Editorial

Ob ein Raum eine gute Akustik aufweise, schrieb Adolf Loos 1912, sei weniger von dessen Geometrie als vielmehr von der Materialisierung abhängig. Dabei meinte er nicht lediglich die Kombination schallabsorbierender oder -reflektierender Baustoffe, sondern das, was er als «Mysterium der Akustik» [1] bezeichnete: Die Materialien würden die Qualität der Töne gleichsam speichern. Um die akustische Qualität eines Raumes zu erhöhen, müsse man demnach über Jahre hinweg ausschliesslich gute Musik darin spielen: «Im Mörtel des Bösendorfer Saales wohnen die Töne Liszts und Messchaerts und zittern und vibrieren bei jedem Ton eines neuen Pianisten und Sängers mit.» Entsprechend sei es auch möglich, einen akustisch einwandfreien Raum durch schlechte Musik zu verstimmen.

Loos’ kurzer Text ist auf Seite 26 integral abgedruckt. Nicht nur wegen seiner erfrischenden, bisweilen absurden Polemik und seiner hintergründigen Poesie, sondern auch, weil er auf Probleme hinweist, die heute aktueller sind denn je: Wie soll man architektonisch mit Innenräumen umgehen, in denen alles andere als hochstehende Töne erklingen – also mit den allermeisten? Welche städtebaulichen Mittel gibt es für die akustische Gestaltung von Quartieren, deren Klangkulisse nicht von den Wiener Philharmonikern, sondern von Motorengeräuschen, schlagenden Autotüren und spielenden Kindern geprägt wird?

In diesem Heft soll es nicht um die akustische Optimierung von Konzertsälen gehen, sondern um das, was wir praktisch rund um die Uhr in unserer gebauten Umwelt zu hören bekommen. Ein Bericht erläutert die Methoden und Ziele eines Forschungsprojekts, das die akustische Langzeitbeobachtung der Stadt Schlieren in der Zürcher Agglomeration zum Ziel hat; aus den gewonnenen Erkenntnissen sollen Strategien und Methoden entwickelt werden, um akustische Aspekte in zukünftigen Planungen besser berücksichtigen zu können. «Getäfertes Zelt» untersucht einen letztes Jahr fertiggestellten dörflichen Mehrzweckraum, der unterschiedlichsten und teilweise auch widersprüchlichen akustischen Anforderungen gerecht wird, ohne dabei auf architektonische Qualität zu verzichten.

Als Abschluss – und als Kontrast sowohl zu Loos’ Theorie als auch zum nüchternen Alltag – widmen wir uns der Frage, was mit Musik geschieht, die ein virtuoser Cellist in einem imaginären Raum spielt.
Judit Solt

Anmerkung
[1] Adolf Loos: «Das Mysterium der Akustik», in: Über Architektur – Ausgewählte Schriften. Die Originaltexte. Hrsg. Adolf Opel. Prachner, Wien 1995

Inhalt

05 WETTBEWERBE
Steinbachviadukt | Hochaus auf dem Hardturm-Areal: kein grosses Spektakel

17 MAGAZIN
«Rapperswiler Tag» 2008 | Interview: «Die Zukunft gestalten» | Wege durch die Wasserwelt | Meeres forscher online | «Tuned City» in Berlin | Neuerungen bei Minergie-Eco

26 DAS MYSTERIUM DER AKUSTIK
Adolf Loos
Warum reicht selbst die beste architektonische Gestaltung nicht aus, um eine gute Raumakustik zu erzeugen? Ein wortgewaltiges Plädoyer für die Musik.

27 GETÄFERTES ZELT
Anita Simeon
Das Pentorama in Amriswil von Müller Sigrist Architekten muss diversen Nutzungen – und entsprechend variierenden akustischen Anforderungen – genügen.

32 HÖREND GESTALTEN
Alex Arteaga, Thomas Kusitzky
Wie klingt Architektur, und wie sollte sie klingen? Die Forschungsgruppe Auditive Architektur untersucht die Klangumwelt von Schlieren.

36 «GEFANGENE» MUSIK
Rahel Hartmann Schweizer
Wie klingt Johann Sebastian Bachs zweite Suite für Violoncello in Piranesis «Carceri»? Der Cellist Yo-Yo Ma hat das Experiment gewagt.

42 SIA
Kostenvoranschlag als Erfolg? | Mehrwert dank Geoinformation | Forschung Planungswettbewerbe | Unternehmenssteuerreform II

44 PRODUKTE

61 IMPRESSUM

62 VERANSTALTUNGEN

Das Mysterium der Akustik

Man hat mich gefragt, ob der Bösendorfer Saal in Wien erhalten werden solle. Der Frager ging wohl von der Voraussetzung aus, dass es eine Frage der Pietät wäre, einen Saal, der in der Musikgeschichte nun eine so grosse Rolle gespielt hat, nicht zu demontieren. Aber diese Frage ist nicht eine Sache der Pietät, sondern eine Frage der Akustik. Diese Frage will ich nun beantworten. Es war gut, dass ich gefragt wurde, sonst hätte ich die Antwort mit ins Grab genommen.

Seit Jahrhunderten beschäftigen sich die Architekten mit Fragen der Akustik. Sie wollten sie auf konstruktivem Wege lösen. Sie zeichneten gerade Linien vom Tongeber nach der Decke und meinten, dass der Schall wie eine Billardkugel im selben Winkel von der Bande abspringe und seinen neuen Weg nehme. Aber alle diese Konstruktionen sind Unsinn. Denn die Akustik eines Saales ist nicht eine Frage der Raumlösung, sondern eine Frage des Materials. Einen akustisch schlechten Saal kann man durch weiche Stoffe, durch Vorhänge und Wandbespannungen verbessern. Ja, ein mitten durch die Wand gespannter Zwirnsfaden kann die Akustik eines Raumes völlig verändern oder verbessern.

Das aber sind Surrogate. Denn diese weichen Stoffe saugen den Ton auf und nehmen ihm seine Fülle. Da wussten die Griechen besser Bescheid. Unter den Sitzen ihrer Theater hatten sie in gleichen Abständen Kammern angebracht, in denen sich jeweils ein grosses metallenes Becken befand, das mit Trommelfell bespannt war. Sie versuchten, den Ton zu verstärken, nicht ihn zu schwächen. Und der Bösendorfer Saal hat die herrlichste Akustik, ohne alle Vorhänge, mit geraden, nackten Mauern.

Also gilt es wohl, einen neuen Saal zu bauen, mit den genauen Abmessungen des alten Saales, um den Anhängern der bisherigen Akustiktheorie recht zu geben, und aus demselben Material, um mir recht zu geben? Das Resultat: Der Saal wäre vollständig unakustisch. Man hat diese Versuche schon gemacht. In Manchester wurde der berühmte Bremer Konzertsaal genau kopiert, der als der Best-akustischste berühmt ist – mit negativem Erfolg. Aber bisher war jeder neue Saal akustisch schlecht. Manche erinnern sich an die Eröffnung der Wiener Hofoper. Man klagte damals, dass es mit der Wiener Gesangskunst durch das unakustische Haus für immer vorbei sei. Und heute gilt die Oper als das Muster eines akustischen Theaters.

Haben sich unsere Ohren geändert? Nein, das Material, aus dem der Saal besteht, hat sich geändert. Das Material hat durch vierzig Jahre immer gute Musik eingesogen und wurde mit den Klängen unserer Philharmoniker und den Stimmen unserer Sänger imprägniert. Das sind mysteriöse molekulare Verbindungen, die wir bisher nur am Holz der Geigen beobachten konnten.

Um einen Raum akustisch zu machen, muss man also darin Musik machen? Nein, das genügt nicht. Gute Musik muss man drinnen machen. Denn die Seelen der Menschen kann man wohl betrügen, aber nicht die Seele des Materials. Säle, in denen man bisher nur Blechmusik gespielt hat, bleiben ewig unakustisch. Aber, so fein empfindlich ist die Seele des Materials: Man lasse durch acht Tage eine Militärmusik-Kapelle im Bösendorfer Saal schmettern, und die berühmte Akustik des Raumes ist sofort beim Teufel – wie die Geige eines Paganini durch einen Stümper sofort ruiniert werden würde. Überhaupt wird Blechmusik vom Baumaterial nicht gut vertragen. Daher ist immer die eine Seite des Opernhauses weniger akustisch – da wo das Blech spielt. Säle, in denen nie Blechinstrumente spielen, weisen mit der Zeit die beste Akustik auf. Im Mörtel des Bösendorfer Saales wohnen die Töne Liszts und Messchaerts und zittern und vibrieren bei jedem Ton eines neuen Pianisten und Sängers mit. Das ist das Mysterium der Akustik des Raumes.

TEC21, Mo., 2008.05.26

26. Mai 2008 Adolf Loos

Getäfertes Zelt

Ob Rockkonzerte, Theateraufführungen oder Bankettanlässe: Das im November 2007 eingeweihte Pentorama in Amriswil erlaubt die Durchführung der verschiedensten Veranstaltungen.

Diese multiple Nutzung stellt erweiterte Anforderungen an das Gebäude, unter anderem an dessen Akustik. 2004 hatte die Gemeinde Amriswil daher einen Wettbewerb initiiert, der den Neubau einer Festhütte auf dem Areal des bestehenden Gebäudes vorsah. Mit ihrer bauphysikalisch wie architektonisch bemerkenswerten Lösung setzten sich Müller Sigrist Architekten aus Zürich gegen 139 Konkurrenten durch. Am Samstag spielt die Militärmusik auf, am Donnerstag findet ein Fest des heimischen Handballklubs statt, und am Freitag gibt es einen Live-Auftritt von Pandora, einer albanischen Schönheit, zu deren Ehren das Pentorama auch schon mal zum Pandorama umgetauft wird. Die neue Festhütte soll allen möglichen Anlässen Platz bieten. Das Betreiberkonzept geht auf: Die Veranstalter geben sich die Klinke in die Hand.

Multifunktionalität war bereits im Wettbewerb ein zentrales Kriterium. Müller Sigrist Architekten aus Zürich entschieden sich für ein im Grundriss fünfeckiges Gebäude, dessen Höhenentwicklung an ein Zeltdach erinnert. Der Zenit der Dachkonstruktion – ein Stahlgerippe, das auf den vor Ort betonierten Wänden liegt – befindet sich im Schwerpunkt der grossen Festhalle. Die Zentrizität des Saales ermöglicht unterschiedliche Bespielungen. Die Möblierung kann auf die Bühne oder zum Zentrum hin ausgerichtet sein. Bei einem Konzert ohne Bestuhlung können an verschiedenen Orten Menschengruppen entstehen, die den Saal unhierarchisch in dichtere und weniger dichte Zonen unterteilen. Dementsprechend erhalten auch die Öffnungen im Saal eine einheitliche, gleichmässige Verteilung. Die Bühnenöffnung hat die gleichen Masse wie das Fenster zur Landschaft und der Ausschnitt zur Galerie.

Herausforderung an die Akustik

Die Ungerichtetheit des Saales kommt auch der Akustik zugute. Würde man die Fläche in ein Rechteck zur Bühne hin organisieren, hätten die hinteren Ränge Mühe, die Protagonisten auf dem Podium zu verstehen. Obwohl die Geometrie des Raumes sich positiv auf die Akustik auswirkt, waren zusätzliche akustische Massnahmen erforderlich. Die Architekten haben dies jedoch nicht als bautechnisches Übel betrachtet, sondern die akustischen Elemente auch in optischer und architektonischer Sicht integriert. «Natürlich haben wir auch Standardprodukte untersucht, aber wir sind zusammen mit der Bauherrschaft zu dem Schluss gekommen, dass eine Neuentwicklung, die an die speziellen Gegebenheiten des Gebäudes angepasst wird, in dieser Grössenordnung gerechtfertigt ist», meint Architekt Peter Sigrist. Zusammen mit Spezialisten – Amstein und Walthert AG in Zürich für die Planung und BBF Fehraltorf für die Ausführung – entwickelten die Architekten ein Akustiksystem, das für das polygonale Gebäude und die geforderte Multifunktionalität massgeschneidert ist. So fand man während der Entwicklung heraus, dass die Aufteilung des Lochanteils in den Platten für die akustischen Werte weniger bedeutend ist als der prozentuale Anteil der Lochung an sich. Ob kleine Perforationen oder grössere Schlitze macht im Gebrauch wenig Unterschied.

In Absprache mit der Bauherrschaft wählten die Architekten etwa 20 cm lange Schlitze mit einer Breite von gut 1 cm. Diese Art Öffnung unterstreicht die Längsrichtung der Täferung, welche für die Innenverkleidung der Zeltstruktur gewählt wurde. Peter Sigrist: «Das traditionelle Element der Täferung erschien uns in dieser ländlichen Umgebung angebracht – einerseits als Analogie zu den getäferten Stuben der Region, andererseits verstärken die langen, schmalen Bretter die Fokussierung der Holzverschalung zur Spitze des Zeltes hin. Im Gegensatz zur traditionellen Täferung in Massivholz haben wir uns für die moderne Ausführung in lackierten Holzfaserplatten entschieden.» Die Farbgebung unterstützt ebenfalls die Sogwirkung zum Dachmittelpunkt. Die Farbe hat dagegen gemäss Peter Sigrist keinen akustischen Einfluss: «Ich glaube nicht, dass die Farbgebung eine massgebende Auswirkung auf die Hörempfindung des Publikums hat. Uns war wichtig, die innere Haut von der äusseren Hülle aus Kupfer zu unterscheiden. Nach etlichen Simulationen der Saalabwicklung im Modell haben wir uns mit der Bauherrschaft für die gebaute Variante entschieden.» Auch die Dimensionierung der Schalungseinteilung und das Design des Lochbildes wurden im Modell überprüft.

Reflexion und Absorption

Eine gelochte Oberfläche wirkt jedoch noch keine akustischen Wunder. Massgebend ist die Ausformung der Flächen hinter den Löchern. Gut zwei Drittel der Oberflächenabwicklung sind mit zwei Schichten Vlies und Mineralwolle hinterlegt. Diese weichen Materialien absorbieren die Schallwellen praktisch komplett. Die Konstruktion wurde von der Empa schalltechnisch geprüft. In einem abgeschlossenen Raum mit bekannten Nachhallzeiten wurde eines der neuen Deckenelemente eingebracht und die Veränderung gemessen. So konnten die Absorptionskoeffizienten ermittelt werden. Diese Werte wurden mit jenen von bekannten Konstruktionen verglichen, und die absorbierende Wirkung wurde danach beurteilt: Im Vergleich mit Standardprodukten kann die neu entwickelte Konstruktion bestens mithalten. Die vorgehängte Schicht ermöglicht ausserdem die unsichtbare Führung technischer Installationen.

Damit die Tonalität des Saales jedoch nicht zu dumpf wird, wurden in der Decke zusätzlich zwei reflektierende Zonen eingebaut. Die eine befindet sich 2 m von der Bühne entfernt und weist eine Breite von 8 m auf, die andere ist im hinteren Teil des Saales angebracht und ist vor allem für die Reflexion der Schallwellen in Richtung Galerie zuständig (siehe Bild 9). In diesen Bereichen wurde auf die schalldämmende Mineralwolle verzichtet, stattdessen wurde hinter der Lochung eine reflektierende Sperrholzplatte verlegt. An den Wänden reicht die absorbierende Konstruktion von der Decke bis zu einer Höhe von 2 m über dem Saalboden. Dazu die Architekten: «Eigentlich wäre es besser, wenn die Wände vollständig absorbierend wären, aber die Bauherrschaft bestand aus betrieblicher Sicht auf einem harten Hintergrund im für Besucher zugänglichen Bereich. Sie hatte Angst, dass das Vlies und die Mineralwolle mit spitzen Gegenständen aus den Löchern gezupft würden.» Dieses Eingeständnis an die Sicherheitsvorkehrungen fügt dem Akustikgleichgewicht jedoch keinen erheblichen Schaden zu, denn im Vergleich zu einer Tonhalle, wo die Nutzung klar vorgegeben ist und alle Bauteile auf ihre Akustik hin überprüft werden müssen, steht bei der multifunktionalen Nutzung des Pentoramas vor allem die Behaglichkeit im Vordergrund.

Vibrierende Membranen

Die Anforderungen an die Behaglichkeit des Gebäudes beginnen schon beim Eingang. Im Gegensatz zum Saal wurden die Oberflächen in diesem Gebäudeteil roh belassen, der Sichtbeton reflektiert die Schallwellen in höchstem Masse. Damit sich aber die Worte der Besucher in der Pause auch in diesem Teil des Gebäudes nicht überschlagen, waren hier schallabsorbierende Massnahmen erforderlich. Die Architekten wollten jedoch in diesem Bereich nicht auf die Reduziertheit der Oberflächen verzichten, und so wurden die akustischen Mittel im Leuchtenbereich eingefügt. Die grossmassstäblichen Leuchtkörper an der Decke wurden mit einer für Schallwellen durchlässigen Spezialfolie bespannt. Die Absorption erfolgt in der dahinter liegenden Ebene mittels an der Decke montierter Mineralwollplatten. Diese Lösung entspricht darüber hinaus dem Thema der Eingangshalle, in der die Künstler Monica Germann und Daniel Lorenzi aus Zürich in Analogie zu den früheren Textilfabriken in der Region schnittmusterähnliche Zeichungen an die Wände aufbrachten. Das Pentorama ist als Ganzes durchkomponiert – und obwohl der trichterförmige Eingang einem Megafon ähnelt, ist die Tonlage des Innenraumes an jede denkbare Veranstaltung bestmöglich angepasst.

TEC21, Mo., 2008.05.26

26. Mai 2008 Anita Simeon

4 | 3 | 2 | 1