Editorial

Bei unseren Gebäudefassaden findet seit einigen Jahrzehnten eine rasante Entwicklung statt. Die Architektur lotet die Grenzen des Machbaren aus, und die Unternehmen reagieren mit der Produktion von Bauteilen mit grösseren Ausmassen, neuen Materialien, Oberflächen, Formen und Farben. Gleichermassen fördert der Trend zu Einsparung und Gewinnung von Energie die Erforschung und Entwicklung von leistungsstarken Dämmmaterialien, Isoliergläsern, Solarpaneelen u.v.m. Damit beansprucht die Fassade einen immer grösseren Anteil am Budget von Hochbauten. Trotzdem ist der Ingenieurberuf in diesem komplexen Segment noch wenig etabliert.

Zur Verbesserung dieser Situation hat die Schweizerische Zentralstelle für Fenster und Fassaden (SZFF) mit dem Beitritt zum SIA als Fachverein in der Berufsgruppe Technik/Industrie einen wichtigen Schritt vollzogen. Auch die Schweizerische Zentralstelle für Baurationalisierung (CRB) stellt der Fassadenbranche mit dem neuen Baukostenplan eBKP-H 2009 bessere Bedingungen bereit. Waren die Bestandteile der Fassade bisher nur ab der dritten Ebene präsent, ist das komplette Gewerk jetzt in der Hauptgruppe E «Äussere Wandbekleidung Gebäude» erfassbar. Diese Möglichkeit muss von der Branche genutzt werden. Die Präsenz und der Stellenwert des Fassadenbaus und aller damit verbundenen Berufsgruppen würde damit gesteigert.

Parallel zur Verbesserung dieser Rahmenbedingungen im Normen- und Baurationalisierungsbereich müssen die Fassadenplaner und -ingenieure die Qualität ihrer Dienstleistungen erhöhen. Noch ist es üblich, dass der Unternehmer das zum Werkvertrag geschnürte Submissionspaket mit kompletter Verantwortung für dessen Inhalt übernimmt. Er hat somit die Pflicht, im Zuge der Angebotsbearbeitung das Projekt auf Machbarkeit, Normentsprechung, Statik, technische Werte und Ausmasse zu prüfen und allenfalls zu korrigieren. Folglich hat der Projektant Interesse daran, möglichst umfangreiche Vorbedingungen und Anforderungen zu erarbeiten, wogegen sich im Leistungsteil nur wenige Lösungsansätze und für unverbindlich erklärte Massenauszüge als vorteilhaft erweisen. Diese Praxis negiert die Kompetenz der Fassadenplaner und -ingenieure als Projektverfasser und führt regelmässig zu Konflikten mit nachträglich notwendigen Anpassungen und Nachtragsforderungen. Das Ziel muss sein, Submissionspakete in ausführbarer Qualität zu erstellen. Unternehmervarianten mit formaler und technischer Kongruenz wären dadurch keineswegs verhindert.

Mit diesen Fortschritten wird der Fassadenbau auch in Zukunft weiter an Bedeutung gewinnen. Dieses Heft zeigt in der Entwicklung und am gebauten Objekt die Relevanz der Branche im Hochbau: interessant und vielschichtig in jeder Beziehung.
Markus Schmid

Inhalt

05 WETTBEWERBE
Munch-Museum in Oslo

10 MAGAZIN
Bei Passivhäusern entscheiden Details | Die Postfinance-Arena in Bern

16 ENTWICKLUNG IM FASSADENBAU
Rudolf Locher
Die Gebäudehülle hat sich zum eigenständigen Segment im modernen Hochbau entwickelt. Ein Rückblick über fünf Jahrzehnte Fassadenbau und der Ausblick auf zukünftige Herausforderungen.

19 «WAS MAN VERLANGT, SOLLTE MAN VERGÜTEN»
Daniela Dietsche, Clementine van Rooden
Die Gründe für den herrschenden Futterneid zu finden, stand bei einem Gespräch im Vordergrund.

21 AKTIVE DOPPELHAUT
Walter Enkerli
Ob ein Gebäude in Bezug auf Qualität und Komfort hält, was es verspricht, kommt erst nach einer gewissen Nutzungszeit aus. Das Stadthaus Köniz bestand in dieser Hinsicht alle Prüfungen.

27 SIA
Ohne Sehnsucht keine Nachhaltigkeit | Werte nach aussen tragen | Der neue KBOB-Servicevertrag | Kulturtag SIA 2009: abgesagt

31 PRODUKTE

37 IMPRESSUM

38 VERANSTALTUNGEN

Entwicklung im Fassadenbau

Die Gebäudehülle beansprucht immer mehr Anteil am Umfang von Neubauten und Sanierungen und hat sich zum eigenständigen Segment im modernen Hochbau entwickelt. Energieeinsparung, Umweltschutz und Nachhaltigkeit werden umgesetzt, neue Technologien und Materialien entwickelt und angewandt. Ein Rückblick über fünf Jahrzehnte Fassadenbau und der Ausblick auf zukünft ige Herausforderungen.

Im Laufe der Evolution hat der Mensch seine Hüllen und Behausungen ständig verändert und weiterentwickelt. Gebäudefassaden wurden mehr als nur Schutzschichten gegen Witterungseinflüsse, Wärme und Kälte. Sie mussten sich auch optisch abheben, um Identität, Status oder Macht auszudrücken, beispielsweise durch geometrische Formen, geografische Ausrichtungen, kunstvolle Schnitzereien und Farben. Auch beeinflussten seit je regionale und kulturelle Unterschiede, die Verfügbarkeit von geeignetem Baumaterial und klimatische Bedingungen die Fassadengestaltung. Die Zelte von Nomaden oder die Lehmhäuser aus dem Nahen Osten sind dabei nur zwei von zahlreichen Beispielen.

Wachsende Funktionsvielfalt

Ein Meilenstein in der Geschichte des Fassadenbaus war die industrielle Entwicklung von Stahl und Stahlbaukonstruktionen im Laufe des 19. Jahrhunderts. Die Trennung von Fassade und Rohbaustruktur, von Erscheinungsbild und Funktion führte zu neuen Möglichkeiten. Die Fassade konnte vom Tragwerk unabhängig geformt werden.

Mit der wachsenden Bevölkerungsdichte in Städten und Agglomerationen kamen neue Aufgaben wie die Abschirmung von Lärmimmissionen dazu. Schallschutz ist seither fester Bestandteil im Leistungsumfang. Aber auch die Beschattung und der bewusste Umgang mit Licht wurden immer mehr zum Thema. Dabei haben insbesondere die Fenster grosse Entwicklungen erfahren. Die Schwerpunkte in der Fenster- und Verglasungstechnik wurden in den 1970er-Jahren auf Energie, Komfort, Tageslichtnutzung und Zuverlässigkeit gelegt. Die Eigenschaften von Glas veränderten sich in der Folge dahingehend, dass eine Optimierung des Energie- und Lichtdurchlasses ohne Senkung des U-Wertes sowie eine jahreszeitunabhängige Funktionalität erreicht werden konnten. Dies war nur dank der Verbesserung von Materialeigenschaften möglich und führte auch zu erhöhter Sicherheit, Gebrauchstauglichkeit und Lebensdauer. Wärmeverlust und Wärmegewinnung können über Fenster und Fassaden gesteuert werden. Luftdichtheit und kontrollierte Lüftung tragen zu einer grossen Steigerung des Wohnkomforts bei. Schon 1970 hatte man das Gefühl, dass die Technik im Fenster- und Fassadenbau bald an ihre Grenzen stossen würde. Doch die Anforderungen an die Fassaden haben sich bis heute nochmals vervielfacht, und die Technik hat sich in gleichem Mass weiterentwickelt.

Sanierung statt Neubau

Das Bauland wird knapper, die Anzahl Neubauten nimmt ab. Dennoch sieht man überall Gebäude mit «neuen» Fassaden. Sanierungen machen heute fast die Hälfte am gesamten Gebäudebauvolumen aus. Die Bauwerke aus der Mitte des vergangenen Jahrhunderts entsprechen nicht mehr den üblichen Baustandards. Statische und sicherheitstechnische Defizite, Alterung und Korrosion, hoher Energieverbrauch für Heizung und Kühlung, defekte Fenster, schlechte Isolierung und unzureichende Tagesbelichtung zählen zu den häufigsten Mankos der Gebäude aus den 1950er- bis 1970er-Jahren. Der Energieverbrauch ist in Bezug auf heutige Standards zu gross. Man rechnet bei Gebäuden, die vor 1970 gebaut wurden, mit einem durchschnittlichen jährlichen Energieverbrauch von 500 MJ / m2. In einem Neubau liegt dieser Wert bei rund 250 MJ / m2 im Jahr, also um die Hälfte tiefer. Dazu kommen Probleme mit Asbest und PCB-kontaminierten Bauteilen (TEC21 36 / 2008). Doch können die Gebäude nicht nach Belieben umgebaut werden. Vielmehr sollen sie sich auch nach der Sanierung ins Stadtbild einfügen und den zukünftigen technischen Veränderungen standhalten können. Zeitgeschichtliche Zeugen müssen erhalten bleiben.

Energiesparen als Triebfeder

Mit den diversen Minergiestandards werden sowohl Neubauten als auch Sanierungen von Altbauten erfasst. Im Zentrum der heutigen Fassadentechnik steht die Reduktion von Wärmeverlust, Komfortlüftung, Energiegewinnung etc. Die Fenster von modernen Bauten lassen sich kontrolliert öffnen, und deren wärmegedämmte Konstruktion führt zu einem konstanten Raumklima. Mittels Fotovoltaik- und Warmwasserkollektoren wird die Sonneneinstrahlung genutzt. Um die renovationsbedürftigen Gebäude wieder auf den energetisch neusten Stand zu bringen, müssen sowohl an den Fenstern als auch an den übrigen Fassadenbauteilen Änderungen vorgenommen werden. Bei den Fensterrahmen wird heute auf einen möglichst geringen Flächenanteil geachtet, um diese potenziellen Wärmebrücken auch flächenmässig zu minimieren. Mit einem modernen Fenster können heute U-Werte von 0.9 bis 1.3 W / m2K erreicht werden. Auch die Fassade kann mittels einer leistungsfähigen Fassadendämmung zur Energieregulierung beitragen. Nach Minergiestandard darf der maximale U-Wert einer Fassade noch 0.2 W / m2K erreichen (zum Vergleich: Bei Gebäuden aus den 1970er-Jahren liegt der U-Wert zwischen 0.8 und 1.2 W / m2K). Bei solchen Sanierungen müssen jedoch Wärmebrücken beachtet und die empfohlene Aussenwanddämmung von 14 bis 20 cm eingehalten werden. Klimagerechte Gebäudehüllen müssen ähnlich wie die Haut (sensorische Stimulation) den kontrollierten Austausch von Luft, Wärme und Licht mit der Umwelt zulassen. Fassaden sind heute Energiegewinnungssysteme, die im Austausch mit der Umwelt stehen. Die moderne Fassade generiert visuellen und thermischen Komfort, verschafft Kühlung, Aussicht oder frische Luft, und sie senkt die CO2-Konzentration im Raum.

Blick in die nahe Zukunft

Die Fassaden der Zukunft bringen die ökologischen, bauphysikalischen und ökonomischen Ziele unter einen Hut. Auch ästhetische und kulturelle Randbedingungen werden berücksichtigt und führen sie zu einem ganzheitlichen Konzept zusammen. Einige in den vergangenen Jahren realisierte Projekte zeigen, dass die Komponenten zum Erreichen dieser Ziele bereits vorhanden sind. Zur Optimierung des Zusammenspiels werden die einzelnen Elemente weiter verfeinert, wirtschaftlicher hergestellt und intelligenter miteinander verknüpft. Es kann aus einer schier unerschöpflichen Vielfalt an Materialien, Farben, Formen und Techniken ausgewählt werden. Bei der Kombination verschiedener Materialien sorgen neue Technologien dafür, dass sich die Kompenten verbinden und so ein stimmiges Gesamtbild ergeben. Doch nicht nur die passiven Aspekte werden immer wichtiger: Aus der Fassade wird zukünftig noch mehr Energie in Form von Strom, Wärme und Kühlung gewonnen werden. Gerade weil fossile Energie immer teurer wird, werden wirtschaftliche und ökologische Alternativen gefragter sein denn je. Weiter muss die Gebäudehülle vermehrt Funktionen zur Sicherheit und Automation erfüllen. Einbruchhemmung und Brandschutz, aber auch die Integration von kompletter Anlagetechnik für Klimatisierung, Heizung und Energieversorgung sind in diesem Zusammenhang zu nennen. Schwachstellen der heutigen Fassaden können durch bessere Dämmung und Abdichtung ausgebessert werden. Der Energieverlust wird bei neuen Gebäudehüllen z. B. durch grosse Flächen aus Dreischeiben-Isolierglas und durch Paneele mit leistungsfähiger Wärmedämmung – zunehmend Hochleistungswärmedämmung – verkleinert. Energiegewinne werden durch «aktive» Fassadensysteme ermöglicht: Im Winter wird die Sonnenbestrahlung zugelassen, während sie im Sommer verhindert wird. Lösungen bilden z. B. bewegliche, automatisch gesteuerte Sonnenschutzanlagen. Ein weiterer Punkt, der zu Energieersparnissen führen wird, ist die richtige Beleuchtung. Genügend Tageslicht kann nur durch die Fassade kommen. Auch tiefe Räume werden zukünftig mittels Lichtleit- bzw. Lichtlenksystemen ausgeleuchtet. Das manuelle und individuelle Öffnen der Fenster führt insbesondere im Winter zu einem Energieverlust. Die automatische Steuerung von Zu- und Abluft über die Fassadenhaut wird dem entgegenwirken. Die Fassade der Zukunft wird deshalb den Luftzustand messen und bei Bedarf Frischluft importieren – kontrolliert und mit Wärmerückgewinnung energetisch optimiert. Der Energiebedarf wird zudem zukünftig vermehrt über eine zweischalige Fassade reduziert. Eine aktive Bewirtschaftung des Luftpolsters im Fassadenzwischenraum ist der Schlüssel dazu. Passive Systeme, wie sie heute teilweise noch anzutreffen sind, nutzen das Potenzial der Doppelhaut in dieser Hinsicht nicht aus.

Gebäudehülle - mehr als nur Fassade

Ziel von Architekten, Ingenieuren, Bauherrschaften und Fassadenspezialisten muss und wird es sein, den politischen Vorgaben zur Optimierung des Energieverbrauchs zu entsprechen, ohne dabei Architektur, Qualität, Ökologie und Ökonomie ausser Acht zu lassen. Die Gebäudehülle wird zu einem «Multi-Player», der gleichzeitig Licht-, Luft- und Energieflüsse zu koordinieren und kontrollieren weiss.

TEC21, Fr., 2009.07.03

03. Juli 2009 Rudolf Locher

Aktive Doppelhaut

Lobreden auf neue Gebäude oder Vorschusslorbeeren auf geplante Bauwerke werden zuweilen nichtig, wenn die Nutzer die geplante Qualität, den versprochenen Komfort nicht erfahren. Sämtliche Sollwerte und Simulationsresultate, die während der Planung eingebracht werden, erfahren in der Regel nach frühestens einjähriger Nutzung ihr Bestehen oder Scheitern. Erst dann haben alle Jahreszeiten das Klima im Gebäude beeinflusst. Das Stadthaus Köniz besteht diese Prüfung durch die aktiv bewirtschaft ete doppelhäutige Glasfassade und durch geschickte Klimatechnik. Der gesamte Gebäudekomplex – Altbau und Neubau – erfüllt den Minergiestandard.

In der Gemeinde Köniz bestand – aus praktischen Gründen und für eine höhere Qualität der Dienstleistungen – das Bedürfnis, die verschiedenen Verwaltungsteile an einem zentralen Standort zusammenzufassen. Zudem sollte ein konzentrierter Begegnungsort der Bevölkerung und Verwaltung geschaffen werden. Das Projekt für den Anbau des Stadthauses Köniz basiert auf einem Wettbewerb des Jahres 1996, der von den Architekten Cornelius Morscher und Joachim Bolliger gewonnen und umgesetzt wurde. Seit 2004 ist das neue Verwaltungszentrum in Betrieb und ergänzt die bestehende Gemeindeadministration.

Das Verwaltungsgebäude aus dem Jahr 1899 steht unter Denkmalschutz und musste erhalten bleiben. Um den heutigen energetischen, funktionalen und ästhetischen Ansprüchen gerecht zu werden, sollte der neue Anbau sinnvoll mit dem Bestehenden verbunden werden. Die Architekten strebten das gleichwertige Zusammengehen von Alt und Neu an. Geschaffen wurde ein sich gegenseitig verstärkender und kontrastierender Gebäudekomplex: der eine Teil historisch massiv, der andere transparent und aufgelöst. Das Verwaltungsgebäude bildet dabei als Solitär wie ein Anker weiterhin ein eigenständiges Volumen an der Nordostecke der neuen, filigranen Glas- und Betonkonstruktion. Das alte Gemeindehaus wird so als markanter Punkt zwischen Bahnlinie und Hauptstrasse in seiner Eigenständigkeit belassen.

Bauliches Konzept und Nutzung

Der Neubau bildet zusammen mit dem Altbau ein im Grundriss quadratisches Gebäude von ungefähr 34 m Seitenlänge und bietet Raum für 135 Arbeitsplätze. Im Zentrum steht der helle Innenhof mit Glasdach und transluziden Wänden. Die Büroräume im Neubau wurden bewusst nicht bis an den Altbau herangeführt, sondern durch zwei ca. 2.5 m breite Lichtfugen, im Zusammenspiel mit dem verbindenden Innenhof, optisch freigestellt. Viel Licht und Transparenz prägen das neue Gebäude und signalisieren einen offenen Verwaltungsstil. Der Zugang zum gesamten Verwaltungskomplex erfolgt über den neu gestalteten Stadtplatz in den Altbau. In diesem sind die Eingangshalle mit Empfangs- und Informationsschalter, Büros, die Cafeteria sowie das Sitzungszimmer des Gemeinderates untergebracht.

Durch die Eingangshalle erfolgt der Zugang auf die multifunktional nutzbaren Galerien des dreigeschossigen Neubaus, welche die verschiedenen Abteilungen durch die transparente Bauweise gut sichtbar erscheinen lassen. Entlang den Aussenfassaden sind die Büros angeordnet. Im Hochparterre sind die Verwaltungsbüros für die Kundenbetreuung untergebracht. Die formale Kommunikation zwischen Alt und Neu wird auf der funktionalen Ebene wieder aufgenommen, indem die Räume der Übergangsbereiche (Lichtfugen) als Besprechungszimmer genutzt werden.

Synergie zwischen Architekt und Fassadenberater

Bei den heutigen, gut wärmegedämmten Fassaden ist das Problem des winterlichen Wärmeschutzes meist gut lösbar. Dagegen liegt die Schwierigkeit oft in der Minimierung der notwendigen Kühlleistung im Sommer. Bei möglichst früher Konsultation eines Fassadenplaners können, mit etwas mehr Aufwand bei der Fassade, die HLKS-Anlagen kleiner ausgelegt werden. Langfristig ist so ein positiver Beitrag zur Nachhaltigkeit und zur Verringerung des Energieverbrauchs gegeben. «Beratung kommt vor der Planung», betont der Fassadenspezialist Reto Demont. Er sieht den Fassadenplaner als wichtigen Berater zwischen Bauherrschaft und Architekt mit dem Auftrag, alle Randbedingungen aus Architektur, Statik, Bauphysik, Wirtschaftlichkeit, Behördenauflagen etc. zu berücksichtigen und sein Gewerk danach zu projektieren. Beim Gemeindehaus Köniz wurde zu Beginn ohne Fassadenberater geplant. Während des Planungsprozesses wurde er dennoch nötig, um die einzelnen Komponenten optimal zu kombinieren und den maximalen energetischen Nutzen mit der Fassade zu erreichen. Eine Nutzungsvereinbarung speziell für das Gewerk Fassade wurde durch den Fassadenplaner erstellt. Dieses Dokument diente als Basis für alle weiteren Arbeiten und wurde im Planungsprozess laufend aktualisiert. Ein zentrales Anliegen von Architekt Cornelius Morscher war in Bezug auf die Gebäudehülle, dass «die verschiedenen Funktionen getrennt bleiben und nicht in eine Einheit integriert werden. Die Lebensdauer von Fassadentragwerk, Glas, mechanischen Teilen sowie die der installierten Technik ist unterschiedlich. Deshalb müssen die einzelnen Komponenten durch einfache Schnittstellenausbildung klar getrennt bleiben und gut auswechselbar sein.»

Technik und Energie

Altbau und Neubau als Ganzes erfüllen die Anforderungen des Minergiestandards und weisen eine hohe Energieeffizienz und einen schonenden Umgang mit Ressourcen auf. Dies resultiert aus einem sinnvollen Oberflächen-Volumen-Verhältnis, einer guten Tageslichtsituation und einer Doppelfassade als thermischem Puffer. Der Neubau und die Büros im Altbau verfügen über eine Komfortlüftung. Die Zuluft wird über ein Erdregister geführt, wo sie je nach Jahreszeit gewärmt oder gekühlt wird. Die aufbereitete Frischluft wird in die Büroräume verteilt und als Abluft über das Dach weggeführt. Die Luftwechselrate kann bei Bedarf zusätzlich durch das Öffnen der Metallflügel erhöht werden. Die Energie für die Heizung und das Warmwasser werden über eine Wärme-Kraft-Kopplung der Gemeinde Köniz bezogen. Die Minergiekennzahl beträgt beim Neubau 33.8 kWh / m2a und beim renovierten Altbau 53.4 kWh / m2a. Gerechnet über die ganze Energiebezugsfläche von 5503 m², ergibt dies einen Durchschnitt von 37.4 kWh/m2a.

Aktive Bewirtschaftung legitimiert Doppelhaut

Die 1080 m² umfassende Glas-Doppelhautfassade des Neubauteiles schützt vor Witterung, Bahn- und Strassenlärm. Das kann auch eine einschichtige Hülle leisten. Dass die Wahl trotzdem auf die aufwendigere Doppelhaut fiel, hat denn auch primär energetische Gründe. Das stehende Luftpolster im Fassadenzwischenraum verbessert den U-Wert der gesamten Fassade im Winter um 10 bis 15 %. Im Sommer würde ein stehendes Luftpolster jedoch erhitzt und das Innenraumklima durch den indirekten Wärmeeintrag negativ beeinflussen. Deshalb sind im oberen Dachrandabschluss der Doppelfassade elektromechanisch zu öffnende Glasklappen eingebaut, über die das Warmluftpolster abgeführt wird. Solch einfache aktive Bewirtschaftung des Fassadenzwischenraumes ist entscheidend für die positive Wirkung von Doppelhautfassaden. Regenwächter schliessen die Klappen automatisch, um Verschmutzungen der inneren Glasebene durch eindringendes Meteorwasser zu minimieren. Der 65 cm breite, windgeschützte Zwischenraum enthält auf Höhe der Geschossdecken begehbare Gitterroste für Wartungsarbeiten an Fassadenkonstruktionen und die Vertikalmarkisen für den Sonnen- und Blendschutz. Diese Storen sind aluminiumbedampft und verfügen über einen tiefen Energiedurchlass von aussen nach innen (g-Wert). Ab einer bestimmten Sonneneinstrahlung schliessen sie sich durch Signale von Sonnenwächtern. Die schuppenartig überlappende Anordnung der Stoffstoren hat nicht gestalterische Gründe, sondern verhindert Blendstreifen durch direktes Sonnenlicht weitgehend. Die innere Fassade besteht zu ca. 70 % aus Isolierglas mit Rahmen aus thermisch getrennten Edelstahlprofilen. 30 % der Fassadenfläche sind opak in Form von wärmegedämmten Metallpaneelen und metallbekleideten, wärmegedämmten Ortbetonscheiben. Den Zugang zum Zwischenraum ermöglichen auf allen Geschossen raumhohe Flügel in den Metallpaneelen. Alle sichtbaren Edelstahloberflächen sind matt geschliffen. Auf Wunsch der Bauherrschaft wurden nur Materialien mit möglichst geringer grauer Energie verwendet. Daher wurde die gesamte Fassade praktisch ohne Aluminium ausgeführt. Der Kostenunterschied zwischen Aluminium und Edelstahl war geringer als erwartet, weil Edelstahl nach dem Schleifen nicht nachbehandelt werden muss. Konsolen, Gitterroste und Halterungen der Doppelhaut bestehen aus feuerverzinktem Baustahl.

Um Energieverluste über die Fassade zu minimieren, wurden die Aussenbauteile wie Wände und Fenster und damit auch das Glas hinsichtlich wärmedämmender Eigenschaften optimiert. Die Kenngrösse, die diese Funktion charakterisiert, ist der Wärmedurchgangskoeffizient, der U-Wert. Er gibt an, wie viel Wärmeleistung pro Quadratmeter bei einer Temperaturdifferenz von 1 Grad Kelvin aus dem warmen Innenraum zur kalten Aussenluft verloren geht. Er beträgt bei den verwendeten Gläsern 1.0 W/m2K (nach EN 673 gerechnet), bei den Metallpaneelen der Fassade 0.3 W/m2K, und beim Flachdach mit einer 26 cm dicken Wärmedämmung ist er geringe 0.15 W/m2K.

Komfort trotz Transparenz

Die Nutzer haben das neue Gebäude positiv angenommen. Dies ist bei grossflächig ver glasten Fassaden im Allgemeinen und bei Doppelhautfassaden im Speziellen keine Selbstverständlichkeit, denn Glashäuser reagieren schnell mit Aussenklima und Besonnung. Klassische Probleme sind Kaltluftabfall im Winter, Überhitzung im Sommer, Schallprobleme etc. Hier fühlen sich die Mitarbeitenden trotz der lichten Architektur geborgen und erfahren gute Komfortbedingungen. Offenheit und Abschirmung, Aussicht und Intimität – dies sind die Grundelemente dieses Gebäudes, das als ein Ort der Begegnung und des Austausches für die ganze Gemeinde Köniz dient.

TEC21, Fr., 2009.07.03

03. Juli 2009 Walter Enkerli

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