Pläne

Details

Adresse
Hauptplatz 7, 3701 Großweikersdorf, Österreich
Tragwerksplanung, örtliche Bauaufsicht
Buschina & Partner
Weitere Konsulent:innen
Gebäudetechnik: tk11 Gebäudetechnik
Elektroplanung: EPG-Elektroplanungsgesellschaft mbH
Ausführungsplanung: Olivia Stein Architektur
Planung
10/2017 - 05/2019
Ausführung
04/2019 - 10/2020
Grundstücksfläche
2.311 m²
Nutzfläche
1.240 m²

Nachhaltigkeit

Energiesysteme
Geothermie, Wärmepumpe
Materialwahl
Holzbau, Stahlbeton

Ausführende Firmen

Baumeister: Steiner Bau GmbH; Fliesenleger: Kramer & Fidler; Estrich: Estrich Schneider-Schlossaerk GmbH; Trockenbau: W2 Trockenbau GmbH; Maler: Malerei Sitar KG; Zimmermann: Lieb Bau Weiz GmbH & Co KG; Dachdecker/Spengler: Seyfried-Jecho KG; Metallbau: Schinnerl Verwaltungs GmbH; Elektroinstallation: Elektro Mörth GmbH; Sanitärinstallation: Seifried Sanitär- und Haustechnik GmbH; Aufzug: Otis GmbH

Preise und Auszeichnungen

Publikationen

azure magazine
archdaily

Presseschau

09. April 2022Wojciech Czaja
Der Standard

Sattelfest

Nichts ist unter Architekten verschmähter als das gute, alte Satteldach. Was wurde nicht schon gespottet und geschimpft! Das Wiener Architekturbüro Smartvoll macht das ungeliebte Ding wieder salonfähig.

Nichts ist unter Architekten verschmähter als das gute, alte Satteldach. Was wurde nicht schon gespottet und geschimpft! Das Wiener Architekturbüro Smartvoll macht das ungeliebte Ding wieder salonfähig.

Vom Haupteingang bis ins Büro des Bürgermeisters sind’s keine 30 Schritte. Immer nur gradaus, meist steht die Tür sperrangelweit offen, direkt in der Sichtachse sitzt er, alles gut im Blickfeld habend, zugleich einsichtig wie nur was, tippt grad irgendwas in den Computer. „Ah, da sind Sie ja!“ Alois Zetsch, laut Gemeinde-Homepage bei der ÖVP, aber irgendwie mehr schwarz-rotgrün als türkis, ist eigentlich gelernter Elektriker, leitet seit vielen Jahren ein eigenes Elektrounternehmen. Seit 2005 ist er Mitglied im Gemeinderat, 2014 wurde er – keine Kurzschlusshandlung, sondern mit ziemlich überzeugender Mehrheit – zum Bürgermeister gewählt.

„Eine der Agenden“, sagt der 62-Jährige, Flanellhemd und Fleece-Jacke, „war ein neues Rathaus, denn das alte Gebäude platzte aus allen Nähten, war in keinster Weise barrierefrei, und selbst wenn wir es mühsam saniert hätten, wäre es dennoch ein hermetisches, altmodisches Haus geblieben. Ich aber wollte, dass Großweikersdorf endlich ein offenes, einladendes Gemeindeamt bekommt.“ Zur Auswahl standen zwei Grundstücke im Eigentum der Gemeinde, eines direkt am historischen Hauptplatz, eines am Stadtrand neben dem Bauhof. Gut, dass man sich fürs richtige entschieden hat.

Vier Architekten wurden im Rahmen eines kleinen geladenen Wettbewerbs um einen Entwurf gebeten – drei Büros aus der Region sowie ein Wiener Büro, von dem der Elektriker Zetsch bei einem Projekt vor vielen Jahren mal einen Auftrag bekommen hatte und dessen freche, innovative Architektur ihm seitdem in Erinnerung geblieben war. Diesmal drehte sich der Spieß um, und die Architekten bekamen den Auftrag vom zum Statthalter aufgestiegenen Professionisten. Im Herbst 2021 wurde das neue Rathaus feierlich eröffnet.

Wie eine Scheune in Iowa

Die Straßenfront wurde durchbrochen, statt einer langweiligen, verputzten Fensterfassade wurde mit städtebaulichem Wagemut eine hölzerne Satteldachfront in die Baulücke gestellt, links und rechts davon zwei wilde, verwunschene Gehwege, ein Abstecher in die Wohnsiedlung dahinter, gelegentlich kann man die Gemeindemitarbeiterinnen hier bei einer Zigarette und einer Tasse Kaffee antreffen, dazwischen erstreckt sich das Gebäude – wie eine Scheune irgendwo in Iowa – 60 Meter weit nach hinten.

„Wir wollten ein wirklich offenes, öffentlich zugängliches Rathaus, das sich anfühlt wie ein Kumpel, dem man gern mal auf die Schulter klopft, weil man ihn so gern hat“, sagt Philipp Buxbaum, der gemeinsam mit seinem Partner Christian Kircher das Wiener Büro Smartvoll Architekten leitet. Das Ziel wurde erreicht: Während in einem klassischen Rathaus, wie Buxbaum vorrechnet, lediglich zehn bis 15 Prozent der Nutzfläche hausfremden Personen zur Verfügung stehen, sind in Großweikersdorf rund 55 Prozent des Gebäudes öffentlich begehbar – darunter auch eine Art Wohnzimmer-Lounge mit Bibliothek und Sitztribüne. Den schulterklopfenden Sympathiefaktor erreicht man über das gute alte Satteldach.

„Wir sind überhaupt keine Satteldach-Spezialisten und auch keine Satteldach-Liebhaber, aber wir haben auch keine Scheu davor, wie viele andere Architekten“, sagt Kircher. „In diesem Fall hat sich das Satteldach angeboten, weil es das optische Erscheinungsbild des Gebäudes reduziert und irgendwie handlicher und kompakter macht. Und auch, weil es eine aus dem eigenen Einfamilienhaus bekannte Architekturtypologie ist, die sich den Bürgerinnen und Bürgern als Willkommensgruß und freundliches Kommunikationsmittel präsentiert.“

Großstadtdschungel

Bürgermeister Alois Zetsch hat bislang nur beste Rückmeldungen bekommen. „Die Leute lieben das Haus, und sie haben das Gefühl, dass ihnen die Gemeinde hier ein zweites Wohnzimmer hingestellt hat. Wenn sie einen Termin auf der Gemeinde haben und ein bissl warten müssen, dann sitzen sie nicht auf einem Konferenzstuhl im Wartezimmer, sondern auf einem grünen Sofa unter einem riesengroßen Holzdachstuhl.“ Der Erfolg des 5,3 Millionen Euro teuren Projekts hat schon weite Kreise gezogen: Nominierung für den Holzbaupreis und den INA Award 2021, Anerkennung beim Holzbaupreis, Sieger beim Architizer A+Award.

Und die Satteldach-Euphorie in der digitalen Crowd ist noch lange nicht zu Ende: Erst letztes Wochenende veröffentliche der Architekturblog designboom eine Projektstudie von Smartvoll, die sich – abermals mit einem Satteldach gekrönt – mit städtischer Nachverdichtung und urbanem Wohnen mit Zugang ins Grüne beschäftigt. Zwischen zwei Feuermauern im dichtest verbauten Wien-Ottakring stellen Buxbaum und Kircher fiktiv einen hölzernen Leichtbau auf das Dach eines niedrigen Gründerzeithauses und verwandeln die Lücke zwischen den beiden Feuermauern solcherart in einen wilden Großstadtdschungel.

„Die hohe Schule der österreichischen Architektur lehrt einen, 80 Stunden pro Woche zu arbeiten, niemals zu lachen, stets ernst zu bleiben, dem Flachdach zu huldigen und in modernen Raumkontinua wie bei Mies van der Rohe zu denken“, sagt Philipp Buxbaum. „Solche Kisten zu bauen ist unter Architekten eine Art Modeerscheinung – ach was, Religion! Doch es gibt auch eine Architektur jenseits dieser monokulturellen Dogmatik. Wir nennen das Biodiversität.“

27. März 2021Franziska Leeb
Spectrum

Amt mit Ausblick

Keine Verwaltungsburg, sondern ein einladender Ort: Das neue Gemeindezentrum von Großweikersdorf setzt ein zeitgenössisches Zeichen in der Ortsmitte. Zu Besuch im niederösterreichischen Weinviertel.

Keine Verwaltungsburg, sondern ein einladender Ort: Das neue Gemeindezentrum von Großweikersdorf setzt ein zeitgenössisches Zeichen in der Ortsmitte. Zu Besuch im niederösterreichischen Weinviertel.

Stark sanierungsbedürftig, nicht barrierefrei, längst zu klein geworden und nicht erweiterbar war das bestehende, im Kern aus dem 17. Jahrhundert stammende Gemeindeamt von Großweikersdorf. Ein Neubau musste her. Überlegungen, ihn am Ortsrand nächst dem Bauhof zu errichten, wurden bald verworfen. Da aber im Ortszentrum immer weniger los war, berichtet Bürgermeister Alois Zetsch, sei klar gewesen: „Das Gemeindeamt muss am Hauptplatz bleiben.“ Dank der Lage an der Horner Bundesstraße und der Franz-Josefs-Bahn erfreut sich die Gemeinde starken Zuzugs – aus Wien ebenso wie von Waldviertlern, die näher an Wien wohnen wollen. Flächenmäßig wächst sie nicht nur durch neue Siedlungen. Die Gewerbeflächen nördlich des Ortskerns, darunter gleich drei Supermärkte – jeder mit Parkplatz –, nehmen mehr Raum ein als der alte Ortskern, wo immerhin noch Bank, Trafik, Nahversorgermarkt und zwei Gasthäuser die Erfüllung der Bedürfnisse des täglichen Lebens sicherstellen.

Es traf sich gut, dass die Gemeinde ein paar Schritte weiter von der nach Plänen von Josef Emanuel Fischer von Erlach errichteten Pfarrkirche die Liegenschaft einer seit Jahren leer stehenden Fleischerei erwerben konnte. Vier Architekturbüros wurden um Entwürfe für einen Neubau auf dem normal zum Hauptplatz und seiner zentralen Grünanlage ausgerichteten Grundstück gebeten. Nicht nur die Gemeindeverwaltung sollte Platz finden, sondern auch Raum für örtliche Vereine und eine Arztpraxis. Zudem galt es eine Anbindung an einen Gewölbekeller im Untergrund herzustellen, um weiteren Raum für Veranstaltungen im Lokalkolorit der Weinbaugemeinde zu schaffen.

Drei der eingeholten Entwürfe hielten die traufständige geschlossene Bauweise bei. Der von Philipp Buxbaum und Christian Kircher, die in Wien seit 2013 das Büro Smartvoll betreiben, tanzte aus der Reihe. „Ein Lückenschluss hätte das Areal zum Platz hermetisch abgeschlossen“, argumentiert Christian Kircher. Daher beschlossen die Architekten das Bauvolumen giebelständig mit beidseitigem Abstand in die Lücke zu schieben. Durch die Gliederung in eine Kette aus fünf seitlich gegeneinander verschobenen Giebelhäusern entstanden kleine Plätze zum Verweilen und eine der Ortsstruktur entsprechende Kleinteiligkeit. Die durchgehende Firstlinie fasst die Segmente mit unterschiedlichen Dachneigungen zu einem großen Ganzen zusammen. Gesäumt von Grün (EGKK Landschaftsarchitekten), umspült der öffentliche Raum das Gebäude und führt auf einen Platz, der in die parallel zum Hauptplatz leitende Winzerstraße mündet. Zusätzliche Parkplätze mit Elektrotankstelle, ein Spielplatz und eine neue fußläufige Verbindung wurden so gewonnen.

Die Trag- und Dachkonstruktion aus Holz um einen Betonkern bildet sich außen schon auf dem Platz vor der zurückgesetzten Fassadenfront ab, wo der überdeckte Vorbereich die Ankommenden empfängt und ein offener Schlitz den Blick in Richtung Kirche freigibt. Noch einmal zurückgesetzt ein gebäudehoher Glasschlitz über dem Rathauseingang, der ankündigt, was uns innen erwartet: hohe Räume und viel Tageslicht. Von außen wird die Transparenz der Gebäudehülle hingegen nicht zelebriert. Hier wirken die schlanken seitlichen Lichtschlitze rhythmisierend im einheitlichen Kleid aus engobierten Tondachziegeln, die als hinterlüftete Fassaden bis zum Boden reichen. Farblich darauf abgestimmt die Bodenpflasterung, die vom Hauptplatz bis zur Winzerstraße durchläuft.

Den Eingang flankiert das Bürgerbüro als erste Anlaufstelle, ehe der als Wohnlandschaft gestaltete Wartebereich willkommen heißt. Er geht in eine Stufenanlage über, die ohne räumliche Trennung in den Sitzungssaal unter dem Dachgiebel führt. Seine Offenheit signalisiert eine Einladung, an demokratischen Entscheidungsprozessen teilzuhaben, und so sind außer den monatlichen Gemeinderatssitzungen auch zahlreiche andere Nutzungsszenarien denkbar. Die Fichtenholzoberflächen, vor allem das über Dachfenster und seitliche Fensterflächen reichlich einfallende Tageslicht, bestimmen den Eindruck des Raumes, der trotz seiner Hallenkonfiguration äußerst behaglich wirkt.

Büros, Besprechungszimmer und Teeküche sind im Erdgeschoß angeordnet, alle leicht auffindbar und mit Fenstertüren nach außen ausgestattet. Der noch des endgültigen Ausbaus harrende Gewölbekeller ist über das Untergeschoß zugänglich, ein Außenzugang ist vorbereitet. Umspült von öffentlichem Raum – ähnlich wie das klerikale Pendant der Kirche –, ist das neue Gemeindezentrum zu einem einladenden Ort geworden, an dem sich außen wie innen lebendiges Miteinander – ob zufällig oder geplant – entfalten kann.

Welches Gebäude man als Haus für die Bürger haben will, wurde von den gewählten Mandataren entschieden. Die Frage, warum kein Architekturwettbewerb mit einer Fachjury ausgelobt wurde, beantwortet der Bürgermeister kurz und bündig: „Wir wollten es uns selbst aussuchen.“ Erfahrungen aus anderen Gemeinden hätten gelehrt, dass zu starke Mitbestimmung durch Fachleute von außerhalb die Gefahr berge, ein Siegerprojekt zu erhalten, mit dem am Ende die Gemeinde nicht glücklich sei. Nun gibt das rundum gelungene Gemeindezentrum der Strategie der Großweikersdorfer recht. Die Skepsis gegenüber dem Instrument Architekturwettbewerb zeigt aber auch auf, dass es dringend Wettbewerbsszenarien braucht, in denen sich die Kommunen nicht als Statistinnen eines von externen Experten choreografierten Verfahrens wiederfinden. Hier ist alles gut gegangen, wohl auch, weil klare Vorstellungen vorhanden waren, was man will, und man offen genug gegenüber einem unkonventionellen Vorschlag war.

Daran, dass das frei stehende, in Häuser aufgeteilte Gebäude auch eine gute Wahl für Krisenzeiten sein wird, dachte in der Planungszeit wohl noch niemand. Heute zeigt sich, dass das pandemiebedingt noch nicht in Betrieb gegangene Vereinshaus eine vorzügliche Coronavirus-Teststraße abgibt. Als eigene Einheit inmitten von Rathaus und Arztpraxis gelegen, lässt sich mit dem separaten Eingang an der Nordseite und dem Ausgang über die Terrasse an der Südseite der Ablauf perfekt organisieren. Sobald möglich, soll heuer das offizielle Eröffnungsfest nachgeholt werden, dann wird das klug gesetzte Gefüge erstmals seine Potenziale ausspielen können und ganz gewiss auch über eine längere Zukunft unter Beweis stellen.

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