Editorial
Der Titel «Baden gehen» leitet sich von den Thermalquellen ab, zu denen die Menschen seit Jahrhunderten pilgern, um die Linderung von Gebrechen mit dem Frönen der Sinnenfreuden zu verbinden. Dem Badener Bäderquartier, seit Jahren selber rheumatisch ächzend, soll eine Frischzellenkur verpasst werden – mit dem Neubau einer Badeanlage im Mättelipark, einer Neubebauung des Bereichs Staadhof - Limmatknie und der Reaktivierung des Komplexes Verenahof/Ochsen/Bären. Stadt und Investor (Verenahof AG) haben Ende November 2008 fünf Architekturbüros einen Studienauftrag erteilt. Nun gibt es ein erstes Resultat («Chronische Reizung am Knie», S. 6).
Badens Boden birgt nicht nur den Quell seines Ursprungs, sondern auch die Zeugen seiner Gründung. Auf römische Rudimente sind Arbeiter bei der Alimentierung des Kurparks gestossen. Sie mussten gesichtet, katalogisiert und gehoben werden, ehe die Anlage – eine «grüne Lunge» in der Stadt – mit einem grünen Teppich bedeckt werden konnte. Das Gelbe Viereck, ein «gelber Torso», weil es den Kernbereich der einstigen Fabrikation der Firma Merker AG umfasst, haben die Architekten so ertüchtigt, dass es ein Refugium für ein buntes Gemisch von Gewerbetreibenden geworden ist. Sie haben die Gebrauchsspuren bewahrt – auch die Altlasten im Boden, der versiegelt und mit einer Bodenzeichnung von Beat Zoderer versehen wird. Das Gelbe Viereck federt auch ein wenig den Verlust an günstigen Mietobjekten ab – die Kehrseite der Planung in Bahnhofsnähe, die u. a. in der Neugestaltung des Schlossbergplatzes und der Attraktivierung der im Volksmund «Blinddarm» geheissenen Gleisunterführung gipfelte (siehe «Durchleuchteter Darm»).
Und als wären es der Bodenschätze nicht genug, sucht die Stadt im Pflaster des Verkehrsknotens «Schulhausplatz» nach der Quadratur des Kreisels. Dieser ist regelmässig überlastet und sanierungsbedürftig. Seit Jahren diskutiert man, ob die Situation mit einer Kreuzung oder einem Kreisel zu verbessern sei. Zur Debatte steht auch, ob Bus und Individualverkehr auf einer Ebene oberirdisch oder der Bus kombiniert mit dem Langsamverkehr im ersten Untergeschoss geführt werden sollen oder ob für den Bus ein separater Tunnel in einem zweiten Untergeschoss erstellt werden soll. Die Stadt tendiert zu einer lichtsignalgesteuerten Kreuzung, der Kanton hat sich noch nicht definitiv entschieden. Daher forderte der kantonale Projektverantwortliche die Autoren eines Beitrags für TEC21 auf, ihn zurückzuziehen, weil der Artikel für die angehende Diskussion und die zu treffenden Entscheide nicht gewinnbringend sei. Gewinnbringend? Müssen wir daraus schliessen, dass er am Preis gescheitert ist? Derselbe Projektverantwortliche erteilte der «Aargauer Zeitung» vom 19. Mai 2009 nämlich genau die Auskünfte, die der Artikel beinhaltet hätte.
Inhalt
05 WETTBEWERBE
Chronische Reizung am Knie
08 MAGAZIN
Badener Baukultur neu beurteilt
12 DURCHLEUCHTETER DARM
Jarl Olesen
Die Aufwertung des Schlossbergplatzes in Baden hat ihm die Funktion als Schnittstelle zwischen Alt- und Neustadt zurückgegeben. Aus der im Volksmund als «Blinddarm» bezeichneten Gleisunterführung – der Verbindung zwischen Innenstadt und Gstühlareal /Martinsbergquartier – ist eine attraktive Passage geworden.
15 GELBER TORSO
Rahel Hartmann Schweizer
Es ist die letzte Nische der Stadt Baden, in der das Kleingewerbe eine Bleibe hat: das Gelbe Viereck, das ehemalige Fabrikationsareal der Firma Merker AG. Die Architekten Zulauf & Schmidlin haben ihm eine Renovation angedeihen lassen, die die Spuren der Vergangenheit bewahrt.
20 GRÜNE LUNGE
Daniela Dietsche
Der innerstädtische Grünraum liegt zwischen Kurtheater und Grand Casino Baden. In den letzten Jahren wurde der Kurpark zwar gepflegt, aber mehr nicht. Nun wurde die erste Etappe des von Schweingruber Zulauf Landschaftsarchitekten erarbeiteten Idealplans umgesetzt. Eröffnet wird der sanierte Kurpark Ende Juni.
23 SIA
«Werkbericht» Nr. 6 | Register Dichtungsbahnen
29 IMPRESSUM
30 VERANSTALTUNGEN
Gelber Torso
Es ist die letzte Nische der Stadt Baden, in der Kulturschaffende, Künstler, Architekten, Grafiker und Handwerker eine Bleibe haben: das Gelbe Viereck, das ehemalige Fabrikationsareal der Firma Merker AG. Die Architekten Zulauf & Schmidlin haben ihm eine Renovation angedeihen lassen, die in seltener Konsequenz die Spuren der Vergangenheit bewahrt.
Der nun vor dem Abschluss stehenden Renovation des «Gelben Vierecks» ging ein zähes Ringen um die Produktionshallen voraus, in denen während 120 Jahren Waschmaschinen, Geschirrspülautomaten und Einbauküchen produziert wurden (siehe Kasten S. 18). Die materiellen Argumentationsgrundlagen für ihren Erhalt lieferte der Kunst- und Architekturhistoriker Claudio Affolter mit seinem Gutachten: «Trotz Umnutzung von 1994 ist das Merker’sche Ambiente heute noch spürbar, weil die Grundsubstanz erhalten blieb und sich die architektonischen Eingriffe auf das Notwendige beschränkten. Entstanden ist ein lebendiges Ensemble, in dem Bildung, Begegnung, Kultur und Arbeit eine vorbildliche Symbiose formen.»[1] Affolter brachte die Klostertypologie des Gevierts mit sozialutopischen Entwürfen von Robert Owen und Charles Fourier in Verbindung, die sich in der Familistère in Guise (F) von Jean-Baptiste Godin (um 1860) oder den Fiat-Werken in Turin von Giacomo Matté-Trucco (nach 1916) niederschlugen. Der Firmengründer Friedrich Merker selber orientierte sich an Naheliegenderem: Anlagen in Zug und Winterthur. Dort hatte sich 1854 die Maschinenfabrik Rieter in einem ehemaligen Dominikanerkloster niedergelassen. Und wie eine Rückkoppelung ist der Entwicklungsplan von Roger Diener 1994 mit mehreren Hofgebäuden im ABB-Areal bestückt: «Ist es Zufall, dass Diener für ein Hofgebäude an der Wiesenstrasse genau die Masse des Gevierts Merker übernahm?»[2]
Zulauf & Schmidlin, die sich ihrerseits immer für den Erhalt starkgemacht hatten, erhielten von Senior Walter Merker und Erben den Auftrag unter der Bedingung, dass die Mietzinse deutlich unter den durchschnittlichen Preisen für Gewerbeliegenschaften zu stehen kämen. Diese betragen in Baden für Rohbaustandard zwischen 220 und 250 Fr./m2. Erreicht haben die Planer nun einen solchen von zwischen 150 und 170 Fr./m2 – in ausgebautem Zustand, wohlgemerkt. Dies widerspiegelt sich im Mietermix: Architekten, Grafikerinnen, Künstler, Musikerinnen, Designer, Gesundheitspraxen, Fotografen, Ingenieurinnen, Journalisten, Schriftenmaler, Catering-Service, das Internationale Festival für Animationsfilm Fantoche, das Figura Theaterfestival Baden, eine private Tagesschule, Mobility Carsharing, ein Baunternehmen, das Theater im Kornhaus (ThiK) und das Jugendkulturlokal «Merkker».[3] Die sanfte Sanierung umfasste vor allem die Haustechnik und die Isolation des Daches. Auf eine Aussenisolation wurde zugunsten der architektonischen Integrität verzichtet. Diese bemass sich für die Architekten an der typologischen Klärung, an der Inwertsetzung des Bestehenden, ohne es zur Schau zu stellen, und am Akzeptieren mancher Eingriffe – selbst wenn sie einst zum Nachteil der architektonischen Qualität erfolgten.
Typologische Klärung widerfuhr dem Bau durch den Abbruch der in den Hof gestellten Schreinerei und Lagerhalle (1909). Diese verstellte die Fassaden von West- und Ostflügel – mithin der ältesten Gebäudeteile. Sie beeinträchtigte auch den mit drei Geschossen ursprünglich den Osttrakt überragenden, giebelständischen Mittelbau mit dem Rundbogenportal, der, asymmetrisch positioniert, den neunachsigen Büroflügel vom sechzehnachsigen Werkstattfl ügeltrennte. Ausserdem hatte der zweigeschossige, flache Betonskelettbau mit Backsteinausfachungen (29 × 17 m) diverse Umbauten und Erweiterungen erfahren, die Claudio Affolter von einer inventariellen (siehe S. 8) Einstufungsempfehlung der Lagerhalle absehen liessen. Nämliches gilt zwar auch für die einstige Spedition, die ebenfalls einen Teil des Hofs besetzte. Allerdings weist der zweigeschossige Sichtbacksteinbau mehr originaleSubstanz auf – trotz der Entfernung der ursprünglichen Glasgiebeldächer und dem Zumauern von Fensteröffnungen. Da sich der Bau anbot, als Restaurant (EG) und Veranstaltungsraum (OG) genutzt zu werden, entschieden die Planer, diese Räume hier unterzubringen. Die ausgewogene Proportionierung – drei Achsen breit, vier Achsen lang – haben die Architekten wieder ins Lot gebracht, indem sie den Holzschuppen auf der Westseite entfernten. Sie bewahrten die Tragstruktur der Stahlstützen und der Unterzüge aus Doppel-T-Trägern sowie den Betonboden und die Holzdecke. Mit einem schwarzen Anstrich machen sie ihn aber zur «black box», zu einer Geheimschatulle, zu einer Art Zauberkasten für verschiedenste kulturelle Ereignisse, der weiterhin unter dem Namen «Spedition» firmiert. Nicht zu retten war das Emailwerk (40 × 32.5 m) auf der Rückseite des Westflügels. Die späteren Umgestaltungen und die in die Jahre gekommene Bausubstanz bedeuteten den Garaus für das Werk mit dem beeindruckenden, flach geneigten Giebeldach und den sechs Shedverglasungen. Obwohl weder das Portierhaus noch die Alte Stanzerei einer Einstufung würdig sind, stehen beide noch. Die von Bridler und Völki 1908/09 errichtete Portierloge mit Pyramidendach, deren Obergeschoss auf der Nordseite vorkragt und von vier ornamentierten Säulen gestützt wird, führt zwar eine Art Inseldasein zwischen Strasse und Fabrikareal, bildet aber dennoch eine Art synkopischen Auftakt des Geländes oder den Atemzugvor dem Einsatz eines Musikstücks. Die Alte Stanzerei, in der die Stadt ursprünglich das «Merkker» unterbringen wollte, betreiben die Architekten als mietbaren Kulturraum. Im Geviert selber haben die Architekten sozusagen die inneren Werte gestärkt. Es ist wieder von der Hofseite her erschlossen. Um den sozialen Austausch fliessen zu lassen, haben sie einen «inneren Umgang» geschaffen, d. h., es ist möglich, nahezu barrierefrei alle vier Flügel zu passieren. Im Westflügel wurden Künstlerateliers eingerichtet, die mit Mietkosten von 130 Fr./m2 preislich noch etwas tiefer liegen sollen als die übrigen Flächen und von den andern Mietern subventioniert werden. Der Bauherr möchte eines davon jeweils temporär einem auswärtigen Gast zur Verfügung stellen.
Die sich überlagernden Zeitschichten des Gelben Vierecks haben die Architekten ebenso lesbar gemacht, wie sie die Spuren der Fabrikation sichtbar belassen haben – und mithin damit einen Umgang wie ihre Vorgänger gepflegt. Diese liessen etwa beim Einzug der Beton decken als Ersatz der Holzkonstruktion in den unteren Geschossen die Stahlanker im Mauerwerk stecken – sei es als Sicherungen der Wände während der Bauarbeiten, sei es aus ökonomischen Gründen. So zeugen die Anker bis heute sowohl von der ursprünglichen Zweigeschossigkeit als auch von der einstigen Holzkonstruktion. Zulauf & Schmidlin haben ihrerseits Wunden, die der Zahn der Zeit geschlagen hat, nicht behandelt. Wo der ursprüngliche Kalkzementputz bröckelte, weil er einmal mit Dispersion gestrichen wurde, sodass dem mineralischen Untergrund der Sauserstoff entzogen wurde, sind diese Abplatzungen gegenwärtig. Die alten Steinholzböden wurden auch da belassen, wo sie Flickwerk sind. Nachdem die Lifte vom Sicherheitsexperten genehmigt wurden, konnten die Architekten auf deren technische Aufrüstung verzichten. Auch setzten sie sich mit dem Wunsch durch, wieder Holz- und nicht Holz-Metall-Fenster einzusetzen und sie mit den ursprünglichen Sprossen zu versehen. Von der einst ästhetisch zurückhaltend inszenierten Hierarchie zwischen Patrons und Arbeitern zeugen zwei verschiedene Treppenhäuser (Abb. 4, 6), und das Mobiliar im Verwaltungstrakt – alte Holztüren und Schrankwände – dokumentiert einen bescheidenen Luxus.
Wenn es auch nicht so sehr eine konzeptionelle als vielmehr eine fi nanzielle Entscheidung war, die Altlasten im Boden zu lassen, so sind sie gut mit Asphalt versiegelt. Und der Künstler Beat Zoderer wird auf dem geteerten, von einem 10 cm hohen Stahlband gerahmten Geviert einen Kunstteppich schaffen. Analog zu seiner Intervention 1995 beim Kunsthaus Aarau (siehe Titelbild) wird er mit Strassenmarkierungen ein Gewebe schaffen – oszillierend zwischen öffentlichem (Strassen-)Raum und Innenraumteppich …TEC21, Fr., 2009.06.05
05. Juni 2009 Rahel Hartmann Schweizer
verknüpfte Bauwerke
Merkerareal „Gelbes Viereck“ Baden