Editorial

Wohnkomfort garantieren sollen und die auch für bescheidenere Projekte als Vorbild dienen. Immer wieder zieht der Traum vom sorgenfreien, dank intelligenten Maschinen erleichterten Alltag die Planerinnen und Planer in ihren Bann.

Dass dieser Traum leicht zur Horrorvision werden kann, liegt nahe und hat manchen Filmemacher inspiriert. Charmant persifl iert Jacques Tati in «Mon Oncle» (1959) die Absurditäten des modernen Wohnens. Im überaus erfolgreichen Katastrophenfi lm «The Towering Inferno» (1974) von John Guillermin und Irwin Allen weitet sich ein Feuer in einem Hochhaus ungehindert aus, weil der schurkische Bauherr aus Kostengründen die Standards für die Elektro-, Sicherheits- und Brandschutzsysteme heruntergefahren hat: Der Feuerwehrchef (Steve McQueen) und der Architekt (Paul Newman) haben alle Hände voll zu tun, um wenigstens die dekorativsten Gäste der Einweihungsparty (Faye Dunaway!) zu retten. Keine Rettung dagegen gibt es bei Terry Gilliam: In seiner rabenschwarzen Politsatire «Brazil» (1985) kämpfen die Helden nicht nur gegen die totalitäre Kontrollmacht der Administration, sondern auch gegen eine ausser Kontrolle geratene Lüftungsanlage, der nur ein subversiver Guerilla-Monteur (Robert de Niro) beizukommen vermag – doch sie kämpfen, wie sich zeigt, am Ende vergeblich.

Anders als diese abgeklärt-pessimistischen Szenarien hat dieses Heft vor allem die Chancen des «intelligenten Wohnens» zum Thema. Dass diese schon früh erkannt wurden, zeigt ein Blick in die Technikgeschichte: Manche Neuerungen gehören mittlerweile zur Grundausstattung, andere wirken aus heutiger Sicht eher befremdlich. In Zukunft wiederum könnten, wie im zweiten Fachartikel dargelegt, neue technische Möglichkeiten die Lebensqualität vor allem älterer Menschen erhöhen. Doch auch die Nachteile, die aus der technischen Aufrüstung der guten Stube erwachsen, sollen nicht verschwiegen werden: Im dritten Beitrag kommen Ursachen und Quellen des Elektrosmogs zur Sprache.
Judit Solt

Inhalt

05 WETTBEWERBE
Geschäfts- und Wohnhaus in Biel

10 MAGAZIN
Bauen, wenn das Klima wärmer wird | Bill: zweigleisig statt transversal | Mit «EDG II» Energie sparen | Licht: Technologiewechsel in Nepal | Stadtberner Wohnbaustrategie

18 KNÖPFE, SCHALTER UND UNSICHTBARE VORGÄNGE
Katrin Eberhard
Technikgeschichte: Ein historischer Rückblick erinnert an haustechnische Pionierleistungen, avantgardistische Ausstattungen und skurrile Details.

25 WIE INTELLIGENT IST INTELLIGENTES WOHNEN?
Richard Staub
Haustechnik: Eine nutzungsneutrale technische Infrastruktur ist nicht nur Luxus, sondern eröffnet auch im sozialen und ökologischen Bereich neue Optionen.

28 ELEKTROSMOG – NICHT SELTEN HAUSGEMACHT
Corin Studerus
Umwelt: Wer sich vor nichtionisierender Strahlung vorsorglich schützen möchte, kann die hausinternen Quellen problemlos selbst beeinflussen.

34 SIA
Gefragte Generalisten | Innovative Baubranche? | Seminar «Regionalentwicklung» | «Umsicht» im Ausland | Normen in der
Vernehmlassung

38 PRODUKTE

45 IMPRESSUM

46 VERANSTALTUNGEN

Knöpfe, Schalter und unsichtbare Vorgänge

Seit rund 100 Jahren wird in regelmässigen Abständen die Revolutionierung des Wohnens durch neue technische Errungenschaften angekündigt. Was ist wirklich daran? Ein historischer Rückblick erinnert an haustechnische Pionierleistungen, avantgardistische Ausstattungen und skurrile Details.

Obwohl man vom «intelligenten Haus» eigentlich erst dann sprechen kann, wenn Computer die Steuerung von Jalousien, Alarm- oder Klimaanlagen automatisch erledigen, hat das so genannte «smart home» seine Wurzeln im 19. Jahrhundert: dort nämlich, wo Kohle, Gas und später Elektrizität erste haustechnische Apparate und Maschinen antreiben, die nicht nur für das Wohlbefinden der Bewohner sorgen, sondern beispielsweise auch die Kontrolle über Vorgänge im Haus oder über Angestellte gewährleisten. Im Folgenden sollen einige der technisch progressivsten Gebäude, aber auch unausgeführte Projekte zwischen 1880 und 1940 kurz beschrieben und analysiert werden. Wiederkehrende (Verkaufs-)Argumente, Interessen ebenso wie Fantasien ermöglichen Rückschlüsse auch auf die heutigen Entwicklungen in diesem Gebiet der Bautätigkeit.

Zentralheizung und Thermostat

Haustechnik im traditionellen Sinne umfasst jene Systeme, die in die Struktur des Hauses hineingedacht und gebaut sind und für ihr Funktionieren ein Netz von Leitungen benötigen. Eines der ersten dieser Systeme ist die Zentralheizung.[1] Der deutsche Stahlindustrielle Alfred Krupp baut schon 1873 in seine Essener «Villa Hügel» eine Niederdruck-Warmwasserheizung ein, die – den individuellen Wünschen der Bewohner gehorchend – in jedem Raum separat reguliert werden kann.[2] Das Wasser zirkuliert in dicken Eisenrohren, die sich jeweils in einer Ecke der verschiedenen Zimmer befinden (Bild 1). Die Beheizung der Zimmer ohne Russ und Rauch stellt nicht nur für die Hausherrschaft einen ungeahnten Luxus dar, sondern auch für die Dienstboten, die keine Kohle und kein Holz mehr herantragen und Feuer anfachen müssen. Eine Zentralheizung von 1880 kann nun zwar nicht als «automatisch» im heutigen Sinne bezeichnet werden; für den Zeitgenossen wird jedoch die Möglichkeit, über einen Drehknopf die Temperatur seines Zimmers regulieren zu können, mindestens ebenso aufregend gewesen sein, wie es heute die Aktivierung des Backofens über Internet sein kann. Eine Teilautomatisierung der Zentralheizung tritt mit ersten Thermostaten etwa ab 1890 ein: Diese regulieren den Wärmezufluss selbsttätig und garantieren somit ein mehr oder weniger konstantes Temperaturniveau. Die Diffusion der Zentralheizung ebenso wie die Entwicklung der Thermostaten erfolgt zuerst in den Vereinigten Staaten von Amerika. Noch 1928 muss Kees van der Leeuw, Mitbesitzer der Kolonialwarenfabrik Van Nelle und Bauherr des aussergewöhnlich raffinierten «Huis Van der Leeuw» in Rotterdam, die von ihm gewünschten Thermostaten von dort importieren.

Luxus, Organisation und Kontrolle

Eines der ausgefallensten Wohnhäuser des frühen 20. Jahrhunderts ist zweifelsohne die vom Erfinder Gëorgia Knap erbaute und ausgestattete «Villa Féria Electra», auch «Maison Electrique» genannt, die 1904 im französischen Troyes erbaut und 1907 nach Paris transferiert wird. Herzstück des Hauses ist die im Keller befindliche, voll elektrisierte Küche, von der mittels Liften die Speisen durch eine Öffnung im Boden direkt auf den Esstisch befördert werden können. Auf einer Schiene in der Mitte des Tisches bewegen sich die Platten, Schüsseln oder Brotkörbchen vor jeden Gast, lassen ihm Zeit zum Schöpfen und fahren dann zum Tischnachbarn. Die Kommunikation mit dem Personal im Keller geschieht über eine Gegensprechanlage, deren Mikrofone im Kronleuchter versteckt sind (Bild 2).[3] Das bereits erwähnte «Huis Van der Leeuw», entworfen von Jan Brinkman und Leen Van der Vlugt – den gleichen Architekten, die wenige Jahre zuvor schon für das berühmte «Van Nelle»- Fabrikgebäude verantwortlich zeichnen –, kommt einem heutigen «smart home» schon sehr nahe: Es verfügt über synchron geschaltete elektrische Uhren und Lautsprecher, durch einen Motor versenkbare Fensterscheiben und eine Telefonanlage, die sowohl zur hausinternen als auch zur externen Kommunikation dient (Bild 3). Der Architekt Richard Neutra übernachtet 1931 dort und berichtet: «Herr van der Leeuw lud mich und meine Frau in sein Haus in Rotterdam ein, und ein paar Wochen später befanden wir uns tatsächlich dort in der ‹Kraslingische plaslaan›. Es war das modernste Haus, das ich mir jemals erträumt hatte: ein Aufgebot technischer Neuheiten, von englischem Gummibelag für die Fussböden und gewundenen Metalltreppen bis zu Mikrophonverbindungen am Eingang und von Zimmer zu Zimmer und zu Luftabzügen für Zigarettenrauch, sobald dieser den Mund verlassen hatte; die Durchorganisierung des Lebens ging bis zu einer komplizierten Schalttafel über unseren Gastbetten, um alle möglichen Beleuchtungseffekte herbeizuführen, die Vorhänge an den Fenstern zurückzuziehen und auf elektrischem Weg heisses und kaltes Wasser im Badezimmer anzudrehen, alles während man im Bett lag. Wir brauchten nur eine halbe Stunde, um van der Leeuws Erklärungen für all die Schaltknöpfe zu verstehen und uns heimisch zu fühlen.»[4] Wenn auch das Andrehen des Wassers über Knopfdruck etwas übertrieben scheint, so wird doch die Faszination spürbar, die von den versteckt eingebauten «technischen Neuheiten» ausgeht. Für den uneingeweihten Betrachter tatsächlich sichtbar ist nur eine Reihe von Schaltern: Mit deren Hilfe setzt der Benutzer ihm verborgene Maschinen in Gang, welche die Vorhänge bewegen, Musik erklingen lassen oder ihm die Kommunikation mit Personen in anderen Räumen ermöglichen. Kees van der Leeuw steuert jedoch von seinem Bett aus nicht nur Einrichtungen des Hauses, sondern kontrolliert auch seine Bediensteten. Über Knopfdruck kann er die einzige Verbindungstür zwischen dem Angestelltenflügel und seinen Räumlichkeiten verschliessen und sich so vor allfälligen «unzeitigen Besuchen»[5] schützen.

Künstliche Ventilation

Während eine Ozonmaschine im «Huis Van der Leeuw» örtlich die Luft vom Zigarettenrauch säubert, verfügen fortschrittliche Projekte aus den 1930er-Jahren bereits über eine vollständig künstlich und automatisch belüftete Raumatmosphäre – beispielsweise das von George Fred Keck erbaute «Crystal House»,[6] das 1934 auf der «Century of Progress Exhibition» in Chicago dem Publikum vorgestellt wird. Ein französischer Journalist schreibt dazu: «La maison n’ayant aucune fenêtre ouvrante, l’aération des chambres est obtenue mécaniquement par un épurateur d’air qui maintient l’air intérieur constamment frais, pur, sans odeur, sans poussière et de température et humidité constantes en tout temps et toutes saisons.»[7] Ein «elektrisches Auge» kontrolliert die Tür zwischen Speisezimmer und Küche und öffnet sie automatisch; auch das Garagentor bewegt sich auf Funkbefehl des herannahenden Fahrers (Bild 4).

Die Idee der künstlichen Ventilation scheint Keck von Richard Buckminster Fullers «Dymaxion House»-Projekt übernommen zu haben, das allerdings nie in seiner ursprünglich geplanten Form verwirklicht werden konnte. Auch das «Dymaxion» vertraut auf automatische Belüftung: Frischluft wird am oberen Mastende eingesaugt, aufbereitet und durch perforierte heruntergehängte Decken in die verschiedenen Räume verteilt. Daneben enthält der Kern sämtliche Steig- und Fallleitungen, einen dreieckigen Lift und das Beleuchtungssystem, sodass eine weitere Verkabelung der Räume theoretisch überflüssig wird (Bild 7).[8]

Industrielle als Produzenten, Lieferanten und Bauherren

Interessant am «Crystal House» ist nicht nur seine hochmoderne Technik, sondern auch die ökonomischen Absichten, die hinter dem Einbau stecken: Die Sponsoren General Electric, Libbey-Owens-Ford Glass Company, Reynolds Metals und die Goodyear Tire and Rubber Company9 erhalten durch ihr Engagement an der Ausstellung grosse Publizität. Sie gehören zusammen mit den Energieproduzenten und -lieferanten zu denjenigen Akteuren, die handfesten wirtschaftlichen Nutzen aus der Technisierung des Wohnens ziehen. In Faltblättern und Fachzeitschriften, auf Ausstellungen und durch Architekturwettbewerbe10 machen die Firmen ihre Produkte den zukünftigen Konsumenten schmackhaft. Ein sprechendes Beispiel hierfür ist die von General Electric herausgegebene Broschüre mit dem Titel «The Edison Wonder House» von 1936 (Bilder 5 und 6). Hier können die Leserin und der Leser mannigfaltige Einsatzmöglichkeiten für strombetriebene Geräte entdecken: Zu finden sind etwa Ventilator, Elektroherd, Radio, ein elektrisches Cheminée, verschiedene Beleuchtungseinrichtungen und Gadgets wie hinterleuchtete Hausnummern. Der «utility room» des Hauses beispielsweise ist ausgerüstet mit spezieller Beleuchtung, einer Bügelmaschine, Wärmeplatten, einer elektrischen Waschmaschine und zahllosen Steckdosen. Sie sollen die Arbeit der Hausfrau erleichtern: Jede der Maschinen, wird geschrieben, sei ein weiterer Schritt Richtung Freiheit.

Neben den Produzenten und Lieferanten, die ein verständliches Interesse an der Elektrifizierung möglichst vieler Vorgänge im Haus haben, heben sich vor allem Industrielle als Auftraggeber von progressiv ausgestatteten Häusern hervor. Tatsächlich scheinen sie als technisch aufgeschlossene Zeitgenossen dazu prädestiniert, die im Geschäftsumfeld üblichen Technologien auf ihren Privatbereich zu übertragen – entgegen der gängigen These, dass eine rationale Arbeitsumgebung den Wunsch nach einem «gemütlichen» Zu hause weckt. Als Gesellschaftsschicht, die sich in den meisten europäischen Staaten erst im Laufe des 19. Jahrhunderts herangebildet hat, repräsentiert das Industriebürgertum weniger durch Kenntnis von klassischem Architekturvokabular oder bildender Kunst als durch technologisch ausgeklügelte und Komfort steigernde Einrichtungen.

Keine Arbeitserleichterung, aber Komfort für alle

Den erwähnten Häusern und Projekten ist gemeinsam, dass die zeitgenössische Berichterstattung von «nie geahnten» oder «noch nie da gewesenen» Möglichkeiten spricht – das «Wunderhaus», ebenso wie das «Haus der Zukunft» oder das «Haus, das von allen Anstrengungen befreit», können denn auch alle paar Jahre wieder als «neu» verkauft werden. Das viel zitierte Argument der Arbeitserleichterung, das insbesondere bei Kücheneinrichtungen, aber auch im Zusammenhang mit der Mechanisierung und Automatisierung des Heizens, Lüftens, Waschens und Putzens herangezogen wird, entpuppt sich jedoch bei genauerem Hinsehen als leeres Versprechen. Der Blick in die Vergangenheit zeigt, dass sich die zeitliche Belastung der Hausfrau keineswegs in dem Masse verringert hat, wie dies erwartet hätte. Eine vollautomatische Waschmaschine spart zwar viel Zeit und Kraft; die Veränderung der Sauberkeitsstandards und die Konzentration der ehemals auf mehrere Personen (Hausangestellte, Waschfrauen, Wäschereien) verteilten Arbeit auf eine einzige Hausfrau heben diese Einsparungen jedoch meist wieder auf.

Andererseits haben sich viele der ehemals als Spielereien abgetanen Technologien inzwischen zu Selbstverständlichkeiten entwickelt. Die Industriepioniere, Erfinder oder Produzenten ermöglichten dank ihrer Technikfaszination die Erprobung prototypischer Einrichtungen, die zwar anfangs oft nicht lange im Einsatz, schwierig instandzusetzen und obendrein teuer waren, deren Dienste heute jedoch weit verbreitet in Anspruch genommen werden. Auch Kees van der Leeuw musste seine Thermostaten ohne Billigung der Wärmetechniker bestellen: Sie rieten ihm klar und deutlich von dieser «überflüssigen» Massnahme ab.11 Formal-architektonisch sind zwischen den hier aufgenommenen Beispielen grosse Unterschiede erkennbar. Während die Technik in den frühen, dem Historismus verpflichteten Häusern eher hinter Paneelen versteckt oder gar mit Farnen getarnt wird, inspiriert sie viele Architekten der 1920er-Jahre und wirkt in einigen Entwürfen sogar formbildend. Um 1935 erfolgt dann der Umschwung zu traditionelleren, moderater gestalteten Bauten, die das wachsende Bedürfnis nach Geborgenheit erfüllen. Haustechnik wird – erst nur in den Vereinigten Staaten, später dann auch in Europa – für breite Schichten verfügbar; sie benötigt keine speziell erkennbare Hülle mehr.

TEC21, Mo., 2008.03.03

03. März 2008 Katrin Eberhard

Wie intelligent ist intelligentes Wohnen?

Unter dem Begriff «intelligentes Wohnen» oder «vernetztes Wohnen» versteht man heute oft technische Schikanen im Luxussegment. Doch vernetzte Haustechnik bietet mehr. Eine nutzungsneutrale technische Infrastruktur erlaubt es, Altbauten veränderten Nutzungsanforderungen anzupassen. Auch im sozialen und ökologischen Bereich eröffnen sich neue Möglichkeiten.

Bei der Anwendung haustechnischer Innnovationen gibt es zwei unterschiedliche Ansätze. Erstens geht es um die Anpassung der technischen Infrastruktur von Wohngebäuden an neue Bedürfnisse und Technologien: Dies betrifft heute hauptsächlich die Informations- und Kom - munikationstechnik, die in den letzten Jahren starke Veränderungen (Digitalisierung, Konvergenz, Triple Play, IP-TV etc.) erfahren hat. Zweitens handelt es sich um neue Funktionen, die durch eine elektronische Verknüpfung von Komponenten und von bisher getrennten Gewerken möglich werden: Die Bandbreite der Anwendungen reicht von der Energieeffi zienzsteigerung über das alters- und behindertengerechte Wohnen bis zu den vielfältigen Luxusgütern der Überflussgesellschaft. Letztere stehen zurzeit im Vordergrund, wobei zu bedenken ist, dass neue Technologien meistens zuerst in einem luxusorientierten Hochpreis-Marktsegment angewendet werden und sich erst später zum günstigen Allgemeingut entwickeln.

Veränderung der Gesellschaft - Veränderung des Wohnens

Unsere globalisierte Informationsgesellschaft ist von rasanten gesellschaftlichen und ökonomischen Umwälzungen geprägt. Der Soziologe Peter Gross prägte den Begriff der modernen «Multioptionsgesellschaft». In fast allen Lebensbereichen stehen uns viele Möglichkeiten offen: bei der Beziehungsform – in der Stadt Zürich leben heute über 50 % Singles, der Anteil der «Normfamilie» an den Haushalten fällt demnächst unter 10 % –, bei der Arbeitsform – Voll- oder Teilzeit, klassisch angestellt oder Freelancer, im Normalbüro oder Home Offi ce – und auch in der Welt des Konsums und der Dienstleistungen. Kaufratgeber und Internet-Vergleichsdienste, die dem Konsumenten Orientierungshilfe bieten, boomen. Nicht zuletzt als Rückzugsort aus einer fordernden Arbeits- und Freizeitwelt hat das Wohnen heute einen hohen Stellenwert. Wohnen ist viel individueller geworden, eine Frage des persönlichen Stils und der individuellen Lebensart. Während früher einige wenige Wohnungstypen den Marktbedarf einigermassen abbildeten, ist dies in der Multioptionsgesellschaft nicht mehr so einfach. Lediglich Haupttrends – etwa das steigende Durchschnittsalter unserer Bevölkerung – sind voraussagbar. Für wen sollen also Investoren bauen? Die Antwort kann eigentlich nur heissen: Für mehr oder weniger Unbekannt, über eine längere Zeitperiode gesehen. Vielleicht steigt die Nachfrage nach klassischen Familienwohnungen oder nach Single-Wohnungen plötzlich wieder? Vielleicht nimmt der Bedarf nach Home Offices plötzlich sprunghaft zu? Die Multioption gilt also auch für den Wohnungsgrundriss; Nutzungsneutrale Räume werden der wechselnden Nachfrage am besten gerecht. Auch Einfamilienhäuser sollten Veränderungen der Lebensverhältnisse oder der Bewohnerschaft ermöglichen. Und daraus folgt ganz logisch: Auch die technische Infrastruktur muss nutzungsneutral sein.

Flexible Kommunikation

Vorbei ist also die Zeit des TV-Anschlusses im Wohnzimmer. Der moderne Mieter und Käufer möchte seine Wohnung nach seinem Gusto möblieren und bei Bedarf auch einmal ein ehemaliges Kinderzimmer ohne teure Nachinstallation in ein Home Office verwandeln. Wenn eine WG einzieht, braucht es in allen Räumen Anschlüsse; desgleichen bei Familien mit mehreren grösseren Kindern, die für die Schulaufgaben den PC und das Internet nutzen. Während sich die Multimediawelt bezüglich Gerätetechnologie, Contentanbietern, Gewohnheiten der Benutzer etc. radikal verändert hat, blieb die Art der Kommunikationsinfrastruktur bisher mehr oder weniger gleich: Kabel-TV-Strang vertikal durch die Wohnungen, etwas Telefonanschlüsse, etwas Gegensprechanlage, alles schön getrennt. Und dies, obwohl klar ist, dass alle Medien bald digitalisiert sein werden oder es bereits sind: Die Inhalte werden als Datenpakete über die gleiche Netzwerktechnologie – Ethernet und Internet – übertragen, immer schneller und immer günstiger.

Daher drängt sich ein Paradigmenwechsel in der Kommunikationsinfrastruktur auf: pro Wohnung ein zentraler Verteiler, zu allen Räumen eine universelle Kommunikationsverkabelung, die alle Medien übertragen kann, sowie flexible Patchkabel, die die Freiheit bezüglich Contentanbieter und Bedarf gewährleisten. Ein entsprechendes Angebot an Produkten ist bereits auf dem Markt, wird aber erstaunlicherweise auch für Wohnungen im Hochpreissegment höchstens als Option angeboten. In diesem Zusammenhang sind neue «Guidelines Homewiring» erarbeitet worden, welche die Grundlagen einer solchen Vernetzung für Neu- und Totalumbau sowie die Nachrüstung bestehender Bauten aufzeigen.1 Die dabei entstehenden Kosten sind vertretbar; allerdings muss auch darauf geachtet werden, dass sowohl die Zunahme des Stromverbrauchs durch zu hohe Standby-Verbräuche als auch gesundheitsschädigende elektromagnetische Felder vermieden werden (vgl. S. 28 ff.).

Neue Funkitonen für mehr Energieeffizienz

Die energetische Optimierung eines Gebäudes kann durch die Bauweise – kompakte Form, beste Dämmung, Nutzung regenerativer Energiequellen hauptsächlich aus der Umgebung mittels Wärmepumpe, Solarkollektoren und Fotovoltaik – erreicht werden, doch auch die moderne Gebäudeautomation kann dazu beitragen. Durch den Einsatz von vernetzten Sensoren und Aktoren ist eine bedarfsgerechte, gewerkeübergreifende Steuerung und Regelung möglich. Stellt ein Sensor beispielsweise fest, dass sich niemand in einem Raum aufhält, kann er die Beleuchtung ausschalten, die Heiztemperatur senken und den Sonnenschutz je nach Bedarf öffnen oder schliessen (um Überhitzung zu vermeiden oder erwünschte Sonnenwärme zu gewinnen). Besitzen die Fenster vernetzte Kontakte, können Heizventile beim Fensteröffnen automatisch geschlossen werden, damit beim Lüften nicht zu viel Wärme verloren geht. Solche Funktionen können durch adaptive Regelungen verfeinert werden: Statt aufwendiger Systemintegration verfügen sie über mehrere hundert hinterlegte Regeln, die aufgrund der laufenden Sensordaten an das Benutzerverhalten angepasst werden. Die Kommunikation erfolgt über Funk.

Die vom Institut für Hochbautechnik der ETH Zürich entwickelte «digitalStrom»-Technologie verspricht noch viel mehr (vgl. TEC21 47/2007, S. 41). Mittels eines «intelligenten Starkstromchips » lernen Haushaltgeräte, ihr Verhalten selbstständig zu optimieren: Ein Kühlschrank beispielsweise schaltet sich vorübergehend ab, wenn er eine tiefe Netzfrequenz – Ausdruck einer hohen Netzbelastung – misst. Dadurch könnte das Verbundnetz besser genutzt und die Spitzenleistung von Netzen beschränkt werden. Alle Funktionen sind in den Chips hinterlegt, ebenso die grundlegenden Kommunikationsbeziehungen zwischen Sensoren und Aktoren der Haustechnik für alle Gewerke wie Beleuchtung, Sonnenschutz, Heizung, Sicherheit oder Multimediasteuerung. Das Konzept sieht vor, dass entsprechende Raumbeziehungen und Zentralfunktionen weitgehend selbstkonfigurierend erstellt werden können. Kommuniziert wird über die vorhandenen 230-V-Leitungen. Man tauscht also einfach bestehende Leuchtenklemmen gegen entsprechende Digitalstrom-Leuchtenklemmen, die zugleich einen miniaturisierten Dimmer enthalten, und installiert einen Digitalstromtaster – fertig ist die Vernetzung.

Ambient assisted Living (AAL)

Ende Januar trafen sich in Berlin über 300 Forscher, Mediziner, Technologieexperten, Dienstleister, Wohnbau-Bewirtschafter und andere Interessierte zum ersten deutschen AALKongress, veranstaltet vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und vom VDE.2 In über 100 Beiträgen wurden Grundlagenthesen, Technologien, Geschäftsmodelle und Praxisbeispiele erörtert. Der demografische Wandel – insbesondere die Überalterung – stellt nicht nur eine Belastung für die Gesellschaft dar, sondern schafft auch neue Wachstumsfelder. Eine zentrale Rolle spielen dabei der Haushalt und das Wohnen. Zum einen dehnt sich die Phase des aktiven Alters aus, was entsprechende Bedürfnisse dieser Altersgruppe schafft. Zum anderen wächst die Pflegebedürftigkeit mit steigendem Alter, auch wenn ein Grossteil der Pflegebedürftigen keine Rund-um-die-Uhr-Betreuung benötigt. Und schliesslich nehmen chronische Krankheiten wie Diabetes mellitus zu. Dies ruft nach neuen Strategien in der medizinischen und pflegerischen Betreuung.

AAL ist mehr als die Umsetzung neuer technischer Lösungen, es fokussiert auf intelligente Assistenzsysteme in den Bereichen Kommunikation, Sicherheit, Komfort, Gesundheit und Pflege. Es verbindet Mikroelektronik, Kommunikationstechnik und Dienstleistungen zu einem Angebot. Einzelbereiche wie Notrufsysteme existieren schon lange; nun sollen soziale, ökonomische und technische Plattformen geschaffen werden, die einheitlich, aber individuell nutzbar sind. Ein Grossteil der Senioren möchte bis ans Lebensende zu Hause wohnen; das Gesundheitswesen benötigt neue Formen der Betreuung, um mit den zur Verfügung stehenden Personal- und Finanzressourcen haushalten zu können. Gefragt sind experimentelle Projekte in der Wohnungs- und Gesundheitswirtschaft, die soziale Aktivierung, Sicherung und technische Unterstützung verbinden. Um auch die soziale Dimension der Betreuung zu verankern, ist eine Fokussierung auf ganze Wohnquartiere sinnvoll.

Damit schliesst sich wieder der Kreis zum intelligenten Wohnen: Auch AAL basiert technisch auf einer Vernetzung der Wohnräume. Die beschriebene Installation eines Multimedianetzwerkes mit flexiblen Anschlüssen in allen Räumen kann demnach sowohl bei Komfort- und Unterhaltungswünschen als auch zur Unterstützung im hohen Alter dienen. Dank der allumfassenden Internettechnologie steht heute bereits das Netz für die regionale Dienstleistung zur Verfügung, ergänzt durch drahtlose Kommunikation. Ein wirklicher Fortschritt kann allerdings erst durch die Integration sozialer und ökologischer Faktoren ermöglicht werden; daher ist es bedauerlich, dass intelligentes Wohnen und AAL heute fast ausschliesslich unter technokratischen Gesichtspunkten betrachtet werden.

[Richard Staub, BUS-House (Beratung, Schulung, Fachjournalismus für Gebäudeautomation und intelligentes Wohnen)]

TEC21, Mo., 2008.03.03

03. März 2008 Richard Staub

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