Editorial

Wer ein Theater oder Konzert besucht, lässt sich nicht nur von der Darbietung in eine andere Welt verführen, sondern gerne auch vom Raum. Deshalb sind Auditorien, Theater- und Konzerthäuser etwas Besonderes und nicht selten ein Schmuckstück, mit dem sich eine Stadt kulturelle und städtebauliche Bedeutung verleiht. Grössere Städte haben meistens historische Konzerthäuser, die erweitert und ergänzt werden, andere positionieren sich durch einen Neubau oder werten brachliegende Bausubstanz durch eine Neu- oder Umnutzung auf.

Im vorliegenden Steeldoc zeigen wir eine ganze Reihe verschiedener Lösungsansätze. Den Auftakt gibt die neue Philharmonie in Luxembourg. Dieser muschelförmige, strahlend weisse Solitär des Architekten Christian de Portzamparc ist ein Neubau, der anlässlich der Feierlichkeiten zur diesjährigen Kulturhauptstadt Europas eingeweiht wurde. Ein Säulenwald filigraner Stahlstützen umspannt den Innenraum und taucht ihn in ein farbiges, diffuses Lichtspiel. Auch die Stadt Wien ist um ein kulturelles Monument reicher geworden. Die legendäre Stadthalle aus dem Jahre 1958 wurde um einen Neubau der Architekten Dietrich und Untertrifaller erweitert, der sich dem dominanten Betonbau als klar geschliffener Kristall aus Stahl und Glas gegenüberstellt. Entstanden ist ein neues Ensemble als Wahrzeichen einer neuen selbstbewussten Musik- und Eventszene. Ein Manifest des Genius Loci haben junge spanische Architekten in der Provinz Almeria in eine karge Landschaft eingebettet. Das Kulturzentrum von Nijar ist eine homogene Stahlskulptur, die inwändig farbenfroh inszeniert ist und sich dem Raum einer faszinierenden Landschaft öffnet. Ein Umnutzungsprojekt stellen wir mit dem Auditorium der Fachhochschule Brandenburg vor. In eine ehemalige Kaserne aus Ziegelsteinmauerwerk wurde eine klare Stahlstruktur eingestellt, um das Gebäude als Vorlesungs- und Veranstaltungsraum zu nutzen. Das letzte Bauwerk steht an der Französischen Nordseeküste im Ort Dunkerque. Auch hier wurden bestehende Bauten und ein neuer Stadtsaal aus Stahl in einem neuen Ensemble für eine lebendige Kulturszene gefasst.

Die Beispiele zeigen die vielfältige, flexible und kreative Verwendung des Baustoffs Stahl auf, insbesondere für grosse Spannweiten und funktionale Räume, bei denen auch die Unterbringung von technischen Anlagen eine Rolle spielt. Selbstverständlich zeigen wir wiederum anhand von Detailplänen und Bildern auf, wie die Tragstruktur und Konstruktion der Projekte gelöst wurde. Wir wünschen viel Vergnügen und Anregung bei der Lektüre der folgenden Seiten von Steeldoc.

Inhalt

03 Editorial

04 Philharmonie Luxembourg
Filigrane Partitur in Weiss

10 Stadthalle Wien
Kristalliner Schliff

16 Kulturzentrum Nijar,Almeria
Farbraum für ein karges Land

22 Auditorium Fachhochschule Brandenburg
Frischer Wind in alten Mauern

26 Kursaal Dunkerque
Zwischen Meeresbrise und Stadtluft

31 Impressum

Farbraum für ein karges Land

Auf geschwungenen Strassen durchquert man die karge Landschaft des Naturparks von Gabo de Gata östlich von Almeria, um den kleinen Ort Nijar zu erreichen. Hier liegt inmitten von Feldern und andalusischen Häusern ein Kulturzentrum, das durch seine Abstraktion und Farbintensität eigentümlich fremd und doch dem Ort verbunden scheint.

Der Ort Nijar liegt just ausserhalb der geschützten Zone des Naturparks Gabo de Gata. Landwirtschaftliche Gewächshäuser prägen hier das Landschaftsbild. Der Weg endet auf einer Höhe von 356 Metern über Meer auf den Ausläufern der Berge, wo das intensive Sonnenlicht die Häuser zu absorbieren scheint. Zwischen den terrassierten Feldern und den kalkweissen Häusern, welche die Landschaft übersäen, empfängt das Kulturzentrum Nijar den Besucher als gehörte es nicht in diese Zeit. Irgendwie erinnert es an die Kraft der maurischen Festungstürme, die noch heute die Küstenzone Andalusiens prägen, und ist doch ein Manifest der reduzierten, aber intensiven zeitgenössischen Architektursprache Spaniens.

Die Architekten Morales, Giles und Mariscal sprechen in ihrem Buch «A favor de una arquitectura instalada» von einer Auseinandersetzung mit der Integration in einen Ort, der vom «Genius Loci» lebt. Das Grundstück liegt inmitten der alten Gärten von Nijar. Die beiden leichten Baukörper stehen auf einem halb in den Fels gegrabenen gemeinsamen Sockel, als ob sie kaum den Boden berührten. Die sklupturale Form unterstreicht die Stärke und Eleganz, mit welcher sich der Neubau in seine Umgebung fügt.

Auf der einen Seite der gleissende Horizont des Mittelmeers, auf der anderen Seite die kargen Bergketten der andalusischen Wüste – dieses Naturspektakel wurde vom Gebäude visuell und räumlich eingefangen. Das harmonische, leichte und gleichzeitig von der strukturellen Reinheit einer Architektur von Mies van der Rohe bestimmte Projekt findet durch den Dialog mit der Umgebung seine angemessene Dimension. Eine auf den Menschen zugeschnittene Massstäblichkeit lädt dazu ein, sich über einen geheimnisvollen Hof zu nähern, einzutreten und das Innere zu erforschen und zu nutzen. Dieser Dualismus von geheimnisvoller Anziehung und Fremdheit macht das Projekt interessant und verleiht ihm Kraft. Die elegante Reinheit und Einfachheit seines Äusseren steht im Gegensatz zur Explosion der Farben, die das Innere prägen. Es bestehen zwei Strukturen nebeneinander, eine verschmilzt mit dem Grundstück, die andere hebt zwei leichte Bauvolumen hervor. Die Dualität besteht auch im Raumprogramm, das zwei Arten von Nutzungen nebeneinander bestehen lässt: eine für den Tag (Übungsräume, Büros und Ausstellungsräume), die andere für den Abend (Kino, Theater, Tanzsaal und Bar). So wurde die Nutzung zwei Baueinheiten zugeordnet. Der Sockel, der sie verbindet, beherbergt die gemeinsamen Funktionen wie Garderoben, Toiletten und Diensträume.

Ein dreiteiliges Stahlskelett bildet die volumetrische Armatur. HEB-Stützen, INP-Träger und röhrenförmige Diagonalen bilden ein Zimmerwerk, welches gewichtige Auskragungen erlaubt. All diese Profile bestehen aus S275JR-Stahl. Die volumetrischen Auskragungen bestehen aus einer ersten Reihe von freitragenden INP-500-Trägern, welche transversal ohne Zwischenabstützung montiert sind. Senkrecht dazu und unabhängig von der Primärstruktur formt ein zweites Gitternetz von dreieckigen Kassettenträgern die Zwischenstruktur dieser Volumen.

Die Tragstruktur wird durch Profilblechplatten, ohne Armierung in den unzugänglichen Bereichen des Daches und armiert in den übrigen Bereichen, ergänzt. Auf dem Stahlskelett sind die verschiedenen konstitutiven Schichten der Hülle bis zur sichtbaren Aussenhaut befestigt: zuerst die Verbundplatten, welche an den Fassaden und der Deckenstruktur befestigt sind, dann die Wärmeisolation aus Polystyrol und schliesslich die durchlässige Metallschicht, die aus einem Maschengitter besteht. Letztere ist in Platten von 250 x 80 cm zugeschnitten, die am sekundären Gerüst befestigt und von allen Seiten des Bauwerks um 15 cm abgehoben sind. Dieses Metallnetz bildet einen durchgängigen Mantel, der sich auf allen Fassaden und auf dem Dach fortsetzt.

In den Innenräumen wird dieses Konzept eines durchgehenden Mantels fortgesetzt. Die fertigen Oberflächen bestehen aus feuerfesten Faserplatten, die mit Melanin in lebhaften Farben beschichtet sind. Im Eingangsbereich besteht die Eindeckung aus einem verzinkten Stahlblech, um das Licht zu reflektieren. Schliesslich wurden die verschiedenen Nebenräume im Innern in kleinen Volumen aus Stahl und Glas untergebracht, um die Wahrnehmung des grossen farbigen Innenraums nicht zu beeinträchtigen. Über 200 Tonnen Stahl wurden verwendet, damit nun der Vorhang aufgehen und das Schauspiel beginnen kann.

Steeldoc, Do., 2007.07.26

26. Juli 2007 Sergio Baragaño Cachón



verknüpfte Bauwerke
Kulturzentrum Nijar

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