Editorial

Unlängst wurden mehrere Studien und Umfrageergebnisse veröffentlicht, die belegen, dass sich in Deutschland seit ein paar Jahren ein deutlich erkennbarer Trend zur »Rückkehr in die Stadt« abzeichnet. Obwohl das frei stehende Einfamilienhaus als Idealvorstellung des Wohnens nach wie vor eine wichtige Rolle einnimmt, verliert diese Wohnform zunehmend an Bedeutung. Immer mehr Menschen bevorzugen zum Wohnen die Innenstädte und zentrumsnahen Gebiete. Zahlreiche Gründe sind für die anhaltende Landflucht verantwortlich und rücken das Thema verstärkt in den Fokus der Kommunen und Bauträger: Durch die Streichung der Eigenheimzulage wird das Bauen auf der »grünen Wiese« nicht mehr gefördert. Die kontinuierlich steigenden Kraftstoffpreise und die reduzierte Entfernungspauschale machen es für Pendler immer teurer, von Ihrem Wohnort im Umland zum Arbeitsplatz in der Stadt zu gelangen, so dass sich viele von ihnen für einen Umzug entscheiden. Für junge Familien mit Kindern – den bislang »klassischen« Bewohnern des Umlands – bietet das »Heim im Grünen« mittlerweile längst nicht mehr so viele Vorteile, wie noch vor etlichen Jahren. Durch das Anlegen von offen strukturierten Siedlungen sowie Grünflächen auf stillgelegten Industriearealen sind viele Städte selbst inzwischen lebenswerter geworden. Auch auf die attraktivere Infrastruktur der Städte mit ihrer Vielzahl von Bildungs- und Betreuungseinrichtungen, ihrem breit gefächerten kulturellen Angebot sowie den guten Einkaufsmöglichkeiten können und möchten viele Familien mittlerweile genauso wenig verzichten, wie die immer größer werdende Zahl von Alleinerziehenden, Singles und kinderlosen Paaren. Und noch eine weitere, stark anwachsende Bevölkerungsschicht, die sich zunehmend gegen ein Leben in der Vorstadt oder gar auf dem Land entscheidet, bringt der demographische Wandel mit sich: Die so genannten »Woopies« (well-off older people) – finanziell abgesicherte und damit kaufkräftige Senioren. Bereits jetzt bevorzugt jeder dritte Deutsche über 50 die attraktive Infrastruktur und bessere medizinische Versorgungsmöglichkeit in den Städten. Bis 2020 soll die Zahl dieser Deutschen um zehn Millionen wachsen – weshalb sie auch als Vorreiter des Trends »Wohnen im Zentrum« angesehen werden. Das Thema hat mittlerweile eine Bedeutung auf dem Immobilienmarkt erreicht, wie man sie sich noch vor einigen Jahren in dieser Größenordnung nicht hätte vorstellen können. Immer mehr Städte und Gemeinden begreifen die Stärkung des innerörtlichen Wohnens als einen Schwerpunkt ihrer zukünftigen Stadtplanung. Die Differenzierung der Wohnungsnachfrage erfordert jedoch auch eine entsprechende Differenzierung des innerstädtischen Wohnungsangebots. Ein vergleichsweise klassischer Bautyp ist dabei der eines «Wohn- und Geschäftshauses«. In dieser Ausgabe stellen wir Ihnen eine Auswahl an realisierten Bauten, Projekten und Wettbewerbsergebnissen vor, die sich durch ihre gelungenen Umgang mit Themen wie Flexibilität, Belichtung und Einfügen in den Bestand auszeichnen. Es handelt sich um Beispiele unterschiedlicher Größe und Nutzungsvorgaben, nur eines haben sie gemeinsam – sie sind garantiert keine »Stangenware«. Arne Barth

Inhalt

Zum Thema
Wohnen in der Innenstadt – eine lohnende Aufgabe für Planer und Architekten | Hasso Brühl

Beispiele
Wohn- und Geschäftshäuser in Trondheim | Team 3 AS Arkitekter
Wohn- und Geschäftshaus in Aarau | Burkard Meyer Architekten
Wohn- und Geschäftshaus in München | Allmann Sattler Wappner Architekten
Wohn- und Geschäftshaus in Singapur | WOHA Architects
Wohn- und Geschäftshaus in Berlin | Angelis Partner
Wohn- und Geschäftshaus in Zürich | Hauenstein LaRoche Schedler Architekten
Wohn- und Geschäftshaus in Hamburg | Kleffel Köhnholdt Papay Warncke Architekten
Wohn- und Geschäftshaus in Basel | Diener & Diener Architekten
Wohn- und Geschäftshaus in Berlin | Jörg Ebers
Wohn- und Geschäftshaus in Wien | Architekturbüro Schluder/Kastner
Wohn- und Geschäftshaus in Köln | Peter Kulka mit Henryk Urbanietz
Wohn- und Geschäftshaus in Graz | INNOCAD
Wohn- und Geschäftshaus in Schaerbeek | Mario Garzaniti
Wohn- und Geschäftshaus in Zürich | Märkli Kühnis Architekten
Wohn- und Geschäftshaus in Giulianova | Giovanni Vaccarini

Projekt
Wohn- und Geschäftshaus in Zürich | Hauenstein LaRoche Schedler Architekten

Wettbewerbe
Wohn- und Geschäftshaus in Hamburg
Wohn- und Geschäftshaus in Mühlheim an der Ruhr

Wohn- und Geschäftshaus in Berlin

Bereits im Jahr 2001 hatte das Büro Angelis Partner in Eigeninitiative begonnen, für die bestehende Baulücke ein Projekt zu entwickeln. In der Folge wurde ein Gesamtkonzept erstellt, das die ersten wirtschaftlichen Parameter und den architektonischen Entwurf gleichermaßen einschloss wie ein Vermarktungskonzept. Alle Phasen des Projektes – von der Projektentwicklung bis zur Vermarktung – sind von den Architekten konzipiert und später in Abstimmung mit dem Bauherrn durchgeführt worden.

Ein wichtiges Prinzip in der Anlage der Wohnungen war das »Durchwohnen«: Jede Wohnung ist durchgesteckt und bietet die unterschiedlichen Qualitäten zweier Fassaden – das Urbane der Alten Schönhauser Straße sowie die Ruhe des geschlossenen und nach Süden offenen Innenhofes. Das Haus baut in seiner Grundstruktur im Grundriss und in der Fassade auf einer regelmäßigen Dreiteilung auf, die sich aus der Grundstücksform mit seinem Seitenflügel und dem Nutzungssystem ergeben hat. Der vertikale Kern mit Treppenhaus und Fahrstuhl wurde an zentraler Stelle so angeordnet, dass er die entstehenden Nutzungsfelder wirtschaftlich und ohne Einschränkungen der Flexibilität erschließen kann. Das mittlere Feld der Dreiteilung kann sowohl der linken als auch der rechten Einheit zugeschlagen werden oder aber auch als eigene Wohnung abgetrennt werden. Auch können Wohnungen auf Wunsch über Geschosse hinweg zusammengeschaltet werden.

Die regelmäßige Gestaltung der Fassade als Betonrahmenraster ist die logische Konsequenz der inneren Gliederung und gibt dem Haus seinen Grundrhythmus. Gleichzeitig werden keine Vorgaben und Einschränkungen für die innere Flexibilität gemacht. Städtebaulich gliedert sich der Neubau in drei Teile: den Sockel mit zwei Ladeneinheiten, den vier durch den Rahmen markierten Hauptgeschossen und einem abgestaffelten Dachgeschoss mit zwei großen Wohnungen. Das Haus vermittelt über diese Gliederung zwischen den unterschiedlichen Höhen der Nachbargebäude.
Die weitläufigen Wohnungen haben eine lichte Höhe von drei Metern. Nach außen sind sie raumhoch mit Holzschiebefenstern verglast, so dass die Grenze von innen nach außen aufgehoben und die Stadt als Erlebnis inszeniert wird. Die Fassade lässt sich komplett mit Falt-Schiebeläden aus perforiertem Metall verschließen. Diese wirken dann wie ein lichtdurchlässiger Filter zwischen der öffentlichen Stadt und der Privatsphäre der Wohnung.

Im 1. bis 4. Obergeschoss entstanden drei Einheiten mit etwa 125 Quadratmeter und vier Einheiten mit etwa 132 Quadratmeter Wohnfläche. Im 4. und 5. Obergeschoss befinden sich ein 160 Quadratmeter großes Penthouse und eine zweigeschossige Wohnung mit eigenen Dachterrassen (190 Quadratmeter). Als Ergänzung zu den privaten Balkonen gibt es auf dem Dach eine allen Bewohnern zugängliche Terrasse. Die tragenden und somit festen Bestandteile der Wohnungen sind auf ein Minimum reduziert. Im Wesentlichen sind die Wohnungstrennwände aus Sichtbeton und die Installationsschächte die einzigen Festlegungen. Die Tiefe der Wohnungen wird über die eingestellten Boxen der Nebenräume wie Abstellräume und Badezimmer gegliedert und ermöglicht so eine Einteilung des Raumes in auch klassisch nutzbare individuelle Zonen und Einzelzimmer.

Architektur + Wettbewerbe, Di., 2007.06.05

05. Juni 2007



verknüpfte Bauwerke
Wohn- und Geschäftshaus in Berlin

Wohn- und Geschäftshaus in Hamburg

Das Projekt ist durch die besondere Lage am Fleet mit der abtauchenden U-Bahn-Trasse und die außergewöhnliche Proportion des Grundstückzuschnitts geprägt. Die seit Jahrhunderten bestehende Parzelle zwischen der zum Rathaus führenden Altstadtstraße Großer Burstah und dem Mönkedammfleet ist über 30 Meter tief, aber nur sechs Meter breit. Die Aufgabe bestand darin, durch eine geschickt gewählte Erschließung, die nur vom Großen Burstah aus möglich ist, ein gut belichtetes Gebäude für drei verschiedene Nutzungen zu planen.

Um eine effiziente und vor allem schmale Erschließung und eine möglichst breite Ladenfassade zu erhalten, entschieden sich die Architekten für eine einläufige Treppe und einen Aufzug, der direkt an der Fassade verläuft. Diese Position ermöglicht einen unmittelbar am Fußweg gelegenen Zugang und thematisiert bei der Gestaltung der Fassaden zudem die ausgeprägte Vertikalität des Gebäudes. Waagerechte Lamellen in einer schmalen Öffnung über fünf Geschosse vor dem Aufzug dienen der Belüftung beziehungsweise Entrauchung des Treppenraumes. Die Bürofassaden erhalten dagegen eine bündig konzipierte Doppelfassade mit vertikal drehbaren Lamellen, mit denen sich das Gebäude »kiemenartig« öffnen lässt.

Die Schmalheit der Straßenfassade wird neben der Vertikalität der Öffnungen zudem durch die Wahl des Fassadenmaterials des wie Wandschotten eingestellten Traggerüstes noch überhöht. Die goldfarben changierende Oberfläche der titanbeschichteten Edelstahlplatten lassen das Haus im Straßenraum wie ein besonders schmales »Buch in einer Bücherwand« erscheinen und betonen die kleinteilige Parzellenstruktur des Burstahs.

Auf neun Ebenen befinden sich jeweils durch das ganze Haus gesteckte Nutzungen, die sich um einen kleinen Innenhof gruppieren. Dieser Innenhof beginnt über dem auf Fleethöhe liegenden dreigeschossigen Laden und einem über ein Lichtdach im Hof zusätzlich belichtetes, voll genutztes Bürogeschoss im 3. Obergeschoss. Neben drei weiteren Büroeinheiten beherbergen die obersten beiden Geschosse zwei loftartige Wohnungen, die neben vier belichteten Seiten zudem über Balkone beziehungsweise Dachterrassen verfügen. Dieser Nutzungswechsel zeichnet sich an der Fleetfassade zusätzlich durch eine kopfartige zweigeschossige Auskragung über dem Fleet ab, welche die von hier aus mögliche Blickbeziehung der Wohnungen zur Börse und zum Rathaus betont und dem Gebäude einen oberen Abschluss gibt.

Das Projekt zeigt exemplarisch, dass auch heute noch ein klassisches, hybridartiges Wohn- und Geschäftshaus der angestrebten Nutzungsmischung einer urbanen Innenstadt gerecht wird und auch auf engstem Parzellenraum zur Wahrung der Kleinteiligkeit möglich ist.

Architektur + Wettbewerbe, Di., 2007.06.05

05. Juni 2007



verknüpfte Bauwerke
Wohn- und Geschäftshaus in Hamburg

Wohn- und Geschäftshaus in Wien

Die signifikante Stellung an der Straßenkreuzung, gute Sichtbeziehungen in den öffentlichen Raum und die Möglichkeit, die Wechselbeziehung zwischen linear vorbei fließendem Straßenraum und ruhiger, heterogener Hofgestaltung herzustellen sind große Vorteile des Standortes. Dem gegenüber stehen die Nachteile von ungünstiger Belichtung nach Nordost, einer geringen Parzellentiefe und Lärmemissionen von PKW-Verkehr und Straßenbahn.
Auf diese Situation reagierten die Architekten mit einem Konzept, das sich dieses Spannungsfeld zunutze macht: Zwei Baukörper wurden an einer transparenten Erschließungsfuge aneinandergefügt, durch die das Tageslicht von der nach Südwesten orientierten Hoffassade an die Straßenseite dringen kann. Am Eckturm sorgen Pflanztröge für auflockernde Plastizität, deren Wirkung durch die transparente Erschließungsfuge gesteigert wird.

Dem gut durchmischten Mikrokosmos des Quartiers entspricht die Ausbildung von höchst variantenreich zu nutzenden Wohnungen. Die 32 Wohnungen des Niedrigenergiehauses sind auf sieben Geschosse verteilt. An der Straßenseite ist den Wohnungen ein Laubengang vorgelagert. Im Bauteil an der Ecke liegen studioartige Kleinwohnungen, die größeren Drei- und Vierzimmerwohnungen sind so strukturiert, dass direkt vom Eingang erschlossen ein separates Büro oder Arbeitszimmer untergebracht werden kann. Im Dachgeschoss befinden sich zwei Atelierwohnungen mit großen Terrassen. Über der Garagenabfahrt wurde eine künstliche Landschaft als zugänglicher Freibereich angelegt.

Architektur + Wettbewerbe, Di., 2007.06.05

05. Juni 2007



verknüpfte Bauwerke
Wohn- und Geschäftshaus in Wien

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