Editorial
Nach bald drei Jahren widmet sich eine Ausgabe unserer Zeitschrift wieder dem Wohnungsbau. Galt das letzte Mal die Aufmerksamkeit einer breiten Palette von Themen, vom grossbürgerlichen Mailänder Milieu bis hin zu individuellen Wohnformen „nach dem Loft“, so ist diesmal der Fokus anders gewählt. Vorgestellt werden lediglich grossmassstäbliche, jüngst fertiggestellte Wohnbauten aus der Schweiz. Dieser thematischen Beschränkung steht eine quantitative Ausweitung gegenüber: Gleich zehn neue Bauvorhaben werden kommentiert. Die katalogartige Präsentation erlaubt über das Kennenlernen des einzelnen Objekts hinaus aufschlussreiche Quervergleiche und damit eine gewisse Übersicht über aktuelle Tendenzen im hiesigen Wohnungsbau. Diese Form ist unüblich für unsere Zeitschrift, welche der angemessenen Kontextualisierung und Interpretation breiten Platz einräumt und damit in ihrer Berichterstattung – so unser Anspruch – an Tiefe erreicht, was konkurrierende Medien an Schnelligkeit und Tagesaktualität erreichen mögen.
Mit der Aktualität ist es aber gerade im Wohnungsbau so eine Sache. Entwicklungen auf diesem Gebiet werden zwar gerne als architektonische Antworten auf den viel beschworenen gesellschaftlichen Wandel gepriesen. Aber wohl kaum eine andere Bauaufgabe ist ihrer Natur gemäss ähnlich träge. So gewichtig ist der Überbau an Konventionen, festen Vorstellungen und Sichtweisen (bei Bewohnern und bei Bauherren), dass allfällige Veränderungen bloss graduell sind – und dass schon graduelle Veränderungen deutliche Folgen haben. Davon handelt dieses Heft: von den unauffälligen Weiterentwicklungen und deren auffallender Resonanz in einer von Kosten und Konventionen eng definierten Bauaufgabe.
Aktualität kommt dem Wohnungsbau aber auch aus quantitativen Gründen zu: Das Segment boomt hierzulande, jedenfalls an gewissen Orten. Womit auch schon erklärt wäre, warum Zürich im vorliegenden Heft so stark vertreten ist. Die überdurchschnittliche wirtschaftliche Prosperität der grössten Schweizer Stadt zieht neue Einwohner an und ermöglicht es denen, die schon hier wohnen, sich grössere Wohnungen zu leisten. Auch politisch gesehen liegen die Verhältnisse günstig, läuft doch dieses Jahr ein Legislaturprogramm zur Neuschaffung von familienfreundlichen Wohnungen aus, dessen grosser Erfolg gerade auf der Zusammenarbeit von öffentlicher Hand und geförderten Bauträgern, insbesondere Baugenossenschaften, aufbaut. Dies zeigt, dass der Anteil der Politik am Erfolg der Wohnbauförderung nicht zu unterschätzen ist.
Noch ein Wort zum Ort: Alle Beispiele stehen auf Stadtgebiet, die einen inmitten einer längst verfestigten Stadttextur, die anderen dort, wohin die Stadt eben erst wächst. Auch der städtebauliche Beitrag der neuen Wohnhäuser hat uns interessiert, denn Wohnungsbau der hier verhandelten Grössenordnung hört nicht an der Türe nach draussen auf.