Editorial
«Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile» – dieses verkürzte Zitat von Aristoteles eint die Artikel mit ingenieurspezifischem Schwerpunkt auf den Seiten 22 bis 35 dieser TEC21-Ausgabe.
Verschiedene Tragwerkskonzepte und unterschiedliche Baumaterialien werden kombiniert und ergeben in ihrer neuen Zusammensetzung vorteilhafte Synergien.
Der Beitrag «Starker Verbund» berichtet über die Entwicklung einer Verbundkonstruktion aus Glasfaserkunststoff und Stahl für eine Fussgängerbrücke. Dabei werden die Materialien ihren positiven Eigenschaften entsprechend eingesetzt. Mit der hybriden Gesamtkonstruktion treten negative Eigenschaften wie Korrosions- oder Verformungsanfälligkeit, die jedes Material für sich hat, weniger oder gar nicht in Erscheinung.
Für den Formfindungsprozess von Faserverbundwerkstoffen – die Profile sind gegenwärtig noch teilweise durch traditionelle Bauformen geprägt und erinnern beispielsweise an Stahlprofile – scheinen hybride Konstruktionen im Allgemeinen der richtige Ansatz zu sein (vgl. «Zweierlei vereint»), ebenso bei multifunktionalen Tragwerkskomponenten. In der Mischung von Funktionen und Materialien und den damit einhergehenden Synergien soll das Material sein eigenständiges, wirtschaftliches und materialgerechtes Einsatzgebiet finden.
Materialkombinationen oder Verschmelzen von unterschiedlichen Funktionen in einem Bauteil bringen bei diesen Beispielen einen nützlichen Mehrwert, im besten Fall gar emergente Eigenschaften: Das Zusammenspiel einzelner Elemente ergibt neue Eigenschaften, die sich nicht auf die einzelnen Bausteine zurückführen lassen. So im Artikel «Wirkungsvoll kombiniert»: Für ein Tragwerk werden Fachwerk- und Vierendeelträger kombiniert. Die tragwerksspezifischen Eigenheiten werden dabei so aufeinander abgestimmt, dass die Konstruktion sowohl architektonischen als auch statischen Anforderungen gerecht wird. Die Mischform aus zwei Tragwerkskonzepten ergibt eine neue Tragwerksform, die aus architektonischer Sicht für das Projekt geeignet ist und aus ingenieurspezifischer Sicht die Profilquerschnitte optimiert ausnützt, da der Schnittkraftverlauf über die gesamte Trägerlänge ausgeglichen ist. Bekannte, einfache Strukturen werden aufgewertet und eine höhere tragwerksspezifische Qualität erreicht – ein ingenieurplanerischer Kunstgriff, den es hervorzuheben gilt. Denn eine Ingenieurleistung ist nicht nur das isolierte Anwenden von bekannten Tragsystemen und Materialien. Vielmehr müssen alle Komponenten für jeden spezifischen Fall wieder von Neuem gewinnbringend kombiniert oder gar neu kreiert werden.
Clementine van Rooden
Inhalt
05 WETTBEWERBE
Prix Lumière | ARC Honorary Award
08 MAGAZIN
Beton: höhere Duktilität mit Kunstfaser | Debatte zum Schulhaus Leutschenbach | Bauwirtschaft: Hoffen auf Erholung | Architektur-Titan in Titan-Architektur| Formlose Möbel | Relaunch der Nextroom-Datenbank | Häuser für die Füsse | Forschung zu Holz und Holzwerkstoffen
22 WIRKUNGSVOLL KOMBINIERT
Heinrich Schnetzer
Die Bauingenieure von Schnetzer Puskas kombinierten für einen raumhohen Kastenträger Fachwerk- und Vierendeelträger. Sie glichen so die Schnittkraftlinien aus und nutzten die Profilquerschnitte statisch optimiert aus.
27 ZWEIERLEI VEREINT
Thomas Keller, Regula Keller
Baumaterialien aus Faserverbundwerkstoffen sind nicht neu. Trotzdem haben sie ihre materialgerechte Konstruktionsform noch nicht definitiv gefunden. Materialhybride und Funktions-
integration scheinen die richtigen Ansätze dafür zu sein.
31 STARKER VERBUND
Joseph Kurath, Alexis Ringli, Christoph Sturzenegger
Die im April 2009 eingeweihte Fussgängerbrücke über die Eulach in Winterthur besteht aus einer Verbundkonstruktion. Die Materialeigenschaften von Glasfaserkunststoff und Stahl werden statisch optimiert genutzt.
37 SIA
Echo Baukultur | Neue KBOB-Prüf- und Zahlungsfristen | Vernehmlassung Vornorm SIA 284 | Von Québec nach New England
42 WEITERBILDUNG
44 FIRMEN
53 IMPRESSUM
54 VERANSTALTUNGEN
Wirkungsvoll kombiniert
Der Büroneubau in Allschwil, von den Architekten Herzog & de Meuron für die Firma Actelion entworfen, besteht aus übereinandergelegten, prismatischen Körpern. Raumhohe Stahlfachwerkträger bilden deren Seitenwände. Um die Trägerkonstruktion optimal auszunutzen, haben die Bauingenieure von WGG Schnetzer Puskas eine hybride Trägerform für diese Fachwerke entworfen: Sie kombinierten Fachwerk- und Vierendeelträger.
Der Büroneubau der Firma Actelion in Allschwil gleicht einem Mikado aus balkenähnlichen, übereinander angeordneten Baukörpern. Im Gegensatz zu der umgebenden Bebauung mit starren Formen ist das neue Gebäude eine offene Struktur. Die Zwischenräume der Balkenkonstruktionen ermöglichen Sichtbezüge innerhalb des Gebäudes und nach aussen zu den angrenzenden Labor- und Bürogebäuden sowie den Sportfeldern. Die scheinbar zufällige Anordnung der Bürobalken schafft nicht nur ungewohnte Durchblicke und Ausblicke, sondern auch Terrassen und Höfe in vielzähligen Grössen und Qualitäten. Die 34 raumhohen prismatischen Körper sind ineinander verzahnt und übereinandergestapelt. Sie bilden einen chaotisch und unstrukturiert erscheinenden «Haufen» (Abb. 1 und 2).
Bei einer Grundrissabmessung von etwa 80 × 80 m reicht diese Struktur bis auf eine Höhe von 22 m. Jeder einzelne «Mikadostab» bzw. Raumkörper kann als rechteckiges oder schiefes Gitterrohr betrachtet werden. Im Unterschied zum Mikadospiel hat aber jeder «Stab» eine andere Abmessung. Sie sind 30 bis 100 m lang und, abhängig von der Büronutzung, fünf bzw. sieben Meter breit. Sie bestehen im Wesentlichen aus den Boden- und Deckenscheiben sowie zwei raumhohen Fachwerkträgern, die verglast sind und die Fassade bilden. Jeweils fünf bis sieben prismatische Körper bilden im Grundriss des «Stabhaufens» eine Ebene bzw. ein Bürogeschoss. Jede Geschossebene hat ihr eigenes Trägerlayout und liegt nicht deckungsgleich über dem unteren Geschoss, sondern trägt ihre Lasten über wenige einzelne Punkte in die untere Ebene ab. Einzelne «Stäbe» überschneiden sich und bilden dadurch mindestens vier Schnittflächen in jeder Ebene. Sie werden als Erschliessungs- und Kommunikationszonen über die insgesamt sechs Ebenen bzw. Geschosse (ein Erdgeschoss und fünf Obergeschosse) genutzt und ihre gemeinsame Fläche ist gerade so gross, dass ein Lift und die Steigschächte darin Platz finden. Die Treppenanlagen, losgelöst von den gemeinsamen Durchdringungszonen, winden sich räumlich im «Stapelhaufen».
Geschicklichkeitsspiel
Die Anforderungen an einen raumhohen und raumbildenden Kastenträger, der aus zwei parallel verlaufenden Fachwerkträgern besteht, sind im Hochbau vielfältig. Der prismatische Körper muss neben den tragwerksplanerischen und statischen Kriterien auch den Anforderungen der Gebäudetechnik und der Bauphysik gerecht werden. Um tiefe Herstellungskosten zu erreichen, wird eine möglichst einfache Konstruktion vorausgesetzt. Wegen des ungünstigen Verhältnisses von Lohnkosten zu Materialkosten entwickelten die Bauingenieure von Schnetzer Puskas eine Struktur, die mit möglichst wenig Arbeitsaufwand hergestellt werden konnte. Primäres Ziel war nicht, eine geringe Stahltonnage zu erreichen. Die aufwendige architektonische Struktur musste vielmehr für die Ausführung konstruktiv vereinfacht werden – das Tragwerk sollte trotz komplexem Bau eine gewisse Einfachheit und Systematik aufweisen. Dabei standen Kosten und Machbarkeit im Vordergrund.
Spielregeln
Raumhohe Fachwerkträger sind im Bürobau meist nicht erwünscht, da die Diagonalen vor den Fenstern verlaufen. Vierendeelträger, die nur aus Gurten und Pfosten bestehen, lassen rechteckige Fensteröffnungen zu und bieten sich deswegen an.
Wirtschaftliche Trägersysteme bedingen eine hohe und kontinuierliche Ausnutzung der eingesetzten Profilquerschnitte und des verwendeten Baustoffs, bei möglichst reduziertem Arbeitsaufwand für die Herstellung. Insbesondere ist es von Vorteil, die Gurte mit einem konstanten Querschnitt auszubilden, damit die arbeitsintensiven Schweissarbeiten reduziert werden können. Vierendeelträger sind jedoch nicht sehr wirtschaftlich. Die Pfosten und Gurte werden nicht nur mit Normalkräften, sondern auch mit Querkräften und auf Biegung beansprucht, und bei den verwendeten Profilen wirkt nur der statische Hebelarm – die statische Höhe der raumhohen Träger kann nicht effizient ausgenutzt werden. Dies führt zu einem weichen Tragsystem, das mit einem relativ hohen konstruktiven und materialspezifischen Aufwand versteift werden muss.
Aus den divergierenden Anforderungen bezüglich Nutzung und Kosten ergab sich in einem intensiven Planungsprozess zwischen allen Beteiligten (vgl. Kasten S. 22) ein Trägersystem, das sich aus Vierendeel- und Fachwerkträgern zusammensetzt. Die Bauingenieure kombinierten die Eigenschaften des Fachwerkträgers mit denjenigen des Vierendeelträgers.
Tragende Scheiben im Stabgewirr
Das Gebäude hat keine Kerne, die den horizontalen Lastabtrag sicherstellen. Die meisten Stützen sowie die am direkten Lastabtrag beteiligten Fachwerkstäbe wie Vierendeelpfosten und Diagonalstäbe sind nicht lotrecht ausgerichtet. Die daraus resultierenden horizontalen Ablenkkräfte, aber auch die Erdbeben- und Windkräfte sowie das bezüglich des Reaktionszentrums entstehende Torsionsmoment müssen über die Fachwerke sowie Decken und Böden der Kastenträger teilweise ausgeglichen und abgetragen werden. Dabei funktionieren die Fachwerke als vertikale und die Decken und Böden als horizontale Scheiben. Die Deckenscheiben sind als Verbundquerschnitt konzipiert, bestehend aus den Stahlprofilen der Trägergurte und den dazwischenliegenden Betondecken.
Standort Wettbewerb
Der Aufwand für das Tragsystem übersteigt trotz einem ausgeklügelten Trägersystem mit optimierten Querschnitten den üblichen Rahmen für ein Bürogebäude. Wie bei modernen Glasbauten im Allgemeinen ist bei diesem speziellen Projekt die Tragkonstruktion jedoch nicht der hauptsächliche Kostenfaktor. Die mit der Gebäudestruktur generierte Oberfläche ist beträchtlich und schlägt sich entsprechend auch im Aufwand für die Fassade nieder – gerade weil die Gebäudeoberfläche im Hinblick auf den zukünftigen Energieverbrauch einem hohen Standard genügen musste. Die Gebäudestruktur bzw. das Tragsystem schafft aber Büroräume, die bezüglich der Beleuchtung und der Erschliessung optimale Verhältnisse bieten. Insbesondere das modulare Raster der Bürobalken und die stützenfreien Räume ermöglichen verschiedene Bürotypologien und unterschiedlich grosse Bürozellen.
Besprechungsräume und loungeartige Bereiche sind an den Kreuzungspunkten der Balken angelagert, um die Kommunikation innerhalb der Firmenabteilungen zu erhöhen. Wie sich bei modernen Bürogebäuden in der Region Basel, aber auch weltweit, zeigt, sind attraktive Räumlichkeiten, die die Kultur einer Firma repräsentieren, indem sie diese architektonisch umsetzen, wesentlich für den Standortwettbewerb. Sie zählen mit zu den ausschlaggebenden Kriterien, wenn es darum geht, gut qualifizierte Mitarbeitende anzuziehen. Unter Einbezug dieser Gesichtspunkte relativieren sich die höheren Aufwendungen für die Tragstruktur und die Gebäudeoberfläche.TEC21, Do., 2010.01.14
14. Januar 2010 Heinrich Schnetzer
verknüpfte Bauwerke
Actelion Business Center
Zweierlei vereint
Neue Materialien im Bauwesen ersetzen alte meist, indem sie ihre Funktion und Form übernehmen. Bauelemente aus Faserverbundwerkstoffen übernahmen zu Beginn die linearen Formen von Stahl- und Holzprofilen. Erst mit der Weiterentwicklung der Faserverbundwerkstoffe lassen sich eigenständige und materialgerechte Bauweisen finden, wie sie auch für traditionelle Baumaterialien bestehen. Materialhybride und Funktionsintegration scheinen dafür die richtigen Ansätze zu sein.
Wesentliche Fortschritte im Bauwesen waren bis anhin an die Entwicklung neuer Materialien geknüpft.[1,2] Deren Einführung erfolgte dabei zuerst über eine Phase der Materialsubstitution, bevor die materialgerechten Struktur- und Anwendungsformen entwickelt wurden.[3] Dieser Prozess ist sehr zeitaufwendig und erforderte beispielsweise beim Übergang von Gusseisen zu Stahl etwa 70 Jahre (bis zum geschweissten Stahlrahmen) und beim Stahlbeton rund 40 Jahre (bis zur Flachdecke). Beispielhafte Vertreter einer solchen Materialsubstitutionsphase für Faserverbundwerkstoffe sind die Brücke aus glasfaserverstärktem Kunststoff (GFK) in Pontresina (1996)[1,4] und das weltweit immer noch höchste GFK-Gebäude in Basel (Eyecatcher, 1998).[2,5]
In den letzten zehn Jahren wurde in Forschung und Entwicklung daran gearbeitet, sich materialgerechteren Konstruktionsformen anzunähern. Eine Tendenz weg von Bauten komplett aus Faserverbundwerkstoffen hin zu Materialhybriden und Weiterentwicklungen der Funktionsintegration sind zu verzeichnen.
Materialhybride – zwei Beispiele
Faserverbundwerkstoffe sind anisotrope Materialien, deren Hauptkomponenten flexible Fasern hoher Zugfestigkeit und geringer Dichte bilden. Damit verbundene Schwachpunkte sind eine geringe Festigkeit und Steifigkeit quer zur Faserrichtung, die Temperaturempfindlichkeit der Matrix, die die Drucktragfähigkeit beeinflussen kann (Ausknicken der Fasern bei Erweichen der Matrix) sowie das generell spröde Tragverhalten (siehe nebenstehenden Kasten). Diese Nachteile manifestieren sich besonders deutlich in der Phase der Materialsubstitution, wo beispielsweise isotrope und duktile Stahlprofilquerschnitte und Tragwerkskonzepte kopiert werden[1,2], und erschweren deshalb die wirtschaftliche Anwendung der Materialien stark.
Heute zeichnen sich zwei Strategien zur Überwindung der Substitutionsphase ab: auf Materialebene der Übergang zu Materialhybriden, d.h. die Kombination von Faserverbundwerkstoffen mit anderen Materialien, die die Nachteile Ersterer ausgleichen können, sowie auf Tragwerksebene der Übergang von der linearen Profil- zur Sandwichbauweise. Einen wichtigen, einflussreichen Faktor für die Weiterentwicklung dieser Konstruktionen stellt die Verbindungstechnik dar, sowohl auf Material- als auch auf Tragwerksebene. Zwei Beispiele – ein geklebter GFK-Stahl-Hybrid und ein geklebter GFK-Beton-Hybrid – verdeutlichen dies: Die zellförmig aufgebaute GFK-Brückenfahrbahnplatte aufgeklebt auf einen Stahlträger (Abb. 1) orientiert sich an der orthotropen Stahlplatte und ist noch ein Produkt der Substitutionsphase.
Entsprechend können die in Faserrrichtung herausragenden Materialeigenschaften nur marginal genutzt werden. Ein anderer Nachteil von GFK, die fehlende Duktilität, ist allerdings durch die Verbundbauweise mit dem Stahlträger ausgemerzt. Der Verbundträger weist einen mit einem Beton-Stahl-Verbund vergleichbare Duktilität auf. Der Verbund wird dabei durch eine Klebeverbindung hergestellt. Kleben ist eine ausgesprochen geeignete Verbindungstechnik für Materialhybride, die in einfacher Weise erlaubt, unterschiedliche Materialien und Geometrien zu verbinden. Bei sachgemässer Tragwerkskonzeption und Applikation können Klebeverbindungen heute zuverlässig eingesetzt werden: Der Brückenträger hat 10 Millionen Lastwechsel ohne die geringste Schädigung überdauert.[6] Die fehlende Duktilität von Tragwerkskomponenten kann alternativ auch mit duktilen Klebstoffen in den Verbindungen der spröden Komponenten kompensiert werden.[7] Eine weiterentwickelte Konzeption einer Brückenfahrbahnplatte ist der geklebte GFK-Beton- Hybrid (Abb. 2).[8] Die unter Radlasten beulempfindlichen Stege der zellförmigen Platte des geklebten GFK-Stahl-Hybrids wurden durch einen kontinuierlichen Kern aus Ultraleichtbeton ersetzt. Die Deckschichten der enstehenden Sandwichkonstruktion bestehen aus faserverstärktem Hochleistungsbeton auf der Druckseite und GFK auf der Zugseite. Letztere Deckschicht wird direkt mit T-förmigen Verbindungsmitteln zur mechanischen Verankerung im Leichtbeton versehen und wirkt auch als Schalung. Die entstandene Platte ist zwar etwas schwerer als die reine GFK-Platte, weist aber eine erheblich grössere Flexibilität in der Anwendung auf, enthält keine korrosionsempfindlichen Materialien und braucht keine Abdichtung. Für jede Beanspruchungskomponente wird ein dazu passendes Material verwendet und somit insgesamt eine wirtschaftliche Lösung erzielt. Die Elementfugen und Verbindungen zu den Hauptträgern werden wiederum geklebt.
Funktionsintegration – Drei Beispiele
Faserverbundwerkstoffe bieten auch aufgrund einer potenziellen Funktionsintegration neue Konstruktionsmöglichkeiten, so zum Beispiel die Verschmelzung von Tragwerk und Fassade. GFK beispielsweise weist nebst den strukturellen mehrere andere vorteilhafte Eigenschaften auf – zum Beispiel eine geringe Wärmeleitfähigkeit und eine mögliche Transparenz (vgl. Kasten S. 27), die traditionelle Materialien wie Stahl oder Beton nicht bieten. Diese Zusatzeigenschaften (Abb. 3) erfüllen neben der Tragfunktion viele weitere Funktionen, die in multifunktionalen Tragwerkskomponenten kombiniert werden können. Die oft höheren Materialkosten von GFK werden dadurch kompensiert. Drei Beispiele zeigen das mit dieser Funktionsintegration verbundene Innovationspotenzial: Bei geeigneter Materialwahl (gleicher Brechungsindex Glasfasern und Matrix) sind GFKTragwerkskomponenten transparent oder transluzent. Glasfasern leiten und streuen zudem gleichzeitig Licht. Die Transluzenz nimmt dabei mit abnehmendem Fasergehalt zu, das Tragvermögen hingegen ab. Deshalb muss dem Stabilitätsverhalten von dünnwandigen transluzenten Bauteilen Beachtung geschenkt werden (Abb. 4). Die statisch-architektonische Integration eröffnet aber neue Möglichkeiten in der Architektur.Ebenso können GFK-Sandwiche mit Schaumkern (auch ein Materialhybrid) als architektonisches Ausdrucksmittel dienen. Sie tragen und isolieren thermisch gleichzeitig. Tragwerk und Fassade verschmelzen – die Tragkonstruktion kann wieder gezeigt und muss nicht mehr von der Fassade verhüllt werden. Grossformatige, multifunktionale Leichtbauelemente werden in komplexer Form hergestellt und schnell montiert (Abb. 5).[9] Neben dieser statischbauphysikalischen Integration ist die statisch-energetische Integration eine weitere Funktionsmischung mit Innovationspotenzial. Aufgrund der möglichen Transparenz von GFKSandwich- Decklaminaten können beispielsweise Solarzellen zur Energieerzeugung in die Konstruktion einlaminiert werden (Abb. 6).[10] Zudem kann in Zellen von Sandwich-Wand- oder Deckenelementen ein Wasserkreislauf integiert werden, der heizt und kühlt (Abb.7). Einem Problem von GFK-Tragelementen im Hochbau, dem oft ungenügenden Brandwiderstand, würde dadurch effizient begegnet. Untersuchungen haben ergeben, dass wassergekühlte GFK-Konstruktionen bis zu zwei Stunden einem ISO-Normbrand widerstehen.[11]
Eigenständige, materialgerechte Form absehbar?
Rückblickend auf die letzten 10 Jahre der Entwicklung im Bereich von Faserverbundwerkstoffen stellt man fest, dass der Formfindungsprozess – weg von der Phase der Materialsubstitution – weniger rasch verläuft als erhofft. Betrachtet man aber die 40 oder 70 Jahre Übergangsdauer bei Beton oder Stahl, ist der Zeitrahmen durchaus noch akzeptabel. Die Konzepte «Materialhybride» und «Funktionsintegration» haben inzwischen viel versprechende Ansätze zur Überwindung der Phase der Materialsubstitution geliefert. Vieles davon ist bereit zur Umsetzung in der Praxis – wie beispielsweise die multifunktional-hybride Dachkonstruktion zeigt (Abb. 5).Die Realisierung von solchen funktionsintegrierten Konstruktionen macht die Zusammenarbeit von Ingenieuren und Architekten unabdingbar. Mittelfristig wird die Entwicklung mit Sicherheit auch durch eine neue Generation von Planern beschleunigt, die diese neuen Materialien in ihrer Ausbildung bereits kennengelernt haben werden. Diesbezüglich viel versprechende Erfahrungen werden zurzeit an der EPFL gemacht, wo Architektur- und Ingenieurstudenten und -studentinnen die neuen Materialien in gemeinsamen Projekten entdecken.
Anmerkungen:
[01] Keller T.: Struktur und Form – Zur Entstehung materialgerechter Strukturformen. In: Schweizer Ingenieur und Architekt, Nr. 12, 1998
[02] Keller T.: Hochbautragstrukturen mit neuen Materialien. In: Schweizer Ingenieur und Architekt, Nr. 26, 2000
[03] Dooley S.: The development of material-adapted structural form. EPFL-CCLab Doctoral Thesis No. 2986, 2004
[04] Keller T., Künzle O., Wyss U.: Fussgängerbrücke Pontresina in GFK. In: Schweizer Ingenieur und Architekt, Nr. 12, 1998
[05] Keller T., Künzle O., Wyss U.: Eyecatcher – Fünfgeschossiges Gebäude mit GFK-Tragstruktur. In: Schweizer Ingenieur und Architekt, Nr. 17, 1999
[06] Gürtler H.: Composite action of FRP bridge decks adhesively bonded to steel main girders. EPFL-CCLab Doctoral Thesis No. 3135, 2004
[07] De Castro J.: System ductility and redundancy of FRP structures with ductile adhesively-bonded joints. EPFL-CCLab Doctoral Thesis No. 3214, 2005
[08] Schaumann E.: Hybrid FRP-lightweight concrete sandwich system for engineering structures. EPFL-CCLab Doctoral Thesis No. 4123, 2008
[09] Keller T., Haas Ch., Vallée T.: Structural concept, design and experimental verification of a GFRP sandwich roof structure. In: ASCE Journal of Composites for Construction, 12/4, 2008, 454–468
[10] Keller T., Vassilopoulos AP., Manshadi BD.: Thermomechanical behavior of multifunctional GFRP sandwich structures with encapsulated photovoltaic cells. In: Journal of Composites for Construction, in press
[11] Tracy C.: Fire endurance of multicellular panels in an FRP building system. EPFL-CCLab DoctoralTEC21, Do., 2010.01.14
14. Januar 2010 Thomas Keller, Regula Keller