Editorial

Vor wenigen Wochen war an dieser Stelle von Erdbeben die Rede und von der kulturgeschichtlichen Erkenntnis, dass solche Ereignisse «auch immer Entwicklungsmöglichkeiten in sich tragen und als Schrittmacher von Lernprozessen angesehen werden können»[1]. Gleiches gilt auch für andere Naturgefahren. Nach dem grossen Hochwasser vom August 2005 hat der Bund einen solchen Lernprozess in Gang gesetzt in Form einer umfangreichen, zweiteiligen Ereignisanalyse. Während der im Mai 2007 erschienene erste Teil die entstandenen Schäden sowie die Naturprozesse untersuchte, die dazu führten, analysiert der soeben erschienene zweite Teil ausgewählte Prozesse detaillierter und beleuchtet ausserdem die Bereiche Intervention, das Verhalten und die Wirksamkeit präventiver Massnahmen sowie die Gefahrengrundlagen. Drei Artikel in diesem Heft stellen Resultate aus diesem Bericht vor. Gegenspieler der menschlichen Lernfähigkeit ist die ebenfalls typisch menschliche Fähigkeit, unangenehme Ereignisse und Erkenntnisse zu verdrängen. Dies zeigt jener Teil der Ereignisanalyse, der den Erinnerungswert von Hochwasserereignissen und das Präventionsverhalten bei der Bevölkerung untersuchte. Zwei Jahre nach dem Hochwasser 2005 konnten sich in den fünf am stärksten betroffenen Kantonen Bern, Luzern, Uri, Obwalden und Nidwalden noch 59 % daran erinnern, in den nicht oder weniger schwer betroffenen Kantonen nur 35 %. Dass Ereignisse umso stärker in Erinnerung bleiben, je stärker man betroffen war, ist nicht erstaunlich. Interessant ist jedoch, dass auch das Betroffensein nur eine Minderheit dazu veranlasst, sich besser zu schützen. Von den Personen, die das Risiko, dass in ihrer Wohnlage beträchtliche Schäden durch Hochwasser entstehen könnten, als hoch einschätzten, haben 57 % keine persönlichen Vorkehrungen zum Schutz vor Hochwasser getroffen. Die Autoren der Studie vermuten als Gründe für dieses Verhalten, dass der Einzelne die eigenen Präventionsmöglichkeiten als wenig wirkungsvoll oder zu kostspielig einstuft. Dass das nicht so ist, zeigt unser Artikel zum Objektschutz. Vielleicht braucht es das permanente Erinnern durch neuerliche Ereignisse, um den menschlichen Lernprozess in Gang zu bringen, so wie beim Bau dreier Stelzenhäuser am Saaneufer in Freiburg, über die der Artikel «Nah am Wasser gebaut» berichtet. Der Bauplatz wurde während der Planungs- und Bauphase mehrmals überschwemmt, und das Projekt wurde daraufhin jeweils angepasst, sodass die Bewohner nun kommenden Hochwassern gelassen entgegenblicken können.
Claudia Carle

Inhalt

05 WETTBEWERBE
Alles unter einem Dach

10 MAGAZIN
Interview: «Anerkennung ist im Sinkflug» | Die Forstbranche fasst wieder Tritt | «Korrektes Wasser» in Flims | Demokratisierung der Architektur | Gefilmte Architekturfotografie

24 STANDORTBESTIMMUNG
G. R. Bezzola, Ch. Hegg, F. Frank, A. Koschni
Nach dem Hochwasser vom August 2005 leitete der Bund eine umfassende Ereignisanalyse ein.

28 ÜBERLASTFALL EINPLANEN
M. Promny, L. Schmocker
Eine Studie untersuchte, welche flussbaulichen Massnahmen sich beim Hochwasser 2005 bewährt haben und welche Brückenkonstruktionen besonders zerstörungsanfällig sind.

34 OBJEKTSCHUTZ LOHNT SICH
D. Aller, Th. Egli, P. Vanomsen, M. Stucki
Schutzmassnahmen gegen Gebäudeschäden durch Oberflächenabfluss sind oft einfach und kostengünstig, allerdings erst bei wenigen Gebäuden realisiert.

38 NAH AM WASSER GEBAUT
J. Solt
Das Konzept dreier Einfamilienhäuser am Saaneufer in Freiburg hat künftige Hochwasser bewusst in den architektonischen Entwurf einbezogen.

44 SIA
Holzpreis Schweiz – Prix Lignum 2009 | Ausstellung «Tapetenwechsel» | ZNO-Sitzung | Projekt Tragwerkserhaltung | Rücktritt aus der Direktion | Beitritte zum SIA

48 PRODUKTE

61 IMPRESSUM

62 VERANSTALTUNGEN

Standortbestimmung

Nach dem Hochwasser vom August 2005 leitete der Bund eine umfassende Ereignisanalyse ein. In deren Rahmen wurden die aufgetretenen Naturprozesse analysiert, Qualität und Umsetzung der vorhandenen Gefahrengrundlagen untersucht, das Verhalten und die Wirkung der Schutzmassnahmen sowie die Effizienz des Krisenmanagements überprüft . Während sich die vorhandenen Gefahrenkarten als weitgehend zutreff end erwiesen, muss bei vielen Schutzbauten sowie bei Notfallplanung und Informationsaustausch nachgebessert werden.

Das Hochwasser vom August 2005 forderte sechs Todesopfer. Mit rund 3Mrd. Franken entstand ausserdem der grösste finanzielle Schaden, den ein einzelnes Naturereignis in den letzten Jahrzehnten in der Schweiz verursacht hat. Erhebliche Schäden gab es auch in den Nachbarländern Deutschland und Österreich. Die grosse räumliche Ausdehnung und die lange Dauer führten mancherorts zu einer Überforderung der lokalen Einsatzkräfte. Jedes derartige Ereignis fordert zu einer Standortbestimmung heraus, weshalb der Bund nach dem Hochwasser die soeben veröffentlichte Ereignisanalyse einleitete. Diese wurde partnerschaftlich durch die betroffenen Fachstellen des Bundes, Institute aus dem universitären Bereich und private Büros bearbeitet. Damit war eine möglichst grosse Objektivität bei der Untersuchung sichergestellt. Gleichzeitig gewährleistet dieses Vorgehen auch eine direkte Umsetzung der gewonnenen Erkenntnisse in der Verwaltung. Die Anliegen der nicht direkt in der Projektorganisation vertretenen Fachstellen von Bund und Kantonen sowie weiterer Institutionen wurden durch eine Koordinations- und Mitwirkungsgruppe eingebracht (Bild 2).

Das Hochwasser vom August 2005 ist kein singuläres Ereignis. Für den Zeitraum seit 1972, für den verlässliche Schadenszahlen vorliegen, ist es zwar ohne Parallele (Bild 3). Bei der Betrachtung einer längeren Periode verliert das Ausmass der Schäden vom August 2005 jedoch die Einzigartigkeit (Bild 4). Das Hochwasser 2005 führte zwar lokal zu aussergewöhnlichen Niederschlägen, Abfl üssen, Seeständen und Schäden – über das gesamte betroffene Gebiet und einen längeren Zeitraum betrachtet ist es jedoch nicht mehr als aussergewöhnlich, sondern höchstens noch als selten zu bezeichnen. Mit dem wiederholten Auftreten ähnlicher Ereignisse muss auch in Zukunft gerechnet werden.

Unerwartete Verkettung von Gefahrenprozessen

An sich entsprach die Vielfalt der Gefahrenprozesse im August 2005 dem aus früheren Grossereignissen bekannten Gesamtbild. Zuvor als eher unwahrscheinlich erachtete Prozesskombinationen, wie beispielsweise der auf eine Rutschung zurückzuführende Murgang im Glyssibach bei Brienz BE, führten jedoch 2005 lokal zu unerwartet hohen Intensitäten, das heisst zu grösseren Kräften und auch zu grösseren durch die Prozesse betroffenen Flächen. Eine vollständige Abbildung der möglichen Prozessvielfalt ist bei der Gefahrenbeurteilung, der Massnahmen- oder Notfallplanung nach wie vor nicht möglich. In allen Bereichen wird es somit auch künftig notwendig sein, mit Szenarien zu arbeiten. Wie das Hochwasser 2005 und auch jenes vom August 2007 deutlich zeigen, dürfen dabei wenig wahrscheinliche (aber eben doch mögliche) Szenarien nicht leichtfertig aus der Betrachtung ausgeschlossen werden. In die Überlegungen sind auch Ereignisabläufe, Verkettungen von Prozessen, Prozessdauer oder Vorgeschichten mit einzubeziehen, die ausserhalb der lokal vorhandenen Erfahrung liegen.

Konsequenzen für die Gefahrengrundlagen

Schäden durch Überflutung, Erosion, Sedimentablagerungen und Rutschungen gab es im August 2005 in knapp 900 Gemeinden. Von diesen Gemeinden verfügte etwa ein Drittel über Gefahrenkarten. Diese erwiesen sich in hohem Mass als zutreffend: Nur an einigen wenigen Orten stimmten die betroffenen Gebiete nicht mit den ausgewiesenen Gefahrenzonen überein. Diese Fälle sind im Rahmen der Ereignisanalyse besonders genau analysiert worden, um daraus Schlüsse für eine verbesserte Gefahrenbeurteilung und deren Umsetzung zu ziehen. Inzwischen ist schweizweit rund die Hälfte der vorgesehenen Gefahrenkarten realisiert worden. Das Hochwasser von August 2005 und jüngere Ereignisse haben die Kartierung beschleunigt. Bis zum Jahr 2011 sollen die Gefahrenkarten gesamtschweizerisch für alle Gemeinden vorliegen und zügig in die Nutzungsplanung Eingang fi nden. Gefahrenkarten sind das meistbeachtete Produkt der Gefahrenbeurteilung. Letztere steht im Zentrum aller gefahrenrelevanten Tätigkeiten und muss die Grundlagen für unterschiedlichste Bedürfnisse liefern. So stellen beispielsweise die als Basis für die Gefahrenkarte dienenden Intensitätskarten eine wichtige Grundlage für die Planung von Objektschutzmassnahmen dar. Mögliche neue Produkte, wie Interventionskarten als Grundlage für die Einsatzkräfte oder Risikokarten für die Finanz- und Versicherungsplanung, sind deshalb ebenfalls direkt aus der Gefahrenbeurteilung abzuleiten.

Bei Schutzbauten den Überlastfall berücksichtigen

Das Hochwasser vom August 2005 und auch jenes vom August 2007 zeigen in aller Deutlichkeit, dass Schutzbauten überlastet werden können. Die Skala bei Naturereignissen ist grundsätzlich «nach oben offen». Die Belastungen durch Wasser, Geschiebe und Schwemmholz, auf welche Schutzbauten ausgerichtet sind, können bei einem seltenen Ereignis erreicht oder überschritten werden.

Hochwasserschutzmassnahmen sind deshalb konsequent auf ihr Verhalten bei ausserordentlichen Ereignissen zu prüfen. Auch bei Belastungen, die über den Dimensionierungswerten liegen (dem so genannten Überlastfall), dürfen Schutzbauten nicht kollapsartig versagen und zu einem unkontrollierten, sprunghaften Anwachsen der Schäden führen. Bei zeitgemässen Schutzkonzepten wird der Überlastfall deshalb immer berücksichtigt, und die vorgesehenen Massnahmen werden entsprechend robust ausgelegt.
Diese Vorgabe erfüllen ältere Schutzbauten aber häufig nicht. Viele Bauwerke aus dem 19. Jahrhundert genügen den heute geltenden technischen und ökologischen Anforderungen nicht mehr. Dazu gehören beispielsweise bedeutende Korrektionswerke wie etwa an der Rhone im Wallis, am Alpenrhein oder das Linthwerk. Auch zahlreiche Schutzbauten, die in der Mitte des 20. Jahrhunderts errichtet worden sind, müssen erneuert und den heutigen Anforderungen angepasst werden. Ihre Dimensionierung basierte auf den Erfahrungen aus der Zeit zwischen 1927 und 1977, in der es vergleichsweise wenige aussergewöhnliche Hochwasser gab.

Der landesweite Erneuerungs- und Anpassungsbedarf im baulichen Hochwasserschutz ist entsprechend gross. Im Zuge dieser laufenden Arbeiten dürfen die Folgen des Klimawandels nicht übersehen werden. Sowohl Neubauten als auch Erneuerungsprojekte sind deshalb so zu konzipieren, dass sie mit verhältnismässig geringem Aufwand an neue Rahmenbedingungen – wie höhere saisonale Abfl üsse oder erhöhter Feststofftransport – angepasst werden können.[3]

Die Erfahrungen beim Hochwasser 2005 mit den Massnahmen an der Engelberger Aa im Raum Buochs[7],[9] (Bild 1) und am Humligenbach in Wolfenschiessen[5] (siehe Artikel ab Seite 28 ff.) zeigen, dass der Überlastfall gemeistert werden kann. Die nach modernen Gesichtspunkten robust konzipierten Schutzsysteme haben massgeblich dazu beigetragen, dass die Schäden an diesen zwei Orten begrenzt blieben, obwohl die Dimensionierungsgrössen massiv überschritten wurden. Um solche den Überlastfall berücksichtigenden Konzepte auch an anderen Orten zu realisieren, bedarf es einerseits des dafür nötigen Raumes undandererseits der Kreativität der planenden Ingenieure, um für den jeweiligen Standort das bestmögliche Konzept zu entwickeln und sich nicht mit Standardlösungen zu begnügen.

Den Notfall vorbereiten

Auch mit robusten Schutzbauten verbleibt ein Restrisiko, das durch permanente oder temporäre Objektschutzmassnahmen (siehe Artikel Seite 34 ff.) und eine adäquate Notfallplanung auf ein akzeptierbares Mass zu reduzieren ist. Insbesondere das Potenzial von temporären (organisatorischen) Massnahmen wie beispielsweise das Aufstellen von mobilen Schutzsystemen zur Begrenzung der Sachschäden ist noch nicht ausgeschöpft, da heute dank neuen Vorhersagemethoden ein Eingreifen bereits vor dem Ereignis möglich ist. Damit diese Möglichkeiten konsequent genutzt werden können, sind verschiedene Voraussetzungen zu erfüllen. Die wichtigste ist, dass nur geplante, vorbereitete und eingeübte Aktionen Erfolg haben können. Dies bedingt Notfallplanungen, die einerseits auf einer umfassenden Gefahrenbeurteilung und andererseits auf den lokalen Erfahrungen aufbauen müssen. Weiter müssen materielle und personelle Voraussetzungen geschaffen sowie die beteiligten Personen ausgebildet werden. Dies gilt sowohl für Interventionskräfte als auch für Private. Gefahren und Handlungsoptionen müssen bekannt und vorbereitet sein, damit sie durch rechtzeitige Warnung und Alarmierung zeitgerecht ausgelöst werden können.

Anstrengungen in den Bereichen Vorsorge und Intervention zahlen sich rasch aus und sind daher zu forcieren. Ein Beispiel dafür sind die nach dem Hochwasser 2005 im Berner Mattequartier geplanten und eingeübten Interventionsmassnahmen. Sie haben im August 2007 dazu geführt, dass die Schäden in diesem Quartier trotz ähnlich hohen Wasserständen bedeutend geringer waren als noch zwei Jahre zuvor (Bild 5). Zur Verbesserung der Warnung und für den Informationsaustausch vor, während und nach ausserordentlichen Ereignissen befi ndet sich derzeit eine gemeinsame Informationsplattform Naturgefahren (GIN) im Aufbau. Über diese werden künftig die Fachstellen, die sich auf nationaler Ebene mit Hochwassern und anderen witterungsbedingten Naturgefahren beschäftigen, ihre Daten und im Ereignisfall auch gemeinsame Bulletins für die Fachstellen und Einsatzorgane aller Stufen verbreiten. Parallel dazu wird die Nationale Alarmzentrale (NAZ) im Bundesamt für Bevölkerungsschutz (BABS) zum gesamtschweizerischen Melde- und Lagezentrum auch für ausserordentliche Naturereignisse ausgebaut.

Integrales Risikomanagement umsetzen

Hochwasser wie jenes von 2005 oder noch grössere Naturereignisse können jederzeit auftreten, auch wenn die Erinnerung daran im Bewusstsein der Allgemeinheit rasch verblasst. Damit bei künftigen Ereignissen nicht ähnliche oder noch grössere Schäden auftreten, ist die konsequente Umsetzung des integralen Risikomanagements (Bild 6) notwendig. Dem Einbezug der verschiedenen Akteure in allen Phasen des Risikokreislaufs kommt dabei eine zentrale Bedeutung zu. Die Sensibilisierung der breiten Bevölkerung auf Naturgefahren bildet nicht zuletzt auch für den Ereignisfall eine wichtige Handlungsbasis.

[Gian Reto Bezzola, Dr. sc. techn., dipl. Bauing. ETH, Sektionschef, Bundesamt für Umwelt Bafu, Bern
Christoph Hegg, Dr. phil. nat., Geograf, stv. Direktor a.i. und Programmleiter, Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL, Birmensdorf
Felix Frank, dipl. Geograf, Felix Frank Redaktion & Produktion, Bern
Anja Koschni, dipl. Ing. für Landeskultur und Umweltschutz, Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL, Birmensdorf]

TEC21, Mo., 2008.09.15

15. September 2008

Überlastfall einplanen

Mit flussbaulichen Massnahmen lassen sich Hochwasserschäden reduzieren. Eine Studie zeigt, dass sich beim Hochwasser vom August 2005 vor allem Massnahmen bewährt haben, die im Überlastfall nicht schlagartig versagen. Untersucht wurden auch Brücken, die je nach Ausbildung unterschiedlich anfällig sind für einen Verschluss durch Schwemmholz.

Nach dem Hochwasser vom August 2005 wurde die Versuchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie (VAW) der ETH Zürich vom Bundesamt für Umwelt (Bafu) beauftragt, die Wirksamkeit flussbaulicher Massnahmen sowie die Ursachen für die Zerstörung mehrerer Brücken systematisch zu untersuchen.[1] Hieraus sollen Lehren für die Verbesserung bestehender und die Planung zukünftiger Massnahmen gezogen werden. Im Folgenden werden die wichtigsten Erkenntnisse der Studie zusammengefasst.

Viele Flüsse transportierten während des Hochwasserereignisses vom August 2005 grosse Mengen an Schwemmholz. Das Holz blieb an einer Vielzahl von Brücken hängen und führte im schlimmsten Fall zu einer vollständigen Verlegung des Abflussquerschnittes, einer sogenannten Verklausung. Infolge des resultierenden Aufstaus vor den Brücken traten die Flüsse über die Ufer. Der zusätzliche Strömungsdruck zerstörte mehrere Brücken vollständig. An Flüssen wie der Kleinen Emme oder der Grossen Melchaa traten bei 40 % der Brücken Probleme mit Schwemmholz auf. An der VAW wurde untersucht, warum es zu diesen Problemen kam und inwieweit die Brückenkonstruktion einen Einfl uss hatte. Ursache für eine Verklausung waren fast immer die zu kleinen Durchfl ussquerschnitte der Brücken. Das Holz prallte an die Brücke, blieb hängen oder verkeilte sich zwischen den Pfeilern. Nachfolgend antransportiertes Holz wurde im bereits reduzierten Abfl ussquerschnitt wiederum zurückgehalten. Im Extremfall waren die Brücken komplett mit Holz verlegt. Die während des Hochwassers transportierten Stämme waren bis zu 20 m lang und damit in vielen Fällen grösser als die lichte Breite der Brücken. Es ist somit nicht verwunderlich, dass diese an Brücken hängen blieben, speziell wenn infolge der hohen Abfl üsse unter der Brücke kaum ein Freibord vorhanden war.

Anfällige Fachwerkbrücken

Bei mehreren Brücken kam es jedoch zu Schäden, obwohl die Holzabmessungen deutlich kleiner als deren Lichtraumprofil waren. Eine nähere Betrachtung ergab, dass viele davon als Fachwerk oder offene Konstruktion ausgeführt waren. Das Tragwerk begünstigte also in diesen Fällen das Hängenbleiben von Holz. Ein anschauliches Beispiel dafür sind vier aufeinanderfolgende Brücken in Sarnen. Das Schwemmholz passierte die ersten drei ohne Probleme und blieb erst bei der Eisenbahnbrücke hängen, die daraufhin vollständig zerstört wurde.[2] Neben der kleineren lichten Höhe im Vergleich zu den weiter oben liegenden Brücken hängt dies vermutlich massgeblich mit ihrer Fachwerkausbildung zusammen (Bild 3). Bei den flussaufwärts liegenden Brücken traten infolge einer glatten Ausbildung der Untersicht sowie einer gleichmässigen Gerinnegestaltung keine Schäden auf. Bei einem Neubau sollte die Gefährdung durch Schwemmholz in die Planung mit einbezogen werden. Fachwerkausbildungen, offene Konstruktionen sowie untergehängte Werkleitungen sind an Flüssen mit Schwemmholzgefährdung nicht zu empfehlen. Um bei bestehenden Brücken ein schadloses Weiterleiten des Holzes zu erreichen, wurden in den letzten Jahren verschiedene Methoden angewandt. Eine Möglichkeit besteht darin, den Abflussquerschnitt durch ein Anheben der Brücke zu vergrössern. Dies kann sowohl mittels eines permanenten als auch eines temporären Anhebens, wie beispielsweise in Brig, erreicht werden (Bild 1). Bei bestehenden «Problembrücken» kann mittels baulicher Massnahmen versucht werden, das Hängenbleiben von Holz zu verhindern. Die Verschalung der Stirnseite mittels eines Stauschildes[3] und eine glatte Ausbildung der Brückenuntersicht können das Risiko einer Verklausung mindern. Zurzeit werden an der VAW Modellversuche durchgeführt, die eine bessere Quantifizierung des Verklausungsrisikos in Abhängigkeit der Schwemmholzabmessungen und der Brückenausbildung ermöglichen werden (Bild 5).

Überlastete Rückhaltebauwerke entlasten

Rückhaltebauwerke für Geschiebe und Schwemmholz sollen kritische Gewässerabschnitte entlasten und Verlegungen an gefährdeten Querschnitten, wie beispielsweise Brücken, von vornherein verhindern. Die dafür genutzten Rechen und Geschiebesammler müssen so konstruiert sein, dass sie bei den unterschiedlichen zu erwartenden Ereignissen wirksam sind. Beispielsweise sind bei Rutschungen oder Murgängen im Einzugsgebiet andere Materialzusammensetzungen zu erwarten als bei Gerinneerosion. Der unterschiedlich starke Schwemmholzanfall bei verschiedenen Ereignissen stellt eine zusätzliche Schwierigkeit für die Auslegung der Bauwerke dar. Für die Untersuchung wurden 17 während des Hochwassers vom August 2005 stark belastete sowie gut dokumentierte Geschiebesammler ausgewählt. Es konnte festgestellt werden, dass diese überwiegend entsprechend ihrer Dimensionierung wirksam wurden und somit vielerorts Schäden verhinderten. In sechs Fällen waren die zugeführten Geschiebemengen jedoch höher als in der Projektierung angenommen. Durch diese Überlastungen wurden an verschiedenen Flüssen erhebliche Materialmengen ins Unterwasser eingetragen. An Engstellen und Abschnitten mit geringem Transportvermögen kam es dadurch zu Schäden, wie zum Beispiel am Buoholzbach bei Oberdorf im Kanton Nidwalden. Dieser Sammler wurde mit etwa 70 000 m³ Geschiebe belastet, wohingegen die projektierte Rückhaltekapazität nur 20 000 m³ betrug. Zwar konnten sogar rund 30 000 m³ zurückgehalten werden, die darüber hinaus eingetragenen Materialmengen führten jedoch unterhalb des Sammlers zum Ausbruch des Buoholzbachs, wodurch in einem Gewerbegebiet grosse Schäden durch Wasser und Geschiebe entstanden.Die Abschätzung von potenziellen Geschiebefrachten während Hochwasserereignissen ist sehr schwierig und ungenau. Ab bestimmten Niederschlagsintensitäten kann durch grundlegende Änderungen der ablaufenden Prozesse plötzlich eine starke Zunahme der transportierten Geschiebemengen auftreten, beispielsweise infolge Hangrutschungen oder dem Ausbrechen von Flüssen aus vorhandenen Verbauungen. Eine beliebige Erweiterung bestehender Rückhaltekapazitäten ist jedoch unter anderem wegen landschaftsplanerischen und wirtschaftlichen Aspekten nicht möglich. Vielmehr ist es erstrebenswert, die Anlagen so zu gestalten, dass sie auch im Überlastfall ein optimiertes, gutmütiges Verhalten zeigen, das heisst nicht schlagartig versagen.

Ein positives Beispiel hierfür ist die Erweiterung des Geschiebesammlers am Humligenbach oberhalb von Wolfenschiessen im Kanton Nidwalden. Dieses Bauprojekt wurde im Juli 2005 fertig gestellt. Bereits kurz nach Vollendung konnte der Sammler seine Wirksamkeit unter Beweis stellen. Nach Erreichen eines Rückhaltevolumens von etwa 12 000 m³ kam es wie vorgesehen zu einer selbsttätigen Ableitung des Materials in ein Gebiet mit geringem Schadenspotenzial (Bild 4). Insgesamt wurden rund 5500 m³ Geschiebe im Wald und in der angrenzenden Landwirtschaftsfläche abgelagert. Im Unterwasser des Sammlers waren hingegen keine Schäden durch Geschiebeeintrag zu verzeichnen.

Gutmütige und weniger gutmütige Blockrampen

Blockrampen werden seit etwa zwei Jahrzehnten vermehrt anstelle von Abstürzen gebaut. Die Vorteile liegen auf der Hand: Sie sind relativ naturnah sowie eher durchgängig für Fische und andere Wasserlebewesen. Nach einigen Versagensfällen sind jedoch Zweifel an der Belastbarkeit dieser Bauwerke aufgekommen. Beim Hochwasser vom August 2005 wurden mehrere Blockrampen in der Schweiz beschädigt oder zerstört (Bild 6). Als besonders problematisch hat sich dabei eine in den letzten Jahren vielfach verwendete Bauweise erwiesen, bei der die Blockrampe direkt an einen bestehenden Absturz, beispielsweise ein Betonwehr, angeschlossen ist. Das im Hochwasserfall unterschiedliche Setzungsverhalten des starren Absturzbauwerks und der aus einzelnen Felsblöcken aufgebauten Rampe bewirkt, dass sich am Übergang ein Absatz bilden kann. Daraus resultiert eine zusätzliche, nicht geplante Belastung für die Rampenblöcke, die in mehreren Fällen zur Zerstörung der Rampe geführt hat. Beispiele sind die Blockrampen an der Simme bei St. Stephan (Kanton Bern) und bei Malters (Kanton Luzern). Auch Blockrampen sollten zukünftig nur noch so gestaltet werden, dass sie bei Überlastung nicht schlagartig versagen, sondern sich durch Verformung an die Überlastsituation anpassen können. Die Bauweise der aufgelösten unstrukturierten Blockrampen mit einer sohlenparallelen Pufferzone aus Blocksteinen im Oberwasser soll genau dieses gutmütige Verhalten bewirken (Bild 7). Beim untersuchten Hochwasser konnte sich diese Bauweise bewähren. Die aufgelöste Blockrampe am Zusammenfluss von Kander und Simme (Kanton Bern) wies nach einem lang andauerndem Abfluss oberhalb des Bemessungshochwassers lediglich eine Verformung auf (Verringerung des Gefälles), blieb ansonsten jedoch intakt.

Flussaufweitungen bei Hochwasser

In der Schweiz sind in den vergangenen Jahrhunderten die meisten Flüsse begradigt und in feste seitliche Begrenzungen gefasst worden. Neben überwiegend positiven Effekten, wie zum Beispiel der relativ hohen Sicherheit grosser Landstriche vor Überflutung, sind in jüngerer Zeit verstärkt problematische Aspekte ins Blickfeld des Flussbaus geraten. So zeigt sich, dass durch die infolge der Querschnittsreduzierung erhöhte Sohlenbelastung stellenweise andauernde Erosionstendenzen resultieren. Auch zeigen die Ereignisse der letzten Jahre, dass die Hochwassersicherheit einiger Flüsse nicht mehr ausreichend ist. Deshalb, und wegen der verstärkten Einbeziehung ökologischer Aspekte, werden die flussbaulichen Korrektionen stellenweise erneut korrigiert, unter anderem durch den Bau von Aufweitungsstrecken. Den Gewässern soll durch diese Flussaufweitungen wieder mehr Raum gegeben werden.

Während des Hochwassers vom August 2005 wurden die Schweizer Flussaufweitungen an der Thur und an der Emme mit einem 5- bis 20-jährlichen bzw. 100- bis 200-jährlichen Hochwasser belastet. Das Verhalten der acht untersuchten Aufweitungen war dabei uneinheitlich. Die Hochwassersicherheit der betroffenen Flussabschnitte wurde zwar nicht verringert, die erwünschte Absenkung der Wasserspiegellagen trat jedoch auch nicht überall ein. Vielmehr zeigte sich, dass hierfür eine gewisse Länge der Aufweitungsstrecke notwendig ist, die nicht überall gegeben ist. An einigen Aufweitungen an der Emme kam es zu Seitenerosionen und damit zur erwünschten eigendynamischen Verbreiterung des Flusses. Die festgelegten Interventionslinien, ab deren Erreichen zusätzliche Massnahmen zur Ufersicherung notwendig werden, wurden dabei nirgendwo tangiert. Die Sohlenlage in den Aufweitungsstrecken erhöhte sich leicht, was zur Stützung der erosionsgefährdeten Flussstrecken förderlich und gewünscht ist. Ober- und unterhalb der Aufweitungen gab es jedoch sowohl Flussstrecken mit Sohlenerhöhung als auch solche mit Erosionstendenz. Eine längerfristige Untersuchung der VAW ergab, dass durch den Bau von Aufweitungen allein eine übergeordnete Erosionstendenz in Flüssen nicht gestoppt werden kann.[4]

Teilweise kam es in den Aufweitungen zu ausgeprägten Änderungen der Sohlentopografie. Dieses dynamische Verhalten ist wichtig für die Qualität des Gewässers als Habitat für aquatische Lebewesen (Bild 8).

[Markus Promny, Dr. Ing., Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Versuchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie (VAW), ETH Zürich
Lukas Schmocker, dipl. Bauing. ETH, Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Versuchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie (VAW), ETH Zürich]

Anmerkungen:
[1] VAW 2008: Ereignisanalyse Hochwasser 2005. Bericht Nr. 4240, 4241, 4242. Versuchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie (VAW), ETH Zürich, Zürich (unveröff entlicht)
[2] belop GmbH, Amt für Wald Raumentwicklung Obwalden, 2006: Ereignisdokumentation Unwetter 22./23. August 2005, Kanton Obwalden
[3] Lange D. und Bezzola G.R., 2006: Schwemmholz – Probleme und Lösungsansätze. VAW-Mitteilung 188, H.-E. Minor, ed., Versuchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie (VAW), ETH Zürich, Zürich
[4] VAW 2007: Morphologische Entwicklungen von Flussaufweitungen. Bericht Nr. 4234. Versuchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie (VAW), ETH Zürich, Zürich (unveröff entlicht)

TEC21, Mo., 2008.09.15

15. September 2008

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