Editorial

Dem Bauen kommt beim Klimaschutz eine Schlüsselrolle zu, denn der Gebäudebestand in der Schweiz ist für rund 50% unseres gesamten Energieverbrauchs verantwortlich.[1] Die Konstruktion von sparsameren Häusern ist deshalb eine nahe liegende und Erfolg versprechende Strategie, um den Gesamtenergieverbrauch zu reduzieren. Der 1998 eingeführte Minergiestandard senkt den Energieverbrauch gegenüber herkömmlichen Gebäuden um rund zwei Drittel bei Mehrkosten von nur 3 bis maximal 10 %. Er hat sich mittlerweile gut etabliert. Bei den Neubauten beträgt der Anteil der Minergiegebäude etwa 15%. Zählt man die «minergieähnlichen» Gebäude hinzu, ist der Anteil noch einiges höher. Von verschiedenen Seiten wird auch bereits die Forderung laut, den Minergiestandard bzw. vergleichbare Anforderungen als Obligatorium einzuführen. Noch weit von einem derartigen Durchbruch entfernt ist der Minergie-P-Eco-Standard, der den Energieverbrauch gegenüber dem Minergiestandard nochmals um die Hälfte reduziert und zusätzlich eine ökologische und gesunde Bauweise garantiert. Bisher gibt es erst 5 Minergie-P-Eco-Gebäude in der Schweiz – zwei davon stellen wir in diesem Heft vor. Das neue Verwaltungsgebäude der Restaurantkette «Mövenpick Marché» in Kemptthal zeigt eindrücklich, dass energieeffizientes Bauen auch bei knappem Budget möglich ist. Und auch in der neuen Wohnüberbauung «Eulachhof» in Winterthur rechnen die Investoren trotz moderater Mieten mit üblichen Renditen. Beide Gebäude produzieren einen grossen Teil des benötigten Stroms mit Solarzellen auf dem Dach und nutzen zusätzlich Erdwärme bzw. Abwärme aus Abluft und Abwasser.

Dieses Konzept propagiert auch Andrea Deplazes, Professor für Architektur und Konstruktion an der ETH Zürich, im Interview mit TEC21. Denn gute Wärmedämmung und die Einführung des Minergiestandards gehen seiner Meinung nach zwar in die richtige Richtung, müssten aber ergänzt werden durch ein Umdenken bei den genutzten Energieträgern. Es mache wenig Sinn, hochwertige Energie (so genannte Exergie) wie beispielsweise Elektrizität oder Erdöl für die Wärmeerzeugung zu verbrauchen. Statt dessen müsse hauptsächlich die auf dem Grundstück vorhandene Erdwärme
bzw. Abwärme dafür genutzt werden. Dieses Konzept bezeichnet Deplazes als «Low Ex Arch» – niedrige Exergie in Kombination mit energieeffizienter Architektur.

Eine wichtige Grundlage für energie- und gebäudetechnische sowie bauphysikalische Berechnungen und Nachweise sind Klimadaten. Das neue Merkblatt 2028, das wir in unserem vierten Fachartikel vorstellen, fasst die bisher auf einzelne Normen verteilten Daten zusammen und vereinheitlicht sie. Ein Vergleich der aktuellen Messdaten aus den Jahren 1984 bis 2003 mit den alten Daten der Periode 1961 bis 1980 zeigt deutlich zunehmende Temperaturen – höchste Zeit also, mit allen verfügbaren Strategien dem Klimawandel entgegen zu wirken.
Claudia Carle

[1] Bundesamt für Energie: Konzept der Energieforschung des Bundes 2008–2011, 2007

Inhalt

Wettbewerbe
Jugendherberge Basel St.Alban | 17. Schweizer Solarpreis

Magazin
Luxuriöse Monografie zu Glenn Murcutt | Cité de l’architecture, Paris | Neue Redak­tionsmitglieder TEC21 | Kurzmeldungen

Einfach effizient
Daniel Engler
Das neue Bürogebäude von Mövenpick Marché entstand innerhalb eines engen Kosten- und Zeitrahmens. Das Ergebnis ist sowohl aus ästhetischer als auch aus energetischer Sicht bemerkenswert.

Wärme gut genutzt
Lukas Denzler
Die Wohnüberbauung «Eulachhof» in Oberwinterthur setzt auf erneuerbare Energie sowie eine konsequente Wärmerückgewinnung aus Abluft und Abwasser.

Low ex arch
Judit Solt
Andrea Deplazes im Gespräch: Gedanken zu Sinn oder Unsinn von Energiestandards, aktuellen Sparbemühungen und innovativen Energiemodellen im Bauwesen

Neue Klimadaten
Gerhard Zweifel
Das neue SIA-Merkblatt 2028 liefert neue Klimadaten für bauphysikalische, energie- und gebäudetechnische Berechnungen.

SIA
Präsidentenkonferenz | Geschäftslage im 3. Quartal

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Einfach effizient

Vor zwei Jahren entschied die Restaurantkette Mövenpick Marché, dass ihre Verwaltung näher bei den zu Verwaltenden platziert werden sollte. So entstand an der Autobahn A1, direkt bei der Raststätte Kemptthal, ein bemerkenswertes Bürogebäude. Es wurde unter anderem mit dem diesjährigen Solarpreis ausgezeichnet.

Die Anlage des Gebäudes ist überaus einfach: Ein lang gestreckter, dreigeschossiger Baukörper, je ein Treppenhaus an beiden Enden. An der exakt nach Süden geöffneten, vollverglasten Längsseite befinden sich die Grossraumbüros mit davorliegenden Balkonen bzw. einer Terrasse im Erdgeschoss. Ein Bauherrenanspruch – direkter Ausgang ins Freie für jeden Arbeitsplatz – deckte sich hier mit der energetisch und raumklimatisch sinnvollen Abschattung der hoch stehenden Sommersonne. Der zwischen den beiden Treppenhauskernen liegende Raum auf der Nordseite nimmt Sitzungszimmer und Nebenräume sowie einige wenige Einzelbüros auf. Im Erdgeschoss werden in diesem Bereich Akten gelagert, da es keinen Keller gibt. Im angedockten und auch in der Fassadengestaltung speziell behandelten Eingangsbaukörper schliesslich befinden sich das Café, die Entsorgungsstation sowie drei Studios für übernachtende Besucher (Bilder 1 bis 4).

Einfaches Konzept – sorgfältige Gestaltung

Der grosse Termindruck – zwölf Monate von Planungsbeginn bis Einzug – erforderte gleich zu Beginn zwei Grundsatzentscheide: Massivbauweise kam nur punktuell in Frage, und auf einen Keller musste verzichtet werden. Davon und vom sehr engen Kostenrahmen haben sich die Architekten offensichtlich eher inspirieren denn einengen lassen. Ihre Strategie war, die Konzepte auf allen Ebenen (Statik, Konstruktion, Installation, Ausbau) absolut einfach zu halten. Als Gegengewicht dazu wurde auf eine sorgfältige Gestaltung Wert gelegt. Zudem wählte man einige wenige Elemente aus, die, wenn man so will, luxuriös, also mehr als das unbedingt Notwendige sein durften. Die Pflanzenwände für ein angenehmes Raumklima sind ein solches Beispiel, die Solarglas-Fassadenelemente, die rund das Doppelte eines normalen Fensterelementes kosten, ein anderes. Ansonsten wurde aus wenig sehr viel gemacht. Die Ausschreibung der Betontreppenhäuser zum Beispiel erfolgte ohne jede Anforderung an die Schalung. Da habe er, als er das Ergebnis zum ersten Mal erblickte, schon einmal leer schlucken müssen, gesteht der Architekt. Heute aber, im Licht der sehr einfachen, aber raffinierten Beleuchtung und unter einer dunkelroten Lasur, erscheint die grobe und unregelmässige Betonoberfläche überhaupt nicht billig (siehe inneres Titelbild).

Verteilung auf dem Dachboden

Weitere Kostendrücker: Wasser gibt es nur gerade im vorderen Treppenhaus sowie in den daran unmittelbar anschliessenden Räumen des Eingangsbaukörpers. Die Zentrale für Heizung, Warmwasser und Lüftung sowie die Solarstromsteuerung befinden sich im Dachraum über dem Treppenhaus, zugänglich lediglich über eine Standard-Auszugestrich­treppe. Auch das Konzept der Verteilung von Luft, Wärme und Medien ist von verblüffender Einfachheit. Die horizontale Verteilung erfolgt auf dem Boden des unbeheizten Dachraums. Und der Clou: Der gesamte Dachboden mitsamt den darauf verlegten Lüftungskanälen und Heizungsleitungen (Strom und Netzwerk liegen in aufgeständerten Trassen) wurde am Schluss knapp 30cm hoch mit Zelluloseflocken zugeschüttet. Müssen diese Installationen einmal gewartet werden, legt man sie frei und deckt sie anschliessend wieder zu. Die Weiterverteilung nach unten geschieht dann in Wandaussparungen (in der Nordwand) und in den voluminösen Stützen (Bild 5). Die Geschossböden selbst sind von der Medienverteilung (ausgenommen Bodenheizung) befreit, was neben einer Kostenersparnis auch die Flexibilität für die Nutzer erhöht.
Das Raster der Tragkonstruktion orientiert sich am Platzbedarf zweier Arbeitsplätze. Zusammen mit der Längserschliessung ergeben sich auf der Südseite 6.5 m × 4.0 m, auf der Nordseite 5.0 m × 4.0 m. Die eher geschlossenen Nord-, Ost- und Westfassaden sind tragend und steifen den Bau aus. Die beiden Treppenhäuser sind zwar in Beton erstellt, was aber auf den Anforderungen der Brandsicherheit und nicht auf statischer Notwendigkeit beruht. Im Gegenteil, aus akustischen Gründen sind sie von der Holzkonstruktion vollständig entkoppelt. Als Geschossdecken dienen Hohlkastenelemente, die wiederum zum Schallschutz mit Split beschwert sind.

Pflanzenwand und massgefertigte Möbel

Gleich beim Eintritt vom Treppenhaus in die Büroräume steht man neben einer grünen Pflanzenwand (Bild 6). Die 12 m² in jedem Geschoss verdunsten pro Tag etwa 30l Wasser – insbesondere im Winter ein willkommener Beitrag zu einem angenehmen Raumklima. Die Irritation, in einem Bürohaus ganz von Holzoberflächen umgegeben zu sein, hält nicht lange an. Zu wohl fühlt man sich in den unkompliziert wirkenden Räumen. Für die Auswahl der Materialien waren neben den Kosten ebenso ökologische und baubiologische Kriterien ausschlaggebend. Wände und Decken zeigen direkt die innerste Lage der Konstruktion (Dreischichtplatten). Der Boden hingegen ist in grossflächigen, dunkel geölten Duripanelplatten ausgeführt. Dieser Entscheid ist wie so viele andere auf die Budgetrestriktionen zurückzuführen. Er hat gewiss auch ein wenig experimentellen Charakter und wird sich im Alltag noch bewähren müssen. Für den Autor absolut erstaunlich: Obwohl die Bauherrschaft nicht bereit war, für die Einrichtung mehr auszugeben als für günstige Büromöbel ab Stange, schafften die Architekten das Kunststück, innerhalb dieses Budgets modulare, flexible und schöne Möbel in Buchensperrholz bei einem lokalen Schreiner anfertigen zu lassen. Sogar ein nützliches Extra lag noch drin: Die Rückwände der Schränke und Bücherwände wurden als Schallabsorber ausgebildet. Einige wenige Trennwände erhielten dieselbe Behandlung, und schliesslich tragen auch die jeweils oberhalb der individuellen Stehlampen angebrachten Reflexionsschirme zu einer angenehmen Akustik bei. Im Pausenraum gaben die Architekten dann noch einen drauf: Boden, Wände, Küchenkombination und Möbel sind alle aus Holz gefertigt und so stellt sich hier eine Art Schmuckkästchen-Effekt ein (Bild 7).

Energiekonzept

Das Gebäude ist Minergie-P-Eco-zertifiziert, es geht aber noch einen Schritt weiter. Die Urheber bezeichnen es als «bilanziertes Nullenergiehaus». Damit ist gemeint, dass die auf dem Dach installierten Solarzellen übers Jahr gesehen gleich viel Strom produzieren wie Heizung, Warmwasser und Lüftung sowie alle anderen Verbraucher (Beleuchtung, EDV, etc.) im selben Zeitraum benötigen. Der Strom wird ins allgemeine Netz eingespeist und der Verbraucherstrom wiederum von dort bezogen. Die Pufferfunktion des Elektrizitätswerks macht damit noch den Unterschied zu einem energetisch vollständig autarken Gebäude aus. Die amorphen Solarzellen (sog. Dünnfilmzellen) sind zwischen zwei Glasscheiben eingebettet und bilden eine grossflächig geschuppte Dachhaut, die elegant detailliert ist und die Schutzfunktion einer konventionellen Dacheindeckung übernimmt. Finanziert und betrieben wird die Anlage vom Elektrizitätswerk des Kantons Zürich (EKZ). Marché verpflichtete sich im Gegenzug, einen Viertel der produzierten Strommenge zum Solarstromtarif selber zu beziehen, der Rest wird über die Solarstrombörse weiterverkauft. Damit konnte die Bauherrschaft trotz der ökologischen Energieproduktion ihre Investitionsrechnung entlasten, sie musste sich lediglich im Umfang der Kosten einer konventionellen Dacheindeckung beteiligen.

Weiter gibt es die für ein Minergie-P-Haus selbstverständlichen Einrichtungen wie kontrollierte Lüftung mit Wärmerückgewinnung und Erdsondenwärmepumpe. Die U-Werte der opaken Hülle betragen zwischen 0.084 und 0.104W / m2*K. Die Fenster sind dreifachverglast, besitzen allerdings statt (teurer) hochgedämmter Passivhausprofile lediglich normale Holzrahmen. Ein relativ kleiner Rahmenanteil und die ansonsten optimalen Dämmwerte ermöglichten diese Einsparung. Rund die Hälfte der Südfassade ist mit GlassX-Elementen bestückt (siehe nachfolgender Artikel). Um trotz der Holzbauweise genügend Speichermasse anbieten zu können, wurde ein 80mm dicker Zement-Unterlagsboden eingezogen, der auch die Heizleitungen enthält. Darin lag ein weiteres Argument für den Bodenbelag in Duripanel: Die Wärmeübertragung zur darunterliegenden Speichermasse funktioniert besser als z. B. mit einem Parkett. Im Sommer können die Leitungen der Bodenheizung über die Erdsonde mit kühlem Wasser (minimal 18°C) gespeist werden.

TEC21, Mo., 2007.11.19

19. November 2007 Daniel Engler

Wärme gut genutzt

Die Wohnüberbauung «Eulachhof» im ehemaligen Sulzer-Areal in Oberwinterthur setzt neue Massstäbe im Wohnungsbau: Neben der konsequenten Nutzung der Wärme aus der Abluft und dem anfallenden Abwasser wurde eine gute passivsolare Nutzung der Südfassade angestrebt. Der auf dem Dach durch Solarzellen erzeugte Strom entspricht dem Jahresbedarf der benötigten Wärmepumpen und des Lüftungssystems.

Mit dem ehemaligen Industriegelände von Sulzer steht in Oberwinterthur ein grosses Grundstück für neue Nutzungen zur Verfügung. Nun sind unter dem Namen «Eulachhof» zwei Liegenschaften mit insgesamt 132 Wohnungen errichtet worden. Anfang November sind die ersten Mieter eingezogen. Die beiden Gebäude erfüllen die Anforderungen von Minergie-P-Eco und wurden mit dem diesjährigen Solarpreis ausgezeichnet.

Die Allreal AG als Totalunternehmerin und Projektinitiantin sowie die Investoren setzten bezüglich Energie die Latte hoch. So sollten etwa die Solarzellen über das Jahr gesehen so viel Strom liefern, wie zum Betrieb der Gebäude gebraucht wird. Das Resultat ist eine Nullenergiebilanz für die Raumwärme, das Warmwasser und die Lüftungsanlagen. Laut Dietrich Schwarz von der Zürcher Firma GlassX, die mit der Architektur der Überbauung betraut war, ist ein energetisch so ehrgeiziges Ziel nur mit einer Doppelstrategie zu erreichen. Zum einen gilt es, mit einer guten Isolation die Wärmeverluste zu minimieren, und zum anderen muss über die Südfassade die einfallende Sonnenenergie passiv genutzt werden. Folglich sind die beiden Hauptgebäude gegen Süden ausgerichtet; die Südfassaden sind energetisch optimiert und zu 60% mit Fenstern durchsetzt.

Ein wesentliches Element der Südfassade bilden die speziellen Solargläser, die von der Firma GlassX entwickelt wurden. Die transluzenten Paneele bieten einen doppelten Nutzen. Einerseits werden die Strahlen der hoch stehenden Sommersonne mittels eines Prismenschliffs hinter dem äusseren Glas reflektiert. Andererseits enthalten die Elemente mit (bei Raumtemperatur kristallinem) Salzhydrat gefüllte Kunststoffkammern. Diese wirken als Latentspeicher: An sonnigen Tagen wird die aus der einstrahlenden Sonne gewonnene thermische Energie beim Schmelzen der Salzkristalle erst einmal «eingelagert», um mit der Kristallisation bei kühleren Temperaturen wiederum – zeitverzögert – abgegeben zu werden. Die Speicherkapazität eines solchen Phasenwechselmaterials entspricht dem Zehnfachen von Beton und verhindert auf diese Weise eine Überhitzung der Innenräume. Der Einbau von Solargläsern ist mit Mehrinvestitionen verbunden. «Bei einer Gesamt­betrachtung geht die Rechnung aber auf», erläutert Schwarz. Die Spezialgläser führten zu keinen Zusatzkosten, weil die Isolation des Gebäudes etwas knapper kalkuliert werden könne. Zudem wirke sich der hohe Glasanteil positiv auf den zur Verfügung stehenden Raum aus. Laut Schwarz benötigen Minergie-P-Häuser in der Regel Aussenwände mit einer Gesamtdicke von rund 50cm. Das Solarglas ist hingegen lediglich 8cm dick.

Beim Eulachhof handelt es sich um den grössten Bau, bei dem solche Spezialgläser eingebaut wurden (1230 m²). Berechnungen für das bereits realisierte Alterswohnheim in Domat / Ems ergaben laut Schwarz dank dem Solarglas eine Verbesserung der Energiekennzahl um 40% im Vergleich zu einem Passivhaus. Andreas Baumgartner von der Firma Amstein Walthert, die beim Eulachhof für das Energiekonzept und die Haustechnik verantwortlich zeichnet, sieht den Vorteil der Solargläser vor allem beim besseren Komfort. Mit Messungen und Beobachtungen müsse nun aber gezeigt werden, wie gross ihr energetischer Nutzen unter realen Bedingungen in einem Mehrfamilienhaus sei. Im Eulachhof werde in den nächsten Jahren deshalb der Endenergieverbrauch erfasst und ausgewertet. Einen Kompromiss mussten die Planer bei den Balkonen eingehen. Zugunsten einer besseren Vermietbarkeit wurden diese nämlich recht grosszügig ausgestaltet. Durch die Balkonbeschattung gehen 15 bis 20% des möglichen Solargewinns verloren; ganz ohne Heizung geht es deshalb nicht.

Wärmerückgewinnung aus Abluft und Abwasser

Mit einer Wärmepumpe wird die nötige Heizwärme bereitgestellt, wobei für die Wärmerückgewinnung die Abluft der Wohnungen genutzt wird. Weil Vorlauftemperaturen von 28 °C genügen, ist die Wärmepumpe sehr effizient und erreicht eine Jahresarbeitszahl von über 5. Die beiden Gebäude sind zur Spitzenabdeckung ans Fernwärmenetz angeschlossen; die aus dem Netz der Kehrichtverbrennungsanlage bezogene Wärme (weitgehend erneuerbare Energie) entspricht ungefähr einem Viertel der Energie, die beim Verbrennen des durch die Bewohner produzierten Abfalls anfällt.

Das Warmwasser wird ebenfalls über eine Wärmepumpe bereitgestellt. Benützt wird hier das 23°C warme Abwasser, das in zwei zentralen Betontanks über einen Wärmetauscher geleitet wird. Weil das Warmwasser um rund 30°C aufgeheizt werden muss, erreicht die Wärmepumpe «nur» eine Jahresarbeitszahl von 3.5 bis 4. Für Andreas Baumgartner ist die Nutzung der Wärme aus dem Abwasser zukunftsweisend. Anlagen von dieser Grösse seien in der Schweiz bisher noch nicht realisiert worden. «Das Clevere an diesem Konzept ist, dass die Nachfrage nach Warmwasser parallel zur Menge des anfallenden Abwassers verläuft», sagt Baumgartner. Fliesst also viel Abwasser in die Sammelbehälter, wie dies erfahrungsgemäss etwa am frühen Freitagabend zwischen 17 und 19 Uhr der Fall ist, so steht die anfallende Wärme unmittelbar für die Aufbereitung des neuen Warmwassers zur Verfügung.

In der Überbauung «Eulachhof» ist derzeit keine Kühlung vorgesehen. Die momentan installierte Haustechnik könnte einen allfälligen Bedarf an Kühlleistung auch nicht befriedigen. Dies im Unterschied zu Erdsonden, die im Sommer auch für die Kühlung benutzt werden können. Aus Gründen des Grundwasserschutzes wären Erdsonden im «Eulachhof» jedoch nicht erlaubt; eine Kühlung müsste also ohnehin auf andere Weise erfolgen. Angesichts der Klimaerwärmung und möglicherweise häufiger auftretenden Hitzesommern könnte jedoch in Zukunft die Kühlung vermehrt auch in Wohngebäuden aktuell werden.

Für die Fotovoltaik gäbe es zweifellos bessere Standorte mit höherer Sonneneinstrahlung als in Winterthur: In Spanien wäre mit der gleichen Fläche Solarzellen mindestens eine zweifache Stromerzeugung möglich, sagt Baumgartner. Die installierten Solarzellen würden aber zur Sensibilisierung der Bewohner für erneuerbare Energien beitragen.

Normale Rendite erwartet

Neben der Auszeichnung «Minergie-P» erhält der «Eulachhof» auch das Eco-Label. Damit erfüllt der Bau besondere Anforderungen in den Bereichen Bauökologie und Gesundheit (s. Kasten S. 30). Dietrich Schwarz beurteilt das neue Label sehr positiv. Ein vernünftiger Einsatz der natürlichen Ressourcen sei ein Gebot der Stunde und die Einschränkung bei den Materialien sei aus architektonischer Sicht nicht so gravierend, weil Alternativen zur Verfügung stünden. Auch bei Allreal habe man damit sehr positive Erfahrungen gemacht, sagt Martin Hofmann. Die Zusatzkosten hielten sich im Rahmen, und bei einigen Baumaterialien existierten ohnehin keine Preisunterschiede. Der verwendete Recyclingbeton sei beispielsweise nicht teurer gewesen als konventioneller.

Mit dem «Eulachhof» konnte gezeigt werden, dass eine energiesparende und ökologische Bauweise auch bei Mietwohnungen möglich ist. Hofmann schätzt, dass der Minergie-P-Standard die Investitionskosten um 10 bis 12% erhöhte. Die Mehrkosten würden durch die deutlich tieferen Energiekosten jedoch über die Zeit wettgemacht Tatsächlich sind die Mieten für die Wohnungen moderat; für eine 4.5-Zimmer-Wohnung sind 1980 Fr. bis 2130 Fr. zu bezahlen (inkl. Nebenkosten). Die beiden Investoren – die Allianz Suisse und die Profond Vorsorgeeinrichtung – gehen davon aus, mit den beiden Wohnhäusern langfristig die üblichen Renditen erzielen zu können. Und das wäre eine sehr erfreuliche Nachricht: nämlich, dass energieoptimiertes und ökologisches Bauen nicht mehr zwingend weitsichtiger Pioniere und Idealisten bedarf, sondern marktfähig geworden ist.

TEC21, Mo., 2007.11.19

19. November 2007 Lukas Denzler

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