Editorial

Das Titelbild und der Hefttitel lassen erahnen, dass in dieser Ausgabe von TEC21 zum Thema Beton nicht primär Zement, Gesteinskörnungen und Wasser im Fokus stehen. Das Augenmerk richtet sich auf aussergewöhnliche Tragwerksformen im Stahlbetonbau und auf alternative Werkstoffe, die die Funktion der Stahlbetonkomponenten Zementstein und Bewehrungsstahl übernehmen. Im Artikel «Spaziergang der Kräfte» (S. 22ff.) spielt Stahlbeton seine konstruktiven Stärken aus: Weit auskragende Fünf-kantrohre auszubilden, die gleichzeitig untereinander verwoben sind, wäre mit uns bekannten alternativen Bauweisen nicht besser lösbar gewesen. Durch die angepassten Wandstärken und die abgestimmte Bewehrungsführung und -stärke kann auf veränderliche Schnittkräfte, Deformationsgrenzen und Brandschutzanforderungen reagiert werden. Zudem haben Bauteile aus Beton einen oft unterschätzten Vorteil: Sie bilden eine fertige und plane Oberfläche für das Applizieren von weiteren Schichten wie Dampfbremsen, Dämmplatten, Anstriche; Holz- und Stahlbauten benötigen hier zusätzliche Abdeckungen. Sichtbeton wird im Hochbau aktuell wieder vermehrt eingesetzt. Um die Dauerhaftigkeit zu gewährleisten, werden normalerweise die äusseren Bewehrungslagen durch grössere Betonüberdeckungen geschützt.

Trotzdem führen tiefe Risse zu Stahlkorrosion und Bauschäden. Auf diese Probleme kann mit Bewehrung aus nichtrostendem Stahl reagiert werden («Nichtrostende Bewehrung», S. 29ff.). Richtig und gezielt eingesetzt sind dadurch wirtschaftlichere Lösungen möglich, weil die zusätzlichen Materialkosten durch die minimierten Unterhaltskosten mehr als kompensiert werden.

Mineralguss – auch Polymerbeton genannt – zeigt im Artikel «Polymerbeton im Hochbau» (S. 33ff.) eine weitere interessante Facette von Beton: Statt Zement nehme man ein Epoxydharz und mische dieses mit kleinkörnigen Quarz-Zuschlagsstoffen. Dieses Gemisch lässt sich in vielfältige und dünnwandige Formen abfüllen. Der Baustoff ist relativ jung. Die chemische Industrie stellte erst ab 1975 kalt härtende Reaktionsharzsysteme zur Verfügung, welche die Herstellung eines polymergebundenen Mineralgusses für hochpräzise Maschinengestelle ermöglichte. Es folgten Untersuchungen von möglichen Reaktionsharzen. Aufgrund der nachweisbaren Vorteile des Werkstoffes entwickelte sich ab den 1990er-Jahren eine leistungsfähige Mineralgussindustrie für den Maschinenbau. Weitere Anwenderindustrien sind die Medizin-, Abwasser-, Druck- und Werkzeugtechnik und die Kraft-, Optik-, Holzbearbeitungs-, Verpackungs- und Textilmaschinen. Grund genug, die Möglichkeiten im Hochbau in einer Bachelor-Abschlussarbeit zu analysieren. Beton ist und bleibt durch solch interessante Fortschritte ein Baustoff der Zukunft.
Markus Schmid, Clementine van Rooden

Inhalt

05 WETTBEWERBE
Life Sciences der Universität Basel

14 MAGAZIN
Glänzende Zwischenlösung | Neue Festlegungen für Tiefbaubetone

22 SPAZIERGANG DER KRÄFTE
Nico Ros
Das VitraHaus im deutschen Weil am Rhein besteht aus gestapelten Urhäusern. Um das architektonische Konzept umzusetzen, konzipierten die Ingenieure von ZPF aus Basel die Tragkonstruktion aus Rohren.

29 NICHTROSTENDE BEWEHRUNG
Fritz Hunkeler und Lukas Bäurle
Die Dauerhaftigkeit von Beton im Hochbau kann mit dem Einsatz von nichtrostender Bewehrung verbessert werden. Auch wirtschaftlich ist der Einsatz dieser Stahlsorten durchaus sinnvoll.

33 POLYMERBETON IM HOCHBAU
Thomas Willi
Dass Bachelor-Abgänger Praxiserfahrung mitbringen können, beweist die vorgestellte Abschlussarbeit. Lehre, Praxisbezug und Forschung sind Teil der Analyse zum möglichen Einsatz von Polymerbeton im Hochbau.

38 SIA
Baubewilligung: aktuelle Reformen | Schritt eins zum Werterhalt | Kurse SIA-Form | Baukunst im Dialog | Vernehmlassung SIA 2025

46 FIRMEN

53 IMPRESSUM

54 VERANSTALTUNGEN

Spaziergang der Kräfte

Mit respektvollem Abstand zu den bestehenden Bauten steht auf dem Gelände der Firma Vitra das seit kurzem fertiggestellte VitraHaus der Architekten Herzog & de Meuron. Die aufeinander gestapelten Bauvolumen aus Beton mit grossen Fensteröffnungen in jede Himmelsrichtung wirken gemäss ZPF Ingenieure aus Basel als Rohrkonstruktionen: Stabil in ihrer Form leiten sie die Kräfte weiter – teils über Umwege, aber stets im Verborgenen.

Für die Präsentation von Designermöbeln stand auf dem Vitra Campus in Weil am Rhein (D) bisher kein Raum zur Verfügung. Deshalb erhielten die Basler Architekten Herzog & de Meuron im Jahr 2006 den Auftrag, das VitraHaus zu entwerfen und damit den laufend erweiterten Architektur-Campus um ein Gebäude zu ergänzen (vgl. Kasten, S. 25). Es steht im Norden des Areals inmitten der landschaftsprägenden Streuobstwiesen (Abb. 1 und 4).

Urhäuser tragen wie Rohre

Die Tragstruktur des VitraHauses besteht aus sieben übereinander gestapelten Gebäudebalken in Form von Sattelhäusern, die im Erdgeschoss auf fünf Baukörpern lagern (vgl. Abb 2 und 3). Von aussen scheinen die bis zu 50 m langen Balken durchgehend zu sein. Tatsächlich sind sie es nicht: Räume an ihren Schnittpunkten zerschneiden sie im Inneren des Gebäudes. Die unterschiedlichen Querschnitte sind ausserdem teilweise gestaucht und weisen gekrümmte Formen auf. Die Kräfte müssen über wenige Schnittstellen umgeleitet werden, und die statische Berechnung wird hoch komplex. Diese Problemstellung stellte die Planer vor grosse Herausforderungen. Wie baut man raumbildende Balken, die in der Mitte getrennt sind? Die Ingenieure der ZPF Ingenieure AG aus Basel mussten Schnittstelle für Schnittstelle analysieren, spezifische Lösungen für jeden Teilbereich finden und Detailkonstruktionen entwickeln.

Die Kräfte bestimmen den Weg

Bereits in einem frühen Entwicklungsstadium des Projektes waren sich die Ingenieure einig, dass die Tragkonstruktion des komplexen Gebäudes nur funktionieren kann, wenn jeder einzelne hausförmige Querschnitt – bestehend aus einem Giebeldach, zwei Wänden und einem Boden – als Rohr verstanden wird. Rohre zeichnen sich durch eine hohe Stabilität aus und ermöglichen bei diesem Projekt eine elegante Ableitung des komplexen Kräfteflusses. Dieser tragwerksplanerische Ansatz ermöglichte es, die von den Architekten im Entwurf vorgesehenen Auskragungen, Überbrückungen und Durchtrennungen der einzelnen Baukörper in die Realität umzusetzen. In einem weiteren Schritt untersuchten und verglichen die Bauingenieure verschiedene Materialien. Sie studierten Tragwerksvarianten aus Stahl, Beton und Holz. Der Entscheid, das Tragwerk aus Beton zu konstruieren, fiel aufgrund der amorphen Materialeigenschaft von Beton: Da er gegossen wird, kann Beton in beinahe jede beliebige Form gebracht werden. Das ingenieurspezifische Konzept der Rohrkonstruktion liess sich somit gegenüber Varianten in Stahl und Holz, die mehrheitlich noch als lineare Tragkonstruktionen eingesetzt werden, mit reduziertem Aufwand umsetzen: Es wurde sozusagen «den Kräften entsprechend betoniert».

Efizienter Kräftefluss oder Kraftakt sondergleichen?

Die Lastabtragung erfolgt pyramidenförmig über die Verschneidungen der als Rohre wirkenden Baukörper (Abb. 13). Das erste Obergeschoss ruht auf fünf Baukörpern, das zweite auf drei, das dritte Obergeschoss bereits nur noch auf zwei und das vierte auf einem einzigen. Einzig im Bereich des Liftschachts liegen alle Baukörper übereinander. Dadurch entsteht eine statisch «schöne» Struktur, denn die gegen unten zunehmenden vertikalen und horizontalen Lasten verteilen sich auf eine zunehmende Anzahl von Verschneidungen tragender Betonwände. Im Falle eines Erdbebens erfolgt die horizontale Aussteifung auch über die Verschneidungen der Baukörper und den Liftschacht.

Boden, Wände und Dach der Rohre sind biegesteif miteinander verbunden. Dabei sind die Böden als 26 cm starke Betonplatten (C 30/37, XC1, Dmax 32, CL 0.10, C3) ausgeführt; die Aussenwände, die in der Regel eine Stärke von 25 cm aufweisen, sind unten und oben in den Boden respektive in das Dach eingespannt. Wegen der Wandhöhe von 3.70 bis 4.60 m musste der Beton zum Teil mit Aussenrüttlern verdichtet werden; in der Regel wurde aber normal vibriert (C 30/37 XC1, Dmax 16, CL 0.10, C3). Die Giebeldächer bestehen aus Flachdecken und haben eine maximale Spannweite von 8.80 m sowie eine Stärke von 26 – 30 cm. Aufgrund der thermischen Bauteilaktivierung sind sie nicht vorgespannt. Die Dächer mit einer Neigung von 30° wurden ohne Konterschalung betoniert. Für das Dach des dritten Levels mit einer Neigung von 42° musste jedoch eine solche eingesetzt und dem Beton zusätzlich Verflüssiger beigefügt werden (C 30/37, XC1, Dmax 16, CL 0.10).

Die Rohre, die teilweise bis 15.40 m auskragen und statische Höhen von 5.8 m bis 8.3 m aufweisen, sind ebenfalls biegesteif miteinander verbunden. Die wenigen kraftschlüssigen Schnittpunkte in den Geschossübergängen und andere hoch belastete Stellen bedingen lokal eine Wandverstärkung auf 40 – 45 cm sowie spezielle Detailkonstruktionen zur Kraftüberleitung. So lagern zum Beispiel auf zwei nach innen geschwungenen Erdgeschosswänden drei Baukörper (Abb. 11). Um die hohen Schubkräfte, die durch das Umlenken der Kräfte entstehen, aufnehmen zu können, sind die Wände mit Schubbewehrung versehen (Abb. 12). Andernorts ist ein auskragender Baukörper an einen anderen Teil des Gebäudes gehängt. Eine 70 t schwere Wand hängt z. B. am Dach eines anderen Baukörpers, oder die Kräfte eines Daches werden durch den Boden des darüber liegenden Baukörpers in das Dach des nächsten geleitet.Jedes Tragelement wird statisch mehrfach genutzt: Böden, Wände und Dächer dienen sowohl der vertikalen als auch der horizontalen Lastabtragung. Die Zuordnung von Vertikalität und Horizontalität wird im statischen Sinne verwischt und die Scheibenwirkung in allen Richtungen ausgenutzt. Bauteile werden ausserdem der Beanspruchung entsprechend abgestuft und die gewonnenen Platzverhältnisse funktional genutzt. Der Raum, der im Bereich der geringeren Wandstärken entstand, wird beispielsweise für die Lüftung verwendet.

So entsteht einerseits Platz für die Haustechnik, und andererseits wird die Eigenlast des Gebäudes auf ein Minimum reduziert. Die Kräfteführung funktioniert so nur, weil alle einzelnen Tragelemente des statischen Systems als Ganzes zusammenwirken. Wird beispielsweise die Steifigkeit eines einzelnen Bauteils verändert, kann dies im vernetzten Tragsystem einen Einfluss auf den gesamten Kräftefluss haben. Die Herausforderung für die Bauingenieure lag darum unter anderem darin, die Konsequenzen von Veränderungen am System wirklichkeitsnah vorauszusagen und Gegenmassnahmen wirkungsvoll anzuordnen.

Ein Gebäude in Bewegung

Vorhersehbar und damit berechenbar waren die Schwingungen im Gebäude während der Nutzung. In einer frühen Planungsphase, während der die Ingenieure die Erdbebenbemessung durchführten, wurden die Schwingungen der Baukörper untersucht. Dabei zeigte sich, dass die vertikalen Schwingungszeiten einiger auskragender Bauteile im kritischen Bereich liegen – mit Werten zwischen 1.6 Hz und 4.5 Hz könnten die Eigenfrequenzen durch Personen angeregt werden. Es musste sichergestellt werden, dass im Gebrauchszustand keine für Personen unangenehmen Beschleunigungen auftreten. Die Ingenieure analysierten deshalb die Anregung des Gebäudes, die durch mehrere, gleichzeitig in der Eigenfrequenz des Bauteils hüpfende Personen verursacht wird. Sie simulierten die Situation mit einer Time- History-Analyse eines FEM-Programms. Bei diesem Zeitschrittverfahren wird die Änderung der externen Belastung in kleinen Zeitschritten vorgegeben und daraus die Bewegung des Baukörpers – also die Deformation, Geschwindigkeit und Beschleunigung – für jeden Zeitpunkt berechnet. Die Ingenieure wiesen nach, dass die auftretenden Beschleunigungen zwar spürbar sind, aber unter den für Menschen unangenehm wirkenden Werten liegen.

Gehilfen, Achselstützen und Handstöcke

Die Gebäudebalken der verschiedenen Levels durchschneiden sich schräg und in verschiedenen Winkeln. Es entstehen unregelmässige Dachformen, ungewöhnliche Schnittsituationen und unerwartete Raumverhältnisse. Die Schalung in unterschiedlichen Höhenlagen war deshalb aufwendig, ebenso die notwendige Spriessung auf ständig wechselnden Aufstandsflächen. Um einen möglichst einfachen Bauablauf zu gewährleisten, erstellten die Ingenieure einen detaillierten Betonier- und Spriessplan. Generell wurden zunächst die Böden und Wände eines Levels betoniert, danach die Dächer des darunter liegenden Levels.

Somit musste die Wandschalung nicht kompliziert an die Dächer angepasst werden, vielmehr konnten die Dächer einfach gegen die bereits erstellten Wände betoniert werden. Da das Gebäude nur als Ganzes funktioniert und nur wenige Bauteile für sich getrennt betrachtet werden konnten, wurden während des Baus Abstützungen benötigt. Diese äusserst aufwendige temporäre Spriessung (Abb. 8) stützte das Gebäude so lange, bis der Kräftefluss erfolgen konnte.Die Kunst, die Ingenieurleistung nicht mehr wahrzunehmen Der Betrachter des fertig gestellten VitraHauses sieht weder von aussen noch von innen die komplexe Kraftableitung oder die variierenden Wandstärken. Genauso wenig ahnt er, welche aufwendigen und abstützungsintensiven Bauphasen das Gebäude hinter sich hat. Die frühe Zusammenarbeit zwischen den Planenden trägt ihre Früchte: Das festgelegte Rohrkonzept passt zum architektonischen Konzept und ermöglichte erst das Tragwerk und damit die Realisierung des architektonischen Entwurfs aus einem Haufen von Urhäusern.

In der ersten Entwicklungsphase eines Gebäudes liegt das grösste Potenzial, Tragkonstruktion und Architektur zu einer Einheit zu bringen. Darum wurden die Ingenieure schon in einer sehr frühen Entwurfsphase in die Planung miteinbezogen. Gerade darin, das Tragwerk nicht als Selbstzweck, sondern als integralen Bestandteil des architektonischen Entwurfs zu sehen, liegt die Kunst der Ingenieurleistung. Gelingt dies von Anfang an, lässt sich die Tragstruktur nicht von der Form des Bauwerks als Ganzes trennen. Sie wird zu einem Teil davon und ist dadurch sichtbar und unsichtbar zugleich.

TEC21, Fr., 2010.05.07

07. Mai 2010 Nico Ros



verknüpfte Bauwerke
Vitra-Haus

Nichtrostende Bewehrung

Bei der technischen, wirtschaftlichen und ökologischen Optimierung des Gesamtsystems «Beton und Stahl» bzw. «Stahlbeton» kann der Einsatz kostengünstiger nichtrostender Bewehrungsstähle sinnvoll sein. Dies gilt insbesondere dort, wo die heute geforderte Betonqualität oder Bewehrungsüberdeckung nicht eingehalten werden kann oder soll – etwa aus baupraktischen oder ästhetischen Gründen. Das in Kürze erscheinende Merkblatt SIA 2029 «Nichtrostende Bewehrungsstähle» nimmt sich dieser Thematik an.

Korrosionsschäden an Hochbauten aus Stahlbeton (Abb. 3) sind relativ häufig und ihre Sanierung kostspielig. Ursache ist praktisch ausnahmslos die Korrosion der Bewehrung infolge Karbonatisierung des Betons. Durch die Reaktion des Zementsteins mit dem CO2 der Luft sinkt der pH-Wert des Betonporenwassers. Dadurch geht der Korrosionsschutz der normalen, unlegierten Bewehrung mit der Zeit verloren, und der Stahl beginnt zu korrodieren. Wegen der entstehenden Korrosionsprodukte entstehen zunächst Risse und später sogar Betonabplatzungen. Der für Abplatzungen nötige Korrosionsabtrag liegt üblicherweise bei einigen Zehntelmillimeter – Risse können aber schon bei einem geringeren Abtrag entstehen. Insbesondere bei mittlerer oder schwankender Betonfeuchtigkeit ist die Karbonatisierungsgeschwindigkeit mittel bis hoch, und die Korrosionsgeschwindigkeit erreicht maximale Werte.

Dass sich die Karbonatisierung des Betons schädlich auswirken kann, ist meist auf eine ungenügende Betonqualität bezüglich Zusammensetzung oder Nachbehandlung und / oder auf eine ungenügende, vielfach auch nicht den Normen entsprechende Bewehrungsüberdeckung zurückzuführen. In der neuen Normengeneration werden deshalb deutlich höhere Anforderungen an die Betonzusammensetzung und die Bewehrungsüberdeckung gestellt als früher. Diese Vorschriften führen aber zu grösseren Bauteilabmessungen, was aus ästhetischer Sicht nicht immer erwünscht ist und auch nicht zwingend die wirtschaftlichste Lösung darstellt.

Veränderung des Zement- und Betonmarktes

Die Zementindustrie macht weltweit grosse Anstrengungen, den Energieverbrauch und die Emissionen, wie beispielsweise den CO2-Ausstoss bei der Zementproduktion, zu reduzieren. Um der Forderung nach Nachhaltigkeit zu entsprechen, wird der Portlandzementklinkergehalt der Zemente reduziert und zunehmend andere Stoffe wie Flugasche und Hüttensand für die Zement- und Betonproduktion verwendet (vgl. TEC21 21/2009). Dieser Entwicklung sind aber – wegen der für den normalen Betonstahl notwendigen Alkalität des Betons, die als Korrosionsschutz der Bewehrung wirkt – enge Grenzen gesetzt. In der Schweiz wurde Mitte der 1990er-Jahre der Portlandkalksteinzement CEM II/A-LL (Portlandzementklinkergehalt > 80 M.-%) neu auf den Markt gebracht (heutiger Marktanteil um 70 %). In Zukunft werden vermehrt Zemente mit einem deutlich tieferen Portlandzementklinkergehalt erhältlich sein. Parallel dazu nimmt der Druck zur Wiederverwertung von Beton und Mauerwerk zu, weil das Rückbauvolumen von Betonbauten ansteigt und sowohl Deponiekapazität als auch Verfügbarkeit an natürlichen Gesteinskörnungen knapp werden. Daher kommen vermehrt nicht dichte Gesteinskörnungen, wie zum Beispiel Beton- und Mischabbruch und Blähglas, auf den Markt. Betone mit solchen Ausgangsstoffen weisen tendenziell einen geringeren Widerstand gegen Karbonatisierung auf. Zudem stellt Recyclingbeton mit Mischgranulat RC-M ein heute noch nicht abschätzbares Korrosionsrisiko dar. Das Merkblatt SIA 2030 «Recyclingbeton » schränkt die Anwendung des RC-M daher zu Recht ein.

Die genannten Veränderungen bei Zement und Beton sind notwendig und richtig. Sie sind aber auch Anlass genug, dem Aspekt der Dauerhaftigkeit erneut Beachtung zu schenken: Reicht das, was wir heute tun, für die nächsten 50 bis 100 Jahre aus? Nur wenn damit die Stahlbetonbauweise unter Beachtung aller Aspekte wie Wirtschaftlichkeit, Technik, Ökologie und Dauerhaftigkeit als Gesamtsystem optimiert wird, sind diese Veränderungen auch nachhaltig. Vor diesem Hintergrund wurde in einer breit angelegten Untersuchung das Korrosionsverhalten von nichtrostendem Bewehrungsstahl – exemplarisch mit dem Produkt Top12 – und normalem Bewehrungsstahl verglichen.

Korrosionsverhalten untersucht

Der Korrosionswiderstand des nichtrostenden Betonstahls wurde im Vergleich zu einem normalen Betonstahl in karbonatisiertem Beton untersucht. Dazu wurden Probekörper mit verschiedenen Betonrezepturen hergestellt – Zementart, Flugasche, Gesteinskörnungen und w/z-Wert wurden variiert. Darin waren auf der einen Seite Stäbe aus normalem Betonstahl und auf der gegenüberliegenden Seite die nichtrostende Variante eingebettet (Abb. 4). Die Überdeckung der Stahlstäbe wurde variabel mit exakt 10, 20 und 30 mm realisiert. In einer ersten Phase wurden die Probekörper einer Schnellkarbonatisierung bei 100 % CO2 unterworfen, um die Voraussetzungen für Korrosion zu schaffen. Danach wurden die Probekörper periodischen Trocken-Nass-Zyklen ausgesetzt. In bestimmten Abständen wurden dann die korrosionstechnisch relevanten Grössen wie Potenzial, Stromfluss, elektrischer Betonwiderstand und Betonfeuchtigkeit gemessen. Nach Abschluss dieser Messungen wurden die Probekörper zerschnitten, die Stahlstäbe ausgebaut und der Korrosionsangriff visuell sowie unter dem Mikroskop beurteilt. Die mit der Schnellkarbonatisierung erzeugten Korrosionsbedingungen sind als aggressiv zu beurteilen, da dadurch der pH-Wert des Porenwassers deutlich schneller absinkt, als dies unter normalen CO2-Gehalten der Fall wäre. Erwartungsgemäss zeigten die verschiedenen Betonmischungen ein unterschiedliches Karbonatisierungsverhalten (Abb. 5 und 6). Betone mit porösen Gesteinskörnungen wie Mischabbruch bzw. Mischgranulat oder Blähglas karbonatisieren sehr rasch, wenn sie zeitweise austrocknen können. Unter der harten Korrosionsbelastung (stark karbonatisierter Beton mit niedrigem pH-Wert, hohe Betonfeuchtigkeit) zeigte die nichtrostende Bewehrung wohl teilweise eine leichte oberflächliche Korrosion (Abb. 2), in keinem Fall aber eigentliche Korrosionsangriffe. Im Gegensatz dazu korrodierte der Betonstahl ganz erheblich (Abb. 1).

Anwendungsbereich wird erweitert

Die Untersuchungen lassen den Schluss zu, dass unter Verwendung von nichtrostendem Bewehrungsstahl eine Reduktion der Anforderungen an die Bewehrungsüberdeckung und/ oder die Betonqualität bei unveränderter Nutzungsdauer möglich ist. Nichtrostender Bewehrungsstahl kann ohne Einschränkungen hinsichtlich Betonzusammensetzung oder üblicher Rissbreiten bis 0.5 mm im Hochbau eingesetzt werden. Bei einem Beton mit Grösstkorn 32 mm sollte die Überdeckung aber wegen der Verbundwirkung 20 mm nicht unterschreiten, wobei bei diesem Wert ein Vorhaltemass von 5 bis 10 mm enthalten ist.

Nichtrostende Bewehrung kann dementsprechend für folgende Anwendungen empfohlen werden:

– Feingliedrige, dünnwandige Elemente (Platzmangel, Ästhetik, dichte Bewehrung)
– Bauteile mit strukturierter, d.h. z. B. mit gekratzter oder gestockter Oberfläche
– Ortbeton (schwierige Ausführung)
– Vorfabrikation (geringeres Gewicht wegen der geringeren Überdeckung)
– Betone mit neuen Zementen und/oder Gesteinskörnungen, mit denen noch wenig Langzeiterfahrungen vorliegen (z. B. Blähglas, Mischabbruch etc.)
– Vermeidung von Rostspuren bei Sichtbeton (z. B. wegen Unterbrüchen, schlechte Witterung)
– Instandsetzungen (ungenügende Überdeckung, Aufdoppelung nicht möglich).

Kosten-Nutzen?

Für den Einsatz kostengünstiger nichtrostender Bewehrung sind Mehrkosten von ca. 3 CHF / kg gegenüber normaler Bewehrung zu veranschlagen. Für Fassaden ergeben sich Mehrkosten von ca. 30 CHF / m2 (Annahme: 10 kg äussere Bewehrung pro m2). Zum Vergleich: bei Instandsetzungen von Sichtbetonflächen können durchaus Kosten von 200 bis 500 CHF / m2 entstehen. Der Einsatz nichtrostender Bewehrung kann damit aus technischer, ästhetischer, aber auch wirtschaftlicher Sicht durchaus vorteilhaft sein.

TEC21, Fr., 2010.05.07

07. Mai 2010 Fritz Hunkeler, Lukas Bäurle

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