Editorial

Meist sind es die kleineren Bauaufgaben im Freundes- und Bekanntenkreis, bei denen junge Architekturbüros zum Zuge kommen. Neben dem vielen »Schwarzbrot«, den Um-, An- und Ausbauten, gibt es nur wenige Gelegenheiten, jugendliche Energien auszutoben. Darum gilt es, jeden Wettbewerb zu nutzen, zu dem auch »No-Names« zugelassen sind. Auslober, die explizit auf die Vielfalt der Ideen setzen, experimentieren mitunter ganz gerne mit den unkonventionellen Ansichten der Berufseinsteiger. Und das Spektrum unterschiedlichster Ansätze ist breit gefächert: Den strukturell Planenden stehen frei Assoziierende gegenüber, den Geradlinigen die Unbefangenen. Während die einen kompromisslos ihre gestalterische Haltung durchsetzen, verhalten sich andere so überkorrekt gegenüber den Vorgaben, dass sich allein daraus schon planerische Ansätze generieren lassen. ge

Inhalt

Diskurs

03 Kommentar: Auch das Volk irrt, wenn man es vor die falsche Wahl stellt | Volkwin Marg
06 Magazin
12 On European Architecture: Picture Perfect: Amercia's cup building | Aaron Betsky
14 Im Blickpunkt: Vier neue Museumsbauten in Madrid | Klaus Englert

18 Schwerpunkt
Junge Architekten

19 Zum Thema – Gedanken zur Selbstpräsentation junger Architekten | Kristien Ring
20 Bar in Berlin und Feinkostmarkt in Essen von ROBERTNEUN™ | Franziska Eidner
28 Erweiterung Stadtmuseum Ljubljana und Wohnbauten in Slowenien von OFIS arhitekti | Mateja Medvedic
36 Parkhaus in coesfeld-Lette von Birk und Heilmeyer | Karl Kegler
42 Umbau einer WerkstattHalle zum Wohnatelier von Günther & Schabert | Michaela Busenkell
48 Domsingschule in Stuttgart von no w here Architekten | Petra Bohnenberger
54 Wohnhaus in Möriken (CH) von KEN Architekten | Carmen Eschrich

Empfehlungen

60 Kalender
60 Ausstellungen
- Die Stadt von morgen (Berlin) | Urte Schmidt
- Friedrich Wilhelm Kraemer (Braunschweig) | Ulrich Höhns
62 Neu in...
- Vigo (E) | Francesco Pagliari
- Wiesbaden | Marc Peschke
- Stuttgart | Christine Fritzenwallner
64 Bücher

Trends

66 Energie: Energieeffizientes Bauen durch das Netzwerk Architos | Christoph Gunßer
72 Technik aktuell Hochschule: Möbel aus Textilbeton | Ingo Bergmann, Christiane Feger
76 Ökonomie: Freiburger Solarfonds | Gudrun Escher
78 Produkte
- Brandschutz, Schallschutz, Sanierung | rm
- Die Mailänder Möbelmesse | uk
86 Schaufenster: Büromöbel | rm
90 Schwachstellen: Dachterrassen – Gefälle und Entwässerung | Rainer Oswald

Anhang

96 Autoren
97 Bildnachweis
98 Vorschau / Impressum
Detailbogen
99 Stuttgart: Domsingschule
102 Coesfeld-Lette: Parkhaus

Reinfahren, Parken, Rausfahren

Der erste Bau des Büros Birk und Heilmeyer verbindet ein geschicktes Erschließungskonzept mit bewusster Zurückhaltung nach außen. Verantwortlich für das Gelingen ist neben dem jungen Architektenpaar auch ein aufgeschlossener Bauherr, der mit einem ungewöhnlichen Wettbewerbsverfahren Architekturabsolventen eine Chance gab.

Der Firmensitz des Textilunternehmens Ernsting's-family im münsterländischen Coesfeld-Lette zeichnet sich durch ein Ensemble hochwertiger Architektur aus. Mitte der achtziger Jahre setzte das Unternehmen Maßstäbe im Gewerbebau, als es für sein Vertriebs-Center, einer Halle von knapp 19  000 Quadratmetern Geschossfläche, einen Architekturwettbewerb auslobte, den die Bürogemeinschaft Reichlin, Reinhard, Calatrava gewann. Die auffallenden Falttore Calatravas wurden damals in vielen Architekturzeitschriften publiziert. 1999 und 2000 kamen, gleichfalls nach Wettbewerben, weitere hochwertige Bauten hinzu: die Erweiterung des Vertriebs-Centers durch das Kölner Büro Johannes Schilling und der Bau eines Service-Centers durch den Londoner Architekten David Chipperfield. Die jüngste Ergänzung dieses Firmencampus, ein Parkhaus mit 500 Stellplätzen, erfolgte durch das junge Architekturbüro Birk und Heilmeyer aus Stuttgart, das mit diesem Projekt seinen ersten Bau überhaupt realisierte.

Hell, offen, übersichtlich

Selbstbewusst und zugleich selbstverständlich ergänzt das Parkhaus das Miteinander der bestehenden Bauten. Das lang gezogene, schlichte Volumen ist in zwei drehsymmetrische Baukörper gegliedert, die durch eine Fuge getrennt sind. Durch die Baukörper hindurch laufen zwei Parkrampen nach dem Prinzip einer doppelläufigen Wendeltreppe. Die Rampen sind auf drei Ebenen mittig miteinander verbunden, was einen einfachen Wechsel ermöglicht. Die Länge des Parkhauses von 127 Metern gestattet eine angenehme Steigung von 3,2 Prozent.

Im Inneren ist das Parkhaus hell und übersichtlich, dazu trägt auch die mit 3,06 m vergleichsweise großzügige Geschosshöhe bei. Die Parkrampen sind von zwei Seiten natürlich belichtet und belüftet. Die Fuge zwischen den Baukörpern nimmt Treppen auf und erhellt die Innenseite der Parkdecks. Um möglichst viel Licht einzulassen und auch formal die Trennung der Baukörper zu verdeutlichen, sind die in der Fuge angeordneten Treppen und Überfahrten aus Gitterrosten gebildet. Die Fassade besteht aus einer Lattung aus Kanthölzern von 4 cm Breite und 10 cm Tiefe und hat einen Öffnungsanteil von 70 Prozent. Das Grundmodul des Fassadenrasters (13 cm) ist aus der Breite eines Parkplatzes (2,60 m) und dem Achsmaß der Stahlverbundkonstruktion (5,20 m) entwickelt. Insgesamt ist das konstruktive System auf einen hohen Vorfertigungsgrad ausgelegt. Auf die Stahlkonstruktion wurden Betonfertigdecken gelegt und mit Beton ausgegossen, alle übrigen Verbindungen konnten geschraubt werden.

Das effiziente System aus Parkrampen, das zusätzliche Auffahrten überflüssig macht, ermöglichte es den Architekten, die geforderte Zahl an Parkplätzen im hinteren Teil des L-förmigen Grundstücks anzuordnen und so einen respektvollen Abstand zum Vertriebs- und Service-Center einzuhalten. Das Parkhaus sollte sich nicht in den Vordergrund drängen. Die Kubatur des klar definierten Baukörpers wird durch die aufsteigenden Rampen bestimmt. Die schlichte, zurückgenommene Holzfassade zwischen hohen Bäumen vermittelt zwischen den Büro- und Gewerbebauten auf der Ostseite des Gebäudes und dem Wohngebiet aus Einfamilienhäusern, das auf der Westseite angrenzt. Je nach Abstand und Blickwinkel lassen die Holzlamellen den Baukörper zu einem geschlossenen Volumen zusammentreten oder eröffnen Einblicke auf die Parkdecks. Von innen erlaubt die offene Fassade den Ausblick auf den Vorbereich, der wie das übrige Firmengelände parkartig ausgestaltet wird. Die gewählten Materialien – Holz, dunkelgrau gestrichener Stahl und Beton – erzeugen einen unaufgeregten farblichen Dreiklang. Wer als Gast zuerst in das Firmenparkhaus einfährt, erlebt dieselbe Materialpalette aus Holz, Stahl und Beton, wenn er später in das Service-Center von David Chipperfield eintritt. Helligkeit, Offenheit und Übersichtlichkeit des Parkhauses vermeiden alle negativen Assoziationen, die häufig mit diesem Bautyp verbunden sein können – Ein Eindruck, der Bauherrn und Architekten auch deshalb wichtig war, da ein Großteil der Belegschaft aus Frauen besteht.

Gelungene Nachwuchsförderung

Die Realisierung des Parkhauses in Coesfeld-Lette durch das junge Büro ist die Folge eines ungewöhnlichen Wettbewerbs. Im Dezember 2003 lobte Ernsting's-family einen Wettbewerb unter allen Architekturdiplomanden der Jahre 2002 und 2003 aus, die ihren Abschluss mit einer Note besser als 2,0 erreicht hatten. Von hundertfünfzig Bewerbern wurden aufgrund der eingereichten Diplomarbeiten in einer ersten Phase fünfzig ausgewählt, die zur Bearbeitung des Wettbewerbs eingeladen wurden. In der zweiten Phase erreichten Stephan Birk und Liza Heilmeyer den ersten Platz und wurden mit der Realisierungsplanung beauftragt. Bauleitung und Kostenplanung wurden – auf Wunsch des Bauherrn – in die Hände des Büros Pfeiffer/Ellermann/Preckel gelegt, das sich in größerer Nähe zu Lette befindet.

Für die Preisträger, die zum Zeitpunkt der Wettbewerbsentscheidung Ende 2004 beide im Büro Norman Foster in London beschäftigt waren, war der gewonnene Wettbewerb der Auslöser für den Entschluss, nach Deutschland zurückzukehren und in Stuttgart ein eigenes Büro aufzubauen. Das erste eigene Projekt war Chance und Herausforderung zugleich. Die Zusammenarbeit mit dem Mitarbeiterstab der Ernsting's-Bau-&-Grund und mit Firmengründer Kurt Ernsting, der bei den meisten Baubesprechungen persönlich dabei war, bedeutete die Auseinandersetzung mit einem Auftraggeber, der viel Sinn für architektonische Gestaltung und eine große Erfahrung aus eigenen Projekten einbrachte, aber auch bis ins Detail schlüssige und optimierte Lösungen einforderte. Gestalterische Qualität, so die Überzeugung des Unternehmens, ist nicht allein eine Frage der Ästhetik, sondern lässt sich auch in wirtschaftlichen Erfolgen messen: In einem hochwertigen Arbeitsumfeld sind die Mitarbeiter motivierter und machen weniger Fehler.

Der Zusammenarbeit kam zugute, dass der Bau gegenüber dem Wettbe-werbsentwurf nur wenig verändert werden musste – ein Gesichtspunkt, der sowohl für die Qualität des Entwurfs als auch für das Verfahren spricht. Birk und Heilmeyer konnten ihren Auftraggeber auch von der Machbarkeit der vorgeschlagenen Holzfassade überzeugen, der man anfänglich leicht skeptisch gegenüberstand. Die Kanthölzer aus Douglasie haben einen ersten Schutzanstrich erhalten, sollen aber mit der Zeit natürlich altern können und eine silbergraue Färbung entwickeln. Für diese Behandlung konnten die beiden Architekten auf Erfahrungen aus der Schweiz verweisen. Eine der wenigen nachträglichen Ergänzungen stellt das Falttor an der Einfahrt des Parkhauses dar. Es nimmt ein Architekturmotiv auf, das sich nun in dreifacher Variation auf dem Firmencampus findet: Neben den bekannten Einfahrten Calatravas weist auch die Erweiterung des Vertriebs-Centers durch Johannes Schilling diese markanten Falttore auf.

Der erst seit Kurzem fertiggestellte Bau wurde bereits mehrfach ausgezeichnet, unter anderem Anfang 2007 mit dem Stuttgarter Weißenhof-Architekturförderpreis und im Juni 2007 mit einer Auszeichnung durch den BDA Münster. Diese Preise helfen, aber der Start in die Selbstständigkeit ist trotzdem nicht einfach. Dass der erste Bau ihres Büros nun ein großes Parkhaus darstellt, ist, wie Stephan Birk einräumt, vielleicht etwas ungewöhnlich, »... wir würden allerdings jederzeit wieder eins bauen wollen, die Aufgabe ist wunderbar klar: Reinfahren, Parken, Rausfahren.«

db, Sa., 2007.06.30

30. Juni 2007 Karl R. Kegler



verknüpfte Bauwerke
Parkhaus

Inspirierende Einschränkungen

Slowenien, das kleine Land am Schnittpunkt zwischen Ost-, Süd- und Mitteleuropa, macht mit einer Generation junger Architekten auf sich aufmerksam, die jene Lücken zu füllen wissen, welche der Zerfall Jugoslawiens aufgerissen hatte. Mit dabei sind seit einiger Zeit Ofis arhitekti. Restriktive Rahmenbedingungen betrachten sie nicht als Störung ihrer Kreativität, sondern erheben sie zu hehren Leitlinien ihrer Arbeit – historischer Bestand oder Sozialer Wohnungsbau, je komplexer die Aufgabe umso besser.

Das Palais Auersperg inmitten des denkmalgeschützten Zentrums der slowenischen Hauptstadt Ljubljana, um 1650 erbaut, wurde im Laufe der Jahrhunderte immer wieder von Grund auf umgestaltet. 1998 beschloss das im Hause residierende Stadtmuseum, das Gebäude bedürfe einiger größerer baulicher Veränderungen, um den Ansprüchen des Museumsbetriebs gerecht zu werden. Das über Jahre entstandene Labyrinth aus kleinen, oft unzusammenhängenden Raumfolgen und seine sackgassenähnliche Erschließung boten als Ausstellungsraum kaum Möglichkeiten. Die Anforderungen des im Folgenden ausgeschriebenen Wettbewerbs lauteten dementsprechend, den Bestand »aufzuräumen«, das alte Palais zu sanieren und im Hof an eine Blendfassade einen Anbau anzufügen. Die Ausschreibung barg jedoch einige diffizile Herausforderungen, denn die Archäologen vermuteten im Boden historische Überreste, ohne deren Art oder Lage voraussagen zu können. Als entwerferisches Puzzle bot sich daher folgende Situation: ein Sanierungsobjekt der höchsten Denkmalschutzstufe, eine unbekannte aber heikle Befundlage im Untergrund und ein Bauherr, der wünschte, die vermuteten Ausgrabungsergebnisse innerhalb des musealen Kontextes zeigen und mit der übrigen Ausstellung vernetzen zu können.

Das junge Büro Ofis arhitekti fand mit seinem Siegerentwurf eine ebenso simple wie einleuchtende Lösung; eine Spirale, die sich aus dem archäologischen Grabungsfeld im Untergeschoss hinauf ins Erdgeschoss windet, die Funde damit sicht- und erlebbar macht und in den Rest des Gebäudes einbezieht. Als Dach über dem ersten Spiralabschnitt erhebt sich aus der Hofebene eine gepflasterte Rampe und führt zum ersten Stockwerk hinauf, wo sie scheinbar in einen Balkon über dem Foyer des Altbaus übergeht.

Das Motiv der Spirale begleitet den Besucher durch die Ausstellungsbereiche im Inneren des Palais in Form einer abgehängten Decke, die den Schwung der Rampe durch das gesamte Museum weiterführt. In dieser Decke ist die gesamte Haustechnik wie Elektroleitungen, Sprinklersysteme, Belüftung und Beleuchtung unauffällig integriert. Diese durchgängige Gestaltung wirkt wie ein geschichtliches Band, entlang dessen der Besucher die vielschichtigen Zeugnisse der Stadtgeschichte erlebt, über die das Palais und sein Untergrund selbst beredt Auskunft geben, – eine Zeitreise, die von der prähistorischen über die römische Zeit, Mittelalter und Barock bis in die Gegenwart reicht.

Die Stärke des Entwurfs liegt darin, dass die Struktur flexibel genug ist, sich den archäologischen Bedingtheiten anzupassen, ohne dabei ihre Aussagekraft zu verlieren. Keines der Fundamente beeinträchtigt die unschätzbaren archäologischen Funde, die selbst während der Bauzeit nicht ausgelagert wurden, kein einziger Stein wurde entfernt oder verrückt. Im etwa ¬einen Meter unter der Geländeoberfläche gelegenen Museumscafé wurden sogar die original mittelalterlichen Pflastersteine als Bodenbelag verwendet. Von zart geschwungenen Glaswänden umgeben kann man hier den Blick auf die Arkadenreihen des Palais Auersperg genießen oder ihn weiter auf die Überreste einer römischen Straße einige Meter tiefer schweifen lassen.

Was verblüfft, ist, mit welcher Selbstverständlichkeit und Klarheit sich die Spirale, in Glas, Beton oder auch Metall verkleidet in den historischen Rahmen einfügt. Diese klare und maßvolle Detaillierung der Innenräume wäre eines erfahrenen Architekten würdig. Die zugleich bescheidene und auch mutige Gestaltung ist das Resultat der konsequenten und vollständigen ¬Akzeptanz aller einschränkenden Auflagen seitens der Bauherren.

Aufsteiger

Rok Oman und Špela Videcnik, beide Absolventen der Architekturschule in Ljubljana, gründeten 1996 das Büro Ofis Arhitekti. Noch bevor sie 2000 ihr Aufbaustudium an der AA in London abschlossen, waren sie schon durch einige gewonnene Wettbewerbe bekannt geworden. Seither haben sie nicht nur national, sondern auch international Anerkennung erfahren und sich einen Namen gemacht. Im Januar dieses Jahres wurde ihr Sozialwohnungsprojekt »30 apartments« an der slowenischen Küste für den Mies van der Rohe Preis nominiert, 2006 siegten sie im European Grand Prix for Innovation, 2005 bekam ihre Villa in Bled eine Anerkennung bei der Biennale in Miami. Und schon 2004 war die Architectural Review bei den AR D awards voll des Lobes über ihr Stadtmuseum Ljubljana.

Die Anfänge des Büros datieren in die gleichwohl spannende wie auch schwierige Aufbruchszeit Mitte der neunziger Jahre, als sich die ehemaligen jugoslawischen Republiken wirtschaftlich wie kulturell neu orientieren und mitunter ganz von vorn anfangen mussten. In dieser Zeit schlossen viele ehemals auch durch staatliche Förderung etablierte große Architekturbüros oder verkleinerten sich radikal. Hier bot sich für jüngere Architekten Raum, bei Wettbewerben zu reüssieren. Oman und Videcnik konnten in solchen Wettbewerben die Juroren häufig mit originellen Gedankengängen und klaren Konzepten beeindrucken.

In den letzten zehn Jahren haben sie so viele Erfahrungen im Umgang mit den unterschiedlichsten Auftraggebern, vom privaten Bauherrn über Gewerbetreibende bis hin zu staatlichen Stellen und deren jeweils sehr eigenen Abläufen, Kostenrahmen und Problemstellungen machen können.

Womöglich resultiert daraus die sehr eigene Methodik des Büros, die auch seine Eigenart ausmacht. Wie sie selbst sagen, suchen sie bei jeder Bauaufgabe immer den Kernpunkt der Ausschreibung, die einschränkenden Bedingungen. Statt diese zu missachten, werden sie als entwurfsbestimmendes Element inszeniert, wortwörtlich »befolgt« und – wenn möglich – sogar überzeichnet. In diesem Sinne ist ihr Tun sogar subversiv, indem »Gehorsam« als kreatives »Arbeitsinstrument« interpretiert und seine Grenzen exzessiv ausgelotet werden. Aus einer architektonischen Zwangsjacke wird dann plötzlich ein Abendkleid.

Weniger ist mehr – neu interpretiert

So geschehen beim öffentlich geförderten Wohnungsbauprojekt »650 apartments« für den Slowenischen Wohnbau-Fonds: Verständlicher Wunsch des Bauherrn war es, so viele Quadratmeter Wohnfläche auf dem Grundstück unterzubringen wie nur eben zulässig und möglich. Die Architekten sahen dies als Herausforderung an, ihrem Auftraggeber noch mehr zu geben als er verlangt hatte. Auch in Slowenien ist der Soziale Wohnungsbau von starren Vorgaben und Regularien geprägt, die wenig Spielraum für architektonischen Ausdruck oder Experimente lassen. Auf der Suche nach dem »Mehr« an möglichem Raum entdeckten Ofis arhitekti die Außenhaut als den einzig nicht durch Vorgaben reglementierten Bereich des Gebäudes. Sie entwickelten eine »zweischichtige« Fassade und teilten den Zwischenraum abwechselnd in Wintergärten, Loggien oder Terrassen, was dem Bauherrn zusätzliche 15  000 Quadratmeter Wohnfläche einbrachte. Architektonischer Einfallsreichtum bis zum Äußersten getrieben, resultierte in einer Fassade, die, einer Laubsägearbeit ähnlich, hell, farbenfroh und zeitgenössisch daherkommt. Bei einem ganz ähnlichen Sozialwohnungsbauprojekt in der Küstenstadt Izola konnten sie das Konzept ein weiteres Mal umsetzen. Den Wettbewerb gewannen sie, weil sie wiederum den meisten Wohnraum für die geringsten Kosten anbieten konnten, auch hier bot einzig die Fassade Freiraum für Experimente.

Ein ganz anderes Projekt, die Erweiterung einer Villa in Bled, stellte die Ofis arhitekti vor eine auf den ersten Blick nicht lösbare Aufgabe. Die Wohn¬fläche einer denkmalgeschützten Villa aus dem 19. Jahrhundert inmitten eines als nationales Kulturerbe geschützten und mit strengen Auflagen versehenen Gebietes sollte verdoppelt werden – natürlich unter Erhalt der freien Sicht auf den See. Die Auflagen buchstäblich befolgend, entdeckten die Architekten, dass der einzig »diskret antastbare« Bereich unterhalb des ¬Gebäudes lag. Das Ergebnis ist ein atemberaubendes Glasband unterhalb des Altbaus – eine reichlich dreiste Tat, die dennoch nahezu unsichtbar bleibt.

db, Sa., 2007.06.30

30. Juni 2007 Mateja Medvedic



verknüpfte Bauwerke
Stadtmuseum Ljubljana



verknüpfte Akteure
Ofis arhitekti

Raffiniertes Understatement

Zwischen Club und Einkaufsmarkt: Anlässlich des Auftrags zur Umgestaltung eines Delikatessmarktes im Jahr 2000 gegründet, überzeugt das Berliner Drei-Mann-Büro Robertneun durch minimalistische aber effektvolle Lösungen bei Um- und Ausbauprojekten.

Auf dem Dach des »Haus des Reisens« am Berliner Alexanderplatz ist der Umbau bereits abgeschlossen, während er auf dem Platz selbst noch im Gange ist. Thomas Baecker, Nils Buschmann und Tom Friedrich, Inhaber des Büros Robertneun, lehnen sich auf der Dachterrasse entspannt zurück und genießen den Ausblick, 15 Stockwerke tief. Die von ihnen gestaltete Terrasse und die darunter gelegene minimalistische Tanz-Blackbox des »15th Floor« sind Ableger des Clubs »Week-End«, drei Stockwerke tiefer. Das Week-End zählt seit seiner Eröffnung vor zweieinhalb Jahren zu den angesagtesten Orten nicht nur im Berliner Nachtleben, sondern auch in der lokalen Baukulturszene. Vor Kurzem wurden die Architekten von Robertneun dafür mit dem Architekturpreis Berlin ausgezeichnet. Als »überlegt« und »zielsicher« lobte die Jury die minimalistische Clubarchitektur. Und tatsächlich fällt beim Betreten des 400 Quadratmeter großen Clubs vor allem die Klarheit des Raumes auf. Hier drängt sich Design nicht in den Vordergrund, wohl wissend, dass neben dem nächtlichen Berliner Stadtpanorama sowieso kaum ein noch so raffiniertes Gestaltungselement eine Chance hätte. Auf den zweiten Blick offenbart sich die gestalterische Reduziertheit als elegantes Understatement: Die Wände und sämtliche Einbauten des ehemaligen Bürotraktes sind in abgestuften Schwarz- und Grautönen gestaltet. Das Zentrum des Raumes bildet die Bar, leicht erhöht auf einem Podest platziert. Je später der Abend und je voller der Club, desto weniger steht das Lichtermeer der Großstadt draußen, sondern das Geschehen an der Bar drinnen im Blickpunkt der Gäste. Neben der Bar befindet sich zur einen Seite die Tanzfläche, zur anderen Seite ein Loungebereich, dessen Sitz- und Liegeelemente sich auf Schienen verschieben und mit unterschiedlichen Bezügen bespannen lassen. Nach Bedarf können sie auch als Projektionsfläche verwendet werden. Sparsame aber dafür wirkungsvolle Akzente setzen die integrierten Leuchttische. Die Gestaltung überzeugt vor allem durch ihre Zurückhaltung und den offensiven Umgang mit scheinbaren Einschränkungen. Das Improvisierte wird zur überzeugenden Lösung, zum Ausdruck stilvoll inszenierter Einfachheit. Für die Inneneinrichtung des Clubs stand den Architekten nur ein sehr geringes Budget zur Verfügung – Bar und Sitzmöbel sind zum Beispiel aus grau lasiertem Sperrholz gefertigt. Die raue Optik des Mobiliars steht dabei im wirkungsvollen Kontrast zum eleganten Schwarz der Sitzpolster und der übrigen Einbauten, wie dem Podest der Sitzgruppe.

Hippe Jungs?!

Man ist versucht – angesichts der Projekte, die das Büro seit seiner Gründung 2000 in Berlin realisiert hat und angesichts der Nähe der Inhaber zur Kunst-, Design- und Modeszene der Metropole, der Selbstinszenierung als »Trademark« – ROBERTNEUN™ in die Schublade »Lifestylearchitekten« zu stecken. Hippe Jungs mit coolen Outfits, die wenig Geld verdienen aber mit ihren Bar- und Galerieräumen (jüngst eröffnet: die neuen Galerie- und Wohnräume der Galeristin Giti Nourbaksch), mit ihren Showrooms (u. a. für Nike) zu lokalen Design-DJs avancieren. Junge Architekten, die sich von traditionellen Aufgaben abwenden und – ob bewusst gewählt oder aufgrund der bis vor Kurzem prekären wirtschaftlichen Situation gezwungenermaßen – neuen Aufgaben zuwenden, die Möbel und Lampen gestalten und Partys veranstalten. Soweit stimmen die Klischees – und auch wieder nicht. Ausschlag für die Gründung des Büros im Jahre 2000 gab der Auftrag der »Frischeparadies-Gruppe« zur Umgestaltung eines ihrer Delikatessmärkte. Ihre professionelle Karriere begannen die drei Wahlberliner, die sich während des Studiums an der Technischen Universität Berlin kennengelernt haben, also auf dem eher unaufgeregten, profanen Gebiet der Gewerbearchitektur. Der Auftraggeber erweiterte sein Geschäftsfeld vom reinen Kommissionierungsbetrieb zum Verbraucherabholmarkt, in fast allen Standorten bestand Umbaubedarf. Der erste realisierte Entwurf in Hamburg überzeugte – mittlerweile haben Robertneun »Frischeparadiese« in Frankfurt, Stuttgart und Essen realisiert, zwei weitere sind in Planung. So ist das Büro zum Hausarchitekten des Feinkosthändlers avanciert, ohne dabei eine immer gleiche Corporate Architecture zu reproduzieren, sondern stets mit neuen Lösungen zu überraschen.

Corporate Design fürs Frischeparadies

Der gestalterisch ausgereifteste Gewerbebau von Robertneun befindet sich in Essen, nur wenige Minuten vom Hauptbahnhof entfernt. Die Architekten haben hier einen Erweiterungsbau zu einer bestehenden Lagerhalle errichtet. Ihnen ist es gelungen, die pragmatische Gewerbearchitektur aus den siebziger Jahren, deren gestalterische Elemente sich auf braune Trapezblechhauben und gelbe Vordächer beschränkten, nicht zu brüskieren, sondern mit sparsamen Mitteln in einen ansprechenden, zeitgemäßen Anbau zu überführen. Auf insgesamt 1600 Quadratmetern Nutzfläche sind hier auf zwei Etagen neue Verkaufs-, Büro- und Personalräume für insgesamt 70 Mitarbeiter entstanden.

»Uns interessiert nicht nur das Design. Wir beschäftigen uns sehr stark mit dem Raumprogramm und suchen nach überzeugenden strukturellen Lösungen«, erläutert Nils Buschmann. Die Verbindung von Kommissions- und Abholmarktgeschäft haben die Architekten auch im Gebäude sichtbar gemacht. Der Anbau dockt an die ursprüngliche Rückseite der vorhandenen Halle an – und die Eingangssituation wird umgekehrt. Dadurch war es möglich, direkte optische und physische Übergänge zwischen Verkaufs- und Lagerräumen zu schaffen. Teilweise haben die Architekten zusätzliche Fenster und Glastüren in die Rückwand zur Lagerhalle hin eingeschnitten – was der Bauherr zunächst mit Skepsis betrachtete, zunehmend aber offensiv vermarktet, nach dem Motto: »Wir haben nichts zu verbergen.« Transparenz im Lebensmittelgeschäft wird hier auch räumlich demonstriert. Außerdem entsteht so eine zusätzliche Raumtiefe und Lebendigkeit.

Von außen präsentiert sich der Markt wie eine riesige Warenvitrine: Das Erdgeschoss ist komplett verglast und lässt Einblicke in den gesamten Verkaufsraum teilweise bis in die Kühlräume zu. Im Gegensatz dazu wirkt das Obergeschoss komplett geschlossen. Die Fassade selbst ist eine Stahlleichtbaukonstruktion mit Sandwichpaneelen. Durch diese kostensparende Bauweise ließ sich ein gestalterisches Extra für dessen Bekleidung finanzieren: Das gesamte Obergeschoss ist mit einem Kunststoffnetzgewebe bespannt, das an der Vorderfront mit einem Sonnenuntergangsmotiv bedruckt ist. Assoziationen mit Fototapeten aus den Siebzigern werden wach. So entsteht ein fast ironischer Verweis auf das »paradiesische« Warensortiment im Innern – Corporate Architecture der subtileren Art. Je nach Lichteinstrahlung zeichnet sich das Motiv unterschiedlich stark ab. Am Abend verschwindet es fast. Das Gebäude wirkt in seiner Geschlossenheit in der Dämmerung beinahe skulptural.

Im Gebäude setzt sich das Konzept von raffinierter Einfachheit und Integration von Alt und Neu, von Innen und Außen weiter fort. Die einzelnen Abteilungen des Marktes sind durch ein Farbkonzept, das die vorhandene farbliche Gestaltung des siebziger-Jahre-Areals aufnimmt und weiterentwickelt, klar strukturiert. Auch an den Regalsystemen von Robertneun zeigt sich deren Begabung als Budgetjongleure, Pflicht und Kür gekonnt miteinander zu verbinden. Die Regale sind gleichzeitig Wandbekleidung – was Mittel sparte und Ressourcen für die farbigen emaillierten Glasplatten, mit denen die Regale bestückt sind, frei werden ließ. In den hoch glänzenden Platten spiegelt sich das Warenangebot, die einzelnen Raumebenen werden so teilweise optisch aufgelöst, eine zusätzliche Tiefe entsteht.
Das Frischeparadies »De Pastre« wurde mit dem BDA-Preis Gute Bauten 2006 des Kreisverbandes Essen ausgezeichnet. Mittlerweile arbeiten die Architekten an der Realisierung eines weiteren Marktes in Berlin. Damit schließt sich in gewisser Weise auch ein Kreis in der Entwicklung des Büros. Die »Schubladen« von den Lohn-und-Brot-Gewerbebauten und den hippen Berliner Projekten passen dann endgültig nicht mehr. Geklemmt haben sie ja sowieso schon immer.

db, Sa., 2007.06.30

30. Juni 2007 Franziska Eidner



verknüpfte Bauwerke
Frischeparadies »De Pastre«
Week-End Club

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