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16. September 2025Paul Jandl
Neue Zürcher Zeitung

Zu DDR-Zeiten sollte der Plattenbau die Wohnungsnot lindern. Nun könnte das serielle Bauen noch einmal neu erfunden werden

Die Platte wurde aus der Not und nach sowjetischem Vorbild geschaffen. Sie diente zugleich zur politischen und sozialen Disziplinierung der Menschen.

Die Platte wurde aus der Not und nach sowjetischem Vorbild geschaffen. Sie diente zugleich zur politischen und sozialen Disziplinierung der Menschen.

Auch das ist eine Geschichte der untergegangenen DDR: Vor allem die Utopie, die Welt lebenswerter zu machen, hat sie sterben lassen. In den fünfziger Jahren erkannte man im neuen sozialistischen Staat, dass das Wohnen für die Menschen zu den wichtigsten Dingen gehört. Im Sinne einer prosperierenden Zukunft müsse Wohnraum geschaffen werden. Möglichst viel, kostengünstig und modern.

In der Ära Honecker wollte man drei Millionen neue Wohnungen bauen. Bis zum Jahr 1990 sollte die glorreiche Revolution der Städte abgeschlossen sein. Dass ausgerechnet in diesem Jahr dem ganzen Staat die Luft ausging, ist eine tragikomische Paradoxie. Die DDR ist wirtschaftlich auch deshalb zugrunde gegangen, weil der unmittelbare Lebensraum zu billig zur Verfügung gestellt wurde. Sechzig Prozent der Wohnungen waren im Staatsbesitz und die Mieten auf das Niveau von 1936 eingefroren.

Gerade hat die deutsche Regierung einen «Bau-Turbo» versprochen, um die Wohnungsnot und damit die immer weiter steigenden Mieten in den Griff zu bekommen. Mehr Tempo in der Bürokratie, weniger Regeln bei städtischen Bebauungsplänen, schnelle Fertigstellung neuer Projekte. Mit angeregter Phantasie wird unter Bauherrn und Architekten darüber diskutiert, was alles möglich ist.

Wenn die serielle Fertigung von Wohnraum oberstes Prinzip ist, dann könnte sich ein Schatten der Vergangenheit beinahe in reines Licht auflösen: der Plattenbau. Was einst in Beton gegossener Widerspruch zwischen utopischen Möglichkeiten und sozialer Realität war, könnte einen neuen Boom erleben. Ganz anders. Billig, aber mit neuen Materialien. Die Innovationskräfte haben nicht viel Zeit. Schon 2029 sollen die im Paragrafen 246e des Baugesetzbuches neu festgeschriebenen Regeln auf ihre Nützlichkeit hin evaluiert werden.

Normiertes Leben in der Platte

Es ist auffällig, dass es gleichzeitig eine intensive Beschäftigung mit einem ungeliebten, aber mitunter auch verklärten Erbe gibt. Plötzlich ist das Thema Plattenbau wieder chic. Vor drei Jahren erschien eine brillante zweibändige Monografie über den industriellen Wohnungsbau in der DDR, herausgegeben vom Architekten Philipp Meuser. Im Herbst wird die Ausstellung «Sicht-Beton» in Chemnitz einen Blick auf den Plattenbau werfen. Im Februar 2026 folgt dann Dresden mit der Schau «Platte Ost/West».

Schon jetzt ist Potsdam dran, die Stadt der krassesten Gegensätze. Das alte Zentrum hat man mit architektonischer Konditorware vollgestellt, mit Nachbauten barocker Grösse. Rundherum spürt man das alte Geld der schönen Villen und jenes prominent daneben gesetzte Gegenteil, dem sich eine Ausstellung im Haus Das Minsk widmet, einem der Projekte des SAP-Milliardärs Hasso Plattner. «Wohnkomplex. Kunst und Leben im Plattenbau» ist eine ebenso tiefe wie weit ausschweifende Beschäftigung mit einem Ost-Phänomen. Sechzig Künstler befragen in ihren Arbeiten die Realität eines sozialen Wohnbaus, der sich bis in die Physis der Bevölkerung eingeschrieben hat.

«Das, wovon man losgerissen wurde oder sich losreissen wollte, bleibt ein Bauteil dessen, was man ist», zitiert der Ausstellungsmacher Kito Nedo den Soziologen Didier Eribon und sein Buch «Rückkehr nach Reims». Gibt es so etwas wie eine genetische Rückbindung der Bevölkerung an Wohnräume, die normiert und massenhaft verbreitet waren? Sieht man diese klug kuratierte Ausstellung, würde man diese Frage wohl mit Ja beantworten.

Eine Melancholie liegt in den Bildern, Objekten und Installationen. Es gibt eine Suche nach Heimat exakt dort, wo die Herstellung der Heimat nur durch Auflehnung des Individuums gegen die Gegebenheiten möglich war. Vom Süden Sachsens bis hinauf nach Stralsund sind auf davor unbebautem Land Wohnkomplexe entstanden, die man sowjetischen Vorbildern verdankte. Ab 1950 wurden diese Grosssiedlungen für mindestens fünftausend Bewohner und mit kompletter Infrastruktur geschaffen.

Berlin-Marzahn, Erfurt-Roter Berg, Potsdam-Stern, Dresden-Gorbitz, Jena-Lobeda oder Halle-Neustadt sind Beispiele für Zukunftsentwürfe einer Ost-Moderne, die vergessen hatte, sich auch um die Selbstentwürfe der Menschen zu kümmern. Modernen Plattenbau gab es zu anderen Bedingungen auch im Westen Deutschlands, aber für die DDR waren die Zahlen dramatisch. Fünfundzwanzig Prozent der Bevölkerung lebten «in Platte». In Rostock waren es sogar siebzig Prozent, wie der Soziologe Steffen Mau in seiner epochalen Studie über das Wohnviertel Lütten Klein schreibt.

Im Plattenbau – den es auch in kleineren Einheiten gab – zu wohnen, hiess: Rückeroberung des Raums, Privatisierung des Politischen, soweit es möglich war. Kindheiten auf genormten sieben Quadratmetern oder ein Erwachsenenleben in Wohnzimmern der ab den sechziger Jahren gebräuchlichen Wohnungsbaureihe P2 waren eine Herausforderung darin, die Würde nicht zu verlieren.

Kitsch und Elend in einem

In diesem modernen Leben gibt es viel häuslichen, fast schon wieder anarchisch wirkenden Kitsch. Die Fotografin Sibylle Bergemann hat bis in die achtziger Jahre Sofaecken der P2 mit der Kamera festgehalten, die den Geist der im Bild nicht zu sehenden Bewohner spiegeln. Im Arbeiter- und Bauernstaat wird von einer üppig gemusterten Bürgerlichkeit geträumt. Die paar Quadratmeter können die raumgreifenden Sitzlandschaften kaum fassen.

Von aussen hat Uwe Pfeifer die Grosssiedlungen immer wieder gemalt. Seine Bilder haben schon im Titel eine subversive Nüchternheit, heissen «Beton und Steine», «Antennendach», «Fussgängertunnel» oder «Wäscheleine im Nebel». Bis in die Tiefe sind die Plattenbauten gestaffelt. Ihr Minimalismus der Form dehnt sich als städtebaulicher Grössenwahn bis zum Horizont aus, als gäbe es dahinter keine Welt. Peter Herrmann lässt in einem Ölgemälde Natur und Kultur fast karikaturhaft aufeinandertreffen. Stilisierte Kühe grasen vor einem ebenso stilisierten Wohnblock und schauen selbstvergessen aus dem Bild.

Was man nicht unterschlagen darf: Rationalisierter Plattenbau war auch Fortschritt und Zukunftshoffnung. Und lange ein Symbol noch nicht enttäuschter Erwartungen. Die aufeinandergestapelten Module mit ihren Heizungen und Nasszellen brachten bisher kaum gekannten Komfort. Innovationen wie die P2-Durchreiche zwischen Wohnzimmer und Küche wurden ebenso euphorisch begrüsst wie die Plattenbauten selbst.

Aus guten Gründen geht die Potsdamer Ausstellung über die historische Schnittstelle der deutschen Wiedervereinigung nicht hinaus. Das Thema Plattenbau hat sich seit den neunziger Jahren auf rasante Art diversifiziert. Vieles wurde abgerissen oder rückgebaut. Je nach Stadt oder Stadtviertel haben sich die Wohnmaschinen zu neuen Ghettos entwickelt oder gelten heute als chic.

Das ehemalige Ostberliner Zentrum, in dem zu DDR-Zeiten ein forcierter Gestaltungwille für repräsentatives Bauen sorgte, ist heute ein ästhetisches Denkmal seiner selbst. Die Plattenbau-gesäumte Karl-Marx-Allee heisst wie ehedem. Manches Fertigteil-Erbe in der Berliner City ist nicht mehr als solches zu erkennen, weil es für den neuen Immobilienmarkt gnadenlos aufgehübscht und oft bunt bemalt wurde.

Wenn es jetzt möglicherweise einen neuen Boom des seriellen Bauens gibt, dann ist der DDR-Plattenbau ein Relikt. Es gab die grauen Jahre in den kohleluftgeschwängerten Landschaften des Ostens, wo das Modell WBS 70 die finale Phase standardisierten Wohnungsbaus einläutete. Die von Erich Honecker propagierte «Klassengesellschaft neuen Typs» war zu ihrer eigenen Drohung geworden. Ohnehin wohnte die politische Kaste der Staatsführung nicht in dem, was die Baukombinate auf billigste Weise produzierten und aufs freie Feld stellten.

Waren die Plattenbauten ein Ort der Entfremdung, oder kam hier mitunter etwas düster Menschliches ganz zu sich? In den Baseballschläger-Jahren der Nachwendezeit tobte sich hier der Mob gewaltsam gegen Schwache aus. Die Täter des rechtsterroristischen Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU), Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe, waren Kinder des Plattenbaus. Die Ausstellung in Potsdam erinnert daran.

Der Künstler Markus Draper greift für seine Arbeit «Grauzone» ein anderes historisches Detail auf. Zinkguss-Modelle von Plattenbauten stellen die Fluchtorte jener zehn westdeutschen RAF-Terroristen dar, die in den achtziger Jahren beim östlichen Nachbarn ein Versteck gefunden hatten. Sie wurden im Sommer 1990 unter anderem in Berlin-Marzahn verhaftet. Es war das Ende einer lange gepflegten Kooperation zwischen SED und RAF. Die Anonymität der «Platte» war den Terroristen ein Schutz gewesen, das vollkommene Verschwinden in der Masse. Der Rest der Plattenbau-Bewohner hätte sich für sich selbst wahrscheinlich das genaue Gegenteil gewünscht.

[ Die Ausstellung «Wohnkomplex. Kunst und Leben im Plattenbau» im Potsdamer Haus Das Minsk ist noch bis 8. Februar zu sehen. Der Katalog kostet 30 Euro. ]

Neue Zürcher Zeitung, Di., 2025.09.16

06. März 2024Paul Jandl
Neue Zürcher Zeitung

Im Berliner Kiefernwald erholten sich die Schergen der SS. Heute ist die Wohnsiedlung ein städtisches Idyll

Von 1937 bis 1939 wurde in Zehlendorf die Waldsiedlung mit Wohnungen und Villen für die SS gebaut. Besuch an einem Ort, der seine Geschichte nicht abschütteln kann.

Von 1937 bis 1939 wurde in Zehlendorf die Waldsiedlung mit Wohnungen und Villen für die SS gebaut. Besuch an einem Ort, der seine Geschichte nicht abschütteln kann.

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11. Januar 2024Paul Jandl
Neue Zürcher Zeitung

René Benko hat in Wien mit Rem Koolhaas oder Renzo Piano grosse Architektur schaffen wollen. Es entstanden schwarze Löcher im Stadtbild

In der österreichischen Hauptstadt hat die Signa-Holding architektonische Juwelen ausgehöhlt und Brachland mit gewaltigen Bauten zugestellt. Namhafte Architekten haben Beihilfe geleistet.

In der österreichischen Hauptstadt hat die Signa-Holding architektonische Juwelen ausgehöhlt und Brachland mit gewaltigen Bauten zugestellt. Namhafte Architekten haben Beihilfe geleistet.

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22. April 2023Paul Jandl
Neue Zürcher Zeitung

Im Kalten Krieg standen auch Designer im Einsatz. Sie sollten den Alltag verschönern und die Zukunft erfinden

Ost und West lieferten sich seit den 1950er Jahren einen Wettstreit in der Verschönerung und Verbesserung der Gegenwart. An der Leistungsfähigkeit ihrer Produkte sollte sich die Überlegenheit ihres Systems erweisen.

Ost und West lieferten sich seit den 1950er Jahren einen Wettstreit in der Verschönerung und Verbesserung der Gegenwart. An der Leistungsfähigkeit ihrer Produkte sollte sich die Überlegenheit ihres Systems erweisen.

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28. Oktober 2021Paul Jandl
Neue Zürcher Zeitung

Glotzt ihr immer noch so romantisch?

In Frankfurt öffnet jetzt ein neues Museum, das sich ganz der (sehr deutschen) Epoche der Romantik widmet. Die ist eigentlich längst vorbei, doch es kommt auf die Perspektive an.

In Frankfurt öffnet jetzt ein neues Museum, das sich ganz der (sehr deutschen) Epoche der Romantik widmet. Die ist eigentlich längst vorbei, doch es kommt auf die Perspektive an.

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25. September 2018Paul Jandl
Neue Zürcher Zeitung

Die Kunst erobert sich die Stadt, und das Geld folgt ihr in diskretem Abstand

Städte sind erstaunliche Organismen, in denen das Alte auf seine Weise neben allem Neuen bestehen kann. Sie sind auch nie fertig gebaut und sind doch zu jeder Zeit genau so, wie sie gerade sein müssen.

Städte sind erstaunliche Organismen, in denen das Alte auf seine Weise neben allem Neuen bestehen kann. Sie sind auch nie fertig gebaut und sind doch zu jeder Zeit genau so, wie sie gerade sein müssen.

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24. März 2009Paul Jandl
Neue Zürcher Zeitung

Die Phantome des Baumeisters

Er zählt zu den versöhnlichsten und zugleich zu den radikalsten Architekten. Vor allem mit seinen Mahnmalen gegen Krieg und Faschismus hat sich der in Belgrad geborene und seit 1993 im Wiener Exil lebende Bogdan Bogdanović einen Namen gemacht.

Er zählt zu den versöhnlichsten und zugleich zu den radikalsten Architekten. Vor allem mit seinen Mahnmalen gegen Krieg und Faschismus hat sich der in Belgrad geborene und seit 1993 im Wiener Exil lebende Bogdan Bogdanović einen Namen gemacht.

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03. Januar 2009Paul Jandl
Neue Zürcher Zeitung

Im Bett des Gedankens

Wo kreative Kräfte fliessen, muss der Gedanke sich sein Bett erst suchen. Auf der Rückseite von Zigarettenschachteln hat Alvar Aalto gerne seine Ideen skizziert. Auch wenn sie intuitiv begannen, war dem Fortschritt der Projekte die Rationalität anzusehen. Die Bleistifte in Aaltos Atelier lagen streng der Grösse nach geordnet auf den Tischen.

Wo kreative Kräfte fliessen, muss der Gedanke sich sein Bett erst suchen. Auf der Rückseite von Zigarettenschachteln hat Alvar Aalto gerne seine Ideen skizziert. Auch wenn sie intuitiv begannen, war dem Fortschritt der Projekte die Rationalität anzusehen. Die Bleistifte in Aaltos Atelier lagen streng der Grösse nach geordnet auf den Tischen.

Mit «Architektur beginnt im Kopf» zeigt das Architekturzentrum Wien in einer gelungenen Ausstellung, dass baukünstlerisches Entwerfen ein Vorgang zwischen nahezu abergläubischer Träumerei und technischer Vernunft sein kann. Zwanzig Studios aus aller Welt sind in «Architektur beginnt im Kopf» vertreten. Architektur wächst wesentlich im Freiraum ihrer Entstehungsbedingungen, das ist dabei so wahr wie unverkennbar. In der Enklave ihres Arbeits- und Wohnbüros entwirft das Tokioter Büro Bow-Wow Häuser mit kleinem Grundriss. Gary Changs Hongkonger Edge Design Institute hat Legosteine als effizienten Werkstoff zur Visualisierung entdeckt, und Lacaton & Vassal in Paris stehen für Entschleunigung: Neben den Ideen blühen in ihrem Atelier auch die Orchideen. An hundert Projekten gleichzeitig arbeitet das Chicagoer Grossunternehmen SOM. Hier herrscht eine kühle Zeit-Weg-Vernunft, die im fundamentalen Gegensatz zu einer Philosophie der künstlerischen Gemächlichkeit steht.

Die Ausstellung dokumentiert auch die Arbeitsweisen von verstorbenen Meistern: deren Suche nach neuen Wegen und deren Bemühen, das Unbestimmte der Idee in der Realisierung klar werden zu lassen. Antoni Gaudís berühmtes «Hängemodell» ist in der Ausstellung zu sehen. In der Bauhütte der Colònia Güell hat Gaudí mit Tüchern und Bleigewichten die Statik und die sich aus ihr ergebende Form der geplanten Kirche simuliert. Nur die aus hyperbolischen Paraboloiden bestehende Krypta wurde schliesslich realisiert. Nicht nur die Architektur, auch das Entwerfen ist ein Spiegel der Zeit. Die 1992 verstorbene Lina Bo Bardi führte ihr direkt an der Baustelle eines von ihr geplanten Kulturzentrums in São Paulo gelegenes Büro in kreativer Kooperation. In diesen siebziger und achtziger Jahren wurde debattierend ent- und verworfen. Skizzen und Texte entstanden in einem kollektiven Prozess, der sich von der rationellen Produktion heutiger Grossbüros fundamental unterscheidet.

Wenn die Ausstellung schliesslich noch die gängigen Arbeitswerkzeuge der Architekten zeigt, dann wird klar, dass das computergestützte Design bei der Suche nach Formen und Möglichkeiten eben nur ein Weg ist. Wer die Software dieser Tage der künstlerischen Gleichmacherei verdächtigt, der übersieht, dass schon die Hardware vergangener Tage unter demselben Verdikt stand. Adolf Loos hat den «flotten Darsteller» getadelt, der mit seinen Skizzen zu beeindrucken weiss. «Aus der Profilierung eines Bauwerks, aus der Art einer Ornamentierung kann der Beschauer entnehmen, ob der Architekt mit Bleistift Nummer 1 oder Bleistift Nummer 5 arbeitet.» Die meisten Architekten, so ist der Ausstellung zu entnehmen, arbeiten mit Nummer 6.

[ Bis 2. Februar im Architekturzentrum Wien. Katalog: Architektur beginnt im Kopf. The Making of Architecture. Hrsg. Elke Krasny. Birkhäuser-Verlag, Basel 2008. 188 S., € 35.90. ]

Neue Zürcher Zeitung, Sa., 2009.01.03

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Presseschau 12

16. September 2025Paul Jandl
Neue Zürcher Zeitung

Zu DDR-Zeiten sollte der Plattenbau die Wohnungsnot lindern. Nun könnte das serielle Bauen noch einmal neu erfunden werden

Die Platte wurde aus der Not und nach sowjetischem Vorbild geschaffen. Sie diente zugleich zur politischen und sozialen Disziplinierung der Menschen.

Die Platte wurde aus der Not und nach sowjetischem Vorbild geschaffen. Sie diente zugleich zur politischen und sozialen Disziplinierung der Menschen.

Auch das ist eine Geschichte der untergegangenen DDR: Vor allem die Utopie, die Welt lebenswerter zu machen, hat sie sterben lassen. In den fünfziger Jahren erkannte man im neuen sozialistischen Staat, dass das Wohnen für die Menschen zu den wichtigsten Dingen gehört. Im Sinne einer prosperierenden Zukunft müsse Wohnraum geschaffen werden. Möglichst viel, kostengünstig und modern.

In der Ära Honecker wollte man drei Millionen neue Wohnungen bauen. Bis zum Jahr 1990 sollte die glorreiche Revolution der Städte abgeschlossen sein. Dass ausgerechnet in diesem Jahr dem ganzen Staat die Luft ausging, ist eine tragikomische Paradoxie. Die DDR ist wirtschaftlich auch deshalb zugrunde gegangen, weil der unmittelbare Lebensraum zu billig zur Verfügung gestellt wurde. Sechzig Prozent der Wohnungen waren im Staatsbesitz und die Mieten auf das Niveau von 1936 eingefroren.

Gerade hat die deutsche Regierung einen «Bau-Turbo» versprochen, um die Wohnungsnot und damit die immer weiter steigenden Mieten in den Griff zu bekommen. Mehr Tempo in der Bürokratie, weniger Regeln bei städtischen Bebauungsplänen, schnelle Fertigstellung neuer Projekte. Mit angeregter Phantasie wird unter Bauherrn und Architekten darüber diskutiert, was alles möglich ist.

Wenn die serielle Fertigung von Wohnraum oberstes Prinzip ist, dann könnte sich ein Schatten der Vergangenheit beinahe in reines Licht auflösen: der Plattenbau. Was einst in Beton gegossener Widerspruch zwischen utopischen Möglichkeiten und sozialer Realität war, könnte einen neuen Boom erleben. Ganz anders. Billig, aber mit neuen Materialien. Die Innovationskräfte haben nicht viel Zeit. Schon 2029 sollen die im Paragrafen 246e des Baugesetzbuches neu festgeschriebenen Regeln auf ihre Nützlichkeit hin evaluiert werden.

Normiertes Leben in der Platte

Es ist auffällig, dass es gleichzeitig eine intensive Beschäftigung mit einem ungeliebten, aber mitunter auch verklärten Erbe gibt. Plötzlich ist das Thema Plattenbau wieder chic. Vor drei Jahren erschien eine brillante zweibändige Monografie über den industriellen Wohnungsbau in der DDR, herausgegeben vom Architekten Philipp Meuser. Im Herbst wird die Ausstellung «Sicht-Beton» in Chemnitz einen Blick auf den Plattenbau werfen. Im Februar 2026 folgt dann Dresden mit der Schau «Platte Ost/West».

Schon jetzt ist Potsdam dran, die Stadt der krassesten Gegensätze. Das alte Zentrum hat man mit architektonischer Konditorware vollgestellt, mit Nachbauten barocker Grösse. Rundherum spürt man das alte Geld der schönen Villen und jenes prominent daneben gesetzte Gegenteil, dem sich eine Ausstellung im Haus Das Minsk widmet, einem der Projekte des SAP-Milliardärs Hasso Plattner. «Wohnkomplex. Kunst und Leben im Plattenbau» ist eine ebenso tiefe wie weit ausschweifende Beschäftigung mit einem Ost-Phänomen. Sechzig Künstler befragen in ihren Arbeiten die Realität eines sozialen Wohnbaus, der sich bis in die Physis der Bevölkerung eingeschrieben hat.

«Das, wovon man losgerissen wurde oder sich losreissen wollte, bleibt ein Bauteil dessen, was man ist», zitiert der Ausstellungsmacher Kito Nedo den Soziologen Didier Eribon und sein Buch «Rückkehr nach Reims». Gibt es so etwas wie eine genetische Rückbindung der Bevölkerung an Wohnräume, die normiert und massenhaft verbreitet waren? Sieht man diese klug kuratierte Ausstellung, würde man diese Frage wohl mit Ja beantworten.

Eine Melancholie liegt in den Bildern, Objekten und Installationen. Es gibt eine Suche nach Heimat exakt dort, wo die Herstellung der Heimat nur durch Auflehnung des Individuums gegen die Gegebenheiten möglich war. Vom Süden Sachsens bis hinauf nach Stralsund sind auf davor unbebautem Land Wohnkomplexe entstanden, die man sowjetischen Vorbildern verdankte. Ab 1950 wurden diese Grosssiedlungen für mindestens fünftausend Bewohner und mit kompletter Infrastruktur geschaffen.

Berlin-Marzahn, Erfurt-Roter Berg, Potsdam-Stern, Dresden-Gorbitz, Jena-Lobeda oder Halle-Neustadt sind Beispiele für Zukunftsentwürfe einer Ost-Moderne, die vergessen hatte, sich auch um die Selbstentwürfe der Menschen zu kümmern. Modernen Plattenbau gab es zu anderen Bedingungen auch im Westen Deutschlands, aber für die DDR waren die Zahlen dramatisch. Fünfundzwanzig Prozent der Bevölkerung lebten «in Platte». In Rostock waren es sogar siebzig Prozent, wie der Soziologe Steffen Mau in seiner epochalen Studie über das Wohnviertel Lütten Klein schreibt.

Im Plattenbau – den es auch in kleineren Einheiten gab – zu wohnen, hiess: Rückeroberung des Raums, Privatisierung des Politischen, soweit es möglich war. Kindheiten auf genormten sieben Quadratmetern oder ein Erwachsenenleben in Wohnzimmern der ab den sechziger Jahren gebräuchlichen Wohnungsbaureihe P2 waren eine Herausforderung darin, die Würde nicht zu verlieren.

Kitsch und Elend in einem

In diesem modernen Leben gibt es viel häuslichen, fast schon wieder anarchisch wirkenden Kitsch. Die Fotografin Sibylle Bergemann hat bis in die achtziger Jahre Sofaecken der P2 mit der Kamera festgehalten, die den Geist der im Bild nicht zu sehenden Bewohner spiegeln. Im Arbeiter- und Bauernstaat wird von einer üppig gemusterten Bürgerlichkeit geträumt. Die paar Quadratmeter können die raumgreifenden Sitzlandschaften kaum fassen.

Von aussen hat Uwe Pfeifer die Grosssiedlungen immer wieder gemalt. Seine Bilder haben schon im Titel eine subversive Nüchternheit, heissen «Beton und Steine», «Antennendach», «Fussgängertunnel» oder «Wäscheleine im Nebel». Bis in die Tiefe sind die Plattenbauten gestaffelt. Ihr Minimalismus der Form dehnt sich als städtebaulicher Grössenwahn bis zum Horizont aus, als gäbe es dahinter keine Welt. Peter Herrmann lässt in einem Ölgemälde Natur und Kultur fast karikaturhaft aufeinandertreffen. Stilisierte Kühe grasen vor einem ebenso stilisierten Wohnblock und schauen selbstvergessen aus dem Bild.

Was man nicht unterschlagen darf: Rationalisierter Plattenbau war auch Fortschritt und Zukunftshoffnung. Und lange ein Symbol noch nicht enttäuschter Erwartungen. Die aufeinandergestapelten Module mit ihren Heizungen und Nasszellen brachten bisher kaum gekannten Komfort. Innovationen wie die P2-Durchreiche zwischen Wohnzimmer und Küche wurden ebenso euphorisch begrüsst wie die Plattenbauten selbst.

Aus guten Gründen geht die Potsdamer Ausstellung über die historische Schnittstelle der deutschen Wiedervereinigung nicht hinaus. Das Thema Plattenbau hat sich seit den neunziger Jahren auf rasante Art diversifiziert. Vieles wurde abgerissen oder rückgebaut. Je nach Stadt oder Stadtviertel haben sich die Wohnmaschinen zu neuen Ghettos entwickelt oder gelten heute als chic.

Das ehemalige Ostberliner Zentrum, in dem zu DDR-Zeiten ein forcierter Gestaltungwille für repräsentatives Bauen sorgte, ist heute ein ästhetisches Denkmal seiner selbst. Die Plattenbau-gesäumte Karl-Marx-Allee heisst wie ehedem. Manches Fertigteil-Erbe in der Berliner City ist nicht mehr als solches zu erkennen, weil es für den neuen Immobilienmarkt gnadenlos aufgehübscht und oft bunt bemalt wurde.

Wenn es jetzt möglicherweise einen neuen Boom des seriellen Bauens gibt, dann ist der DDR-Plattenbau ein Relikt. Es gab die grauen Jahre in den kohleluftgeschwängerten Landschaften des Ostens, wo das Modell WBS 70 die finale Phase standardisierten Wohnungsbaus einläutete. Die von Erich Honecker propagierte «Klassengesellschaft neuen Typs» war zu ihrer eigenen Drohung geworden. Ohnehin wohnte die politische Kaste der Staatsführung nicht in dem, was die Baukombinate auf billigste Weise produzierten und aufs freie Feld stellten.

Waren die Plattenbauten ein Ort der Entfremdung, oder kam hier mitunter etwas düster Menschliches ganz zu sich? In den Baseballschläger-Jahren der Nachwendezeit tobte sich hier der Mob gewaltsam gegen Schwache aus. Die Täter des rechtsterroristischen Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU), Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe, waren Kinder des Plattenbaus. Die Ausstellung in Potsdam erinnert daran.

Der Künstler Markus Draper greift für seine Arbeit «Grauzone» ein anderes historisches Detail auf. Zinkguss-Modelle von Plattenbauten stellen die Fluchtorte jener zehn westdeutschen RAF-Terroristen dar, die in den achtziger Jahren beim östlichen Nachbarn ein Versteck gefunden hatten. Sie wurden im Sommer 1990 unter anderem in Berlin-Marzahn verhaftet. Es war das Ende einer lange gepflegten Kooperation zwischen SED und RAF. Die Anonymität der «Platte» war den Terroristen ein Schutz gewesen, das vollkommene Verschwinden in der Masse. Der Rest der Plattenbau-Bewohner hätte sich für sich selbst wahrscheinlich das genaue Gegenteil gewünscht.

[ Die Ausstellung «Wohnkomplex. Kunst und Leben im Plattenbau» im Potsdamer Haus Das Minsk ist noch bis 8. Februar zu sehen. Der Katalog kostet 30 Euro. ]

Neue Zürcher Zeitung, Di., 2025.09.16

06. März 2024Paul Jandl
Neue Zürcher Zeitung

Im Berliner Kiefernwald erholten sich die Schergen der SS. Heute ist die Wohnsiedlung ein städtisches Idyll

Von 1937 bis 1939 wurde in Zehlendorf die Waldsiedlung mit Wohnungen und Villen für die SS gebaut. Besuch an einem Ort, der seine Geschichte nicht abschütteln kann.

Von 1937 bis 1939 wurde in Zehlendorf die Waldsiedlung mit Wohnungen und Villen für die SS gebaut. Besuch an einem Ort, der seine Geschichte nicht abschütteln kann.

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11. Januar 2024Paul Jandl
Neue Zürcher Zeitung

René Benko hat in Wien mit Rem Koolhaas oder Renzo Piano grosse Architektur schaffen wollen. Es entstanden schwarze Löcher im Stadtbild

In der österreichischen Hauptstadt hat die Signa-Holding architektonische Juwelen ausgehöhlt und Brachland mit gewaltigen Bauten zugestellt. Namhafte Architekten haben Beihilfe geleistet.

In der österreichischen Hauptstadt hat die Signa-Holding architektonische Juwelen ausgehöhlt und Brachland mit gewaltigen Bauten zugestellt. Namhafte Architekten haben Beihilfe geleistet.

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22. April 2023Paul Jandl
Neue Zürcher Zeitung

Im Kalten Krieg standen auch Designer im Einsatz. Sie sollten den Alltag verschönern und die Zukunft erfinden

Ost und West lieferten sich seit den 1950er Jahren einen Wettstreit in der Verschönerung und Verbesserung der Gegenwart. An der Leistungsfähigkeit ihrer Produkte sollte sich die Überlegenheit ihres Systems erweisen.

Ost und West lieferten sich seit den 1950er Jahren einen Wettstreit in der Verschönerung und Verbesserung der Gegenwart. An der Leistungsfähigkeit ihrer Produkte sollte sich die Überlegenheit ihres Systems erweisen.

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28. Oktober 2021Paul Jandl
Neue Zürcher Zeitung

Glotzt ihr immer noch so romantisch?

In Frankfurt öffnet jetzt ein neues Museum, das sich ganz der (sehr deutschen) Epoche der Romantik widmet. Die ist eigentlich längst vorbei, doch es kommt auf die Perspektive an.

In Frankfurt öffnet jetzt ein neues Museum, das sich ganz der (sehr deutschen) Epoche der Romantik widmet. Die ist eigentlich längst vorbei, doch es kommt auf die Perspektive an.

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25. September 2018Paul Jandl
Neue Zürcher Zeitung

Die Kunst erobert sich die Stadt, und das Geld folgt ihr in diskretem Abstand

Städte sind erstaunliche Organismen, in denen das Alte auf seine Weise neben allem Neuen bestehen kann. Sie sind auch nie fertig gebaut und sind doch zu jeder Zeit genau so, wie sie gerade sein müssen.

Städte sind erstaunliche Organismen, in denen das Alte auf seine Weise neben allem Neuen bestehen kann. Sie sind auch nie fertig gebaut und sind doch zu jeder Zeit genau so, wie sie gerade sein müssen.

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24. März 2009Paul Jandl
Neue Zürcher Zeitung

Die Phantome des Baumeisters

Er zählt zu den versöhnlichsten und zugleich zu den radikalsten Architekten. Vor allem mit seinen Mahnmalen gegen Krieg und Faschismus hat sich der in Belgrad geborene und seit 1993 im Wiener Exil lebende Bogdan Bogdanović einen Namen gemacht.

Er zählt zu den versöhnlichsten und zugleich zu den radikalsten Architekten. Vor allem mit seinen Mahnmalen gegen Krieg und Faschismus hat sich der in Belgrad geborene und seit 1993 im Wiener Exil lebende Bogdan Bogdanović einen Namen gemacht.

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03. Januar 2009Paul Jandl
Neue Zürcher Zeitung

Im Bett des Gedankens

Wo kreative Kräfte fliessen, muss der Gedanke sich sein Bett erst suchen. Auf der Rückseite von Zigarettenschachteln hat Alvar Aalto gerne seine Ideen skizziert. Auch wenn sie intuitiv begannen, war dem Fortschritt der Projekte die Rationalität anzusehen. Die Bleistifte in Aaltos Atelier lagen streng der Grösse nach geordnet auf den Tischen.

Wo kreative Kräfte fliessen, muss der Gedanke sich sein Bett erst suchen. Auf der Rückseite von Zigarettenschachteln hat Alvar Aalto gerne seine Ideen skizziert. Auch wenn sie intuitiv begannen, war dem Fortschritt der Projekte die Rationalität anzusehen. Die Bleistifte in Aaltos Atelier lagen streng der Grösse nach geordnet auf den Tischen.

Mit «Architektur beginnt im Kopf» zeigt das Architekturzentrum Wien in einer gelungenen Ausstellung, dass baukünstlerisches Entwerfen ein Vorgang zwischen nahezu abergläubischer Träumerei und technischer Vernunft sein kann. Zwanzig Studios aus aller Welt sind in «Architektur beginnt im Kopf» vertreten. Architektur wächst wesentlich im Freiraum ihrer Entstehungsbedingungen, das ist dabei so wahr wie unverkennbar. In der Enklave ihres Arbeits- und Wohnbüros entwirft das Tokioter Büro Bow-Wow Häuser mit kleinem Grundriss. Gary Changs Hongkonger Edge Design Institute hat Legosteine als effizienten Werkstoff zur Visualisierung entdeckt, und Lacaton & Vassal in Paris stehen für Entschleunigung: Neben den Ideen blühen in ihrem Atelier auch die Orchideen. An hundert Projekten gleichzeitig arbeitet das Chicagoer Grossunternehmen SOM. Hier herrscht eine kühle Zeit-Weg-Vernunft, die im fundamentalen Gegensatz zu einer Philosophie der künstlerischen Gemächlichkeit steht.

Die Ausstellung dokumentiert auch die Arbeitsweisen von verstorbenen Meistern: deren Suche nach neuen Wegen und deren Bemühen, das Unbestimmte der Idee in der Realisierung klar werden zu lassen. Antoni Gaudís berühmtes «Hängemodell» ist in der Ausstellung zu sehen. In der Bauhütte der Colònia Güell hat Gaudí mit Tüchern und Bleigewichten die Statik und die sich aus ihr ergebende Form der geplanten Kirche simuliert. Nur die aus hyperbolischen Paraboloiden bestehende Krypta wurde schliesslich realisiert. Nicht nur die Architektur, auch das Entwerfen ist ein Spiegel der Zeit. Die 1992 verstorbene Lina Bo Bardi führte ihr direkt an der Baustelle eines von ihr geplanten Kulturzentrums in São Paulo gelegenes Büro in kreativer Kooperation. In diesen siebziger und achtziger Jahren wurde debattierend ent- und verworfen. Skizzen und Texte entstanden in einem kollektiven Prozess, der sich von der rationellen Produktion heutiger Grossbüros fundamental unterscheidet.

Wenn die Ausstellung schliesslich noch die gängigen Arbeitswerkzeuge der Architekten zeigt, dann wird klar, dass das computergestützte Design bei der Suche nach Formen und Möglichkeiten eben nur ein Weg ist. Wer die Software dieser Tage der künstlerischen Gleichmacherei verdächtigt, der übersieht, dass schon die Hardware vergangener Tage unter demselben Verdikt stand. Adolf Loos hat den «flotten Darsteller» getadelt, der mit seinen Skizzen zu beeindrucken weiss. «Aus der Profilierung eines Bauwerks, aus der Art einer Ornamentierung kann der Beschauer entnehmen, ob der Architekt mit Bleistift Nummer 1 oder Bleistift Nummer 5 arbeitet.» Die meisten Architekten, so ist der Ausstellung zu entnehmen, arbeiten mit Nummer 6.

[ Bis 2. Februar im Architekturzentrum Wien. Katalog: Architektur beginnt im Kopf. The Making of Architecture. Hrsg. Elke Krasny. Birkhäuser-Verlag, Basel 2008. 188 S., € 35.90. ]

Neue Zürcher Zeitung, Sa., 2009.01.03

03. Dezember 2008Paul Jandl
Neue Zürcher Zeitung

Vorsehungen und Visionen

Als «Spiel mit Bauklötzen» hat Albert Speer die NS-Pläne für Linz bezeichnet. Doch Hitler war es mit der monumentalen Neugestaltung der Stadt seiner Jugend ernst, wie eine Linzer Ausstellung zeigt.

Als «Spiel mit Bauklötzen» hat Albert Speer die NS-Pläne für Linz bezeichnet. Doch Hitler war es mit der monumentalen Neugestaltung der Stadt seiner Jugend ernst, wie eine Linzer Ausstellung zeigt.

Von Zyankali sei bei Selbstmordgedanken abzusehen, hat der Wiener Satiriker Eduard Bauernfeld im 19. Jahrhundert bissig angemerkt. Sterben könne man auch «vor langer Weile, in der Provinz, zum Beispiel in Linz». Den Makel der Peripherie wird das oberösterreichische Linz als Europäische Kulturhauptstadt 2009 abzustreifen versuchen. Weil aber auch der Makel der Vergangenheit an ihm haftet, geht es schon vor der offiziellen Eröffnung in die Offensive. An die «Kulturhauptstadt des Führers» erinnert eine Ausstellung im Linzer Schloss, die die Geschichtsvergessenheit mancher Jubelmetropolen der letzten Jahre gar nicht erst aufkommen lassen will. Seine Jugend hat Adolf Hitler in Linz verbracht, und das wollte er der Stadt noch lange danken. Das Projekt seines städtebaulichen Grössenwahns sollte Linz zu einer Perle Europas machen. Doch der Aufmarsch der Architektur zur Ehre des Deutschen Reichs blieb bis auf weniges Utopie.

Frühe Pläne

1905 war Hitlers Familie aus dem Vorort Leonding nach Linz gezogen. Hier hat der junge Mann die Musik Richard Wagners und Anton Bruckners gehört und auf Spaziergängen Zeichnungen der Gebäude gemacht. Dass die Idee, aus dem verschlafenen Linz eine glanzvolle Welthauptstadt zu machen, schon damals durch seinen Kopf geisterte, belegt die Ausstellung in Dokumenten seiner Schulkameraden. Pompöse Pläne wie den Bau eines unterirdischen Bahnhofs hat Hitler in seiner Adoleszenz geschmiedet. Unmittelbar nach dem «Anschluss» Österreichs ans Deutsche Reich wurden Architekten wie Roderich Fick und Hermann Giesler beauftragt, um das zur «Führerstadt» avancierte Linz von Grund auf zu verändern. Wo bis ins frühe 20. Jahrhundert beschauliches Mittelalter herrschte, sollte in monumentalem historisierendem Stil die neue Zeit sichtbar werden. An der Donau wollte Hitler ein zwei Kilometer langes Verwaltungszentrum errichten, in dem auch noch sein Alterssitz untergebracht werden sollte. An den durch die Stadt geschlagenen Achsen hätten sich Hotelkomplexe und Kunstbezirke aneinandergereiht. Eine Oper und ein Schauspielhaus waren geplant.

Für das «Linzer Führermuseum» wurden Kunstwerke aus ganz Europa zusammengetragen. Ihren Besitzern abgepresst oder auf undurchsichtigen Wegen in den Fundus der nationalsozialistischen Behörden gelangt, sollten sie die Basis eines Deutschen Nationalmuseums werden. Neben diesem bis 1944 mit einem Einsatz von 99 Millionen Reichsmark betriebenen «Sonderauftrag Linz» galt Hitlers Aufmerksamkeit aber auch der Industrie. 1938 wurden die Hermann-Göring-Werke gegründet, die als Zentrum eines grossen österreichischen Rüstungskomplexes gedacht waren. Dazu kamen noch die Stickstoffwerke Ostmark.

Der Despot und seine Stadt

Zumindest in dieser Hinsicht war Hitlers Strategie erfolgreich. Zwischen 1938 und 1945 hat sich die Einwohnerzahl von Linz nahezu verdoppelt. Vom fernen Berlin aus liess der Reichskanzler die Stadt am Reissbrett neu entwerfen. Die neue Linzer Architektur war Chefsache. Skizzen lieferte Hitler selbst, mit den Architekten geriet er oft in Streit.

Während der Ausbau der übrigen vier deutschen «Führerstädte» während des Krieges ad acta gelegt wurde, blieb Linz bis zuletzt Hitlers grosser Traum. Die Ausstellung zeigt den deutschen Reichskanzler über das detaillierte Modell gebeugt, und sie zeigt die innige Verbindung zwischen ihm und der Donaumetropole. In der Provinzstadt Linz war die bäuerliche Umgebung mit heimattreuer Weltläufigkeit verschmolzen. Das Terrain von Blut und Boden, das dem künstlerischen Autodidakten Adolf Hitler in den Werken der Heimatkunst vor Augen stand, hat seinen Geschmack geprägt. Auch davon ist in der Linzer Ausstellung die Rede. Geächtete Künstler werden den von Hitler hofierten gegenübergestellt. Dass die Austreibung der Kultur durch den Nationalsozialismus allem zuwiderläuft, was mit den für ein Jahr ernannten Europäischen Kulturhauptstädten gefeiert wird, ist damit immerhin angedeutet.

Kurzer Triumph

Hitler in Linz – das ist mehr als nur eine Episode. Als Schulbub ist der spätere Führer auf Fotografien zu sehen. Gespenstisch bleich wirkt das Bild des Mannes, der im März 1938 am Linzer Hauptplatz die Parade der jubelnden Massen abnimmt. Ein monumentaler Wandteppich von «des Führers Heimatgau» bringt Hitler in mythologischen Zusammenhang mit Grössen wie Bruckner oder Adalbert Stifter. Als Zeichen hat er es gesehen, dass ihn die Vorsehung «aus dieser Stadt heraus zur Führung des Reiches berief».

Das Nachsehen hat jetzt das gemeinsam mit Vilnius als Europäische Kulturhauptstadt fungierende Linz. Es wird sich dem Erbe 2009 in der Veranstaltungsreihe «Linz Gedächtnis» stellen und kann sich wenigsten darüber beruhigen, dass aus Hitlers architektonischen Träumen nicht viel geworden ist. Zwei ehemalige NS-Gebäude am Donauufer markieren noch heute den Eingang zum Hauptplatz und zur Altstadt. Auf der 1938 errichteten Nibelungenbrücke dauerte der Triumph der deutschen Heldenmythen nur kurz. 1943 wurden zu Demonstrationszwecken die aus Gips modellierten Statuen von Siegfried und Kriemhild aufgestellt. Während sich Albert Speer, der Leibarchitekt des Führers, laut Tagebuch über den «balkonartigen Busen» Kriemhilds lustig machte, der «ein idealer Nistplatz für Tauben» sein werde, war Adolf Hitler vom Naturalismus des Künstlers Bernhard von Plettenberg begeistert: «Diese Muskulatur – meisterhaft!»

[ Bis 22. März. Katalog: Kulturhauptstadt des Führers. Herausgegeben von Birgit Kirchmayr. 286 S., € 34.–. ]

Neue Zürcher Zeitung, Mi., 2008.12.03

19. August 2008Paul Jandl
Neue Zürcher Zeitung

Erfrischend und weich

In den späten sechziger Jahren hat Österreichs Avantgarde mit fröhlichen Experimenten zur Bewusstseinserweiterung des Bauens beigetragen. Dass ihre «performativen Körper» in direktem Zusammenhang zur bildenden Kunst stehen, zeigt nun das Wiener Museum Moderner Kunst.

In den späten sechziger Jahren hat Österreichs Avantgarde mit fröhlichen Experimenten zur Bewusstseinserweiterung des Bauens beigetragen. Dass ihre «performativen Körper» in direktem Zusammenhang zur bildenden Kunst stehen, zeigt nun das Wiener Museum Moderner Kunst.

Manche Dinge werden erst durch komplizierte Zeiten einfach. Ist es das, was man von 1968 lernen kann? Wer in den späten sechziger Jahren gegen das restaurative Klima protestieren wollte, erfand griffige Formeln. «Schluss mit der Wirklichkeit!», tönte es aus der Wiener Gruppe oder: «Jeder kann jetzt Dichter werden!» Dass in diesem Zeitalter der Manifeste auch die Architektur nicht abseitsstehen wollte, versteht sich von selbst. «Alles ist Architektur», verkündete Hans Hollein, der sich am vehementesten daranmachte, die Grenzen zwischen der Kunst und dem Leben zu verwischen. Seine 1967 erfundene «Architektur-Pille» war kein Placebo, sondern Aufputschmittel. Nahm man nur eine der sorgsam in Zellophan verpackten Pillen, so bedeutete das «Haus», zwei standen für ein Wohnviertel und vier für eine Stadt. Holleins pharmazeutische Architektur war im Kleinen, was seine Ideen auch im Grossen sein konnten – eine Reverenz an den menschlichen Körper, an dem sich die Kunst zu messen hatte. Wie die Architektur versuchte, die Köpfe frei zu machen, Kritik zu üben am überkommenen Funktionalismus und Rationalismus der Bauhaus-Kultur, zeigt jetzt das Wiener Museum Moderner Kunst (Mumok) in einer vorzüglichen Ausstellung. «Mind Expanders» heisst die Schau, in der utopische Architekturen aus der Zeit um 1968 zu sehen sind.

Subtile Dramaturgie

«Mind Expander» nennt sich auch eine Apparatur, die von der Gruppe Haus-Rucker-Co erfunden wurde. Im blauen, überdimensionalen Plexiglashelm simulieren blinkende Lichter und über Lautsprecher eingespielte Geräusche eine virtuelle Welt, die weiter ist als der Raum, der den Bewohner umgibt. Der menschliche Körper war das Mass einer Vielzahl von visionären Entwürfen, die das Mumok in subtiler Dramaturgie nebeneinander aufreiht. Wenn Ende der sechziger Jahre von Haus-Rucker-Co die «Vanille-Zukunft» ausgerufen wurde, dann sollte sie unbedingt «hellgelb» sein. Ihr Vorgeschmack war ein gelbes Herz mit Sauerstoffschleuse und belebenden Plus-Minus-Zellen. Technische Erweiterungen des menschlichen Körpers wurden ersonnen, pneumatische Hüllen und multidirektional vernetzte Aggregate des Wohlbefindens. Von Hans Hollein geht es über Raimund Abrahams «Megastructures» und Günther Domenigs «Totale Medien» zu Coop Himmelb(l)au und zum anarchisch-interdisziplinären Kosmos der längst dahingeschiedenen Gruppen Zünd-Up und Missing Link.

Es wäre nur die halbe Wahrheit über eine Epoche, würden im Mumok nicht auch internationale Geistesverwandtschaften gezeigt. Wie Architektur auf kleinstem Raum erdacht wird und dass es von dort zur mobilen Grossstadt namens Walking City der Londoner Gruppe Archigram nur ein kleiner Schritt ist, wird ebenso deutlich wie der Widerspruch zwischen psychedelischer Gemütlichkeit und megalomanen Projekten. In Wien lassen Coop Himmelb(l)au ein nacktes Paar im durchsichtigen Plasticball durch die Parks rollen, während die Italiener von Superstudio gerade ihr «New New York» entwerfen. Die riesenhafte Überbauung ganz Manhattans, man weiss es, wurde nie verwirklicht. Die amerikanischen Ant Farm waren da mit ihren flexiblen und alltagstauglichen Ein-Mann-Polyethylenskulpturen schon erfolgreicher.

Wo beginnt die Architektur, und wo endet sie, wenn überhaupt alles Architektur ist, wie Hans Hollein sagt? «Mind Expanders» gibt sich in dieser Frage, ganz dem Titel gemäss, eher undogmatisch. Ein kurzer Abriss zum Wiener Aktionismus, zur Wiener Gruppe und zu Friedensreich Hundertwassers «Verschimmelungsmanifest» des Jahres 1958 führt hinab in die Tiefenschichten der nachholenden Wiener Avantgarde des menschlichen Bewusstseins. Wenn Ausstellungskurator und Hausherr Edelbert Köb im Untergeschoss des Mumok auch Beispiele der Körperkunst seit den sechziger Jahren unter die «Mind Expanders» mischt, dann hat das durchaus etwas Zwingendes. So wie die Architektur mit ihren Funktionshüllen den Körper neu in die Welt einschreibt, so werden in der Körperkunst die Grenzen zwischen innen und aussen noch einmal nachgezeichnet. Als Stadtmöbel inszeniert Valie Export in ihren Serien aus den sechziger und siebziger Jahren den menschlichen Leib. Zwischen emanzipatorischer Geste und Unterwerfung sind «Aus der Mappe der Hundigkeit», «Aufrundung» und «Aufhockung» angesiedelt. Peter Weibel an der Hundeleine von Valie Export – das ist passagere Stadtarchitektur, deren Bilder den kollektiven Raum nicht weniger belebt haben als Günter Brus' legendärer «Wiener Spaziergang». Weit ist das Feld, das die Ausstellung schon mit ihrem Untertitel «performative Körper» andeutet. Von Marina Abramovics Video «Breathing in – Breathing out» geht es zu Arnulf Rainers Grimassenserie «Nervenkrampf» des Jahres 1970. In Maria Lassnigs lithografischen Sesselserien verfestigt sich der zeichnerische Strich wieder zur Architektur. Dort ist die Kunst bei Bruno Gironcolis schweren Metallskulpturen längst wieder angekommen.

Schwebende Imaginationen

Wo Österreichs architektonische Avantgarde von einst heute angekommen ist, kann man einem Exponat der Ausstellung «Mind Expanders» ansehen, das im Inventar nicht eigens geführt wird. Es ist das 2001 fertiggestellte Gebäude des Wiener Museums Moderner Kunst selbst. Aus den schwebenden Imaginationen von Haus-Rucker-Co ist ein harter, schwerer Block aus schwarzem Basalt geworden. Gebaut hat ihn Laurids Ortner, seinen einstigen Überzeugungen zum Trotz. «Erfrischend und weich» hat er sich die «Vanille-Zukunft» der Architektur vor genau vierzig Jahren noch ausgemalt.

[ Bis 30. August 2009. Kein Katalog ]

Neue Zürcher Zeitung, Di., 2008.08.19

16. Mai 2008Paul Jandl
NZZ-Folio

Die Meister und die Szene

Eine Ausstellung zur slowenischen Architektur in Wien

Eine Ausstellung zur slowenischen Architektur in Wien

Es war eine Stunde null. Als zu Ostern des Jahres 1895 in Ljubljana die Erde bebte, war noch nicht abzusehen, dass damit auch die Debatten um die Architektur eine neue Wendung erfahren würden. In der ehemaligen Provinzstadt markierten in den folgenden Jahren Joe Pleniks neue Bauten einen Einschnitt, der symptomatisch bleiben sollte. Das Traditionelle und das Moderne gingen Synthesen ein und wurden zu Paradigmen, an denen sich die Diskussionen entzündeten. Wenn jetzt im Wiener Ringturm eine Ausstellung zur slowenischen Architektur gezeigt wird, dann trägt diese nicht ohne Grund den Untertitel «Meister und Szene». Aus dem Schatten von Meistern wie Joe Plenik oder Max Fabiani ist die Baukunst des kleinen Landes erst allmählich getreten. Dass dabei die Rolle des slowenischen Architekten und Theoretikers Edvard Ravnikar kaum zu überschätzen ist, macht die Schau mit ihren siebzig Projekten deutlich.

In drei historische Abschnitte ist die Ausstellung unterteilt. Die erste Epoche ist die Zwischenkriegszeit, in der Slowenien Teil des jugoslawischen Königreichs war, der zweite Abschnitt gilt der Ära des Sozialismus, und der dritte ist der Zeit nach der 1991 erlangten Unabhängigkeit gewidmet. Wie andere Regionen in Zentral- und Osteuropa lebte auch Slowenien vom Einfluss internationaler Schulen. Aus dem Wien vor der Jahrhundertwende brachte der Otto-Wagner-Schüler Plenik wichtige Anregungen mit. Während der Zwischenkriegszeit war es der Funktionalismus, der auf die slowenische Architektur bedeutenden Einfluss ausübte, später die Pariser Werkstatt Le Corbusiers. Als in den dreissiger Jahren gleich neun ehemalige Schüler von Plenik bei Le Corbusier praktizierten, war das die endgültige Abkehr von Pleniks traditionalistischen Ideen. Es war Revolte und zugleich jener Aufbruch, der – wie die Ausstellung zeigt – noch heute in der slowenischen Architektur zu erkennen ist.

Die Auswahl der gezeigten Werke ist dabei durchaus repräsentativ. Subtil sind die Linien, die sich aus der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit ergeben. Von Ravnikars «Revolutionsplatz», den dieser 1960 mit seiner Hochhausarchitektur gestaltete, führen die Impulse über das Hotel Creina bis zum 1973 fertiggestellten Wohngebäude «Ferant Garden». Ravnikar und seine Schüler sind vielleicht die letzten Vertreter einer Homogenität, die es so heute nicht mehr gibt.

«Eine Generation ohne Meister» nennt der Architekturhistoriker Luka Skansi im ausgezeichneten Begleitbuch zur Ausstellung jene Gruppe von jungen Ingenieuren, denen man allenfalls den Einfluss ihrer Londoner oder Rotterdamer Schule ansieht. Und das heisst in der Architektur: Man ist so international und zugleich so individuell wie möglich. Was das Niveau der Bauten von Sadar und Vuga, Bevk-Perovi oder Vojteh Ravnikar angeht, so stehen sie im überzeugenden Einklang mit der immer noch gültigen Forderung Edvard Ravnikars – dass die Landschaften und Städte weder Denkmäler sein sollen noch Orte der Beliebigkeit.

[ Bis 30. Mai im Wiener Ringturm. Begleitbuch zur Ausstellung: Slowenien. Architektur. Meister und Szene. Hrsg. Adolph Stiller. Verlag Anton Pustet, Salzburg 2008. 156 S., € 25.–. ]

NZZ-Folio, Fr., 2008.05.16

22. Dezember 2007Paul Jandl
Neue Zürcher Zeitung

Architektur muss brennen

Vor knapp vierzig Jahren wurde Coop Himmelb(l)au von Wolf D. Prix und Helmut Swiczinsky gegründet. Wie aus dem kompromisslosen österreichischen Avantgarde-Duo ein Büro mit internationalen Grossaufträgen wurde, zeigt eine multivisionäre Wiener Ausstellung.

Vor knapp vierzig Jahren wurde Coop Himmelb(l)au von Wolf D. Prix und Helmut Swiczinsky gegründet. Wie aus dem kompromisslosen österreichischen Avantgarde-Duo ein Büro mit internationalen Grossaufträgen wurde, zeigt eine multivisionäre Wiener Ausstellung.

Schöner hätte man es nicht inszenieren können. Über der Coop-City hört man die Helikopter kreisen und die Möwen schreien, ein Meer aus Häusern und Bürotürmen schimmert im bunten Licht von Scheinwerfern, und der Architekt glänzt als Visionär. Von der Farbe Blau erzählt Wolf D. Prix und von einer Kunst des Bauens, die so leicht und veränderbar ist wie die Wolken. Eine Tribüne hat das Wiener Museum für angewandte Kunst (MAK) aufgebaut, damit man hinunterschauen kann auf die Stadt mit den Modellen von Coop Himmelb(l)au und auf das Video mit einer ergrauten Eminenz. Seit vierzig Jahren gibt es Coop Himmelb(l)au, und das MAK feiert, was es zu feiern gibt. «Beyond the Blue» heisst die grosse Ausstellung, die bis 1968 zurückgeht. Es genügt eine Show aus Bildern, Licht und Sound. Selbsterklärend ist der Erfolg, der von der Münchner BMW-Welt über den in Bau befindlichen Frankfurter EZB-Turm bis zum Musée des Confluences reicht, meterhoch sind die gezeigten Modelle. Wenn es um Stilisierung geht, war Coop Himmelb(l)au immer gut. Zornige Manifeste mit Titeln wie «Architektur ist nicht Anpassung» oder «Das Ende des Raumes ist der Anfang der Architektur» hat das Wiener Büro der Welt entgegengeschleudert. «Architektur muss brennen!», hiess es noch 1980. Der ans Pyromanische grenzende Beweis folgte bald. Über Graz wurde eine anderthalb Tonnen schwere Stahlkonstruktion hochgezogen, die mit Flüssiggas gefüllt war. Für ein paar Minuten brannte diese Architektur lichterloh, und es war wie so manches in den letzten Jahrzehnten nicht viel mehr als rhetorischer Zauber.

Wolke und Kristall

Rhetorisch war die Kunst von Coop Himmelb(l)au schon immer. Beim 1983 entstandenen Dachausbau in der Wiener Falkestrasse sieht man in der offen daliegenden Trägerkonstruktion die nervösen Linien des Bleistifts, der ihn entworfen hat. Es war das erste wichtige Projekt, das realisiert wurde, doch der dekonstruktivistische Furor kann noch heute wirksam sein. Wenn 2010 in Lyon das Musée des Confluences fertig gestellt sein wird, dann gibt es auch dort ein Gewirr der Linien und der gebrochenen Flächen. Die Wolke und der Kristall, die beiden Urformen des Bauens bei Coop Himmelb(l)au, werden auch am Zusammenfluss von Rhone und Saône zu sehen sein. Stahl und Glas, das Schwere und das Leichte, das Diaphane und das Opake treten hier, wie schon beim UFA-Kinopalast in Dresden (1998) und beim Akron Art Museum in Ohio (2007), noch einmal miteinander in Konkurrenz. Lange hingestreckt ist der Bau, und damit immer noch nicht das, was sich einer wie Prix einmal erträumt hat. Als 17-Jähriger, so geht die selbstgestrickte Legende, sei der Architekt vor Brueghels «Babylonischem Turm» gestanden und habe erkannt, was seine Aufgabe in der Welt sein wird. Türme wie diesen fertig zu bauen. Die Wolke, die Brueghel neben sein Monument der Sprachverwirrung setzt, wird Prix ebenfalls nicht entgangen sein.

Jahrzehnte hat Coop Himmelb(l)au in der Horizontalen gebaut, jetzt erst strebt es nach oben. Der langgehegte Traum von der «vertikalen Stadt», wie sie in den achtziger Jahren schon einmal für eine Skyline Hamburgs entworfen wurde, erfüllt sich beim Gebäude der Europäischen Zentralbank in Frankfurt. Im Jahr 2011 soll der 180 Meter hohe Turm fertig sein, der am Mainufer an die alte Grossmarkthalle angedockt wird. «Groundscraper» heisst das historische Gebäude im Entwurfsjargon. Daneben wird das erste Himmelb(l)au-Projekt verwirklicht sein, das wirklich in die Wolken ragt. Gegeneinander verdreht sind die beiden Teile, die mit transparenten Flächen verbunden sind. Für die Verhältnisse von Coop Himmelb(l)au ist diese Architektur erstaunlich glatt. Ist es die Ästhetik des Geldes, der symbolische Ernst, der den Wienern jene entwerferischen Flausen austreibt, die es bei der kürzlich eröffneten BMW-Welt immerhin noch gab?

Auch die Münchner Auto-Erlebniswelt zählt zu jenen drei Projekten, die in der Ausstellung des MAK in allen Stadien gezeigt werden. Wie sich die beiden Zylinder des Gebäudes allmählich ineinanderschrauben, kann an den Skizzen und Modellen beobachtet werden. Das neue BMW-Zentrum ist ein höchst gegenwärtiges und deshalb auch selbstzufriedenes Symbol der automobilen Evolution. So direkt daneben kann Karl Schwanzers berühmtes «Vierzylinder»-Hochhaus wohl nur filigran wirken.

Wenn sich der Erfolg von Coop Himmelb(l)au an den Modellen ablesen lässt, die das von Wolf D. Prix und Helmut Swiczinsky gegründete Büro im Laufe der Jahrzehnte gebaut hat, dann ist evident, wo man heute steht. Anarchisch muten selbst die Entwürfe der achtziger Jahre an, wenn mit Schnüren, Holzklötzchen und Metalldrähten «Das Herz einer Stadt» für Melun-Sénart in Frankreich aufgebaut wird. Das neue Gebäude der Europäischen Zentralbank wächst unter anderen Bedingungen aus dem Skizzenblock. In einer Folge aus Dutzenden kleinen Modellen wird der Turm in seine endgültige Form gedreht, er wächst nach oben, bis er als meterhohes Modell dasteht. Der EZB-Turm ist eine gläserne Kubatur, die schon ziemlich weit von dem entfernt ist, was Coop Himmelb(l)au dem Menschen früher einmal um den Leib schnallen wollte. Die an den Wänden der Ausstellung mit Fotos dokumentierte Geschichte des Wiener Duos erzählt auch vom Werdegang einer Avantgarde. In den psychedelischen sechziger und siebziger Jahren hat Coop Himmelb(l)au pneumatische Apparaturen ersonnen. Es war eine intime Architektur, die den Körper nur um aufblasbare astronautische Versorgungsstationen erweiterte. 1969 war es ein «Herzraum – Astroballon», im Jahr davor der Wohnorganismus «Wolke», der aus den Baustoffen «Luft» und «Dynamik» gemacht war.
Nebenwirkungen des Werks

Den Erfindern, die mit anderen jungen Wilden die Szene aufmischen wollten, war Architektur «Inhalt und nicht Hülle». Wenn Wolf D. Prix vierzig Jahre später für die Ausstellung die Statements von damals referiert, dann klingt das, als wäre er sich das Revoluzzertum noch einmal schuldig. Ein Revoluzzertum, das in Wien, wo jahrzehntelang nichts nennenswertes Neues gebaut wurde, oft grösser ausschaut, als es tatsächlich ist. Auf welchen Wegen Coop Himmelb(l)au im Establishment der Architektur angekommen ist, zeigt die Ausstellung im MAK sehr plastisch. Psychedelisch jedenfalls war gestern. Oder doch nicht? Auf Nebenwirkungen des Werks von Prix und Co. wird wohl nur noch im etwas hagiografisch ausgefallenen Katalog hingewiesen. Wie schreibt der Architekturkritiker Jeffrey Kipnis in seinem Beitrag? «Das erste, was man in einem Coop-Himmelb(l)au-Gebäude tun möchte, ist, sich eine Zigarette anzuzünden, vielleicht einen Drink nehmen und mit jemandem reden – selbst wenn man gar nicht trinkt oder raucht.» Sage niemand, die braven Angestellten der Europäischen Zentralbank seien nicht gewarnt gewesen.

[ Bis 11. Mai 2008 im Museum für angewandte Kunst (MAK) in Wien. Katalog: Coop Himmelb(l)au. Beyond the Blue. Hrsg. Peter Noever. Prestel-Verlag, München 2007. 192 S., € 39.90. ]

Neue Zürcher Zeitung, Sa., 2007.12.22

19. Oktober 2007Paul Jandl
Neue Zürcher Zeitung

Willkommen im Westen!

Eine Wiener Ausstellung zur bulgarischen Architektur

Eine Wiener Ausstellung zur bulgarischen Architektur

«Prototyp» notierte der junge Le Corbusier im Jahre 1911 in seinem Reisetagebuch unter der Skizze eines schlichten, aber hoch funktionalen Hauses im bulgarischen Kasanlik. Auf seinem mehrere Monate dauernden «voyage en Orient» fuhr der Architekt durch die Dörfer des Balkans und holte sich dort Inspirationen, die sein Werk prägen sollten. In mehreren Wellen wurde seit Le Corbusier das anonyme Bauen Bulgariens entdeckt. Seine auf das menschliche Mass ausgerichteten Grundrisse und die traditionelle Öffnung der Gebäude nach aussen finden etwa auch in Bernard Rudofskys grundlegenden Gedanken zu einer «Architektur ohne Architekten» ihren Niederschlag. Wenn jetzt im Wiener Ringturm eine Ausstellung zur bulgarischen Architektur gezeigt wird, dann zählen diese Ursprünge zu den Präliminarien eines sich äusserst divers zeigenden Bauens, das doch immer wieder zu den alten Tugenden zurückzukehren versucht.

Chronologisch und in so spartanischer Aufmachung, dass der Katalog dazu zum eigentlichen Ereignis wird, geht die Ausstellung durch rund dreihundert Jahre bulgarischer Architektur. Über die frühen kubischen und in ihrer ästhetischen Konsequenz beeindruckenden Wohnhäuser legt sich im 19. Jahrhundert der im riesigen Reich der österreichischen Monarchie internationalisierte Eklektizismus. In Bulgarien baut, wer auch anderswo auf gleiche Weise mit seinem Historismus hätte reüssieren können. Aber auch die in der Zwischenkriegszeit einsetzende Moderne ist geprägt durch Einflüsse von aussen. Die Vielfalt der ästhetischen Provenienzen schafft ein illustres Nebeneinander an Stilen. Neben einem üppigen Art déco wie etwa der St.-Paraskeva-Kirche in Sofia gedeiht bereits eine nüchtern geometrische Moderne, die sich vor allem in den Hotelbauten der Schwarzmeerküste verwirklichen kann. Wie anderswo wird auch hier das Bild des Schiffs als architektonische Form variiert.

In den Zeiten des Kommunismus hat sich die Architektur Bulgariens – im Gegensatz zu anderen Ländern des Ostblocks – einen Rest formalen Anstands bewahrt. Eine Spur weniger triumphal sind Bulgariens architektonische Projekte zu dieser Zeit. Auch wenn das in den fünfziger Jahren entstandene neue Stadtzentrum von Sofia einen mächtigen, stalinistisch-düsteren Klassizismus zelebriert, bleibt in Bulgarien genug Spielraum für eine durchaus innovative Architektur.

Das aus den siebziger Jahren stammende, turmartig aufragende Hotel «Veliko Tarnovo» von Nikola Nikolov ist eines der prominentesten Beispiele eines undogmatischen und experimentierfreudigen Bauens. Und heute? Wie in allen Ausstellungen, die sich im Wiener Ringturm der Architektur des europäischen Ostens gewidmet haben, bleibt die Gegenwart ein ungesichertes Terrain. Die Bauindustrie in den neuen EU-Ländern boomt. Die Einflüsse der internationalen Architektur sind unübersehbar. Es gibt Versuche mit der kubischen Form, wie etwa das Apartmenthaus «Jaclin» von Aedes Studio und überzeugende gläserne Variationen der geschwungenen Linie bei I/O Architects. Im Projektstadium befindet sich ein multifunktionales Gebäude, das dem urbanen Sofia ein Gesicht geben soll und das man schon gesehen zu haben meint. Kaloyan Erevinovs biomorphe Architektur erinnert frappant an die organisch quellenden Welten eines Greg Lynn. Willkommen, Bulgarien, im Westen!

[ Bis 9. November im Ringturm in Wien. Katalog: Architektonische Fragmente – Bulgarien. Hrsg. Adolph Stiller. Verlag Anton Pustet, Salzburg 2007. 156 S., € 28.–. ]

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2007.10.19

18. Juni 2007Paul Jandl
Neue Zürcher Zeitung

Das Ende des Canaletto-Blicks

Als Wien vor einigen Jahren beschloss, die strengen Bauvorschriften zu lockern, konnte man noch nicht ahnen, welche Entwicklung diese neue Liberalität auslösen würde. Im Wildwuchs der Turmbauten ist herausragende Architektur nur vereinzelt zu finden, doch aus dem russgeschwärzten Wien wird endgültig eine moderne Stadt.

Als Wien vor einigen Jahren beschloss, die strengen Bauvorschriften zu lockern, konnte man noch nicht ahnen, welche Entwicklung diese neue Liberalität auslösen würde. Im Wildwuchs der Turmbauten ist herausragende Architektur nur vereinzelt zu finden, doch aus dem russgeschwärzten Wien wird endgültig eine moderne Stadt.

Die «Hamburg» liegt am Pier, über die Donau weht die leichte Brise eines Frühsommertags. Schiffe tuten auf ihrem Weg zum Schwarzen Meer, und was aus der Ferne des anderen Ufers herüberleuchtet, ist keine Luftspiegelung, sondern das neue Abbild Wiens. Bürohochhäuser ragen in den Himmel, «Donau City», kurz DC, wird der transdanubische Stadtteil genannt, in dem sich Glasfassade an Glasfassade reiht und wo die Rekorde fallen. Dominique Perrault hat den finalen Masterplan des insgesamt zwei Milliarden Euro teuren Areals erstellt, und der französische Architekt wird sich hier demnächst auch noch selbst verewigen: 220 Meter hoch wird der grössere seiner beiden Türme sein. Miteinander ergeben sie ein mächtiges Tor. Hinaus zur Welt, oder nach Wien hinein?

Wer zählt die Türme?

Wien baut, und das bedeutet in diesen Tagen Grosses. Wer so spät begonnen hat wie die Stadt an der Donau, der will keine Zeit verlieren. Lange genug hat der von Canaletto verewigte Blick auf Wien die Architektur in die Demutshaltung der Nostalgie gezwungen, doch seit man vor ein paar Jahren die Vorschriften in Sachen Bauhöhe liberalisiert hat, boomt der Markt mit der Architektur. Die Wiener freut's und die internationale Baukunst auch. Neben Dominique Perrault sind es Jean Nouvel, Zaha Hadid oder Massimiliano Fuksas, die hier in den letzten Jahren ihre Spuren hinterlassen haben. Lokalmatadoren wie Hans Hollein, Coop Himmelb(l)au oder Günther Domenig sind ohnehin da. Und fast alle wollen hoch hinaus. Langzeit-Solitäre waren das Herrengassenhochhaus aus den dreissiger Jahren und der 1955 eröffnete Ringturm. Bald wird man die Wiener Türme nicht mehr zählen können. Wenn erst der neue Zentralbahnhof fertig ist, sind es noch einmal um elf mehr. Die Stadt wächst über sich selbst hinaus.

In Wien, wo schon im ersten Bauboom der fünfziger Jahre alles nur moderat modern war, hat man sich vom imperialen architektonischen Erbe grosser Zeiten gerne einschüchtern lassen. Noch bis in die neunziger Jahre war die neue städtische Architektur eine Simulation des Vorhandenen. Man baute so, wie schon die Umgebung war. Was dabei herauskam, waren im besten Fall postmoderne Verrenkungen. Der Versuch, neben dem ortsüblichen Historismus nicht störend aufzufallen, ergab eine Art Historismus im Quadrat. «Wien», sagt der verdiente Architekturkritiker Friedrich Achleitner, «war nie ein Ort architektonischer Erfindungen. Es war eher ein Umschlagplatz von Ideen. Es ist ein Ort der Rezeption, der Adaption, der Kontemplation, der Koexistenz einander fremder oder ausschliessender Systeme. Die Stärke des Wieners liegt im Reagieren, Abwägen, Verbinden, im Relativieren absoluter oder sich so gebärdender Systeme. Dem Wiener ist nichts so verdächtig wie eine Sache, die sich selbst ernst nimmt.» Hans Holleins Haas-Haus am Wiener Stephansplatz wurde 1990 errichtet, und es war der einzige wirkliche Eingriff in innerstädtische Zonen während Jahrzehnten. Die spät-postmoderne Architektur des direkt gegenüber dem Dom gelegenen Hauses war bei der Fertigstellung ein Skandal. Sie zeigt heute nur noch, wie schnell der Anlass der Aufregungen verblassen kann.

Doppelkodierung

«Wer baut, hat recht», sagt einer, der es wissen muss, weil er in Wien lebt. Friedrich Achleitner hat es schon vor zwanzig Jahren auf eine prägnante Formel gebracht. Eine «Doppelkodierung aus Prinzip und Neigung» nennt Achleitner das traditionelle Selbstverständnis des Wiener Bauens. Und das heisst auch, dass die Neigung zum Prinzip werden kann. Wenn der Wiener Stadtplaner und Kritiker Reinhard Seiss kürzlich in einem elementaren Buch mit dem Titel «Wer baut Wien?» über die subtilen, aber wirkmächtigen Zusammenhänge zwischen Stadtpolitik, Investoren und Architekten aufgeklärt hat, dann sind die gegenwärtigen Wiener Verhältnisse bestens beschrieben. In Wien blüht das, was man nicht nur hier «Investorenstädtebau» nennt, ein Phänomen vorzugsweise ökonomischer Interessen, die sich über kommunale Bebauungspläne ebenso elegant hinwegsetzen, wie sie infrastrukturelle Fragen ausser acht lassen. Auf schlecht erschlossenen, bisher brachliegenden Grundstücken entstehen innerhalb kurzer Zeit neue städtische Zentren. Hochhausagglomerationen mit gemischter Nutzung schiessen aus dem knappen Boden. Um jeden Quadratmeter wird gerungen, bis sich die Baukörper gegenseitig im Weg stehen. Man holt international bekannte Architekten, sonnt sich im Licht der eigenen Bedeutung und wirft Schatten aufs Nebenhaus. Prominentes Beispiel für Entwicklungen dieser Art ist die sogenannte Wienerberg City, deren Büro- und Wohntürme den Reisenden, so er denn aus Süden kommt, schon von weitem begrüssen.

Wienerberg und andere Höhen

Der italienische Architekt Massimiliano Fuksas hat hier mit seinen gläsernen «Twin Towers» ein emblematisches Gebäude verwirklicht, dessen klassische Form von allerlei architektonischen Nebenakzenten begleitet wird. Coop Himmelb(l)au haben bunte, mit dekonstruktivistischer Zierrat verbundene Wohntürme auf den Wienerberg gestellt, und Albert Wimmer hat ein bemerkenswertes, mit grüner Keramik gekacheltes Gebäude in die Höhe gezogen, das nicht nur «Monte Verde» heisst, sondern auch ökologisch konzipiert ist. Von den oberen Stockwerken der Wienerberg City geht der Blick weit nach Süden. Oder ins Nebenhaus. Dicht an dicht stehen die Türme. Wer am Wienerberg Glück hat, der kann immerhin den Ausblick auf das begrünte Areal eines ehemaligen Ziegelwerks geniessen. Geradezu idyllisch kann die Welt hier anmuten, und manch einer nimmt gerne den Umstand in Kauf, dass es verkehrsmässig keinerlei Infrastruktur gibt.

Bei einem anderen Wiener Grossprojekt, dem «Monte Laa», ist die Lage umgekehrt. Eine der am stärksten befahrenen Stadtautobahnen Europas wird mit Büro- und Wohnhäusern überbaut. Eigentümer der nicht gerade vorteilhaft situierten Grundstücke ist eine grosse Baufirma. Und die will die Lage gleich doppelt versilbern. Schon stehen Teile des grossvolumigen Komplexes direkt über dem rollenden Verkehr. Aber das bisher Gebaute ist nichts gemessen an dem, was noch kommen soll. Ein von Hans Hollein entworfener neunzig Meter hoher Tower harrt noch der Verwirklichung. Der futuristisch anmutende Turm mit weit auskragenden Plateaus an der Spitze wirkt martialisch und erinnert entfernt an die Flaktürme, die seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs mitten in der Stadt stehen. Dass es anders und weniger auftrumpfend auch geht, hat das Team Architektur Consult ZT mit Günther Domenig und Hermann Eisenköck in unmittelbarer Nähe des «Monte Laa» mit dem imposanten T-Center längst bewiesen. Österreichs grösstes Bürogebäude ist ein dunkler Koloss aus Stahl und Glas, der dennoch zu schweben scheint. Seine trotz der Grösse grazile Dynamik verdankt der sacht sich hebende und sich senkende Baukörper horizontalen Lamellen und seiner gestreckten Form.

Inmitten der immer häufiger gen Himmel weisenden neuen Wiener Architektur ist diese plastisch gewordene Gemächlichkeit eine wohltuende Beruhigung. Weithin ist dieses Meisterwerk in der Stadt zu sehen, und was seine Qualität betrifft, steht es allein auf weiter Flur. Denn besonderes Glück hat die Stadt mit architektonischen Grossprojekten in den letzten Jahren nicht gehabt. Wenn Immobilienentwickler ganze Viertel mit neuer Hochglanzarchitektur überziehen, dann verändert das zwar die vormals kleinteiligen städtischen Zonen, aber es macht Wien auch verwechselbar. Einzelne Impulse wie der Umbau der Simmeringer Backstein-Gasometer zu Wohnanlagen - durch Jean Nouvel, Coop Himmelb(l)au, Wilhelm Holzbauer und Manfred Wehdorn vor einigen Jahren - haben höheren Unterhaltungs- als Nutzwert.

Dass man in Wien Chancen auch gerne verpasst, zeigt sich an einem Projekt, mit dem schon vor über zehn Jahren begonnen wurde. 1993, zu einem Zeitpunkt, als die Architektin noch ein gutes Stück von ihrer heutigen Strahlkraft entfernt war, hat die Stadt Wien Zaha Hadid gebeten, für das wenig belebte Gebiet am zentral gelegenen Donaukanal ein Konzept zu erarbeiten. Als Draufgabe für Zaha Hadids Mühen hat man der Architektin angeboten, gleich auch selbst hier zu bauen.

Die Jahre vergingen, und der 2005 fertiggestellte Wohnbau Zaha Hadids ist, wie man nun deutlich sieht, auf die Grösse lokaler Möglichkeiten geschrumpft. Durch mehrfache Umplanung wurde aus einer ursprünglich spektakulären Skulptur ein halbherziger Kompromiss. Was dazu noch kommt: Zaha Hadids Werk liegt an einem wienerischen Unort. Gleich neben der von Friedensreich Hundertwasser behübschten Müllverbrennungsanlage Spittelau, zwischen einer Einfallstrasse und dem Donaukanal, muss sich Hadids aus mehreren Blöcken bestehender Bau nach der Decke strecken. Wie gross geplant und klein geschrumpft sehen die viergeschossigen Apartmenthäuser aus, und wohnen will nach anfänglichem Andrang auch niemand darin. Hadids Skulptur ist gegen jede Orthogonalität gebaut, sie kennt keine geraden Wände, und dieses künstlerische Plus ist bei 70 Quadratmeter grossen Wohneinheiten ein Minus in der Nutzung. Vielleicht hätte man Hadids hochfliegende Kreativität nicht ausgerechnet für ein Projekt des sozialen Wohnbaus nutzen sollen. Mit höchst konventionellem Material gebaut, stehen die Blöcke auf Stelzen über den backsteinernen Ausläufern von Otto Wagners Wiener Stadtbahn. Aus der Korrespondenz zwischen dem Alten und dem Neuen hat man sich Effekte versprochen, die aber durch das lokale Arrangement aus Platznot und Geldmangel gänzlich zunichte gemacht werden.

Wo der Mut zur Grösse fehlt, dort bleiben selbst die aufwendigsten Projekte im Ansatz stecken. Das Wiener Museumsquartier, das die neue Architektur verschämt und das Baudenkmal schonend hinter der Barockfassade der ehemaligen Hofstallungen verbirgt, ist ein Sündenfall der gleichen Art. Doch gleichzeitig lernt man dazu. Aus dem Weichbild der Stadt ragen immer mehr Orientierungspunkte des Neuen heraus. Die Schutzzone innere Stadt freilich bleibt mit gutem Grund tabu.

Neue urbane Zonen

Ein gutes Stück weiter, von Zaha Hadids Wohnbau den Donaukanal stromabwärts, entwickelt sich eine urbane Zone neuer Art. Im zweiten Bezirk, direkt gegenüber der City, stehen Häuserzeilen von unverblümter Wiener Nachkriegstristesse. Sie sind durchmischt mit Bürohäusern, die in den sechziger und siebziger Jahren schnell hochgezogen worden sind. Dass die Gegend nicht nur den besten Blick auf die Innenstadt bietet, sondern ihrerseits ein Panorama gewollter Architektur sein kann, hat man erst in den letzten Jahren bemerkt. Hans Hollein hat hier an prominenter Adresse einen «Media Tower» gebaut, Neumann & Partner haben gegenüber der jüngst behutsam renovierten und erweiterten Sternwarte Urania einen Büroturm hingestellt, und für Jean Nouvels «Uniqua»-Tower wird gerade die Baugrube ausgehoben. Alle drei Gebäude sind Eckpunkte im Häusergefüge, und alle drei wagen sie den Ausfallschritt gegen die gerade Linie.

Auf dickem Fuss steht der Glasturm von Neumann & Partner da. Seine Glasverkleidung spannt sich auf gebogenen Stahlträgern dem Boden entgegen. Hollein hat die beiden grösseren Baukörper seines «Media Tower» gegeneinander verdreht und noch ein schräges Türmchen davorgesetzt. Der gegenüberliegende Glasturm von Nouvel wird sich dem Werk Holleins entgegenneigen. Ob es mehr ist als ein Kippeffekt, muss sich erst zeigen.

Vielleicht sind es vor allem die auf den ersten Blick nicht ganz so spektakulären Entwürfe, die in Wien überzeugen. Das Bürohaus k47 von Henke und Schreieck, das sich am Wiener Kai an die Häuser einer grossbürgerlichen Jahrhundertwende so kompromisslos modern anpasst, dass gerade dieses Paradox seine sinnlichen Qualitäten hat, gehört dazu, Carl Pruschas edel rostendes «Bibel-Haus» hinter dem Wiener Museumsquartier oder die elegante Erweiterung der Wiener Stadthalle durch Dietrich & Untertrifaller.
Altes und Neues

Wien wird anders. In der Monarchie lag es im Zentrum der Welt und nach dem Zweiten Weltkrieg an dessen Ende. Beides, die k. u. k. Zeiten und die Ära des Eisernen Vorhangs, war mit Kopfbahnhöfen bestens zu bedienen. Doch jetzt wird neu geplant. «Bahnhof Wien Europa Mitte» sollte der neue zentrale Zugsknotenpunkt heissen. Vom selbstbewussten Namen ist man mittlerweile wieder abgekommen, das Projekt aber bleibt unverändert voluminös. Fast eine Milliarde Euro wird das neue Bahnhofsviertel kosten. Es ist so gross wie achtzig Fussballfelder und garantiert Wien den Anschluss an die Welt. Wo es bisher inferiore und nur wenig repräsentative Bahnhofsbauten gab, wird emsig neu gebaut und umgestaltet. Schon jetzt ist der Bahnhof Wien Nord im Bau, der Spatenstich für den Hauptbahnhof war letzte Woche, und der Wiener Westbahnhof, architektonisch noch der beste, wird ebenfalls bald in Angriff genommen.

Wien, das ist das Alte und das Neue. Dass man beides im gleichen Atemzug nennen kann, ist zumindest ein Fortschritt. Direkt neben dem T-Center in St. Marx ist jetzt ein Juwel historistischer Zweckarchitektur renoviert worden. Die Fensterscheiben der von zarten Eisensäulen getragenen ehemaligen Rinderhalle des Schlachthofs St. Marx spiegeln den imposanten Bürokomplex. Die Linien des einen gehen in die des anderen über. Und es ist kein Widerspruch, sondern Harmonie.

Neue Zürcher Zeitung, Mo., 2007.06.18

10. März 2007Paul Jandl
Neue Zürcher Zeitung

Häuser für Menschen

Das Wiener Architekturzentrum zeigt eine Werkschau zu Bernard Rudofsky

Das Wiener Architekturzentrum zeigt eine Werkschau zu Bernard Rudofsky

«Dem unbekannten Fussgänger» hat der österreichische Architekt Bernard Rudofsky sein 1969 erschienenes Buch «Strassen für Menschen» gewidmet. Wenn schon der Titel Programm war, dann war es diese Zueignung nicht weniger. Rudofskys Kunst war anthropologisch und damit antielitär. Sie lag quer zu allem, was sich im Metier der Architektur durch grosse Bauten auf den Punkt gebracht hatte. Und das nicht nur deshalb, weil nur wenige der Projekte dieses originären Theoretikers verwirklicht wurden. Wenn das Wiener Architekturzentrum den 1988 verstorbenen Architekten jetzt mit einer grossen Ausstellung ehrt, dann ist das eine Hommage an einen Unbequemen, der in seinen Büchern und in Ausstellungen das Feld der Architektur weit öffnete. Aus seinem Werk kann gelernt werden: «Lessons from Bernard Rudofsky» nennt sich die Schau, die gemeinsam mit dem Getty Research Institute in Los Angeles und dem Canadian Centre for Architecture in Montreal gestaltet wurde.
Praktisches und sinnliches Vergnügen

Ähnlich wie Adolf Loos, dessen Texte sich mit der Ideologie von Herrenhüten und von Fussbekleidung oder mit «kurzen Haaren» beschäftigten, hat Rudofsky das unmittelbare Lebensumfeld des Menschen als einen erweiterten und gestaltbaren Raum begriffen. Wenn sein österreichischer Architektenkollege Adolf Loos ein konservativer Avantgardist war, einer, dem die Ursprünglichkeit des Handwerks über alle architektonische und kunsthandwerkliche Eitelkeit ging, dann ist Bernard Rudofsky ohne Zweifel einer seiner avanciertesten Nachfolger. Von der ungemütlichen Pädagogik einer modernistischen Kunst, die den Menschen zu seinem Glück zwingen will, hat Rudofsky nichts gehalten. Seine Reisen, die ihn seit der Studentenzeit quer über den Globus geführt haben, waren ihm Anschauungsmaterial für den einen exemplarischen Grundriss. Im Mittelpunkt: der Mensch. Zum praktischen und sinnlichen Vergnügen sollten die Häuser da sein, die Rudofsky plante. Die pompejanische Villa mit ihrer quadratischen Anlange und dem Hof in der Mitte schien ihm ein frühes architektonisches Ideal zu sein, in dem der menschliche Körper mit seinen funktionalen Bedürfnissen eingeschrieben war. Die Ausstellung zeigt einen prototypischen Entwurf, bei dem auch der Patio nicht fehlt. 1932 hat Rudofsky die Planungen für das Haus B. auf Capri begonnen.

«Architecture without Architects» hiess die epochale Schau, die Bernard Rudofsky 1964 für das New Yorker Museum of Modern Art gestaltete. Es war ein enzyklopädischer Bericht aus der Geschichte menschlicher Behausung und eine spannende Reminiszenz an das Interesse der Moderne für anonymes, tradiertes Bauen. «Architektur ist nicht nur eine Frage der Technik und Ästhetik, sondern der Rahmen für eine - im besten Fall vernünftige - Lebensweise», hat Rudofsky einmal in einem Vortrag angemerkt. Ob in der Gegenwart oder in kulturgeschichtlichen Vergangenheiten, ob auf den Kykladen, auf Capri oder in Japan - Bernard Rudofsky hat nach jenen anthropologischen Konstanten gesucht, die für das moderne Bauen fruchtbar gemacht werden konnten.

Intimität und Offenheit

1905 im mährischen Zauchtl geboren, kam Rudofsky in Wien mit einem architektonischen Akademismus in Berührung, von dem er sich aber nach dem Studium rasch befreien konnte. Als Mitarbeiter des Büros Theiss & Jaksch war er ab 1930 an der Planung des formstrengen Hochhauses in der Wiener Herrengasse beteiligt. 1932 geht Rudofsky nach Italien, das zu seinem mediterranen Sehnsuchtsland wird. Ab 1935 verwirklicht der Architekt gemeinsam mit Luigi Cosenza an der Meeresküste von Neapel eines seiner Hauptwerke, die Casa Oro. Auf das schmale Grundstück an einem steilen Hang setzt Rudofsky ein langgezogenes Gebäude, das aus mehreren, gegeneinander versetzten Würfeln besteht. Intimität und Offenheit prägen das Haus, das bei weitem nicht das kompromissloseste im Werk des Architekten ist. Seine Ideen zu offenen Wohngärten blieben ebenso unverwirklicht wie das manifestartige Projekt der Casa Procida (1935) oder die als Hotel entworfene Casa Campanella aus den späten dreissiger Jahren.

Wenn Bernard Rudofsky über sich sagt, er habe insgesamt 18 Berufe ausgeübt, dann versucht die Wiener Ausstellung mit einigem Geschick, den Multivisionär Rudofsky zu zeigen. So wie der Architekt seine Eindrücke von der Welt in Aquarellen, Fotografien und Tagebuchnotizen festhielt, machen die Schau und ihr ganz vorzüglicher Katalog das Werk des Multivisionärs auf sehr unmittelbare Art erlebbar. Die Mode war Bernard Rudofsky eine Fortsetzung der Architektur mit anderen Mitteln. Er hat Stoffe und Kleider entworfen. Und er hatte Mitleid mit unbehausten Füssen. Den strengen Leisten geschlossener Schuhe stellte er die «Bernardo Sandals» gegenüber, die das weitaus edlere Äquivalent moderner Flipflops sind. Lang war der Weg Bernard Rudofskys hinunter in die Geschichte menschlicher Kulturen und wieder herauf bis zur postumen Anerkennung. Es braucht gutes Schuhwerk dafür.

Neue Zürcher Zeitung, Sa., 2007.03.10

04. Januar 2006Paul Jandl
Neue Zürcher Zeitung

Konforme Eleganz

Er war ein Herr aus Wien, und in Wien ist er auch geblieben. Erich Boltenstern hat in der Nachkriegszeit das Erscheinungsbild der Stadt geprägt wie kein...

Er war ein Herr aus Wien, und in Wien ist er auch geblieben. Erich Boltenstern hat in der Nachkriegszeit das Erscheinungsbild der Stadt geprägt wie kein...

Er war ein Herr aus Wien, und in Wien ist er auch geblieben. Erich Boltenstern hat in der Nachkriegszeit das Erscheinungsbild der Stadt geprägt wie kein anderer. Eine internationale Karriere ist dem 1896 geborenen Konformisten der Eleganz versagt geblieben, denn er war «moderat modern». So heisst jetzt auch eine grosse Ausstellung über den Architekten im Wien Museum. Erich Boltensterns Name ist kein Synonym für Revolutionäres. Seine soliden Zweckbauten aber spiegeln das Selbstverständnis einer Republik, die zu halbherzig den Traditionen misstraut, um sich schon für die Zukunft zu entscheiden.

Dass die österreichische Architektur der unmittelbaren Nachkriegszeit beim rasanten Wiederaufbau des Landes nur ganz wenige bedeutende Zeichen hinterlassen hat, ist ein Paradox der Umstände. Die wichtigsten Vertreter der österreichischen Moderne waren emigriert oder bereits tot. Und auch ökonomisch musste man sich nach der Decke strecken. Der Ökonomie der Mittel folgte eine Formensprache stilvoller Umstandslosigkeit, die noch bei den ehrgeizigsten Projekten das letzte Wort hatte. Erich Boltensterns Ringturm, das erste wirkliche Hochhaus Wiens aus dem Jahr 1955, ist das, was aus einer amerikanischen Idee werden kann, wenn sie ins Österreich am Rande des Eisernen Vorhangs kommt: das Zitat eines Aufbruchs, nicht viel mehr. Im Stahlbetonskelett und durch bieder gerasterte Fenster ist der Überschwang geometrisch gebändigt. Kein Wunder - der Büroturm gehört einer Versicherung.

Das kühnste Werk Erich Boltensterns ist schon vor dem Krieg entstanden. Über der Stadt, auf dem Kahlenberg, baut der Architekt 1936 ein Restaurant, das zuvor schon Gegenstand mehrerer Wettbewerbe gewesen ist. Utopisches von wesentlich Moderneren wie Ernst A. Plischke oder Rudolf Perco kam im Gegensatz zu Boltensterns Entwurf nicht zum Zug. Das entspannte und anders als spätere Arbeiten mit einem gewissen Willen zur Modernität an den Hang gestellte Grossrestaurant überzeugt bis ins Detail.

Nach dem Krieg hat sich Österreich im Wiederaufbau auch symbolisch rekonstruiert. Erich Boltenstern, der Vielbeschäftigte, hat dabei an vorderster Front mitgearbeitet. Entlang der Wiener Ringstrasse entstanden unter seiner Planung zahlreiche Bürohäuser. Die Wiederherstellung der Wiener Staatsoper, die im Krieg schwer beschädigt worden war, zählt zu Boltensterns Renommierprojekten. Der Zuschauerraum aus dem Jahr 1955 und die Foyers nehmen der patinierten Ambiance der Hochkultur nichts und müssen sich dabei nicht einmal allzu sehr kompromittieren. Auf die Zwischentöne der Anpassung hat sich diese Art des Bauens vorzüglich verstanden.

Das architektonische Werk von Erich Boltenstern ist im Wiener Stadtbild noch heute omnipräsent. Es ist ein architektonischer Alltagsanzug, durch dessen im Laufe der Zeit schäbig gewordenes Material da und dort schon wieder die Qualität schimmert. Das Wien Museum zeigt den Wiener Architekten in einer subtilen Ausstellung. Es macht sein Werk nicht besser, als es ist, und schlägt mit der Menge des Materials den Bogen in eine Epoche, die man nicht allein den Nostalgikern überlassen will. Die Schau zu Erich Boltenstern ist kritisch im Detail und dabei, was die fünfziger Jahre betrifft, atmosphärisch umfassend. Der Nierentisch war ein Luxus der Form und nicht des Gedankens.

[ Bis 29. Januar im Wien-Museum in Wien. Katalog: Moderat modern. Erich Boltenstern und die Baukultur nach 1945. Hrsg. Judith Eiblmayr und Iris Meder. Verlag Anton Pustet, Salzburg 2005. 248 S., Euro 29.-. ]

Neue Zürcher Zeitung, Mi., 2006.01.04

14. November 2005Paul Jandl
Neue Zürcher Zeitung

Überreste der Diktatur

Denkmalschutz auf Österreichisch

Denkmalschutz auf Österreichisch

Der Skandal war kurz, aber heftig. Die Debatten dauern an. Seit Michael Schottenberg, Intendant des Wiener Volkstheaters, angekündigt hat, das aus der NS-Zeit stammende «Hitler-Zimmer» seines Hauses demontieren lassen zu wollen (NZZ 17. 10. 05), diskutiert Österreich über die baulichen Reste der Diktatur. Zehn Jahre nach den einschlägigen Diskussionen in Deutschland beschäftigt sich die Republik mit einem unangenehmen Erbe. Das österreichische Bundesdenkmalamt kämpft mittlerweile für einen reflektierten Umgang mit architektonischen Zeitzeugen. Man arbeite daran, einen peniblen Katalog der NS- Bauten zu erstellen, und werde im kommenden Frühjahr Bericht geben. Auch ein Symposium zum Thema sei geplant, heisst es aus der Behörde, die entschlossen ist, den Umgang mit der NS-Architektur schärfer zu überwachen. Österreich folgt damit dem Beispiel Deutschlands.

«Das Wort aus Stein», wie Hitler den ideologischen Bedeutungsträger Architektur nannte, hat sich vielerorts gehalten. In deutschen Städten mehr als in Wien, doch auch hier gibt es genug Relikte. Rund 200 Seiten widmet der Architekturhistoriker Helmut Weihsmann in seinem Standardwerk «Bauen unterm Hakenkreuz» der ehemaligen «Ostmark». Der Aberwitz hatte Programm. Schon kurz nach dem Einmarsch Hitlers in Österreich im März 1938 wurden Pläne zur Umgestaltung der Städte erstellt. Linz wurde zu einer von fünf «Führerstädten» bestimmt, doch das zweifelhafte Versprechen des Mannes aus Oberösterreich, die Stadt zur Gänze zu monumentalisieren, blieb bis auf einzelne Verwirklichungen uneingelöst. Zeit- und Geldmangel waren auch der Grund, warum die «Perle Wien» nicht nach den Wünschen Hitlers gefasst wurde. Ebenso fleissig wie vergeblich füllten Österreichs Architekten in den vierziger Jahren ihre Schubladen mit städtebaulichen Aufmarschplänen. Auch wenn über den Heurigenort Grinzing heute keine «via triumphalis» verläuft, ist die Liste der realisierten Bauten dennoch lang. Denn neben Symbolträchtigem wie den «Hermann-Göring-Werken» in Linz oder der ebenfalls ab 1938 gebauten «Reichsautobahn München-Wien» gibt es Tausende von ästhetisch höchst uneinheitlichen Relikten. Und so hat Österreich über einen verschärften Denkmalschutz für Wohnbauten des «Heimatschutzstils» oder der moderaten Moderne zu diskutieren, über noch im Dienst stehende ehemalige NS-Kasernen oder über die Betonmonumente der Wiener Flaktürme.

Das österreichische Bundesdenkmalamt wehrt sich gegen Vorwürfe, der NS-Architektur über Gebühr beizustehen. Wenn es in Deutschland in den letzten beiden Jahrzehnten einen Paradigmenwechsel in der Denkmalpflege gegeben hat, unter dem nicht allein ästhetische, sondern auch sozialhistorische Begründungen zum verstärkten Schutz herangezogen werden, dann argumentiert man in Wien heute ähnlich. Zur Sozialgeschichte der Städte gehört auch die NS-Zeit, und die Sozialgeschichte allein des jetzt in die Schlagzeilen geratenen Wiener Volkstheaters ist spannend genug. Die Wiener Bühne wurde von den NS-Behörden in den vierziger Jahren zum «Kraft durch Freude»-Theater erklärt. Das eigens zu seinem Empfang eingerichtete «Hitler-Zimmer» hat der Führer nie betreten. Der opportunistische Architekt Josef Hoffmann dagegen schon - wenn es nicht gar nach seinen Entwürfen eingerichtet wurde.

Auf den Geist kommt es an, auch beim Kern der Debatten um einen verstärkten Denkmalschutz für NS-Bauten. Bedenklich ist nicht die Architektur, bedenklich wäre, wie der Architekturtheoretiker Friedrich Achleitner einmal bemerkt hat, wenn in den Nazi-Bauten noch heute lauter Nazis wohnten.

Neue Zürcher Zeitung, Mo., 2005.11.14

04. November 2005Paul Jandl
Neue Zürcher Zeitung

Der Keller als Kultort

Eine Wiener Schau zur zeitgenössischen Weinarchitektur

Eine Wiener Schau zur zeitgenössischen Weinarchitektur

Nicht immer kommen Kulturrevolutionen leise daher. Als man die österreichischen Winzer Mitte der achtziger Jahre dabei ertappte, wie sie unter Aufbietung von Frostschutzmittel ihre Weine veredelten, war es mit dem fröhlichen Grossheurigen Österreich erst einmal vorbei. Vor zwanzig Jahren ist die heimische Weinwirtschaft notgedrungen in sich gegangen. Kommt sie jetzt gross heraus? Auf internationalem Niveau können österreichische Weine heute wieder mithalten. Zum neuen Marketing gehört auch das umfassende Design. Das ist ein Phänomen, um das man mittlerweile nicht mehr herumkommt. Auch das Architekturzentrum Wien nicht, das seine gegenwärtige Ausstellung zum Thema «Weinarchitektur» untertitelt: «Vom Keller zum Kult».

Zugriff des Designs

Dass der Kult mit der Kultiviertheit nicht unbedingt verschwistert ist, zeigt die Wiener Schau mit eindrücklichen Beispielen. Die Tatsache allein, dass in Österreichs kleinem, sichelförmig im Osten des Landes ausgebreitetem Weinbaugebiet mehr als sechzig Beispiele neuer Architektur zu finden sind, berechtigt noch nicht zur Euphorie. Dennoch gibt sich das Architekturzentrum themengemäss berauscht. Was schade ist. Man hätte nicht jeden Sichtbetonstadel zum Ereignis hochjubeln müssen, würde sich kritiklose Ausstellungs- und Katalogtexte ersparen und könnte dabei auch noch pädagogisch sein. Denn dass das Bauen in pittoresken Landschaften auch ein Risiko birgt, haben viele Winzer negiert. Im vitikulturellen Aufmerksamkeitswettbewerb braucht es mittlerweile das Spektakel. Wilhelm Holzbauer und Dieter Irresberger haben 2002 im burgenländischen Horitschon einen imposanten Reifekeller aufgestellt, dessen Steinummantelung wohl nicht zufällig an die Ende der neunziger Jahre entstandene Dominus Winery von Herzog & de Meuron im kalifornischen Yountville erinnert.

Seit der Wein, dessen bauliche Repräsentationsformen lange Zeit in den klassischen Châteaux des Bordelais erschöpft waren, weltweit dem Zugriff des Designs ausgesetzt ist, will man es auch in Langenlois wissen. Dort wurde Steven Holl engagiert, dessen «Loisium» jetzt das Kamptal überragt. Mit einem vielfach verdrehten Aluminiumwürfel und angeschlossener Weinerlebniswelt nähert sich Holl metaphernreich der Welt des Weins. Das durchbrochene Metall der Fassade soll die weit verzweigten Kellersysteme des niederösterreichischen Weinviertels versinnbildlichen. Nur sich selbst repräsentiert dagegen das burgenländische Weingut Hillinger. Der Lifestyle-Winzer hat von Gerner & Gerner einen Monumentalbungalow an den Rand der pannonischen Tiefebene stellen lassen. Eine breite Glasfront gibt den Blick frei auf die endlose Landschaft. Mit bedrängterer Tallage hatte das südsteirische Weingut Erwin Sabathi zurechtzukommen. Den trotzigen Quadern, die vom Grazer Igor Skacel entworfen wurden, hilft auch die Holzverkleidung wenig. Gemeinsam mit dem vorgelagerten Grossparkplatz wirkt diese Weinarchitektur eher wie eine progressive Autobahnraststätte.

Doch es geht auch anders. Betont sakral hat Martin Promintzer für den Frauenkirchner Winzer Josef Umathum gebaut. Weit über dem Niveau protziger Selbstdarstellung steht auch das südsteirische Weingut Lackner-Tinnacher. Das neue Presshaus, das vom Grazer Architekten Rolf Rauner geplant wurde, fügt sich selbstbewusst und organisch in die Landschaft. Mit Lärchenholzlamellen verkleidet, dominiert der flache Zweckbau nicht über die Umgebung. Er ist bedingungslos modern und nimmt doch das rurale Element ironisch auf. Das Weingut Manincor in Kaltern, das als italienisches Beispiel in der Ausstellung präsentiert wird, hat sich der Dezenz noch offensiver verschrieben. Fast zur Gänze in einen mit Reben bewachsenen Hügel eingelassen, ist die von den Südtiroler Architekten Walter Angonese, Silvia Boday und Rainer Köberl geplante und 2004 vollendete Kellerei auf kühle Weise spektakulär. Neben den in rostigem Stahl gehaltenen Eingängen und dem vitrinenartigen Verkostungsraum, die den Bau nach aussen öffnen, sind es auch die inneren Werte dieser strengen Architektur, die überzeugen.

Formale Exzentrik

Dass weniger mehr sein kann, muss mancher österreichische Winzer im Umgang mit baulicher Inszenierung erst lernen. Bizarr gefaltete Schachteln und goldene Metallhauben thronen auf südsteirischen Hügeln. Die Verkostungsräume der burgenländischen Weingüter können es mittlerweile mit den coolen Szenelokalen mitteleuropäischer Metropolen aufnehmen. Wo früher ein Presshaus und barocke Kellergassen genügt haben, um das lokale Publikum mit herben Tropfen bei Laune zu halten, steht heute Verarbeitungsgerät, das nach den Umwälzungen der Kellereitechnik selbst prominenter Teil der inszenierten Weinkultur ist. Doppelwandige Edelstahltanks mit blank polierten Rohren und edle Barriquefässer, die schon projektiver Teil des Genusses sind, künden von einem prinzipiellen Wandel im österreichischen Selbstverständnis. Dieser spiegelt sich auch im Katalog wider, welcher als eine Mischung von Weinführer und Architekturpublikation daherkommt. Er macht deutlich, dass die Zeiten, als man die Trinkdistanz bis zur milden Berauschung mit bequemen und anspruchslosen Doppelliterflaschen zurückgelegt hat, endgültig vorbei sind.

[ Bis 6. Februar. Katalog: Weinarchitektur. Vom Keller zum Kult. Hatje-Cantz-Verlag, Ostfildern-Ruit 2005. 224 S., Fr. 51.-. ]

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2005.11.04

27. September 2005Paul Jandl
Neue Zürcher Zeitung

Architektonische Verwerfungen

Wenn die dekonstruktivistische Architektur vom Lärm lebt, den sie selbst erzeugt, dann ist hier der Österreicher Günther Domenig eine Ausnahme. Als stiller...

Wenn die dekonstruktivistische Architektur vom Lärm lebt, den sie selbst erzeugt, dann ist hier der Österreicher Günther Domenig eine Ausnahme. Als stiller...

Wenn die dekonstruktivistische Architektur vom Lärm lebt, den sie selbst erzeugt, dann ist hier der Österreicher Günther Domenig eine Ausnahme. Als stiller Repräsentant seiner architektonischen Idee hat der 1934 in Klagenfurt geborene Baukünstler eine Karriere gemacht, die schon deshalb nicht spektakulär war, weil sie auf das Spektakel verzichtet. Günther Domenig, Kopf der legendären «Grazer Schule» hat seit den sechziger Jahren ein Werk geschaffen, das prägend war für die österreichische Avantgarde. Jetzt wird der Avantgardist allmählich klassisch, und die besten Beispiele dafür sind in einer opulenten Monographie gesammelt. «Recent Work» heisst der zweisprachig - deutsch und englisch - herausgebrachte Band, der nicht vergisst, Domenigs architektonische Vorgeschichte mitzuliefern. Und die ist lang.

Als andere, die später internationale Karrieren gemacht haben, noch Geschäftsfassaden gestalten, baut Günther Domenig schon gross. 1963 entsteht seine Pädagogische Akademie in Graz. Domenig plant, immer wieder mit Eilfried Huth, Schulen und soziale Einrichtungen. Seine moderne, kraftvoll den österreichischen Rahmen des Gewohnten sprengende Architektur ist postfunktionalistisch und expressiv. Domenigs wichtigster Bau dieser Zeit ist die Filiale der Zentralsparkasse in Wien Favoriten. Ihre gewölbte Metallfassade verbindet die technischen Phantasmagorien der sechziger Jahre mit einer organischen Formensprache, die im darauf folgenden Jahrzehnt bestimmend wird. Wie haltbar Domenigs Architektur über Jahrzehnte geblieben ist, veranschaulicht der kluge Essay des Herausgebers Matthias Boeckl. Sie ist unverwechselbar, ohne sich zu wiederholen. Ihr Selbstbewusstsein triumphiert nicht über den Ort, an dem sie entsteht, sondern nimmt ihn auf. Den massiven Block der Kongresshalle am Nürnberger Reichsparteitagsgelände, zu dem Albert Speer den Masterplan geliefert hatte, sprengt Günther Domenig mit seinem Dokumentationszentrum. Wie ein Pfahl durchsticht es den Ziegelbau der Naziarchitektur, ohne deshalb billige Metapher zu sein.

In Wien hat Günther Domenig vor kurzem ein Bürohaus fertiggestellt, das sich das Terrain auf markante Art erobert. Neben alten Schlachthallen und einer auf Brücken geführten Stadtautobahn nimmt das langgestreckte Gebäude in St. Marx die Dynamik seiner Umgebung auf. Trotz seiner Grösse beinahe schwebend, transzendiert das «T-Center» seinen Ort und seinen Zweck. Zweifellos ist Domenig damit einer der wichtigsten Wiener Bauten der letzten Jahrzehnte gelungen. Wie sehr Domenig allen postmodernen Tändeleien und allem Schwindel mit dem Symbolischen abhold ist, zeigt sein wohl privatestes Projekt: Im «Steinhaus» am Ossiacher See verwirklicht sich seit Jahren eine Utopie des Bauens, die die Dekonstruktion als Mass der Natur begreift. Schroff gefaltet ist Domenigs aus Beton und Glas entstandene Hausskulptur, hart sind ihre Kanten. Diesmal ist es die leichte Kunst der Steine.

[ Günther Domenig: Recent Work. Deutsch und engl. Hrsg. Matthias Boeckl. Springer-Verlag, Wien 2005. 296 S., Fr. 99.-. ]

Neue Zürcher Zeitung, Di., 2005.09.27

08. Januar 2005Paul Jandl
Neue Zürcher Zeitung

Vom Fetisch der Harmonie

Kaum eine europäische Stadt hat sich so gemütlich in ihrer Vergangenheit eingerichtet wie Wien. Mit sentimentalen Gefühlen und grosser Geschäftstüchtigkeit hängt die österreichische Metropole einem 19. Jahrhundert an, das es so niemals gab. Das Wien- Museum geht in einer vorbildlichen Ausstellung den Spuren einer Verklärung nach.

Kaum eine europäische Stadt hat sich so gemütlich in ihrer Vergangenheit eingerichtet wie Wien. Mit sentimentalen Gefühlen und grosser Geschäftstüchtigkeit hängt die österreichische Metropole einem 19. Jahrhundert an, das es so niemals gab. Das Wien- Museum geht in einer vorbildlichen Ausstellung den Spuren einer Verklärung nach.

Der alten Stadt «den Bauch aufzuschlitzen», das konnte nur dem absolutistischen Furor eines französischen Kaisers einfallen. Während Baron Haussmann willig und wie mit dem Messer seine Boulevards durch Paris zog, ging es in Wien eher pragmatisch zu. Man brauchte Platz in dieser Mitte des 19. Jahrhunderts und schleifte die alten Verteidigungswälle. Man baute die neue Stadt und erinnerte sich wehmütig an die alte. An irgendein verflossenes Wien erinnert man sich in Österreichs Metropole immer noch, auch die touristischen Buchungszahlen hat man dabei nicht vergessen. Was dran ist am immer noch produktiven Mythos «Alt-Wien», fragt jetzt eine Ausstellung des Wien-Museums, die im Künstlerhaus zu sehen ist. Sie tut das mit der geballten Kraft unzähliger Exponate und mit erfrischender Distanz.

Dass Wien «zur Grossstadt demoliert wird», vermerkte Karl Kraus 1897 mit spöttischer Betroffenheit, denn auch das Literatencafé Griensteidl musste dem Spitzhammer weichen. Der Auszug anerkannter Schriftsteller aus ihrem Stammlokal war in den Wiener Verhältnissen ein Umsturz von Graden. Von einem Symbolwert jedenfalls, der so manche schwerwiegendere Veränderung in den Schatten stellte. Von Karl Kraus stammt auch die Entlarvung eines Klischees: «Ich muss den Ästheten eine niederschmetternde Mitteilung machen: Alt-Wien war einmal neu.»
Spitzhacke und Wehmut

Bevor es in Wien ans Abreissen ging, die alten Stadtmauern fielen und die feudale Ringstrasse gebaut wurde, kamen noch schnell die Maler und Fotografen. Sie hielten die gute alte Zeit fest. Glanzlos herabgesunkene Hinterhöfe und malerische Winkel, verlorene Stadtsilhouetten und Genreszenen wurden dokumentiert. Die Ausstellung hängt diese Ansichten Wiens dicht und zahlreich nebeneinander. Einen ersten Versuch, das Alte auch dreidimensional noch einmal aufleben zu lassen, hat es bereits 1892 gegeben. Für die internationale Theaterausstellung des Jahres hat man im Wiener Prater eine gipserne Kulissenstadt aufgebaut. Alt-Wien als ein Gewirr des Pittoresken, eine parallele Wirklichkeit aus Gips und Kitsch, die als Markenzeichen fortan um die Welt ging. Auf der Weltausstellung in Chicago 1893 präsentierte sich die Stadt als pseudomittelalterliches «Old Vienna». Zu diesem Vorgriff auf den später erfundenen Themenpark fiel Adolf Loos nur das Wort «Monumentalgschnas» ein. Die jetzige Ausstellung im Wiener Künstlerhaus hat gleich noch einmal ein Alt-Wien als Pappkarton- Kulisse aufgebaut. Es ist Geschmackssache, und vieles in der grossen Schau fällt mit Recht der Denunziation anheim. Dem Schubert-Franzl ist als biedermeierlichem Harmonie-Fetisch ein eigener Raum gewidmet.

Chronologisch bewegt sich die Ausstellung durch zwei Jahrhunderte der Wiener Stadtgeschichte. Im Biedermeier wird «Alt-Wien» erfunden. Was bis in die Gegenwart anhält, ist der Takt aus Spitzhacke und Wehmut. Wien erfindet sich als moderne Grossstadt und zugleich als nostalgisches Residuum. Auch die Wiener Image- Industrie wird in der Ausstellung gebührend thematisiert. Früh hat sie eingesetzt, mit einem Postkarten-Wien aus Wäschermädeln, Fiakern und Lavendelfrauen. Die populärsten «Wiener Typen» präsentiert die Ausstellung in einem eigenen Raum. Es sind Protagonisten einer hochgradig gemütvollen Lebensauffassung, die Friedrich Schiller schon 1796 zur Xenie «Donau in O**» inspirierte: «Mich umwohnet mit glänzendem Aug das Volk der Fajaken, / Immer ist's Sonntag, es dreht immer am Herd sich der Spiess.»

Was auf diese Art bestens eingeführt ist, wird man so schnell nicht los. Da mochte man sich schon zur vorletzten Jahrhundertwende beklagen, dass deutsche Feuilletonisten über Wien immer nur das Gleiche berichten. Den unausrottbaren Wien-Klischees stand mit Berlin eine Stadt gegenüber, die so ziemlich das Gegenteil war. Ein Symbol für Präzision, Schnelligkeit und Energie.

Mitte des 19. Jahrhunderts, als die europäischen Metropolen zu Weltstädten wuchsen, war Paris das Leitbild. Während in der Stadt an der Seine das Machtgefüge stets von revolutionären Umtrieben bedroht war, und auch London nicht gerade ein Ort sozialer Ruhe, lebte man in Wien am liebsten in Harmonie mit der Macht. Der Feind, so die historische Erfahrung, kommt von aussen. Im Innern der Stadt war die feudale Architektur keine Provokation, sondern eine Selbstvergewisserung in ewigen Zusammenhängen. Mit dem habsburgischen Gottesgnadentum muss sich der Wiener auf höchst delikate Art verwandt gefühlt haben. Und auch sein Pragmatismus, die anhaltende Macht der Habsburger für bewährt zu halten, hat ihn wenig anfällig gemacht für Umstürzlerisches. Diese restaurative Tendenz hat sich Wien bewahrt, auch wenn die Versuche feudaler Machtentfaltung heute von der soliden Rathausmehrheit der Sozialdemokraten und von einem Zeitungszar ausgehen. Letzterer hat mit seinem kleinformatigen Massenblatt das gross ausgedachte Museumsquartier ziemlich schrumpfen lassen. Hinter einem barocken Pferdestall verschwindet jetzt die moderne Architektur.

Mit Wiener Veduten ist die Ausstellung reich bestückt. Die meisten der gemalten Wiener Stadtansichten haben in ihren idealen und ungetrübten Perspektiven das, was man in Rekurs auf den venezianischen Maler den «Canaletto-Blick» nennt. Rührt sich etwas im Stadtbild, dann ist gegen diesen Tunnelblick der Substanzbewahrer nur wenig auszurichten. Otto Wagner konnte sein städtebauliches Programm wenigstens noch teilweise verwirklichen. Danach gescheiterte oder auch kaum ernst gemeinte architektonische Utopien zeigt die Schau im Künstlerhaus ebenso wie die ernüchternde bauliche Realität der ersten Nachkriegsjahrzehnte.
Sublimierung ins Unwirkliche

Man hat sich nicht entmutigen lassen. Man baut zwischen wachsender Qualität und jenem immer noch typischen Kitsch, den der Schriftsteller und Architekturkritiker Friedrich Achleitner die «Sublimierung ins Unwirkliche» nennt. Die Wiener Wirklichkeit ist «der zurechtgefilterte Traum, aus dem alle bedrohenden Extrakte, alle Substanzen einer tatsächlichen Welt herausgefiltert sind». Schön ist also auch das Ende der Ausstellung «Alt-Wien - Die Stadt, die niemals war». Der Weg zum Ausgang führt durch eine in der Schau nachgebaute, real aber existierende «Vienna Opera Toilet». Selbst so niedrige Dinge wie eine öffentliche Bedürfnisanstalt erhalten durch ausreichend Jugendstil zeitlosen Glanz. Aufgewertet, und zwar auf Wiener Art, wird das Ensemble noch durch die werbende Ankündigung «Mit Musik».

[ Bis 28. März. Katalog: Alt-Wien. Die Stadt, die niemals war. Herausgegeben von Wolfgang Kos und Christian Rapp. Czernin-Verlag, Wien 2004. 576 S., Euro 32.-. ]

Neue Zürcher Zeitung, Sa., 2005.01.08

23. Dezember 2004Paul Jandl
Neue Zürcher Zeitung

Zwischen Bedeutung und Trivialität

Kurz vor der Fertigstellung von Peter Eisenmans Berliner Mahnmal für die Opfer des Holocaust konnte in Wien eine grosse Werkschau des Theoretikers unter den Architekten eröffnet werden. Die im Museum für angewandte Kunst (MAK) gezeigte Ausstellung «Barfuss auf weiss glühenden Mauern» ist so labyrinthisch wie Eisenmans Thesen.

Kurz vor der Fertigstellung von Peter Eisenmans Berliner Mahnmal für die Opfer des Holocaust konnte in Wien eine grosse Werkschau des Theoretikers unter den Architekten eröffnet werden. Die im Museum für angewandte Kunst (MAK) gezeigte Ausstellung «Barfuss auf weiss glühenden Mauern» ist so labyrinthisch wie Eisenmans Thesen.

Schluss mit der «Spektakelarchitektur», fordert Peter Eisenman in Wien. Doch der amerikanische Architekt ist längst selbst Teil dieses Spektakels. Rechtzeitig zur Fertigstellung seines Berliner Holocaust-Mahnmals würdigt ihn das Museum für angewandte Kunst (MAK) in Wien mit einer grossen Werkschau, deren Titel so rätselhaft ist wie die Schau labyrinthisch: «Barfuss auf weiss glühenden Mauern». Eine Gipskartondecke hat der New Yorker Architekt in die grosse Halle des Museums gehängt. Auf nur zweieinhalb Metern Höhe schwebt sie drohend über dem Besucher. Dreissig breite Pfeiler, die rasterförmig angeordnet sind, weisen nach oben. Schachtartig verlängern sie sich über die Deckenkonstruktion hinaus. Die Pfeiler sind begehbar, und hier, in diesen weissen, beinahe sakralen Räumen, findet sich Eisenmans architektonische Welt. Gitterstrukturen und Faltungen im Raum, spiralförmig verdrehte Gebilde und bunte Kuben stehen stellvertretend für ein Werk, das die konstruktive Ambition mit philosophischer Gedankenarbeit verbindet. Man kann sich im Halbdunkel der Schau verlieren; und dass sich in deren komplexen Figurationen die eine oder andere Gewissheit relativiert, ist ganz im Sinne Eisenmans.

Frühe Formetüden

Manche Räume sind von aussen nur durch schmale Sehschlitze zu erkunden, andere ganz geschlossen. Das Licht, das aus einem Spalt in Bodennähe dringt, macht die Sache geheimnisvoll. So in sich gekehrt ist Eisenmans Werk allerdings selten. Es gibt viele Bauten von dekonstruktivistischem Furor, die der heute 72-jährige Eisenman im Laufe seiner Karriere entworfen hat. Die Laufbahn dieses Theoretikers unter den Architekten hat spät begonnen. Auf die Formetüden einer seit den sechziger Jahren entstandenen Häuserserie in New England, deren kubischer Aufbau durch vielfach verformte Raster geprägt war, folgte als erster öffentlicher Auftrag das 1989 fertiggestellte Wexner Center for the Visual Art in Columbus, Ohio. Eine Gitterstruktur dieser grossen Anlage findet sich auch in der Wiener Ausstellung. Es sind Zitate seiner Gebäude, die Eisenman für das Ganze stehen lässt. Nicht das Fertige präsentiert der Architekt, sondern Diagramme eines offenen Prozesses - ähnlich wie in seinem 1999 erschienenen Buch «Diagram Diaries». Es sind dreidimensionale Diagramme, greifbare Architekturen: Etwa das Moebius-Band, das Eisenman als Max-Reinhardt-Haus in Berlin aufstellen wollte. Während Berlin mit den Dimensionen dieses Projektes überfordert war, konnte sein Sozialwohnungsprojekt am Checkpoint Charlie gebaut werden. Dessen rasterartige Struktur hat Eisenman in die Ausstellung eingebaut.

Erzählen will sie nicht, diese eigenwillige Selbstdarstellung von Eisenman im Wiener MAK. Wer Retrospektiven als werkmonographischen Schnelldurchlauf erleben will, wird enttäuscht sein. Wer sich aber auf Eisenmans Experiment einlässt, wird reichlich belohnt. Ganz allerdings verzichtet die Ausstellung dann doch nicht auf herkömmliche Präsentationsmethoden. Fotos von Bauten verbergen sich hinter Sehschlitzen, in Videos gibt der Meister Auskunft, und es gibt einige Modelle: vom Projekt der «Ciudad de Cultura de Galicia» ebenso wie vom Entwurf für das «Musée du Quai Branly» in Paris. Sein Wettbewerbsbeitrag für den neuen Bahnhof der Hochgeschwindigkeitszüge in Neapel (2003) ist nicht weniger spektakulär als jene Architektur, die er selbst so freimütig kritisiert. Und auch der Verweis auf eine neue Pietät, die nach dem Fanal des 11. Septembers 2001 anzubrechen habe, nimmt sich aus seinem Mund sonderbar aus. Ist doch sein Projekt für Ground Zero wenig asketisch ausgefallen: Zwei Hochhäuser in Form riesenhafter Gitter hatte er sich für den Ort der Tragödie in Manhattan ausgedacht. Die durchbrochenen Baukörper sollten in einer Geste des Gedenkens Präsenz und Absenz symbolisieren. - Der Name Eisenman steht nicht nur für Architektur, sondern auch für ein Theoriegebäude. Am Puls der Postmoderne und der Dekonstruktion hat Eisenman seine Bücher und Aufsätze verfasst. Über die Ideen von Deleuze und Foucault lässt sich sein Faible für Diagramme ableiten, die die Ausstellung auch an anderen Architekturen erprobt. So wird Piranesis «Campo Marzo» ebenso als «Schablone architektonischer Möglichkeiten» überprüft wie die räumlichen Beziehungen in Palladios Villen oder in Giuseppe Terragnis «Casa del Fascio», der Eisenman sein jüngstes Buch gewidmet hat.

Provokationen

Wenn Eisenman mit Derrida eine Freundschaft verbunden hat, dann ist es auch eine gemeinsame Auffassung der Schrift. Was aber heisst «Barfuss auf weiss glühenden Mauern»? Der Titel der Ausstellung bedeutet nichts. Er habe in den sechziger Jahren einmal Deutsch studiert und dabei diesen Satz gehört, sagt Eisenman. Eisenman wäre nicht er selbst, wenn seine Anspielungen nicht auch etwas Verspieltes hätten. Die «weiss glühenden Mauern» sind im MAK breite Klebestreifen. Streng geometrisch führen sie durch die Ausstellungshalle, laufen hierhin und dorthin. Bei Eisenman oszilliert vieles zwischen hochgeschraubter Bedeutung und einer absichtsvollen Trivialität. Das Wort «Eisenmanamnesie» ist auf die Innenwände einer der Räume gesprüht. Es handelt sich um ein Palindrom, das so ganz nach dem Geschmack des Architekten ist. In einer der Kojen gelangt man auf einem Treppchen über die Deckenkonstruktion hinaus. Dann sieht man die schäbige Kehrseite der Installation und die rohe Ehrlichkeit des Gipskartons. Mit beinahe kindlicher Energie scheint das alles zurechtgesägt. Und es erinnert ein wenig an den Merzbau von Kurt Schwitters.

Inmitten seiner eigenen Grossskulptur wettert Eisenman in Wien dann auch noch gegen die skulpturale Architektur. Provokationen dieser Art machen dem New Yorker sichtlich Spass. Wissend, dass er sich mit der Ausstellung in dieser Stadt keine Freunde machen werde, sei er hierher gekommen, sagt er. Selbstbewusst widmet er «Barfuss auf weiss glühenden Mauern» dem Genius Loci. Adolf Loos, Sigmund Freud und Ludwig Wittgenstein hätten es in Wien nicht leicht gehabt. Alle drei haben in der Tat hier ebenfalls Räume vermessen. Eisenman allerdings, so lässt der Erfolg der Ausstellung schon jetzt vermuten, hat man schneller verziehen.

[ Bis 22. Mai. Der bei Hatje Cantz verlegte Katalog zur Ausstellung ist ab 11. Januar erhältlich. ]

Neue Zürcher Zeitung, Do., 2004.12.23

16. November 2004Paul Jandl
Neue Zürcher Zeitung

Im Garten der Utopie

Die Stadtvision «Sociópolis» - eine Ausstellung in Wien

Die Stadtvision «Sociópolis» - eine Ausstellung in Wien

Wer über eine Entschleunigung moderner Städte nachdenkt, der kann das utopische Potenzial längst vergangener Zeiten entdecken. Den Hortulus, den mittelalterlichen Klostergarten, hat der spanische Architekt Vicente Guallart zum Vorbild eines visionären Grossprojekts erhoben. Sociópolis heisst die Stadt der Zukunft, die an der Peripherie Valencias einen Lebensraum bieten soll, in dem sich - wie früher einst - Nutzen und Musse aufs Beste verbinden. Das Wiener Architekturzentrum präsentiert jetzt in einer Ausstellung diese Stadtutopie. Modelle und Statements sollen eine Idee veranschaulichen, die ihrerseits historische Vorbilder hat. Mies van der Rohes Stuttgarter Weissenhofsiedlung etwa zählt dazu oder das Berliner Hansa-Viertel. Zwölf internationale Architektenteams hatten sich im Vorjahr unter Federführung Guallarts am ursprünglichen Forschungsprojekt Sociópolis beteiligt. Die Stadt Valencia hat mittlerweile auch für den Bau grünes Licht gegeben. Eine Fläche von rund 35 Hektaren steht an der Peripherie zur Verfügung. Baubeginn ist im Frühjahr 2005.

Verbindet sich sonst am Stadtrand meist üble Nutzarchitektur mit herrenlosem Grün, so soll das bei Sociópolis anders sein. Hier wird über das Thema Nachbarschaft in umfassendem Sinn nachgedacht. Das Projekt will durch seine gemischte Bewohnerstruktur sozial integrativen Charakter haben und damit der zunehmenden Anonymisierung der Städte entgegenwirken. Schon bei der Konzeption den neuesten Stand der Informationstechnologien berücksichtigend, will Sociópolis dennoch eine «langsame Stadt» sein. Vom Hortulus zu den landwirtschaftlichen Huertas ist es da nicht weit. Obst und Gemüse sollen im locker bebauten Areal gezogen werden.

So bunt wie die Anforderungen an diese Stadt der Zukunft ist auch die Architektur. Und das im wörtlichen Sinn. Ein ausgeklügeltes Farbenspiel soll hier dominieren. Jedes der zwölf Architektenteams wird bei Sociópolis seine Signatur hinterlassen. Die Holländer MVDRV lassen ihr langgestreckt-geometrisches Wohngebäude transparent wirken. Greg Lynns biomorphe Architektur trägt eine «Zwiebelblüte» zum Ensemble bei, die Künstlerateliers beherbergen soll. Von Foreign Office Architects stammt ein monumentaler Triumphbogen, in dem Restaurants untergebracht werden. Toyo Itos der Kreisform verpflichtete Wohnanlage wirkt dagegen angenehm filigran. Das erste Wort - oder das letzte, ganz wie man will - hat Sociópolis-Mastermind Guallart. Sein Turm weist am Eingang zur Vision, ohne wirklich selbst eine zu sein.

[Bis 31. Januar. Als Katalog erscheint in Kürze: Sociópolis. Hrsg. Vicente Guallart und Architekturzentrum Wien. Deutsch, englisch, spanisch. Verlag Actar, Barcelona 2004. 256 S., Euro 31.-.]

Neue Zürcher Zeitung, Di., 2004.11.16

30. Oktober 2004Paul Jandl
Neue Zürcher Zeitung

Melancholische Moderne

Der Aufbruch kam spät. Während andere europäische Metropolen mit dem Fin de siècle ihre urbane Initiation erlebten, liess sich Rumäniens Hauptstadt bis...

Der Aufbruch kam spät. Während andere europäische Metropolen mit dem Fin de siècle ihre urbane Initiation erlebten, liess sich Rumäniens Hauptstadt bis...

Der Aufbruch kam spät. Während andere europäische Metropolen mit dem Fin de siècle ihre urbane Initiation erlebten, liess sich Rumäniens Hauptstadt bis in die zwanziger Jahre Zeit. Zwischen 1918 und 1939 allerdings hat sich in Bukarest die Bevölkerungszahl fast verdreifacht. In einer von wirtschaftlicher Prosperität und künstlerischem Aufbegehren geprägten Atmosphäre entstand eine architektonische Moderne, die nach Jahrzehnten erstmals dank der Zürcher ETH-Ausstellung vom Herbst 1996 einem breiteren deutschsprachigen Publikum zur Kenntnis gebracht wurde. Jetzt bietet eine Schau im Wiener Ringturm ein Wiedersehen mit rund fünfzig von Bukarests ehemals revolutionären Bauten.

In vier Abschnitten präsentiert die Ausstellung «Architektur in Bukarest 1920-1945» das Bauen im Umbruch. Drei Architekten werden dabei zu Recht hervorgehoben: Horia Creang, Duiliu Marcu und Marcel Iancu. Marcel Iancu hat in Zürich 1916 das «Cabaret Voltaire» mitbegründet. Zehn Jahre später begann der vom Konstruktivismus kommende Maler in Bukarest seine zweite Karriere als Architekt. Was zu Beginn noch aussah wie die verspielten Volumina seiner Zürcher Gipsplastiken, entwickelte sich zu einer formstrengen, an Adolf Loos oder Josef Frank erinnernden Architektur. Bestes Beispiel ist die aus dem Jahr 1931 stammende Villa Juster. Aus geometrischen Grundformen hat Iancu, der kompromissloseste unter Bukarests Architekten, ein Haus von höchst ökonomischer Eleganz geschaffen. Die monumentalen Bauten der städtischen Prachtstrassen sind da weit weniger zurückhaltend. Horia Creangs Verwaltungsgebäude der ARO-Versicherung etwa lebt vom Kontrast zwischen einer verspielten Turmfassade und der schmucklos gestalteten Horizontale des flacheren Hauptgebäudes. Arghir Culinas Hotel Ambassador verkörpert in seinem vielfach abgetreppten und geschwungenen Aufbau noch die Würde eines fröhlichen Wohlstands, der sich allerdings nicht lange halten sollte.

Insgesamt ist Bukarests Architektur der zwanziger und dreissiger Jahre, zu der auch einige bemerkenswerte Industriebauten wie Creangs klinkerverkleidete Malaxa-Werke zählen, durch eine entschlossene Nüchternheit geprägt, die die Ausstellung auf ideale Weise vermittelt. Pierre Levys Fotos zeigen die Bukarester Moderne in fast teilnahmslos wirkendem Schwarzweiss. Beschönigt wird in dieser vom Architekturmuseum der Technischen Universität München gestalteten Schau weder die bisweilen melancholisch wirkende Schwere der Gebäude noch deren anhaltender dramatischer Verfall.

Bis 12. November.

Neue Zürcher Zeitung, Sa., 2004.10.30

23. August 2004Paul Jandl
Neue Zürcher Zeitung

Gold und Gräben

Zehn Jahre nach dem Ende der südafrikanischen Apartheid sind die Spuren der Teilung noch zu spüren. Von ihrem multikulturellen Potenzial lebt die Millionenstadt...

Zehn Jahre nach dem Ende der südafrikanischen Apartheid sind die Spuren der Teilung noch zu spüren. Von ihrem multikulturellen Potenzial lebt die Millionenstadt...

Zehn Jahre nach dem Ende der südafrikanischen Apartheid sind die Spuren der Teilung noch zu spüren. Von ihrem multikulturellen Potenzial lebt die Millionenstadt Johannesburg, und doch ist sie zersplittert in ethnisch und sozial definierte Lebensräume. Der Reichtum lebt in hermetischem Luxus, und die Armut siedelt an den weiten Rändern des «Urban Sprawl». Schwarz und Weiss haben noch lange nicht zueinander gefunden. Wie sehr sich Johannesburg trotz allem in den letzten Jahren verändert hat, zeigt jetzt eine Ausstellung im Wiener Architekturzentrum. «Jo'burg Now» heisst die klug konzipierte Schau, die das Zukunftspotenzial der Stadt bemisst, ohne die grossen künftigen Schwierigkeiten zu vergessen.

Und die gibt es zuhauf. Johannesburg wächst an seiner Peripherie nahezu unkontrolliert, während das Zentrum aus toten Bürovierteln besteht. Der innerstädtische neue Urbanismus baut seine protzige Disney-Architektur, die Townships dagegen leben von der Improvisationskraft und vom Recycling. Jetzt werden städtebauliche Konzepte verwirklicht, die traditionelle Grenzen überwinden sollen. Wenn der dicht besiedelte Stadtteil Alexandra neben dem Reichenviertel Sandton ein scharfer Kontrast war, dann soll ein seit 2001 laufendes Projekt zur Revitalisierung diese eklatanten Unterschiede mildern. Eben angelaufene soziale Wohnbauprogramme könnten die Innenstadt von Johannesburg beleben. Traditionelle Townships wie Soweto werden an eine moderne Infrastruktur angebunden.

Die Ausstellung zeigt städtebauliche Notwendigkeiten und architektonische Visionen. Wenn in Johannesburg gebaut wird, dann soll das auch als symbolische Geste gelesen werden. So ist es kein Zufall, dass gerade bei Grossprojekten wie dem vom jungen südafrikanischen Studio MAS gestalteten Walter Sisulu Square die Sprache der «Freedom Charter» zur Grundlage des architektonischen Handelns wird. Gleichheit, Freiheit, Offenheit und andere identitätsstiftende Begriffe werden dabei im Soweto-Stadtteil Kliptown in eine säulenfixierte monumentale Architektur verwandelt. Einer ähnlichen Devise folgt man am neu bebauten Constitution Hill, der zwischen der Innenstadt und dem dicht besiedelten Ghetto Hillbrow liegt. Auf dem Hügel steht auch das neue Verfassungsgericht. OMM Design hat ein offenes Gebäude geschaffen, das die neue südafrikanische Demokratie im besten Sinne symbolisiert. Selbst der Verhandlungssaal des transparenten Gebäudes ist einsehbar.

Johannesburg lebt von seinen Brüchen. Das verdeutlicht die Ausstellung, die das brodelnde Biotop der Stadt in atmosphärischen Fotos erfahrbar macht. In Gold Reef City sind die historischen Stationen Südafrikas nebeneinander erlebbar. Die zum Freizeitvergnügen herabgewürdigte Goldgräberei hat hier ihre Erlebniswelt und ihr Kasino. Daneben steht das Apartheid Museum des südafrikanischen Büros GAPP Architects, das 2002 fertig gestellt wurde. Mit seiner glatten, abweisend wirkenden Architektur, die nicht ohne Grund Elemente des Gefängnisbaus aufnimmt, erzählt es von den dunklen Seiten der Geschichte.

[ Bis 27. September im Architekturzentrum. Kein Katalog. ]

Neue Zürcher Zeitung, Mo., 2004.08.23

03. Mai 2004Paul Jandl
Neue Zürcher Zeitung

Bioadapter und Vanille-Zukunft

Eine Schau über ein österreichisches Architekturphänomen

Eine Schau über ein österreichisches Architekturphänomen

«Erfrischend und weich» war die «Vanille-Zukunft», man rollte nackt in riesigen Plasticbällen durch den Schönbrunner Schlosspark, erfand kybernetische Glücksanzüge zur Selbstversorgung und entwickelte mit dem «Environmental Control Kit» gleich einen Spray zur Veränderung der Umwelt. Für Aussenstehende muss das, was da in Wien und Graz geschah, ziemlich beeindruckend gewesen sein, und so nannte Peter Cook in einem Aufsatz die schrägen Visionen österreichischer Architekten anerkennend ein «Austrian Phenomenon». Dem österreichischen Phänomen, das vom Ende der fünfziger bis zum Anfang der siebziger Jahre anhielt, widmet sich jetzt eine Ausstellung des Wiener Architekturzentrums. Einen Rest psychedelischer Grundstimmung hat man ins Konzept übernommen.


Droge Architektur

Die Wände der grossen Halle sind mit Namen, Daten und Projekten tapeziert. Es ist ein Zeitpanorama buntester Visionen, von der Traumstadt bis zur Raumfahrt. Architektur war damals eine monumentale Bastelei, die alles, was heute aus smarten Computerlaboratorien kommt, umso mehr beschämt, weil dieses den Ideen von einst so ähnlich sieht. Buntes, Blob und Biomorphes sind längst da gewesen. Pneumatische Modelle, die das Ich mit einem aufblasbaren Wohlfühl-Organ ausstatteten, wurden von Coop Himmelb(l)au entworfen. Walter Pichler brachte Oswald Wieners Idee eines «Bioadapters» zu Papier, durch den die Grenzen zwischen innen und aussen aufgehoben werden sollten. Ein freudig erregtes Ich, das in technisch erzeugter Halluzination mit seiner Umwelt verschmilzt - so ungefähr muss man sich das vorgestellt haben, und man hatte jede Menge Spass dabei. Drogen? Architektur! Selbstentgrenzung war zu dieser Zeit nicht nur das grosse Thema amerikanischer Flower-Power-Gurus, sondern auch der österreichischen Szene.

Die Bewegung, die das Architekturzentrum jetzt in allen Farben präsentiert, hat Barrieren übersprungen und ist doch insgesamt literarisch geblieben. Aufs tatsächliche Bauen kam es, wie bei Archigram in England, Superstudio in Italien und bei den japanischen Metabolisten, nur am Rande an. Schon Ende der fünfziger Jahre wurden Proklamationen gegen den Funktionalismus verfasst. Friedensreich Hundertwasser schrieb sein «Verschimmelungsmanifest», Günther Feuerstein, der für die jungen Architekten zur Leitfigur wurde, definierte die «Inzidente Architektur». Es gab Happenings, man zeichnete, schuf Fotomontagen, erdachte hochtechnologische Mikrokosmen des Wohnens und hatte selbstbewusste Visionen zukünftiger Städte und grenzenloser Mobilität. Die Architektur-Kommune «Zünd-up» entwarf einen riesenhaften und universell einsetzbaren «City-Expander», Haus-Rucker-Co. schlugen Pop-Interventionen an Manhattans Skyline vor, und Walter Pichler grub seine urbanen Utopien vorzugsweise in den Boden.

«Alles ist Architektur» hiess eine programmatische Ausstellung in der Wiener Galerie nächst St. Stephan. Die Architektur als Medium zu entdecken, in dem die alten Zwecke und Zwänge kurzerhand entsorgt wurden, gehört zu diesem österreichischen Aufbruch der sechziger Jahre. Die Proklamationen waren das eine, die Realität aber ein anderes. Furore machte Hollein, der Wortführer der jungen Wilden, eben nicht durch die Idee, einen Flugzeugträger auf einem Berggipfel zu montieren, sondern durch sein 1965 entstandenes Wiener Kerzengeschäft Retti. Das war keineswegs so anarchisch wie Holleins zeichnerische Entwürfe oder die Manifeste in der Zeitschrift «Bau», die zum publizistischen Schrittmacher der Bewegung wurde. «Der Angesehenste unter den Neuen ist Hans Hollein», schrieb Peter Cook 1970 in seinem Aufsatz. Dass Hollein auch unter den Alten zu den Angesehensten zählt, gehört zu einer ironischen Konstante der Wiener Ausstellung.


Vom Krawall zum Kompromiss

Die Krawallmacher von damals sind heute arriviert. In der Spasstruppe Haus-Rucker-Co. waren die Architekten Ortner & Ortner tonangebend, die sich heute gerne zum architektonischen Kompromiss bekennen. Coop Himmelb(l)au sind vielleicht am ehesten geblieben, was sie waren. «The Austrian Phenomenon», zu dem die Ausstellung noch Raimund Abraham, Max Peintner, Günther Domenig, Eilfried Huth, Friedrich St. Florian, Angela Hareither oder Missing Link zählt, wirkt wie ein fröhliches Klassentreffen nach dem Motto: Was haben wir gelacht. Weniger gelacht hätte man, wäre so mancher Entwurf verwirklicht worden. Gerhard Rühms Idee, Wien zur Apotheose seiner selbst zu machen, blieb in der Schublade. In Buchstaben, so hoch wie der Stephansdom, sollte im Stadtbild geschrieben stehen: Wien.


[Bis 12. Juli. Zur Ausstellung ist zum Preis von 6 Euro ein Sonderheft der Zeitschrift «Hintergrund» erschienen.]

Neue Zürcher Zeitung, Mo., 2004.05.03

18. März 2004Paul Jandl
Neue Zürcher Zeitung

Prinzip und Neigung

Höhenweg österreichischer Baukunst im Wiener Architekturzentrum

Höhenweg österreichischer Baukunst im Wiener Architekturzentrum

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08. Januar 2004Paul Jandl
Neue Zürcher Zeitung

Ein Messer in Wiens Himmel

Hans Holleins Albertina-Flugdach

Hans Holleins Albertina-Flugdach

Bedroht scheint der vergangenheitsselige Friede zwischen Hofburg, Oper und Hotel Sacher. Wie die Schneide eines Messers ragt das neue Wahrzeichen der Wiener Albertina in den Platz. Weil die prunkvoll renovierte und vor einem Dreivierteljahr wiedereröffnete Graphische Sammlung Albertina aussen ein markantes Signal bekommen sollte, wurde 2001 ein Wettbewerb ausgeschrieben, den der Wiener Architekt Hans Hollein gewann. Sein Entwurf eines Flugdachs, das zum Eingang der Albertina weist und über die alte Rampe des Museums ragt, versprach edles Titan und schwebende Leichtigkeit. Was jetzt nach langer Bauverzögerung vor dem Museum steht, ist aus eloxiertem Aluminium gefertigt und einigermassen plump. Wenn die neue Architektur unverwechselbare Wahrzeichen ins dicht bebaute Stadtgebiet stellt, dann hat Hans Hollein seine eigene Signatur gefunden. Das Flugdach, vom Wiener Haas-Haus der achtziger Jahre bis zu neuesten Bürohausprojekten immer wieder als krönender Abschluss auf Holleins Bauten placiert, ist zum Markenzeichen sich selbst beglaubigender Modernität geworden. Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder rühmt den bleiern wirkenden Flügel vor seinem Haus jetzt als «Symbol der Geschwindigkeit und der Zukunft».

Das historische und in seiner heutigen Form aus dem 18. und 19. Jahrhundert stammende Palais der Albertina sieht hinter dieser grob gebauten Zukunftsbeschwörung ziemlich verloren aus. Und auch im Symbolischen ist die Wirkung des 53 Meter langen und bis zu 12 Meter breiten Flugdachs fatal. Wohl wahr, dass Holleins Metallkörper, wie Schröder anerkennend sagt, «ein messerscharfer Schnitt» im Himmel ist. Doch diese martialische Geste steht in schwerem Konflikt mit dem darunter liegenden Mahnmal Alfred Hrdlickas gegen Faschismus und Krieg. Holleins Flugdach, das die bauliche Ergänzung einer auf die Rampe führenden Rolltreppe ist, hat im Wettbewerb über Entwürfe von Zaha Hadid, Coop Himmelb(l)au und Wilhelm Holzbauer gesiegt. Jetzt scheitert der massive Metallflügel an der Situation eines architektonisch heiklen Ortes. In seiner aggressiven Präsenz ist Holleins Dach auch verräterisch. Das neue Museumsmanagement der Albertina ist jeweils nicht leise, wenn es darum geht, für das eigene Angebot zu werben. Und auch die edlen Spender des Albertina-Flugdaches sind es nicht. «Soravia-Wing» steht deutlich lesbar und etwas vulgär an der Kante des Daches. Die Brüder Hanno und Erwin Soravia, Bau- und Immobilienunternehmer in Wien, haben wohl Millionen von Euro gegeben (ein genauer Betrag wird nicht genannt), um den 300 Quadratmeter grossen Metallflügel zu finanzieren. Es ist ein Mäzenatentum neuer Form. Denn das Dach repräsentiert nichts anderes als sich selbst.

Neue Zürcher Zeitung, Do., 2004.01.08



verknüpfte Bauwerke
Albertina - Rampe

29. Dezember 2003Paul Jandl
Neue Zürcher Zeitung

Luxus und Moderne

Die Wiener Werkstätte von Josef Hoffmann und Koloman Moser war in ihrem radikalen Gestaltungswillen ein Vorbote moderner Designkultur. Von Bauten über Möbel bis zur Mode reichte ein Programm, das nun zum 100-Jahr-Jubiläum in Wien gewürdigt wird. Höhepunkt ist eine grosse Ausstellung im Museum für angewandte Kunst.

Die Wiener Werkstätte von Josef Hoffmann und Koloman Moser war in ihrem radikalen Gestaltungswillen ein Vorbote moderner Designkultur. Von Bauten über Möbel bis zur Mode reichte ein Programm, das nun zum 100-Jahr-Jubiläum in Wien gewürdigt wird. Höhepunkt ist eine grosse Ausstellung im Museum für angewandte Kunst.

Der Preis der Schönheit war hoch für das vermögende Wiener Grossbürgertum, das Anfang des 20. Jahrhunderts einen ganzen «Lebensstil» bei der Wiener Werkstätte (WW) kaufte. Zu hoch aber war der Preis der Schönheit am Ende für die Kunstfirma selbst. Nach drei Jahrzehnten wirtschaftlicher Schwierigkeiten wurde die von dem Architekten Josef Hoffmann, dem Maler Koloman Moser und dem Mäzen Fritz Waerndorfer gegründete Wiener Werkstätte 1932 liquidiert. Mit ihren Kollegen aus vielen Sparten künstlerischen Handwerks schufen die Stil-Fabrikanten Hoffmann und Moser Architektur, Möbel, Keramik, Stoffe, Glas, Grafik, Mode oder Buchkunst zur höheren Ehre der Schönheit. Dank den Mäzenen, die immer wieder im richtigen Augenblick auftauchten, musste man es mit dem Geld nicht so genau nehmen. Und auch betuchte Kundschaft gab es schnell. Frühe Grossaufträge trugen zum Renommee der Wiener Werkstätte bei. Das Sanatorium Purkersdorf des Wiener Arztes Victor Zuckerkandl wurde 1904 nach Hoffmanns Plänen gebaut und von diesem bis in alle Details ausgestaltet. Im Jahr darauf machte sich Hoffmann an die Pläne für das prunkvolle Brüsseler Palais des Industriellen Adolphe Stoclet. Daraus entstand ein Gesamtkunstwerk ganz nach dem Geschmack der Wiener Werkstätte: ein Ort des Luxus und der Moderne.


Triumph und Tragik

Aus Anlass des 100. Geburtstags der Wiener Werkstätte feiert nun eine grosse Ausstellung des Wiener Museums für angewandte Kunst (MAK) dieses Aushängeschild von Wiens ästhetischer Identität mit angemessener Opulenz. Die Schau «Der Preis der Schönheit» würdigt Grösse und Grössenwahn eines frühen Aufbruchs ins Design. Das Museum hat es sich nicht nehmen lassen, das WW-Gesamtkunstwerk als solches zu inszenieren. Aus dem allumfassenden Design der Wiener Werkstätte wird kein Heiligtum gemacht. Vielmehr denkt die Ausstellung ein ehrgeiziges Anliegen ironisch zu Ende. Heimo Zobernig, der schon bei der Zuger WW-Schau (NZZ 20. 6. 03) mitwirkte, hat aus Gerüststangen, Glas und transparenten Stoffbahnen das WW-Signum nachgebaut. Zwei ineinander verschränkte riesenhafte W bilden Vitrinen, in denen sich alles findet, was die Edelschmiede des künstlerischen Handwerks in drei Jahrzehnten hervorgebracht hat. Triumph und Tragik der Wiener Werkstätte liegen in den Glaskästen eng beieinander.

Am Anfang stand die puristische Phase, in der die ästhetische Produktion so rigide war wie Josef Hoffmanns geometrische Grundformen, die überall Anwendung fanden. «Quadratl-Hoffmann» wurde der Wiener Architekt ob seiner Vorliebe genannt. Nach und nach und vor allem seit dem Ausscheiden Koloman Mosers aus der Wiener Werkstätte 1907, wandelte sich das Unternehmen in einen Produktionsort luxuriösen Überschwangs. Keramische Fragwürdigkeiten eines Zwanziger-Jahre-Rokokos wurden massenhaft produziert, und noch die kleinsten Schatullen wurden aus edelsten Hölzern und drei Sorten Leder gefertigt. Sie stehen im MAK neben zeitlos schönen frühen Arbeiten wie Koloman Mosers Teeservices oder Hoffmanns formal strengem Schreibschrank für Berta Waerndorfer.


Durchgestyltes Leben

Das Brüsseler Palais Stoclet ist in der Wiener Ausstellung im Modell zu sehen. Für dessen opulentes Interieur entwarf Gustav Klimt ein Mosaikfries aus buntem Glas, Email, Perlmutt und Gold. Klimts Zeichnungen in Originalgrösse gehören zu den beeindruckendsten Exponaten. Und Exponate gibt es viele: von den Dokumenten zu architektonischen Grossaufträgen (das Archiv der Wiener Werkstätte befindet sich im MAK) über Möbel und Reformkleider bis hin zu Utensilien stilbewusster Haushaltsführung. Noch die kleinste Pfeffer-Paprika-Büchse hat Josef Hoffmann mit einigem Schwung gestaltet.

Modern ist die Wiener Werkstätte, weil sie forderte, was die designte Welt der Gegenwart dann fast bis zum Überdruss einlöste. Modern ist sie auch, weil sich in ihrer Idee des durchgestylten Lebens selbst dieser Überdruss bereits ankündigt. Das Wiener MAK zieht daraus seinen Schluss und hat zur Ausstellung einen Katalog herausgebracht, der ebenso luxuriös wie schreiend grell ist. In schöner Eleganz zeigt der mit orangefarbenem Plastic umhüllte Bildband die Geschichte des Stil-Unternehmens.

Die hervorragende Ausstellung im MAK spannt einen chronologischen Bogen, der auch die Vorläufer der Wiener Werkstätte nicht vergisst. Die «Arts & Crafts»-Bewegung, Charles Robert Ashbee, Charles Rennie Mackintosh und Henry van de Velde stehen ebenso an der Wiege dieser Idee wie die grafische Kunst der Wiener Sezession. Entscheidend waren die ersten Jahre. Die frühen Grossaufträge haben wesentlich zum noch heute bestehenden Mythos der Werkstätte- Künstler beigetragen, zu denen neben Moser und Hoffmann noch Carl Otto Czeschka, Bertold Löffler oder Michael Powolny gehörten.


Wunschmaschine der Utopie

Während es um die Bauten der Wiener Werkstätte nicht zum Besten steht - das Sanatorium Purkersdorf wurde gerade zu Tode revitalisiert, und das Brüsseler Palais Stoclet soll für 100 Millionen Dollar zum Verkauf stehen -, feiert Wien, was zu feiern ist. Die Wiener Werkstätte war nicht zuletzt auch ein soziales Experiment zwischen Kunst und Alltag. Die smarten Sezessionisten Moser und Hoffmann haben die moderne Corporate Identity mit erfunden, gescheitert sind sie wie moderne Unternehmer. Als auratisches Monument einer Idee steht ein grosser hölzerner Kasten in der Ausstellung des MAK. In seinen engen Fächern liegen die metallenen Prägestempel aller Logos, Künstlermonogramme und Meisterpunzen der Wiener Werkstätte. Dicht an dicht reihen sich die Symbole künstlerischer Individualität, die schnell greifbar sein sollten für die Massenproduktion eines Kunstunternehmens. Der mannshohe Holzkasten wirkt wie die Maschine eines utopischen Wunsches.


[Bis 7. März. Katalog: Der Preis der Schönheit. 100 Jahre Wiener Werkstätte. Hatje-Cantz-Verlag, Ostfildern-Ruit 2003. 448 S., Fr. 83.-. Ausserdem präsentieren zurzeit private Aussteller wie «Bel Etage» oder die Galerie bei der Albertina Möbel, Kunst und Kunsthandwerk der Wiener Werkstätte.]

Neue Zürcher Zeitung, Mo., 2003.12.29

29. November 2003Paul Jandl
Neue Zürcher Zeitung

Fortschritt und Folklore

Eine Ausstellung über slowakische Architektur in Wien

Eine Ausstellung über slowakische Architektur in Wien

Die Moderne der zwanziger und dreissiger Jahre hat in der slowakischen Architektur bedeutende Spuren hinterlassen. Fridrich Weinwurm und Alois Balán bauen puristische weisse Villen, Vladimir Karfiks Kaufhaus Bat'a setzt in Bratislava neue Massstäbe der Urbanität, und Emil Belluš' Kolonnadenbrücke über die Waag wird zum strengen Meisterwerk des Funktionalismus. Selten hat die Architektur des Landes so radikal Stellung bezogen wie in der Epoche der Zwischenkriegszeit. Eine Ausstellung im Wiener Ringturm zeigt die Höhepunkte der slowakischen Architektur, ohne deshalb auf den Kontrast vielfältiger Mittelmässigkeit zu verzichten. «Architektur Slowakei» ist ein umfassendes und gelungenes Porträt einer wohl immer noch kaum bekannten Landschaft des Bauens.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts bricht der Sezessionismus in die slowakische Architektur ein. Daneben gedeiht ein standhafter Historismus, der sich mit einer archaischen und ins Ornament verliebten Folklore verbindet. Die Wiener Ausstellung zeigt die Entwicklung der slowakischen Architektur chronologisch. Dadurch fällt der Blick auf die vielen Ungleichzeitigkeiten, die das Bauen in der Slowakei prägen. Am Jahrhundertanfang steht Dušan Jurkovis unübersehbarer Beitrag zur neuen Architektur. Die Ausstellung dokumentiert die exzessive Volkstümlichkeit von Jurkovis Villen, die in ihrer rustikalen Moderne den auch später noch anhaltenden Konflikt von Peripherie und Zentrum deutlich machen. In der kurzen Zwischenkriegszeit entsteht eine Fülle von Bauten, in deren sachlicher Ästhetik sich ein selbstbewusstes Bürgertum ebenso ausdrückt wie der Modernisierungswille der Verwaltung. Grosse Siedlungen im Bauhausstil, etwa Fridrich Weinwurms Laubenganghäuser «Unitas», verbessern die Wohnqualität.

Eines der radikalsten Beispiele für eine neue Architektur, die auch das Stadtbild Bratislavas prägt, ist hingegen Baláns Villa Jaro in ihrer streng geometrischen und minimalistischen Ästhetik. Tomáš Tvaroeks Stadtsparkasse ist von einem ebenso bahnbrechend nüchternen Funktionalismus wie das Verwaltungsgebäude der Sozialversicherung von Balán und Jii Grossmann. Weit weniger entschieden war naturgemäss die kollektiv betriebene Architektur der kommunistischen Jahre, die die Ausstellung ebenfalls in allen Aspekten zeigt - von den Repräsentationsgebäuden bis zum Plattenbau. Herausragend ist die Landwirtschaftshochschule in Nitra, 1961 entworfen von Rudolf Miovsk und Vladimir Dedeek, umstritten bis heute die das Stadtbild prägende monumentale Neue Brücke in Bratislava, die Anfang der siebziger Jahre von Josef Lacko, Ladislav Kušnir und Ivan Slame gebaut wurde. Die architektonische Gegenwart der Slowakei wirkt in der Ausstellung eher schwach beleuchtet. Achtbar ist die ästhetische Dynamisierung der Einfamilienhausarchitektur, zahlreich sind die Aufträge für Kirchenbauten. Und auch die ökonomischen Hoffnungsgebiete der EU-beitrittswilligen Slowakei werfen ihre Schatten voraus. In der boomenden Petralka in Bratislava steht die neue gläserne Kaufhausmoderne des «Auparks».


[ Bis 29. Februar. Katalog: Architektur Slowakei. Impulse und Reflexion. Architektur im Ringturm XI. Hrsg. Adolph Stiller und Štefan Šlachta. Verlag Anton Pustet, Salzburg und München 2003. 200 S., Euro 39.-. ]

Neue Zürcher Zeitung, Sa., 2003.11.29

01. Oktober 2003Paul Jandl
Neue Zürcher Zeitung

Das blaue Leuchten

Lange haben die politischen Debatten gedauert, zwei Standorte wurden verworfen, jetzt ist das Grazer Kunsthaus fertig. Nach knapp zwei Jahren Bauzeit eröffnet Graz sein seit den fünfziger Jahren wichtigstes architektonisches Projekt.

Lange haben die politischen Debatten gedauert, zwei Standorte wurden verworfen, jetzt ist das Grazer Kunsthaus fertig. Nach knapp zwei Jahren Bauzeit eröffnet Graz sein seit den fünfziger Jahren wichtigstes architektonisches Projekt.

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verknüpfte Bauwerke
Kunsthaus Graz

17. Mai 2003Paul Jandl
Neue Zürcher Zeitung

Arme Architektur

Das «Rural Studio» in einer Wiener Ausstellung

Das «Rural Studio» in einer Wiener Ausstellung

Tief in Alabama sind Gesinnung und Ästhetik noch kein Gegensatz. Seit Anfang der neunziger Jahre baut das Rural Studio in den ärmsten Regionen des Bundesstaates Häuser für Bedürftige. Aus Recyclingmaterial entsteht die Architektur einer ökologischen Avantgarde, die jetzt in einer Ausstellung des Wiener Architekturzentrums zu sehen ist. Hale County in Alabama gehört zu den amerikanischen Landstrichen fortschreitender Verarmung. Geistersiedlungen aus Wellblech und Wohnwagen sind vom einstigen Wohlstand der Baumwollplantagen geblieben, die Arbeitslosenrate ist hoch, und das Durchschnittseinkommen liegt bei 13 000 Dollar im Jahr. Der vor zwei Jahren verstorbene Architekt Samuel Mockbee hat hier vor zehn Jahren in Zusammenarbeit mit einer lokalen Wohlfahrtsbehörde ein Modell entwickelt, das die Studenten der Auburn University in die architektonische Praxis einführt und einen explizit sozialen Auftrag erfüllt. Ausgewählten Familien oder Gemeinden kommt die Arbeit von Rural Studio zugute. Die Kosten werden niedrig gehalten, Sponsoren stellen Material zur Verfügung, zur Planung gehören auch intensive Befragungen der künftigen Nutzer. Über zwei Dutzend Projekte hat Rural Studio in den letzten Jahren in Hale County verwirklicht.

Das erste Projekt von Rural Studio war das 1993 gebaute Bryant House. Schwere Heuballen wurden in Plasticplanen gewickelt, übereinander gestapelt und mit Drähten gesichert. Bei den Bauten von Rural Studio bleibt die Improvisation stets sichtbar. Und so fügen sich die Häuser, die meist mit kühnen Dachkonstruktionen in der Landschaft stehen, wieder in ihr Umfeld aus Agrikultur und Abgeschiedenheit. Breite Veranden und einfache Grundstrukturen, die den siloartigen Gebäuden der Gegend nachempfunden sind, prägen eine Architektur aus Low Tech und hoch entwickeltem sozialem Gewissen. Das 2001 entstandene Shiles House verdankt seine innere Form ausgegossenen Autoreifen. Als Stelzen verwendete ausrangierte Telefonmasten und die mit Schindeln verkleideten Wände bilden das äussere Erscheinungsbild des Shiles House. Die Bauten von Rural Studio kommen nicht aus einem computerisierten Büro, sondern entstehen vor Ort und nach Massgabe der Möglichkeiten des Materials. Und so mutet die Arbeit auf anspruchsvolle Art eigenwillig und autark an.

Am avanciertesten in dieser Hinsicht ist Lucy's House (2002), bei dem die Wände aus gestapelten Teppichfliesen bestehen. Das flache, bungalowartige Gebäude wird durch einen vielfach gedrehten Turm gekrönt. Die Low-Tech-Forschung von Rural Studio, in der Recyclingmaterial auf seine Tauglichkeit als Baustoff geprüft wird, geht weiter. In der Wiener Ausstellung, welche die Arbeit der amerikanischen Architekten erstmals in grösserem Rahmen in Europa präsentiert, ist auch sie zu sehen. Das Architekturzentrum Wien dokumentiert die Projekte von Rural Studio in einer schmucklosen Ausstellung, die das Handwerkliche dieser Arbeit deutlich macht. Wo sich Architektur sonst im Hochglanz ästhetischer Überzeugungen präsentiert, ist die Ethik des Rural Studio noch in ihrem unprätentiös-skizzenhaften Auftritt spürbar. «Just build it!» lautete Mockbees Wahlspruch.


[ Bis 2. Juni. Zur Ausstellung ist eine Nummer der Zeitschrift «Hintergrund» erschienen (Euro 4.40). ]

Neue Zürcher Zeitung, Sa., 2003.05.17

28. März 2003Paul Jandl
Neue Zürcher Zeitung

Geflügelte Ideen

Gerald Zugmann und Coop Himmelb(l)au in Wien

Gerald Zugmann und Coop Himmelb(l)au in Wien

Aggressiv und dekonstruktivistisch sind die Bauten von Coop Himmelb(l)au. Dennoch mutet die Arbeitsweise des Wiener Architektenbüros vergleichsweise bedächtig an. In mehreren filigranen Modellen erfährt der Entwurf seine ersten Visualisierungen, aus Papier und Kunststoff montierte Formstudien stehen am Anfang eines Prozesses, an dessen Ende so deutliche Signale stehen wie das spektakuläre Musée des Confluences in Lyon.

Seit Jahrzehnten lässt Coop Himmelb(l)au auch Fotos der Modelle anfertigen. Sie sind die Basis für weitere Eingriffe, für Veränderungen an Experimenten des architektonisch gebrochenen Blicks. Seit 25 Jahren begleitet der Photograph Gerald Zugmann dabei die Arbeit von Coop Himmelb(l)au. Es ist eine eigenwillige Kooperation, die jetzt in der Ausstellung «Blue Universe. Modelle zu Bildern machen» im Wiener Museum für angewandte Kunst dokumentiert wird. Von frühen Arbeiten wie dem Szenelokal «Roter Engel» reicht die photographische Auseinandersetzung herauf bis zur Erweiterung des Wiener Gasometers, zu dem städtischen Unterhaltungszentrum JVC in Guadalajara oder dem Science Center in Wolfsburg. Gerald Zugmanns Photographien dienen der Arbeit von Coop Himmelb(l)au und sind dennoch höchst eigenständige Kunst. Sie nehmen die Architektur des Wiener Büros auf, um sich schnell wieder davon zu emanzipieren. Gerald Zugmann beleuchtet die Modelle von innen oder setzt sie in scharfes Licht. Die daraus entstehende plastische Kontur zeigt die markanten architektonischen Eigenschaften der Projekte, ohne das Moment der Abstraktion, das bei dieser Arbeit entsteht, zu verleugnen. Ganz nah und im Detail photographiert, gewinnen die vielfach geflügelten Ideen von Wolf D. Prix und Helmut Swiczinsky erstmals dort ihren Raum, wo Gerald Zugmann sie festhält.


[Bis 21. April. Katalog: Gerald Zugmann: Blue Universe. Modelle zu Bildern machen. Architectural Projects by Coop Himmelb(l)au. Hrsg. Peter Noever. Hatje-Cantz-Verlag, Ostfildern-Ruit 2002. 160 S., Euro 39.80.]

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2003.03.28

08. März 2003Paul Jandl
Neue Zürcher Zeitung

Gegen die Kälte der Moderne

Jože Plecniks Baukunst in einer Grazer Ausstellung

Jože Plecniks Baukunst in einer Grazer Ausstellung

Der Architekt Jože Plecnik war ein strenger Ideologe. Als Schüler Otto Wagners zählte der Slowene zur Avantgarde - dennoch wehrte er sich gegen die «eisige Kälte» der Moderne. «Es ist auch eine Idee, aber keine von Gott kommende», sagte Jože Plecnik über die Arbeit des Zeitgenossen Le Corbusier. Plenik war ein Priester des Bauens, der das Ethos des Architekten weit über den Rahmen seiner Aufgaben ausdehnte. Dem eigenen (slowenischen) Volk zu dienen, hielt er für wesentlich. Und so entwarf und baute er in seiner Heimat Ljubljana säkulare Monumente, die die Nation verherrlichen sollten, und er gestaltete mehrere sakrale Bauten. Als eine Art früher Vertreter der Postmoderne berief sich Plenik auf traditionelle Formen, deren Sprache er neu ordnete, ohne ganz von ihr lassen zu wollen. Er war, wie zurzeit eine Ausstellung im Grazer Stadtmuseum nicht ohne Grund verkündet, ein «moderner Klassizist».

Ljubljana als Gesamtkunstwerk

In Zusammenarbeit mit dem Architekturmuseum Ljubljana hat Boris Podrecca die Ausstellung «Jože Plecnik und Ljubljana» mit einigem Eigenwillen gestaltet. Eine Luftaufnahme Ljubljanas bedeckt den Boden der sieben Räume, Monitore ragen aus dieser objektivierenden Perspektive und zeigen kurze Filme zu 25 Stationen im Werk des Architekten. Die slowenische Hauptstadt ist ein Musterbuch von Pleniks stadtplanerischen Ideen und architektonischen Formen. Der Weg der Ausstellung führt vom nachgestellten Arbeitszimmer Pleniks bis zum Familiengrab. Dem Eingeweihten werden auf diesem virtuellen Stadtrundgang die urbanen Visionen und das philosophische Fundament des wichtigsten slowenischen Architekten deutlicher. Wer sich allerdings erst über Plenik informieren möchte, der ist in diesem Ausstellungskonzept verloren. Ausser den in pädagogischem Pathos gehaltenen Zitaten des Architekten gibt es zu den gezeigten Objekten keinen Text. Informationen müssen erst über PC abgerufen werden. Zu wissen ist in der Ausstellung nur, was zu sehen ist: die Wandlungsfähigkeit eines experimentierenden Eklektikers, der Stilmerkmale in seine Architektur übernahm, die weit an die Wurzeln seiner Heimat zurückreichen. Dem Humanismus, den er in der Tradition der Säulen verkörpert sah, hat Plenik in seinem Werk ebenso gerne gehuldigt wie den südlichen Ursprüngen der Kunst. Venedig war seine Sehnsucht und sein Ziel.

In Wien und in Prag hatte Pleniks Arbeit an der Wende des 19. zum 20. Jahrhundert begonnen. Ab Mitte der zwanziger Jahre und bis in die vierziger Jahre erhielt er in Ljubljana fast uneingeschränkte Möglichkeiten, seine stadtplanerischen Visionen zu verwirklichen. Er hat viele seiner monumentalen Ideen umgesetzt, die Plätze der Stadt neu gestaltet und die Ufer des Flusses Ljubljanica nach seinen Vorstellungen verändert. Die unmittelbar nebeneinander liegenden drei Brücken zählen zu den bekanntesten Werken des Architekten, der sich mit Grossbauten wie der slowenischen National- und Universitätsbibliothek oder dem backsteinroten Verwaltungsgebäude der Versicherungsgesellschaft Vzajemna ebenso unverkennbar ins Stadtbild eingeschrieben hat wie mit zahllosen kleinen Retuschen im urbanen Raum. Ungebaut blieben Pleniks Ideen zu einem masslos-triumphalen Parlamentskomplex, dessen Skizzen in der Ausstellung zu sehen sind, und seine visionäre Umgestaltung der Burg von Ljubljana, aus der eine slowenische Akropolis werden sollte. Verwirklicht wurde hingegen sein Monument für die Toten.

Ideal mit Widersprüchen

Ende der dreissiger Jahre machte Plenik beim Friedhof ale die skulpturale Sprache seiner Architektur in all ihrer kleinteiligen Grammatik deutlich. Das Tor ist ein historisierender Portikus, der die Toten und die Trauernden durch einen ebenso schmalen Eingang in Empfang nimmt wie die ungleich wuchtigere und modernere National- und Universitätsbibliothek die Studenten. Zwischen beiden Entwürfen liegt Pleniks idealisierende Welt mit allen ihren Widersprüchen und Spannungen. Säulchen zieren Ljubljanas Altstadt seit Pleniks Wirken beinahe im Übermass. Sein mit der Strenge eines Palladio gebautes «Bügeleisenhaus» zählt ebenso zum Vermächtnis des Architekten wie die aus archaischem Naturstein gebauten volkstümlichen Kirchen an der Peripherie Ljubljanas.

In einer grossen Ausstellung im Centre Pompidou war Plenik in den achtziger Jahren wieder entdeckt worden. Seither wird dem einst beinahe vergessenen Manieristen der Moderne mehr und mehr Beachtung zuteil. Die europäische Kulturhauptstadt Graz zeigt den Architekten jedenfalls in adäquater, weil unpathetischer Form: Pleniks Visionen auf Monitoren.

[ Bis 30. März. Katalog: Jože Plecnik und Ljubljana. Der Architekt und seine Stadt. Hrsg. Architekturmuseum Ljubljana, Ljubljana 2003. 148 S., Euro 16.- (ISBN 961-90417-5-5). ]

Neue Zürcher Zeitung, Sa., 2003.03.08

18. Februar 2003Paul Jandl
Neue Zürcher Zeitung

Zwischen Kunst und Künstlichkeit

Niederösterreich baut sich eine Landeshauptstadt

Niederösterreich baut sich eine Landeshauptstadt

Jahrzehntelang hat das grösste Bundesland Österreichs keine eigene Hauptstadt gehabt. Seit 1986 ist Sankt Pölten die neue Metropole Niederösterreichs und baut mit grossem architektonischem Engagement an einem Regierungsviertel und einem Kulturbezirk. Vor kurzem wurde ein neues Landesmuseum eröffnet, das der vorerst letzte Schritt der 50 000-Einwohner-Stadt auf dem Weg aus der Provinz ist.

In Niederösterreich herrscht noch Eintracht zwischen Kunst und Natur. Teichmolch und Huchen vertragen sich mit Hermann Nitschs Schüttbild, lebensgrosse kämpfende Hirsche teilen sich das Reservat ihrer endgültigen Bestimmung mit Egon Schiele. Niederösterreichs neues Landesmuseum ist eröffnet, und man zeigt, was man hat: neue Kunst, einen Abriss vom Barock bis zur Moderne und die zoologischen Besonderheiten des Landes. Innen hat jede Sparte ihren vielfach gebrochenen Raum, aussen ragen die wuchtigen Kuben von Hans Holleins Museum in die architektonische Landschaft des Regierungsviertels in Sankt Pölten.

Die Fertigstellung des neuen Landesmuseums ist der vorerst letzte Teil in einem der ehrgeizigsten österreichischen Projekte der letzten Jahre. Weil das flächenmässig grösste Bundesland Österreichs keine eigene Hauptstadt hatte, sondern im zentral gelegenen Wien nur ein paar Verwaltungsgebäude, begann man in den siebziger Jahren mit der Planung eines selbstbewussten Signals. Schon 1984 hat man geahnt, wie man beim Volk am besten für das Grossprojekt wirbt. Wie «ein Gulasch ohne Saft» sei ein Land ohne Landeshauptstadt. Das zwingende Argument hat dem Bundesland heftige Debatten über den Standort der künftigen Metropole beschert. Mit 44,63 Prozent der Stimmen konnte sich die 50 000-Einwohner-Stadt Sankt Pölten gegen andere niederösterreichische Herausforderer wie Krems, Baden, Tulln oder Wiener Neustadt durchsetzen. 1992 erfolgte der Spatenstich zum Bau des neuen Regierungsviertels. Man versprach «Mut zum Grossen» und setzte auf einer Gesamtgrundrissfläche von 220 000 Quadratmetern eine zweite Stadt ans Ufer der Traisen. An 17 Objekten wurden in dieser ersten Phase insgesamt 570 Millionen Franken verbaut. Grösser, so hiess es damals in Sankt Pölten, seien in Europa nur die Hauptstadtprojekte Berlins.


Geplante Leblosigkeit

Gut zehn Jahre nach dem Beginn der Verwandlung der Provinzstadt Sankt Pölten in eine Landesmetropole steht der langgestreckte Riegel neuer Architektur am Ufer der Traisen. Hans Hollein, Klaus Kada, Boris Podrecca und Gustav Peichl waren mit eigenen Bauten an der Realisierung des neuen Regierungs- und Kulturviertels beteiligt. Überragt wird das Ensemble unterschiedlicher Bestimmungen durch den Klangturm von Ernst Hoffmann, der federführend das niederösterreichische Verwaltungszentrum mitentworfen hat. Gebaut zwischen Kunst und Künstlichkeit, zwischen Notwendigkeit und Anmassung, ist das Regierungsviertel heute ein Ort beherzt geplanter Leblosigkeit. Über 3000 Beamte bevölkern tagsüber die Gebäude. Für Bewegung auf den weiten Plätzen sorgen nur die Autobusse, die beinahe leer zu ihren niederösterreichischen Zielen aufbrechen: nach Zwettl, Amstetten oder in die Städte, die im Kampf um den Titel der Landeshauptstadt unterlegen waren.

In noblen Katarakten kräuselt sich das Wasser der Traisen, doch am anderen Ufer stehen die baufälligen Relikte aus etwas weniger modernen Zeiten. So ist Sankt Pölten: ein potemkinsches Dorf des Neuen, in dem auch abseits des Regierungsviertels höchst beachtliche Architektur entstanden ist - von den Wohnhaussiedlungen Helmut Christens bis zum Traisenpavillon von Adolf Krischanitz. Doch neben dem Ehrgeiz einer Sankt Pöltner Moderne steht die Tristesse der jüngeren Vergangenheit. Gesichtslose Sechziger-Jahre- Wohntürme ragen über das flache Terrain der Stadt, deren kleiner Kern umlagert ist von Ausfallstrassen und hart bedrängt von den trostlosen Zeichen der Peripherie.

Sankt Pölten hat das älteste Stadtrecht Österreichs. Gegründet als Römersiedlung, erlebt die katholische Metropole ihre Blüte im Barock. Aus dieser Zeit stammt das Zentrum mit dem Rathausplatz und einigen wenigen Gassen. Auf dem Bischofssitz residiert ein ultrakonservativer Geist, der so wenig Weltoffenheit signalisiert wie alle Klischees, die es über Niederösterreichs Metropole gibt. Zahllos sind die literarischen Bonmots, die die Stadt zum Inbegriff der Provinz erklären. Und während man sich rühmt, wenigstens Rainer Maria Rilke zu Gast gehabt zu haben, gibt es auch hier nur Undank. In Sankt Pölten hat der junge Rekrut Rilke eine «Fibel des Entsetzens» durchlebt - eine Ausbildung in der kaiserlich-königlichen Militär-Unterrealschule. Der Jugendstil- Architekt Joseph Maria Olbrich hat mit dem Bau eines Hauses in Sankt Pölten seine Spuren hinterlassen. Die ehemals grosse und lebendige jüdische Gemeinde Sankt Pöltens gibt es seit den Zeiten nicht mehr, als der Ort «Gauwirtschaftsstadt» war. Heute ist die vorbildlich restaurierte ehemalige Synagoge ein Kultur- und Veranstaltungszentrum.


Ambitionen und Stagnation

Nur wenige hundert Meter vom neuen Regierungsviertel entfernt dämmert das alte Zentrum Sankt Pöltens im süsslichen Nebel des nahen Glanzstoffwerks dahin. Vor einigen Jahren hat Boris Podrecca den Rathausplatz neu gestaltet, rundherum bröckelt jetzt der Putz der alten Substanz. Geschäfte stehen leer, während am Stadtrand Einkaufszentren die ehemals landwirtschaftlichen Flächen zersiedeln. Nur sechzig Kilometer westlich von Wien gelegen, erfährt Sankt Pölten Fluch und Segen seiner verkehrsgünstigen Lage. Man ist schnell dort, ebenso schnell aber auch wieder weg. Und so haben sich alle Prognosen, die mit einem raschen Wachstum der Stadt gerechnet haben, nicht erfüllt.

Zwischen 1870 und 1970 war Sankt Pölten die mit Abstand am schnellsten wachsende Stadt in Niederösterreich. Die Mischung aus Industrie- und Handelszentrum hat ihre Wirkung ausgerechnet bis zu jenem Zeitpunkt getan, als Sankt Pölten zum Zentrum Niederösterreichs erhoben wurde. In den letzten Jahren stagniert die Zahl der Bewohner. Eher geht sie zurück, als sich an jene Vorhersagen zu halten, die für die Gründung einer eigenen Landeshauptstadt Bedingung waren. Dass Sankt Pölten sich wenigstens allmählich in Richtung jener Grösse auswachsen würde, die andere Bundesland-Metropolen wie Graz, Linz oder Salzburg haben, wollte man hoffen. An deren Status anzuschliessen, wird Sankt Pölten kaum jemals gelingen.

Vom sanften Leben der Provinz ist die neue Landeshauptstadt auch durch die Eingriffe der Politik und den Bau des Regierungsviertels nicht abzubringen. Das Land ringsum lebt von Industrie, Landwirtschaft und da und dort von sanftem Tourismus. Sankt Pölten ist die Kulmination dieser unspektakulären Mischung und ebenso solide rechtschaffen wie sie. Als letztes Projekt schliesst das neue Landesmuseum die Einrichtung eines Sankt Pöltner «Kulturbezirks» ab. Gleich daneben arbeitet nicht ohne Erfolg das Festspielhaus, das in erster Linie modernen Tanz zeigt.

Das Land Niederösterreich ist die Summe seiner kulturellen Eigenschaften. Nicht mehr und nicht weniger will das neue Museum seinen Besuchern zeigen. Der Landeshauptmann Erwin Pröll grüsst bedeutsam aus dem 3-D-Video zur Landesgeschichte. Einige wunderbare Stücke aus der Gemäldesammlung des Museums sind zu sehen - von Ferdinand Georg Waldmüllers Landschaftsbildern bis zu Herbert Boeckls «Selbstporträt mit grossem Akt». In der gezeigten Kunst nach 1945 brilliert die Sammlung mit einem Schwerpunkt «Lust und Leiden am Selbst», in dem sich auch einige Exponate des Wiener Aktionismus finden. Der unaufgeregte Aktionismus, der aus Sankt Pölten kommt, sieht anders aus. Die Hirsche stehen stumm.

Neue Zürcher Zeitung, Di., 2003.02.18



verknüpfte Bauwerke
Niederösterreichisches Landesmuseum

22. Januar 2003Paul Jandl
Neue Zürcher Zeitung

Österreichische Dezenz

Junge Baukünstler - eine Ausstellung im Wiener Architekturzentrum

Junge Baukünstler - eine Ausstellung im Wiener Architekturzentrum

Wenn anderswo das «Architainment» die Baukunst in die lichten Höhen des Spekulativen und Spektakulären führt, dann hat das junge Bauen in Österreich noch soliden Boden unter den Füssen. Neue Architektur zeigt das Architekturzentrum Wien in einer «Emerging Architecture 3» betitelten Ausstellung, die dem plakativ Neuen dezidiert nicht gewidmet ist. Keine Visionen aus den Datenräumen demonstrieren hier mit grosser Geste eine gebaute Zukunft. Vielmehr erproben sich die Ideen einer neuen Generation an der angestrebten Funktionalität. Das Spektrum der in Wien gezeigten Projekte reicht von Einfamilienhäusern über Supermärkte bis zu einem allerdings in mancherlei Hinsicht aus dem Rahmen fallenden Entwurf für die Überbauung des Bahnhofes Wien Nord durch die Gruppe «pool».

Insgesamt 180 Beispiele hat das Architekturzentrum Wien für seine «österreichische Trilogie» ausgewählt. Den nun im dritten Teil gezeigten Projekten ist gemein, dass sich ihr durchaus vorhandener Witz stets in einem erfrischenden Gleichgewicht mit den architektonischen Aufgaben befindet. Zu sehen ist eine durchgehend hoch funktionale Dezenz, wie etwa in den Gebäuden von Feyferlik/Fritzer, deren Hüllen aus Holz, Glas, Stein oder Metall sich nahtlos in die Umgebung einfügen. Illustriert wird das an Einfamilienhäusern oder an einer containerartigen Veterinärstation an Österreichs Grenze. Das Bauen in den Alpen spielt auch bei dieser Folge von «Emerging Architecture» eine bedeutende Rolle. «Holz Box Tirol» hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Formen traditioneller alpiner Bauweisen nicht durch überbordende Modernität zu denunzieren. Aus den hölzernen Modulen lassen sich Hotelanbauten oder Supermärkte formen, die sich fast bis zur Selbstverleugnung den Gesetzen der Ökologie unterwerfen.

Der sparsameren Ökonomie der Landschaft im weniger schroffen Terrain dagegen folgen die Entwürfe von Georg Huber und Karl Meinhart («one room»). Die sanfte Welle dominiert das Projekt eines Kindergartens oder eines Sportzentrums in Salzburg. Bei «pool» wird die Welle zur schrägen Ebene verstärkt, die als Rampe nicht nur kleinere Bauten ziert, sondern auch zum wichtigsten Merkmal im wenig innovativ wirkenden Entwurf für den Bahnhof Wien Nord wird. Dokumentiert ist auch eine Arbeit von Anna Popelka und Georg Poduschka (PPAG), die auf dem Papier verspricht, was sie in der Wirklichkeit des Wiener Museumsquartiers immer noch nicht halten kann. In das von PPAG verwirklichte Projekt einer vielseitig bespielbaren Büro- und Kommunikationslandschaft ist auch Monate nach der Eröffnung noch kein Leben eingekehrt.


[Bis 10. März. Katalog: Emerging Architecture 3. Springer- Verlag, Wien 2002. 256 S., Euro 39.-.]

Neue Zürcher Zeitung, Mi., 2003.01.22

21. Januar 2003Paul Jandl
Neue Zürcher Zeitung

Der Himmel über Wien

Sechs monumentale Flaktürme trotzen den Zeiten

Sechs monumentale Flaktürme trotzen den Zeiten

Eine «monumentale Bindung» an das städtische Panorama hatte der Hitler-Architekt Albert Speer den Riesenbunkern zugedacht. Sechzig Jahre nach dem Ende des Dritten Reichs stehen die Wiener Flaktürme unverändert da. Vom kaiserlichen Lustschloss Augarten und der darin befindlichen Porzellanmanufaktur führt eine nach barocker Gartengeometrie angelegte Allee auf einen Gefechtsturm zu. Im Wiener Arenbergpark teilen sich grossbürgerliche Häuser des Fin de Siècle das knappe Grünareal mit nationalsozialistischen Grosskubaturen.

Ab 1940 hat der Schweriner Architekt Friedrich Tamms in Hitlers Auftrag seine «in konstruktiver Hinsicht einwandfreien» Zweckbauten verwirklicht. Aus stereometrischen Grundformen entstanden die Flaktürme in den Grossstädten des Dritten Reichs. In Berlin und Hamburg wurden ebenfalls weit aufstrebende Plattformen für die Geschütze der Fliegerabwehr gebaut, doch nirgends ragen sie so unerbittlich aus historischem städtischem Boden wie in Wien. Bis zu 50 Meter erheben sich die sechs Flaktürme über das Strassenniveau. Das gedachte Dreieck, in dem die aus Leit- und Gefechtsturm bestehenden Paare in Beziehung zueinander stehen, prägt das Panorama der Stadt, das die Betonklötze in die denkmalhafte Stadtlandschaft längst integriert hat.

Ein gläserner Leseturm des Wiener Museumsquartiers durfte nicht gebaut werden, weil er die Barockfassade der ehemaligen kaiserlichen Hofstallungen überragt hätte. Gleich hinter dem Museumsquartier, in schöner imperialer Linie mit der Hofburg, dem Burgtor und den Hofmuseen, trotzt in der Stiftskaserne ein gemauertes Monument von Verteidigung und Herrschaft jedem Einwand. Rund 45 000 Kubikmeter Beton hat man zu Kriegszeiten für jeden der über vierzig Meter breiten Gefechtstürme verbaut, bis zu sieben Meter dicke Wände haben die Bunker unverwundbar gemacht. Die Geschütze der Fliegerabwehr, die auf den Türmen postiert waren, haben ihren Zweck dennoch nicht lange erfüllt. Geänderte Strategien des Luftkriegs haben den Versuch, ganz Wien über den Radius der Flaktürme zu verteidigen, schnell obsolet gemacht. Die bis zu zwölf Geschosse hohen Bauten waren aber auch autarke Systeme, in denen bis zu 20 000 Menschen Schutz fanden.

Seit knapp sechzig Jahren müht sich Wien an einer betonierten Geschichte, die nur mit dem Aufwand von Hunderten Millionen Euro aus dem Stadtbild zu entfernen wäre. Das allerdings hat man auch längst nicht mehr vor. Die Wiener Flaktürme sind unter der Bevölkerung gelitten und stehen heute unter Denkmalschutz. Sofort nach Kriegsende hat man begonnen, sich über die Verwendung der historischen Relikte Gedanken zu machen. Ein Pantheon Österreichs sollte schon 1946 aus dem Gefechtsturm in der Stiftskaserne werden, ein Monument des gewendeten Patriotismus, das die Verherrlichungsästhetik der vorangegangenen Jahre noch nicht ganz überwunden hatte.

Seit Jahrzehnten müht sich die Wiener Phantasie an einer Form, die als Signal der Geschichte immer noch mitten in der Gegenwart steht. Die Ideen eines ethischen Kontrasts zum ursprünglich martialischen Zweck sind zahlreich. Ein Holocaust-Museum, ein «Haus der Geschichte» oder ein «Haus der Toleranz» standen schon auf der Wunschliste, grössere Chancen auf Verwirklichung hat indes ein Grossarchiv als «Daten-Bunker» im Wiener Augarten. Christo, der Folienkünstler historischer Grossbauten, wollte die Flaktürme schon verpacken, während Hoteliers aus der einst militärischen Aussicht ziviles Kapital zu schlagen gedachten. Gläserne, mehrere Stockwerke hohe Aufbauten waren für den Leitturm im Wiener Esterhazypark geplant. Ein «Foltermuseum» gibt es dort schon, und das «Haus des Meeres» ist mit seinen Grossaquarien ein beständiger Mieter. Im Sommer letzten Jahres hat die Wiener Stadtplanung eine Studie erstellen lassen, mit der man neue Möglichkeiten der Nutzung ausloten wollte. Jetzt sind die Ergebnisse der höchst detailreichen Untersuchung des Architektenbüros Bernstein und Pieler da, doch Wien wird der Unverwüstlichkeit der Zweckbauten weiterhin mit synchroner Haltung begegnen: Man wartet ab.

Zur geschichtlichen Bedeutung der Türme kommt das ästhetische Phänomen ihrer puristischen Architektur. Der Konzeptkünstler Lawrence Weiner hat den Flakturm im Esterhazypark in einer Festwochen-Aktion des Jahres 1991 mit dem Schriftzug versehen: «Zertrümmert in Stücke / In der Stille der Nacht.» Abseits ihrer militärischen Zwecke symbolisieren die Flaktürme eine der Kunst wohl verwandte rohe Kraft, die Peter Noever, den Direktor des Museums für angewandte Kunst, auf die Idee gebracht hat, den Gefechtsturm im Arenbergpark einschlägig zu nützen. Seit 1995 führt das MAK hier ein Depot, und irgendwann und unter dem Aufwand von rund 22 Millionen Euro könnte hier der Contemporary Art Tower entstehen, ein Projekt, das den Gefechtsturm zum Ausstellungsort von Kunst macht und ihn gleichzeitig selbst zu Kunst nobilitiert. Man hat sich Paul Virilio geholt, um den einstmals kriegerischen Aspekt des Ortes mit einer Ästhetik dessen zu beschwören, «was vom Himmel kommt». «Heaven's Gift» nannte das MAK die Ausstellung zu seinem Projekt des Flakturm-Umbaus, bei dem ebenfalls abgewartet wird. Unterdessen kommt noch anderes von oben: Vor einer Nutzung wären 22,5 Tonnen Taubenmist allein vom 8. Obergeschoss des Gefechtsturmes im Arenbergpark zu entfernen.

Neue Zürcher Zeitung, Di., 2003.01.21

04. Januar 2003Paul Jandl
Neue Zürcher Zeitung

«Tunable spaces»

Junge japanische Architektur in Wien

Junge japanische Architektur in Wien

Es ist das Ende der Hierarchie. Im «Superflat» der neuen japanischen Architektur lösen sich feste Rangordnungen auf, eine Gleichwertigkeit der Räume bestimmt das Bauen. Leicht und variabel ist diese Architektur, traditionell und modern zugleich, wie jetzt eine gelungene Ausstellung im Wiener Ringturm zeigt. «45 unter 45 - Junge Architektur aus Japan» dokumentiert die Arbeit einer Generation, die vor allem für die komplexer gewordenen Anforderungen des urbanen Lebens eigenständige Antworten liefert.

Immer schon war das verdichtete Bauen in den japanischen Städten eine Herausforderung. In der Wiener Ausstellung und dem sehr gut gemachten Katalog finden sich utopische Stadtprojekte wie Nobuo Horichis «Polyphonic City», ein Komplex miteinander verbundener Hochhäuser, und zahlreiche Versuche, platzsparende Individualität in den urbanen Wüsten des Anonymen zu verwirklichen. Manabu Chiba baut ein abweisendes «Haus in Schwarz» als strengen Kubus, in den Terrasse und Autoabstellplatz ihre Breschen schlagen, Kazuyo Sejima dagegen ironisiert mit ihrem transparenten «Kleinen Haus» die baulichen Anforderungen der Städte. Jedes Stockwerk wird von einem einzigen Zimmer gebildet, dessen Grösse je nach Nutzung auch den Grundriss bestimmt. So wechseln die Aussenmasse des glasumhüllten Hauses von Stockwerk zu Stockwerk.

In der Enge der japanischen Städte gedeiht eine Architektur, die mit erfindungsreicher Ökonomie den knappen Raum nützt. Ausserhalb der Metropolen ist eine Ökologie am Werk, die Natur und Landschaft in den architektonischen Entwurf einbezieht. Das von Hiroyuki Sekino in China am Fluss Zhujiang gebaute Internationale Konferenz- und Ausstellungszentrum von Guangzhou nimmt die Figur von Wind und Wellen in den stromlinienförmigen Körper auf, Jun Shinozaki baut ein «Aquamarine Fukushima» als gläserne Blase über die staunenswerte Meereslandschaft des Pazifiks. Die Lebenswelt des Menschen interpretiert Sosuke Fujimoto mit dem «Haus N» neu, einem in Schichten aufgebauten Gebäude, in dem sich das Wohnen an die dominierenden Niveauunterschiede anzupassen hat. Von Utopien wie dem Entwurf der zukünftigen Büros als «tunable spaces» (Kenichi Inamura) führt der Weg immer wieder zurück zur japanischen Tradition. Bekanntestes Beispiel, das auch in Wien dokumentiert wird, ist Shigeru Bans Japanischer Pavillon zur Expo 2000 in Hannover. Zu dessen aus Papierrollen konstruiertem Dom der Ökologie liefert Shuhei Endo das gewissermassen politisch unkorrekte Komplementärmodell. In den Loopings seiner gerollten Wellblechbahnen schafft er den Raum für das Wohnen und Arbeiten am Anfang des 21. Jahrhunderts.


[ Bis 31. Januar. Als Katalog: 45 unter 45. Junge Architektur aus Japan. Verlag Anton Pustet, Salzburg 2002. 156 S., Euro 36.-. ]

Neue Zürcher Zeitung, Sa., 2003.01.04

13. November 2002Paul Jandl
Neue Zürcher Zeitung

Wiener Villenkolonie

Ein Wohnbauprojekt am Stadtrand

Ein Wohnbauprojekt am Stadtrand

Die Peripherie ist der Ort eines Übergangs. Wer hier baut, kann die architektonischen Gesten der Stadt noch einmal verdichten oder die Distanzierung vom Urbanen in den Sehnsüchten der Individuation verwirklichen. Neun Architekten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz haben jetzt angewandte Architekturforschung betrieben, in der das Bauen am Stadtrand ebenso theoretisch erörtert wie auch praktisch umgesetzt wird. Zwölf Mehrfamilienhäuser werden auf einem Hang am Rande Wiens bei Mauerbach gebaut. Die Architekten Adolf Krischanitz, Roger Diener, Max Dudler, Peter Märkli, Hans Kollhoff, Marcel Meili und Markus Peter, Hermann Czech und Heinz Tesar unternehmen dabei den Versuch, das standesgemässe Selbstbewusstsein des Einzelhauses mit einem streng homogenen Gesamtkonzept zu vereinen. Der Baubeginn der «Villenkolonie» steht kurz bevor, eine Ausstellung im Wiener Architekturzentrum präsentiert jetzt mit Modellen und Entwurfszeichnungen das Projekt.

Der komplexe Versuch, Einzelhäuser in verdichteter Form zu kombinieren, gehört zu den Ideen der Moderne - von Adolf Loos' Entwurf einer «Gruppe von 20 Villen» (1923) bis zu den Werkbundsiedlungen. Die architektonische Herausforderung hat ihren Reiz so wenig verloren, dass jetzt neun Architekten in einem Wettstreit nach Lösungen suchen, die ein anderes mustergültiges Wiener Projekt schon gefunden hat. Herzog & de Meuron, Otto Steidle und Adolf Krischanitz haben 1989 die minimalistische Reihenhaussiedlung der Pilotengasse gebaut. Krischanitz war schon damals der Mentor des Projekts, und er ist es auch heute. Ein «playing captain», der selbst zwei Entwürfe beisteuert: ein Haus von turmartigem Charakter mit abgeschrägter Front und drei kleinere Häuser, die gegeneinander versetzt sind und an der Aussenwand ein «dreisortiges Pflanzenkleid» erhalten sollen. «Unmissverständlich städtisch» will das Architekturbüro Kollhoff und Timmermann bauen. So entsteht ein dreigeschossiges Haus, das Zitate der klassizistischen Wiener Fassaden aufnimmt, während sich bei anderen die Aspekte der Stadt in strengerem Formalismus üben.

Bei Otto Steidle etwa wird die Vertikale, die die städtische Architektur in schmale Sektoren teilt, zum leitenden Element. Die Idee der flächigen Fassade teilt sein Entwurf mit jenem Dieners, der einen strengen Kubus präsentiert, dessen Fassade durch versetzte Fenster aufgelockert ist, und mit jenem von Meili Peter. Die Fensterbänder sind hier über Eck angeordnet und strukturieren so das Erscheinungsbild des Hauses der Schweizer Sichtbetonspezialisten. Überhaupt Beton: Weil die Betonindustrie das Projekt kräftig unterstützt, wird den Ausdrucksmöglichkeiten des Materials kräftig nachgegangen. Meili Peter färben es ein, bei Tesars elegantem Haus wird die betonierte Aussenhaut mit mathematischer Genauigkeit eingedellt, und Dudler setzt seinen Entwurf aus anthrazitfarbenen Betonblöcken zusammen, die diesem Bau gemeinsam mit hohen Glasscheiben strengen Ernst verleihen. Für Auflockerung des Projekts sorgt dann die Gartenarchitektin Anna Detzelhofer. Die «Villenkolonie» am Westrand Wiens gönnt sich neben dem urban-strengen Bebauungskonzept auch den Luxus der Peripherie: einen parkähnlichen Garten.


[Bis 27. Januar. Zur Ausstellung erscheint eine Sondernummer der Zeitschrift «hintergrund» zum Preis von Euro 4.40.]

Neue Zürcher Zeitung, Mi., 2002.11.13

30. Oktober 2002Paul Jandl
Neue Zürcher Zeitung

Alles fliesst im Woom

Die Grazer Architektur-Ausstellung „Latente Utopien“

Die Grazer Architektur-Ausstellung „Latente Utopien“

Die Utopie ist ins Gerede gekommen, wenn nicht überhaupt, wie die Architektin Zaha Hadid sagt, in den «Ruf der Monstrosität». Wer würde dieser Tage noch ethische Verbindlichkeiten propagieren, den Wunsch nach gesellschaftsübergreifender Installation eines besseren Lebens? Zaha Hadid und Patrik Schumacher heben beim «steirischen herbst» die neue Architektur für ihre Ausstellung «Latente Utopien» auf das hohe Niveau der Zukunftsentwürfe, um sich dann doch (im Katalog) mit Niklas Luhmanns Systemtheorie wieder von den Utopien zu verabschieden. Zu komplex sind die sozialen Systeme, als dass sich noch Visionen für alle entwerfen liessen. In der Selbstreferentialität bleibt alles für sich - auch die Architektur.

Überhaupt ist die Architektur sich selbst die beste Gesellschaft. Und aus diesem Umstand wächst ein Leben, das auch mit viel Aufwand der Theorie nicht besser zu beschreiben ist, als es die Ausstellung selbst tut. Zaha Hadid und Patrik Schumacher haben in den Räumen des Grazer Joanneums einen abgedunkelten Organismus angelegt, in dem es gluckst und summt und in dem das anthropomorphe Potenzial der ausgestellten Architekturentwürfe schon fast einen ganzen Körper ergibt - von der schnaufenden pneumatischen Installation von Veech Media Architecture bis zum synaptischen Modell von Servo, einem «interaktiven, sensorischen Reprivationssystem, das auf eine breite Palette von Stimmungen des Nutzers reagiert und diese auch generiert». Die Ausstellung «Latente Utopien» zeigt softwaregesteuerte Simulationen, deren Bildschirme sich durch nahezu alle Räume ziehen, Designentwürfe, bildwirksame Installationen und mit den zu sehenden Modellen auch das klassische Medium architektonischer Präsentation.

Mit dem Paradox des «nichtorganischen Lebens» versucht das britische AA Design Research Lab die Funktionsweise der Architektur neu zu definieren und steht damit im diskursiven Zentrum einer Ausstellung, die so sehr in einer physiologischen Terminologie aufgeht, dass man sich fragt, ob es nicht auch andere Ansätze gegeben hätte. Nur Coop Himmelb(l)aus Modell des Musée des Confluences in Lyon steht als dekonstruktivistischer Beitrag in der Ausstellung. Sonst fügt sich in der von Zaha Hadid und Patrik Schumacher kuratierten Schau eins nahezu nahtlos ans andere. «Soft» oder «Woom» beschreiben eine in Form gegossene Flüssigkeit, in der die beweglichen quasibiologischen Formen über die starren Elemente der traditionellen Architektur triumphieren. Die blaue Blase von Colin Fourniers und Peter Cooks Kunsthaus entsteht gerade an der Grazer Mur (vgl. NZZ vom 30. 8. 02). Ihre Membran, die einen gläsernen Kubus umwölbt, ist in ihrer Erscheinung durch Licht veränderbar und damit ein anderer, in der Ausstellung allerdings nicht vertretener Beitrag zum Generaltopos, den etwa Ross Lovegrove «gefrorene Elastizität» nennt. Die Transparenz seiner Designformen und -flächen folgt einer konstruktiven Logik, in der die Aussenhaut keine Grenze ergibt.

Mit Licht und weichen Linien unternimmt Lovegrove den Versuch, die Schönheit fliessender Computerbilder in den dreidimensionalen Raum zu übertragen. In grösserem Massstab machen das auch die amerikanischen Architekten von Asymptote mit ihrem Entwurf für das Event- und Lieferzentrum von BMW in München, die damit die Mobilität auch im Sinne des Auftraggebers simulieren. Angelil/Graham/Pfenninger/Scholl aus der Schweiz verbinden ihre aus transparenten Folien bestehenden Hohlkörper zu einem Bild unablässiger Bewegung. Die Stabilität architektonischer Form wird durch die im Licht schwebenden Röhren untergraben und ironisiert so das klassische Raummodell nicht weniger als «Malina 3» von Pichler & Traupmann. Ein Dreieck aus stählernen Wänden dreht sich sanft zwischen vier Türen, lässt Ein- und Ausgänge offen und schliesst sie wieder.

Die Rückzugsorte des menschlichen Lebens werden auch in Graz thematisiert. Karim Rashid entwirft «WOOM», den «world room», ein kugelrundes Häuschen weich gepolsterten Wohlbefindens, das sich mit Andreas Thalers «Liquid Lounge» immerhin den geistigen Vater teilt. Am Massstab von Verner Pantons bunten Entwürfen der siebziger Jahre kommt das Soft-Design auch heute noch nicht herum. Zaha Hadid dagegen liefert ihre eigene Sicht des Wohnens: eine «Domestic Wave», die die Funktionen des Lebens in einer Welle aneinander reiht, vom Schreibtisch bis zum Bett.

Von Staatsutopien und idealen Landschaften war in Thomas Morus' «Utopia» von 1516 die Rede. Grossflächige Entwürfe zum urbanen Design der Zukunft liefern die holländischen MVRDV, deren Housing Silo von Amsterdam ebenfalls zu sehen ist, Zaha Hadid und Branson coates architects aus England mit ihren Visionen einer «Ecstacity». Vom grossen Ganzen, dessen Herausforderungen noch mit den höchst ähnlichen World-Trade-Center-Entwürfen von NOX und Foreign Office vertreten sind, kehrt die Theorie der Ausstellung auch wieder zum Ursprung der architektonischen Arbeit zurück. Liegt die Utopie nicht überhaupt in den Möglichkeiten der neuen elektronischen Entwurfsmedien, der «Nicht-Ort» billigerweise in der Virtualität?

In dieser «Science-Fiction» jenseits aller Materialgebundenheit lassen sich jene Utopien durchspielen, über die der Grossteil der in der Ausstellung vertretenen Architekten auch noch bei einem Symposium debattierte, ohne dabei über das Thema recht froh zu werden. Welche Rolle die Architektur in den heutigen gesellschaftlichen Prozessen spielt, wusste niemand so recht zu sagen, ausser dass es wohl doch eine langfristige gegenseitige Befruchtung gäbe. Mit der Luhmann'schen Systemtheorie liessen sich dann die wesentlichsten Widersprüche ausbügeln, und die Wirklichkeit ist ohnehin konkreter: Hollywoods Produzenten würden bei ihm anrufen, weil sie ein Set-Design für einen Film brauchen, der im Jahr 2096 spielt, erzählt Ross Lovegrove. Karim Rashid fordert, Pragmatismus vor neue Dogmen zu setzen, Greg Lynn ist die streng rationale Erkundung der Möglichkeiten der Architektur lieber als Experimente. Vielleicht war das Wort von der «Utopie», wie auch Zaha Hadid beim Symposium andeutet, doch zu hoch gegriffen. Und die Utopie tritt nicht als Proklamation eines Besseren auf, sondern als schlichte Konzentration kritischer architektonischer Einbildungskraft. Auch in Graz alles also beim Alten.


[Bis 2. März 2003. Katalog: Latent Utopias. Experiments within Contemporary Architecture. Herausgegeben von Zaha Hadid und Patrik Schumacher. Springer-Verlag, Wien/New York 2002. 304 S., Euro 35.-.]

Neue Zürcher Zeitung, Mi., 2002.10.30

16. August 2002Paul Jandl
Neue Zürcher Zeitung

Überprüfungszone

Die Stadt Wien führt eine Hochhaus-Debatte

Die Stadt Wien führt eine Hochhaus-Debatte

Dass Wien «zur Grossstadt demoliert» werden könnte, hat die kulturpessimistische Art von Karl Kraus in selbst erlebten Zeiten des Niedergangs befürchtet. Seinen Niedergang hat der Bahnhof Wien Mitte jetzt beinahe hinter sich. Noch dämmern seine Fassadenfronten in rostigem Blaugrün durch ein gründerzeitliches Viertel ganz nahe an der Wiener Innenstadt, doch bald wird er einem Bürokomplex weichen, der Wien eine zentrumsnahe Modernisierung bescheren soll. Mit einer Bauhöhe von 97 Metern steht der grösste Turm des Projekts Wien Mitte in profaner Konkurrenz zum sakralen Wahrzeichen des Stephansdoms und in provokantem Widerspruch zur historischen Bausubstanz. Das Konzept einer Architektengruppe soll jetzt zügig verwirklicht werden. Die Debatten in einer europäischen Metropole, die jahrzehntelang eine Stadtbilderhaltung propagiert hat, in der sich jede neue Architektur an die Stilvorgaben musealisierter Zonen zu halten hatte, gehen unterdessen weiter.


Urbanes Signal

Im Jahr 2001 wurde die Wiener Innenstadt von der Unesco zum Weltkulturerbe erklärt. Seither gilt dieses Prädikat unter den Gegnern forcierter Bauhöhen als Messlatte für architektonischen Anstand. Die lautstarke Debatte um das Projekt Wien Mitte wurde bisher auch durch Einwürfe aus den Unesco-Kommissionen belebt, die das Projekt immer wieder einmal für «bedenklich» halten. Doch während die Proponenten ästhetischen Einspruchs in jeder Kommissionsäusserung schon Signale einer drohenden Aberkennung des Gütesiegels «Weltkulturerbe» sehen, sind die zuständigen Wiener Behörden standhaft geblieben. Noch heuer wird mit dem Abriss des ehemaligen Bahnhofs Wien Mitte begonnen. Dem «Sauhaufen» (so der volksnahe Wiener Bürgermeister) des ehemaligen Zweckbaus soll ein urbanes Signal folgen, das sich diesmal und anders als noch beim gescheiterten Wiener Museumsquartier in grosser politischer Einmütigkeit durchgesetzt hat.

Beteiligt am Projekt ist das Architekturbüro Ortner & Ortner, das einst im Museumsquartier den ursprünglichen Entwurf nach grossen Protesten beinahe bis zur Unkenntlichkeit verändern musste. Der «Leseturm», dessen signalhafte Höhe die dortigen Barockbauten Fischer von Erlachs um etliches überragt hätte, fiel den von der Boulevardpresse unterstützten Verteidigern historischer Dachkanten zum Opfer. Das Projekt in Wien Mitte wird jetzt unter weit geringeren Einbussen entstehen. Statt der sechs ursprünglich geplanten Türme werden zwar nur drei gebaut, aber die Höhe bleibt so wie vorgesehen. Mit seinen 97 Metern wird der höchste Turm in den benachbarten ersten Wiener Bezirk ausstrahlen, zwei weitere Türme sind 87 Meter hoch. Verdrehte Kuben bilden die Spitze einer Konstruktion, die mit der Höhe auch an Transparenz gewinnen soll. Gläserne Flächen an den oberen Modulen sollen eine Leichtigkeit erzeugen, die die optische Schwere das darunter liegenden flachen Teils neutralisieren und den Bruch mit der nahen Altstadt mildern soll. Dennoch kommen Proteste gegen den Entwurf auch von prominenten Architekten. Gustav Peichl, der gemeinsam mit Boris Podrecca in Wien den 171 Meter hohen «Millennium Tower» gebaut hat, deponiert seine Einwände gegen das Projekt ebenso wie Roland Rainer, der Doyen der österreichischen Architektur, der gegen die «Eitelkeit» des neuen Wiener Hochhausbooms wettert und gegen das «Verbrechen» des Wien-Mitte-Projektes im Speziellen.


«Donau-City»

Bis Ende der achtziger Jahre blieb Wiens Silhouette ein weitgehend ungestörtes Idyll. Stephansdom und Riesenrad markierten die Fixpunkte einer historisch festgelegten Architektur, aus der gerade noch der aus dem Jahr 1955 stammende Wiener Ringturm ragt. Und der ist gerade einmal 71 Meter hoch. Mit dem fortschreitenden Bau der «Donau-City», eines Zentrums ausgelagerter Urbanität jenseits der Donau und in weiter Ferne der Wiener Innenstadt, ist in den letzten zehn Jahren ein Boom entstanden, dem Wien verdankt, dass die Hochhausbauten immer weiter in die Stadt vorrücken. Über zwanzig Hochhäuser sind so innerhalb kurzer Zeit in Wien errichtet worden, über dreissig Hochhausprojekte sollen in den nächsten Jahren noch verwirklicht werden. Längst sind sie nicht mehr auf die Peripherie konzentriert, sondern so über die Stadt verstreut, dass jetzt auch die Stadtverantwortlichen zur Sammlung riefen. Ein neues «Hochhauskonzept» regelt die infrastrukturellen Grundbedingungen, um dann allerdings in ästhetischen, stadtkonzeptionellen Fragen eher vage zu bleiben. Die gebotene Rücksicht auf das historische Ambiente ist im neuen Konzept dennoch deutlich festgeschrieben. «Wesentliche Sichtachsen und Blickbeziehungen» werden weiterhin «Überprüfungszonen» sein.

Mit einem Bild des Malers Canaletto, der 1760 vom oberen Belvedere ein Panorama der Stadt gemalt hat, machen indes die Gegner der modernen Hochhausarchitektur mobil. Damals, im 18. Jahrhundert und in den Ockertönen des alten Meisters, sei die Stadt noch so richtig schön gewesen. «Wien entwickelt sich derzeit offensichtlich sehr dynamisch», heisst es dagegen im neuen Wiener Hochhauskonzept.


[ Das Wiener Architekturzentrum stellt das Projekt Wien Mitte noch bis zum 19. August vor. Kein Katalog. ]

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2002.08.16

16. April 2002Paul Jandl
Neue Zürcher Zeitung

In Space und Gegend

Kein Platz, «sondern eine Gegend» war für den Jugendstil-Architekten Otto Wagner das Areal zwischen Secession, Künstlerhaus und Musikverein. Der totgesagte...

Kein Platz, «sondern eine Gegend» war für den Jugendstil-Architekten Otto Wagner das Areal zwischen Secession, Künstlerhaus und Musikverein. Der totgesagte...

Kein Platz, «sondern eine Gegend» war für den Jugendstil-Architekten Otto Wagner das Areal zwischen Secession, Künstlerhaus und Musikverein. Der totgesagte Taubenpark, der sich Karlsplatz nennt, stirbt am innerstädtischen Verkehr und feiert dennoch alle paar Jahre eine Art Auferstehung. Im Vorjahr hat man die Ikea-gelbe provisorische «Kunsthalle» des Architekten Adolf Krischanitz abgebaut, jetzt steht dort ein neuer Pavillon, ebenfalls ein Provisorium und ganz in der Art des Erfinders, der wieder Krischanitz heisst. Pavillon komme von Papillon, sagt der Architekt gerne, und diese Flüchtigkeit des Bauwerks trifft sich mit seinem Ablaufdatum. Zehn Jahre soll der Glaskubus zwischen den Büschen und den dreispurigen Strassen stehen, er ist ein Signal unterkühlter Urbanität, die sich eine Dépendance der Kunsthalle im Museumsquartier, einen «project space», gönnt. Gläsern und mit klaren Flächen leuchtet Krischanitz' Pavillon durch die Nacht, um am Tag in der Tristesse des Ortes nahezu zu verschwinden, 250 Quadratmeter Ausstellungsfläche beherbergt diese Kunst-Vitrine, einen Veranstaltungsraum und ein Café. Pavillons baut der Österreicher Adolf Krischanitz immer wieder. Mit ihnen wird preiswerte Architektur in den landesüblichen Kontext des Unverbindlichen eingebunden. Ein Provisorium ist der Wiener Karlsplatz seit den Zeiten Otto Wagners, hier hat die vormalige Kunsthalle ihr geplantes Abrissdatum um Jahre überlebt, Krischanitz' «project space» könnte seine vorgesehene Zeit jedenfalls auch spielend überdauern. Vielleicht ist der Name «project space» ja nur ein Anglizismus für das wienerische «schaun wir mal».

Neue Zürcher Zeitung, Di., 2002.04.16



verknüpfte Bauwerke
KUNSTHALLE wien – project space

09. April 2002Paul Jandl
Neue Zürcher Zeitung

Die Sprache des Holzes

Alvar Aaltos Möbel in Wien

Alvar Aaltos Möbel in Wien

Das Design war die Folge seiner Architektur, und die Architektur eine Fortsetzung des Designs. 1928 plante Alvar Aalto für das finnische Paimio ein Sanatorium, in dem die Architektur nicht beim gebauten Raum enden sollte. Das gesamte Mobiliar entwarf Aalto selbst, seine Experimente mit gebogenem Holz führten zu einer radikalen Modernität, die den eigentlichen Zweck des Auftrags vom Funktionellen ins Humane lenkte. Aus freundlichem, hellem Birkenholz liess Aalto die Stühle und Tische des Sanatoriums fertigen, sie sind der Anfang einer designerischen Laufbahn, die schon 1938 mit einer grossen Ausstellung von Aaltos Möbelentwürfen im New Yorker Museum of Modern Art gewürdigt wird. Die weitere Entwicklung von Aaltos Ideen ist jetzt im ehemaligen Kaiserlichen Hofmobiliendepot in Wien zu sehen.

Aalto hat seit 1929 mit den Möglichkeiten des gebogenen Holzes experimentiert. Seine Vorläufer waren die Gebrüder Thonet, zu seinen Zeitgenossen zählten Marcel Breuer, Gerald Summers und Charles Eames. Die Wiener Ausstellung zeigt Aaltos Möbel und ihre Geistesverwandtschaften in unprätentiösem Rahmen, führt doch die private Sammlung von Heinz Kossdorff von frühen Thonetstühlen über Charles Eames' berühmten «Lounge Chair» bis hin zu Frank O. Gehrys «Power Play Chair» von 1990 und dokumentiert so die vielfältigen Beziehungen eines undogmatischen und doch puristischen Stils.

Das gebogene Holz ist über Jahrzehnte das wichtigste Designelement Alvar Aaltos geblieben. Selten in Kombination mit Metall, meist als schlichtes Experiment zum Verhältnis zwischen vertikalen und horizontalen Linien entwickelt Aalto seine frei schwingenden Stühle - wie den berühmten «Hybrid Chair» aus dem Jahr 1929. Später verfeinert Aalto das Holzbiegeverfahren, gründet 1935 die auch kommerziell erfolgreiche Firma Artek. Die zeitlose Maxime seiner Kunst, den Menschen und die Natur in den Mittelpunkt architektonischen Designs zu stellen, hat Aalto immer wieder radikal aktualisiert. Die vielfältigen Möglichkeiten eines neuen Materials, mit dem anderswo längst seine eigene Formensprache variiert wurde, wollte er definitiv nicht nützen: «Plastic spricht nicht die Sprache des Holzes.»


[Bis 21. April. Katalog Euro 22.-.]

Neue Zürcher Zeitung, Di., 2002.04.09

11. Januar 2002Paul Jandl
Neue Zürcher Zeitung

Mangelkubus

Umbau des Mumok Wien

Umbau des Mumok Wien

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