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Architektur
OMA (Rem Koolhaas)
Funktion
Sonderbauten
Planung
2002

Presseschau

09. April 2002Knuth Hornbogen
Der Standard

Die Design- Stadt

Ausgerechnet ein ehemaliges Steinkohlewerk im Ruhrpott soll zu einem europäischen Designzentrum werden. Auf dem Weg dorthin folgt man dem Plan des Architekten Rem Koolhaas

Ausgerechnet ein ehemaliges Steinkohlewerk im Ruhrpott soll zu einem europäischen Designzentrum werden. Auf dem Weg dorthin folgt man dem Plan des Architekten Rem Koolhaas

In Essen liebt man die Superlative. Als die Schachtanlage Zeche Zollverein XII anno 1932 ihre Arbeit aufnahm, vermochte moderne Technik zwölftausend Tonnen Steinkohle täglich ans Licht zu bringen - die Zeche war damit viermal produktiver als andere im Ruhrgebiet. Und auch in Sachen Ästhetik zählte sie zur Elite. Die Architekten Fritz Schupp (1896-1974) und Martin Kremmer (1894-1945) errichteten eine Anlage, die, gestaltet von den Wegen über Gebäude bis hin zu Beleuchtungen und Geländern, weltweit als Maßstab moderner Industriearchitektur galt. Was einst von industriellem Fortschritt kündete, ist nun Weltkulturerbe, ist offiziell in die Liste ewig zu konservierender Geschichte aufgenommen worden.

Nun soll es vorangehen in Essen, Zukunft soll gestaltet werden. Dabei spielt Design eine herausragende Rolle: Eine Hochschule soll ihre Pforten öffnen, Gestalter im Gründerzentrum ihren Berufseinstieg finden und eine Designmesse öffentliche Auseinandersetzungen mit dem Thema Gestaltung fördern. Zudem ist die Errichtung eines Ruhrmuseums geplant.

In den kommenden zehn Jahren werden Konzepte umgesetzt, die sich an einem Masterplan orientieren, erstellt von dem Architekten Rem Koolhaas und seinem Office of Metropolitan Architecture (OMA). Der Plan umfasst sowohl ein architektonisches wie auch inhaltliches Konzept und erfüllt damit nun die Vorstellungen von Denkmalpflegern und der Unesco. Anstoß hatten die Hüter der Weltkultur dagegen an einem Entwurf der Architekten Diener & Diener genommen. Dieser sah einen transparenten Baukörper auf der so genannten Kohlenwäsche vor, ein geradezu brachialer Eingriff in die denkmalgeschützte Architektur. Zudem wurde ein Gesamtkonzept für das Areal vermisst, und dem Unesco-Komitee erschien unklar, wie die Denkmalpflege verantwortungsvoll gesichert werden könnte.

Rem Koolhaas spricht von „embryonalen Ideen“, sein Entwurf umringt die vorhandene Substanz mit Neubauten, greift aber in den Bestand nicht ein. Den Kern lässt er von Neuem unberührt, Wege schaffen Verbindungen, bringen weit auseinander liegende Teilgebiete zusammen. Als Hauptachse fungieren bisherige Bahnschienen, die sich in einem weiten Bogen über das Gelände spannen. Sie werden als großzügiger Fußweg ausgebaut und als Verteilerachse des Verkehrs innerhalb der Anlage dienen. Nach außen gelangen Besucher über einen der vier Eingänge, die Koolhaas als „Attraktoren“ bezeichnet. Einer davon befindet sich im südlichen Teil, dort, wo sich der stählerne Doppelbock, das Wahrzeichen des Geländes, befindet. An der Stelle des bisherigen Haupteinganges ist ein touristisch geprägtes Besucherzentrum mit Ausstellungsflächen, Parkraum und Zugang zu den historischen Produktionsanlagen vorgesehen. Hier soll auch, so jedenfalls die Vorstellungen des Geschäftsführers der Entwicklungsgesellschaft, Wolfgang Roters, jedem Touristen sofort deutlich werden, worum es bei dem ganzen Projekt geht. Eine gigantische Projektion wird auf aktuelle Programme, Veranstaltungen und Sehenswertes hinweisen, kurzum: Sie soll die Zeche als „Austragungsort der Moderne“ kennzeichnen. Am Ort der Superlative möchte man sich nicht mit regionaler Bedeutung begnügen. Roters will „den Mund nicht zu voll nehmen“, aber den Anspruch, die Zeche zum „bedeutendsten Designstandort Deutschlands“ zu entwickeln, den verfolgt er schon. Unterstützt wird das Vorhaben von der EU, dem Land Nordrhein-Westfalen und der Stadt Essen - 61,4 Mio. Euro sind genehmigt.

Lange Zeit zum Planen haben die Verantwortlichen nicht, bis zum Herbst 2003 müssen 30,6 Mio. verbaut und abgerechnet sein. Vornehmlich wird das Geld in die Sanierung des Bestandes und die Infrastruktur gehen. „Der entscheidende Neubau“, so Roters, „wird erst nach 2003 errichtet werden.“ Bislang steht das Gründerzentrum mit einem Areal von 16 Hektar ganz oben auf der Wunschliste. Erst später soll dann die Designschule und der Besucherneubau im Süden des Geländes in Angriff genommen werden. Koolhaas hat Bildungseinrichtung und Gewerbepark an der Peripherie des Geländes platziert. Ein breiter Boulevard verbindet die Einrichtungen, ermöglicht Kontakt, fördert Austausch. Um den soll es in erster Linie gehen. Zusammengebracht werden sollen Künstler, Designer und Wissenschafter. „Produktion und Ausstellung von Kunst soll an einem Ort stattfinden“, so Roters. Inhaltlich sind die Planungen noch lange nicht abgeschlossen, klar erkennbar sind aber die Ambitionen vonseiten der Wirtschaft. „Mit dem Projekt will das Land gerade die kleinen und mittleren Unternehmen im Ruhrgebiet im Bereich des Designs unterstützen und so deren Wettbewerbsfähigkeit stärken“, sagt Wirtschaftsminister Schwanhold.

Wirtschaftlich wird auch in Sachen Hochschule gedacht. Eine sich selbst tragende Auftragsforschung soll - vor großen Vergleichen scheut man nicht zurück - nach dem Modell der Fraunhofer-Institute Start-ups fördern. Eine Möglichkeit zur Aus- und Weiterbildung soll entstehen, die, so hofft der Leiter des örtlichen Designzentrums, Peter Zec, „sich mit Hochschulen wie der im Schweizer St. Gallen messen lassen kann“. Wie gesagt: Große Vergleiche sind an der Tagesordnung. Auch die von Zec ins Gespräch gebrachte Meta-Form, eine Art Weltmesse des Designs, hat nichts Geringeres als die Documenta in Kassel zum Vorbild. Wie dort sollen sich im fünfjährigen Rhythmus über eine halbe Million Besucher über den Stand der Dinge kundig machen. Zec schwebt eine ebenso populäre wie visionäre Veranstaltung vor. „Das Geschehen im Bereich der Form und kreativen Gestaltung“ doziert er, „bekommt von neuen Wissenschaften, etwa der Kognitionsforschung oder der modernen Biologie, der Bionik und KI-Forschung, seine Inspiration“. Ob das Ergebnis visionär oder populistisch ausfällt, wird sich 2005 zeigen. Auch ist noch nicht geklärt, wer die Veranstaltung kuratieren soll. „Wir suchen den Besten“, erläutert Roters die noch unklare Lage. „Wenn Herr Zec der Beste ist, wird er Kurator, wenn nicht, nehmen wir jemand anderen.“

22. Februar 2002ORF.at

Schwerter zu Pflugscharen

Aus der Industriebrache der Essener Zeche soll eine blühende Kultur-Landschaft werden.

Aus der Industriebrache der Essener Zeche soll eine blühende Kultur-Landschaft werden.

Ein „Masterplan Zollverein“ bildet von sofort an den Rahmen für die rund 100 Millionen Euro teure Entwicklung des Areals des Weltkulturerbes Zeche und Kokerei Zollverein in Essen. Der von dem renommierten Architekten und Städteplaner Rem Koolhaas entwickelte Plan sieht die Umgestaltung des Geländes zu einem Design- und Kulturstandort vor. Zollverein solle zur „ersten Adresse“ des Ruhrgebiets werden, sagte NRW-Städtebauminister Michael Vesper (Grüne) am Mittwoch in Essen bei der Vorstellung des Entwurfs. Ende des Jahres sollen die Bauarbeiten beginnen.

Von Mitte der 1970er Jahre an beschäftigte die Krise der Schwerindustrie Politik und Gesellschaft. Stahlflaute, Zechenstilllegungen, Konkurse und Streiks waren die Stichworte. Eines der Zentren des Niedergangs war das deutsche Ruhrgebiet, einst manifestes Symbol der wirtschaftlichen Macht Deutschlands.

Die Zeche und Kokerei Zollverein in Essen wurde 1986 stillgelegt und viel in den für Industrieruinen typischen Dornröschen-Schlaf. Spätestens die Aufnahme ins UNESCO-Weltkulturerbe hat das Areal wachgeküsst.


Große Pläne

Auf dem rund 100 Hektar großen Gelände mitten in Essen sollen in den kommenden Jahren das neue RuhrMuseum, eine Design-Schule, ein neues Besucherzentrum und zwei Gewerbeparks entstehen. Auf den Gewerbeflächen sollen sich vor allem Design-Unternehmen ansiedeln. Sie sollen auch die in der „Design School Zollverein“ entwickelten Design-Ideen umsetzen. Bis zu 1500 Arbeitsplätze könnten in diesem Bereich entstehen. Außerdem soll von 2005 an auf dem Areal alle fünf Jahre die „metaform“ stattfinden, eine hundert Tage dauernde „Weltausstellung des Designs“. Insgesamt stellen die Europäische Union, das Land NRW, die Stadt Essen und andere kommunale Einrichtungen 97 Millionen Euro an Fördermitteln zur Verfügung.


Kultur und Wirtschaft

„Das Projekt hat ein hervorragendes Potenzial, der identitätslosen Region Ruhrgebiet eine Identität zu geben“, sagte Koolhaas. Die gesamte Anlage sei von einer unübertroffenen architektonischen Qualität. In dem von Koolhaas vorgelegten Plan umschließt ein äußerer „economy“-Ring, in dem auch die beiden Gewerbeparks liegen sollen, das innere Gelände mit den alten Industrieanlagen, den bereits bestehenden Einrichtungen und dem neuen Museum.


Industrie-Folklore

Das archaische Ambiente der stillgelegten Zeche hat schon bisher Kulturschaffende angezogen. Im vergangenen Jahr wurden die Ruhrfestspiele mit olympisch anmutenden Feuer-Spektakel auf dem Zollvereins-Gelände eröffnet. Dass Gérard Mortier vom mondänen Salzburg ins handfeste Ruhrgebiet verpflichtet wurde, um dort den künstlerischen Leiter der Ruhr-Triennale zu geben, ist nur das funkelnde Zeichen für die Bemühungen der Politik aus dem Krisenfall Ruhrgebiet eine Kulturegion mit Zukunftschancen zu machen.

Bereits zum zweiten Mal soll heuer eine „Nacht der Industriekultur“ zehntausende in die abgehalfterten Standorte deutscher Wertschöpfung locken. Hauptspielort dieser Extraschicht ist Essen.

Und dass mit Susanne Linke einer der renommiertesten Choreografinnen der Gegenwart die Leitung des Choreografischen Zentrums auf dem Areal des Zollvereins erhalten hat, passte in dieses Bild. Ihr Rückzug nach nur einjähriger Tätigkeit im Februar vergangenen Jahres weniger.

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