Pläne

Details

Adresse
Baie du Mont Saint Michel, 50170 Mont Saint Michel, Frankreich
Bauherrschaft
Syndicat mixte du Mont-Saint-Michel
Funktion
Sonderbauten
Planung
2002
Ausführung
2004 - 2009

Presseschau

30. August 2014Wojciech Czaja
Der Standard

Du sollst übers Wasser gehen

Nach drei Jahren Bauzeit ist die Brücke zum Mont Saint-Michel fertiggestellt und soll demnächst eingeweiht werden. Der romanische Abteiberg darf endlich wieder Insel werden. Von Wojciech Czaja

Nach drei Jahren Bauzeit ist die Brücke zum Mont Saint-Michel fertiggestellt und soll demnächst eingeweiht werden. Der romanische Abteiberg darf endlich wieder Insel werden. Von Wojciech Czaja

Ach, weißt du noch, damals in den Siebzigern? Bei Ebbe konntest du mit dem Auto über den Damm fahren und direkt vor dem Mont Saint-Michel parken. Mitten im Watt! Das war echt lustig!" Es waren die Gezeiten, die die Länge des Besuchs vorgegeben haben. Mit der abendlichen Flut mussten die Autos verschwinden, wenn sie denn nicht vom steigenden Wasser hinweggerafft wurden, und der Klosterberg durfte sich seine untertags aufgegebene maritime Aura wieder zurückerobern.

Die oft gehörten Urlaubsanekdoten rund um den Mont Saint-Michel sind nun Geschichte - zumindest jene mit dem Auto im klatschnassen Sand. Am 22. Juli wurde nach dreijähriger Bauzeit eine fast 800 Meter lange Stelzenbrücke eröffnet, die das denkmalgeschützte Kloster nicht nur visuell, sondern vor allem auch ökologisch wieder in seinen ursprünglichen Zustand zurückführen soll. Im September wird das ungewöhnliche Brückenbauwerk eingeweiht. Der Weihwassertransport wird kein übermäßig langer sein.

„Ich bin sehr glücklich mit der neuen Passerelle“, sagt Père André Fournier. Der Pater mit Brille und Glatze gehört dem Orden von Jerusalem an, der die einstige Benediktinerabtei verwaltet, und ist einer von insgesamt 27 Einwohnern des Mont Saint-Michel. „Die Fußgängerbrücke ist nämlich nicht nur ein funktionales Bauwerk, sondern erlaubt den Besuchern auch einen neuen Zugang mit ganz neuen, wunderbaren Blicken auf den Berg. Für mich ist dieses Projekt ein Wunder.“

Seine Schwärmerei hört sich an wie ein Stoßgebet an Mutter Natur. Nun, da die Brücke fertiggestellt sei, so Père André, könne der Mont endlich wieder seine volle Schönheit entfalten - hier, an der Kreuzung von Wasser, Wolken, Himmel, Wind und Gestein - und wieder zur Insel zurückmutieren. „Den Damm abzubrechen und die Autos aufs Festland zu verbannen, war eine überaus gute Idee“, so André.

Und sie war nicht nur gut, sondern auch von allerhöchster Dringlichkeit. „Früher war der Mont Saint-Michel nur per Boot erreichbar, die Errichtung des Straßendamms vor rund 150 Jahren war so gesehen also keine schlechte Idee“, meint Dietmar Feichtinger. Der nach Paris emigrierte Wiener Architekt hat den 2001 ausgeschriebenen Wettbewerb gewonnen und das Projekt bis zur Fertigstellung betreut. „Bloß konnte damals noch niemand ahnen, dass der Damm im Laufe der Jahrzehnte maßgeblich zur Versandung und Verlandung der gesamten Bucht beitragen würde.“

War der heilige Michael einst noch vier Kilometer vom Festland entfernt, sind es nun gerademal ein paar hundert Meter, die das Eiland von der Küste trennen. Durch den Damm konnte das Wasser des zäh fließenden Couesnon, der sich hier in einem breiten Delta ins Meer ergießt, nicht mehr ungehindert den Klosterberg umspülen. Die angeschwemmten Sedimente wurden immer und mehr, die Ebbezeiten immer trockener.

„Wenn wir nichts unternommen hätten, wäre der Mont Saint-Michel in spätestens 40, 50 Jahren von öden, trockenen Salzwiesen umgeben“, erklärt Patrick Morel, Bauherrenvertreter und Vorstandsdirektor des Syndicat Mixte Maître d'Ouvrage, im Gespräch mit dem STANDARD. „Damit wäre das im elften Jahrhundert errichtete Kulturdenkmal, das seit 1979 als Unesco-Weltkulturerbe firmiert, stark bedroht gewesen. Das wiederum hätte enorme Folgen für den Tourismus und somit für die Wirtschaft der gesamten Region“, ganz zu schweigen vom Untergang eines so sensiblen maritimen Ökoreservats mit all seinen Sandkrabben, Napfschnecken und Wattwürmern.

„Stimmt nachdenklich“

Père André blickt mit einem seligen Lächeln über die Bucht, als würde er sich im Schoße Gottes wiegen, hinaus auf den Steg. Krabben, Schnecken, Wurmgetier - allesamt gerettet. Seine einzige Sorge gilt dem etwas längeren Weg als zuvor, denn anstatt schnurgerade auf den Mont zuzugehen, muss er nun einen etwas längeren, s-förmig geschwungenen Weg in Kauf nehmen. Rund 45 Minuten dauert der Fußmarsch vom Parkplatz, langsamen Schrittes und fotografierend wohlgemerkt. „Für Pilger und Touristen ist das schon okay, aber für uns Brüder und Schwestern, die wir hier wohnen? Das stimmt mich nachdenklich.“

Dass man den von manch Geistlichem täglich zurückgelegten Weg verlängert habe, sei einer der zentralen Aspekte dieses Projekts, meint Feichtinger. „Früher hat man sich dem Mont in einer geraden Achse genähert und hat dabei immer nur die Straße mit ihren Autos, Shuttlebussen und tausenden Passanten gesehen. Durch den Schwung können sich nun Blicke auf einen fast freistehenden Klosterberg entfalten, ohne dass einem unentwegt Touristen vor die Kamera hüpfen.“

Und klick. Ohne jeden Zweifel gilt die Hauptaufmerksamkeit dem romanischen Mont Saint-Michel, der sich nach einer leichten Linkskurve auf halbem Wege in seiner vollen Pracht vor der Passerelle aufbäumt. Die Brücke wird zu diesem Zeitpunkt unsichtbar. Unauffällig duckt sie sich ins Naturschutzgebiet und begnügt sich bei all ihrer Schönheit und konstruktiven Ästhetik wohlwollend mit dem zweiten Platz.

„Diese Brücke ist wie ein Werkzeug Gottes“, sagt Pater André. Von einer sehr sensiblen Verschmelzung von Stahl und heimischer Eiche indes spricht Architekt Feichtinger. Zwar hätte man auch tropische Hölzer verwenden können, die womöglich eine etwas längere Lebensdauer haben, doch dies wäre in diesem sensiblen Ort ein allzu fremder Eingriff gewesen. Nach 40 bis 80 Jahren, zeigt die Erfahrung, werde man die Eichenbohlen unter den Füßen der Fußgänger - das Material findet sich übrigens auch auf der Außenhaut der Shuttlebusse wieder - austauschen müssen.

Der Querschnitt der Brücke ist asymmetrisch. Auf der einen Seite gibt es einen schmalen, 1,50 Meter breiten Fußweg für Alleinmarschierende und vielleicht auch für verliebt dahinschlendernde Pärchen, so Feichtinger. Auf der anderen Seite hingegen, mit Blick auf den offenen Atlantik, stehen 4,50 Meter Breite zur Verfügung, um jene sommerlichen Horden aufzunehmen, die den Weg per pedes dem motorischen Dahingeshuttle vorziehen. Und davon wird es eine Menge geben. Mit rund 2,5 Millionen Besuchern pro Jahr gilt die Abtei nach Paris als beliebtestes Touristenziel Frankreichs.

Knapp 140 Stahlpfähle stützen den flach über dem Boden schwebenden Steg, wobei jeder einzelne Bohrpfahl bis zu 30 Meter tief ins Watt gerammt werden musste. Aufgrund der großen Stützendichte im Untergrund konnte diesseits der Wasseroberfläche auf dicke, mächtige Brückenkonstruktionen oder gar Fachwerke verzichtet werden. Und tatsächlich: Mit 1800 Tonnen Gesamtgewicht ist die Passerelle zum Mont Saint-Michel geradezu ein Brückenleichtgewicht. Die Gesamtnettobaukosten belaufen sich auf 31 Millionen Euro brutto.

„Wissen Sie“, meint Père André Fournier zum Abschluss, „gut Ding braucht Weile, sehr viel Weile. Jetzt einmal ist die Brücke fertig, und damit ist schon der größte Weg zurückgelegt. In den kommenden Monaten wird nun der alte Damm abgebrochen.“ Im April nächsten Jahres soll das Projekt abgeschlossen sein. Bis 2025, so die Prognose, soll das Ökosystem in der Bucht wieder intakt sein. Die Flutwassertiefe wird dann 70 Zentimeter betragen.

15. Februar 2003Der Standard

Wunderberg neu im Wattenmeer

Der „göttliche“ Mont-Saint-Michel in Nordfrankreich wird wieder eine natürliche Insel. Dank menschlichem Eingriff. Genauer: dank dem österreichischen Architekten Dietmar Feichtinger.

Der „göttliche“ Mont-Saint-Michel in Nordfrankreich wird wieder eine natürliche Insel. Dank menschlichem Eingriff. Genauer: dank dem österreichischen Architekten Dietmar Feichtinger.

Über Jahrhunderte hinweg lebte der berühmteste Inselhügel der Welt vom Zusammenspiel von Natur und Mensch. Auf dem Granitfelsen, der die Meeresbucht zwischen Normandie und Bretagne überragt, errichteten Mönche steile Treppen, waghalsige Stützmauern, gotische Gewölbe, verschachtelte Klosterräume - und zuoberst ein Gotteshaus, das wie natürlich aus dem Urgestein wächst, während seine Turmspitze die Wolkendecke erreicht, ja in himmlische Gefilde vorzustoßen scheint.

Als die Unesco den Mont-Saint-Michel 1979 auf die Liste des Weltkulturerbes setzte, sprach sie auch von einem „Wunderwerk des menschlichen Geistes und der Natur“. Seither ist der Pakt von Mensch und Meer aber gebrochen worden. Nicht vom Meer. Auch nicht von den Benediktinermönchen - die leben dort erstaunlicherweise immer noch in innerer Einkehr, gut abgeschirmt von den 10.000 Touristen, die jeden Tag auf den Berg kraxeln.

Für diese Massen wurde ein mittlerweile 15 Hektar großer Zubringer- und Parkplatzdamm errichtet, der die Insel des Erzengels Michael mit dem Festland verbindet. Bloß stoppte er auch die natürliche Strömung der Gezeiten und des einmündenden Flusses Couesnon. Sand und Sedimente fließen damit bei Ebbe nicht mehr ab, sondern häufen sich in der Bucht an. 700.000 Kubikmeter pro Jahr.

Wer auf dem Klosterberg nach Westen in die Bretagne schaut, erblickt Grünwiesen mit weidenden Schafen und Sandbänke voller Grasbüschel; im Osten, Richtung Normandie, vermag auch die Flut die grauen Dreckmoränen nicht mehr zu verbergen. Dazwischen nimmt sich der Couesnon aus, säuberlich kanalisiert und von einer Schleuse gebändigt.

Das Problem wurde schon vor Jahren erkannt. Das erste ausgereifte Projekt, vom früheren Staatspräsidenten Mitterrand lanciert, sah in den Achtzigerjahren eine gewaltige Geländeumschiebung vor, die den ganzen Küstenstrich verändert hätte. Es war viel zu teuer, um jemals realisiert zu werden, und verschwand in den Schubladen. Die Verlandung ging aber weiter, denn die Natur lässt sich zwar kanalisieren, aber nicht einfach schubladisieren.

Jetzt sind die Planer bescheidener geworden. Nach siebenjährigen Vorarbeiten wählten sie ein Vorgehen, das durch seine Einfachheit - und die entsprechend reduzierten Gesamtkosten von 134 Millionen Euro - besticht: Der Damm soll verschwinden, um die ursprüngliche Strömung wieder zuzulassen. Die Parkplätze werden in das Land zurückverlegt; ein schlanker Steg auf Pfeilern soll die einzige Verbindung zum Klosterfelsen herstellen. Der Mont-Saint-Michel wird damit wieder zur Insel.

Um diesen Aspekt zu betonen, neigt der Sieger des internationalen Wettbewerbes, der österreichische Architekt Dietmar Feichtinger, den Steg auf seinen letzten Metern sogar unter die Höchstwassergrenze. Bei dem enormen Gezeitenausschlag wird die Zufahrt damit zusammengerechnet drei Tage im Jahr unter der Flut verschwinden.

Die zwei Kilometer lange Passerelle ist zudem nicht gerade, sondern geschwungen, sodass ihre Benützer - Fußgänger oder die Benützer der geplanten Elektrobahn in der Stegmitte - zuerst auf den freien Horizont des Ärmelkanals und nicht direkt auf die Insel zugehen. „Dies erhöht den Meerescharakter des Projektes“, meint Feichtinger zum Grundkonzept. „Wir wollen generell so wenige Eingriffe wie möglich vornehmen und die Stegbrücke zu einem Teil der Landschaft werden lassen, indem sie extrem tief liegt und wie ein flaches Deck der Wasserlinie folgt.“

Klingt simpel. „Im Erreichen der Einfachheit liegt aber die Schwierigkeit“, meint der 41-jährige Architekt aus Graz, der seit 1989 in Paris lebt und dort einen hochkarätig besetzten Wettbewerb für den Bau der letzten Seine-Brücke gewonnen hat; in Mont-Saint-Michel arbeitet er mit Schlaich, Bergermann & Partner (Stuttgart) zusammen. Der mehrheitlich mit Holz beschichtete Steg zum Mont-Saint-Michel verzichtet auf jede Diagonale oder Hängestruktur, um die Linienführung nicht zu stören. Dies erfordert alle zwölf Meter Tragpfeiler, da sie überdies unter den Steg „versteckt“ und nicht am Rand angebracht werden. Normale Pfeilerrohre genügen nicht; die Stützen werden aus massivem Stahl sein, um die extreme Schlankheit zu erreichen.

Fazit: Der menschliche Eingriff fügt sich diesmal in die Umgebung ein und ordnet sich der Natur unter - nicht umgekehrt wie bisher. Darin liege die Ironie der Geschichte, kommentieren französische Medien wohlwollend: „Nach all diesen Jahrzehnten des sakrosanten technischen Fortschritts lernt man, dass die Natur eigentlich besser als wir weiß, was gut für sie ist.“

Völlig freier Lauf wird den Gezeiten allerdings nicht gelassen. Abgesehen von Feichtingers Steg enthält das Gesamtprojekt weiterhin eine Schleuse im Couesnon-Fluss. Sie soll aber das Spiel der Wasserströmungen nicht mehr bremsen, sondern unterstützen. Bei Flut dringt das Meerwasser bis in den Unterlauf des Couesnon ein. In Zukunft wird es dort auf dem Wasserhöchststand zurückgestaut; bei Ebbe - sowie zu Beginn der Flut, wenn es zum größten Teil der Ablagerungen kommt - werden die Schleusentore geöffnet, und der verstärkte Wasserdruck reißt die Bodenablagerungen fort.

Wie gewaltig der Gezeitenunterschied - der zweitgrößte der Welt - wirkt, lässt sich allein schon an der Legende ablesen, laut der sich das Meereswasser in dem Wattenmeer von Saint-Michel zeitweise „so schnell wie ein galoppierendes Pferd“ bewegt. Hydrologen (die die Wassergeschwindigkeit etwas prosaischer mit zehn Stundenkilometern angeben) testeten das Bauprojekt monatelang in einem 900 Quadratmeter großen Modell der Meeresbucht. Feichtinger ist „sicher, dass die Verlandung dadurch gestoppt wird“; weniger sicher sei, ob die bestehenden Sedimente wie vorgesehen um einen halben bis einen Meter abgetragen würden.

Wichtig sei aber, dass endlich gehandelt werde, meint der Architekt. Die Dringlichkeit solcher Projekte sei zwar immer relativ. „Aber je mehr man verlanden lässt, desto schwerer ist es, die ursprüngliche Situation wieder herzustellen.“ Nach dem Beginn in diesem Jahr sollen die Arbeiten 2008 abgeschlossen sein.

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