Editorial

In diesem Heft werden ganz unterschiedliche Formen gemeinschaftlichen Wohnens vorgestellt. Zwei der Projekte entstanden in einer Art Gruppenprozess, der allerdings völlig konträre Architekturen generierte: ein Patchwork-Viertel und eine strenge Reihenhausstange. Ob postmoderne Collage oder scheinbar homogenes Kollektiv, die neuen Quartiere sind lebendig, kinderfreundlich und jedes auf seine Art wandlungsfähig. Auch entstanden sie nicht am Rand wie die Wohnexperimente der letzten Dekaden, sondern besetzen prominente Plätze. Die schwedische Holzhaussiedlung zeigt, dass ein inspirierter Entwurf aus Typenhäusern durchaus Gemeinschaft stiften kann. Und in der schlichten Schweizer Wohnanlage, einer Nachverdichtung, finden die Mieter einladende Räume vor der Tür, um sich zu treffen und zu Hause zu fühlen. Redaktion

Inhalt

Diskurs

03 Kommentar
Rettung durch Umbau? Architektur der Nachkriegszeit in der Zwickmühle | Nikolaus Bernau
06 Magazin
14 On European Architecture
Making It Not Quite Right in New Orleans | Aaron Betsky
16 Im Blickpunkt
Architekturgalerien in Berlin | Mathias Remmele

Schwerpunkt

20 Gemeinsam wohnen
21 Zum Thema: Von der Baugruppe bis zur Alten-WG: Alternative Wohnkonzepte sind plötzlich populär | Christoph Gunßer
22 Wohnquartier Alte Artilleriekaserne St. Arnual in Saarbrücken von giu; Wandel Höfer Lorch und diverse Architekten | Christoph Gunßer
30 Zwei Wohngebäude in Biel (CH) von Metron Architektur AG | Hubertus Adam
36 Holzhaussiedlung Sollentuna (S) von Brunnberg&Forshed | Alexander Budde
44 Reihenhausgruppe in München-Schwabing von Ingo Bucher-Beholz | Christoph Gunßer
50 … in die Jahre gekommen: Wohnhöfe in Offenau von Klaus Holfelder; Fritz Matzinger | Christoph Gunßer

Empfehlungen

56 Kalender
56 Ausstellungen
Werkbundausstellung Paris 1930 – Leben im Hochhaus (Berlin) | Bernd Hettlage
Plexiglas: Werkstoff in Architektur und Design (Darmstadt) | Franziska Puhan-Schulz
58 Neu in …
... Berlin | Nikolaus Bernau
... Ulm | Rüdiger Krisch
... Ulm | Claudia Hildner
... Tachikawa (J) | Paul Andreas
60 Bücher

Trends

62 Energie: Literatur zum Thema Energieeffizientes Bauen
66 Technik aktuell: Metallschäume aus Aluminium | Achim Pilz
70 E-Technik: An der Tür | rm
74 Produktberichte: Küchen, Sanitärtechnik, Beleuchtung | rm
82 Infoticker | rm
84 Schaufenster: Armaturen | rm
88 Planer / Autoren
89 Bildnachweis
90 Vorschau / Impressum

Detailbogen
91 Biel (CH): Zwei Wohngebäude
94 Saarbrücken: Wohnquartier Artilleriekaserne

Netzwerk-Architektur

Von der Baugruppe bis zur Alten-WG: Alternative Wohnkonzepte sind plötzlich populär

Genau vor fünfzehn Jahren brachte die db schon einmal ein Heft zum Thema »Gemeinsam wohnen« heraus. Campingplatz und Wagenburg dienten damals als Aufmacher für Wohnanlagen von Vandkunsten, Hermann Schröder und Sampo Widmann, Hubert Rieß und Otto Steidle, den »üblichen Verdächtigen« für ein soziales Nischenthema. Eine halbe Generation später sind die gemeinschaftsorientierten Wohnformen in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Diesen Eindruck erwecken zumindest die zahlreichen neugierigen bis enthusiastischen Berichte, die in der letzten Zeit in ansonsten gutbürgerlichen Medien erschienen. Zum Stichwort »Baugruppe« findet die Internet-Suchmaschine Google Hunderttausende an Resultaten. Tatsächlich fördern Hamburg und seit kurzem auch Berlin diese Form der gemeinschaftlichen Bauinitiative, indem sie einen (kleinen) Teil öffentlicher Grundstücke bevorzugt an Baugruppen vergeben. Es wurden Anlaufstellen geschaffen, um Organisation und Realisierung dieser Projekte zu erleichtern. München baut seine Angebote für Baugruppen aus, und auch kleinere Städte wie das badische Wiesloch weisen neuerdings Bauplätze für gemeinschaftlich geplante Wohnhöfe aus.

Warum sie das tun? Die Kommunen haben schlicht bemerkt, dass diese Form der Selbsthilfe die Identifikation der Bewohner stärkt, dass problematische Stadtviertel stabilisiert und Neubaugebiete lebendiger gemacht werden – und dass die Architektur dabei oft erfrischend vielgestaltig und innovativ ist. Wo nicht der Meistbietende zum Zuge kommt, sondern die Gruppe mit dem besten auf das Quartier abgestimmten Konzept, entstehen stabile Nachbar-schaften – das haben die Pioniere Tübingen und Freiburg in ihren Modellgebieten vorgemacht. Auch die Niederländer nutzen die Vergabe von Grundstücken seit langem, um soziale wie gestalterische Qualitäten durchzusetzen.

Es sind zudem meist aufgeschlossene und kreative Menschen, die sich zu Baugemeinschaften zusammenschließen. Oft sind Architekten mit von der ¬Partie: Baugruppen anzustoßen und zu moderieren ist ein viel versprechendes Geschäftsfeld für Freiberufler geworden, sofern sie Geduld und Kommunikationstalent mitbringen. Doch warum gehen Bauwillige diesen nicht selten anstrengenden und langwierigen Weg? Der pragmatische Grund der erheblichen Kostenersparnis – in der Regel rund zwanzig Prozent gegenüber Bauträgerprojekten – verbindet sie mit den Selbsthelfern aller Zeiten. Darüber hinaus differenziert sich die Szene: Klassische Interessenten fürs gemeinsame Wohnen in Eigenregie waren und sind junge Familien mit wenig Geld und individuellen Wohnvorstellungen. Sie profitieren von der Nachbarschaftshilfe ebenso wie die zweite, neuere Zielgruppe, »die Alten«. Mehr als die Hälfte der über Sechzigjährigen können sich ein Leben in einer Wohngemeinschaft vorstellen. Angst vor Vereinsamung, vor liebloser institutioneller Fürsorge, davor, nicht mehr gebraucht zu werden, ist oft der Antrieb – aber auch Lust und Neugier auf ein anderes Wohnen als das gewohnte. Gerade zwischen diesen beiden Zielgruppen kann es Symbiosen, aber auch Konflikte, etwa um die Wohnruhe, geben. Das Mehrgenerationenwohnen, die Großfamilie aus Wahlverwandten, wie auch die Alten-WG genießen derzeit viel Sympathie. Realisierte Projekte sind jedoch, anders als in Holland, noch rar, da es an professioneller Beratung fehlt.

Etwas einfacher haben es da klar umrissene Gruppen: So hat die Beginen¬bewegung von und für Frauen mehrere, auch architektonisch beachtliche Hofprojekte in Deutschland realisiert. Gemeinwesengruppen engagieren sich für soziale Minderheiten und versuchen, sie in den Quartiersalltag zu integrieren. Ökosiedlungen sind ein weiteres, aufgrund höherer Kosten und Lage eher »exklusives« Spezialgebiet, wenngleich eigentlich alle Gruppenprojekte heute auf Nachhaltigkeit Wert legen – schon, um die laufenden Kosten für die Gemeinschaft niedrig zu halten und künftige Streitigkeiten zu vermeiden.

Allen gemeinsam ist eine neue Wertschätzung des Wohnumfeldes. Neue Selbständige, Alte wie Alleinerziehende sind viel zu Hause, knüpfen soziale Netze und sind bereit, Verantwortung zu übernehmen. Gleichzeitig legen sie jedoch Wert auf Rückzugsräume: Kontakte sollen nicht zwangsläufig, eher zufällig entstehen – für Architektur wie Städtebau weiterhin eine wichtige Gestaltungsaufgabe.

Schwindende Zuwächse bei den Einwohnerzahlen werden die Wohn-Angebote in den nächsten Jahren allerdings ohnehin auf die Probe stellen. Vielerorts sind Schrumpfung und Leerstand bereits Realität. Spätestens in zwanzig Jahren wird auch die Zahl der Haushalte zurückgehen. Glaubt man den Sozialforschern, wird die Netzwerk-Architektur der neuen Alternativen die besten Chancen haben, auf dem Wohnungsmarkt zu bestehen. Das bestätigt auch der Rückblick auf das in die Jahre gekommene Wohnmodell zum Schluss des Hefts.

db, Fr., 2008.02.08

08. Februar 2008 Christoph Gunßer

Vielfalt nur in der Wohn-Einheit

Normale Reihenhäuser sind Theo Peter ein Graus: Innen hätten sie in der Regel uniforme Standardgrundrisse, außen würden sie hingegen »pseudo-inidividuell aufgemöbelt«. Mit seinen Projekten für Baugemeinschaften geht Peters Bauzeit-Netzwerk gerade den umgekehrten Weg: Wesentlich sei, dass die Häuser innen zukünftigen Bedürfnissen gerecht würden – und außen »zeitlos schön« blieben. Dieses Attribut hob Peter auch in den Inseraten für die neun Einheiten am Ackermannbogen besonders hervor.

Es klingt wie Musik in den Ohren anspruchsvoller Architekten, denen die »Aneignung« ihrer »Werke« durch »ungeschulte« Bewohner oft überhaupt nicht passt. Leider sind sie in der Regel ziemlich machtlos, wenn ihre Häuser durch Zierrat und Zutaten verhunzt werden. Nicht so bei Peters Häusern: Er wirbt seine Bauherren jeweils mit einem fertigen, ausgeklügelten Gebäudekonzept eines namhaften Architekten an und prüft im persönlichen Gespräch, ob sie sich für das Konzept eignen. Und er legt vertraglich fest, dass sie es mit zu tragen haben. Für die neun Reihenhäuser hieß das konkret, dass nach Wohnungseigentümergesetz faktisch jede Änderung am äußeren Erscheinungsbild der Zustimmung von mehr als zwei Dritteln der Eigentümer und – über 15 Jahre hin – auch der des Architekten – bedarf. Der gelernte Bankkaufmann Peter ist also weit mehr als ein Moderator: »Die beste Demokratie ist ein guter König«, sagt der Generalbevollmächtigte der Projektgesellschaft Solarreihenhäuser am Ackermannbogen, Anfang 60, mit einem Schuss Zynismus und einer klaren Vision von nachhaltiger Architektur.

»Zeitlos schöne Häuser in Holz und Glas«

Der Architekt Ingo Bucher-Beholz hat schon vor zwanzig Jahren Theo Peters Haus am Starnberger See geplant, damals noch als Mitarbeiter von Schaudt Architekten aus Konstanz. Er ist bekannt für seine filigranen Strukturen in Stahl, Holz und Glas. So entwickelte er auch für den engen Rahmen am Ackermannbogen eine leichte, modulare Architektur, die sich nüchtern und kühl zwischen den alten Baumbestand fügt. In ihrer Klarheit und Rigidität hebt sie sich deutlich von den drei kleinteiligen »Stangen« der anderen Baugruppen in ihrem Rücken ab. Banale Fenster, die das Haus als Wohnhaus lesbar machen und den menschlichen Maßstab herstellen würden, gehen in der Glashaut auf oder werden von dem umlaufenden Schirm aus Alu-Lamellen verhüllt. Ganz im modernen Sinne hat man es hier mit einer »machine for living« zu tun, effizient, abstrakt, minimalistisch maßstabs- oder eben »zeitlos«. Wer weiß schon, wie man in wenigen Jahrzehnten wohnen oder besser: »Wohnen« repräsentieren will?

Doch das ist nur die dauerhafte Hülle, sozusagen die Hardware. Innen ist der filigrane Quader so offen und großzügig bespielbar, wie es bei vier Meter fünfundachtzig Achsmaß und gut elf Metern Tiefe nur möglich sein kann. Zwischen den Schotten aus Beton bestehen die Wohneinheiten aus einem Holz-Stahlskelett, das den Grundriss quer in eine schmale Erschließungs- und eine Wohnzone, längs in drei gleich große Zonen teilt. So entstehen in den Obergeschossen gut nutzbare 16 Quadratmeter-Zimmer. Die Crux der reinen Nordorientierung wird durch Oberlichter, Innenverglasungen und große Fenstertüren wenn auch nicht gelöst, so doch abgemildert. Dafür öffnen sich die Solarreihenhäuser voll verglast zur Südsonne. Den acht Zentimeter dünnen, teils modular demontierbaren Brettschichtholzdecken fehlt indes die Speichermasse, um passive Gewinne effektiv zu speichern (Peter: »Wir sind keine Technik-Freaks.«). Ein – einheitlicher – Sonnenschutz vor der Fassade war nötig und eine leistungsfähige Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung: Alle Leitungen sind selbstbewusst in einem frei im Raum stehenden, 45 cm mächtigen Wickelfalzrohr untergebracht. Mit (meist großzügig rahmenloser) Dreischeibenverglasung, dachintegrierter Vakuumröhrensolaranlage und zentraler Pelletsheizung erfüllt das Gebäude den KfW40-Standard. Auf baubiologische Ausführung wurde Wert gelegt. Ob die Ökobilanz Alu-Lamellen rechtfertigt, sei dahingestellt – beim Nachfolgeprojekt in Neu-Riem verwenden die Architekten ein Schuppenkleid aus Schiefer. Die rationelle Konstruktion glich jedenfalls die extrem hohen Grundstückskosten in diesem frei finanzierten Teil des Entwicklungsgebietes etwas aus.

Begehrte Vorstadt in der Stadt

Reihenhäuser im Norden Schwabings, direkt an der »großen Wiese« des Siedlungsmodells gelegen, mit (noch?) freier Aussicht, für rund 500.000 Euro inklusive Küche – klar, dass es Theo Peter nicht schwer fiel, Interessenten für sein Gebäude zu finden. Auch ohne große gruppendynamische Prozesse hat sich offenbar eine stabile Nachbarschaft auf hohem Niveau entwickelt. Unter anderem wohnen hier ein Webdesigner, ein Rechtsanwalt, ein Unternehmensberater, ein Musiker und ein Architekt, der seine Einheit als »white cube« erwarb und selbst ausbaute, überwiegend im Familienverbund: 15 Kinder gibt es hier inzwischen, bemerkenswert eingedenk der Tatsache, dass nur noch in 16 Prozent der Münchener Haushalte Kinder leben. Gleich nebenan liegt eine Kita, der zu achtzig Prozent mit Tiefgaragen unterkellerte neue Stadtteil bietet viel Platz für Kinder, wenn er auch stadträumlich zwischen Wohnwegen und (sehr) großer Wiese eine mittlere, »urbane« Ebene vermissen lässt.
Die Differenzierung der Einheiten begann bereits in der Planungsphase: Einzelne Module wurden je nach Bedarf unterschiedlich platziert (Bäder, Küchen, Galerien). Es gibt auch eine funktionierende Wohngemeinschaft von Theo Peters erwachsenem Sohn. Andere Konstellationen, etwa, wenn die Kinder aus dem Haus sind, sind aber denk- und machbar. Das Konzept hat sich bewährt. Die Bewohner klagen nur über Ausführungsmängel, etwa beim Parkettboden, beim undichten Dach oder dass es vom Betonvordach auf die Schwelle tropft, da dieses, architektonisch nachvollziehbar, vom Hauptbaukörper abgesetzt wurde.

Eine fast niederländische Offenheit prägt die Eingangsbereiche am engen Wohnweg, wer will, kann quer durch die Häuser hindurch in den Garten blicken. Dort nimmt das Grün, wo man es lässt, vom Gebäude Besitz, klimmt und klettert die filigrane zweite Schicht der Südfassade hinauf, was ihr ein wenig die serielle Strenge nimmt (und zur nötigen Verschattung beiträgt). Unbezahlbar ist die Schirmherrschaft der alten Laubbäume über den Komplex, eine Hinterlassenschaft aus der Zeit, als hier inmitten von Kasernen schon mal eine grüne Lunge lag. Gut möglich, dass Bäume und – einheitliche – Hecken bald noch eine verbaute Aussicht verbergen müssen. Denn vis-à-vis an der Erschließungsstraße könnte ein Supermarkt mit Parkdeck entstehen – gewiss ein noch wichtigerer Grund für die Bewohner, sich zu organisieren, als dem aktuellen Ansinnen eines Mitbewohners, einen Kaminzug für die eigene Feuerstelle einzubauen, entgegenzutreten.
Das Baugruppenmodell war im Übrigen hier so erfolgreich, dass die Stadt im südlich anschließenden, vierten Bauabschnitt des Entwicklungsgebietes eine Neuauflage plant. »Fans« der Solarreihenhäuser haben bereits bei Theo Peter angefragt.

Nischenkonzept mit Zukunft

Als »Verkäufer von Nachhaltigkeit« hat Theo Peter mit seinem Bauzeit-Netzwerk offenbar einen guten Riecher gehabt. Indem er Materialien und Architektur zum Thema macht und dabei, wie die Moderne von einst, auch moralisch argumentiert (»Understatement« statt Selbstinszenierung), erreicht er eine gebildete, kultivierte Klientel, die innovative Architektur mit zu tragen bereit ist. Während andere professionelle Anbieter von Baugruppenprojekten inzwischen eher die Kostenersparnis in den Vordergrund stellen, ergibt sich diese bei Peters Projekten eher nebenbei – durch klare, modulare Architektur ohne individuelle, neureiche Extras.

Doch besetzt er damit wohl eher eine Nische, die sehr von der Aufgeschlossenheit der Großstadt zehrt. Schon in Neu-Riem weckt Bucher-Beholz` strukturell identisches, nur ost-west-orientiertes Reihenhaus-Ensemble nicht dieses starke Interesse, muss Peter ganz anders auftreten.

Die Architekten sind verständlicherweise des Lobes voll für einen so standhaften Förderer und Verfechter ihrer Ideen. Gerade den innovativsten Büros fehlen seit Jahren die Wettbewerbe, um Aufträge zu akquirieren. Viele Architekten sind nicht bereit und nicht fähig, ihre Ideen potenziellen Bauherren zu vermitteln, sie verfügen nicht über das nötige kaufmännische und juristische Know-how, um ihre Projekte selbst zu vermarkten. Und sie haben keine Lust, sich von Bauträgern gängeln zu lassen. Theo Peters kleines regionales Netzwerk wird deshalb so mit Anfragen überhäuft, dass er noch für dieses Jahr die Vergabe von Lizenzen plant.

db, Fr., 2008.02.08

08. Februar 2008 Christoph Gunßer



verknüpfte Bauwerke
Reihenhausgruppe in München-Schwabing

Nester in der Wildnis

Eingebettet zwischen Fichten und Blaubeerbüschen bietet die Waldsiedlung Östra Kvarnskogen in Sollentuna naturnahes Wohnen mit Blick in die Baumkronen. Eine einfache Formensprache und der überlegte Einsatz von Materialien erinnern an alte schwedische Traditionen – ein architektonischer Lichtblick in Zeiten der Monokultur.

Die zweigeschossigen Häuser sind in das hügelige Gelände eingeschoben oder ragen auf bis zu sieben Meter hohen Stahlstützen über einen steilen Abhang hinaus. Die meisten Fenster sind so tief positioniert, dass sie sich für eine meditative Betrachtung der Landschaft anbieten. Als Fassadenmaterial dienen mit der Schlammfarbe Falunschwarz (aus der nahen Kupferstadt Falun) bemalte Paneele in Kombination mit unbehandeltem Lärchenholz. Die sanft geneigten Flachdächer sind zum Wärmeschutz bepflanzt und schaffen im Tagesverlauf reizvolle Kontraste zur umgebenden Natur.

Mit ihrem organisch geschwungenen Entwurf setzten sich die Architekten Kjell Forshed und Ludmilla Larsson 2001 im Wettbewerb der Gemeinde gegen zahlreiche Mitbewerber durch. »Unser Ziel war, die Gebäude harmonisch und mit viel Gespür für den wilden Charakter der Landschaft einzubetten«, erläutert Larsson. So gehen die Holzterrassen der sogenannten Souterrain-Häuser nahtlos in den umgebenden Kiefernwald über. Gärten sind, zum Leidwesen mancher Bewohner, nicht vorgesehen.Baustart für das Projekt Östra Kvarnskogen war im Frühjahr 2004, die letzten Häuser wurden im Herbst 2005 bezogen. In der Hügellandschaft haben die Bewohner schon ihre Spuren hinterlassen: In Eigeninitiative wurden Büsche gepflanzt und Trockenmauern errichtet. Östra Kvarnskogen zieht vor allem junge Familien mit Kindern und Berufspendler aus Stockholm an, so dass die Siedlung trotz ihrer isolierten Lage recht lebendig wirkt. Fast alle Bewohner sind Eigentümer ihrer Häuser. Für die zahlreichen Kleinkinder im Quartier wurde eigens eine Kita eröffnet. Geschäfte und öffentliche Einrichtungen sind in akzeptablem Abstand auch zu Fuß zu erreichen.

Engagierter Bauträger als Ideengeber

Die Stockholmer Architekten Brunnberg&Forshed sind mit ihren vielen jungen Mitarbeitern eines der führenden Büros im Wohnungsbau der Hauptstadt, ja des Landes. Kjell Forshed beschreibt die Zusammenarbeit mit dem Bauträger Folkhem als eine ungewöhnliche und überaus fruchtbare Symbiose. Folkhem-Gründer Sven-Harry Karlsson mit seiner jahrzehntelangen Erfahrung in der Baubranche wirkt als Ideengeber der Architekten und zeichnet eigene Entwürfe. Als Ausgangspunkt für die Detailplanung dient ein gutes Dutzend erprobter Haustypen, die in Absprache mit den Architekten nach den lokalen Erfordernissen erweitert und angepasst werden. Auch bei der baulichen Umsetzung mit eigenen Handwerkern macht das Unternehmen strenge Vorgaben. »Bei den Fassaden und der Gebietsplanung haben wir aber freie Hand«, betont Forshed. Die Partner verbinde neben dem Interesse an innovativen Raumlösungen auch der gemeinsame Anspruch an einen allgemein hohen Baustandard und die sorgfältige Auswahl der Materialien. »Bei vielen Projekten muss der Architekt um jedes Detail ringen oder mit Kompromissen leben. Mit Folkhem ist das anders, weil man dort gerade auf ausgefeilte Detaillösungen größten Wert legt.« So gehört die Fußbodenheizung in Folkhem-Häusern zum Standard. Der Verzicht auf Heizkörper ermöglicht raumhohe Fenster und schafft mehr Spielräume für die Möblierung. Das Energiekonzept folgt dem Modell des Passivhauses: gut gedämmte Außenwände, Boden- und Dachkonstruktionen, doppelt verglaste Fenster und eine kontrollierte Be- und Entlüftung sollen die Heizkosten im Rahmen halten. Allerdings haben sich die im europäischen Vergleich noch überaus moderaten Energiepreise in Schweden bislang kaum auf die architektonische Planung ausgewirkt. Eine schwierige statische Aufgabe war die Konstruktion der frei schwebenden Gebäude am Südrand der Siedlung. Sie ruhen auf hölzernen Plattformen mit acht Metern Kantenlänge. Die stählernen Stützpfeiler wurden bis zu 12 Meter tief ins Granitgestein getrieben. Diagonale Querstreben steifen die Konstruktion aus.

»Wie im Vogelnest«: Wohnerfahrungen

Jennifer Carlsson bewohnt eines dieser Stelzenhäuser gemeinsam mit ihrem Mann und zwei kleinen Söhnen. »Wir fühlen uns wie im Vogelnest«, lacht sie und führt den Gast hinaus auf die Terrasse, von der sich ein Panoramablick auf die Hügellandschaft und die Nachbarhäuser bietet. Das rhythmische Klopfen eines Buntspechts schallt aus dem Unterholz, eine Katze schleicht um die Rabatten. »Die schlichte Eleganz gefällt uns gut. Alles ist sehr gut verarbeitet. Die Kinder können im Wald spielen und haben es nicht weit zur Schule.« 110 Quadratmeter Wohnraum verteilen sich auf ein Wohnzimmer im Erdgeschoss sowie drei Schlafzimmer in der oberen Etage. Auf die Trennwand zur Küche wird in Schweden gern verzichtet, so dass die Sonne im Winter quer durch die ganze Wohnung fällt. Die Wohnbereiche sind durch eine zentrale Wendeltreppe verbunden. Die gemütliche Atmosphäre ist nicht zuletzt der Dominanz des offenen Kamins in den Innenräumen zu verdanken. Dieser gehört jedoch ebenso wenig zur Standardeinrichtung wie die von der Familie hinzugewählten Halogenspots über der Küchenzeile.Kummer bereitet allenfalls das fehlende Entree, wodurch Besucher sogleich »mitten im Leben« stehen.

Wider die Trostlosigkeit der Satellitenstädte

Kleine beschauliche Wohngebiete mit Schule, Gemeinschaftszentrum und Grünflächen haben in der schwedischen Stadtplanung Tradition. Doch die Bausünden des sozial ausgerichteten Funktionalismus sind in der Vorstadt Sollentuna noch allgegenwärtig: Die tristen Wohntürme und Hochhaussiedlungen des sogenannten »Millionenprogramms« aus den sechziger Jahren wurden zu Symbolen für gescheiterte Integration, Einsamkeit und Verwahrlosung, für den sozialen Abstieg auch der Mittelklasse. Noch immer ist der schwedische Bausektor von Großformatigkeit und Monokultur geprägt, sowohl bei Bauunternehmen als auch bei Architekturbüros. In der heutigen, relativ begrenzten Produktion sind die architektonischen Ambitionen dennoch oft sehr hoch angesetzt. Man baut vor allem in exklusiven Lagen, was auch gesteigerte Ansprüche an den Wohnkomfort bedingt.Der Architekt Kjell Forshed ist selbst ein Anhänger des organischen Städtebaus Camillo Sittes und des kleinen, menschlichen Maßstabs. Im vorigen Jahr hielt er auf der Konferenz des New Urbanism in Philadelphia einen viel beachteten Vortrag. Forshed freut sich über die wachsende Lust seiner Kundschaft am Wohnen im Grünen: »Moderne Architektur sollte in erster Linie ein sinnliches Erlebnis sein.« Und Platz dafür gibt es in Schweden noch genug.

db, Fr., 2008.02.08

08. Februar 2008 Alexander Budde



verknüpfte Bauwerke
Holzhaussiedlung

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