raum-Zeit-Reise im Archäologiemuseum

Pascal Heyraud, Cécile Albana Presset
- M2: die kleine Metamorphose

Marc Collomb
- Landschaftsplanung in Vennes

Béatrice Manzoni
- Parc des Chaumettes, ein topografisches Märchen

Ruth Vorlet
- Der Jardin de la Duche in Nyon

Christoph Hüsler
- Grüne Farbensembles

Groupement Superpositions
- Die Renaturierung der Aire in Genf

Stéphane Collet
- Von Karpfen und Kaninchen

Emmanuelle Bonnemaison
- Die Lehre des Entwurfs in der Landschaftsarchitektur

hepia, filière Architecture du paysage
- Angewandte Forschung in der Landschaftsarchitektur

Rubriken
- Zum Gedenken an Fred Eicher
- Schlaglichter
- Mitteilung der Hochschulen
- Wettbewerbe und Preise
- Agenda
- Literatur
- Schweizer Baumschulen
- Produkte und Dienstleistungen
- Markt
- Die Autoren
- Impressum und Vorschau

Das «Learning Center» und seine Gärten

(SUBTITLE) Das Rolex Learning Center und seine Aussenanlagen sind das neue Eingangstor zur Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne.

Die Eidgenössische Technische Hochschule (ETH) Lausanne ist eine der innovativsten Institutionen der Welt. Ihre aktuelle Entwicklung ist spektakulär: Wissenschaftspark, Hotel, Wohnungen für Studierende, Kongresszentrum, Rolex Learning Center (RLC)… Die Idee hinter dem RLC ist der freie Zugang zur Information in all ihren Formen, in Gestalt eines öffentlichen Orts für den sozialen und den interdisziplinären Austausch.

Der Komplex erstreckt sich über drei Ebenen: Auf dem Dach der Tiefgarage liegt ein öffentlich zugänglicher, weiter und offener Raum. Er wird von der wellen- und wabenförmigen Betonschale des eingeschossigen Baus überspannt, den lichtdurchflutete, ovale Innenhöfe erhellen.

Die Integration des Learning Centers in den Campus

Ein Jahr vor der Einweihung des RLC am 27. Mai 2010 hat die Technische Hochschule einen weiteren Wettbewerb ausgeschrieben, um das RLC – das neue Herz des Campus – auch landschaftsarchitektonisch in den restlichen Standort zu integrieren. Der offene Wettbewerbsaufruf richtete sich an Generalunternehmen mit Architekten und Landschaftsarchitekten.

Die Wahl fiel auf einen kontextuellen Entwurf: Die ETH liegt auf dem Grund eines ehemaligen eiszeitlichen Sees, umgeben von organisch geformten Moränenrippen. Bevor hier die orthogonal angelegte Gebäudestruktur der Hochschule entstand, wurde die Ebene lange Zeit für den Gemüseanbau genutzt.

Das 166u122 Meter grosse Rechteck des Learning Centers fügt sich in den bestehenden Gebäudekontext ebenso ein, wie mit seinen Wellen und der Wabenstruktur in die natürliche Umgebung der hügeligen Moränenlandschaft des Genferseegebiets. Ausdruck findet dieser duale Kontext auch in den umliegenden Gärten: orthogonal angelegter Campus, freie Gestaltung der Wege und der Bepflanzung. Die ebene Topologie bleibt erhalten bis auf einen sanften, grasbewachsenen Hügel, der sich zum Picknick anbietet.

Das Gebäude wirkt auf dem dicht bebauten Campus zunächst ein wenig eingeengt. Diesem Eindruck wirkt eine weitläufige Rasenfläche mit nur wenigen Bäumen entgegen, die vor allem ein Gefühl von viel Raum vermittelt. Eingefasst wird sie von vier Baumfiltern, die mal weniger dicht den Blick auf entfernte Landschaften freigeben, mal dicht gepflanzt nahe gelegene Gebäude verbergen.

Ein zentraler Multifunktionsplatz

Die Verbindungen zwischen RLC und Campus sind ganz unterschiedlich gestaltet: Steinrampen, begrünte Strassen mit mal mehr, mal weniger Bäumen – und in der Mitte ein zentraler Platz, der weite Vorplatz des RCL, Knotenpunkt des Campus, Tag und Nacht bevorzugter Treffpunkt und Festplatz.

Dieser Platz besteht aus einer gewaltigen, einen Hektar grossen Hohlplatte mit einem orthogonalen Raster aus zweitausend runden Kammern mit einem Durchmesser von 30 bis 160 Zentimetern, die mit Kiesrasen gefüllt sind. Der Durchmesser der Kammern nimmt an den Wegen für Fussgänger, Fahrräder und Fahrzeuge ab. Das Design ist inspiriert von den gewaltigen durchbrochenen Anzeigetafeln der ETH Lausanne. Es ist zugleich eine Hommage an die Entwürfe des Landschaftsarchitekten Michel Desvigne für die Universitäten von Tokyo und Minneapolis.

Für 2013 ist in einer zweiten Phase unter anderem der Bau einer breiten Rampe geplant, als verbindender Übergang zwischen dem zentralen Platz als «Ebene 0» und der Esplanade als «Erster Etage» des bestehenden Campus. Die Rampe ist ein Element der Fussgängerverbindung zwischen dem Westen der Stadt und den Ufern des Genfer Sees. Ausstattung und Bepflanzung entsprechen der Rampe unter der Kantonalstrasse, die das sanfte Design des RLC widerspiegelt und den Campus mit seinem neuen Hotel verbindet.

So wird der Platz zur Kreuzung aller Wege zwischen Campus und Learning Center. Diese offene Gestaltung unterstreicht die Einzigartigkeit der Gebäudelandschaft.

Auf lange Sicht wird die Begrünung natürlich dichter werden. Nicht nur durch das Wachstum der vielen hundert in der ersten Phase gesetzten Bäume und Sträucher, sondern auch durch zukünftige Anpflanzungen, die allen Nutzern mehr Schatten bieten werden.

anthos, Mi., 2010.06.02

02. Juni 2010 Oliver Lasserre



verknüpfte Bauwerke
Rolex Learning Center

Die Renaturierung der Aire in Genf

(SUBTITLE) «Veränderungen haben nur den einen Sinn, einen unveränderlichen Zustand aufrechtzuerhalten.» Ludwig Hohl

Das Renaturierungsprojekt des Aire-Kanals ist das Grundgerüst einer Gebiets- und Landschaftsneustrukturierung der Aire-Ebene. Landwirtschaftliche Produktion, urbane Entwicklung und ausreichende Naherholungsräume einerseits, sowie die Notwendigkeit der Anlage und des Erhalts natürlicher Freiräume andererseits standen sich im Abwägungsprozess des Projektes gegenüber. Tatsächlich handelt es sich hier um mehr als eine pure Renaturierung, es geht vielmehr um eine echte «Restaurierung» des Gebietes, denn Gräben, Hecken, Gehölze und Feuchtgebiete sollen rekonstruiert werden. Diese auf alten Karten und historischen Dokumenten noch deutlich erkennbaren Landschaftselemente sind heute fast vollständig aus der Landschaft verschwunden. Mit der vorgeschlagenen Landschaftsstruktur sollen sowohl der Wasserabfluss als auch der Fortbestand von Flora und Fauna sichergestellt werden. Gemeinsam bieten sie für Mensch und Landschaft Schutz vor Überschwemmungen und ermöglichen so die menschlichen Aktivitäten im Einklang mit den Prinzipien der Nachhaltigkeit auszuführen. Von den geplanten Massnahmen profitieren auch die flussabwärts gelegenen Gewässerabschnitte, deren Hochwasserschutzmassnahmen bereits in der Vergangenheit erfolgt sind.

Heute, am Ende der zweiten Bauphase, setzen sich der Kanal, die Uferbepflanzungen und die Uferwege wieder zu einem bemerkenswerten Gesamtbild zusammen. Weite Aussichten auf die Landschaft wechseln mit dem Blick auf Auwälder ab, die die Position der alten Flussschleifen der Aire kennzeichnen. Die Ruhe, die Schönheit und die angenehme Atmosphäre des Ortes ziehen viele Spaziergänger an. Die klare Gestaltung der Landschaft dient hier zugleich dem praktischen Naturschutz, indem sie die Spaziergänger einlädt, die Wege nicht zu verlassen, und so die Belastung der Natur auf ein Minimum beschränkt bleibt.

Der Aire-Kanal, Zeuge der Bemühungen der Menschen, das Gebiet landwirtschaftlich zu nutzen, ist das Rückgrat, anhand dessen die vorgeschlagenen Änderungen sichtbar werden. Die Windungen des neuen Flusses stehen im Dialog mit dem historischen, geradlinigen Kanalverlauf, der entweder in Form von stehendem Wasser erhalten bleiben soll oder zur Verbreiterung der Uferpromenade genutzt werden wird.

In dem für die naturnahen Flächen vorgesehenen Gebiet – einem etwa 80 Meter langen Streifen entlang des Kanals – sollen die offenen und bisher intensiv bewirtschafteten Felder und Wiesen durch abwechslungsreiche Landschaftselemente ersetzt werden. So entsteht ein echter ökologischer Korridor, der die Biotopvernetzung und Ansiedelung einer Kleinfauna ermöglicht. Die Revitalisierung der Aire wird als Prozess verstanden, im Rahmen dessen die verschiedenen Massnahmen etappenweise durchgeführt werden können, ohne das klar definierte Gesamtkonzept aus den Augen zu verlieren.

Die Bauabschnitte

Das Pilotprojekt des ersten Abschnitts zwischen den beiden Brücken Pont des Marais und Pont du Centenaire wurde im Jahre 2002 begonnen und 2007 abgeschlossen. Die Planer sammelten hier wichtige Erfahrungen bei der Definition der Problemstellung, der Erarbeitung von Projektwerkzeugen und der konstruktiven Elemente, die für die weitere Durchführung des Gesamtprojektes von Bedeutung sind.

Die zweite und zentrale Bauphase umfasst die Verbreiterung des Flussbetts zwischen Perly-Certoux und der Brücke Pont de Lully, das Meteorwasser-Abflusskonzept sowie den Bau einer neuen Brücke. Diese Phase, die im Frühjahr 2010 abgeschlossen wird, soll das Dorf Lully gegen Hochwasser schützen.

Zwischen der Grenze und Certoux bleibt der älteste Kanalabschnitt unverändert, die noch vorhandenen Schwellen werden fischgängig gestaltet. Vor Lully werden ein Rückhaltedamm und Abflussgräben angelegt, die das Oberflächenwasser sammeln und in den Fluss leiten. Dort, wo die Aire und der Graben zusammentreffen, entsteht ein weiträumiges Feuchtgebiet mit einem vielfältigen Biotopmosaik.

Direkt angrenzend an den Tennisclub von Certoux werden nach alten Plänen des historischen Kanals neue Steinschwellen mit Fischtreppen gebaut. Die Schwellen sind den hydraulischen Konsequenzen geschuldet, die mit dem Absinken des Flussbetts und der Einleitung des Wassers aus dem Graben in den Fluss verbunden sind.

Zwischen Certoux und Lully verlässt die Aire den Kanal, um in Richtung Westen in ihr neues Bett zu fliessen. Am linken Flussufer soll ein Teil des Kanals als stehendes Gewässer erhalten bleiben und die Entwicklung von Pioniervegetation auf Grobkies begünstigen, die bei Hochwasser auch überflutet werden kann. Die Uferböschungen werden mit Massnahmen des Lebendverbaus stabilisiert. Die rechte Uferböschung wurde bereits abgesenkt, hier entsteht ein grossflächiges, mit Erlen und Pappeln aufgeforstetes Feuchtgebiet. Das übrige Hochwasservorland wird von einer für Feuchtgebiete typischen Krautvegetation besiedelt. Oberhalb dieser Zone sind als lose eingestreute Inseln Gehölze und Wiesen vorgesehen. Die unterschiedlichen Abflusskanäle lassen eine hohe Substratvielfalt für die Gewässerfauna entstehen.

Die Uferpromenaden werden abwechselnd auf der linken und der rechten Flussseite angelegt, wobei das jeweils gegenüberliegende Ufer als Naturschutzgebiet ausgewiesen ist.

An diesen Fusswegeverbindungen sind Picknickplätze mit Tischen und Bänken geplant, auch Sitzstufen laden zum Verweilen mit Blick auf Fluss und Landschaft ein. Die Verbreiterung des Flusses bedingt auch die Anlage von neuen Flussübergängen. In Certoux wird eine Brücke für Fussgänger und Reiter mit einer Spannweite von 35 Metern komplett aus Holz gebaut. Die neue Morphologie der Aire macht zudem in Lully ein weiteres Bauwerk notwendig: Eine Betonbrücke mit einer Spannweite von 80 Metern, die die neu gestaltete Promenade und den neuen Fluss überspannen wird.

Dort, wo die Aire in ihr neues, unabhängig vom historischen Kanal angelegtes Bett fliesst, wirken enorme Kräfte auf das Prallufer, die bei Hochwasser Teile der Böschung herausreissen könnten; es erfolgt eine technische Stabilisierung dieser Böschung am linken Flussufer. Aufgeschüttetes grobes Kalkgestein bildet den Böschungsfuss, während die Böschung selbst durch Pflanzen stabilisiert wird. Um den Abfluss in die Kurve zu lenken und dauerhafte Auskolkungen der Flusssohle zu erreichen, werden schwimmende Buhnen eingesetzt. Am rechten Ufer folgt das Hochwasserbett denselben Prinzipien wie im vor der Brücke gelegenen Abschnitt.

Hier wird der Kanal als Erweiterung der Promenade behandelt und teilweise aufgefüllt, bleibt jedoch sichtbar. Durch diesen Ort der Entspannung mit seinem sanften Abhang und der Blumenwiese hindurch führt ein Graben, der das Meteorwasser von Lully sammelt und in den Fluss leitet.

Pont de Lully – Pont des Marais

In der dritten, aktuell in Planung befindlichen Phase, soll ein grosses Auffangbecken flussabwärts den Hochwasserschutz im Krisenfall vervollständigen. Hier werden die öffentliche Promenade, der neu gestaltete Kanal und der neue Flusslauf der Aire parallel verlaufen. Mit dieser Phase wird die Schaffung eines ökologischen Korridors abgeschlossen, und die Aire erhält im Abschnitt hinter der Autobahn wieder ihr altes Flussbett. Das Spazierwegenetz ist dann ebenfalls komplett.

anthos, Mi., 2010.06.02

02. Juni 2010 Groupement Superpositions

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