Editorial

«Unsere Erde hat Fieber.» Sie leidet am globalen Virus menschlicher Masslosigkeit. Der vierte Sachstandsbericht des Intergovernmental Panel of Climate Change IPCC, der grössten Wissenschaftskommission unserer Zeit, zeigt noch präziser und umfassender als zuvor, dass wir dabei sind, unseren Lebensraum weltweit und dauerhaft zu verändern. Er zeigt aber auch, was zu tun wäre, den Klima-GAU noch abzuwenden. Die globale Klimadiskussion hat viel bewegt, viel angestossen. Viel wurde in Technik und Wissenschaft investiert, doch sie ist noch immer geprägt von Egoismen verschiedener Wirtschaftszweige, Egoismen ganzer Länder, oder von Parteien, die wenig über den nächsten Wahltag hinausdenken. Es gibt Kaskaden von Ausreden, warum man heute noch nicht konsequenter handeln könne. Als neuste Ausrede bringt man die Bankenkrise ins Spiel, wobei uns gerade diese zeigen sollte, dass mit langfristigem Vorausdenken und verantwortungsvollem Handeln Katastrophen zu vermeiden wären. Und eine Bankenkrise ist nichts gegen einen Klima-GAU.

Auch die Schweiz, als gebirgiges Land, wird die Folgen des Klimawandels besonders zu spüren bekommen. Unsere Landschaften werden sich verändern, vertraute Bilder verschwinden, Nutzungen sich wandeln, Naturgefahren häufen. Die Bewohnbarkeit ganzer Regionen muss in Frage gestellt werden. Mit diesem Heft möchte anthos versuchen, die Zusammenhänge zwischen dem Klimawandel, aber auch zwischen den Klimaschutzmassnahmen und der Landschaftsentwicklung aufzuzeigen.

Jede Bedrohung ist auch eine Chance. Sie zwingt uns, Überkommenes zu hinterfragen, unser Handeln zu überprüfen, über die Zukunft unserer Landschaften und über deren Entwicklung unter neuen Bedingungen nachzudenken. Es gilt, neue, klimaadaptive Strategien zu entwickeln. Vom Gedanken der statischen Modelle von Nutzungen, Lebensräumen und Pflanzenvorkommen müssen wir uns verabschieden, stärker als bisher dynamische Elemente in unsere Planungen und Projekte einbeziehen. Dies gilt sowohl für Strategien, dem Klimawandel und seinen Folgen entgegenzuwirken, als auch für solche, uns intelligent an die sich verändernden Prozesse anzupassen.

Neben Grundsatzartikeln, welche die Zusammenhänge zwischen Klimawandel und Landschaftsentwicklung durchleuchten, werden anhand von Beispielen neue Strategien und Lösungsansätze vorgestellt. Dabei zeigt sich aber deutlich, dass wir in der Landschaftsplanung und in der landschaftsarchitektonischen Projektierung noch lange nicht so weit – und vielleicht auch noch nicht bereit – sind, mit der nötigen Konsequenz auf die sich ändernden Verhältnisse einzugehen. Es gibt noch viel zu tun. «anthos» möchte dazu auffordern.

Bernd Schubert

Inhalt

- Editorial

Markus Thommen
- Landschaft im Klimawandel

Otto Wildi
- Bedroht der Klimawandel die Biodiversität?

Norbert Kräuchi
- Schutzgebietskonzepte unter dem Aspekt des Klimawandels

Joachim Kleiner
- Klimawandel und naturnaher Wasserbau

Margit Mönnecke, Hans-Michael Schmitt
- Erneuerbare Energien prägen die Landschaften von morgen

Michaela Baller, Ralf Ullrich
- Die künftige Nutzbarkeit der Landschaft in der Energieregion Lausiz-Spreewald

Felix Naef
- Die Klimaverantwortung eine Landschaftsarchitekturbüros

Katrin Klingberg
- Natur unter Strom

Daniel Keller
- Stadtklima und Klimaanalyse Zürich

Stéphanie Perrochet
- Anpassung

Dorothee Messmer
- Moralische Fantasien, Kunst und Klima

- Schlaglichter
- Wettbewerbe und Preise
- Mitteilungen der VSSG
- Literatur
- Agenda
- Bezugsquellen Schweizer Baumschulen
- Produkte und Dienstleistungen
- Impressum

Landschaft im Klimawandel

Sowohl Klimaveränderungen als auch Klimaschutzmassnahmen tragen zum Wandel der Natur- und Kulturlandschaften bei. Umgekehrt fördert ein intelligenter Umgang mit der Landschaft den Klimaschutz und erfordert neue Biodiversitäts- und Landschaftsstrategien.

Landschaften befinden sich in einem stetigen Wandel, welcher von vielfältigen Einflüssen, wie von der Klimaerwärmung, gesteuert wird. Seit 1970 ist die durchschnittliche Temperatur in der Schweiz um 1,5°C und damit deutlich mehr als im globalen Mittel angestiegen.1 Dabei ist unser Land mit seinem gebirgigen Charakter zugleich besonders anfällig für die Veränderungen.

Auswirkungen des Klimawandels

Die Alpen werden seit Mitte der 80er-Jahre von einem beschleunigten Massenverlust der Gletscher geprägt. Intensivere Winterniederschläge, stärkere Sommertrockenheit und schmelzende Permafrostgebiete stellen die heutige Form der dezentralen Besiedlung und der alpinen Kulturlandschaften in Frage. Klimatologen halten es für möglich, dass exponierte Siedlungsgebiete in Gewässernähe oder an instabilen Hängen auf Dauer aufgegeben werden müssen. Gleichzeitig wird mit neuen Infrastrukturen für Verkehr, Tourismus und Energiegewinnung ein Potenzial für weitere Konflikte geschaffen. Bis ins Jahr 2050 könnte die Schneegrenze um bis zu 350 Meter ansteigen, was Wintersportorte unter 1500 m ü.M. gefährden und eine Verlagerung zum Sommertourismus auslösen würde.[1]

Vom Klimawandel stark geprägt wird auch der Wald, insbesondere in den inneralpinen Trockengebieten des Wallis, wo die Zunahme der Temperaturen und der Anzahl heisser Tage bereits zu einer starken Abnahme der Waldföhren, einer Zunahme der Flaumeichen und somit zu einer Veränderung des Waldbildes geführt hat. Hier könnten sich laut Modellrechnungen der Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL im Jahr 2100 die Bäume ganz verabschieden. Die Zunahme der Winterniederschläge und vermehrter Regen statt Schneefall werden zu vermehrten Hochwassern führen und entsprechende Gewässerräume beanspruchen. Und schliesslich werden sich die Verbreitungsareale von Pflanzen- und Tierarten – soweit mit der heutigen Fragmentierung der Landschaft überhaupt möglich – nord- und bergwärts verschieben, ebenso wie die Waldgrenze, welche jährlich um einige Meter ansteigt.

Auswirkungen der Klimapolitik

Landschaften werden aber auch durch die Klimaschutzpolitik, etwa durch die Besteuerung oder Förderung von Energieträgern mit entsprechenden Anpassungen in der Primärproduktion verändert. Neu erhebt auch die Energiewirtschaft Anspruch auf die Fläche und konkurriert mit dem global ansteigenden Nahrungsmittelbedarf. Da sie nicht Nahrung, sondern Industrieprodukte herstellt, werden verstärkt Chemikalien und Monokulturen eingesetzt. Schwellenländer gehören gerade aufgrund der Abholzung für Biotreibstoffplantagen zu den weltweit grössten CO2-Emittenten, wobei in vielen Fällen noch mehr CO2 als mit Erdölprodukten freigesetzt wird. Der Anbau von Biotreibstoffen schädigt hier nicht nur die Biodiversität, sondern läuft absurderweise sogar dem Hauptziel, Klimaschutz, zuwider.5 Die Schweiz, die sich dieser Problematik bewusst ist, betreibt hier eine sehr restriktive Förderung: Von Steuererleichterungen profitieren im Wesentlichen Treibstoffe aus Abfällen. Bei anderen erneuerbaren Energien sind ebenfalls Konflikte mit Zielen der nachhaltigen Landschaftsentwicklung möglich, besonders wenn Anlagen dispers in der Landschaft und am Fliessgewässernetz verteilt werden. Sie können aber – zum Beispiel im Falle von gut konzipierten Windenergieparks – auch zeitgemässe Elemente eines neuen Kulturlandschaftstyps darstellen.

Auswirkungen der Landnutzung und -gestaltung auf den Klimaschutz

Der Umgang mit der Landschaft leistet entscheidende Beiträge zum Klimaschutz. Die Planung und Gestaltung muss steigende Kosten CO2-intensiver Baumaterialien und Transporte, kurze Kreisläufe oder nachhaltige Freizeit- und Mobilitätsformen berücksichtigen. Die Art der landwirtschaftlichen Nutzung beeinflusst die CO2-Bilanz ebenfalls massgeblich. In biologisch bewirtschafteten, humusreichen Böden wird mehr Kohlenstoff gespeichert, während Kunstdünger weltweit zu jährlich über 250 Millionen Tonnen CO2-Emissionen führen und die Viehwirtschaft mit Methan sogar ein 20-mal wirksameres Treibhausgas als CO2 emittiert. Der Anbau von Biotreibstoffen kann durch Humusabbau zu irreversiblen Schäden der Ackerböden, zur Produktion des klimatisch hochwirksamen Lachgases und somit – auch ohne Waldrodungen – zum Gegenteil der erhofften Reduktion des Treibhauseffektes führen.[3] Für die Schweiz, welche zum Beispiel Soja für Futtermittel auf einer Fläche im Umfang des Kantons Freiburg im Ausland produzieren lässt, könnte die Minimierung von Importen und die Produktion auf eigenen hochwertigen Landwirtschaftsböden die CO2-Bilanz verbessern.

Die Erhaltung von kohlenstoffreichen Ökosystemen wie Primärwäldern und Moorbiotopen stellt eine wichtige Klimaschutzmassnahme dar. Der gesamte Kohlenstoffvorrat der noch existierenden Torf- und Moorböden beträgt in der Schweiz etwa 176 Millionen Tonnen CO2. Das Wiedervernässen gestörter Moorböden ergäbe für die Schweiz ein jährliches Reduktionspotenzial von über 1 Million Tonnen CO2, was einem Gegenwert von 30 Millionen Franken entspricht.4 Die Wiederbewaldung im Berggebiet stellt unter gewissen Voraussetzungen ebenfalls eine CO2-Senke dar. Natürlich vergandende Flächen können zwar nicht als Aufforstung, aber möglicherweise über Zwischenstufen in der Reduktionsverpflichtung der Schweiz berücksichtigt werden. In den verschiedenen Politikbereichen, einschliesslich der nationalen und internationalen Energieund Rohstoffpolitik, muss die Verantwortung für die qualitative und quantitative Walderhaltung konsequenter wahrgenommen werden. Weltweit ist allein die Rodung der Tropenwälder für 20 bis 25 Prozent des vom Menschen verursachten CO2-Ausstosses verantwortlich.

Mögliche Reaktionen auf den Klimawandel im Politikbereich Natur und Landschaft

Die Pflege und Weiterentwicklung der Landschaft dürfte sich weniger auf den Schutz einzelner Arten, konkreter Flächen und auf konservierende, statische und kleinräumige Ansätze konzentrieren, sondern auf das ganze Funktionsgefüge aus nachhaltigen Landnutzungsformen und einem Netz grosszügiger Korridore und Schutzgebiete.2 Bessere, grössere Pufferzonen, Migrationskorridore und Prozessschutzgebiete machen die Kulturlandschaft fit für den Klimawandel.

Den Fliessgewässern kommt als dynamische, sich selbst regulierende und entwickelnde Vernetzungskorridore eine zentrale Bedeutung zu. Hier ergeben sich Synergien mit der Erholung und dem mit höheren Spitzen konfrontierten Hochwasserschutz. Wald schliesslich kann durch eine hohe Vielfalt an Baumarten und Waldstrukturen anstehende Veränderungen abpuffern.

Mit dem Wandel verbunden sind auch Veränderungen der Biodiversität durch Lebensraumverschiebungen oder Migrationen von Neobioten. Bei der Beurteilung dieser Entwicklungen ist klar zu unterscheiden zwischen irreversiblen Schädigungen der globalen biologischen Vielfalt und räumlich beschränkten Veränderungen im Artenspektrum, welche mit dem steten Wandel von Kulturlandschaften verbunden sind. Dort, wo Elemente der Biodiversität gefährdet sind, für deren Erhaltung die Schweiz eine internationale Verantwortung hat, sind besondere Massnahmen gegebenenfalls sinnvoll, ja sogar zwingend. Hingegen befinden sich Kulturlandschaften auch ohne Klimaveränderung in einem steten Wandel, der sich im jeweiligen Artenspektrum – einer Momentaufnahme – widerspiegelt. Arten müssen nicht innerhalb unserer Landesgrenzen konserviert werden, bloss weil sie sich hier am südlichen Rande ihres Ausbreitungsgebietes befinden und sich wieder in ihre Stammregionen zurückziehen.

Mit höheren Temperaturen und längeren Wachstumsphasen ist in der Kulturlandschaft auch von einem höheren Pflegebedarf auszugehen, weshalb bei gleich bleibenden finanziellen Ressourcen eine verstärkte Prioritätensetzung nötig wäre. Allerdings liesse sich mit dem bereits heute anfallenden Schnittgut der 42 000 Hektaren Flachmoore und Trockenwiese in der Schweiz jährlich Biotreibstoff für immerhin bis zu 244 Millionen Personenkilometer produzieren.
[3]

Der Nutzung von Synergien zwischen Natur- und Landschaftsschutz und anderen Politikbereichen, einschliesslich des Klimaschutzes, kommt eine noch grössere Bedeutung als in der Vergangenheit zu. Mit der zunehmenden Nutzungs- und Flächenkonkurrenz gewinnt aber auch eine stärkere Konzentration auf Schwerpunkträume und eine Verlagerung vom bisherigen Integrations- zu einem Segregationsansatz an Interesse.[5]

Der Klimawandel gehört zu den wichtigsten Herausforderungen für eine nachhaltige Weiterentwicklung unserer Natur- und Kulturlandschaften. Er bietet die Chance, überlieferte Ziele, Denkweisen und Paradigmen zu hinterfragen und zu differenzieren. Strikte Konservierungsrezepte widersprechen dem Grundsatz des steten Kulturlandschaftswandels und der vorausschauenden Vorsorge. Nur ein ganzheitliches, globales Denken führt zu einem sinnvollen lokalen Handeln und einem zeitgemässen, differenzierten Umgang mit der sich stets wandelnden landschaftlichen und biologischen Vielfalt unseres Landes.

[Markus Thommen, lic. phil. nat., Biologe, Bundesamt für Umwelt BAFU, stellvertretender Sektionschef Landschaft und Landnutzung, Bern]

Bibliographie:
[1] N. North et al.: Klimaänderung in der Schweiz – Indikatoren zu Ursachen, Auswirkungen, Massnahmen. Umwelt-Zustand Nr.0728. BAFU 2007.
[2] B. Jessel: Zukunftsaufgabe Klimawandel – der Beitrag der Landschaftsplanung. In: Natur und Landschaft 7/08, S. 311 ff.
[3] P. Germann: Der Anbau von Biotreibstoff als Gefahr für die Äcker. Artikel in der NZZ vom 6.8.08.
[4] A. Grünig: Erhaltung und Renaturierung von Mooren. In: Biodiversität und Klima – Konflikte und Synergien im Massnahmenbereich. Akademie der Naturwissenschaften Schweiz (SCNAT), 2008.
[5] A. Vössing: Brot oder Benzin – Flächenkonkurrenz zwischen Lebensmitteln und nachwachsenden Rohstoffen. In: Naturschutz und Landschaftsplanung 12/07, S. 377 ff.

anthos, Mo., 2008.12.01

01. Dezember 2008

Klimawandel und naturnaher Wasserbau

Steigende Hochwasserrisiken sind nicht nur Bedrohung, sie können auch als Herausforderung für die Landschaftsarchitektur und Chance zur nachhaltigen Landschaftsentwicklung wahrgenommen werden.

Diskussionen um den Klimawandel und seine Auswirkungen auf unsere Gewässersysteme fokussieren sich zu rasch auf den Hochwasserschutz. Diese einseitige Schwerpunktsetzung wird – sicher zu Recht – durch die zu erwartenden Schäden an Bauten und Infrastrukturen und damit die ökonomischen Folgen beeinflusst. Die Klimaveränderungen werden regional, aber auch bezüglich der einzelnen Klimafaktoren von graduellen Verschiebungen bis hin zu radikalen Veränderungen reichen. Doch welche Parameter sind für den naturnahen Wasserbau relevant?

Die Klimaerwärmung wird nicht ohne Folgen für die Wassertemperaturen und damit die Gewässerfauna und auch die ufernahen Lebensräume bleiben. Ein signifikanter Trend zu mehr Starkniederschlägen im Herbst und Winter wird nördlich des Alpen-Hauptkamms zu mehr Extremereignissen führen. Weniger eindeutig ist die Entwicklung der durchschnittlichen Niederschlagsmenge. Klar ist, dass die Phasen mit Hochwasser vermehrt mit Phasen extremer Trockenheit kontrastieren werden. Weitere Folgen der Klimaveränderungen werden die Fliessgewässer und ihre Lebensräume beeinflussen. So wird es zu einer Zunahme des Feststofftransports in den Oberläufen wegen des Gletscherrückgangs und des Auftauens des Permafrostes kommen.

Wir sind schlecht auf diese Veränderungen vorbereitet. Die Stabilität unserer Fliessgewässersysteme ist gestört. Versiegelung in den Einzugsgebieten, Verbauung der Gewässer, Verlust von Retentionsräumen, beschleunigter Abfluss, abgetiefte Sohlen und abgesunkene Grundwasserspiegel kennzeichnen diesen Zustand. Der die Wassermengen und –temperatur ausgleichende Austausch zwischen Oberflächen- und Grundwasser funktioniert nicht mehr optimal.

Dieser kurze Abriss will und kann nicht abschliessend sein. Es ist jedoch offensichtlich, dass anthropogen veränderte Fliessgewässer empfindlicher auf die Konsequenzen des Klimawandels reagieren werden.

Abschied von eindimensionaler Symptombekämpfung

Die erhebliche Unsicherheit bezüglich möglicher Veränderungen erschwert die Planung und Dimensionierung von Massnahmen. Wirtschaftliche Überlegungen spielen zu Recht eine grosse Rolle, die Kosten des Schutzes müssen aber dennoch dem potenziellen Schaden und der Eintrittswahrscheinlichkeit gegenübergestellt werden. Dringlich müssen Fehler der Raumplanung – Einzonung hochwassergefährdeter Flächen, expansive Versiegelung, Fehlen naturnaher Retentionsräume – korrigiert werden. Aber auch Fehler des bis Ende des 20. Jahrhunderts rein ingenieurtechnisch geprägten Wasserbaus gilt es zu sanieren.

In Zukunft wird aus ökonomischen Gründen – Sparpolitik der öffentlichen Hand, Abschied von der Solidarhaftung –, aber auch aus Akzeptanzgründen ein rein technisch orientierter Hochwasserschutz nicht mehr umsetzbar sein. Der Wasserbau der Zukunft muss umfassender gestaltet werden, muss dazu beitragen, die gewässerbegleitenden Lebensräume zu stärken, um deren Empfindlichkeit gegenüber Klimaveränderungen entgegenzuwirken.

Mit tragfähigen Strategien Mehrwert schaffen

Fasst man heute Handlungsvorschläge für einen nachhaltigen Wasserbau zusammen, so fällt auf, dass viele dieser Anliegen seit Jahren im Zusammenhang mit dem Ruf nach Renaturierung von Fliessgewässern formuliert wurden. Grundsätzlich sind in den Einzugsgebieten Retention und Versickerung zu fördern. Natürliche und naturnahe Räume erfüllen diese Forderung ideal – ihr Mehrwert als wertvolle Lebensräume und Erholungsräume ist unbestritten.

Doch auch «im Kleinen» sind Massnahmen zu ergreifen. Retention und Versickerung müssen vermehrt ein Thema bei der Freiraumgestaltung, aber auch bei der Dachflächenausbildung werden.

Um das Überschwemmungsrisiko zu reduzieren, müssen auf den Fliessgewässerstrecken Aufweitungen zur Dämpfung der Abflüsse und Geschiebeaufkommen eingesetzt werden. Durch die landseitige Zurückverlegung von Hochwasserschutzdämmen, durch das Entfernen von Längsverbauungen können so entlang des Gewässers naturnahe Lebensräume entstehen. Buhnen sorgen für den Uferschutz und tragen zur Sohlenstabilisierung bei, die ökologische Durchlässigkeit bleibt ebenso gewährleistet wie der Zugang für Erholungsuchende.

Unter beengten Verhältnissen entlang der Laufstrecke können vor allem Retentionsmassnahmen in Form von Hochwasserrückhaltebecken zum Zug kommen. Diese Räume in die Landschaft einzugliedern, ist angesichts ihrer Volumen – wir reden von einigen hunderttausend bis mehreren Millionen Kubikmetern – eine gestalterische Herausforderung. Heute stossen solche Vorhaben häufig auf Widerstand, wenn die Dämme nicht versteckt oder kaschiert werden können. Hier gilt es, in Zukunft auch grossräumige und volumenaufwändige Dammgestaltungen in die Diskussion einzubringen, um eine bessere Eingliederung zu gewährleisten. Hochwasserrückhaltebecken können dann, trotz der vordringlichen hydraulischen Funktionen, attraktive Lebens- und Erholungsräume sein.

Alle genannten Massnahmen beeinflussen den Geschiebetrieb. Geschiebe ist aus ökologischer Sicht erwünscht, ein Geschiebedefizit wird heute beklagt. Mit der klimabedingten Zunahme des Geschiebes in den Oberläufen der Gewässer, aber auch durch Renaturierungsmassnahmen muss die Geschiebebewirtschaftung bewusst angegangen werden. Geschiebeablagerungen im aufgeweiteten Flusslauf sind nur so lange erwünscht, wie die Sohlenanhebung zur Verbesserung im Grundwasserbereich und zu naturnäheren ufernahen Zonen führt.

Hochwasserschutz der Zukunft muss also nachhaltige landschaftsgestalterische Aufwertungen umfassen. Er muss die Unwägbarkeiten des Klimawandels aufgreifen, aber auch – angesichts der zu investierenden Mittel – einen gesellschaftlich relevanten Mehrwert bieten. Fliessgewässer müssen als dynamisches und sich selbst regulierendes System, als Lebensraum für Fauna und Flora entwickelt werden.

Nicht alle aktuellen Projekte weisen diesen umfassenden Lösungsansatz auf. Bezieht man den möglichen Mehrwert derartiger Räume für die Erholung in unseren dicht besiedelten Landschaften mit ein, erstaunt die Halbherzigkeit gewisser Projekte umso mehr.

Bibliographie:
BWG: Hochwasserschutz an Fliessgewässern. Wegleitung, Biel 2001. www.bafu.admin.ch/php/modules/shop/files/pdf/phpXjfWzq.pdf
BWG: Hochwasservorsorge. Berichte des BWG, Serie Wasser Nr. 6, Bern 2004. www.bafu.admin.ch/php/modules/shop/files/pdf/phpkVk4uo.pdf
N. North, N. Kljun, F. Kasser, J. Heldstab, M. Maibach, J. Reutimann, M. Guyer: Klimaänderung in der Schweiz. Indikatoren zu Ursachen, Auswirkungen, Massnahmen. Bundesamt für Umwelt, Bern 2007.
NZZ Online: Schäden in der Höhe von 340 Millionen durch August-Unwetter. 16.12.2007. www.nzz.ch/nachrichten/schweiz/aktuell/hochwasserschadensbilanz_1.54437 4.html

anthos, Mo., 2008.12.01

01. Dezember 2008 Joachim Kleiner

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