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22. April 2025Stephanie Drlik
Spectrum

Klimaanpassung: Wie man dem Starkregen trotzt

Es gibt keine Patentlösung für die Klimaanpassung – jede Stadt muss ihren Weg finden, abgestimmt auf lokale Herausforderungen. Ein Blick auf Kopenhagen, Hamburg und Wien.

Es gibt keine Patentlösung für die Klimaanpassung – jede Stadt muss ihren Weg finden, abgestimmt auf lokale Herausforderungen. Ein Blick auf Kopenhagen, Hamburg und Wien.

Der Klimawandel schreitet schneller voran als bisher angenommen, laufend aktualisierte Klimaprognosen zeichnen ein düsteres Bild, das sich in der Realität bestätigt. 2023 war das wärmste Jahr seit Beginn der Messgeschichte. In Österreich erinnern wir uns neben der Hitze besonders an die heftigen Starkregenereignisse und Überschwemmungen. Der Klimawandel verursacht jährlich Milliardenschäden, mittlerweile sterben mehr Menschen an extremer Hitze als im Straßenverkehr. Besonders Städte sind vulnerabel, viele Menschen leben auf engem Raum, und bauliche Strukturen verstärken klimatische Effekte.

Eine der wirkungsvollsten Klimaanpassungsstrategien ist der Ausbau grüner Infrastruktur – ein Netzwerk aus naturnahen und gestalteten Grünflächen, die ökologische, soziale und klimatische Funktionen erfüllen. Diese in bestehende Stadtgefüge zu integrieren stellt jedoch eine große Herausforderung dar. Notwendig sind langfristige Strategien, ein klarer politischer Wille und gezielte Investitionen. In europäischen Städten variiert der Entwicklungsstand grüner Infrastruktur. Um Wissen und Erfahrungen auszutauschen, lud die Österreichische Gesellschaft für Landschaftsarchitektur (ÖGLA) kürzlich zum internationalen Symposium unter dem Titel „Designing Green and Resilient Cities“ auf das Gelände des ehemaligen Nordwestbahnhofs in Wien, einem der jüngsten Entwicklungsgebiete der Stadt.

„Beserlparks XL“ für Wien

Grundsätzlich stehen alle Städte vor ähnlichen Herausforderungen: zu langsame Umsetzungsprozesse, fehlende in Anpassungsstrategien integrierte Konzepte und hohe Kosten, die meist von unterfinanzierten Budgets gedeckt werden müssen. „Ein intensiver, interdisziplinärer Dialog im Bereich der Landschaftsarchitektur hilft, Synergien zu fördern und negative Effekte zu minimieren“, erklärt ÖGLA-Präsidentin Anna Detzlhofer. Dadurch lassen sich Testphasen verkürzen, und es kann Zeit eingespart werden. Internationale Vergleiche helfen zudem, Fortschritte besser einzuordnen und gezielt zu verbessern.

Städte wie Paris, Kopenhagen und Hamburg haben Vertreter:innen nach Wien entsandt, um bei dem Symposium stadtplanerische Strategien und Leuchtturmprojekte vorzustellen. Fachleute aus Planung, Wissenschaft und Forschung präsentierten innovative Werkzeuge, um Bestandsstädte hochwertig und rasch zu begrünen.

„Die Anforderungen an Planungsstrategien sind komplex. Es besteht Konsens, dass Klimaanpassung auf allen Ebenen der Stadtplanung ansetzen muss – von großmaßstäblichen Masterplänen bis zu punktuellen Interventionen“, so Detzlhofer. „Derzeit arbeitet die Disziplin intensiv an der Weiterentwicklung städtischer Planungsinstrumente.“ Stadtklimaanalysen beispielsweise zeigen Schwachstellen auf und identifizieren unterversorgte Gebiete. Als Planungsgrundlage sind sie wichtig, doch auf Bauplatzebene braucht es weiterführende Instrumente.

Wien gilt als eine der grünsten Städte der Welt – doch der Grünraum ist ungleich verteilt. Einige Bezirke haben weniger als zwei Prozent Grünanteil, belastende Hitzeinseln sind die Folge. Die Stadt strebt daher eine naturpositive Entwicklung an: Es soll mehr Grün geschaffen als versiegelt werden. Erste Maßnahmen wurden gesetzt – etwa Novellen der Bauordnung und des Baumschutzgesetzes, die grüne Strukturen sichern und deren Ausbau fördern. Auch die mit 100 Millionen Euro dotierte Förderinitiative „Lebenswerte Klimamusterstadt“ sowie die Baum- und Parkoffensive zeigen bereits Wirkung. Mit dem neuen Stadtentwicklungsplan „Wien-Plan 2035“ kommen weitere Maßnahmen, etwa die Wiener Gartenstraßen – flächige entsiegelte intensiv begrünte Aufenthalts- und Erholungsbereiche im Straßenraum sollen vorrangig in dicht bebauten Gebieten entstehen – und die Beserlparks XL – Beserlparks, die auf die angrenzenden Straßenräume mit Begrünung ausgeweitet werden –, die hitzebelastete Straßenräume begrünen sollen.

Die Schwammstadt kommt aus Dänemark

Kopenhagen gilt als Vorreiter bei der Klimawandelanpassung. In der dänischen Hauptstadt wurde das Konzept der Schwammstadt entwickelt und mehrfach umgesetzt. Ziel dieses Vorgehens ist, Regenwasser dort zu halten, wo es fällt, um die Kanalisation zu entlasten und Überflutungen zu vermeiden. Nach einem verheerenden Starkregen im Jahr 2011 mit Schäden in Milliardenhöhe reagierte die Stadt mit einer umfassenden Strategie: Ganze Viertel wurden umgestaltet – mit wasserdurchlässigen Oberflächen, begrünten Dächern und Regenrückhaltebecken, die zugleich öffentliche Räume sind.

Ein gelungenes Beispiel ist der Tåsinge Plads, ein ehemaliger Parkplatz, der in einen multifunktionalen Stadtplatz verwandelt wur­de, wo Regenwasser von Straßen und Dächern gesammelt und gespeichert wird. Auch der Enghaveparken, ein historischer Park in Vesterbro, wurde neu gestaltet: Mit versenkbaren Becken und bepflanzten Terrassen kann er im Notfall 22.000 Kubikmeter Regenwasser aufnehmen und bleibt zugleich eine wertvolle Grünoase.

Auch Hamburg, geprägt durch Elbe und Alster, hat massiv in die Klimaanpassung investiert. Ein Fokus liegt auf dem Starkregenmanagement und dem Schutz vor Sturmfluten. In der HafenCity – Europas größtem innerstädtischem Entwicklungsprojekt – wurden innovative landschaftsarchitektonische Lösungen umgesetzt. Der Amerigo-Vespucci-Platz etwa ist so gestaltet, dass er im Hochwasserfall überflutet werden kann, ohne Schaden zu nehmen. Die bekannten Magellan-Terrassen bieten nicht nur einen attraktiven Aufenthaltsort direkt am Wasser, sondern fungieren zugleich als Teil eines gestaffelten Hochwasserschutzsystems.

Es gibt keine Patentlösung für die Klimaanpassung – jede Stadt muss je nach Gegebenheiten ihren eigenen Weg finden, abgestimmt auf lokale Gegebenheiten, Herausforderungen und Potenziale. Doch die vorgestellten Beispiele zeigen eindrucksvoll, dass gelungene landschaftsarchitektonische Konzepte funktionieren und anderen Städten als Inspiration und Orientierung dienen können. Der Blick über den Tellerrand ermöglicht es, bewährte Strategien zu adaptieren, Fehler zu vermeiden und wertvolle Zeit zu gewinnen. Denn eines ist klar: Wenn der Klimawandel weiterhin so rasant voranschreitet, muss auch die grüne Transformation unserer Städte deutlich schneller und umfassender gelingen, damit sie zukunftsfähig und lebenswert bleiben.

Spectrum, Di., 2025.04.22

16. Februar 2025Stephanie Drlik
Spectrum

Kampwald könnte der dritte Nationalpark im Waldviertel werden

Das von Abwanderung betroffene Waldviertel könnte von einem Nationalpark Kampwald durchaus profitieren. Bisher ist lediglich eine erste Startfinanzierung von rund sieben Millionen Euro ­gesichert.

Das von Abwanderung betroffene Waldviertel könnte von einem Nationalpark Kampwald durchaus profitieren. Bisher ist lediglich eine erste Startfinanzierung von rund sieben Millionen Euro ­gesichert.

Im ausklingenden vergangenen Jahr war aus Niederösterreich eine interessante Meldung zu vernehmen: Im Waldviertel wird Österreichs siebter Nationalpark entstehen. Österreichs größtes Bundesland bekommt neben den Donau-Auen und dem Thayatal einen dritten Nationalpark, den Kampwald. Doch so ein Nationalpark ist ein Mega-Vorhaben mit langen Entwicklungsperspektiven und vielen Unsicherheiten. Daher stellt sich die Frage: Wie fix ist das Ganze eigentlich?

Ein Nationalpark ist ein Schutzgebiet, das den Kriterien der Weltnaturschutzorganisation IUCN in ihrer zweitstrengsten Kategorie – „Nationalpark“ – entsprechen muss. Das primäre Ziel ist es, Biodiversität und ökosystemische Zusammenhängen sowie natürliche Prozesse zu bewahren und Erholungs- sowie Bildungsaktivitäten zu fördern. Die Kriterien schließen das Vorhandensein hochwertiger und umfangreicher Naturräume mit langfristig schützenswerten Ökosystemen ein. Der weitgehende Verzicht auf Eingriffe ist zentral, zumindest in einer verpflichtend vorgeschriebenen Nationalpark-Kernzone, die mindestens 75 Prozent der Gebietsfläche umfassen muss. Die restlichen 25 Prozent sind als Managementzone zu verstehen, in denen Eingriffe im Rahmen traditioneller, naturnaher Bewirtschaftungen möglich sind.

Naturschutz ist Landeskompetenz

Im föderalen Österreich setzt die Einrichtung eines Nationalparks zudem eine Kooperation zwischen Bund und betroffenem Bundesland voraus, schließlich handelt es sich, wie der Name schon sagt, um eine Aufgabe mit nationaler Bedeutung. Obwohl Naturschutzagenden in die Landeskompetenzen fallen, teilen sich beim Nationalpark der Bund und das jeweilige Land sowohl die Kosten für die Außernutzungsstellung der Flächen, also die Abgeltung an die Grundeigentümer:innen für wirtschaftlichen Verlust, als auch die Erhaltungskosten – beides üblicherweise zu gleichen Teilen. Die ausverhandelte Kooperationsvereinbarung wird in einer rechtsverbindlichen Vereinbarung festgeschrieben.

Für den angekündigten Nationalpark Kampwald gibt es bisher weder die nationale Kooperationsvereinbarung, noch wurden Verhandlungen mit der IUCN geführt. Bisher ist lediglich eine erste Startfinanzierung von rund sieben Millionen Euro gesichert, die hauptsächlich zur Außernutzungsstellung eines kleinen, 260 Hektar umfassenden Teils der späteren Kernzone verwendet werden soll.

Einer der letzten Urwälder

Dabei handelt es sich um das Dobratal, das zu den Gründen der durch das Land Niederösterreich verwalteten Windhag-Stipendienstiftung gehört. Geplant ist, dass die Stiftungsgründe, insgesamt rund 3100 Hektar Fläche, später zur Gänze in den Nationalpark übergehen. Die Stiftung dürfte diesbezüglich Interesse zeigen, denn die Außernutzungsstellung mitsamt Entschädigungszahlungen bedeutet in Zeiten zunehmender Klimafolgeschäden einen gesicherten Ertrag.

Das Dobratal ist ökologisch eigentlich weniger intakt als das nahe gelegene mittlere Kamptal mit großteils wertvollen Waldökosystemen. Hierzu gehört auch einer der letzten österreichischen Urwälder, der in Privatbesitz ist und bislang aus eigener Motivation erhalten wird. Dass diese wertvollen Gebiete, derzeit als „Natura 2000“-Flächen wohl nicht ausreichend geschützt, in der ersten Entwicklungsphase nicht berücksichtigt wurden, stößt bei Expert:innen auf Verwunderung. Dabei ist die Vorgehensweise durchaus nachvollziehbar.

Geeignetes Ausgangsgebiet

Im Kamptal ist man mit heterogenen Besitzverhältnissen konfrontiert, zudem sind die finanziellen Mittel für Außernutzungsstellungen im Rahmen der Startförderung begrenzt. Das Dobratal ist durch seine naturräumliche Abgrenzung, sein hohes Entwicklungspotenzial und die Stiftung als alleinige Eigentümerin als Ausgangsgebiet durchaus gut geeignet. Und sollte es mit dem Nationalpark doch nichts werden, so sind die gesetzten Wiederherstellungsmaßnahmen im Dobratal dennoch ein wertvoller Beitrag.

Dass man die Entwicklung des neuen niederösterreichischen Nationalparks gerade mit einer Renaturierungsmaßnahme startet, ist ­allerdings überraschend – war doch gerade die niederösterreichische Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner eine der schärfsten Kriti­ker:innen des EU-Renaturierungsgesetzes. Jetzt prescht sie mit dem geplanten Nationalpark noch vor der Festlegung des von der Europäischen Kommission eingeforderten nationalen Renaturierungsplans voran. Das Geld stammt im Übrigen aus dem Biodiversitätsfonds des Bundes, der aus EU-Mitteln gespeist und von Noch-Umweltministerin Leonore Gewessler initiiert wurde. Mit diesem Arrangement dürfte zumindest die notwendige Kooperation zwischen Bund und Land Niederösterreich zur Gründung des Nationalparks auf einem guten Weg sein.

Höchster ökologischer Wert

Doch nicht nur hinsichtlich Renaturierungsverordnung ist der geplante Nationalpark ein schlaues Manöver. Nationalparks sind landschaftliche Schmuckstücke mit höchstem ökologischem Wert, wahre Tourismusmagnete und wichtige Reallabore für Wissenschaft und Forschung. Das von Abwanderung betroffene Waldviertel kann von der Aufwertung durch den Nationalpark hinsichtlich Wohnstandort, Tourismus und Freizeit profitieren. Im Burgenland etwa ist eine positive Regionalentwicklung dank Attraktivierung durch den Nationalpark Neusiedler See – Seewinkel gelungen.

Expert:innen zeigen sich vorsichtig optimistisch, dass das Vorhaben Nationalpark Kampwald umgesetzt werden kann. Schließlich ist die Schaffung des zuletzt gegründeten Nationalparks Gesäuse bereits mehr als 20 Jahre her, und die Zeit scheint reif. Gleichzeitig weisen sie auf die große Bedeutung der Alltagslandschaften hin, die neben medienwirksamen Nationalparkgründungen nicht vernachlässigt werden dürfen. Nationalparks machen lediglich drei Prozent der Landesfläche aus, der eigentliche Hebel für Naturschutz und Renaturierung liegt also dazwischen.

„Leitbild Landschaft“ gefordert

Derzeit findet eine einschneidende Transformation der Landnutzungen statt, die sich zusammen mit dem Klimawandel äußerst negativ auf die Vielfalt von Landschafts- und Lebensraumtypologien auswirkt. Eine dramatische Minimierung der Artenvielfalt in unseren heimischen Landschaftsräumen ist die Folge.

Naturschutz ist Ländersache, und das ist gut so, denn Maßnahmen werden regional und lokal gesetzt. Da sich Landschaftsräume aber kaum mit Landes- oder Gemeindegrenzen decken, braucht es auch übergeordnete Planungsinstrumente auf Bundesebene. Planer:innen fordern daher eine Art „Leitbild Landschaft“ für Österreich, damit sich Entwicklungspotenziale unabhängig von politischen Grenzen abbilden lassen. Denn das Erfassen übergeordneter Zusammenhänge spielt gerade in Zeiten der Klima- und Biodiversitätskrise eine entscheidende Rolle, schließlich machen weder Tiere und Pflanzen noch der Klimawandel an Landes- oder Gemeindegrenzen halt.

Spectrum, So., 2025.02.16

15. November 2024Stephanie Drlik
Spectrum

Österreichs Ufer: Kein Zugang zu diesem See

Die Debatte um die Privatisierung der Seeufer wird um eine Facette reicher: Experten warnen, dass sich dieser Trend bereits negativ auf den ökologischen Zustand der Gewässer auswirkt.

Die Debatte um die Privatisierung der Seeufer wird um eine Facette reicher: Experten warnen, dass sich dieser Trend bereits negativ auf den ökologischen Zustand der Gewässer auswirkt.

In Österreich kursiert die weitverbreitete Meinung, heimische Seen seien im EU-Vergleich in einem überdurchschnittlich guten Zustand. Tatsächlich verfügen die meisten Badeseen über eine sehr hohe chemische Wassergüte in Bade- und Trinkwasserqualität, doch sagt die Güte nur bedingt etwas über den allgemeinen Gewässerzustand aus. Durch die massive Zunahme an immo­bilienwirtschaftlichen Grundstücksverwertungen zeigen Zustandsindikatoren wie das Maß der Landnutzung oder der Uferverbauung alarmierende Trends.

Das Problem entsteht, weil Seen heutzutage nicht länger nur an öffentlichen Uferpromenaden, Schiffsanlegestellen oder Strandbädern verbaut werden, sondern gerade auch an privat genutzten Ufern. Wer sich ein Seegrundstück leistet, möchte die Fläche maximal ausnützen und einen bequemen Wassereinstieg vorfinden.

Wir benötigen Flora und Fauna

Und so war es gängige Praxis, Ufer durch Aufschüttungen, Mauern oder Stegbauten zu erweitern und badetauglich zu machen. Denkbar ungünstig für Wasservögel, Fische und zahlreiche andere Wassertiere und -pflanzen, die unverbaute Schilf- und Naturzonen für ihr Überleben brauchen. Wir Menschen wiederum benötigen die Tiere und Pflanzen, denn ein hoher ökologischer Gewässerzustand ist für den gesunden Fortbestand der Seen entscheidend.

Immobilienentwicklungen in extremem Ausmaß haben an einigen Badeseen dazu geführt, dass nicht nur frei zugängliche öffentliche Bereiche immer rarer geworden sind, sondern auch wild bewachsene Ufer mit Schilfhabitaten, die, sich selbst überlassen, einen hohen ökologischen Wert entwickeln konnten. Diese Phänomene treffen auf ganz Österreich zu, doch im seenreichen Bundesland Kärnten ist die Situation besonders brisant. Das hat das ­Architektur Haus Kärnten zum Anlass genommen und sogenannte Seenkonferenzen etabliert, die nun seit einigen Jahren organisiert werden.

Extrembeispiel Wörthersee

Dabei können sich Expert:innen, Entscheidungsträger:innen, Verwaltungsmitarbeiter:innen und Vertreter:innen von Initiativen aus verschiedenen Seeregionen austauschen sowie Maßnahmen und Lösungen diskutieren. Die heurige Konferenz fand am Wörthersee statt, der als Extrembeispiel gilt. „Am Wörthersee befinden sich 82 Prozent der Uferlinie in Privatbesitz. Von den verbleibenden Bereichen sind nur noch neun Prozent öffentlich zugänglich. Zirka 58 Prozent der Ufer sind mit Betonmauern, Blockwurf oder Stegkonstruktionen verbaut und nur mehr 38 Prozent des Ufers unverbaut“, berichtet Judith Leitner, Kuratorin der diesjährigen Seenkonferenz.

Selbst unverbaute Abschnitte sind nicht unweigerlich in einem ökologisch wertvollen Zustand. An den wenigen verbliebenen öffentlichen Flächen ist der Nutzungsdruck mittlerweile derart groß, dass trotz zahlreicher Verbote das Renaturieren alles andere als einfach ist. Mehrere Kärntner Seegemeinden haben in den vergangenen Jahren neue Ortsentwicklungskonzepte erstellt oder sind gerade dabei, Pläne zu erarbeiten, in denen der zukünftige Umgang mit den Uferzonen behandelt und die Bauentwicklung durch klare Siedlungsgrenzen eingedämmt werden soll. Ökosysteme lassen sich nicht beliebig an vorhandenen Grundstücksgrenzen je nach Eigentumsverhältnissen ein- oder ausschalten, übergreifende Konzepte sind erforderlich. Um größere Ökologiezonen und öffentliche Seezugänge zu schaffen, werden strategisch wichtige Grundstücke ­angekauft.

Gesellschaftliche Interessen und Naturschutzinteressen sollen gleichermaßen berücksichtigt werden. „Entlang des Nordufers am Wörthersee, in der Gemeinde Techelsberg, haben die Bundesforste zwei schmale Uferbereiche angekauft. Doch solange die Bodenpreise von Seegrundstücken derart hoch und Geschäfte mit Immobilienentwickler:innen weiterhin lukrativ sind, werden Gemeinden wohl eher Grundstücke verkaufen, als Rückkäufe von Liegenschaften voranzutreiben, mit deren Pflege und Erhaltung sie dann in der Folge finanziell belastet sind“, analysiert Judith Leitner.

Auch wenn Investitionen in den Naturschutz in Re­lation zu anderen Infrastrukturmaßnahmen wie etwa im Straßenbau gering ausfallen, erfordern Ankäufe und Natur- sowie Schilfschutzmaßnahmen wie jene in Techelsberg dennoch Investitionen in Höhe mehrerer Hunderttausend Euro.

Am Wörthersee hat das Land Kärnten, gemeinsam mit dem Seeeigentümer, den Ös­terreichischen Bundesforsten, ökologische Schutzzonen ausgewiesen, auf denen eine weitere Verbauung untersagt ist. Auf den ersten Blick eine sinnvolle Herangehensweise, doch leider gilt die Vereinbarung nur für Grundstücke, die sich im Eigentum der Republik befinden und durch die Bundesforste bewirtschaftet werden.

Verschlechterung zu verzeichnen

Der Zugriff auf private Flächen ist erwartungsgemäß schwieriger, doch genau dort gilt es anzusetzen, um den Zustand eines stark privatisierten Gewässers zu verbessern. „Es könnten etwa gezielte finanzielle Förderungen für bauliche Rückbau-, Renaturierungs- oder Schilfschutzmaßnahmen eingerichtet werden. Hilfreich waren bisher auch bindende Verordnungen, die weitere Aufschüttungen und Seeeinbauten wie Stege, Bootshäuser, Bojen oder Ufermauern verbieten“, fasst Leitner die Ergebnisse der Konferenz zusammen.

Solche Vorschriften konnten einigermaßen einfach umgesetzt und rasch wirksam werden, sofern sie kontrolliert und Verstöße geahndet werden. Naturnahe Ufergestaltungen und Renaturierungsprojekte sind wesentlich schwieriger zu bewerkstelligen.

Jedenfalls muss endlich gehandelt werden – Naturschutzinitiativen schlagen für ganz Österreich Alarm. Schließlich kommt bei Seen die EU-Wasserrahmenrichtlinie zu tragen, die vorgibt, Gewässer bis spätestens 2027 einem guten Zustand zuzuführen. Dieser wird anhand bestimmter Qualitätselemente überprüft, wie etwa der Zusammensetzung der Tier- und Pflanzengemeinschaften, des Wasserhaushalts, der Beschaffenheit der Uferbereiche oder des Verbauungsgrads. Und diesbezüglich weisen einige größere österreichische Seen deutliche Defizite auf.

Renaturierung als Chance

Anstatt eine Aufwertung nach den Vorgaben der Wasserrahmenrichtlinie zu erzielen, ist an einigen Seen eher eine Verschlechterung der Gewässerzustände zu verzeichnen, die sich etwa durch neue Phänomene wie die klimawandelbedingte Erwärmung, das Eindringen invasiver Arten oder Mikroplastikeinträge erklärt.

Spannend werden in diesem Zusammenhang die Auslegung und mögliche Anwendung des neuen EU-Renaturierungsgesetzes, das unter anderem die naturräumliche Wiederherstellung von Gewässern einfordert. Ob der auszuarbeitende nationale Renaturierungsplan den Handlungsbedarf an den Seeufern aufgreifen wird, ist noch unklar. Angesichts der Tragweite des Privatisierungsproblems wäre die Renaturierungsverordnung zumindest eine Chance, endlich neue Wege einzuschlagen.

Spectrum, Fr., 2024.11.15

30. August 2024Stephanie Drlik
Spectrum

Renaturierungsgesetz: Auch die Städte sind gefordert

Das neue EU-Renaturierungsgesetz nimmt auch Städte in die Pflicht – sie dürfen bis 2030 keinen Grünraum mehr verlieren. Wird Fläche neu verbaut, muss anderswo Natur wiederhergestellt werden. Wiens Vorzeigebeispiel: der Norbert-Scheed-Wald.

Das neue EU-Renaturierungsgesetz nimmt auch Städte in die Pflicht – sie dürfen bis 2030 keinen Grünraum mehr verlieren. Wird Fläche neu verbaut, muss anderswo Natur wiederhergestellt werden. Wiens Vorzeigebeispiel: der Norbert-Scheed-Wald.

Das Nature Restauration Law, ein EU-Gesetz zur etappenweisen Renaturierung europäischer Naturräume, ist nach langem Ringen am 18. August in Kraft getreten und wartet nun auf seine Umsetzung. Die EU gibt mit diesem Gesetz Ziele vor. Wie die Mitgliedsstaaten diese erreichen, bleibt ihnen überlassen. Sie müssen jedoch innerhalb der nächsten zwei Jahre einen Plan erarbeiten und diesen verbindlich an die EU übermitteln.

Artikel 8 des Gesetzes formuliert explizit Ziele zur Wiederherstellung städtischer Ökosysteme. Bis 2030 dürfen keine Nettoflächenverluste mehr produziert werden, also nicht mehr Grünflächen verbaut als neu errichtet werden. Bis 2040 müssen renaturierte Flächen bereits um drei Prozent zugenommen haben, und bis 2050 sind weitere fünf Prozent begrünte Stadtflächen herzustellen. In dieser Flächenbilanz ist auch die Renaturierung baulicher Elemente wie Gebäude und Straßen mitzudenken, ebenso wie die möglichst lückenlose Vernetzung von Grünräumen. Weiters müssen mindestens zehn Prozent der Stadtfläche von Baumkronen überschirmt werden. Wobei diese zehn Prozent auf das gesamte Bundesgebiet bezogen sind, um größere Flexibilität für einzelne Städte zu ermöglichen.

Pannonische Feldlandschaft

Laut Verordnung sind nicht nur Stadtwälder, Parks, artenreiche Wiesenflächen und andere Freiraumtypologien neu zu errichten, es gilt auch, bestehende Flächen zu sichern und aufzuwerten. Nun stellen sich Stadt- und Gemeindeverantwortliche zu Recht die Frage, wie eine solche Renaturierung, der vorangehende Aushandlungsprozess und die Finanzierung ausschauen könnte. Aus der Stadt Wien ist auf Anfrage der „Presse“ zu hören, dass Bundesministerin Leonore Gewessler bereits eingeladen hat, um die weitere Vorgehensweise in einer Prozessarbeitsgruppe zu besprechen. „Die Stadt Wien wird selbstverständlich ihren Beitrag leisten. Denn Renaturierung und die Förderung der Biodiversität sind schon seit Längerem wichtige Schwerpunkte der Stadt Wien. Die Wiederherstellungsverordnung der EU ist daher eine Unterstützung für die Vorhaben der Stadt, die zum Gutteil bereits umgesetzt werden“, so die Stellungnahme aus dem Büro des amtsführenden Umweltstadtrats Jürgen Czernohorszky. Er erwähnt neben dem „Park der Artenvielfalt“, dem in Bau befindlichen Biotopteich im Paradiesgartel und der weiteren Renaturierung des Liesingbaches vor allem den Norbert-Scheed-Wald, genauer, das Projekt Breitenlee auf dem Gebiet des ehemaligen Verschiebebahnhofs in der Wiener Donaustadt, als Vorzeigebeispiel für gelungene Renaturierung.

Dass die Bundeshauptstadt Wien als eine der grünsten Städte der Welt gilt, liegt unter anderem am Grüngürtel, der sich großräumig vom westlichen über den östlichen Stadtrand erstreckt. Etwa 12.000 Hektar davon sind durch die Widmung „Schutzgebiet Wald und Wiesengürtel (SWW)“, die höchste Schutzkategorie in der Wiener Flächenwidmung, dauerhaft gesichert. Andere Flächen sind als Landschaftsschutzgebiete ausgewiesen, wie etwa der erwähnte Norbert-Scheed-Wald, der in der Endausbaustufe eine Fläche von rund 1000 Hektar umfassen soll. Die Entwicklung des Schutzgebiets wurde gestartet, lange bevor ein Renaturierungsgesetz auf EU-Ebene überhaupt diskutiert wurde.

Lebensraum für Wildtiere und Pflanzen

Bereits 2014 ist die Leitbildentwicklung unter Federführung der MA 49 in Angriff genommen worden. „Im Leitbild Norbert-Scheed-Wald sind übergeordnete Ziele und konkrete Nutzungs- und Renaturierungsmaßnahmen festgelegt“, erzählt Landschaftsarchitekt Erik Meinharter vom Büro Plansinn Planung & Kommunikation, der an der Leitbild­erstellung und der weiteren Prozessbegleitung beteiligt war. „Die pannonische Feldlandschaft soll zur Erholung für Menschen und als Lebensraum für Wildtiere und Pflanzen gesichert und schrittweise erweitert werden. Der ehemalige Breitenleer Bahnhof wurde als Kernzone der naturräumlichen Entwicklung definiert. Wir haben damals auch Möglichkeiten zur Flächensicherung aufgezeigt“, so Meinharter, denn die Eigentümer:innen- und Nutzer:innenstruktur ist divers, und die Flächen sind nicht im Besitz der Stadt.

Diese Ausgangssituation hat eine partizipative Entwicklung mit Vertreter:innen aus Verwaltung, Politik, mit den Grundeigentümer:innen und anderen Stakeholdern erforderlich gemacht. Die ÖBB war als Mehrheitseigen­tümerin von Beginn an gesprächsbereit. Im Rahmen von EU-geförderten Projekten plant die Stadt nun den Ankauf einer 70 Hektar umfassenden Fläche, der Rest des Scheed-Walds verbleibt vorerst im Besitz der ÖBB und der zahlreichen weiteren Grundeigentümer:innen. „Es gab von Beginn an eine große Bereitschaft aller Beteiligten. Auch ansässige Land­wirt:innen erkennen, dass benachbarte Re­naturierungsmaßnahmen die Landwirtschaft stärken.“ Schließlich soll das Gebiet künftig auch stadtadäquate Landwirtschaft sichern. Zwischen den Landwirt:innen und den zuständigen Magistratsabteilungen wurden Vertragsnaturschutzflächen vereinbart, etwa im Rah­men des „Lebensraum Acker“-Programms.

140 Wildbienenarten

Auf dem Areal des ehemaligen Verschiebebahnhofs Breitenlee hat sich die Natur seit 1945 beinahe ungestört die Fläche zurückerobert. Wären nicht die alten Brückenpfeiler, die hin und wieder zwischen hohen Bäumen durchblitzen, würde nichts mehr an die einstige Nutzung erinnern. Eine echte Stadtwildnis mit seltenen Tier- und Pflanzenarten wie dem Wiedehopf, dem Neuntöter, Zauneidechsen, seltene Orchideen, mehr als 140 Wildbienenarten sowie pannonischen Trocken- und Halbtrockenrasenflächen. Doch solch ein kostbarer Lebensraum braucht Schutz und Pflege, daher sollen nun rund 90 Hektar des Norbert-Scheed-Walds als Natura 2000 Europaschutzgebiet ausgewiesen werden. Damit geht die Stadt freiwillig noch strengere, rechtlich bindende Naturschutzverpflichtungen ein.

Ein solches Konzept hätten sich viele Wiener:innen auch andernorts gewünscht, wo Bahnhofsbrachen und landwirtschaftliche Flächen zu Gunsten von Quartiersentwicklungen geopfert wurden. Warum dem Norbert-Scheed-Wald dieses Schicksal erspart geblieben ist? „Der Lückenschluss des Grüngürtels im Nordosten Wiens war schon seit Jahrzehnten Teil des Stadtentwicklungsplans“, so Erik Meinharter. „Auch die Reduzierung des steigenden Nutzungsdrucks auf den restlichen Wald- und Wiesengürtel und die benachbarte Lobau war ein wichtiges Argument für dieses Landschaftsschutzgebiet. Zudem gab es ein klares Bekenntnis von Seiten der Stadt Wien und den ÖBB als Grundeigentümerin den Naturraum zu erhalten.“

Auch der persönliche Einsatz des 2014 frühzeitig verstorbenen Donaustädter Bezirksvorstehers Norbert Scheed dürfte eine wesentliche Rolle gespielt haben. Er hatte schon früh die große Bedeutung des Naturraums für seinen Bezirk und darüber hinaus erkannt: „Jeder Baum, jeder Teich ist wichtig für die Ökobilanz. Der Mensch kann ohne Natur nicht überleben, Natur ist Zukunft.“

Spectrum, Fr., 2024.08.30

17. Mai 2024Stephanie Drlik
Spectrum

Ist hier eine Hitzezone? Wien begrünt wahllos

Im Gegensatz zu anderen Großstädten wie etwa Paris folgt Wien keinem übergeordneten Masterplan zu Nachbegrünung und Klimawandelanpassung. Derzeit wird nur begrünt, wo es sich gerade ergibt.

Im Gegensatz zu anderen Großstädten wie etwa Paris folgt Wien keinem übergeordneten Masterplan zu Nachbegrünung und Klimawandelanpassung. Derzeit wird nur begrünt, wo es sich gerade ergibt.

Zahlreiche europäische Großstädte starten derzeit Begrünungsoffensiven. Ausgelöst durch den Klimawandel und die stetig steigenden Temperaturen, setzt man auf Kühlung durch Pflanzen. Dass deren nachträgliche Implementierung im Stadtraum trotz hoher Beliebtheitswerte in der Bevölkerung dennoch nicht immer friktionsfrei vonstatten geht, zeigt sich bekanntlich gerade an der Umgestaltung des denkmalgeschützten Michaelerplatzes im historischen Zentrum Wiens. Unter anderem sind neun Blauglockenbäume Anstoß des Ärgers. Namhafte Expert:innen befürchten, dass diese nicht nur die gewünschte Klima-, sondern auch eine erhebliche Raumwirkung entfalten werden, was den Platz in seinem architektonischen Wert schwächen könnte, so die Kritik.

Wien wird sichtbar grüner. Große Bäume, üppig bepflanzte Beete, Wasserspiele und beschattete Sitzgelegenheiten nehmen im Stadtbild merklich zu und finden sich auch an bislang unüblichen Orten, wie dem Praterstern oder der Thaliastraße. Es vollzieht sich ein Paradigmenwechsel, bei dem Grünraumqualitäten in einem Ausmaß geschaffen werden, wie es noch bis vor wenigen Jahren undenkbar gewesen wäre. Die im Klimawandel wichtigen landschaftsarchitektonischen Gestaltungen kommen bei den Menschen gut an. Und das spielt eine wichtige Rolle, denn die zunehmende Begrünung der Stadt ist auch dem Nachdruck der Bevölkerung geschuldet, die sich vor allem eines wünscht: mehr Grün.

Bedeutet Begrünung zugleich Hitzeprävention?

So ist es nachvollziehbar, dass die zuständige Planungsstadträtin Ulli Sima (SPÖ) seit geraumer Zeit verstärkt auf Stadtbegrünung setzt, um die Stadt „klimafit“ und Wähler:innen zufrieden zu machen. Doch etwas verwundert: Im Gegensatz zu anderen Großstädten wie etwa Paris, aktuell eine Vorzeigestadt in Sachen Nachbegrünung und Klimawandelanpassung, folgt Wien keinem übergeordneten räumlichen Masterplan zur Klimawandelanpassung des Stadtraums.

Es steht unumstritten fest, dass es ohne zusätzliche Begrünung des Stadtraums im Klimawandel künftig nicht gehen wird. Doch spielt die Frage, welche Maßnahmen wo gesetzt werden, dabei eine wesentliche Rolle. Die Begrünungsprojekte der vergangenen Jahre bringen effektiv neue Aufenthaltsqualitäten – doch tragen sie auch zur Hitzeprävention bei?

Bereits seit etlichen Jahren gibt es die wissenschaftlich erarbeitete „Urban Heat Island“-Strategie der Stadt Wien sowie eine Hitzekarte, die abbildet, wo der Wiener Stadtraum bei Extremereignissen zu überhitzen droht. Wie sich die zigtausenden Neubaumpflanzungen und Oberflächenentsiegelungen an den realisierten Orten tatsächlich auf das Wiener Stadtklima auswirken, wurde noch nicht eingehend evaluiert.

Handlungsbereiche ausfindig machen

Derzeit wird dort begrünt, wo die Stadt ohnehin umbaut oder wo es die Budgets der umsetzungsverantwortlichen Gemeindebezirke zulassen. Oder eben dort, wo, wie am besagten Michaelerplatz, Private über Public-Private-Partnership-Modelle mitfinanzieren. Nachvollziehbare Beweggründe, doch kann für eine Großstadt wie Wien das Mega-Vorhaben der Klimawandelanpassung ohne Strategiekonzept stadträumlich sinnvoll durchgeführt werden? Klimaplanung ist jedenfalls eine Aufgabe, die einer übergeordneten Betrachtung bedarf. Schließlich endet der Klimawandel nicht an der Grundstücksgrenze.

Planer:innen fordern daher einen Masterplan zur Klimawandelanpassung, der konkrete Handlungsbereiche, etwa basierend auf den Aussagen von Klimakarten, dem Versiegelungsgrad, Klimaanalysen und der vorhandenen Begrünungsstruktur, ausweist und eine geregeltere Abwicklung von Anpassungsmaßnahmen vorgibt. Gäbe es einen solchen Masterplan zur Klimawandelanpassung für Wien, so wüsste man vermutlich auch, ob sich das schwierige Umgestaltungsvorhaben auf dem Michaelerplatz tatsächlich in einer ausgewiesenen Hitzezone befindet und sich somit die heiklen und umstrittenen Eingriffe vor dem kritischen Denkmalbeirat oder der Unesco-Kommission rechtfertigen lassen.

Sturm der Entrüstung ist jedenfalls zu Recht groß. Weniger wegen der paar Bäume, deren Einfluss auf die Platzwirkung wohl in der emotional geführten Debatte überschätzt wird, schließlich weisen Bäume eine gewisse Durchblickbarkeit auf und sind in ihrem Erscheinungsbild und in ihrer Beständigkeit weniger endgültig als bauliche Raumeingriffe. Doch der Ärger der Kritiker: ist nachvollziehbar, schließlich wurde in der Prozessentwicklung mehr als ungeschickt agiert.

Intransparentes Vorgehen

Das A und O jeder Planung im öffentlichen Raum ist die Durchführung eines interdisziplinären Entwurfsfindungs- und Planungsverfahrens, das unterschiedliche fachliche Sichtweisen einbezieht und Ergebnisse transparent und öffentlich kommuniziert. Ob das in Form eines Wettbewerbsverfahrens erfolgen muss, sei dahingestellt. Was am Michaelerplatz jedoch passiert ist, war das Gegenteil von transparent.

Schon seit Jahren ist bekannt, dass auf dem historischen Platz etwas im Gange ist, Details blieben lange im Verborgenen. Erst als der Entwurf des durch die Anrainer:innen beauftragten Architekten Paul Katzberger publik wurde, reagierte die Politik auf die immer lauter werdende Kritik der Fach-Community. Dass das zu einem Zeitpunkt passierte, als die Projektentwicklung mehr oder weniger abgeschlossen war, stößt Beteiligte verständlicherweise vor den Kopf. Ganz abgesehen von einer ordentlich organisierten, breit und öffentlich angelegten Fachdebatte, die der Platz inmitten des Unesco-Weltkulturerbes verdient hätte.

Ein solcher Dialog wäre nicht nur die Chance für eine vertiefte fachliche Auseinandersetzung mit der besonderen Aufgabenstellung am Michaelerplatz gewesen, sondern hätte im besten Fall auch wertvolle Beiträge für andere derartige Projekte geliefert. Denn bedenkt man das Voranschreiten des Klimawandels, so kann davon ausgegangen werden, dass sich das Problem schon bald an einem der zahlreichen weiteren baumfreien historischen Platzanlagen in der Wiener City wiederholen wird. Zumindest könnten einige Plätze, die bereits lange auf den Umbau-Wunschlisten stehen, schattenspendende Bäume vertragen, etwa der verkehrsumbrandete Schwarzenbergplatz oder der für den ruhenden Verkehr genutzte Hohe Markt.

Keine größeren Projekte vorgesehen in Wien

Was die Diskussion rund um die Umgestaltung des Michaelerplatzes jedenfalls deutlich gemacht hat, ist, dass man grundsätzliche fachliche Entscheidungen nicht sich selbst und schon gar nicht der Politik überlassen darf. Die Aussage der Planungsstadträtin Sima gegenüber der „Presse“ vor wenigen Tagen, es seien in der Wiener Innenstadt in dieser Legislaturperiode keine größeren Projekte mehr vorgesehen, trägt wenig zur Aufklärung bei.

Planer:innen, die bekanntlich gewohnt sind, in langen zeitlichen Horizonten zu denken, halten zu Recht an der Frage fest, wie die Stadt mit dem denkmalgeschützten historischen Bestand in Zeiten steigender Temperaturen umgehen wird – gerade in künftigen Legislaturperioden.

Spectrum, Fr., 2024.05.17

09. Februar 2024Stephanie Drlik
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Novellen im Klimaschutz: Diese Bäume dürfen wachsen!

Viel zu billig konnten Immobilienentwickler in Österreich bisher Bäume fällen, doch das ist nun vorbei: Zwei Gesetzesnovellen sollen Bäume, das Klima und Grundbesitzer schützen – und finden fast einhellig Anklang.

Viel zu billig konnten Immobilienentwickler in Österreich bisher Bäume fällen, doch das ist nun vorbei: Zwei Gesetzesnovellen sollen Bäume, das Klima und Grundbesitzer schützen – und finden fast einhellig Anklang.

Der voranschreitende Klimawandel verlangt nach kühlendem Ausgleich für hitzegeplagte Städte – neben grünen Parkanlagen sind Bäume das effektivste Mittel der Wahl: Sie kühlen ihre Umgebung wie keine andere Pflanze und binden beachtliche Mengen an klimaschädlichem CO2. Doch die gewünschte Klimawirkung kommt nur dann zum Tragen, wenn der Baum gesund und vital eine gewisse Größe erreicht, nicht bis zur Unkenntlichkeit zurückgestutzt oder gar frühzeitig gefällt wird.

Um die richtigen Weichen zu stellen, hat die Wiener Stadtregierung nun ihr Baumschutzgesetz nachgeschärft. Beinahe zeitgleich und ebenfalls zugunsten des Schutzes und Erhalts unserer Bäume hat das Justizministerium auf Bundesebene einen Gesetzesentwurf zur Baumhaftungslösung in Begutachtung geschickt.

Im Gegensatz zu anderen Städten hatte Wien schon bisher ein strenges Baumschutzgesetz. Grundbesitzer:innen, egal ob Bauträger:innen oder Private, die ihren Baumbestand loswerden wollen, müssen sich das Vorhaben behördlich bewilligen lassen. Sofern der Baum nicht krank oder gefährdend ist, wird für jeden gefällten Baum eine Ersatzpflanzung vorgeschrieben; sofern aus Platzmangel nicht möglich, sind Ausgleichsabgaben zu leisten.

Der für Klimafragen und Bäume zuständige Wiener Stadtrat Jürgen Czernohorszky hat mit Amtsantritt 2020 eine große Baumoffensive angekündigt. Tatsächlich wachsen jährlich Tausende neue Bäume auf Wiens Straßen, Plätzen und in Parks. Verärgerung gibt es vonseiten der Wählerschaft nur, weil im Rahmen der Klimaoffensive an einem Ende der Stadt junge „coole“ Klimabäumchen gepflanzt und zeitgleich am anderen Ende klimawirksame Großgehölze bei Stadt- und Quartiersentwicklungen zu Hunderten gefällt werden.

Daher will der Stadtrat mit einer soeben in Kraft getretenen Novelle des Wiener Baumschutzgesetzes dafür sorgen, „dass mehr Bäume geschützt und weniger gefällt werden und die nachgepflanzten Bäume eine noch höhere Qualität haben“. Denn Bestandsbäume überleben größere Bauvorhaben auf dem Grundstück nur vereinzelt, und für Ersatzbäumchen gibt es zwischen den maximal dimensionierten Baukörpern auch nur bedingt Platz.

5000 Euro für jeden abgeholzten Baum

Der Baumbestand wurde den Immobilienentwickler:innen bisher viel zu billig zur Rodung überlassen. Schließlich konnten Fällungen mit Beträgen abgegolten werden, die in der Immo-Branche kaum der Rede wert sind. Mit dieser Praxis soll nun Schluss sein. Die Gesetzesnovelle schreibt Ersatzbaumpflanzungen mit größerem Stammumfang und Kronenvolumen vor, damit diese möglichst rasch klimawirksam werden. Eine angehobene Ausgleichsabgabe von 5000 Euro statt bisher 1090 Euro je gefällten Baum soll mehr zweckgebundenes Geld für den Baum- und Klimaschutz zur Verfügung stellen.

Auch sinnvoll scheint die nun eingeführte Möglichkeit, Ersatzpflanzungen nicht nur auf dem Grundstück oder im Bereich von 300 Metern unterbringen zu müssen, sondern auf freie Flächen im Bezirk zurückgreifen zu können. Schließlich macht ja auch der Klimawandel nicht an der Grundstücksgrenze halt. Gegen rechtswidriges Verhalten will die Stadt künftig noch schärfer vorgehen, etwa durch die Vorschreibung von Wiederherstellungsmaßnahmen und eine Erhöhung der Verwaltungsstrafen auf bis zu 70.000 Euro.

Die Frist, bis wann eine Ersatzpflanzung als erfüllt gilt, wird von fünf auf zehn Jahre ausgedehnt, wodurch der Bestand der Ersatzbäume länger gesichert werden soll und ein größeres Bemühen hinsichtlich Baumqualität, Anwuchspflege und Ausfallsnachpflanzungen erwartet werden kann.

Lob zur Novelle gab es von Baumfachleuten, aber auch vom pinken Koalitionspartner und den Grünen. Die geäußerte Skepsis der Bauträger:innen, insbesondere jener, die laufende Projektvorhaben abwickeln, war erwartbar. Sie stoßen sich daran, dass die Novelle rückwirkend mit Jänner in Kraft getreten ist und sie nun auf Basis der neuen Gesetzesgrundlage kalkulieren müssen. Das könnte Projektbudgets empfindlich belasten. Berechnet man beispielsweise die Ausgleichsabgabe für 50 gefällte Bestandsbäume, so kann sich im Wechsel zwischen alter und neuer Regelung eine Kostendifferenz von rund 200.000 Euro ergeben.

Zudem bleiben Fragen offen, die sich wohl erst in der angewandten Praxis klären lassen. Denn laut Novelle liegen manche Entscheidungen im „Ermessungsspielraum“ des zuständigen behördlichen Sachbearbeiters, der „nach örtlichen Gegebenheiten“ beurteilen kann.

Grundlos zurückgeschnitten

Die „Evaluierung der haftungsrechtlichen Sorgfaltsanforderungen bei der Kontrolle und Pflege von Bäumen und Wäldern“ ist Teil des türkis-grünen Regierungsprogramms. Auch wenn dieses im Wahljahr wohl nicht mehr allzu viel wert ist, hat sich die umsetzungszuständige Justizministerin Alma Zadić dennoch die Mühe gemacht und eine lange und mit Nachdruck geforderte Gesetzesnovelle zu den bundesweit gültigen Baumhaftungsbestimmungen vorgelegt, mitgetragen vom Koalitionspartner. „Überstrenge Haftungsregelungen führten bislang dazu, dass Bäume oft frühzeitig und ohne gewichtigen Grund zurückgeschnitten oder gar gefällt wurden“, so Zadić. Mit der Novelle sollen Bäume und ihre wichtige Klimafunktion nun besser geschützt werden.

Derzeit orientiert sich die Haftung für Bäume in Ermangelung einer eigenen gesetzlichen Regelung an jener der Gebäudehaftung. Diese sieht eine sogenannte Beweislastumkehr vor, wonach – anders als im Schadensersatzrecht – nicht der Geschädigte das sorgfaltswidrige Handeln des Baumbesitzers nachweisen muss. Vielmehr haben Baumeigentümer:innen im Schadensfall zu belegen, dass Kontrollen und Schnittmaßnahmen durchgeführt wurden. Besonders im stark frequentierten städtischen Bereich, in dem Stadtgartenämter für Zigtausende Bäume verantwortlich sind, wird daher vorsichtshalber eher zu viel als zu wenig geschnitten oder im Zweifel gefällt.

Die geplante Gesetzesnovelle, die noch bis 21. Februar in Begutachtung ist, sieht eine Aufhebung der umstrittenen Beweislastumkehr vor. Somit müssten künftig also Geschädigte die Verletzung der Sorgfaltspflichten beweisen. Zudem soll zwischen Bäumen in stark frequentierten Bereichen und solchen in abgelegeneren Gebieten unterschieden werden. Wälder sind nicht von der Gesetzesnovelle betroffen, für sie gelten die Regelungen des Forstgesetzes, das erst Ende 2023 hinsichtlich Klimafitness novelliert wurde.

Erstaunt haben bei den Vorlagen beider Gesetzesnovellen der fast einstimmige Zuspruch seitens der Fachwelt sowie der politische Konsens. So einig sind sich Parteien in Umwelt- und Klimafragen selten.

Spectrum, Fr., 2024.02.09

17. November 2023Stephanie Drlik
Spectrum

Supergrätzl: Wien sollte von Barcelona lernen

Barcelona zeigt mit seinen ­Superilles vor, wie Städte mehr Lebensraum für Bewohner:innen schaffen können. Grundlage ist Überzeugungskraft, die nicht ­immer politisch belohnt wird.

Barcelona zeigt mit seinen ­Superilles vor, wie Städte mehr Lebensraum für Bewohner:innen schaffen können. Grundlage ist Überzeugungskraft, die nicht ­immer politisch belohnt wird.

Wer derzeit Barcelona besucht, bekommt ein anschauliches Bild, was ­ambitionierte Stadttrans­formation im 21. Jahrhundert bedeuten kann. Bereits seit einigen Jahren werden in der spanischen Metropole die in Planerkreisen hochgelobten Superilles, international auch Superblocks genannt, umgesetzt. Das Prinzip ist denkbar einfach, aber äußerst wirkungsvoll: Innerhalb der für Barcelona typischen rasterförmigen Bebauungsstruktur schließt man Zufahrtsstraßen für den motorisierten Durchzugsverkehr ganz oder teilweise. So entstehen Straßen und Kreuzungen, die vor allem den Menschen und ihren Bedürfnissen zur Verfügung stehen: Bäume, Grünflächen, neue Sitzgelegenheiten und Spielgeräte – das alles soll die ­Lebensqualität der Bevölkerung in den Superilles verbessern.

Ausschlaggebend für die Entwicklung der Superblocks waren die zunehmend schlechte Luftqualität und klimawandelbedingte Hitzewellen. Gepaart mit fehlendem Grün- und Bewegungsraum, führte das in manchen Teilen zu massiven Problemen. Eines der ersten Transformationsgebiete war das weitläufige Viertel Eixample. „Der Plan der groß­flächigen Stadter­weiterung Eixample von Alfonso Cerda aus dem 19. Jahrhundert beruht auf einem strengen Rastersystem“, erklärt Jürgen Furchtlehner, wissen­schaftlicher Mitarbeiter am Institut für Landschaftsarchitektur (ILA) an der Boku Wien. „Auf die ursprünglich vorgesehenen Parkanlagen hat man bei der Umsetzung des Plans verzichtet.“ Stattdessen brauste der immer stärkere Stadtverkehr durch die Straßen des Viertels. Im Jahr 2015 wurde die links-grüne Politikerin Ada Colau mit dem Wahlversprechen „Lasst uns die Straßen mit Leben füllen!“ Bürgermeisterin und versuchte mit der Einführung der Superilles mehrere Probleme in den Griff zu bekommen: Verkehr, Gesundheit, ­Soziales und Klima.

„Kiezblocks“ in Berlin, „Supergrätzl“ in Wien

„Das ursprüngliche Konzept der Maßnahme umfasst ein Raster von drei mal drei Baublöcken mit reduziertem Pkw-Durchzugsverkehr“, weiß Furchtlehner, der sich mit seinem Team am ILA bereits seit einigen Jahren dem Thema der nutzungserweiterten Straßenräume widmet und unlängst mit Studierenden Barcelona besuchte. „Im Inneren der verkehrsberuhigten Blocks werden über 80 Prozent des Kfz-Verkehrs reduziert. Die oft befürchtete Verlagerung auf umliegende Straßen fällt moderat aus, denn das Verkehrsaufkommen verringert sich durch die Attraktivierung der Quartiere. Der Superblock schafft mehr Platz für Begrünung und Erholung, Sport oder Spiel.“

Die anfangs lediglich als temporäre Interventionen angelegten Superblocks werden seither kontinuierlich erweitert und nach und nach in das Stadtbild Barcelonas übernommen. Zudem wird das Konzept mittlerweile losgelöst vom ursprünglichen Rastersystem angewandt. Diese Anpassung an lokale Gegebenheiten macht die Übertragung auf andere Städte möglich, die kaum im strikten Blockmuster errichtet wurden. In Berlin etwa entstehen derzeit „Kiezblocks“, und Wien rief 2022 im zehnten Wiener Gemeindebezirk ein „Supergrätzl“ ins Leben. Favoriten ist einer der einkommensschwächsten und am dichtest bebauten Bezirke Wiens, die Bewohner:innen sind in Sachen Grünraumgerechtigkeit benachteiligt.

Keine Durchfahrt für Autos

Wohl ein entscheidender Grund, warum sich Planungsstadträtin Uli Simma und Bezirksvorsteher Marcus Franz, beide SPÖ, für den nicht ganz einfachen Standort zwischen Gudrunstraße, Leebgasse, Quellenstraße und Neilreichgasse als Pilotgebiet für die Umsetzung der Superblock-Idee entschieden haben. In einer Testphase wurden die Wünsche der Bewohner:innen einbezogen, unter Federführung des Studio LAUT Landschaftsarchitektur und urbane Transformation gemeinsam mit den Verkehrsplaner:innen von Rosinak & Partner wurde eine neue Verkehrsorganisation eingeführt. Begleitet durch farbliche Bodenmarkierungen und Gehsteigvorziehungen wurden sogenannte Modal- und Diagonalfilter errichtet, die seither Autofahrer:innen, jedoch nicht Radfahrer:innen an der Durchfahrt hindern. Vor der örtlichen Mittelschule Herzgasse wurde eine neue Fußgängerzone verordnet.

Durch all diese Maßnahmen entstand neuer, für Menschen und zur Klimakühlung nutzbarer Freiraum. Derzeit wird das tem­poräre Supergrätzl in eine dauerhafte Umsetzung geführt, Grundlage sind die Planungen des Wiener Büros EGKK Landschaftsarchitektur. Neben 62 neuen Baumpflanzungen sehen die Landschaftsarchitekt:innen zahlreiche kleine Grünflächen im Straßenraum und in Kreuzungsbereichen vor. Die erste Bauphase soll bereits im Herbst 2024 abgeschlossen sein.

Super-Welle schwappt über Europa

Die Kritik am Supergrätzl ist erstaunlich verhalten. Das verwundert, schließlich ist die Einschränkung von Autofahrer:innen ein hitzig diskutiertes Thema. Doch die Entlastung der Anrainer:innen überzeugt, dabei sehen diese dem Supergrätzl laut Berichten eher gleichmütig entgegen. Bleibt zu hoffen, dass die Favoritner:innen sich ihre Gelassenheit bewahren können. Denn ein schwerwiegender Kritikpunkt an dem Konzept ist die durchaus realistische Befürchtung, dass die gelungene Stadtraumaufwertung nicht nur die Lebensqualität, sondern auch die Immobilienpreise wird steigen lassen. Die Politik ist gefordert, sich gegen eine Verdrängung der ansässigen Bevölkerung stark zu machen. Bislang wird dieser Problematik wenig entgegengesetzt, es würden die Einflussmöglichkeiten fehlen.

So leichtfertig mit derart gravierenden Veränderungen umzugehen ist politisch ungeschickt. Dabei könnte man von Barcelona durchaus mehr als nur gelungene Stadttransformation lernen. Die für den Superblock verantwortliche Bürgermeisterin Colau wurde nach zwei Amtsperioden abgewählt. Das Sagen hat nun der sozialistische Jaume Collboni Cuadrado, der zwar die Superilles schon als Vizebürgermeister unterstützt hat, damit jedoch nicht auf Kurs mit seinem konservativen Koalitionspartner liegt. Ob der begonnene Weg in Barcelona fortgesetzt werden kann, bleibt ungewiss. Fest steht aber, dass die Super-Welle gerade über Europa schwappt und hoffentlich viele sinnvolle Entwicklungen anstoßen wird.

Spectrum, Fr., 2023.11.17

20. August 2023Stephanie Drlik
Spectrum

Wiens Grün ist ungerecht verteilt

Während man mühsam nachträglich Oberflächen begrünt, wird gleichzeitig bei Neubauten versiegelt, was das Zeug hält. Pflanzen findet man oft nur auf den dschungelartigen Projekt-Renderings, die helfen sollen, Wettbewerbe zu gewinnen.

Während man mühsam nachträglich Oberflächen begrünt, wird gleichzeitig bei Neubauten versiegelt, was das Zeug hält. Pflanzen findet man oft nur auf den dschungelartigen Projekt-Renderings, die helfen sollen, Wettbewerbe zu gewinnen.

Wien gilt als eine der grünsten Metropolen der Welt. Mehr als die Hälfte der Stadt besteht aus Parks, Wäldern und landwirtschaftlich genutzten Flächen. Doch das viele Grün ist alles andere als gerecht verteilt. Während die privilegierten westlichen Bezirke mit bis zu 70 Prozent ihrer Fläche über reichlich Grünräume verfügen, sind Bewohner:innen der innerstädtischen Bezirke mit teils nur zwei bis drei Prozent benachteiligt. „Das ist nicht nur ungerecht, sondern bereits heute ein ernst zu nehmendes gesellschaftliches Problem, das sich mit den Auswirkungen des Klimawandels zunehmend verstärkt“, so Daniela Lehner, Landschaftsarchitektin, Wissenschaftlerin an der Universität für Bodenkultur und Mitautorin der durch die Arbeiterkammer Wien beauftragten Studie „Grün­raumgerechtigkeit für eine resiliente Stadt“.

Um den gewünschten Mindestgrünflächenbedarf je Einwohner:in durchzusetzen, wurden im Wiener Fachkonzept Grün- und Freiraum des Stadtentwicklungsplans (Step 2025) Kennzahlen definiert. Damit hätte die Stadt ein grundsätzlich funktionales Instrument in der Hand, doch die Sache hat einen Haken. Die Kennzahlen sind rechtlich nicht bindend. Und gerade in der dicht bebauten Bestandsstadt können sie nicht durchgesetzt werden, weil freie Flächen rar sind.
Hilft eine Novelle der Bauordnung?

Derzeit werden Bäume und Beete nachträglich mit großem Aufwand an zahlreichen Stellen gepflanzt. Das ist wichtig, doch während man mühsam und kostenintensiv Oberflächen entsiegelt und begrünt, wird gleichzeitig bei Neubauten versiegelt, was das Zeug hält. Dabei würde gerade im Neu- und Umbau der größte Hebel liegen. Dort findet man Begrünung oftmals nur auf den dschungel­artigen Projekt-Renderings, die helfen sollen, Wettbewerbe zu gewinnen oder Bürger:innen von der Verbauung ihres Umfelds zu überzeugen.

„Grünraum im Wohnumfeld darf keine „Nice to have“-Maßnahme sein, die auf Freiwilligkeit beruht“, sagt Daniela Lehner. Aber wie kann Begrünung stärker als bisher rechtlich verankert werden? Aktuell bietet sich dafür die Novellierung der Wiener Bauordnung an. Es liegt ein Entwurf der Novelle vor, den Expert:innen zwar als Versuch der Stadt anerkennen, Boden und Bäume zu schützen und verstärkt Grünstrukturen bei Bauvorhaben einzufordern. Doch ein richtig großer Wurf wird die Bauordnungsnovelle in der vorliegenden Form wohl nicht werden.

Dabei gäbe es durchaus gangbare Vorschläge vonseiten der Wissenschaft. „Laut Wiener Bauordnung und dem Garagengesetz müssen bei Neu-, Zu- und Umbauten pro 100 Quadratmeter geschaffener Wohnnutzfläche mindestens 12,5 Quadratmeter für das Parken des Autos zur Verfügung gestellt werden. Für die Herstellung von Grünraum in Relation zur Wohnfläche gibt es jedoch bislang keine verpflichtenden Vorgaben. Hier müssen die Bauträger stärker in die Pflicht genommen werden“, fordert die Studienautorin und empfiehlt die Einführung einer Grünraumverordnung analog zum Stellplatzregulativ.

Wo die bauliche Umsetzung aufgrund fehlender Flächenressourcen nicht möglich ist, könnten zweckgebundene Ausgleichs­abgaben eingeführt werden. Das Schlupfloch der wirtschaftlichen Unzumutbarkeit, wie man es an mancher Stelle in der Bauordnung findet, sollte dabei keine Anwendung finden. Schließlich werden durch bauliche Maßnahmen betriebswirtschaftliche Werte für Bauträger:innen geschaffen. Hingegen fallen für Kommunen durch Verdichtung und Versiegelung Kosten an, auf denen die budgetär ohnehin notorisch schwächelnden Bezirke ­bislang sitzen bleiben. Die Grünraum­verordnung wäre ein Interessenausgleich, sofern die gewonnenen Mittel zur Grünraumschaffung im Umfeld eingesetzt werden. So könnten nicht nur Bäume und Grünflächen am oder vor dem Bauplatz errichtet und Fassaden und Dächer begrünt, sondern auch nahegelegene Brachflächen angekauft und in grüne Erholungsräume verwandelt werden. Auch neuer Grünraum auf stadteigenen Flächen könnte geschaffen beziehungsweise könnten bestehende Parks aufgewertet werden.

„Wir haben im Rahmen der Studie vertiefend das Wiener Westbahnviertel untersucht. Das Areal entlang der Westbahntrasse im Bereich des 15. Bezirks ist nicht nur in höchstem Maße oberflächenversiegelt und dicht bebaut, die schlechte Grünraumversorgung betrifft dort vor allem die vulnerablen und sozial benachteiligten Bevölker­ungsgruppen“, be­richtet die Boku-­Forscherin. Mit der Grünraum­verordnung könnten etwa ungenutzte Bahnflächen auf dem ÖBB Westbahn­areal durch die Stadt angekauft und als Freiraum gesichert und aufgewertet werden. Eine Maßnahme, die über das Gebiet hinaus Wirkung hätte, da es sich dabei um Teile der stadtklimatologisch bedeutsamen westlichen Frischluftschneise handelt.
Und was ist mit den Straßen?

Auch Straßen bieten Potenzialflächen für mehr Grünraum. Im Westbahnviertel macht der Straßenraum im Schnitt beachtliche 41 Prozent der Fläche aus, im südlichen Teil des Viertels steht nur ein einziger einsamer Straßenbaum. Doch Straßen, Gehsteige und Plätze werden vorwiegend als Verkehrsraum ­behandelt und über die Straßenverkehrs­ordnung (StVO) geregelt. Man kann sich vorstellen, dass die Begrünung dabei eine untergeordnete Rolle spielt. Ist das der Grund, warum Straßen und Plätze in Wien bislang zu wenig Grün aufweisen? „Ohne Widmung können nur schwer Qualitätsstandards hinsichtlich Begrünung, Ausgestaltung und Aufenthaltsqualitäten definiert und stadtweit eingefordert werden. Die Schaffung einer Widmungskategorie Öffentlicher Raum, die mit der Herstellung und Erhaltung neuer Qualitäten einhergeht, könnte viel bewirken“, so Lehner.

Neben der unzulänglichen Debatte, ob naturräumlich hochwertige Stadtentwicklungsgebiete wie das Donaufeld oder Rothneusiedl vor dem Hintergrund des Klima­wan­dels überhaupt bauwirtschaftlich verwertet werden sollten, besteht wohl auch für den Umgang mit der Bestandsstadt reichlich Diskussionsbedarf. Verbesserungsvorschläge gäbe es genug.

Spectrum, So., 2023.08.20

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Presseschau 12

22. April 2025Stephanie Drlik
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Klimaanpassung: Wie man dem Starkregen trotzt

Es gibt keine Patentlösung für die Klimaanpassung – jede Stadt muss ihren Weg finden, abgestimmt auf lokale Herausforderungen. Ein Blick auf Kopenhagen, Hamburg und Wien.

Es gibt keine Patentlösung für die Klimaanpassung – jede Stadt muss ihren Weg finden, abgestimmt auf lokale Herausforderungen. Ein Blick auf Kopenhagen, Hamburg und Wien.

Der Klimawandel schreitet schneller voran als bisher angenommen, laufend aktualisierte Klimaprognosen zeichnen ein düsteres Bild, das sich in der Realität bestätigt. 2023 war das wärmste Jahr seit Beginn der Messgeschichte. In Österreich erinnern wir uns neben der Hitze besonders an die heftigen Starkregenereignisse und Überschwemmungen. Der Klimawandel verursacht jährlich Milliardenschäden, mittlerweile sterben mehr Menschen an extremer Hitze als im Straßenverkehr. Besonders Städte sind vulnerabel, viele Menschen leben auf engem Raum, und bauliche Strukturen verstärken klimatische Effekte.

Eine der wirkungsvollsten Klimaanpassungsstrategien ist der Ausbau grüner Infrastruktur – ein Netzwerk aus naturnahen und gestalteten Grünflächen, die ökologische, soziale und klimatische Funktionen erfüllen. Diese in bestehende Stadtgefüge zu integrieren stellt jedoch eine große Herausforderung dar. Notwendig sind langfristige Strategien, ein klarer politischer Wille und gezielte Investitionen. In europäischen Städten variiert der Entwicklungsstand grüner Infrastruktur. Um Wissen und Erfahrungen auszutauschen, lud die Österreichische Gesellschaft für Landschaftsarchitektur (ÖGLA) kürzlich zum internationalen Symposium unter dem Titel „Designing Green and Resilient Cities“ auf das Gelände des ehemaligen Nordwestbahnhofs in Wien, einem der jüngsten Entwicklungsgebiete der Stadt.

„Beserlparks XL“ für Wien

Grundsätzlich stehen alle Städte vor ähnlichen Herausforderungen: zu langsame Umsetzungsprozesse, fehlende in Anpassungsstrategien integrierte Konzepte und hohe Kosten, die meist von unterfinanzierten Budgets gedeckt werden müssen. „Ein intensiver, interdisziplinärer Dialog im Bereich der Landschaftsarchitektur hilft, Synergien zu fördern und negative Effekte zu minimieren“, erklärt ÖGLA-Präsidentin Anna Detzlhofer. Dadurch lassen sich Testphasen verkürzen, und es kann Zeit eingespart werden. Internationale Vergleiche helfen zudem, Fortschritte besser einzuordnen und gezielt zu verbessern.

Städte wie Paris, Kopenhagen und Hamburg haben Vertreter:innen nach Wien entsandt, um bei dem Symposium stadtplanerische Strategien und Leuchtturmprojekte vorzustellen. Fachleute aus Planung, Wissenschaft und Forschung präsentierten innovative Werkzeuge, um Bestandsstädte hochwertig und rasch zu begrünen.

„Die Anforderungen an Planungsstrategien sind komplex. Es besteht Konsens, dass Klimaanpassung auf allen Ebenen der Stadtplanung ansetzen muss – von großmaßstäblichen Masterplänen bis zu punktuellen Interventionen“, so Detzlhofer. „Derzeit arbeitet die Disziplin intensiv an der Weiterentwicklung städtischer Planungsinstrumente.“ Stadtklimaanalysen beispielsweise zeigen Schwachstellen auf und identifizieren unterversorgte Gebiete. Als Planungsgrundlage sind sie wichtig, doch auf Bauplatzebene braucht es weiterführende Instrumente.

Wien gilt als eine der grünsten Städte der Welt – doch der Grünraum ist ungleich verteilt. Einige Bezirke haben weniger als zwei Prozent Grünanteil, belastende Hitzeinseln sind die Folge. Die Stadt strebt daher eine naturpositive Entwicklung an: Es soll mehr Grün geschaffen als versiegelt werden. Erste Maßnahmen wurden gesetzt – etwa Novellen der Bauordnung und des Baumschutzgesetzes, die grüne Strukturen sichern und deren Ausbau fördern. Auch die mit 100 Millionen Euro dotierte Förderinitiative „Lebenswerte Klimamusterstadt“ sowie die Baum- und Parkoffensive zeigen bereits Wirkung. Mit dem neuen Stadtentwicklungsplan „Wien-Plan 2035“ kommen weitere Maßnahmen, etwa die Wiener Gartenstraßen – flächige entsiegelte intensiv begrünte Aufenthalts- und Erholungsbereiche im Straßenraum sollen vorrangig in dicht bebauten Gebieten entstehen – und die Beserlparks XL – Beserlparks, die auf die angrenzenden Straßenräume mit Begrünung ausgeweitet werden –, die hitzebelastete Straßenräume begrünen sollen.

Die Schwammstadt kommt aus Dänemark

Kopenhagen gilt als Vorreiter bei der Klimawandelanpassung. In der dänischen Hauptstadt wurde das Konzept der Schwammstadt entwickelt und mehrfach umgesetzt. Ziel dieses Vorgehens ist, Regenwasser dort zu halten, wo es fällt, um die Kanalisation zu entlasten und Überflutungen zu vermeiden. Nach einem verheerenden Starkregen im Jahr 2011 mit Schäden in Milliardenhöhe reagierte die Stadt mit einer umfassenden Strategie: Ganze Viertel wurden umgestaltet – mit wasserdurchlässigen Oberflächen, begrünten Dächern und Regenrückhaltebecken, die zugleich öffentliche Räume sind.

Ein gelungenes Beispiel ist der Tåsinge Plads, ein ehemaliger Parkplatz, der in einen multifunktionalen Stadtplatz verwandelt wur­de, wo Regenwasser von Straßen und Dächern gesammelt und gespeichert wird. Auch der Enghaveparken, ein historischer Park in Vesterbro, wurde neu gestaltet: Mit versenkbaren Becken und bepflanzten Terrassen kann er im Notfall 22.000 Kubikmeter Regenwasser aufnehmen und bleibt zugleich eine wertvolle Grünoase.

Auch Hamburg, geprägt durch Elbe und Alster, hat massiv in die Klimaanpassung investiert. Ein Fokus liegt auf dem Starkregenmanagement und dem Schutz vor Sturmfluten. In der HafenCity – Europas größtem innerstädtischem Entwicklungsprojekt – wurden innovative landschaftsarchitektonische Lösungen umgesetzt. Der Amerigo-Vespucci-Platz etwa ist so gestaltet, dass er im Hochwasserfall überflutet werden kann, ohne Schaden zu nehmen. Die bekannten Magellan-Terrassen bieten nicht nur einen attraktiven Aufenthaltsort direkt am Wasser, sondern fungieren zugleich als Teil eines gestaffelten Hochwasserschutzsystems.

Es gibt keine Patentlösung für die Klimaanpassung – jede Stadt muss je nach Gegebenheiten ihren eigenen Weg finden, abgestimmt auf lokale Gegebenheiten, Herausforderungen und Potenziale. Doch die vorgestellten Beispiele zeigen eindrucksvoll, dass gelungene landschaftsarchitektonische Konzepte funktionieren und anderen Städten als Inspiration und Orientierung dienen können. Der Blick über den Tellerrand ermöglicht es, bewährte Strategien zu adaptieren, Fehler zu vermeiden und wertvolle Zeit zu gewinnen. Denn eines ist klar: Wenn der Klimawandel weiterhin so rasant voranschreitet, muss auch die grüne Transformation unserer Städte deutlich schneller und umfassender gelingen, damit sie zukunftsfähig und lebenswert bleiben.

Spectrum, Di., 2025.04.22

16. Februar 2025Stephanie Drlik
Spectrum

Kampwald könnte der dritte Nationalpark im Waldviertel werden

Das von Abwanderung betroffene Waldviertel könnte von einem Nationalpark Kampwald durchaus profitieren. Bisher ist lediglich eine erste Startfinanzierung von rund sieben Millionen Euro ­gesichert.

Das von Abwanderung betroffene Waldviertel könnte von einem Nationalpark Kampwald durchaus profitieren. Bisher ist lediglich eine erste Startfinanzierung von rund sieben Millionen Euro ­gesichert.

Im ausklingenden vergangenen Jahr war aus Niederösterreich eine interessante Meldung zu vernehmen: Im Waldviertel wird Österreichs siebter Nationalpark entstehen. Österreichs größtes Bundesland bekommt neben den Donau-Auen und dem Thayatal einen dritten Nationalpark, den Kampwald. Doch so ein Nationalpark ist ein Mega-Vorhaben mit langen Entwicklungsperspektiven und vielen Unsicherheiten. Daher stellt sich die Frage: Wie fix ist das Ganze eigentlich?

Ein Nationalpark ist ein Schutzgebiet, das den Kriterien der Weltnaturschutzorganisation IUCN in ihrer zweitstrengsten Kategorie – „Nationalpark“ – entsprechen muss. Das primäre Ziel ist es, Biodiversität und ökosystemische Zusammenhängen sowie natürliche Prozesse zu bewahren und Erholungs- sowie Bildungsaktivitäten zu fördern. Die Kriterien schließen das Vorhandensein hochwertiger und umfangreicher Naturräume mit langfristig schützenswerten Ökosystemen ein. Der weitgehende Verzicht auf Eingriffe ist zentral, zumindest in einer verpflichtend vorgeschriebenen Nationalpark-Kernzone, die mindestens 75 Prozent der Gebietsfläche umfassen muss. Die restlichen 25 Prozent sind als Managementzone zu verstehen, in denen Eingriffe im Rahmen traditioneller, naturnaher Bewirtschaftungen möglich sind.

Naturschutz ist Landeskompetenz

Im föderalen Österreich setzt die Einrichtung eines Nationalparks zudem eine Kooperation zwischen Bund und betroffenem Bundesland voraus, schließlich handelt es sich, wie der Name schon sagt, um eine Aufgabe mit nationaler Bedeutung. Obwohl Naturschutzagenden in die Landeskompetenzen fallen, teilen sich beim Nationalpark der Bund und das jeweilige Land sowohl die Kosten für die Außernutzungsstellung der Flächen, also die Abgeltung an die Grundeigentümer:innen für wirtschaftlichen Verlust, als auch die Erhaltungskosten – beides üblicherweise zu gleichen Teilen. Die ausverhandelte Kooperationsvereinbarung wird in einer rechtsverbindlichen Vereinbarung festgeschrieben.

Für den angekündigten Nationalpark Kampwald gibt es bisher weder die nationale Kooperationsvereinbarung, noch wurden Verhandlungen mit der IUCN geführt. Bisher ist lediglich eine erste Startfinanzierung von rund sieben Millionen Euro gesichert, die hauptsächlich zur Außernutzungsstellung eines kleinen, 260 Hektar umfassenden Teils der späteren Kernzone verwendet werden soll.

Einer der letzten Urwälder

Dabei handelt es sich um das Dobratal, das zu den Gründen der durch das Land Niederösterreich verwalteten Windhag-Stipendienstiftung gehört. Geplant ist, dass die Stiftungsgründe, insgesamt rund 3100 Hektar Fläche, später zur Gänze in den Nationalpark übergehen. Die Stiftung dürfte diesbezüglich Interesse zeigen, denn die Außernutzungsstellung mitsamt Entschädigungszahlungen bedeutet in Zeiten zunehmender Klimafolgeschäden einen gesicherten Ertrag.

Das Dobratal ist ökologisch eigentlich weniger intakt als das nahe gelegene mittlere Kamptal mit großteils wertvollen Waldökosystemen. Hierzu gehört auch einer der letzten österreichischen Urwälder, der in Privatbesitz ist und bislang aus eigener Motivation erhalten wird. Dass diese wertvollen Gebiete, derzeit als „Natura 2000“-Flächen wohl nicht ausreichend geschützt, in der ersten Entwicklungsphase nicht berücksichtigt wurden, stößt bei Expert:innen auf Verwunderung. Dabei ist die Vorgehensweise durchaus nachvollziehbar.

Geeignetes Ausgangsgebiet

Im Kamptal ist man mit heterogenen Besitzverhältnissen konfrontiert, zudem sind die finanziellen Mittel für Außernutzungsstellungen im Rahmen der Startförderung begrenzt. Das Dobratal ist durch seine naturräumliche Abgrenzung, sein hohes Entwicklungspotenzial und die Stiftung als alleinige Eigentümerin als Ausgangsgebiet durchaus gut geeignet. Und sollte es mit dem Nationalpark doch nichts werden, so sind die gesetzten Wiederherstellungsmaßnahmen im Dobratal dennoch ein wertvoller Beitrag.

Dass man die Entwicklung des neuen niederösterreichischen Nationalparks gerade mit einer Renaturierungsmaßnahme startet, ist ­allerdings überraschend – war doch gerade die niederösterreichische Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner eine der schärfsten Kriti­ker:innen des EU-Renaturierungsgesetzes. Jetzt prescht sie mit dem geplanten Nationalpark noch vor der Festlegung des von der Europäischen Kommission eingeforderten nationalen Renaturierungsplans voran. Das Geld stammt im Übrigen aus dem Biodiversitätsfonds des Bundes, der aus EU-Mitteln gespeist und von Noch-Umweltministerin Leonore Gewessler initiiert wurde. Mit diesem Arrangement dürfte zumindest die notwendige Kooperation zwischen Bund und Land Niederösterreich zur Gründung des Nationalparks auf einem guten Weg sein.

Höchster ökologischer Wert

Doch nicht nur hinsichtlich Renaturierungsverordnung ist der geplante Nationalpark ein schlaues Manöver. Nationalparks sind landschaftliche Schmuckstücke mit höchstem ökologischem Wert, wahre Tourismusmagnete und wichtige Reallabore für Wissenschaft und Forschung. Das von Abwanderung betroffene Waldviertel kann von der Aufwertung durch den Nationalpark hinsichtlich Wohnstandort, Tourismus und Freizeit profitieren. Im Burgenland etwa ist eine positive Regionalentwicklung dank Attraktivierung durch den Nationalpark Neusiedler See – Seewinkel gelungen.

Expert:innen zeigen sich vorsichtig optimistisch, dass das Vorhaben Nationalpark Kampwald umgesetzt werden kann. Schließlich ist die Schaffung des zuletzt gegründeten Nationalparks Gesäuse bereits mehr als 20 Jahre her, und die Zeit scheint reif. Gleichzeitig weisen sie auf die große Bedeutung der Alltagslandschaften hin, die neben medienwirksamen Nationalparkgründungen nicht vernachlässigt werden dürfen. Nationalparks machen lediglich drei Prozent der Landesfläche aus, der eigentliche Hebel für Naturschutz und Renaturierung liegt also dazwischen.

„Leitbild Landschaft“ gefordert

Derzeit findet eine einschneidende Transformation der Landnutzungen statt, die sich zusammen mit dem Klimawandel äußerst negativ auf die Vielfalt von Landschafts- und Lebensraumtypologien auswirkt. Eine dramatische Minimierung der Artenvielfalt in unseren heimischen Landschaftsräumen ist die Folge.

Naturschutz ist Ländersache, und das ist gut so, denn Maßnahmen werden regional und lokal gesetzt. Da sich Landschaftsräume aber kaum mit Landes- oder Gemeindegrenzen decken, braucht es auch übergeordnete Planungsinstrumente auf Bundesebene. Planer:innen fordern daher eine Art „Leitbild Landschaft“ für Österreich, damit sich Entwicklungspotenziale unabhängig von politischen Grenzen abbilden lassen. Denn das Erfassen übergeordneter Zusammenhänge spielt gerade in Zeiten der Klima- und Biodiversitätskrise eine entscheidende Rolle, schließlich machen weder Tiere und Pflanzen noch der Klimawandel an Landes- oder Gemeindegrenzen halt.

Spectrum, So., 2025.02.16

15. November 2024Stephanie Drlik
Spectrum

Österreichs Ufer: Kein Zugang zu diesem See

Die Debatte um die Privatisierung der Seeufer wird um eine Facette reicher: Experten warnen, dass sich dieser Trend bereits negativ auf den ökologischen Zustand der Gewässer auswirkt.

Die Debatte um die Privatisierung der Seeufer wird um eine Facette reicher: Experten warnen, dass sich dieser Trend bereits negativ auf den ökologischen Zustand der Gewässer auswirkt.

In Österreich kursiert die weitverbreitete Meinung, heimische Seen seien im EU-Vergleich in einem überdurchschnittlich guten Zustand. Tatsächlich verfügen die meisten Badeseen über eine sehr hohe chemische Wassergüte in Bade- und Trinkwasserqualität, doch sagt die Güte nur bedingt etwas über den allgemeinen Gewässerzustand aus. Durch die massive Zunahme an immo­bilienwirtschaftlichen Grundstücksverwertungen zeigen Zustandsindikatoren wie das Maß der Landnutzung oder der Uferverbauung alarmierende Trends.

Das Problem entsteht, weil Seen heutzutage nicht länger nur an öffentlichen Uferpromenaden, Schiffsanlegestellen oder Strandbädern verbaut werden, sondern gerade auch an privat genutzten Ufern. Wer sich ein Seegrundstück leistet, möchte die Fläche maximal ausnützen und einen bequemen Wassereinstieg vorfinden.

Wir benötigen Flora und Fauna

Und so war es gängige Praxis, Ufer durch Aufschüttungen, Mauern oder Stegbauten zu erweitern und badetauglich zu machen. Denkbar ungünstig für Wasservögel, Fische und zahlreiche andere Wassertiere und -pflanzen, die unverbaute Schilf- und Naturzonen für ihr Überleben brauchen. Wir Menschen wiederum benötigen die Tiere und Pflanzen, denn ein hoher ökologischer Gewässerzustand ist für den gesunden Fortbestand der Seen entscheidend.

Immobilienentwicklungen in extremem Ausmaß haben an einigen Badeseen dazu geführt, dass nicht nur frei zugängliche öffentliche Bereiche immer rarer geworden sind, sondern auch wild bewachsene Ufer mit Schilfhabitaten, die, sich selbst überlassen, einen hohen ökologischen Wert entwickeln konnten. Diese Phänomene treffen auf ganz Österreich zu, doch im seenreichen Bundesland Kärnten ist die Situation besonders brisant. Das hat das ­Architektur Haus Kärnten zum Anlass genommen und sogenannte Seenkonferenzen etabliert, die nun seit einigen Jahren organisiert werden.

Extrembeispiel Wörthersee

Dabei können sich Expert:innen, Entscheidungsträger:innen, Verwaltungsmitarbeiter:innen und Vertreter:innen von Initiativen aus verschiedenen Seeregionen austauschen sowie Maßnahmen und Lösungen diskutieren. Die heurige Konferenz fand am Wörthersee statt, der als Extrembeispiel gilt. „Am Wörthersee befinden sich 82 Prozent der Uferlinie in Privatbesitz. Von den verbleibenden Bereichen sind nur noch neun Prozent öffentlich zugänglich. Zirka 58 Prozent der Ufer sind mit Betonmauern, Blockwurf oder Stegkonstruktionen verbaut und nur mehr 38 Prozent des Ufers unverbaut“, berichtet Judith Leitner, Kuratorin der diesjährigen Seenkonferenz.

Selbst unverbaute Abschnitte sind nicht unweigerlich in einem ökologisch wertvollen Zustand. An den wenigen verbliebenen öffentlichen Flächen ist der Nutzungsdruck mittlerweile derart groß, dass trotz zahlreicher Verbote das Renaturieren alles andere als einfach ist. Mehrere Kärntner Seegemeinden haben in den vergangenen Jahren neue Ortsentwicklungskonzepte erstellt oder sind gerade dabei, Pläne zu erarbeiten, in denen der zukünftige Umgang mit den Uferzonen behandelt und die Bauentwicklung durch klare Siedlungsgrenzen eingedämmt werden soll. Ökosysteme lassen sich nicht beliebig an vorhandenen Grundstücksgrenzen je nach Eigentumsverhältnissen ein- oder ausschalten, übergreifende Konzepte sind erforderlich. Um größere Ökologiezonen und öffentliche Seezugänge zu schaffen, werden strategisch wichtige Grundstücke ­angekauft.

Gesellschaftliche Interessen und Naturschutzinteressen sollen gleichermaßen berücksichtigt werden. „Entlang des Nordufers am Wörthersee, in der Gemeinde Techelsberg, haben die Bundesforste zwei schmale Uferbereiche angekauft. Doch solange die Bodenpreise von Seegrundstücken derart hoch und Geschäfte mit Immobilienentwickler:innen weiterhin lukrativ sind, werden Gemeinden wohl eher Grundstücke verkaufen, als Rückkäufe von Liegenschaften voranzutreiben, mit deren Pflege und Erhaltung sie dann in der Folge finanziell belastet sind“, analysiert Judith Leitner.

Auch wenn Investitionen in den Naturschutz in Re­lation zu anderen Infrastrukturmaßnahmen wie etwa im Straßenbau gering ausfallen, erfordern Ankäufe und Natur- sowie Schilfschutzmaßnahmen wie jene in Techelsberg dennoch Investitionen in Höhe mehrerer Hunderttausend Euro.

Am Wörthersee hat das Land Kärnten, gemeinsam mit dem Seeeigentümer, den Ös­terreichischen Bundesforsten, ökologische Schutzzonen ausgewiesen, auf denen eine weitere Verbauung untersagt ist. Auf den ersten Blick eine sinnvolle Herangehensweise, doch leider gilt die Vereinbarung nur für Grundstücke, die sich im Eigentum der Republik befinden und durch die Bundesforste bewirtschaftet werden.

Verschlechterung zu verzeichnen

Der Zugriff auf private Flächen ist erwartungsgemäß schwieriger, doch genau dort gilt es anzusetzen, um den Zustand eines stark privatisierten Gewässers zu verbessern. „Es könnten etwa gezielte finanzielle Förderungen für bauliche Rückbau-, Renaturierungs- oder Schilfschutzmaßnahmen eingerichtet werden. Hilfreich waren bisher auch bindende Verordnungen, die weitere Aufschüttungen und Seeeinbauten wie Stege, Bootshäuser, Bojen oder Ufermauern verbieten“, fasst Leitner die Ergebnisse der Konferenz zusammen.

Solche Vorschriften konnten einigermaßen einfach umgesetzt und rasch wirksam werden, sofern sie kontrolliert und Verstöße geahndet werden. Naturnahe Ufergestaltungen und Renaturierungsprojekte sind wesentlich schwieriger zu bewerkstelligen.

Jedenfalls muss endlich gehandelt werden – Naturschutzinitiativen schlagen für ganz Österreich Alarm. Schließlich kommt bei Seen die EU-Wasserrahmenrichtlinie zu tragen, die vorgibt, Gewässer bis spätestens 2027 einem guten Zustand zuzuführen. Dieser wird anhand bestimmter Qualitätselemente überprüft, wie etwa der Zusammensetzung der Tier- und Pflanzengemeinschaften, des Wasserhaushalts, der Beschaffenheit der Uferbereiche oder des Verbauungsgrads. Und diesbezüglich weisen einige größere österreichische Seen deutliche Defizite auf.

Renaturierung als Chance

Anstatt eine Aufwertung nach den Vorgaben der Wasserrahmenrichtlinie zu erzielen, ist an einigen Seen eher eine Verschlechterung der Gewässerzustände zu verzeichnen, die sich etwa durch neue Phänomene wie die klimawandelbedingte Erwärmung, das Eindringen invasiver Arten oder Mikroplastikeinträge erklärt.

Spannend werden in diesem Zusammenhang die Auslegung und mögliche Anwendung des neuen EU-Renaturierungsgesetzes, das unter anderem die naturräumliche Wiederherstellung von Gewässern einfordert. Ob der auszuarbeitende nationale Renaturierungsplan den Handlungsbedarf an den Seeufern aufgreifen wird, ist noch unklar. Angesichts der Tragweite des Privatisierungsproblems wäre die Renaturierungsverordnung zumindest eine Chance, endlich neue Wege einzuschlagen.

Spectrum, Fr., 2024.11.15

30. August 2024Stephanie Drlik
Spectrum

Renaturierungsgesetz: Auch die Städte sind gefordert

Das neue EU-Renaturierungsgesetz nimmt auch Städte in die Pflicht – sie dürfen bis 2030 keinen Grünraum mehr verlieren. Wird Fläche neu verbaut, muss anderswo Natur wiederhergestellt werden. Wiens Vorzeigebeispiel: der Norbert-Scheed-Wald.

Das neue EU-Renaturierungsgesetz nimmt auch Städte in die Pflicht – sie dürfen bis 2030 keinen Grünraum mehr verlieren. Wird Fläche neu verbaut, muss anderswo Natur wiederhergestellt werden. Wiens Vorzeigebeispiel: der Norbert-Scheed-Wald.

Das Nature Restauration Law, ein EU-Gesetz zur etappenweisen Renaturierung europäischer Naturräume, ist nach langem Ringen am 18. August in Kraft getreten und wartet nun auf seine Umsetzung. Die EU gibt mit diesem Gesetz Ziele vor. Wie die Mitgliedsstaaten diese erreichen, bleibt ihnen überlassen. Sie müssen jedoch innerhalb der nächsten zwei Jahre einen Plan erarbeiten und diesen verbindlich an die EU übermitteln.

Artikel 8 des Gesetzes formuliert explizit Ziele zur Wiederherstellung städtischer Ökosysteme. Bis 2030 dürfen keine Nettoflächenverluste mehr produziert werden, also nicht mehr Grünflächen verbaut als neu errichtet werden. Bis 2040 müssen renaturierte Flächen bereits um drei Prozent zugenommen haben, und bis 2050 sind weitere fünf Prozent begrünte Stadtflächen herzustellen. In dieser Flächenbilanz ist auch die Renaturierung baulicher Elemente wie Gebäude und Straßen mitzudenken, ebenso wie die möglichst lückenlose Vernetzung von Grünräumen. Weiters müssen mindestens zehn Prozent der Stadtfläche von Baumkronen überschirmt werden. Wobei diese zehn Prozent auf das gesamte Bundesgebiet bezogen sind, um größere Flexibilität für einzelne Städte zu ermöglichen.

Pannonische Feldlandschaft

Laut Verordnung sind nicht nur Stadtwälder, Parks, artenreiche Wiesenflächen und andere Freiraumtypologien neu zu errichten, es gilt auch, bestehende Flächen zu sichern und aufzuwerten. Nun stellen sich Stadt- und Gemeindeverantwortliche zu Recht die Frage, wie eine solche Renaturierung, der vorangehende Aushandlungsprozess und die Finanzierung ausschauen könnte. Aus der Stadt Wien ist auf Anfrage der „Presse“ zu hören, dass Bundesministerin Leonore Gewessler bereits eingeladen hat, um die weitere Vorgehensweise in einer Prozessarbeitsgruppe zu besprechen. „Die Stadt Wien wird selbstverständlich ihren Beitrag leisten. Denn Renaturierung und die Förderung der Biodiversität sind schon seit Längerem wichtige Schwerpunkte der Stadt Wien. Die Wiederherstellungsverordnung der EU ist daher eine Unterstützung für die Vorhaben der Stadt, die zum Gutteil bereits umgesetzt werden“, so die Stellungnahme aus dem Büro des amtsführenden Umweltstadtrats Jürgen Czernohorszky. Er erwähnt neben dem „Park der Artenvielfalt“, dem in Bau befindlichen Biotopteich im Paradiesgartel und der weiteren Renaturierung des Liesingbaches vor allem den Norbert-Scheed-Wald, genauer, das Projekt Breitenlee auf dem Gebiet des ehemaligen Verschiebebahnhofs in der Wiener Donaustadt, als Vorzeigebeispiel für gelungene Renaturierung.

Dass die Bundeshauptstadt Wien als eine der grünsten Städte der Welt gilt, liegt unter anderem am Grüngürtel, der sich großräumig vom westlichen über den östlichen Stadtrand erstreckt. Etwa 12.000 Hektar davon sind durch die Widmung „Schutzgebiet Wald und Wiesengürtel (SWW)“, die höchste Schutzkategorie in der Wiener Flächenwidmung, dauerhaft gesichert. Andere Flächen sind als Landschaftsschutzgebiete ausgewiesen, wie etwa der erwähnte Norbert-Scheed-Wald, der in der Endausbaustufe eine Fläche von rund 1000 Hektar umfassen soll. Die Entwicklung des Schutzgebiets wurde gestartet, lange bevor ein Renaturierungsgesetz auf EU-Ebene überhaupt diskutiert wurde.

Lebensraum für Wildtiere und Pflanzen

Bereits 2014 ist die Leitbildentwicklung unter Federführung der MA 49 in Angriff genommen worden. „Im Leitbild Norbert-Scheed-Wald sind übergeordnete Ziele und konkrete Nutzungs- und Renaturierungsmaßnahmen festgelegt“, erzählt Landschaftsarchitekt Erik Meinharter vom Büro Plansinn Planung & Kommunikation, der an der Leitbild­erstellung und der weiteren Prozessbegleitung beteiligt war. „Die pannonische Feldlandschaft soll zur Erholung für Menschen und als Lebensraum für Wildtiere und Pflanzen gesichert und schrittweise erweitert werden. Der ehemalige Breitenleer Bahnhof wurde als Kernzone der naturräumlichen Entwicklung definiert. Wir haben damals auch Möglichkeiten zur Flächensicherung aufgezeigt“, so Meinharter, denn die Eigentümer:innen- und Nutzer:innenstruktur ist divers, und die Flächen sind nicht im Besitz der Stadt.

Diese Ausgangssituation hat eine partizipative Entwicklung mit Vertreter:innen aus Verwaltung, Politik, mit den Grundeigentümer:innen und anderen Stakeholdern erforderlich gemacht. Die ÖBB war als Mehrheitseigen­tümerin von Beginn an gesprächsbereit. Im Rahmen von EU-geförderten Projekten plant die Stadt nun den Ankauf einer 70 Hektar umfassenden Fläche, der Rest des Scheed-Walds verbleibt vorerst im Besitz der ÖBB und der zahlreichen weiteren Grundeigentümer:innen. „Es gab von Beginn an eine große Bereitschaft aller Beteiligten. Auch ansässige Land­wirt:innen erkennen, dass benachbarte Re­naturierungsmaßnahmen die Landwirtschaft stärken.“ Schließlich soll das Gebiet künftig auch stadtadäquate Landwirtschaft sichern. Zwischen den Landwirt:innen und den zuständigen Magistratsabteilungen wurden Vertragsnaturschutzflächen vereinbart, etwa im Rah­men des „Lebensraum Acker“-Programms.

140 Wildbienenarten

Auf dem Areal des ehemaligen Verschiebebahnhofs Breitenlee hat sich die Natur seit 1945 beinahe ungestört die Fläche zurückerobert. Wären nicht die alten Brückenpfeiler, die hin und wieder zwischen hohen Bäumen durchblitzen, würde nichts mehr an die einstige Nutzung erinnern. Eine echte Stadtwildnis mit seltenen Tier- und Pflanzenarten wie dem Wiedehopf, dem Neuntöter, Zauneidechsen, seltene Orchideen, mehr als 140 Wildbienenarten sowie pannonischen Trocken- und Halbtrockenrasenflächen. Doch solch ein kostbarer Lebensraum braucht Schutz und Pflege, daher sollen nun rund 90 Hektar des Norbert-Scheed-Walds als Natura 2000 Europaschutzgebiet ausgewiesen werden. Damit geht die Stadt freiwillig noch strengere, rechtlich bindende Naturschutzverpflichtungen ein.

Ein solches Konzept hätten sich viele Wiener:innen auch andernorts gewünscht, wo Bahnhofsbrachen und landwirtschaftliche Flächen zu Gunsten von Quartiersentwicklungen geopfert wurden. Warum dem Norbert-Scheed-Wald dieses Schicksal erspart geblieben ist? „Der Lückenschluss des Grüngürtels im Nordosten Wiens war schon seit Jahrzehnten Teil des Stadtentwicklungsplans“, so Erik Meinharter. „Auch die Reduzierung des steigenden Nutzungsdrucks auf den restlichen Wald- und Wiesengürtel und die benachbarte Lobau war ein wichtiges Argument für dieses Landschaftsschutzgebiet. Zudem gab es ein klares Bekenntnis von Seiten der Stadt Wien und den ÖBB als Grundeigentümerin den Naturraum zu erhalten.“

Auch der persönliche Einsatz des 2014 frühzeitig verstorbenen Donaustädter Bezirksvorstehers Norbert Scheed dürfte eine wesentliche Rolle gespielt haben. Er hatte schon früh die große Bedeutung des Naturraums für seinen Bezirk und darüber hinaus erkannt: „Jeder Baum, jeder Teich ist wichtig für die Ökobilanz. Der Mensch kann ohne Natur nicht überleben, Natur ist Zukunft.“

Spectrum, Fr., 2024.08.30

17. Mai 2024Stephanie Drlik
Spectrum

Ist hier eine Hitzezone? Wien begrünt wahllos

Im Gegensatz zu anderen Großstädten wie etwa Paris folgt Wien keinem übergeordneten Masterplan zu Nachbegrünung und Klimawandelanpassung. Derzeit wird nur begrünt, wo es sich gerade ergibt.

Im Gegensatz zu anderen Großstädten wie etwa Paris folgt Wien keinem übergeordneten Masterplan zu Nachbegrünung und Klimawandelanpassung. Derzeit wird nur begrünt, wo es sich gerade ergibt.

Zahlreiche europäische Großstädte starten derzeit Begrünungsoffensiven. Ausgelöst durch den Klimawandel und die stetig steigenden Temperaturen, setzt man auf Kühlung durch Pflanzen. Dass deren nachträgliche Implementierung im Stadtraum trotz hoher Beliebtheitswerte in der Bevölkerung dennoch nicht immer friktionsfrei vonstatten geht, zeigt sich bekanntlich gerade an der Umgestaltung des denkmalgeschützten Michaelerplatzes im historischen Zentrum Wiens. Unter anderem sind neun Blauglockenbäume Anstoß des Ärgers. Namhafte Expert:innen befürchten, dass diese nicht nur die gewünschte Klima-, sondern auch eine erhebliche Raumwirkung entfalten werden, was den Platz in seinem architektonischen Wert schwächen könnte, so die Kritik.

Wien wird sichtbar grüner. Große Bäume, üppig bepflanzte Beete, Wasserspiele und beschattete Sitzgelegenheiten nehmen im Stadtbild merklich zu und finden sich auch an bislang unüblichen Orten, wie dem Praterstern oder der Thaliastraße. Es vollzieht sich ein Paradigmenwechsel, bei dem Grünraumqualitäten in einem Ausmaß geschaffen werden, wie es noch bis vor wenigen Jahren undenkbar gewesen wäre. Die im Klimawandel wichtigen landschaftsarchitektonischen Gestaltungen kommen bei den Menschen gut an. Und das spielt eine wichtige Rolle, denn die zunehmende Begrünung der Stadt ist auch dem Nachdruck der Bevölkerung geschuldet, die sich vor allem eines wünscht: mehr Grün.

Bedeutet Begrünung zugleich Hitzeprävention?

So ist es nachvollziehbar, dass die zuständige Planungsstadträtin Ulli Sima (SPÖ) seit geraumer Zeit verstärkt auf Stadtbegrünung setzt, um die Stadt „klimafit“ und Wähler:innen zufrieden zu machen. Doch etwas verwundert: Im Gegensatz zu anderen Großstädten wie etwa Paris, aktuell eine Vorzeigestadt in Sachen Nachbegrünung und Klimawandelanpassung, folgt Wien keinem übergeordneten räumlichen Masterplan zur Klimawandelanpassung des Stadtraums.

Es steht unumstritten fest, dass es ohne zusätzliche Begrünung des Stadtraums im Klimawandel künftig nicht gehen wird. Doch spielt die Frage, welche Maßnahmen wo gesetzt werden, dabei eine wesentliche Rolle. Die Begrünungsprojekte der vergangenen Jahre bringen effektiv neue Aufenthaltsqualitäten – doch tragen sie auch zur Hitzeprävention bei?

Bereits seit etlichen Jahren gibt es die wissenschaftlich erarbeitete „Urban Heat Island“-Strategie der Stadt Wien sowie eine Hitzekarte, die abbildet, wo der Wiener Stadtraum bei Extremereignissen zu überhitzen droht. Wie sich die zigtausenden Neubaumpflanzungen und Oberflächenentsiegelungen an den realisierten Orten tatsächlich auf das Wiener Stadtklima auswirken, wurde noch nicht eingehend evaluiert.

Handlungsbereiche ausfindig machen

Derzeit wird dort begrünt, wo die Stadt ohnehin umbaut oder wo es die Budgets der umsetzungsverantwortlichen Gemeindebezirke zulassen. Oder eben dort, wo, wie am besagten Michaelerplatz, Private über Public-Private-Partnership-Modelle mitfinanzieren. Nachvollziehbare Beweggründe, doch kann für eine Großstadt wie Wien das Mega-Vorhaben der Klimawandelanpassung ohne Strategiekonzept stadträumlich sinnvoll durchgeführt werden? Klimaplanung ist jedenfalls eine Aufgabe, die einer übergeordneten Betrachtung bedarf. Schließlich endet der Klimawandel nicht an der Grundstücksgrenze.

Planer:innen fordern daher einen Masterplan zur Klimawandelanpassung, der konkrete Handlungsbereiche, etwa basierend auf den Aussagen von Klimakarten, dem Versiegelungsgrad, Klimaanalysen und der vorhandenen Begrünungsstruktur, ausweist und eine geregeltere Abwicklung von Anpassungsmaßnahmen vorgibt. Gäbe es einen solchen Masterplan zur Klimawandelanpassung für Wien, so wüsste man vermutlich auch, ob sich das schwierige Umgestaltungsvorhaben auf dem Michaelerplatz tatsächlich in einer ausgewiesenen Hitzezone befindet und sich somit die heiklen und umstrittenen Eingriffe vor dem kritischen Denkmalbeirat oder der Unesco-Kommission rechtfertigen lassen.

Sturm der Entrüstung ist jedenfalls zu Recht groß. Weniger wegen der paar Bäume, deren Einfluss auf die Platzwirkung wohl in der emotional geführten Debatte überschätzt wird, schließlich weisen Bäume eine gewisse Durchblickbarkeit auf und sind in ihrem Erscheinungsbild und in ihrer Beständigkeit weniger endgültig als bauliche Raumeingriffe. Doch der Ärger der Kritiker: ist nachvollziehbar, schließlich wurde in der Prozessentwicklung mehr als ungeschickt agiert.

Intransparentes Vorgehen

Das A und O jeder Planung im öffentlichen Raum ist die Durchführung eines interdisziplinären Entwurfsfindungs- und Planungsverfahrens, das unterschiedliche fachliche Sichtweisen einbezieht und Ergebnisse transparent und öffentlich kommuniziert. Ob das in Form eines Wettbewerbsverfahrens erfolgen muss, sei dahingestellt. Was am Michaelerplatz jedoch passiert ist, war das Gegenteil von transparent.

Schon seit Jahren ist bekannt, dass auf dem historischen Platz etwas im Gange ist, Details blieben lange im Verborgenen. Erst als der Entwurf des durch die Anrainer:innen beauftragten Architekten Paul Katzberger publik wurde, reagierte die Politik auf die immer lauter werdende Kritik der Fach-Community. Dass das zu einem Zeitpunkt passierte, als die Projektentwicklung mehr oder weniger abgeschlossen war, stößt Beteiligte verständlicherweise vor den Kopf. Ganz abgesehen von einer ordentlich organisierten, breit und öffentlich angelegten Fachdebatte, die der Platz inmitten des Unesco-Weltkulturerbes verdient hätte.

Ein solcher Dialog wäre nicht nur die Chance für eine vertiefte fachliche Auseinandersetzung mit der besonderen Aufgabenstellung am Michaelerplatz gewesen, sondern hätte im besten Fall auch wertvolle Beiträge für andere derartige Projekte geliefert. Denn bedenkt man das Voranschreiten des Klimawandels, so kann davon ausgegangen werden, dass sich das Problem schon bald an einem der zahlreichen weiteren baumfreien historischen Platzanlagen in der Wiener City wiederholen wird. Zumindest könnten einige Plätze, die bereits lange auf den Umbau-Wunschlisten stehen, schattenspendende Bäume vertragen, etwa der verkehrsumbrandete Schwarzenbergplatz oder der für den ruhenden Verkehr genutzte Hohe Markt.

Keine größeren Projekte vorgesehen in Wien

Was die Diskussion rund um die Umgestaltung des Michaelerplatzes jedenfalls deutlich gemacht hat, ist, dass man grundsätzliche fachliche Entscheidungen nicht sich selbst und schon gar nicht der Politik überlassen darf. Die Aussage der Planungsstadträtin Sima gegenüber der „Presse“ vor wenigen Tagen, es seien in der Wiener Innenstadt in dieser Legislaturperiode keine größeren Projekte mehr vorgesehen, trägt wenig zur Aufklärung bei.

Planer:innen, die bekanntlich gewohnt sind, in langen zeitlichen Horizonten zu denken, halten zu Recht an der Frage fest, wie die Stadt mit dem denkmalgeschützten historischen Bestand in Zeiten steigender Temperaturen umgehen wird – gerade in künftigen Legislaturperioden.

Spectrum, Fr., 2024.05.17

09. Februar 2024Stephanie Drlik
Spectrum

Novellen im Klimaschutz: Diese Bäume dürfen wachsen!

Viel zu billig konnten Immobilienentwickler in Österreich bisher Bäume fällen, doch das ist nun vorbei: Zwei Gesetzesnovellen sollen Bäume, das Klima und Grundbesitzer schützen – und finden fast einhellig Anklang.

Viel zu billig konnten Immobilienentwickler in Österreich bisher Bäume fällen, doch das ist nun vorbei: Zwei Gesetzesnovellen sollen Bäume, das Klima und Grundbesitzer schützen – und finden fast einhellig Anklang.

Der voranschreitende Klimawandel verlangt nach kühlendem Ausgleich für hitzegeplagte Städte – neben grünen Parkanlagen sind Bäume das effektivste Mittel der Wahl: Sie kühlen ihre Umgebung wie keine andere Pflanze und binden beachtliche Mengen an klimaschädlichem CO2. Doch die gewünschte Klimawirkung kommt nur dann zum Tragen, wenn der Baum gesund und vital eine gewisse Größe erreicht, nicht bis zur Unkenntlichkeit zurückgestutzt oder gar frühzeitig gefällt wird.

Um die richtigen Weichen zu stellen, hat die Wiener Stadtregierung nun ihr Baumschutzgesetz nachgeschärft. Beinahe zeitgleich und ebenfalls zugunsten des Schutzes und Erhalts unserer Bäume hat das Justizministerium auf Bundesebene einen Gesetzesentwurf zur Baumhaftungslösung in Begutachtung geschickt.

Im Gegensatz zu anderen Städten hatte Wien schon bisher ein strenges Baumschutzgesetz. Grundbesitzer:innen, egal ob Bauträger:innen oder Private, die ihren Baumbestand loswerden wollen, müssen sich das Vorhaben behördlich bewilligen lassen. Sofern der Baum nicht krank oder gefährdend ist, wird für jeden gefällten Baum eine Ersatzpflanzung vorgeschrieben; sofern aus Platzmangel nicht möglich, sind Ausgleichsabgaben zu leisten.

Der für Klimafragen und Bäume zuständige Wiener Stadtrat Jürgen Czernohorszky hat mit Amtsantritt 2020 eine große Baumoffensive angekündigt. Tatsächlich wachsen jährlich Tausende neue Bäume auf Wiens Straßen, Plätzen und in Parks. Verärgerung gibt es vonseiten der Wählerschaft nur, weil im Rahmen der Klimaoffensive an einem Ende der Stadt junge „coole“ Klimabäumchen gepflanzt und zeitgleich am anderen Ende klimawirksame Großgehölze bei Stadt- und Quartiersentwicklungen zu Hunderten gefällt werden.

Daher will der Stadtrat mit einer soeben in Kraft getretenen Novelle des Wiener Baumschutzgesetzes dafür sorgen, „dass mehr Bäume geschützt und weniger gefällt werden und die nachgepflanzten Bäume eine noch höhere Qualität haben“. Denn Bestandsbäume überleben größere Bauvorhaben auf dem Grundstück nur vereinzelt, und für Ersatzbäumchen gibt es zwischen den maximal dimensionierten Baukörpern auch nur bedingt Platz.

5000 Euro für jeden abgeholzten Baum

Der Baumbestand wurde den Immobilienentwickler:innen bisher viel zu billig zur Rodung überlassen. Schließlich konnten Fällungen mit Beträgen abgegolten werden, die in der Immo-Branche kaum der Rede wert sind. Mit dieser Praxis soll nun Schluss sein. Die Gesetzesnovelle schreibt Ersatzbaumpflanzungen mit größerem Stammumfang und Kronenvolumen vor, damit diese möglichst rasch klimawirksam werden. Eine angehobene Ausgleichsabgabe von 5000 Euro statt bisher 1090 Euro je gefällten Baum soll mehr zweckgebundenes Geld für den Baum- und Klimaschutz zur Verfügung stellen.

Auch sinnvoll scheint die nun eingeführte Möglichkeit, Ersatzpflanzungen nicht nur auf dem Grundstück oder im Bereich von 300 Metern unterbringen zu müssen, sondern auf freie Flächen im Bezirk zurückgreifen zu können. Schließlich macht ja auch der Klimawandel nicht an der Grundstücksgrenze halt. Gegen rechtswidriges Verhalten will die Stadt künftig noch schärfer vorgehen, etwa durch die Vorschreibung von Wiederherstellungsmaßnahmen und eine Erhöhung der Verwaltungsstrafen auf bis zu 70.000 Euro.

Die Frist, bis wann eine Ersatzpflanzung als erfüllt gilt, wird von fünf auf zehn Jahre ausgedehnt, wodurch der Bestand der Ersatzbäume länger gesichert werden soll und ein größeres Bemühen hinsichtlich Baumqualität, Anwuchspflege und Ausfallsnachpflanzungen erwartet werden kann.

Lob zur Novelle gab es von Baumfachleuten, aber auch vom pinken Koalitionspartner und den Grünen. Die geäußerte Skepsis der Bauträger:innen, insbesondere jener, die laufende Projektvorhaben abwickeln, war erwartbar. Sie stoßen sich daran, dass die Novelle rückwirkend mit Jänner in Kraft getreten ist und sie nun auf Basis der neuen Gesetzesgrundlage kalkulieren müssen. Das könnte Projektbudgets empfindlich belasten. Berechnet man beispielsweise die Ausgleichsabgabe für 50 gefällte Bestandsbäume, so kann sich im Wechsel zwischen alter und neuer Regelung eine Kostendifferenz von rund 200.000 Euro ergeben.

Zudem bleiben Fragen offen, die sich wohl erst in der angewandten Praxis klären lassen. Denn laut Novelle liegen manche Entscheidungen im „Ermessungsspielraum“ des zuständigen behördlichen Sachbearbeiters, der „nach örtlichen Gegebenheiten“ beurteilen kann.

Grundlos zurückgeschnitten

Die „Evaluierung der haftungsrechtlichen Sorgfaltsanforderungen bei der Kontrolle und Pflege von Bäumen und Wäldern“ ist Teil des türkis-grünen Regierungsprogramms. Auch wenn dieses im Wahljahr wohl nicht mehr allzu viel wert ist, hat sich die umsetzungszuständige Justizministerin Alma Zadić dennoch die Mühe gemacht und eine lange und mit Nachdruck geforderte Gesetzesnovelle zu den bundesweit gültigen Baumhaftungsbestimmungen vorgelegt, mitgetragen vom Koalitionspartner. „Überstrenge Haftungsregelungen führten bislang dazu, dass Bäume oft frühzeitig und ohne gewichtigen Grund zurückgeschnitten oder gar gefällt wurden“, so Zadić. Mit der Novelle sollen Bäume und ihre wichtige Klimafunktion nun besser geschützt werden.

Derzeit orientiert sich die Haftung für Bäume in Ermangelung einer eigenen gesetzlichen Regelung an jener der Gebäudehaftung. Diese sieht eine sogenannte Beweislastumkehr vor, wonach – anders als im Schadensersatzrecht – nicht der Geschädigte das sorgfaltswidrige Handeln des Baumbesitzers nachweisen muss. Vielmehr haben Baumeigentümer:innen im Schadensfall zu belegen, dass Kontrollen und Schnittmaßnahmen durchgeführt wurden. Besonders im stark frequentierten städtischen Bereich, in dem Stadtgartenämter für Zigtausende Bäume verantwortlich sind, wird daher vorsichtshalber eher zu viel als zu wenig geschnitten oder im Zweifel gefällt.

Die geplante Gesetzesnovelle, die noch bis 21. Februar in Begutachtung ist, sieht eine Aufhebung der umstrittenen Beweislastumkehr vor. Somit müssten künftig also Geschädigte die Verletzung der Sorgfaltspflichten beweisen. Zudem soll zwischen Bäumen in stark frequentierten Bereichen und solchen in abgelegeneren Gebieten unterschieden werden. Wälder sind nicht von der Gesetzesnovelle betroffen, für sie gelten die Regelungen des Forstgesetzes, das erst Ende 2023 hinsichtlich Klimafitness novelliert wurde.

Erstaunt haben bei den Vorlagen beider Gesetzesnovellen der fast einstimmige Zuspruch seitens der Fachwelt sowie der politische Konsens. So einig sind sich Parteien in Umwelt- und Klimafragen selten.

Spectrum, Fr., 2024.02.09

17. November 2023Stephanie Drlik
Spectrum

Supergrätzl: Wien sollte von Barcelona lernen

Barcelona zeigt mit seinen ­Superilles vor, wie Städte mehr Lebensraum für Bewohner:innen schaffen können. Grundlage ist Überzeugungskraft, die nicht ­immer politisch belohnt wird.

Barcelona zeigt mit seinen ­Superilles vor, wie Städte mehr Lebensraum für Bewohner:innen schaffen können. Grundlage ist Überzeugungskraft, die nicht ­immer politisch belohnt wird.

Wer derzeit Barcelona besucht, bekommt ein anschauliches Bild, was ­ambitionierte Stadttrans­formation im 21. Jahrhundert bedeuten kann. Bereits seit einigen Jahren werden in der spanischen Metropole die in Planerkreisen hochgelobten Superilles, international auch Superblocks genannt, umgesetzt. Das Prinzip ist denkbar einfach, aber äußerst wirkungsvoll: Innerhalb der für Barcelona typischen rasterförmigen Bebauungsstruktur schließt man Zufahrtsstraßen für den motorisierten Durchzugsverkehr ganz oder teilweise. So entstehen Straßen und Kreuzungen, die vor allem den Menschen und ihren Bedürfnissen zur Verfügung stehen: Bäume, Grünflächen, neue Sitzgelegenheiten und Spielgeräte – das alles soll die ­Lebensqualität der Bevölkerung in den Superilles verbessern.

Ausschlaggebend für die Entwicklung der Superblocks waren die zunehmend schlechte Luftqualität und klimawandelbedingte Hitzewellen. Gepaart mit fehlendem Grün- und Bewegungsraum, führte das in manchen Teilen zu massiven Problemen. Eines der ersten Transformationsgebiete war das weitläufige Viertel Eixample. „Der Plan der groß­flächigen Stadter­weiterung Eixample von Alfonso Cerda aus dem 19. Jahrhundert beruht auf einem strengen Rastersystem“, erklärt Jürgen Furchtlehner, wissen­schaftlicher Mitarbeiter am Institut für Landschaftsarchitektur (ILA) an der Boku Wien. „Auf die ursprünglich vorgesehenen Parkanlagen hat man bei der Umsetzung des Plans verzichtet.“ Stattdessen brauste der immer stärkere Stadtverkehr durch die Straßen des Viertels. Im Jahr 2015 wurde die links-grüne Politikerin Ada Colau mit dem Wahlversprechen „Lasst uns die Straßen mit Leben füllen!“ Bürgermeisterin und versuchte mit der Einführung der Superilles mehrere Probleme in den Griff zu bekommen: Verkehr, Gesundheit, ­Soziales und Klima.

„Kiezblocks“ in Berlin, „Supergrätzl“ in Wien

„Das ursprüngliche Konzept der Maßnahme umfasst ein Raster von drei mal drei Baublöcken mit reduziertem Pkw-Durchzugsverkehr“, weiß Furchtlehner, der sich mit seinem Team am ILA bereits seit einigen Jahren dem Thema der nutzungserweiterten Straßenräume widmet und unlängst mit Studierenden Barcelona besuchte. „Im Inneren der verkehrsberuhigten Blocks werden über 80 Prozent des Kfz-Verkehrs reduziert. Die oft befürchtete Verlagerung auf umliegende Straßen fällt moderat aus, denn das Verkehrsaufkommen verringert sich durch die Attraktivierung der Quartiere. Der Superblock schafft mehr Platz für Begrünung und Erholung, Sport oder Spiel.“

Die anfangs lediglich als temporäre Interventionen angelegten Superblocks werden seither kontinuierlich erweitert und nach und nach in das Stadtbild Barcelonas übernommen. Zudem wird das Konzept mittlerweile losgelöst vom ursprünglichen Rastersystem angewandt. Diese Anpassung an lokale Gegebenheiten macht die Übertragung auf andere Städte möglich, die kaum im strikten Blockmuster errichtet wurden. In Berlin etwa entstehen derzeit „Kiezblocks“, und Wien rief 2022 im zehnten Wiener Gemeindebezirk ein „Supergrätzl“ ins Leben. Favoriten ist einer der einkommensschwächsten und am dichtest bebauten Bezirke Wiens, die Bewohner:innen sind in Sachen Grünraumgerechtigkeit benachteiligt.

Keine Durchfahrt für Autos

Wohl ein entscheidender Grund, warum sich Planungsstadträtin Uli Simma und Bezirksvorsteher Marcus Franz, beide SPÖ, für den nicht ganz einfachen Standort zwischen Gudrunstraße, Leebgasse, Quellenstraße und Neilreichgasse als Pilotgebiet für die Umsetzung der Superblock-Idee entschieden haben. In einer Testphase wurden die Wünsche der Bewohner:innen einbezogen, unter Federführung des Studio LAUT Landschaftsarchitektur und urbane Transformation gemeinsam mit den Verkehrsplaner:innen von Rosinak & Partner wurde eine neue Verkehrsorganisation eingeführt. Begleitet durch farbliche Bodenmarkierungen und Gehsteigvorziehungen wurden sogenannte Modal- und Diagonalfilter errichtet, die seither Autofahrer:innen, jedoch nicht Radfahrer:innen an der Durchfahrt hindern. Vor der örtlichen Mittelschule Herzgasse wurde eine neue Fußgängerzone verordnet.

Durch all diese Maßnahmen entstand neuer, für Menschen und zur Klimakühlung nutzbarer Freiraum. Derzeit wird das tem­poräre Supergrätzl in eine dauerhafte Umsetzung geführt, Grundlage sind die Planungen des Wiener Büros EGKK Landschaftsarchitektur. Neben 62 neuen Baumpflanzungen sehen die Landschaftsarchitekt:innen zahlreiche kleine Grünflächen im Straßenraum und in Kreuzungsbereichen vor. Die erste Bauphase soll bereits im Herbst 2024 abgeschlossen sein.

Super-Welle schwappt über Europa

Die Kritik am Supergrätzl ist erstaunlich verhalten. Das verwundert, schließlich ist die Einschränkung von Autofahrer:innen ein hitzig diskutiertes Thema. Doch die Entlastung der Anrainer:innen überzeugt, dabei sehen diese dem Supergrätzl laut Berichten eher gleichmütig entgegen. Bleibt zu hoffen, dass die Favoritner:innen sich ihre Gelassenheit bewahren können. Denn ein schwerwiegender Kritikpunkt an dem Konzept ist die durchaus realistische Befürchtung, dass die gelungene Stadtraumaufwertung nicht nur die Lebensqualität, sondern auch die Immobilienpreise wird steigen lassen. Die Politik ist gefordert, sich gegen eine Verdrängung der ansässigen Bevölkerung stark zu machen. Bislang wird dieser Problematik wenig entgegengesetzt, es würden die Einflussmöglichkeiten fehlen.

So leichtfertig mit derart gravierenden Veränderungen umzugehen ist politisch ungeschickt. Dabei könnte man von Barcelona durchaus mehr als nur gelungene Stadttransformation lernen. Die für den Superblock verantwortliche Bürgermeisterin Colau wurde nach zwei Amtsperioden abgewählt. Das Sagen hat nun der sozialistische Jaume Collboni Cuadrado, der zwar die Superilles schon als Vizebürgermeister unterstützt hat, damit jedoch nicht auf Kurs mit seinem konservativen Koalitionspartner liegt. Ob der begonnene Weg in Barcelona fortgesetzt werden kann, bleibt ungewiss. Fest steht aber, dass die Super-Welle gerade über Europa schwappt und hoffentlich viele sinnvolle Entwicklungen anstoßen wird.

Spectrum, Fr., 2023.11.17

20. August 2023Stephanie Drlik
Spectrum

Wiens Grün ist ungerecht verteilt

Während man mühsam nachträglich Oberflächen begrünt, wird gleichzeitig bei Neubauten versiegelt, was das Zeug hält. Pflanzen findet man oft nur auf den dschungelartigen Projekt-Renderings, die helfen sollen, Wettbewerbe zu gewinnen.

Während man mühsam nachträglich Oberflächen begrünt, wird gleichzeitig bei Neubauten versiegelt, was das Zeug hält. Pflanzen findet man oft nur auf den dschungelartigen Projekt-Renderings, die helfen sollen, Wettbewerbe zu gewinnen.

Wien gilt als eine der grünsten Metropolen der Welt. Mehr als die Hälfte der Stadt besteht aus Parks, Wäldern und landwirtschaftlich genutzten Flächen. Doch das viele Grün ist alles andere als gerecht verteilt. Während die privilegierten westlichen Bezirke mit bis zu 70 Prozent ihrer Fläche über reichlich Grünräume verfügen, sind Bewohner:innen der innerstädtischen Bezirke mit teils nur zwei bis drei Prozent benachteiligt. „Das ist nicht nur ungerecht, sondern bereits heute ein ernst zu nehmendes gesellschaftliches Problem, das sich mit den Auswirkungen des Klimawandels zunehmend verstärkt“, so Daniela Lehner, Landschaftsarchitektin, Wissenschaftlerin an der Universität für Bodenkultur und Mitautorin der durch die Arbeiterkammer Wien beauftragten Studie „Grün­raumgerechtigkeit für eine resiliente Stadt“.

Um den gewünschten Mindestgrünflächenbedarf je Einwohner:in durchzusetzen, wurden im Wiener Fachkonzept Grün- und Freiraum des Stadtentwicklungsplans (Step 2025) Kennzahlen definiert. Damit hätte die Stadt ein grundsätzlich funktionales Instrument in der Hand, doch die Sache hat einen Haken. Die Kennzahlen sind rechtlich nicht bindend. Und gerade in der dicht bebauten Bestandsstadt können sie nicht durchgesetzt werden, weil freie Flächen rar sind.
Hilft eine Novelle der Bauordnung?

Derzeit werden Bäume und Beete nachträglich mit großem Aufwand an zahlreichen Stellen gepflanzt. Das ist wichtig, doch während man mühsam und kostenintensiv Oberflächen entsiegelt und begrünt, wird gleichzeitig bei Neubauten versiegelt, was das Zeug hält. Dabei würde gerade im Neu- und Umbau der größte Hebel liegen. Dort findet man Begrünung oftmals nur auf den dschungel­artigen Projekt-Renderings, die helfen sollen, Wettbewerbe zu gewinnen oder Bürger:innen von der Verbauung ihres Umfelds zu überzeugen.

„Grünraum im Wohnumfeld darf keine „Nice to have“-Maßnahme sein, die auf Freiwilligkeit beruht“, sagt Daniela Lehner. Aber wie kann Begrünung stärker als bisher rechtlich verankert werden? Aktuell bietet sich dafür die Novellierung der Wiener Bauordnung an. Es liegt ein Entwurf der Novelle vor, den Expert:innen zwar als Versuch der Stadt anerkennen, Boden und Bäume zu schützen und verstärkt Grünstrukturen bei Bauvorhaben einzufordern. Doch ein richtig großer Wurf wird die Bauordnungsnovelle in der vorliegenden Form wohl nicht werden.

Dabei gäbe es durchaus gangbare Vorschläge vonseiten der Wissenschaft. „Laut Wiener Bauordnung und dem Garagengesetz müssen bei Neu-, Zu- und Umbauten pro 100 Quadratmeter geschaffener Wohnnutzfläche mindestens 12,5 Quadratmeter für das Parken des Autos zur Verfügung gestellt werden. Für die Herstellung von Grünraum in Relation zur Wohnfläche gibt es jedoch bislang keine verpflichtenden Vorgaben. Hier müssen die Bauträger stärker in die Pflicht genommen werden“, fordert die Studienautorin und empfiehlt die Einführung einer Grünraumverordnung analog zum Stellplatzregulativ.

Wo die bauliche Umsetzung aufgrund fehlender Flächenressourcen nicht möglich ist, könnten zweckgebundene Ausgleichs­abgaben eingeführt werden. Das Schlupfloch der wirtschaftlichen Unzumutbarkeit, wie man es an mancher Stelle in der Bauordnung findet, sollte dabei keine Anwendung finden. Schließlich werden durch bauliche Maßnahmen betriebswirtschaftliche Werte für Bauträger:innen geschaffen. Hingegen fallen für Kommunen durch Verdichtung und Versiegelung Kosten an, auf denen die budgetär ohnehin notorisch schwächelnden Bezirke ­bislang sitzen bleiben. Die Grünraum­verordnung wäre ein Interessenausgleich, sofern die gewonnenen Mittel zur Grünraumschaffung im Umfeld eingesetzt werden. So könnten nicht nur Bäume und Grünflächen am oder vor dem Bauplatz errichtet und Fassaden und Dächer begrünt, sondern auch nahegelegene Brachflächen angekauft und in grüne Erholungsräume verwandelt werden. Auch neuer Grünraum auf stadteigenen Flächen könnte geschaffen beziehungsweise könnten bestehende Parks aufgewertet werden.

„Wir haben im Rahmen der Studie vertiefend das Wiener Westbahnviertel untersucht. Das Areal entlang der Westbahntrasse im Bereich des 15. Bezirks ist nicht nur in höchstem Maße oberflächenversiegelt und dicht bebaut, die schlechte Grünraumversorgung betrifft dort vor allem die vulnerablen und sozial benachteiligten Bevölker­ungsgruppen“, be­richtet die Boku-­Forscherin. Mit der Grünraum­verordnung könnten etwa ungenutzte Bahnflächen auf dem ÖBB Westbahn­areal durch die Stadt angekauft und als Freiraum gesichert und aufgewertet werden. Eine Maßnahme, die über das Gebiet hinaus Wirkung hätte, da es sich dabei um Teile der stadtklimatologisch bedeutsamen westlichen Frischluftschneise handelt.
Und was ist mit den Straßen?

Auch Straßen bieten Potenzialflächen für mehr Grünraum. Im Westbahnviertel macht der Straßenraum im Schnitt beachtliche 41 Prozent der Fläche aus, im südlichen Teil des Viertels steht nur ein einziger einsamer Straßenbaum. Doch Straßen, Gehsteige und Plätze werden vorwiegend als Verkehrsraum ­behandelt und über die Straßenverkehrs­ordnung (StVO) geregelt. Man kann sich vorstellen, dass die Begrünung dabei eine untergeordnete Rolle spielt. Ist das der Grund, warum Straßen und Plätze in Wien bislang zu wenig Grün aufweisen? „Ohne Widmung können nur schwer Qualitätsstandards hinsichtlich Begrünung, Ausgestaltung und Aufenthaltsqualitäten definiert und stadtweit eingefordert werden. Die Schaffung einer Widmungskategorie Öffentlicher Raum, die mit der Herstellung und Erhaltung neuer Qualitäten einhergeht, könnte viel bewirken“, so Lehner.

Neben der unzulänglichen Debatte, ob naturräumlich hochwertige Stadtentwicklungsgebiete wie das Donaufeld oder Rothneusiedl vor dem Hintergrund des Klima­wan­dels überhaupt bauwirtschaftlich verwertet werden sollten, besteht wohl auch für den Umgang mit der Bestandsstadt reichlich Diskussionsbedarf. Verbesserungsvorschläge gäbe es genug.

Spectrum, So., 2023.08.20

23. Mai 2023Stephanie Drlik
Spectrum

Ein Ortskern in Niederösterreich: Belebt und klimafit

Ohne es zu beabsichtigen, wurde das niederösterreichische Lanzenkirchen durch eine Ortskernentwicklung zur Pioniergemeinde in Sachen Klimafitness. Der Grund waren Verzögerungen, die das Bewusstsein für Klimawandelanpassung gestärkt haben.

Ohne es zu beabsichtigen, wurde das niederösterreichische Lanzenkirchen durch eine Ortskernentwicklung zur Pioniergemeinde in Sachen Klimafitness. Der Grund waren Verzögerungen, die das Bewusstsein für Klimawandelanpassung gestärkt haben.

Es ist eine traurige Entwicklung, von der viele Gemeinden bereits seit Jahrzehnten betroffen sind: dem Sterben der Ortskerne. Zeitweise scheint das Problem in der öffentlichen Wahrnehmung in den Hintergrund zu rücken, doch mit der gestiegenen Aufmerksamkeit für Klimathemen erfährt auch die Materie der Ortskernbelebung wieder mehr Beachtung. Der Zusammenhang liegt auf der Hand: Der sogenannte Donut-Effekt tritt in Städten und Gemeinden dann ein, wenn sich die Funktionen der täglichen Versorgung vom Ortskern an die Peripherie und das Wohnen aus dem Zentrum in Einfamilienhaussiedlungen an den Stadtrand verlagern. Diese Entwicklung hat einen enormen Flächenfraß und ein erhöhtes Verkehrsaufkommen zur Folge – beides extrem klimaschädlich. Nun kommt seit einigen Jahren ein weiterer Aspekt hinzu: die Klimawandelanpassung.

Wenn Gemeinden Maßnahmen zur Aufwertung der Ortskerne setzen, geschieht dies meist, um diese wirtschaftlich zu beleben. Man will Geschäfte und soziales Leben zurück in die Zentren bringen, wofür es eine entsprechend funktionale und ansprechende Gestaltung braucht. „Um aber nachhaltige Aufenthaltsqualitäten zu schaffen, muss die Anpassung an den Klimawandel berücksichtigt werden“, erklärt Pia Knappitsch, Geschäftsführerin des 2020 ins Leben gerufenen Vereins Klima Konkret.

Schließlich ist die steigende Hitze längst nicht mehr nur in Großstädten ein Thema, der Wandel ist auch in kleineren Orten deutlich spürbar. Die Gemeindepolitik ist gefordert zu handeln, doch das geht derzeit viel zu langsam. „Für Gemeinden ist es noch nicht die oberste Priorität, den Ortskern klimafit zu machen“, teilt Knappitsch ihre Erfahrungen. Die Aufgabe einer entsprechenden Planung ist komplex, weil unterschiedliche Fachbereiche zusammengeführt werden müssen.
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Wie gelingt die Transformation?

„Für Gemeinden kann das eine Überforderung darstellen, die oft zum Stillstand führt“, so Pia Knappitsch. Klima Konkret hat daher einen Klimafahrplan in Form einer Faltkarte für Gemeinden erarbeitet, die exemplarisch und anschaulich Maßnahmen aus den Bereichen Grün- und Freiraum, Architektur und Mobilität zeigt. Parallel dazu bietet die Initiative Beratungsworkshops für interessierte Städte und Gemeinden an, die nicht wissen, wie und wo der Transformationsprozess gestartet werden kann.

Der von Vertreter:innen unterschiedlicher planungsrelevanter Fachbereiche initiierte Verein unterstützt ergänzend zu vorhandenen Programmen wie etwa dem österreichweiten Anpassungsnetzwerk KLAR! oder den Klima- und Energie-Modellregionen (KEM). Klima Konkret zielt auf die Übertragung bereichsübergreifender Maßnahmen in Masterpläne ab. „Wir möchten hier eine Schnittstelle schaffen, die Gemeinden mit kompetenten Planer:innen zusammenbringt. Es gibt viele Schrauben, an denen wir zusammen drehen müssen. Nur der richtige, für jede Gemeinde individuell zu erarbeitende Maßnahmenmix führt zu positiven Synergieeffekten“, weiß Daniel Zimmermann, Mit-Initiator von Klima Konkret und Inhaber des auf Klimaplanung spezialisierten Büros 3:0 Landschaftsarchitektur.

Jedenfalls auf die richtigen Maßnahmen hat die niederösterreichische Gemeinde Lanzenkirchen im Bezirk Wiener Neustadt-Land gesetzt. In der rund 4000 Einwohner starken Gemeinde gab es den Wunsch, mehr Leben in einen Ortskern zu bringen, den es räumlich eigentlich nicht gab – das Gemeindeleben spielte sich entlang einer wenig einladenden Straße ab. Durch den bevorstehenden Abriss von alten Gebäuden hatte sich die Chance einer groß angelegten Neustrukturierung des Zentrums ergeben – die Klimawandelanpassung war ursprünglich kein Thema gewesen.

Nach einem von 3:0 Landschaftsarchitektur gewonnenen Wettbewerb zur Ortskernentwicklung 2014 ist erst einmal lange gar nichts passiert. „Es gab bürokratische Hürden, die Verzögerungen waren aber im Nachhinein betrachtet ein Glück. Denn in diesen Jahren konnten sowohl wir im Büro als auch die Gemeinde wichtige Erfahrungen in Sachen Klimawandelanpassung sammeln, die in das Projekt eingeflossen sind. Das Klimathema ist zudem stärker ins Bewusstsein der Gemeinde gerückt, schließlich hatte Lanzenkirchen immer wieder mit den Folgen von Starkregenereignissen zu kämpfen“, so der Landschaftsarchitekt.

Beete ersetzen versiegelte Flächen

Die Versiegelung im Zentrum hat nicht nur die steigenden Temperaturen befeuert, sondern bei intensiven Regenfällen auch die Abwasserinfrastruktur überlastet. Bevor der Erneuerungsprozess endgültig startete, hat 3:0 daher das ursprüngliche Wettbewerbskonzept überarbeitet und in einen funktional und gestalterisch stimmigen Entwurf gegossen, der bis 2020 umgesetzt wurde.

Dem neu errichteten Gemeindezentrum wurde ein zentraler Platz mit attraktivem Brunnen vorgelagert. Die zur Beschattung eingebrachten Ulmen und Silberlinden wurden in Schwammstadtbauweise eingerichtet; die klimaresistenten Baumarten haben reichlich Platz für das Entfalten ihrer Wurzeln und für den Rückhalt von Regenwasser erhalten. Dieses System stärkt die Gehölze, die durch die großen Wurzelräume und die gute Wasserversorgung alterungsfähig und rascher klimawirksam werden. Zudem wurden versiegelte Oberflächen durch großzügig dimensionierte und üppig bepflanzte Beete ersetzt, über die auch Regenwasser in das Schwammstadtsystem eingespeist wird.

Das Zentrum von Lanzenkirchen wird heute sowohl im Alltag der Menschen als auch bei Veranstaltungen genutzt – im vergangenen Sommer wurde der neue Hauptplatz auch an heißen Tagen dank schattenspendender Bäume, kühlender Beete und des belebenden Brunnens gut angenommen. Und, so berichtet der Landschaftsarchitekt, seit dem Umbau wurde schon durch einige Starkregenereignisse bewiesen, dass die Schwammstadt funktioniert.

Auf die Frage, was aus seiner Sicht das größte Hemmnis für Gemeinden ist, meint der erfahrene Planer: „Lanzenkirchen hat Pioniergeist bewiesen und sich aus eigener Kraft für die nächsten Jahrzehnte gerüstet. Doch nicht jede Gemeinde ist für eine solch ganzheitliche Transformation wirtschaftlich ausgestattet. Hier sind umfangreichere ökonomische Hilfestellungen notwendig, damit sich auch finanzschwächere Gemeinden vorbereiten können.“

Bund und Länder sind gefordert, denn für Klimaanpassung gibt es enormen Finanzierungsbedarf. Studien belegen indes klar, dass die Behebung von Folgeschäden jedenfalls teurer kommen wird. Schlauer wäre es also, öffentliche Gelder in Millionenhöhe künftig in die vorsorgende Aufwertung unserer Ortskerne zu investieren – statt in die nachträgliche Schadensbehebung.

Spectrum, Di., 2023.05.23



verknüpfte Bauwerke
Klimafittes Ortszentrum Lanzenkirchen

27. März 2023Stephanie Drlik
Spectrum

Mariahilf und Neubau: Machen wir unser Grätzl klimafit

Unsere Lebensqualität hängt stark davon ab, wie grün die Städte sind. In den Wiener Bezirken Mariahilf und Neubau startet das Projekt Grätzltransformer: Bewohner und Eigentümer investieren in Maßnahmen zu vereinbarten Klimazielen. Werden diese erreicht, kommt es zur Rückzahlung – plus Zinsen.

Unsere Lebensqualität hängt stark davon ab, wie grün die Städte sind. In den Wiener Bezirken Mariahilf und Neubau startet das Projekt Grätzltransformer: Bewohner und Eigentümer investieren in Maßnahmen zu vereinbarten Klimazielen. Werden diese erreicht, kommt es zur Rückzahlung – plus Zinsen.

Der Klimawandel wird für Österreich sehr teuer. Das Überschreiten der EU-Klimaziele wird den Staat laut Prognosen des Rechnungshofes aus dem Jahr 2021 rund neun Milliarden Euro an Kompensationszahlungen kosten – Geld, das besser in Projekten zu Klimaschutz oder Klimawandelanpassung angelegt wäre, da diese nicht nur Strafzahlungen obsolet machen, sondern auch die Klimafolgen abschwächen könnten. Die Klimakrise verursacht gigantische Folgekosten, die vom Rechnungshof mit jährlich rund einer Milliarde Euro beziffert werden. Während die Klimapolitik nach wie vor keine klaren Ansagen macht und schon von erwartbaren 2°C-plus-Szenarien die Rede ist, betont der Weltklimarat IPCC in seinem soeben veröffentlichten Synthesebericht die Bedeutung von Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel.

Eine dieser Maßnahmen ist die Begrünung von Städten: Pflanzen kühlen ihre Umgebung und binden CO2, zudem sind Begrünungsmaßnahmen recht unkompliziert und mit überschaubaren Mitteln umsetzbar. Dennoch nimmt die grüne Transformation unserer Städte nur langsam Fahrt auf. Besonders in der Bestandsstadt scheint der grüne Umbau ein kaum zu stemmender Kraftakt. „Strukturelle, organisatorische und rechtliche Hindernisse geben sich in der Praxis die Hand“, weiß Doris Schnepf von Green4Cities, einem Planungsbüro, das sich auf die Forschung, Entwicklung und Umsetzung klimawirksamer grüner Infrastruktur in Städten spezialisiert hat. Natürlich sind auch die Kosten ein allgegenwärtiges Problem, doch sollten gerade Investitionskosten kein Hindernis darstellen. Zumal es vonseiten der Wissenschaft klare Aussagen gibt: Nichthandeln ist immer die teuerste Variante, Folgeschäden sind langfristig wesentlich kostspieliger.

Investitionen in den Ausbau grüner Infrastruktur rechnen sich daher, jedenfalls volkswirtschaftlich, denn die zahlreichen positiven Effekte vermeiden Klimafolgekosten auf unterschiedlichen Ebenen. Doch das Problem, das Freiraumprojekte seit jeher begleitet, ist: Die positiven Effekte von Grün bilden sich monetär nicht dort ab, wo die Errichtungs- und Erhaltungskosten anfallen.

CO2-Bepreisung als Schlüssel

Begrünungsmaßnahmen im öffentlichen Raum werden derzeit gerne aus EU-Sonderfördertöpfen teilfinanziert, einen Teil trägt die Stadt. In Wien werden etwa über das Förderprogramm „Lebenswerte Klimamusterstadt“ bis 2025 jährlich 20 Millionen Euro an grüne Infrastrukturprojekte vergeben. Die Grünraumoffensive sieht bis 2025 mehrere Hunderttausend Quadratmeter neuer Parkflächen und 25.000 neue Stadtbäume vor. Das ist erfreulich, doch punkto Kosten ist die Sache damit noch nicht erledigt. Denn die eigentliche Belastung der kommunalen Haushaltsbudgets sind nicht die Herstellungskosten, sondern jener der Pflege- und Erhaltung – diese machen über den Lebenszyklus der Grünanlage gerechnet den größeren Teil aus. Handelt es sich um Grün im öffentlichen Raum, trifft diese Kosten die Stadtgartenämter. Dass die ohnehin notorisch knappen Haushaltsbudgets der Kommunen die Finanzierung der Klimatransformation nicht werden stemmen können, scheint offensichtlich. Wer soll das also bezahlen?

Mit dem Green Deal und der Einführung der EU-Taxonomie wurden neue Green-Finance-Systeme angestoßen, die uns auch bei der grünen Transformation der Städte helfen können. Die Bundespolitik verfügt über zahlreiche Steuerungsinstrumente, allen voran ein klimaschutzorientiertes Steuer- und Subventionssystem. Österreich hat bereits im Oktober 2022, als Kernstück der ökosozialen Steuerreform, die CO2-Bepreisung eingeführt, um die Kosten klimaschädlichen Verhaltens an die Verursacher weiterzugeben. Die CO2-Bepreisung gilt als einer der wesentlichen Schlüssel zur Klimawende, denn der Staat hat damit auch die Möglichkeit, aus Teilen der Einnahmen Investitionen zur Abwendung der Klimakrise zu finanzieren. Zudem zeigt die Kurswende der EU erste Wirkungen. Ein Drittel der 1,8 Billionen Euro schweren Investitionen aus dem Aufbauplan „Next Generation EU“ und dem siebenjährigen Haushalt der EU dienen der Finanzierung des Green Deals und somit auch nationalen Klimainvestitionen.

In Wirkungen investieren

„Bei der Stadtbegrünung auf Quartiersebene gilt es vor allem Private und Liegenschaftseigentümer:innen mit ins Boot zu holen“, so Doris Schnepf von Green4Cities. Schließlich besteht eine Stadt bei Weitem nicht nur aus öffentlichen Flächen, sondern ist ein kleinteiliges Stückwerk mit unterschiedlichen Besitzverhältnissen und vielfältigen behördlichen Zuständigkeiten. „Um die daraus entstehenden Hürden zu überwinden, müssen wir neue Planungs- und Finanzierungskonzepte standardisieren, die liegenschafts- und sogar quartiersübergreifend wirken sowie die Energiewirtschaft und Mobilitätsplanung einbeziehen. Gemeinsam mit Partnern haben wir daher das Konzept des Grätzltransformers entwickelt“, berichtet die Forscherin.

Dabei handelt es sich um ein organisatorisches Instrument der Entwicklungsplanung, bei dem möglichst viele Bürger:innen und Liegenschaftseigentümer:innen eingebunden werden, um ihr eigenes Grätzl in nur wenigen Jahren klimafit zu machen. Grundlage dafür sind neue Finanzierungsinstrumente wie etwa Environmental Impact Bonds. „Anders als bei herkömmlichen Anleihen stellen Investor:innen Geld für die Umsetzung von Klimamaßnahmen zur Erreichung bestimmter, vertraglich vereinbarter Wirkungen zur Verfügung. Werden diese nachweislich erreicht, kommt es zur Rückzahlung, einschließlich Zinsen.“

Die silo- und liegenschaftsübergreifende Wirkung ist dabei der Schlüssel, denn nur so können Synergien entstehen, und nur so bekommen die Wirkungserreichung- und Payback-Modelle überhaupt erst den nötigen Hebel. „Statt in bauliche Umsetzungen wird in Wirkungen investiert. Das zu finanzierende Ziel ist also nicht etwa die Anzahl von gepflanzten Bäumen, sondern die Erreichung der Reduktion der Temperatur – beispielsweise um gefühlte zehn Grad. Und das funktioniert natürlich nur liegenschaftsübergreifend“, erklärt Doris Schnepf das Konzept, das gerade für Private und auch für weniger finanzstarke Eigentümer:innen eine interessante Option darstellen könnte.

Für den Grätzltransformer, der in einem Pilotgebiet in den Wiener Gemeindebezirken Mariahilf und Neubau gestartet werden soll, gilt es freilich erst ausreichend Beteiligte zu überzeugen, um den beschriebenen Ansatz zu erfüllen. Doch das sollte bei dem verlockenden Kernanreiz kein Problem sein: ertragreich in eine klimataugliche Zukunft mit hoher Lebensqualität im eigenen Grätzl zu investieren.

Spectrum, Mo., 2023.03.27

06. Dezember 2022Stephanie Drlik
Spectrum

Im Klimarat wird nur diskutiert

Die deutschen Landschaftsarchitekten fordern eine Klimapolitik, die Innovationen in der Stadtentwicklung und grüne Infrastruktur fördert. Hierorts werden Fachvertreter in klimarelevanten Gremien nicht einmal berücksichtigt.

Die deutschen Landschaftsarchitekten fordern eine Klimapolitik, die Innovationen in der Stadtentwicklung und grüne Infrastruktur fördert. Hierorts werden Fachvertreter in klimarelevanten Gremien nicht einmal berücksichtigt.

Die deutsche Bundesregierung hat beachtliche Maßnahmen für Klimaanpassung und -schutz in Aussicht gestellt: So wurden ein neues Klimaanpassungsgesetz sowie eine nationale -strategie, das Aktionsprogramm „Natürlicher Klimaschutz“ und eine Reform des Baurechts angekündigt. Dies gab den Anlass für den Bund Deutscher Landschaftsarchitekt:innen (BDLA), mit „Essentials zur Klimaanpassung“ den wichtigen Beitrag der Landschaftsarchitektur zur Klimalösung aufzuzeigen und 20 konkrete Empfehlungen an die Bundesregierung zu richten. Gefordert wird eine zukunftsfähige Klimapolitik, die Innovationen in der Stadt- und Landschaftsentwicklung und grüne Infrastruktur fördert. Schließlich geht es um wichtige Aufgaben wie den Bau kühler und wassersensibler Städte oder die Umsetzung von „Nature-based Solutions“ als natürlichem Klimaschutz.

Der Landschaftsarchitektur fehlt es oft an rechtsverbindlichen Reglements, Normen und Orientierungswerten, weshalb der BDLA klimawirksame Planungsinstrumente wie Klima- und Freiraumchecks, verpflichtende Freiraumentwicklungskonzepte und gesetzliche Rahmen fordert. In Deutschland findet das Strategiepapier Beachtung, schließlich ist die Disziplin mit ihren Klimalösungen längst anerkannt, ebenso wie die unabhängige und einflussreiche Fachvertretung BDLA. In Österreich tut sich die Landschaftsarchitektur schwerer. Das Fach hat in den letzten Jahren zwar an Wertschätzung gewonnen, doch die gesetzlichen Vertretungen der freiberuflichen Planungsbüros, also die Kammer der Ziviltechniker:innen und die Wirtschaftskammer, treten – wenn überhaupt – nur zurückhaltend für die Branche ein. Und dem heimischen Pendant zum deutschen BDLA, der Österreichischen Gesellschaft für Landschaftsarchitektur (ÖGLA), fehlt es an Mitteln. Zwar wird die Organisation von einem Großteil der in Österreich tätigen Landschaftsarchitekt:innen ideologisch und finanziell unterstützt, doch schon aufgrund der überschaubaren Größe des heimischen Marktes ist diese Basisfinanzierung begrenzt. Die Aufgaben der ÖGLA als Berufsvertretung müssen somit überwiegend ehrenamtlich gestemmt werden.

Wien als klimaresiliente Stadt?

Die Folge dieser Situation ist, dass die Landschaftsarchitektur nicht nur viel zu leise im sonst recht lauten Getöse der Baukultur- und Klimadebatte bleibt: Expert:innen sind kaum in strategischen oder wissenschaftlichen Gremien und Fachbeiräten vertreten, was sich früher oder später negativ auf unsere krisengeplagten Lebenswelten auswirken wird, schließlich spielt es eine wesentliche Rolle, wer in Beiräten sitzt. Fehlt die landschaftsarchitektonische Kompetenz in den Gremien, fehlt sie früher oder später in der gebauten Realität. Österreich hat bereits 2012 ein strategisches Konzept zur Klimawandelanpassung mit einem umfassenden Aktionsplan zur Umsetzung konkreter Handlungsempfehlungen veröffentlicht. Für 2023 sieht das zuständige Ministerium für Klimaschutz eine Überarbeitung vor. Für das Aktivitätsfeld „Stadt – Urbane Frei- und Grünräume“ wurde bereits eine große Gruppe von Expert:innen eingebunden – Berufsvertreter:innen der inhaltlich zuständigen Landschaftsarchitektur waren nicht dabei. Die grüne, klimaresiliente Stadt ist das erklärte Ziel – warum das umfassende Fachnetzwerk der ÖGLA bei der Überarbeitung nicht zurate gezogen wurde, ist nicht bekannt. Auf Intervention des Verbandes konnte zumindest nachträglich zur allgemeinen Thematik schriftlich Stellung genommen werden.

Im Bundesministerium für Kunst und Kultur ist das wichtige Thema der Baukultur angesiedelt. Man leistet sich einen Beirat, der Politik und Verwaltung berät. „Dabei ist der Raum zwischen den Gebäuden ebenso wichtig wie die Architektur. Und gerade mit der Thematik des Klimawandels ist es zunehmend von Bedeutung, den zuständigen Kompetenzbereich Landschaftsarchitektur einzubinden“, so Robert Temel, Sprecher der Plattform Baukulturpolitik und eines von 28 Mitgliedern des Beirats. Die Ziviltechnikerkammer hat drei Sitze, die sie an die Fachbereiche Architektur, Raumplanung und Bauingenieurwesen vergibt. Warum die Kammer gerade die für die Baukultur des 21. Jahrhunderts so wesentliche Landschaftsarchitektur vergessen hat? „Der Beirat Baukultur wurde 2008 gegründet, damals hat man einfach zu wenig darüber nachgedacht, welche Disziplinen vertreten sein müssen. Die Plattform Baukulturpolitik setzt sich aber bereits dafür ein, dass die Zusammensetzung angepasst wird“, lenkt Temel ein. Schließlich geht es um nichts Geringeres als die Verankerung der fachlichen Anliegen auf allen politischen Ebenen und in Dienststellen der Verwaltung.

Fehlende Durchsetzungskraft

Die Wiener Stadtpolitik möchte die Stadt künftig mit reichlich grüner Infrastruktur ausstatten, um für Klimaextreme gerüstet zu sein. Wie dies sowie andere Fragen zum Klimawandel strategisch angegangen werden sollen, diskutiert man im Wiener Klimarat, dem rund 40 Vertreter:innen aus Wissenschaft, Politik, Verwaltung, Praxis, Interessensvertretungen, NGOs und Zivilgesellschaft angehören – Fachvertreter:innen der Landschaftsarchitektur sind nicht darunter.

Simon Tschannett, Stadtklimatologe und Vorsitzender des wissenschaftlichen Advisory Board des Klimarats, lobt die Ambitionen der Stadt, nicht nur Klimaschutz, sondern auch die Anpassung an klimatische Veränderungen zu thematisieren: „Natürlich muss dadurch die Gruppe der Beteiligten entsprechend erweitert werden. Die Landschaftsarchitektur sollte im nächsten Turnus jedenfalls einen Platz bekommen. Aufgrund des Status quo gibt es in vielen Gremien und Beiräten bei Besetzungen bestimmte Zuordnungen.“ Doch vor dem Hintergrund, dass die Klimakrise eine Jahrhundertaufgabe und der Beitrag von Disziplinen wie der Landschaftsarchitektur oder der Stadtklimatologie essenziell ist, sollte man bisherige Vergabeschlüssel überdenken. Dass sich die geänderten Rahmenbedingungen auch in der Zusammensetzung der Beiräte widerspiegeln müssen, davon ist der Klimaexperte überzeugt.

„Die Zahl der in Österreich freiberuflich tätigen Landschaftsarchitekt:innen ist im internationalen Vergleich noch immer relativ klein“, erklärt Landschaftsarchitektin und ÖGLA-Präsidentin Anna Detzlhofer. Was vermutlich – auch – ein Grund für die fehlende Durchsetzungskraft in der Klimapolitik ist. Doch die Fachstimme wird zunehmend lauter, hat die Disziplin doch Wichtiges zur Lösung der Klimakrise, zur natur- und landschaftsverträglichen Energiewende und zum Einbremsen des Artensterbens beizutragen. „Im weiten ÖGLA-Netzwerk sind die nötigen Kompetenzen vorhanden – wir stehen bereit“, bietet Detzlhofer an. Bleibt zu hoffen, dass dieses Angebot künftig angenommen wird.

Spectrum, Di., 2022.12.06

28. September 2022Stephanie Drlik
Spectrum

Wie hässlich wird die Energiewende?

Eine Novelle zum Gesetz zu Umweltverträglichkeitsprüfungen, die Österreichs Energiewende beschleunigen soll, droht diese auszubremsen. Dazu gefährdet sie Umwelt und Landschaft. Wiederholen sich die Fehler von vor 40 Jahren?

Eine Novelle zum Gesetz zu Umweltverträglichkeitsprüfungen, die Österreichs Energiewende beschleunigen soll, droht diese auszubremsen. Dazu gefährdet sie Umwelt und Landschaft. Wiederholen sich die Fehler von vor 40 Jahren?

Der Klimaschutz fordert schon lange, was die Energiekrise nun beschleunigt: raus aus Kohle und Gas, rein in die Energiewende. Doch Österreich ist ein landschaftlich klein strukturiertes Land: Da es hierzulande unmöglich ist, Hunderte Hektar große Energielandschaften in menschenleeren Gegenden zu errichten, ist die Wende ein Stückwerk. Die Vorhaben müssen in Umweltverträglichkeitsprüfungen (UVP) oder naturschutzrechtlichen Bewilligungsverfahren begutachtet werden – ein Aufwand, der sich freilich lohnt. Denn Energieanlagen greifen teils erheblich in die Natur ein und können Tiere, Pflanzen, die Luftqualität und natürlich das Landschaftsbild beeinträchtigen, obwohl diese rechtlich gesehen Schutzgüter des Gebiets- und Artenschutzes sind. So kommt es, dass geplante Energiegewinnungsanlagen zwar für den Klimaschutz gut sind, jedoch Anliegen des Umwelt-, Natur- oder Landschaftsschutzes gefährden können. Ein Schutzgut wirkt also gegen andere Schutzgüter, Gut gegen Gut – ein Dilemma.

Solche Patt-Stellungen können in UVP-Verfahren zum Stillstand führen, vor allem wenn sich Fronten zwischen Klima- und Naturschutz verhärten. Umwelt-, Klima- und Energieministerin Leonore Gewessler versucht dieses Problem nun durch eine Novelle zum geltenden UVP-Gesetz zu lösen. Doch der Entwurf ist unter Expert:innen höchst umstritten. Die vermeintlich gut gemeinten Erleichterungen für die Energieindustrie sind nicht nur rechtlich fragwürdig. „Wir unterstützen die angestrebten Ziele zur Energiewende, doch die Neuerungen stellen aus unserer Sicht keine Verfahrensbeschleunigung dar“, so Paul Kuncio, Rechtsexperte des Umweltdachverbands, der besonders vor einer pauschalierten Priorisierung von Energieprojekten warnt.

Ein in der Novelle geplantes „Fast-Track-Verfahren für Windkraftanlagen“ hebelt die Widmungshoheit der Gemeinden als auch die Landesraumordnungen aus. „Das würde die Flächen jener Bundesländer, die über keine Energieraumplanung verfügen, ohne jegliche fachliche Prüfung über Nacht zu potenziellen Ausbauflächen machen“, erklärt der Umweltrechtsexperte.

Freikauf durch Ausgleichszahlungen

Fachleute sehen darin nicht nur massive Umweltrisiken, auch soziale Konflikte wären vorprogrammiert. Es besteht die Gefahr, dass künftig neben Bürgerinitiativen ebenso die Standortgemeinden als Projektgegner auftreten. „Solche Allianzen der Gegnerschaft führen wohl eher zu einer Verhärtung der Fronten als zu einer Verfahrensbeschleunigung“, meint Thomas Knoll, Ordnungsplaner und Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Landschaftsarchitektur. Sollte hier jemand für die Windkraft lobbyiert haben, war das wohl ein Schuss ins eigene Knie, denn Rechtsunsicherheiten können zu jahrelangen höchstgerichtlichen Verfahren führen. Der Umweltdachverband kritisiert zudem die geplante Verschiebung von verpflichtenden Ausgleichsmaßnahmen in nachgelagerte Verfahren. Bisher mussten Energieprojekte, die Schutzgüter beeinträchtigen, Ausgleichsmaßnahmen als Genehmigungskriterium vorlegen – das ist nun nicht mehr erforderlich. Ob angekündigte Maßnahmen dieser Art im Nachhinein vollumfänglich erfolgen werden, ist fraglich. Zudem besteht nun die Möglichkeit, sich durch Ausgleichszahlungen freizukaufen. Für Energieunternehmen wohl die leichtere Übung, für den Umweltschutz ein Verlust.

Auf Unverständnis stößt ferner die geplante Neuregelung, wonach wesentliche Änderungen bei bereits genehmigten Vorhaben ohne weitere Bewilligungen unter dem Deckmantel der technologischen Weiterentwicklung vorgenommen werden können. In der Praxis könnte das bedeuten, dass etwa Windräder mit Rotorspitzenhöhen von 200 Metern genehmigt, jedoch solche mit 300 Metern ohne ausreichende Beurteilung der Umweltauswirkungen errichtet werden. Diese entsprechen zwar dem Letztstand der Technik, landschaftsräumlich wären sie jedoch unverhältnismäßig. Von einer Selbstregulierung der Energiebetreiber:innen ist nicht auszugehen, die Möglichkeiten werden deutlich ausgereizt.

Punkto Freiflächen-Fotovoltaik hat man im Klimaministerium die Einführung einer UVP-Pflicht verabsäumt, auch für Großanlagen, die Auswirkungen auf Landschaft, Boden und Biodiversität haben. Für die Sicherstellung einer naturverträglichen Energiewende, die auf größtmögliche Akzeptanz in der Bevölkerung stößt, wäre das wichtig gewesen. „Solche Fehler tun der Energiewende nicht gut, sie werden die Umsetzung verlangsamen und Gegenbewegungen fördern“, sagt der in Energieraumplanung erfahrene Thomas Knoll. „Klare Schwellenwerte und eine behördliche Überprüfung helfen den Vorhaben. Auch die öffentliche Debatte macht Projekte besser.“ Doch Letztere wurde an mehreren Stellen der Novelle ausgehebelt.

Rechtliche Ungereimtheiten

Das bedauert auch Paul Kuncio vom Umweltdachverband: „Natürlich dauern Einsprüche seine Zeit, aber die Wissenschaft hat belegt, dass Bürgerbeteiligungsverfahren und Beschwerde-Einsprüche nicht die maßgeblichen Verfahrensverzögerer sind.“ Hier dürfte es anderswo haken, etwa in langen Vorverfahren oder aufgrund von Personalmangel bei den Behörden.

Alles in allem steht zu befürchten, dass die als verfahrensbeschleunigend initiierte Novelle die Verfahren aufgrund rechtlicher und inhaltlicher Ungereimtheiten eher verlangsamen und negative Entwicklungen für die Umwelt zur Folge haben wird. Die lange Vorbereitungszeit des Novellierungsentwurfs lässt darauf schließen, dass die politische Kompromissfindung schwierig war. Der koalitionäre Verhandlungsspielraum dürfte gering, die Umsetzung des Novellenentwurfs daher wahrscheinlich sein.

Können Fehlentwicklungen abgefangen werden? „Die strategische Umweltprüfung (SUP), die den UVP-Verfahren vorgelagert ist, könnte eine wichtigere Rolle als bisher einnehmen. Mehr Rechtsverbindlichkeit der SUP und ihre Stärkung hinsichtlich des Landschaftsbilds, des Bodenschutzes und der sozialen Akzeptanz könnten hilfreich sein“, so Kuncio. Und natürlich wäre die lang geforderte Aufstockung der personellen Ressourcen in Behörden und Verwaltungsgerichten und der Sachverständigen ein Turbo für die Energiewende.

Übrigens: Als in Österreich in den 1980er-Jahren die Wasserkraft ausgebaut werden sollte, wurden ähnliche Fehler gemacht. Durch die Regelung des „bevorzugten Wasserbaus“ konnten Energieträger Kraftwerke ohne Vorab-Bewilligung errichten. Die damaligen Widerstände gegen ein geplantes Donaukraftwerk führten zur Besetzung der Hainburger Au und zur Gründung der grünen Bewegung. Schade, dass es gerade eine grüne Umweltministerin ist, die Fehler der Vergangenheit wiederholt.

Spectrum, Mi., 2022.09.28

22. Juli 2022Stephanie Drlik
Spectrum

Was kühlt die Stadt?

Grün, grüner, am grünsten müssen unsere Städte werden, um sich vor den Folgen des Klimawandels zu wappnen. Doch ist wirklich alles gut, was gut gemeint ist? In Wien stehen Nebelduschen immer wieder in der Kritik des Greenwashing, und auch eine bepflanzte Fassade hält nicht immer, was sie verspricht.

Grün, grüner, am grünsten müssen unsere Städte werden, um sich vor den Folgen des Klimawandels zu wappnen. Doch ist wirklich alles gut, was gut gemeint ist? In Wien stehen Nebelduschen immer wieder in der Kritik des Greenwashing, und auch eine bepflanzte Fassade hält nicht immer, was sie verspricht.

Eines der ersten EU-Länder, das ein Konzept zur Klimawandelanpassung veröffentlichte, war Österreich. Das war 2012, zu einer Zeit, als man sich noch gerne auf ein Klimaszenario ausgeredet hat, in dem die globale Erwärmung in den Griff bekommen wird. Heute, zehn Jahre später, inmitten einer europaweiten Hitzewelle, wissen wir: Klimawandelauswirkungen werden sich weiter verstärken, und wir müssen etwas tun. Im Fokus stehen dabei Stadträume, dort leben und arbeiten die meisten Menschen; zudem sind Städte besonders hitzegefährdet. Durch den hohen Anteil an versiegelten Oberflächen kommt es zu einem Wärmeverstärkungsphänomen, dem Hitzeinseleffekt, unter dem Menschen zunehmend leiden. Doch gerade der Hitze kann in Städten auf einfache, effektive Weise begegnet werden: durch Pflanzen. Diese sind nicht nur höchst klimawirksam, sie sind auch sehr beliebt.

Green sells, nicht nur bei Architekturwettbewerben, wo dschungelartige Renderings Siege einfahren; wenn Bewohner:innen Mitsprache erhalten, wünschen sie sich Grün, Grün und noch mehr Grün. Daher erscheinen Begrünungsmaßnahmen als gute Strategie. Doch ist wirklich alles gut, was derzeit grünt? Und ist das auch klimawirksam? In Wien tut sich einiges in Sachen Klimawandelanpassung. Neue Parks entstehen, Bäume werden gepflanzt und Straßen zu grünen Aufenthaltsräumen. Leider steigt auch der PR-getriebene Coolnessfaktor Wiens. Coole Straßen, coole Meilen und Coolspots stehen immer wieder in der Kritik des Greenwashing, da Vernebelungsanlagen zum Einsatz kommen, aber nicht nachhaltig wirken.

Bei der Entwicklung von klimafitten Stadträumen arbeiten Planer:innen mit diversen Anpassungsmaßnahmen, jede verfolgt andere Strategien. Bäume sind etwa richtige Klimawunder, sie wandeln das böse CO2 in wichtigen Sauerstoff um und kühlen durch Verdunstung und Beschattung. Leider braucht ein Baum rund 15 Jahre, bis er seine volle Klimawirksamkeit entfalten kann. Nebelduschen sind Sofortmaßnahmen, die während Hitzeperioden rasch Abhilfe schaffen; sie ersetzen aber freilich keinen Baum.

Frische Luft vom Stadtrand

Mit großen stadträumlichen Maßnahmen dreht man punkto Klima an den größten Schrauben. Naherholungsgebiete am Stadtrand oder Parkanlagen wirken wie natürliche Klimaanlagen, Frischluftschneisen transportieren die kühle Luft in den Stadtraum. Bestehende Raumschneisen, wie jene im Westen Wiens, die Frischluft vom Wienerwald bis in die inneren Bezirke bringt, sind von windbremsender Verbauung freizuhalten. Auch bei der Konzeption neuer Stadtteile spielen Windströme eine wichtige Rolle. Expert:innen modellieren daher heute bereits vor Quartiersentwicklungen, ob Baukörper richtig ausgerichtet und Bäume und grüne Infrastrukturen an den richtigen Stellen eingesetzt werden. Grundsätzlich gilt: Je größer eine Grünfläche, desto klimawirksamer ist sie. Ein mehrere Hektar umfassender Park mit hohem Grünanteil wirkt stärker als ein kleiner Beserlpark. Bei grünen Infrastrukturen kommt die Additivität zu tragen. So kann ein einzelnes Gründach nur punktuell kühlen, hingegen leisten Hunderte Gründächer innerhalb eines Grätzels einen wesentlichen Beitrag.

Apropos Gründächer: Auch Gebäudebegrünungen wird ob des Aufwands für Produktion, Pflege und Erhaltung sowie Bewässerungsbedarf immer wieder Greenwashing attestiert. Solche Aussagen sind jedoch problematisch, denn es gibt sehr unterschiedliche Methoden; Gründächer kommen bereits seit Jahrzehnten zum Einsatz. Es gibt gut erprobte Systeme, die den gleichen Pflegeaufwand haben wie andere Pflanzen. Im Klimawandel spielen Gründächer eine enorm wichtige Rolle, auch was die Speicherung von Regenwasser und die Nutzbarmachung von Flächenressourcen betrifft. Mittlerweile sind sogar Solaranlagen mit Gründächern kombinierbar. Das führt zu einer enormen Effizienzsteigerung von bislang ungenutzten Dachflächen. Fassadenbegrünungen hingegen bedürfen einer genaueren Betrachtung. Hier unterscheidet man bodengebundene von fassadenintegrierten Systemen. Ranker, deren Fuß im natürlichen Boden steht, und die an Fassaden oder Gerüsten wachsen, sind ebenso nachhaltig wie andere Bepflanzungen. Methoden, die Vegetation in fassadenintegrierten Trögen oder Matten an das Gebäude bringen, sind aber hinsichtlich ihrer Ökokreisläufe instabiler. Gerät eine Komponente, etwa die Bewässerung, ins Ungleichgewicht, kommt es zu Ausfällen. Die Pflanze würde von allein kaum an der Fassade wachsen, daher ist der Aufwand punkto Herstellung und Pflege hoch.

Keine Frage des Entweder-oder

Je natürlicher und selbstversorgender Ökosysteme funktionieren, desto positiver ist die Klimabilanz. Ein umfassendes Impact Assessment bezieht nicht nur die positiven Effekte der Bepflanzung ein, sie stellt diese dem Aufwand der Herstellung, Pflege und Erhaltung gegenüber. In dieser Rechnung schlagen herkömmliche Grünräume jede hoch technisierte grüne Infrastruktur – noch, denn die Forschung läuft auf Hochtouren, vielversprechende technische Lösungen entstehen. Und das ist gut so, denn wir werden sie brauchen.

Die Debatte um Greenwashing von Begrünungsmaßnahmen führt dabei oft auf die falsche Fährte, denn schließlich ist es längst keine Frage des Entweder-oder mehr. Städte zu begrünen, was das Zeug hält, das ist das Gebot der Stunde – besonders vor dem Hintergrund, dass Pflanzen längst nicht nur Kühlfunktionen erfüllen. Die soziale Komponente, aber auch der Artenschutz sind zumindest gleichbedeutend.

Bedenkt man, dass nicht nur die Herstellungskosten der notwendigen Begrünungsmaßnahmen, sondern auch die höheren Pflege- und Erhaltungskosten gedeckt werden müssen, fragt man sich, wie die knappen Haushaltsbudgets der Kommunen das finanzieren sollen. Dazu eine klare Aussage der Wissenschaft: Investitionen in Ökosystemleistungen rechnen sich im Klimawandel. Bei den Kosten für Anpassungsmaßnahmen gilt genau wie beim Klimaschutz, dass Nichthandeln immer die teuerste Variante ist, denn Folgekosten durch spätere Schäden sind langfristig wesentlich höher. Zudem werden künftig auch private Investor:innen eine größere Rolle spielen. Der „European Green Deal“ zeigt Wirkung und stößt neue Green-Finance-Systeme an. Um Kapital für klimawirksame Investitionen zu beschaffen, können etwa Green Bonds, grüne Anleihen, ausgegeben werden. Was als klimawirksam gilt, legt die EU-Taxonomie fest. Dass das nicht friktionsfrei ist, zeigt die Fehlentscheidung, Energie aus Atomkraft und Erdgas als „grün“ einzustufen.

Spectrum, Fr., 2022.07.22

20. Mai 2022Stephanie Drlik
Spectrum

Das Wiener Cottage-Viertel: Wie ein einziger Garten

150 Jahre Cottage-Viertel in Währing und Döbling: Dem einstigen Traum vom gesunden Wohnen verdanken wir eine der nobelsten und grünsten Wohngegenden Wiens – doch ist das Konzept noch zeitgemäß?

150 Jahre Cottage-Viertel in Währing und Döbling: Dem einstigen Traum vom gesunden Wohnen verdanken wir eine der nobelsten und grünsten Wohngegenden Wiens – doch ist das Konzept noch zeitgemäß?

Freie Aussicht, (. . .) Licht und Genuss frischer Luft sowie keine Dünste oder üble Gerüche (. . .) Lärm oder mögliche Feuergefahr.“ Mit dem einstigen Slogan des Wiener Cottage-Vereins würden Immobilienmakler heute Traumliegenschaften wie jene des Währinger und Döblinger Cottage vermutlich nicht mehr bewerben. Dabei haben sich die Rahmenbedingungen kaum geändert. Das ist zu einem Teil dem Gründerverein geschuldet, der heuer sein 150-jähriges Bestehen feiert.

Das Einfamilienhaus mit großem Garten in Grünruhelage am Stadtrand mag für unser heutiges stadtplanerisches Werteverständnis nicht mehr zeitgemäß sein. Zumal die Villen der „Kotteesch“, wie das Nobelviertel bei Eingesessenen heißt, für viele unerschwinglich sind. Doch geht das Cottage-Viertel auf ein ambitioniertes Sozialprojekt zurück, das die Verbesserung der Lebensbedingungen der Mittelschicht verfolgte. Die Gründerväter, allen voran der Wiener Architekt Heinrich von Ferstel, suchten im ausklingenden 19. Jahrhundert eine Alternative zu den Wohnungen in Zinskasernen in der von Industrie geprägten Großstadt Wien. Die Innovation lag in der städtebaulichen Idee der Gartenstadt. Ein ganzes Viertel sollte nach dem Leitgedanken des gesunden und leistbaren Wohnens für Familien in Eigentumshäusern mit offener Bauweise, Garten und grüner Umgebung geschaffen werden. Vor allem aber war die Herangehensweise hierzulande gänzlich neu, denn die private Quartiersentwicklung erfolgte über einen gemeinnützigen Errichtungsverein: den Wiener Cottage-Verein.

Der Verein konstituierte sich 1872, und Ferstel formulierte gemeinsam mit einigen einflussreichen Mitstreitern die Rahmenbedingungen für die städtebauliche Entwicklung eines Cottage. Man erwarb einen Baugrund in Währing, und bereits zwischen 1873 und 1875 entstanden die ersten 50 Familienhäuser mit Wohn- und Wirtschaftsräumen samt Garten. Der Verein fungierte als Bauträger für die Planerstellung, Hauserrichtung, Gartengestaltung bis zur Finanzierung. In den Anfangsjahren beherrschte die vereinseigene Baukanzlei unter der Leitung von Chefarchitekt Carl Ritter von Borkowski das allgemeine Baugeschehen.

Die Quartiersentwicklung kam gut an, und schon bald mussten weitere Grundstücke erworben werden, die ab 1890 zur Ausdehnung des Cottage in Richtung Döbling führten. Zur Absicherung der homogenen, nach den Prinzipien des Cottage-Vereins vorgegebenen Gestaltung wurde im Grundbuch auf allen Liegenschaften eine Servitut eingetragen. Diese für Käufer verpflichtende Dienstbarkeit stellte die gewünschte offene und lockere Bauweise und Durchgrünung der Parzellen sicher. Das Cottage wurde zunehmend für den gehobenen Mittelstand und das Großbürgertum attraktiv. Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Wissenschaft, Kunst und Kultur stellten jedoch höhere Ansprüche an Wohnen und Repräsentation, und so wurden die Bautätigkeiten in den meisten Fällen nicht mehr über die Cottage-Baukanzlei abgewickelt. Die ursprünglich schlicht gehaltenen Landhäuser im Cottage wuchsen zu teils beachtlichen frei stehenden Villen an. Daneben entstanden größere Mietvillen sowie ein Sport-/Eislaufplatz mit Klubhaus für die Allgemeinheit. Borkowski beschrieb das Cottage als einen „einzigen Garten, der von kreuzenden Straßen in große Beete geteilt wird“, denn das grüne Areal wurde schachbrettartig parzelliert. Ein typisches Charakteristikum des Cottage ist die straßenseitige Platzierung der Gebäude auf dem Grundstück, sodass die Gärten der einzelnen Parzellen zu großen Gartenkomplexen zusammenwuchsen. Auf den Baufeldern entstanden so großzügige Landschaften, die Häuserfronten waren mit Vorgärten ausgestattet. Die Gartengestaltungen folgten anfangs dem Stil des englischen Landschaftsgartens, überwiegend aus der Feder der Baukanzlei. Vereinzelt wurden aber auch renommierte Gartenarchitekten engagiert, wie etwa Carl Gustav Swensson, der damals mit der Gestaltung des Türkenschanzparks beschäftigt war, dessen Schaffung auf das Engagement einzelner Mitglieder des Cottage-Vereins zurückgeht.

Ebenso wie die Architektur der Bauwerke hat sich die Gartenarchitektur im Laufe der Jahrzehnte gewandelt. Im 20. Jahrhundert setzte eine moderne architektonische Formensprache ein: Gärten wurden als Teil der Gebäudearchitektur mit formal geführten Wegen und Beeten gestaltet. Nach dem Ersten Weltkrieg folgte eine Weiterentwicklung im Stil des neuen Hausgartens, der funktionaler und weniger architektonisch geplant war. Bekannte Vertreter der damaligen Landschaftsarchitektur wie etwa Gartenarchitekt Albert Esch waren tätig; einige Anlagen sind bis heute erhalten.

Der 150 Jahre alte Wiener Cottage-Verein hatte einst wichtige Aufgaben – doch was ist heute? Als Errichtungsverein kann man längst nicht mehr fungieren, die Grenzen des Cottage-Viertels sind festgeschrieben, und das Gebiet wurde bereits vor Jahrzehnten als Ensemble-Schutzzone gewidmet. Trotzdem gibt es einiges zu tun. Gerade die noch immer bestehenden wichtigen Servituten-Rechte sorgen immer wieder für Konfliktpotenzial. Wo die Schutzinstanzen der Stadt Wien nicht greifen, sind es oft die privatrechtlichen Cottage-Servituten, die Bauvorhaben auf zivilrechtlicher Basis einschränken können. Hier gilt es, besonders auf den Schutz der Grünräume zu achten, die von einigen Immobilienentwicklern oder Eigentümer:innen nur zu gern als Potenzialflächen gesehen werden. Doch der Verein bleibt unermüdlich tätig und versucht, den Cottage-Charakter und die heute so wichtigen ökologischen und mikroklimatischen Funktionen zu wahren.

Waren früher alle Grundstücksbesitzer:innen verpflichtend Mitglieder im Verein, so zählt man heute lediglich 200, was bei mehreren Tausend Cottage-Bewohner:innen bescheiden anmutet. Damit jene sich als Gemeinschaft verstehen, braucht es einen aktiven Verein, der alles zusammenhält. Diesem Anspruch scheint man gerade im Jubiläumsjahr nachkommen zu wollen. Neben der jüngsten Publikation, „Das Wiener Cottage – Der Traum vom gesunden Wohnen“ (Manz), darf man sich im Juni auf ein Fachsymposium mit Festveranstaltung und eine Freiluft-Fotoausstellung an den Zäunen des Türkenschanzparks freuen.

Spectrum, Fr., 2022.05.20

22. April 2022Stephanie Drlik
Spectrum

Da wird nicht nur gegartelt

Der österreichische Landschaftsarchitektur-Preis wird ausgelobt, um studentische Leistungen zu würdigen. Das ist wichtig. Aber wo bleibt die Auszeichnung abgeschlossener Projekte? Eine Aufforderung.

Der österreichische Landschaftsarchitektur-Preis wird ausgelobt, um studentische Leistungen zu würdigen. Das ist wichtig. Aber wo bleibt die Auszeichnung abgeschlossener Projekte? Eine Aufforderung.

Seit vielen Jahren ist der Landschaftsarchitektur-Preis LAP fixer Bestandteil der heimischen Szene. Die Auslobung soll nicht nur Studierende und Jungabsolvent:innen der Landschaftsarchitektur und -planung animieren, ihr Können und ihre Kreativität auszuprobieren, sie ist auch ein gutes Sprungbrett. Nicht selten erhalten Preisträger:innen Jobangebote von interessierten Planungsbüros. 2021 sollte die in den Pandemiejahren gewachsene Wertschätzung gegenüber Grün- und Freiräumen einen kreativen Anstoß geben und junge Kolleg:innen animieren, neue und selbstbewusste Perspektiven zu entwickeln. Die Ausloberin des LAP 2021, die Österreichische Gesellschaft für Landschaftsarchitektur (ÖGLA), forderte daher auf, das bislang meist eng geschnürte Korsett aus Einschränkungen und begrenzten Möglichkeiten abzulegen und freiräumliche Maßlosigkeit zu praktizieren. „Größer, grüner, heller, weiter, vielfältiger, bunter, sozialer, breiter, offener und für alle“, so der Ausschreibungstext.

Insgesamt wurden 45 Projekte aus Österreich, Deutschland und der Schweiz eingereicht und von einem internationalen Fachgremium unter Vorsitz der Wiener Landschaftsarchitektin Anna Detzlhofer bewertet. Die Gesamtheit der Arbeiten zeigt eine vielfältige inhaltliche Auseinandersetzung mit der Maßlosigkeit auf unterschiedlichen Maßstabsebenen. Die Arbeiten lassen erfreuliche Schlüsse auf ein bewusstes Selbstverständnis der Disziplin und ihre Bedeutung für Zukunftsfragen zu.

Als Siegerprojekt ging der Entwurf von David Biegl (Boku) hervor. Er lässt in seinem Beitrag aus einer erhöht geführten Stadtautobahn in Rom, der Tangenziale Est, kurzerhand einen üppig bepflanzten Park wachsen. Aus einem Un-Ort für Menschen wird ein grüner Aufenthaltsraum, der rad- und fußläufig die großen Grünräume Roms verbindet. Ganz dem Auslobungsthema entsprechend, verleiht ein strahlend goldener Anstrich der aufgeständerten Autobahn einen skulpturalen, monumentalen Charakter. „Die alte Maßlosigkeit eines Zweckbaus wird mit der neu interpretierten Maßlosigkeit einer grünen Infrastruktur überschrieben. ,Oben‘ wird ein Sehnsuchtsraum geschaffen, der nicht den Anspruch erhebt im ,Unten‘ die Welt zu verbessern“, so der Jurykommentar zu dem gelungenen Entwurf.

Lob für das Storytelling

Das zweitplatzierte Projekt, „Tanja braucht deine Hilfe“, von Moritz Blüml und Djordje Ilic (Boku) zeigt Superheldin Tanja, die über diverse Kommunikationskanäle eine wichtige Message vermittelt: Planer:innen müssen sich selbstbestimmt, mutig und maßlos für den Freiraum einsetzen. Bei diesem aktivistischen Vorhaben lobte die Jury insbesondere das Storytelling und den innovativen Zugang der Vermittlung. Platz drei belegte Michael Tulio Bühler (FH Ostschweiz) mit seinem Beitrag „Kanton Rösti“, in dem er durch verschobene Grenzlinien der Schweiz einen progressiven Musterkanton entstehen lässt, der Klimaziele locker erreicht, Migrant:innen aufnimmt und mit Ressourcenknappheit umzugehen weiß.

Studierendenwettbewerbe dieser Art sind enorm wichtig, um Nachwuchstalente im Fachbereich zu fördern. Ebenso wichtig wäre aber auch die Anerkennung von hochwertigen realisierten Projekten der Landschaftsarchitektur Büros am Standort Österreich. Denn hierzulande gibt es aktuell keine Auszeichnungen für Landschaftsarchitektur, die über den Gartenhorizont hinausgeht. Bei etablierten Architekturpreisen wie dem Holzbaupreis, dem Bauherrenpreis oder dem österreichischen Staatspreis Architektur und Nachhaltigkeit könnte die Landschaftsarchitektur aufgrund ihrer nachhaltigen Arbeitsmaterie eine bedeutende Rolle spielen. Doch dort werden ihre Leistungen nach wie vor als fachplanerisches Beiwerk der Architektur gewertet – eigenständige freiräumliche Planungsleistungen bleiben unterrepräsentiert. Schaut man über die Grenzen Österreichs, gestaltet sich die Situation anders. Allein in Deutschland werden mehrere große Preise im Fachbereich vergeben, allen voran der „Deutsche Landschaftsarchitektur-Preis“, der alle zwei Jahre Freiraum-Highlights vor den feierlichen Vorhang holt und das hohe Niveau präsentiert, auf dem in dem Land gearbeitet wird. Auch der noch junge „Bundespreis Stadtgrün“, bei dem der Zusammenhang zwischen Planung, Gestaltung und positiven Klimaeffekten von Stadtgrün prämiert wird, erfüllt seine Zwecke und belohnt gelungene Vorzeigeprojekte mit öffentlicher Aufmerksamkeit. Denn diese Auszeichnungen gehen selbstverständlich mit der entsprechenden Medienpräsenz einher.

Komplexere Aufgaben

„Österreich als Kulturnation hat leider noch immer Aufholbedarf, wenn es um die Würdigung kultureller Kräfte geht“, meint Landschaftsarchitektin Maria Auböck, die als Präsidentin der Zentralvereinigung der Architekt:innen auch die Abwicklung des renommierten Bauherrenpreises verantwortet. Doch Auböck sieht das Fehlen von Landschaftsarchitektur-Preisen als hausgemacht. Schließlich musste sich die Architektenschaft ihre Auszeichnungen einst auch „selbst stricken“. Der Bauherrenpreis etwa entstand unter der Federführung von Hans Hollein und Franz Kiener im Jahr 1967, erzählt Präsidentin Auböck. Es wäre daher die ÖGLA gefordert, als Berufsvertretung der in Österreich tätigen Landschaftsarchitekt:innen diesbezüglich aktiv zu werden.

Der Ruf nach einer regelmäßigen und institutionalisierten Anerkennung des heimischen Landschaftsarchitektur-Schaffens wird jedenfalls lauter. „Sowohl der Vorstand als auch aktive Mitglieder der Organisation sind mehr als bereit“, berichtet ÖGLA-Vereinspräsident Thomas Knoll. Schließlich gab es einstmals schon einen ÖGLA-Preis, doch dieser ist, ebenso wie kleinere Gartenbewerbe anderer Vereine, im Laufe der Jahre wieder von der Bildfläche verschwunden. Und das gilt es zu vermeiden: „Die Aufgaben der Landschaftsarchitektur sind in den letzten Jahren komplexer geworden und längst über das Gartenthema hinausgewachsen. Ein Award, der dieses Tätigkeitsspektrum abfragen und bewerten kann, braucht starke Partner – Ministerien, Bundes- und Landesorganisationen oder Kommunen –, die für die nötige Kontinuität einer derartigen Aufgabe sorgen“, fordert Knoll und zieht die öffentliche Hand in die Pflicht. Schließlich geht es nicht nur um die Wertschätzung hochwertiger Leistungen der Planungsbüros, sondern auch darum, die Wichtigkeit der Landschaftsarchitektur für Österreichs Zukunft abzubilden.

Eine präsente und gestärkte Disziplin, die zur Lösung diverser aktueller Krisen und zur nachhaltigen Entwicklung des Landes beiträgt, sollte auch im Interesse des Bundes, der Länder, Städte und Gemeinden sein. Von der positiven Wirkung einer Auszeichnung würde das Fach, aber auch die Gesellschaft profitieren.

Spectrum, Fr., 2022.04.22

10. März 2022Stephanie Drlik
Spectrum

Wie das Wasser nach Wien reist

Es war eine technische Meisterleistung: Die I. Wiener Hochquellenleitung wurde 1869 bis 1873 errichtet und stellt bis heute Wiens Versorgung sicher. Eine Ausstellung dokumentiert nun die dafür gebauten "Wasserschlösser".

Es war eine technische Meisterleistung: Die I. Wiener Hochquellenleitung wurde 1869 bis 1873 errichtet und stellt bis heute Wiens Versorgung sicher. Eine Ausstellung dokumentiert nun die dafür gebauten "Wasserschlösser".

Eines der kostbarsten Güter dieser Erde ist das Trinkwasser.“ Mit diesen Worten beginnt die Festschrift zur 100-Jahr-Feier der I. Wiener Hochquellenleitung im Jahr 1973. Nun ist das Zitat des damals amtsführenden Stadtrats Kurt Heller beinahe 50 Jahre alt, doch vor dem Hintergrund des Klimawandels sind seine Worte treffender denn je. Weltweit gibt es eine Verknappung des Trinkwassers, und auch die Alpenländer könnten durch die Gletscherschmelze von einer besonders raschen Dynamik mit Auswirkungen auf den Wasserkreislauf betroffen sein. Was für ein Privileg der Wiener:innen: Kaum eine Großstadt ist in der Lage, ihre Bewohner:innen mit derart hochwertigem Quellwasser zu versorgen. Bestes Trinkwasser, das wir nach wie vor in den allermeisten Fällen als Nutzwasser unsere Wiener Toiletten hinunterspülen – ein kaum diskutierter Missstand. Der Veränderungswille ist überschaubar, fließt doch Nachschub aus dem Rax-Schneeberg-Massiv scheinbar nie enden wollend in unsere Leitungen. Dafür haben die Konstrukteure der I. Wiener Hochquellenleitung gesorgt.

Das Vorhaben war, damals wie heute betrachtet, eine technische Meisterleistung. Die Wasserleitung wurde in nur vier Jahren 1869 bis 1873 von Bauunternehmer Anton Gabrielli aus London errichtet. In den 1960er-Jahren kam es zur Verlängerung der Leitung über den Schneealpenstollen bis in die Steiermark und zur Einspeisung einiger weiterer Quellen in diesem Gebiet; die letzte Erweiterung fand im Jahr 1988 statt. Neben der Erschließung der Quellen und den Grabungen der Stollen war eine der großen Herausforderungen, das Wasser im freien Gefälle bis nach Wien zu leiten. Schließlich geht die Landschaft eigenwillig bergauf und bergab und wahrlich nicht im optimalen Fließwinkel. So mussten neben der Leitung zahlreiche Aquädukte zur Talquerung sowie Pump- beziehungsweise Schöpfstationen errichtet werden. Die im Endausbau rund 112 Kilometer lange Wasserleitung ist nach beinahe 150 Jahren bis heute in Funktion. Sie hat einen jährlichen Durchfluss von etwa 62 Millionen Kubikmeter Wasser und deckt damit grob die Hälfte des Wiener Bedarfs.

Von Steinbauten zu Betonfertigteilen

Begleitet wird der Weg des Wassers entlang der Hochquellenleitung von einigen teils außergewöhnlichen wasserbaulichen Anlagen. Es handelt sich um Bauwerke mit unterschiedlichen Funktionen: Wasserschlösser zur Quellfassung, Zumesskammern zur Messung des Wasserzulaufs, Einstiegstürme und Wartungszugänge für die Techniker:innen der zuständigen Magistratsabteilung, Aquädukte, Pump- und Schöpfwerke zur Überwindung von Höhensprüngen, Rückhalteanlagen zur Reduzierung von Druckunterschieden sowie Wasserreservoirs, in denen das Wasser auf die Weiterleitung wartet. Die jeweilige Bauphase der Quellenleitung – vom 19. Jahrhundert bis in die späten 1980er-Jahre – spiegelt sich in der Architektur der Häuschen wider. So finden sich historische Steinbauten ebenso wie zeitgenössische Kubaturen mit Betonfertigteilen. Im Gebirge wurden die Betriebsanlagen teils in das Bergmassiv integriert, was in der wilden Naturlandschaft ein romantisierendes Bild entstehen lässt.

Die Architekturen werden von Felsen, Wiesen und Vegetation bedeckt, als wäre der technische Eingriff eine Wunde in der Landschaft, die langsam verheilt. An manchen Stellen fließt das Quellwasser frei an der Oberfläche, andernorts liegt die Wasserleitung im Verborgenen, und nur die wie Fremdkörper in der Landschaft wirkenden Funktionsbauten zeugen vom Eingriff in die Natur. Dennoch: Der Einbau erfolgte behutsam – eine sensible Vorgehensweise, die wir uns heute bei so manch technischem Landschaftseingriff wünschen würden. Man denke an die landschaftsbasierte Energiewende, bei der immer wieder unter der Prämisse des Klimaschutzes auf Kosten anderer Schutzgüter, allen voran des Landschaftsbilds, agiert wird. Das spannende Setting der teils unter Denkmalschutz stehenden Bauwerke der I. Wiener Hochquellenleitung war für den Wiener Fotografen Johannes Hloch Anlass, sich auf fotografische Weise mit den Architekturen der Hochquellenleitung zu beschäftigen. Hloch studierte Landschaftsplanung und -architektur und wandte sich nach seinem Abschluss der Fotografie zu. 2009 legte er die Meisterprüfung ab und arbeitet seither als freier Fotograf. Bei seinen Landschaftsaufnahmen ist stets auch der planerische Hintergrund zu spüren – Perspektiven wählt er so, dass Geometrien, Formen und Räumlichkeiten herausgearbeitet und Bezüge zur Landschaft hergestellt werden.

Verzicht auf Filter und Retuschen

Aus der dokumentarischen Auseinandersetzung mit der I. Wiener Hochquellenleitung entstand Hlochs Serie der „Wasserschlösser“, benannt nach der wasserbaulichen Anlage im Reisstal am Endpunkt des Schneealpenstollens. Der Titel könnte passender nicht sein, denn die abgebildeten Bauwerke haben trotz ihrer meist überschaubaren Größe allesamt etwas Monumentales, etwas Stolzes. Selbst wenn es sich nur um kleine Einstiegstürme handelt, die Häuschen scheinen die technische Bedeutung und Wichtigkeit der Hochquellenleitung für unsere Gesellschaft repräsentieren zu wollen. Bei den Wasserschlössern der Hochquellenleitung treten anstelle der sonst bei Schlössern üblichen prunkvollen Park- und Gartenanlagen die Natur- und Kulturlandschaften hervor.

Die Fotografien bilden nicht nur Bauwerke unterschiedlicher Epochen ab, sie dokumentieren auch die atemberaubende Vielseitigkeit der österreichischen Landschaft im Verlauf der 112 Streckenkilometer. Zurückhaltend und unaufgeregt sind die Bilder dank des dokumentarischen Ansatzes, schließlich will Hloch zeigen, was ist. Ein ehrliches Abbild zu erschaffen, indem auf Filter oder Retuschen verzichtet wird, denn das würde, so Hloch, die ursprüngliche Wahrheit verfälschen und entfremden – der dokumentarische Wert würde leiden. Bei solch einem wissenschaftlichen Zugang ist es schon fast erstaunlich, wie gefühlvoll die Fotografien inszeniert und farblich komponiert sind. Die ästhetische Bildsprache berührt und lässt beinahe vergessen, dass es sich bei den Motiven um technische Funktionsbauten handelt.

Die Österreichische Gesellschaft für Landschaftsarchitektur zeigt Johannes Hlochs Serie „Wasserschlösser – Architekturen der I. Wiener Hochquellenleitung“ derzeit im Rahmen des Festivals „Foto Wien“. Die Ausstellung findet in Kooperation mit der Stadt Wien in der Planungswerkstatt am Friedrich-Schmidt-Platz statt; die Bilder sind für die Öffentlichkeit von 10. bis 24. März, dienstags bis freitags Nachmittag, zugänglich. Detaillierte Informationen gibt es unter www.hausderlandschaft.at oder auf der Foto-Wien-Festivalseite.

Spectrum, Do., 2022.03.10

03. Januar 2022Stephanie Drlik
Spectrum

New Yorks „Little Island“: Mut zum Maßlosen

Betrachtet man die Landschaftsarchitektur, stellen sich punkto Klimakrise grundsätzliche Fragen: Buntere, prächtigere, üppigere, größere Grün- und Freiräume – wollen wir das auch in Österreich, vielleicht nach dem New Yorker Vorbild?

Betrachtet man die Landschaftsarchitektur, stellen sich punkto Klimakrise grundsätzliche Fragen: Buntere, prächtigere, üppigere, größere Grün- und Freiräume – wollen wir das auch in Österreich, vielleicht nach dem New Yorker Vorbild?

Grünräume sind für die Städterinnen und Städter essenziell, daher wissen sie ihre Parks während klimawandelbedingter Extremtemperaturen in den Sommermonaten jedes Jahr aufs Neue zu schätzen. Auch die Pandemie und die daraus resultierenden Kontaktbeschränkungen führten uns vor Augen, wie wichtig Grünanlagen für das soziale Gleichgewicht sind. Je grüner unsere Städte, desto resilienter sind sie in Krisenzeiten gegenüber Störfaktoren. Und weil Widerstände gegen Parks, Bäume und Natur erfahrungsgemäß gering sind, entdecken Stadtpolitikerinnen und -politiker gerade das Thema Grün in der Stadt als leicht umsetzbare Klimawandelmaßnahme.

Doch nicht jedes Projekt, das unter dem Deckmantel der Klimawandelanpassung, der Grünraumgerechtigkeit oder der Schaffung von artenreichen Lebensräumen für Bewohnerinnen und Bewohner realisiert wird, ist gleichermaßen nachhaltig. Um den Nutzen besser einordnen zu können, gibt es eigens entwickelte Nachhaltigkeitsbewertungstools. Meist reicht aber auch der gesunde Hausverstand, um die Sinnhaftigkeit einer Begrünungsmaßnahme einschätzen zu können. Ausschlaggebend ist jedenfalls die Verhältnismäßigkeit – also welchen Nutzen das Vorhaben im Verhältnis zu seinen negativen Auswirkungen hat. Um nachhaltig zu sein, sollte Landschaftsarchitektur jedenfalls keine gröberen sozialen, ökologischen oder budgetären Kollateralschäden verursachen.

Medienmogul als Spender

In New York City gibt es seit Mai dieses Jahres ein Stück Neuland auf dem Hudson River: Little Island. Dabei handelt es sich um eine künstlich errichtete, knapp einen Hektar große, üppig begrünte und gestaltete Plattform, die lediglich durch zwei Brücken mit dem 56 Meter entfernten Ufer verbunden ist. Der Pier 55 Park steht auf 132 tulpenförmigen Betonpfeilern, durch deren unterschiedliche Höhen eine interessante Topografie mit herrlichen Ausblicken entstanden ist.

Geplant und gestaltet von dem britischen Design Studio Heatherwick und von Mathews Nielsen Landscape Architects (MNLA), erzeugen die vielseitig angelegten Landschaftsräume, so die Planerinnen und Planer, eine hohe Resilienz gegenüber Nutzungsdruck und Klimawandel. Der Park soll öffentlichen Raum für Kulturevents schaffen, wofür eigens ein 700 Personen fassendes Amphitheater eingerichtet wurde.

Medienmogul Barry Diller und seine Mode schöpfende Frau, Diane von Fürstenberg, waren maßgeblich an der Finanzierung des berühmten, nur einen Block entfernten High Line Park beteiligt. Nun verhalfen sie auch der Vision einer Parkinsel ins Leben. Für Planung und Bau von Little Island spendete The Diller Von Furstenberg Family Foundation unglaubliche 113 Millionen US-Dollar, bei Gesamtprojektkosten von 260 Millionen ein ausschlaggebender Zuschuss. Die durch Kürzungen des Freiraumbudgets ohnehin leidgeplagte Stadt New York wird allerdings zu einem Teil für die bei einer derartigen Konstruktion erwartbar hohen Erhaltungskosten aufkommen müssen. Als Gegenzug ist der Zugang kostenlos, das Kulturangebot soll ebenfalls weitgehend gratis oder zumindest erschwinglich bleiben.

Little Island ist zweifelsohne ein spektakuläres Projekt, das bereits zu einer neuen New Yorker Landmark hochstilisiert wurde. Doch allein die Idee und die absurd aufwendige und kostspielige technische Umsetzung spiegeln eine derartige Maßlosigkeit wider, dass die aufgekommene Kritik an dem Projekt nicht verwundert.

So gab es Klagen und Proteste gegen die undurchsichtigen Vergabemodalitäten, gegen erwartbare Auswirkungen auf das Ökosystem des Flusses, und nicht zuletzt steht der Vorwurf des Ausverkaufs der Stadt an die einflussreiche New Yorker Oberschicht im Raum. Denn Diller und Konsorten stecken ihre Dollarmillionen vermutlich nicht nur aus gemeinnützigen Beweggründen in solche Projekte. Statt die Parkinsel in einem Stadtteil mit hohem Grünraumbedarf zu realisieren, wurde sie als Fortsetzung des bereits erwähnten prestigeträchtigen High Line Park errichtet. Dieser hat enorme Gentrifizierungsprozesse ausgelöst, von deren Immobilienprofiten wahrscheinlich auch Großspenderinnen und Großspender wie Diller und Fürstenberg profitieren. Das uneigennützige Argument Dillers, mit Little Island einen Park für die Bürgerinnen und Bürger New Yorks schaffen zu wollen, ist jedenfalls nur bedingt glaubwürdig. Den vergleichbaren High Line Park nutzen großteils Touristinnen und Touristen – die ursprünglichen Anrainerinnen und Anrainer wurden längst verdrängt.

Aus ökologischer, sozialer und volkswirtschaftlicher Sicht ist Little Island völlig maßlos und überzogen. Die enormen Errichtungs- und Erhaltungskosten, der nachlässige Umgang mit kommunalen Geldern sowie die ökologischen Eingriffe stehen in keiner Verhältnismäßigkeit zu dem angekündigten Nutzen des Megaprojekts. Der Park verstärkt zudem soziale Ungerechtigkeiten und trägt nur wenig zur Bewältigung der Klimakrise bei.

Voraussetzung für das gute Leben

Und doch haben Vorhaben wie dieses ihre Berechtigung. Sie sind reizvoll, weil sie Utopien verwirklichen und kreative Innovationskraft zeigen. Die Realisierung solch gewagter Ideen spiegelt eine zukunftsgerichtete, couragierte Baukultur wider, die wir als Gesellschaft gerade in Krisenzeiten dringend brauchen. Nachhaltigkeitsforscherinnen und -forscher sind der Auffassung, dass Maßlosigkeit nicht nur negativ zu werten ist, sondern sogar eine Voraussetzung für das sogenannte gute Leben sein kann.

In Österreich entstanden spektakuläre Landmarks meist noch in Zeiten, als diese zur Selbstinszenierung machthungriger Herrscherinnen und Herrscher dienten. Die heute Einflussreichen haben – je nach Betrachtung leider oder glücklicherweise – den Grünraum noch nicht als Geste der Macht für sich entdeckt. Folglich fehlt es Österreich an maßlosen Würfen der zeitgenössischen Landschaftsarchitektur, denn Stadtkommunen können derartige Projekte finanziell nicht stemmen.

Die Tatsache, dass zu wenige überdimensionierte Freiflächen bereitstehen, an denen die Stadt jahrzehntelang wachsen kann, und das Fehlen von Freiraumbudgets, die eine gewisse Maßlosigkeit zuließen, beschränken Planerinnen und Planer beim Entwickeln visionärer Ideen. Daher gilt der Aufruf zur Maßlosigkeit und Unverhältnismäßigkeit nicht nur den Landschaftsarchitektinnen und -architekten, die Großes verfolgen und selbstbewusst einfordern sollten: Er richtet sich besonders an all jene, die diese Visionen ermöglichen können.

Spectrum, Mo., 2022.01.03

26. November 2021Stephanie Drlik
Spectrum

Aus jeder Fuge sprießt Grün

Neue Zeiten, neue Sitten: Die Landschaftsarchitektur entdeckt das parametrische Entwerfen als Schlüssel zur Nachhaltigkeit. Das Schweizer Büro Bryum zeigt, wie es gehen kann.

Neue Zeiten, neue Sitten: Die Landschaftsarchitektur entdeckt das parametrische Entwerfen als Schlüssel zur Nachhaltigkeit. Das Schweizer Büro Bryum zeigt, wie es gehen kann.

Digitale Planungs- und Entwurfsprogramme wie Computer-Aided Design (CAD) und Building Information Modeling (BIM) sind längst im Arbeitsalltag aller Planungsdisziplinen angekommen; die Ausführung und Abstimmung digitaler Anwendungen nehmen mittlerweile einen überwiegenden Teil der Arbeit ein. Doch digitales Planen kann mehr bedeuten, als bloß das alltägliche Arbeiten in den digitalen Raum zu verlegen. Es gibt Ansätze, die den Anspruch haben, veränderte Strategien des Entwerfens anzustoßen. BIM hilft Planer:innen zwar, in den herkömmlichen Systemen effizient und smart zu arbeiten, doch was, wenn wir das bisherige System des Planens und Bauens verlassen wollen?

Eine völlig neue Dimension eröffnet das sogenannte parametrische Entwerfen. Es beruht auf einem System, das nicht das finale Objekt, sondern vielmehr den Prozess des Entwerfens in den Fokus rückt. Dabei werden die einzelnen Elemente durch Parameter festlegt, die miteinander korrespondieren. Verändert man einen, reagieren auch die anderen Parameter. Im Gegensatz zu herkömmlichen Entwurfsmethoden sind digitale parametrische Prozesse ständig in Bewegung. Statt hintereinander gesetzter, statischer Schritte legt die Planerin oder der Planer Systemregeln fest. Im Zusammenspiel des Regelwerks werden Lösungen vorgeschlagen – folglich werden die assoziative Verknüpfung der Parameter und die Abbildung der Abhängigkeiten handlungsleitend.

Durch die scheinbar unaufhörlich steigende Komplexität der Aufgabenstellungen in unserer Zeit ist solch eine flexible Methode zunehmend gefragt und findet auch schon in Bereichen wie der Architektur oder dem Industrial Design Anwendung. In der Landschaftsarchitektur hingegen, die Entwürfe aus dem Kontext ableitet und mit stark veränderlichen Komponenten arbeitet, steht das parametrische Entwerfen erst am Beginn. Zumindest hierzulande, denn blickt man über die Grenzen Österreichs, gibt es bereits durchaus spannende Ansätze. Einer der parametrischen Vorreiter ist Bryum, ein Landschaftsarchitektur- und Stadtentwicklungsbüro mit Sitz in Basel und einem Faible für große Herausforderungen. „Wir haben in unserem Büro die Prämisse, rund 80 Prozent unserer Arbeitszeit an Projekten zu arbeiten, mit denen wir auch Geld verdienen müssen. Doch die restlichen 20 Prozent unseres Aufwands investieren wir in Projekte und Ideen, in denen für uns ein Stück Zukunft steckt. Wir versuchen, der Gesellschaft so etwas zurückzugeben“, erklärt Daniel Baur, einer der Geschäftsführer von Bryum.

„Die Landschaftsarchitektur hat zur Lösung der Probleme unserer Zeit unheimlich viel anzubieten, doch wir wissen noch nicht genug darüber, wie die unterschiedlichen Bereiche der ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Nachhaltigkeit zusammenhängen.“ Beim traditionellen Entwerfen steht das Objekt, das am Ende herauskommen soll, im Zentrum. Doch bei der Planung von Städten und Lebensräumen ist vielmehr der interdisziplinäre Entwurfsprozess, die Frage, wie man zu diesem Objekt kommt, die eigentliche schöpferische Arbeit: „Für uns ist das parametrische Entwerfen, das Definieren und Vernetzen der Parameter, so zielführend“, schließlich geht es Daniel Baur vor allem um das Verstehen des Zusammenspiels neuer landschaftsarchitektonischer Parameter.

Eines der parametrischen Pionierprojekte von Bryum entstand zwischen 2014 und 2018. Der Pocket-Park Roche im schweizerischen Kaiseraugst wurde vom Entwurf bis zum Bau digital und parametrisiert entwickelt. Der kleine Park/Platz-Hybrid liegt inmitten eines großen Areals eines Pharmaunternehmens, umgeben von sechsgeschoßigen Bürogebäuden. Die Anforderungen waren enorm: Der Platz sollte Aufenthalts-, Durchgangs- und Veranstaltungsraum für 800 bis 1000 Menschen sein, die ihn aber auch zum Arbeiten und Ausspannen nutzen wollen. Und der Pocket-Park sollte eine Vermittlerrolle zwischen Architektur und Natur einnehmen. „Diese vielschichtigen Aufgabenstellungen waren ausschlaggebend, uns auf eine andere Art mit dem Thema der Überlagerung auseinanderzusetzen“, erzählt der Landschaftsarchitekt. „Mit traditionellen Entwurfsmethoden sind wir nicht weitergekommen, und so haben wir es mit einem parametrischen Entwurfsansatz versucht.“

Das zugrunde liegende Computerprogramm wurde eigens entwickelt. Die Basis des Entwurfs stellt ein über den gesamten Platz gespanntes digitales Netz aus Rechtecken, den Pflastersteinen, dar. In das Netz wurden alle erforderlichen Parameter eingefügt, wie etwa der Bedarf an Versickerung, Veranstaltungsflächen, Bewegungsströmen oder Beschattung. Durch diese Überlagerungen wurde das orthogonale Steinnetz mithilfe des digitalen Tools verändert, der Freiraum optimiert, die Steine wurden verformt und verschoben.

Optisch prägen die Bäume den Entwurf, denn sie scheinen das Steinnetz durch ihr Wachstum aufzubrechen, die tatsächlich ebene Oberfläche wirkt wie aufgewölbt. Apropos Steinnetz: Dieses besteht aus den beschriebenen parametrisch generierten Rechtecken. Beinahe kein Stein gleicht dem anderen, was der Produktion Kreativität abverlangte – insbesondere weil Bryum versucht, nach den Kriterien der nachhaltigen Entwicklung zu arbeiten. Die Landschaftsarchitekt:innen entschieden sich für die zu diesem Zeitpunkt noch nicht ganz so gängige Methode des 3-D-Drucks. Allerdings wurden nicht die Steine, sondern die Fugen gedruckt, und das Fugenmaterial aus Maisstärke konnte nach dem Gießen des Ortbetons recycelt werden.

Eine der großen Herausforderungen im parametrischen landschaftsarchitektonischen Entwurf sind Pflanzen. Für sie sind solide Parameter aufgrund der unvorhersehbaren Entwicklung nur schwer festlegbar. Es braucht detailliertes Hintergrundwissen über die Pflanze, aber auch über Pflanzengesellschaften, Schädlinge, Wasserbedarf et cetera. Und wie geht Bryum damit um? „Der Pocket-Park hat nach seiner Fertigstellung eher grau als grün ausgesehen, heute sprießt aus jeder Fuge Grün. Unser Ziel ist es nicht, statische und völlig fertige Räume zu produzieren. Naturdynamiken sind Teil unserer Arbeit und ein Stück weit immer unvorhersehbar.“

Scheint, als wäre die Natur sogar für Landschaftsarchitekt:innen zu komplex, um sie zu berechnen. Die Planer:innen von Bryum haben jedenfalls das parametrische Entwerfen seither vielfach weiterentwickelt. Sie wagen sich an größere Maßstäbe und städtebauliche Fragestellungen. Oder auch an heikle Aufgaben wie das parametrische Entwerfen mit Recycling-Materialien, bei dem ähnlich wie bei Pflanzen stets Fragen offenbleiben. Schließlich geht es Bryum bei jedem Projekt auch um den selbst auferlegten Anspruch, stets weiterzulernen.

Spectrum, Fr., 2021.11.26

06. Oktober 2021Stephanie Drlik
Spectrum

Bäume fällen ist leicht – auch im Wiener Augarten

Der Bestand alter Bäume ist gefährdet. Wenn neu gebaut wird, aus Haftungsfragen, weil das Bewusstsein für ihren Wert fehlt. Der Augarten ist das jüngste Beispiel.

Der Bestand alter Bäume ist gefährdet. Wenn neu gebaut wird, aus Haftungsfragen, weil das Bewusstsein für ihren Wert fehlt. Der Augarten ist das jüngste Beispiel.

Die positiven Wirkungen von Bäumen sind vielfältig, sie spenden Schatten, filtern die Luft und dienen der Erholung. Außerdem kommen sie als „nature-based solutions“ im Kampf gegen den Klimawandel zum Einsatz. Sie binden und verarbeiten CO2 und kühlen in immer heißer werdenden Städten. Diese wichtigen Klimafunktionen und Ökosystemleistungen haben in den jüngsten Jahren zu einem Umdenken geführt: So werden Gehölze zunehmend zu einem integralen Bestandteil der Stadtstrukturen – in Parks, auf Plätzen und in Straßenräumen, ja sogar auf Dächern und Fassaden dürfen sie mittlerweile wachsen.

Abweichend von der grundsätzlich steigenden Wertschätzung und Bereitschaft, möglichst viele neue Gehölze zu pflanzen, haben es Bestandsbäume hingegen schwerer. Unbedachte und vermeidbare Rodungen oder das systematisierte Kaputtschneiden von Bäumen – das liegt zum Teil an überzogenem Risikomanagement und unsachgemäßem Umgang – ist nach wie vor gängige Praxis. Dabei wäre gerade die Erhaltung ausgewachsener und somit voll klimawirksamer Großgehölze von besonderer Bedeutung.

In der Bundeshauptstadt Wien sind in den vergangenen Jahren sowohl in den großen Erweiterungsgebieten am Stadtrand als auch innerstädtisch etliche neue Wohnquartiere entstanden. Ursprünglich mit teils wertvollen alten Baumbeständen ausgestattet, haben es im allgemeinen Baugeschehen nur sehr wenige dieser ausgewachsenen Bäume in die Nutzungsphase geschafft.

Verpflichtende Ersatzpflanzungen

Dabei wäre die Bereitwilligkeit zur Erhaltung unter den Beteiligten durchaus gegeben gewesen. Bei Bauträgern und Immobilienentwicklern vermutlich weniger aus ökologischen als eher aus ökonomischen Gründen, denn einerseits werten Großgehölze Neubauten enorm auf, andererseits ist das Entfernen von Bäumen im Zuge der Bauphase oft kostspielig: Das seit 1974 in Kraft befindliche Wiener Baumschutzgesetz, das den Schutz und Erhalt von Bäumen in der Stadt regelt, macht Baumfällungen teuer. „Das Baumschutzgesetz schreibt für jeden gesund gerodeten Bestandsbaum mindestens eine verpflichtende Ersatzpflanzung vor“, erklärt Landschaftsarchitekt Erik Meinharter vom Wiener Planungs- und Kommunikationsbüro Plansinn, „wobei sich die Anzahl der Ersatzbäume nach dem Stammumfang des gerodeten Gehölzes bemisst.“

So hat ein großer, gefällter Baum nicht selten fünf bis zehn Ersatzpflanzungen zur Folge. Können im Umgriff bis zu 300 Meter Entfernung keine neuen Bäume untergebracht werden, müssen zweckgebundene Kompensationszahlungen in Höhe von 1090 Euro je nicht erbrachter Ersatzpflanzung geleistet werden.

Das kann auch für finanzstarke Immobilienentwickler durchaus ins Gewicht fallen und das Gesamtprojektbudget belasten. Dass dennoch nur wenige Bäume bei Neubauvorhaben erhalten werden, führt der Experte darauf zurück, dass der Baumbestand oftmals nicht in die Masterplanung einbezogen wird. „Der Schlüssel zum Erfolg liegt in einer frühen Berücksichtigung, idealerweise bereits im städtebaulichen Maßstab, jedenfalls aber noch vor der Widmungsplanung. Denn wenn die Baulinien gezogen werden, wird bestimmt, wo gebaut und somit gerodet werden darf. Verläuft die Baulinie entlang einer Baumreihe, können diese Gehölze in den wenigsten Fällen erhalten werden“, so Meinharter. „Zusätzlich ist bei der Erhaltung von Bäumen im Planungsgebiet die Standsicherheit ein limitierender Faktor“, ergänzt er und verweist auf das drohende Haftungsrisiko, das Baumverantwortliche eingehen.

Gerade im Neubau sind Bauträger daher mit der Pflanzung von kleinen Ersatzbäumchen auf der sichereren Seite. Dass ausgewachsene Bäume jedoch bereits ab dem Bezug der Wohnung Qualitäten haben, die nachgesetzte Ersatzbäume in mittlerer Baumschulqualität erst nach Jahrzehnten des Wachstums erreichen, spielt für die Verantwortlichen oft eine nachgereihte Rolle. „Es erfordert eine gezielte Bewusstseinsbildung, dass wir alle eine große Verantwortung zur Erhaltung der Bäume tragen“, so Karin Büchl-Krammerstätter, Leiterin der Wiener Umweltschutzabteilung und Initiatorin der „Österreichischen Baumkonvention“. Die Baumkonvention ist eine Plattform, die sich seit 2017 für den Erhalt von Bäumen einsetzt. Im Fokus stehen besonders jene Baumbestände, die von überschießenden Fällungen oder Angstschnitten aus vorauseilenden Sicherheitserwägungen bedroht sind. Denn die Haftungsfrage beschäftigt längst nicht nur Planer:innen und Bauwerber:innen, sondern alle Baumverantwortlichen, auch Kommunen. Die Sorge, zivil- und strafrechtlich zu haften, wenn es um herabfallende Äste und umstürzende Bäume geht, wächst. Dabei lässt sich dieser Trend weder aus der geltenden Rechtslage noch aus der Judikatur ableiten.

Wann haften Baumverantwortliche?

„Wir brauchen mehr Rechtssicherheit und eine klarere Darstellung, wofür Baumverantwortliche haften und wofür nicht“, fordert Büchl-Krammerstätter. Und da „die Evaluierung der haftungsrechtlichen Sorgfaltsanforderungen bei der Kontrolle und Pflege von Bäumen und Wäldern“ Teil des türkis-grünen Regierungsprogramms ist, hat sich bereits eine diesbezügliche Arbeitsgruppe mit Vertreter:innen aus Justiz-, Klima- und Forstministerium formiert. Gemeinsam mit der Baumkonvention, der mittlerweile rund 80 Institutionen und Organisationen den Rücken stärken, könnte eine positive Entwicklung gelingen. „Mich freut, dass alle an einem Strang ziehen, denn dieses wichtige Thema kann man nur gemeinsam stemmen“, so die Initiatorin Büchl-Krammerstätter.

Gemeinsam stemmen derzeit auch Kommunalpolitiker:innen und Bürger:innen den Widerstand gegen drohende Baumfällungen im Wiener Augarten. Für die Errichtung einer Eventzone könnten bis zu 100 Bäume fallen. Es ist zwar immer noch offen, ob und wie viele Bäume gefällt werden, doch allein die Ankündigung möglicher Rodungen hat Unverständnis und zivilgesellschaftlichen Widerstand ausgelöst. Hier benötigen die zuständigen Parkverantwortlichen scheinbar dringend die von Büchl-Krammerstätter als so notwendig erachtete Bewusstseinsbildung. Denn eine öffentliche Parkanlage auf Kosten ihres ökologischen Werts unter dem Vorwand des Denkmalschutzes wirtschaftlich verwertbar zu machen ist in Zeiten von Klimawandel und Artensterben nicht nur widersinnig, sondern auch volkswirtschaftlich zu kurz gedacht. Fast schon ironisch daran ist, dass die für den Wiener Augarten zuständige Abteilung des Landwirtschaftsministeriums die Baumkonvention mit ihrem Appell „Zukunft mit Bäumen – Bäume mit Zukunft“ unterstützt.

Spectrum, Mi., 2021.10.06

24. Juli 2021Stephanie Drlik
Spectrum

160 Topfbäume für Ikea: Werden sie überleben?

Mit der Begrünung der Fassade seines Baus beim Wiener Westbahnhof betritt Ikea technisches Neuland: Hinter der Bewässerung der 160 Bäume in Töpfen steckt ein hochkomplexes Konzept. Das ist auch notwendig, denn wenn Pflanzen eingehen, können sie nämlich kaum ersetzt werden.

Mit der Begrünung der Fassade seines Baus beim Wiener Westbahnhof betritt Ikea technisches Neuland: Hinter der Bewässerung der 160 Bäume in Töpfen steckt ein hochkomplexes Konzept. Das ist auch notwendig, denn wenn Pflanzen eingehen, können sie nämlich kaum ersetzt werden.

Das schwedische Einrichtungshaus Ikea ist ein Vorreiter, wenn es um Markttrends geht. Eher hintennach war man bei der Einhaltung ökologischer Standards: Das Möbelimperium hat sich weitreichende Umweltsünden geleistet, ganz abgesehen von dem mehr als fraglichen „Benutze es und wirf es weg“-Konzept. Aktuell scheint man sich aber, dem Zeitgeist und den Wünschen der Konsumenten entsprechend, der Nachhaltigkeit verschrieben zu haben. In diesem Sinne entstand das „hus“ beim Wiener Westbahnhof (Eröffnung ist Ende August). Statt der immer gleichen, gelb-blau eingefärbten Verkaufshalle entstand ein gänzlich in Weiß gehaltenes Gebäude nach den Plänen von Querkraft Architekten. Und das neue hus wurde nicht in der Peripherie gebaut, sondern im Herzen Wiens. Das Grün wandert also von der sprichwörtlichen grünen Wiese auf das Gebäude selbst – und zwar in Form von rund 160 überdimensionalen Topfpflanzungen in verschiedenen Größen.

Das Projekt war zunächst umstritten, weil der Vorgängerbau, das blaue Gründerzeithaus auf der Mariahilfer Straße 132, abgetragen und die Fläche von den ÖBB an Ikea verkauft wurde. Für viele Expertinnen und Experten wäre das Freiwerden eines großen Baublocks eine seltene Chance gewesen, die durch Infrastruktur und Verkehr massiv belastete Liegenschaft neben Gürtel und Westbahnhof zu nützen, um dem Mangel an Grünraum in den angrenzenden Bezirken Neubau und Rudolfsheim-Fünfhaus entgegenzuwirken. Ein Park oder ein begrünter Platz hätte es werden können, doch die wirtschaftlichen Argumente eines City-Ikea waren offenbar überzeugender.

Zudem brachte Ikea ein beeindruckendes klimaschonendes Konzept ein, das auf Fußgänger, Öffi- und Radfahrer ausgerichtet ist. Sperrgut wird frei Haus geliefert, den Rest nimmt man in der bekannten blauen Tasche mit. Auf dem Dach soll eine öffentlich zugängliche und für alle konsumfrei nutzbare Terrasse entstehen. Weiters nahm sich Ikea eine umfassende Bauwerksbegrünung vor, die Kühlung bringen und eine Vielfalt an Arten in der Stadt fördern soll. Kurz und gut, das Billigmöbel produzierende Unternehmen möchte mit diesem Projekt in Sachen Nachhaltigkeit punkten.

Und das Ergebnis scheint zu halten, was der Entwurf versprochen hat. Herkömmliche Pflanzen und Rankgerüste finden sich nur vereinzelt. Die eigentliche Begrünung besteht aus Bäumen, die in überdimensionalen Blumentöpfen an der Fassade, auf dem Dach und in Innenhöfen wachsen. Diese rund 160 Bäume sollen den Eindruck eines skandinavischen Waldes vermitteln, inspiriert durch die vier schwedischen Nationalparks. Detailplanung und Umsetzungsbegleitung erfolgten durch das Büro Kräftner Landschaftsarchitektur im Team mit Green4Cities. Unterstützt wurden sie vom Garten- und Landschaftsbaubetrieb Grünbau Jakel und dem Bewässerungstechniker Rain Time. Geballte Grün-Kompetenz, die es definitiv gebraucht hat. „Das System der mit Bäumen bepflanzten Töpfe ist gänzlich neu und hat in der Planung und Realisierung viele Fragen aufgeworfen“, erzählt Landschaftsarchitekt und Büroinhaber Joachim Kräftner. Zum einen stellte die Statik eine Herausforderung dar, denn die Bäume vergrößern, wenn sie wachsen, Gewicht und Windangriffsfläche. „Als Landschaftsarchitekt kann ich natürlich gewisse Basisdaten über die Pflanze bereitstellen, aber Erfahrungswissen, wie sich 160 in Blumentöpfen gepflanzte und an der Gebäudehülle angebrachte Bäume entwickeln, hatten auch wir nicht“, so Kräftner. Ein eigenes Gutachten hat daher für jede Baumart und jeden Topfstandort anhand der jeweiligen Blattflächen Winddurchlässigkeitswerte berechnet. Damit Bäume und Töpfe nicht kippen, ist jeder Trog einzeln an einen Stahlträger montiert, der das Gebäude umspannt. Weiters wurde der Wurzelballen an Ösen im Topf verankert und die Kronen der mittelgroßen und großen Bäume zusätzlich mit Seilen an der Stahlträgerkonstruktion angebunden.

Von Projekten wie dem Mailänder „Bosco Verticale“, einem Hochhauskomplex mit waldartiger Fassadenbegrünung, weiß man, dass ein gewisser Teil der gepflanzten Bäume im Laufe der ersten Jahre eingeht. Im Gegensatz zum „Bosco Verticale“ werden aber beim Wiener City-Ikea abgestorbene Bäume nicht nachgesetzt. Denn die Großgehölze können ausschließlich mit einem Baukran gehoben und platziert werden, über das Gebäudeinnere gibt es keinen entsprechenden Zugang. Die Planerinnen und Planer versuchen daher, durch einen besonders sorgsamen Umgang mit den Gehölzen Ausfälle tunlichst zu verhindern. „Bäume sind lebendes Material, man kann sie nicht einfach einkaufen und abstellen, bis sie zum Einsatz kommen“, erklärt Kräftner. Die Großgehölze wurden daher bereits vor einem Jahr von der deutschen Baumschule Lappen erworben und zur Akklimatisierung zum heimischen Baumschulpartner Haselberger geliefert, bevor sie weiter nach Wien gereist und zu Topfpflanzen geworden sind.

Eines der Schlüsselelemente in diesem Projekt ist jedenfalls die Bewässerung. „Regelmäßiges Austrocknen des Substrates in den Töpfen setzt den Großgehölzen zu“, erklärt Ferdinand Prinz von Rain Time. Die von den Landschaftsarchitekten aufwendig konstruierten Pflanztröge sehen von außen schlicht aus, doch es sind hoch technisierte Behältnisse mit Messsensoren, die alle relevanten Informationen an die Steuerung funken. „Nicht nur die Exposition, auch die verschiedenen Baumarten und -größen haben einen teils sehr unterschiedlichen Wasserbedarf“, sagt Prinz und ergänzt, dass die Cloud-basierte Steuerung derzeit geprüft und kalibriert wird, um entsprechende Informationen im Steuergerät hinterlegen zu können. „Denn schließlich geht es nicht nur um das Messen, sondern auch darum, was die gemessenen Daten auslösen.“ Es soll eine für jeden Baum optimale Situation geschaffen werden.

Die Kritik, diese Form der Fassadenbegrünung sei techniklastig, material- und kostenaufwendig sowie wartungsintensiv, trifft freilich zu. Dennoch besticht das Projekt mit seiner neuartigen Idee und der hochwertigen Ausführung. Wie sich der Schwedenwald entwickeln wird, zeigt sich erst in ein paar Jahren. Die technische Grundlage für ein langes Leben ist jedenfalls gelegt.

Spectrum, Sa., 2021.07.24

07. Juni 2021Stephanie Drlik
Die Presse

Tausend Bäume für Linz

Bäume sind nachhaltige wie wertvolle Waffen gegen Überhitzung und hohe Folgekosten des Klimawandels. Doch in Städten finden sie zum Teil schwierige Bedingungen vor. Neue Technologien sollen helfen, damit sie erfolgreich Wurzeln schlagen.

Bäume sind nachhaltige wie wertvolle Waffen gegen Überhitzung und hohe Folgekosten des Klimawandels. Doch in Städten finden sie zum Teil schwierige Bedingungen vor. Neue Technologien sollen helfen, damit sie erfolgreich Wurzeln schlagen.

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05. März 2021Stephanie Drlik
Spectrum

Das Gfrett mit dem Grün

Zur Selbstversorgung und Erholung bestimmt, dominiert in Wiens Kleingärten heute die Wohn- vor der Gartennutzung. Hintergrund war eine politische Fehlentscheidung, die nun behoben wurde. Und jetzt? Ein vorsichtig optimistischer Blick in die Zukunft.

Zur Selbstversorgung und Erholung bestimmt, dominiert in Wiens Kleingärten heute die Wohn- vor der Gartennutzung. Hintergrund war eine politische Fehlentscheidung, die nun behoben wurde. Und jetzt? Ein vorsichtig optimistischer Blick in die Zukunft.

Kleingartenanlagen hatten bereits in ihren Anfängen im frühen 20. Jahrhundert einen wichtigen Platz in der Wiener Grünraumversorgung. Anfänglich und besonders in den Kriegs- und Zwischenkriegsjahren zur Selbstversorgung, später für Erholungs- und Freizeitzwecke genutzt, stand jedoch eines immer im Zentrum: der Garten. Das hat sich in den 1990er-Jahren drastisch geändert. Ein maßgeblicher Grund war die Einführung des neuen Kleingartengesetzes, gefolgt vom Diskontabverkauf der Stadt-Wien-Flächen.

Seit jeher gab es den Wunsch vieler Pächter und Pächterinnen, ihre Gärten ganzjährig bewohnen zu können. Und das taten sie auch zahlreich, trotz gegenteiliger gesetzlicher Regulierungen. Gepfuschter Dauerwohnraum war in Kleingartenanlagen gängige Praxis. Um den Wildwüchsen Einhalt zu gebieten, gab es politischen Handlungsbedarf. Die unter Planungsstadtrat Hannes Swoboda (SPÖ) erfolgte Einführung der neuen Widmung „EKlw – Erholungsgebiet Kleingarten – ganzjähriges Wohnen“ im Jahr 1992 war mehr der Realität als einer lang durchdachten Strategie der Stadtpolitik geschuldet. Gemeinsam mit der neuen Widmung kam eine bis heute gültige Lockerung der Bauvorschriften, die Kleingärtnern ermöglicht, 50 Quadratmeter beziehungsweise maximal 20 Prozent der Parzellenfläche zu bebauen. Zusätzlich dürfen 30 Quadratmeter Terrasse genutzt werden, die unterbaut eine Kellergeschoßfläche von 80 Quadratmetern zulässt.

Nicht von Swoboda, sondern durch den langjährigen Finanzstadtrat und SPÖ-Vizebürgermeister Hans Mayr vorangetrieben, folgte 1993 der Startschuss für den Verkauf der Kleingärten aus dem Stadt-Wien-Besitz. Verwaltungsinternen Zeitzeugen zufolge sah Mayr keine für die Stadt lukrativen Entwicklungsmöglichkeiten in den Kleingartenanlagen, strategisch zu unwichtig schienen diese meist peripheren Flächen lange vor den explodierenden Immobilienpreisen. Und so konnten Pächter in Anlagen mit Kanalanschluss und frostsicherer Trinkwasserversorgung fortan ihre Gärten nicht nur ganzjährig bewohnen, sondern diese auch erwerben. Und das mit einem Preisnachlass von bis zu 40 Prozent des Marktwertes. Zehn Jahre hielt die Stadt ein Vorkaufsrecht, danach stand einem Verkauf auf dem freien Markt nichts im Wege.

Der Zentralverband der Kleingartenvereine stand den Grundstücksveräußerungen als abwickelnde Serviceeinrichtung von Anfang an skeptisch gegenüber. Es erzeuge ein schwieriges Ungleichgewicht zwischen Pacht und Eigentum, zwischen Kleingarten- und Wohnnutzung. Zudem hat sich im Laufe der Jahre die Sorge bestätigt, dass Käufer eher Interesse an der Verwirklichung ihres Wohntraums vom eigenen Haus oder an der Schaffung einer Wertanlage zeigen würden als am Kleingartenwesen. Auch die vergünstigten Kaufpreise ließen den Zentralverband schon früh hellhörig bezüglich Immobilienspekulationen werden: „Wer glaubt denn, dass ein späterer Eigentümer bereit wäre, sein Grundstück mit Nachlass weiterzuverkaufen?“, so ein Textauszug aus der Verbandszeitschrift. Der Zentralverband behielt recht, verkauft wird natürlich nach dem marktwirtschaftlichen Prinzip von Angebot und Nachfrage mit möglichst großem Gewinn. Die Nachfrage stieg unaufhörlich – und mit ihr stiegen die Grundstückspreise.

Durch die politischen Steuerungsfehler haben sich nicht nur die städtebauliche Struktur und die Freiraumtypologie Kleingarten als solche geändert, sondern auch die Bewohnerschaft, die heute vielerorts so gar keine gartengemeinschaftlichen Ambitionen mehr hat. Wohnbau im Kleingarteneigentum entsteht, um annehmbare Einheiten zu erzielen, immer unter maximaler Ausreizung aller Bauvorschriften. Gern mit Pool und anderen Außenraumverbauungen bleibt in den meisten Fällen kaum Garten übrig. So mancher Anlage mit kleinparzellierter Einfamilienboxenbebauung sieht man ihre EKl-Widmung nicht mehr an.

Die amtierende Wohnbaustadträtin und Vizebürgermeisterin Kathrin Gaál hat nun den längst überfälligen Schritt gesetzt und den Grundstücksverkauf gestoppt. Eine mutige Entscheidung, schließlich legt sie damit den parteieigenen Fehler aus den 1990er-Jahren offen und löst Kritik an der damals wie heute verantwortlichen SPÖ aus. Doch ihre Entscheidung war wichtig und richtig, weil sie nicht nur Grundstücksspekulanten einen Riegel vorschiebt, sondern auch die Attraktivität der Wohnraumschaffung in Kleingärten reduziert. Die ausufernden Einfamilienhaus-Exzesse sollten mit dem Verkaufstopp eingebremst sein, doch der Schaden durch die insgesamt 5363 Parzellenverkäufe aus dem Stadt-Wien-Eigentum ist geschehen. Neben den Qualitätsverlusten durch übermäßige Bau- und Infrastrukturtätigkeiten im Grünraum ist es insbesondere ein städtebauliches Dilemma. Denn die Möglichkeit, ganze Kleingartenareale in ihrer Flächengesamtheit für andere Freiraumtypologien wie etwa Parks oder Gemeinschaftsgärten umzunutzen, wurde für immer verspielt.

Nicht jede in den vergangenen Wochen medial kundgetane Idee scheint zukunftsfähig. Keinesfalls zeitgemäß sind Vorschläge, die Kleingartenanlagen für bauliche Nachverdichtungen auf den Plan rufen. In einer wachsenden, sich verdichtenden Stadt wie Wien, die bereits mit klimawandelbedingten Temperaturanstiegen zu kämpfen hat, muss kühlender Grünraum „grün“ bleiben, oder anders gesagt: Kleingärten dürfen im 21. Jahrhundert keine Bauland-, sondern müssen Grünlandreserven mit hohem Biodiversitätsfaktor sein. Laut dem Wiener „Fachkonzept Grün- und Freiraum“ sind sie integraler Teil des Grünraumnetzes und erfüllen wichtige Ökosystemleistungen.

Der Bestand weist heute große Unterschiede auf, es ist ein Fleckerlteppich aus Pacht und Eigentum, aus Kleingartenhütten und Wohnhäusern. Wie soll mit übrig gebliebenen Parzellen in eigentumsdominierten Anlagen umgegangen werden? Welche Schwerpunkte sollen künftig in dieser unruhigen Struktur gesetzt werden? Wie kann der ursprüngliche Gedanke des gemeinschaftlich organisierten Gartelns wieder aufgegriffen werden?

Selbsterntebeete, Freiluftsupermärkte, Selbstversorger-Initiativen und Urban-Gardening-Bewegungen, all das liegt gerade im Trend und könnte eine neue Ära des Wiener Kleingartenwesens einläuten. Schafft man es, diese neuen Gartentrends räumlich auf die Anlagen zu übertragen und gesellschaftlich zu verankern, könnte nicht nur das verstaubte Kleingartenwesen neu belebt werden, sondern Wien auch dem Anspruch einer Selbstversorgerstadt nähergebracht werden. Den Fehler, Entwicklungen sich selbst zu überlassen, sollte man kein zweites Mal machen. Wohnbaustadträtin Gaál hat den ersten Schritt in die richtige Richtung getan, nun muss der nächste folgen: der Start eines transparent und fachbasiert geführten Dialogs, der neue Perspektiven auf eine alte, aber mehr als zeitgemäße Idee wirft.

Spectrum, Fr., 2021.03.05

10. Oktober 2020Stephanie Drlik
Spectrum

Mehr Luft!

Fakt ist: Wien leidet im Sommer an Überhitzung. Dass nun ausgerechnet die Frischluftschneise an der Westeinfahrt durch Bauvorhaben beschränkt werden soll, ist mehr als bedenklich.

Fakt ist: Wien leidet im Sommer an Überhitzung. Dass nun ausgerechnet die Frischluftschneise an der Westeinfahrt durch Bauvorhaben beschränkt werden soll, ist mehr als bedenklich.

Wir alle wissen es aus eigener Erfahrung, auch die Forschung hat das Thema mehr als gründlich aufgearbeitet, und der gesunde Menschenverstand gibt dem sowieso recht: Grünräume sind enorm wichtig für eine Stadt und ihre Bewohnerinnen und Bewohner. Die unzähligen gesellschaftlichen, kulturellen und funktionalen Aufgaben von Freiräumen und die ebenso wichtigen Ökosystemleistungen des Grünraums machen seinen hohen Wert aus. Und vor den großen Herausforderungen der jüngsten Vergangenheit scheint diese Bedeutung weiter zu wachsen. Sowohl die Covid-19-Pandemie als auch die schon länger präsente Klimakrise haben aufs Neue bewiesen, dass ein Leben in der Stadt ohne Grün- und Freiräume nicht qualitätsvoll, ja sogar gesundheitsgefährdend sein kann. Das werden all jene Wienerinnen und Wiener bestätigen, die während des Corona-bedingten Lockdowns vor den alternativlos gesperrten Bundesgärten standen. Oder auch Bewohnerinnen und Bewohner dicht bebauter Innenstadtbezirke, denen während extremer Hitzewellen im Sommer kühlendes Grün zur Nutzung ihres Wohnumfelds fehlt. Für das gesunde Leben in der Stadt ist der urbane Grünraum also essenziell. Um in den derzeit aktuellen Jargon des Krisenmanagements einzustimmen, könnte man auch sagen: Grün ist systemrelevant.

„Systemrelevante Infrastruktur Stadtgrün“ heißt daher auch eine aktuelle Fotoschau der Österreichischen Gesellschaft für Landschaftsarchitektur, die in ihrem „Haus der Landschaft“ im Wiener Sophienpark, krisenfest und thematisch passend, im Freien ausgestellt wird. Bei der Betrachtung der gezeigten Bilder des auf Landschaften spezialisierten Fotografen Johannes Hloch wird schnell klar: Es gibt unterschiedliche Dimensionen der Systemrelevanz. Parkanlagen sind etwa dann systemrelevant, wenn sie in einem dicht besiedelten Stadtteil für viele Menschen die einzige Grünversorgung darstellen. Wichtig sind sie auch dann, wenn in ihr seltene Tierarten leben oder wenn sie aufgrund ihrer Lage eine wichtige stadtklimatologische Funktion erfüllen.

Dringend notwendige Kühlung

Die Bundeshauptstadt Wien leidet, wie viele andere europäische Großstädte, an sommerlicher Überhitzung. Das steigert die Systemrelevanz des Wiener Stadtgrüns, und so wird aktuell eine Vielzahl von Maßnahmen gesetzt, um die Situation zu entschärfen. Doch längst nicht jede Initiative ist gleichermaßen sinnvoll oder nachhaltig. Schon klar, nicht jede Freiraumintervention muss durch ihre Systemrelevanz überzeugen. Und gerade die Klimawandelanpassung macht auch punktuell gesetzte, reaktive Symptombekämpfungen notwendig. Daher sind auch die derzeit vielfach eingesetzten Wasservernebelungsanlagen gerechtfertigt, die vor allem in Straßenräumen bei extremer Hitze Abhilfe schaffen sollen. Klimawandelanpassung ist eben ein Stück weit auch experimentell, denn die Situation ist ungewiss, und wir werden flexibel bleiben müssen. Erweist sich die Idee mit den Sprühnebelduschen als nicht so gut, so werden wir es verkraften. Anders gelagert ist die Situation mit städtebaulichen oder infrastrukturellen Eingriffen. Hier sind Experimente nicht angebracht, denn einmal passiert, schaden Fehler viele Jahrzehnte. Die Wiener Stadtregierung sollte also neben wahlkampftauglichen Sofortmaßnahmen im Klimawandel den Fokus auf das Wesentliche nicht aus den Augen verlieren.

Gerade in Sachen Stadtklima gibt es in Wien einige neuralgische Grünräume, die als Teil des urbanen Grün- und Freiraumverbandes auf den gesamten Stadtraum wirken. Einer dieser systemrelevanten Stadträume ist die Frischluftschneise im Westen Wiens, die vom Wienerwald über das Wiental bis in die dicht bebauten Stadtteile innerhalb des Gürtels führt. Entlang des abschnittsweise begrünten Wienflusses wird die frische, kühle Luft vom Stadtrand in die Stadt transportiert. Der Bereich gilt daher auch als Klimaanlage des Wiener Westens. Bereits in frühen Stadtentwicklungsplänen der 1980er-Jahre wird dieser „Grünzug Lainzer Tiergarten ins dicht bebaute Gebiet“ in seiner Bedeutung als erhaltenswerter Freiraum hervorgehoben. Nun gibt es hitzige Debatten um zwei strittige Vorhaben innerhalb dieser Frischluftschneise, deren weiterer Verlauf für die Lebensqualität im Westen Wiens richtungsweisend sein könnte.

Zum einen diskutiert man den Umgang mit brachliegenden Flächen und demnächst aus der Nutzung fallenden Bahninfrastrukturanlagen entlang der Westbahn zwischen Westbahnhof und Hütteldorf. Die Bevölkerung wünscht sich auf einem 1,2 Kilometer langen Abschnitt als Alternative zur herkömmlichen Immobilienverwertung einen Westbahnpark. Aktivistinnen und Aktivisten sprechen nicht nur von einer Jahrhundertchance für Wien, sondern auch von einer Jahrhundertverpflichtung in Sachen Klimawandel. Denn es wird einen maßgeblichen Unterschied machen, ob der viele Hektar umfassende Bereich bebaut wird, oder ob er als begrünter Freiraum die Kühlung der Stadt unterstützt. Vonseiten der Stadt gibt man sich bislang abwehrend.

Fünfspurig in Hietzing

Zum anderen werden bereits sehr konkrete Pläne im Bereich der Wiener Westausfahrt verfolgt, die viel befahrene Straße von der bisherigen Infrastrukturlinie entlang der Westbahngleise auf die Seite des Lainzer Tiergartens zu verlegen und mit den Fahrspuren der Westeinfahrt zu bündeln. Die Zeit drängt, denn die in Verwendung befindliche Brückenkonstruktion ist baufällig, das Vergabeverfahren läuft bereits. Zur baulogistisch leichteren Abwicklung, die Westausfahrt könnte ohne Unterbrechung in Betrieb bleiben, und zur Kostenersparnis hat sich die zuständige Magistratsabteilung für Brücken- und Grundbau daher für eine fünfspurige Variante auf der Hietzinger Seite entschieden. Doch die Einsparung geht auf Kosten des dicht bewachsenen Böschungsbereichs des Wienflusses, der als Erholungsgebiet genutzt wird.

Aus Sicht der Abteilung für Brückenbau hat die zugegebenermaßen vereinfachte Baulogistik der Lösung durchaus Sinn. Die Systemrelevanz der Frischluftschneise hat bei ihren Überlegungen aber vermutlich keine Rolle gespielt. Auch nicht, dass das Projekt die Zufuhr der kühlen Luft bereits am Stadteingang drosselt und dadurch ihre innerstädtische Wirkung mindert. Weil solch schwerwiegende Entscheidungen immer viele Expertisen vereinen müssen, hat sich die Wiener Praxis bewährt, derartige Vorhaben nicht von einzelnen Magistratsabteilungen ausarbeiten zu lassen, sondern mithilfe offener, transparenter, partizipativer und interdisziplinärer Planungsverfahren zu entscheiden. Warum diese Vorgehensweise diesmal nicht zur Anwendung kam, konnte trotz zahlreicher Rückfragen eigentlich niemand so genau beantworten. Warum sich die sonst so Grün-affine Planungsstadträtin nicht auf die Seite des Umwelt- und Klimaschutzes stellt, auch nicht.

Spectrum, Sa., 2020.10.10

18. Juli 2020Stephanie Drlik
Spectrum

Wien so grün? Zu Wiens neuem Leitbild Grünraum

Wege zu einer kühleren Stadt: Grünraum zählt zu den wichtigsten Maßnahmen gegen den Klimawandel – da kommt das neue Wiener Leitbild für Grünräume gerade recht. Gleichzeitig wird in Parks an technischen Lösungen getüftelt.

Wege zu einer kühleren Stadt: Grünraum zählt zu den wichtigsten Maßnahmen gegen den Klimawandel – da kommt das neue Wiener Leitbild für Grünräume gerade recht. Gleichzeitig wird in Parks an technischen Lösungen getüftelt.

Ende Juni dieses Jahres wurde das Wiener „Leitbild Grünräume neu“ im Gemeinderat mehrheitlich beschlossen. Das Leitbild ist ein neues Stadtentwicklungskonzept der Stadt Wien, das räumlich-strategische Vorgaben für die kommenden Jahrzehnte festlegt, mit dem übergeordneten Ziel, die Grün- und Freiräume der Stadt zu bewahren und nachhaltig weiterzuentwickeln. Das neue Strategiepapier ist ein Produkt der Magistratsabteilung 18 für Stadtentwicklung und Stadtplanung, die zu der grünen Stadträtin und Vizebürgermeisterin Birgit Hebein ressortiert. Erwartungsgemäß haben sich daher nicht alle Fraktionen begeistert über das neue Leitbild gezeigt. So ist man etwa vonseiten der ÖVP „alles andere als glücklich“, dass nun ein weiteres Konzept zu den vielen vorhandenen hinzukommt. Der Aufwand sei enorm gewesen, und auch eine Anwendung wäre zu aufwendig. Die FPÖ tut das Leitbild als „Wahlkampfgetöse“ ab.

Der Zeitpunkt der Veröffentlichung des „Leitbilds Grünraum“ ist, kurz vor der wichtigen Wien-Wahl, politisch tatsächlich günstig gelegt. Doch hinter dem Konzept steht als Motiv etwas ganz anderes als die Gemeinderatswahlen: Es setzt eine historische Tradition der Wiener Grünraumplanung fort, deren Bestreben eben genau solch ein Leitbild Grünraum als finales Ergebnis war. Gut, dass es nun fertig ist, denn ein solches Strategiepapier mit Anwendungscharakter ist gerade jetzt, da wir dringend Maßnahmen zur Klimawandelanpassung setzen müssen, mehr als relevant. Das Papier soll als Grundlage für die nachhaltige Stadtentwicklung und die Flächenwidmung neuer Gebiete dienen. Es wurden Ausschluss-Zonen räumlich und zeitlich festgelegt, strategische Vorgaben zur Grünraumentwicklung gegeben und Flächen mit unterschiedlichen Funktionen besetzt, also etwa Flächen mit besonderer Klimafunktion oder für mehr Grünraumgerechtigkeit ausgewiesen.

Gerade in Städten sind Bewohnerinnen und Bewohner von Klimawandelauswirkungen massiv betroffen. Wenig Grün, dichte Gebäudestrukturen und überwiegend versiegelte Oberflächen wirken wie Katalysatoren des Klimawandels und fördern die Bildung von Hitzeinseln. Experten tüfteln bereits seit Jahren an Strategien und Konzepten, wie Städte grüner und dadurch kühler werden können. Dabei sind Naherholungsgebiete, große Parkanlagen oder Wasserflächen und natürlich Bäume wichtige Elemente. Doch kommen meist dort, wo grüne Infrastruktur nicht realisierbar ist, zunehmend technische Lösungen zum Einsatz. Zum Beispiel Sprühtechnik zur Erzeugung von feinstem Wassernebel, der durch Abkühlung der Umgebungsluft Aufenthaltsqualität im Freien schaffen soll. Solche Vernebler liegen im „grünen“ Wien gerade hoch im Kurs – Stichwort „Coole Straßen“ oder „Kühle Meile“.

Dieser durch Förderungen der Stadt Wien gehypte Trend um Wassernebelanlagen ist nicht unumstritten, denn technische Lösungen sind wartungs- und somit kostenintensiv. Das macht sie nicht gerade zur nachhaltigsten Klimaanpassungslösung. Zudem merken Kritiker an, dass Vernebler eine Menge Wasser verbrauchen – eine Ressource, die im Klimawandel immer kostbarer wird. Eines steht jedenfalls fest: Eine Nebeldusche kann niemals die Klimawirksamkeit eines ausgewachsenen Baumes erreichen, der durch Beschattung und Evapotranspiration kühlt und ganz nebenbei CO2 bindet und in Sauerstoff verwandelt.

Der 10.600 Quadratmeter große Esterházypark im sechsten Wiener Gemeindebezirk, eine im späten 18. Jahrhundert entstandene Parkanlage, wird derzeit umgestaltet. Und zwar nicht auf konventionelle Art und Weise – zumindest nicht nur. So wird die Anlage zum Cooling-Park, und dafür greift das beauftragte Ziviltechnikerbüro Carla Lo Landschaftsarchitektur neben klassischen Gestaltungsmaßnahmen zur Aufwertung des Parks auch auf technische Lösungen zur Kühlung des freiräumlichen Aufenthaltsbereiches zurück. Durch Entsiegelung von Beton und Asphaltflächen können neue Gräser- und Staudenbeete sowie etliche schattenspendende Bäume hinzukommen. Wasserelemente wurden reaktiviert, helle strahlungsabweisende Bodenbeläge und viele neue Sitzgelegenheiten angebracht. Und nun kommt das kühlende Hightech: Im Zentrum der Anlage wird ein rund 30 Quadratmeter großer Coolspot errichtet. Dabei handelt es sich um einen kreisförmigen Aufenthaltsort mit schattenspendenden Rankgerüsten und zwei Klimabäumen, die durch drei Meter hohe Sprühnebelduschen die Umgebungsluft kühlen. In Zusammenspiel mit dem landschaftsarchitektonischen Planungs- und Gestaltungskonzept soll der Park so nicht nur gestalterisch aufgewertet, sondern um bis zu sechs Grad Celsius gekühlt werden.

Für die technische Entwicklung der Coolspots zeichnen Breathe Earth Collective und Green4Cities verantwortlich, die diese neue Technologie im Rahmen des Förderprogramms Smart Cities Demo – Living Urban Innovations des Klima- und Energiefonds in ihrem Forschungsprojekt Tröpferlbad 2.0 entwickelt haben. Um aus dem Versuch Lehren für weitere Planungsvorhaben ziehen zu können, betreuen und begleiten die externen Konsulenten den Cooling-Park über die geplante Fertigstellung im Herbst 2020 hinaus zwei weitere Jahre. Das ermöglicht die Evaluierung und Anpassung der Coolspots sowie den so wichtigen Wissenstransfer zwischen Forschung und Praxis. Und so wird der Esterházypark künftig nicht nur ein Ort der Entspannung und Hitze-Entlastung, sondern auch ein Wissenspool für klimawirksame Maßnahmen. Die Umbauten des Esterházyparks erfolgen in enger Zusammenarbeit der Planer und Forscher mit der Stadt Wien, dem Bezirk Mariahilf und dem Haus des Meeres. Letztgenanntes ist seit 1958 im Flakturm im Esterházypark untergebracht und hat im Zuge der Erweiterungen am Gebäude den Umbau des umgebenden Parks angestoßen.

Auch der Flakturm wurde Teil der Klimakühlungsmaßnahmen. Auf der nördlichen Flakturmmauer wächst seit Kurzem Wiens höchste Fassadenbegrünung mit rund 8500 Pflanzen. Für Konstruktion und Wartung zeichnen die Stadtbegruener verantwortlich. Und genau wie die Coolspots wird auch dieses Projekt erst beweisen müssen, ob es technisch funktioniert und die 400 Quadratmeter große vertikale Grünfläche auf lange Sicht die erwarteten positiven Klimaeffekte bringt. Denn ebenso wie Vernebelungsanlagen stehen derart große Fassadenbegrünungen am Anfang ihrer Entwicklung. Oftmals fehlen langjährige Versuchsreihen und technische Daten wie Lebenszykluskosten, CO2-Bilanz, Lebensdauer oder Erfahrungswissen über die Akzeptanz in der Bevölkerung. Nicht jede Technologie wird sich langfristig durchsetzen. Zudem bleibt in einer sich wandelnden Klimasituation abzuwarten, ob Konzepte, die heute gut funktionieren, in Zukunft noch sinnvoll sein werden. Jedenfalls wird Flexibilität gefragt sein: ausprobieren, weiterentwickeln oder eben auch wieder gut sein lassen.

Spectrum, Sa., 2020.07.18

15. Mai 2020Stephanie Drlik
Spectrum

Auf dem Weg ins Grüne

Zigtausende Jobs hingen bisher an der Branche Landschaftsarchitektur – Tendenz steigend. Doch dann kam Corona. Und wie geht's jetzt weiter mit der Arbeit für Grün- und Freiräume? Eine Umschau.

Zigtausende Jobs hingen bisher an der Branche Landschaftsarchitektur – Tendenz steigend. Doch dann kam Corona. Und wie geht's jetzt weiter mit der Arbeit für Grün- und Freiräume? Eine Umschau.

Parks, erweiterte Straßenräume, Wohnanlagenfreiräume, Gärten, Terrassen, Balkone – all das haben wir in den vergangenen Wochen in Städten besonders zu schätzen gelernt. Im Covid-19-Pandemie-bedingten Lockdown mit Ausgangs- und Reisebeschränkungen waren all jene begünstigt, denen ein privater oder gemeinschaftlich nutzbarer Grünraum in direktem Wohnumfeld zur Verfügung stand. Wir wissen schon lange um die Bedeutung von Parks und Co., und gerade für Städter stellen sie oftmals die einzige Möglichkeit dar, mit der Natur in Verbindung zu treten, Bewegung zu machen und soziale Kontakte zu pflegen.

Im Klimawandel erhält diese große Bedeutung einen weiteren wichtigen Aspekt, denn ohne Grün in der Stadt wird es in den Sommermonaten schon bald unerträglich heiß werden. Daher sollten urbane Grün- und Freiräume in weiteren Planungen zu Krisen, ungeachtet ob Corona-Krise oder Klimakrise, ob des hohen Stellenwerts als sogenannte kritische Infrastruktur mitgedacht werden. So gilt es öffentliche Räume künftig auch in Krisenmanagementplänen zu berücksichtigen und dafür Sorge zu tragen, dass nicht nur ausreichend nutzbarer Freiraum verfügbar, sondern dieser auch in einem entsprechend hochwertigen Zustand vorzufinden ist. Diese Überlegungen müssen Teil der Aufarbeitung der Corona-Krise sein. Und zwar besser heute als morgen, damit sie Teil der gerade stattfindenden Konjunkturgespräche sein können.

Es gibt nämlich Bedarf an Investitionen in die Herstellung und Erhaltung ebenjener grünen Infrastruktur, die uns in den vergangenen Wochen in Städten so hilfreich war. „Das positive Bewusstsein über die Bedeutung von Grün in der Stadt ist in den letzten Jahren, nicht zuletzt aufgrund der Klimakrise, erheblich gestiegen, und davon hat die Landschaftsarchitektur merklich profitiert“, sagt Maria Auböck, Inhaberin von Auböck + Kárász Landscape Architects, Vizepräsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Landschaftsarchitektur und Präsidentin der Zentralvereinigung der Architekten Österreichs. „Daran gilt es nun anzuknüpfen und die Corona-Krise dafür zu nützen, Missständen entgegenzuwirken.“ Bei Freiraumbudgets wird hierzulande gerne gespart, was sich folglich in der Qualität der Freiräume widerspiegelt. „Als besonders kritisch empfinde ich den mangelhaften Pflegezustand so mancher öffentlichen Parkanlage“, so Auböck.

Dabei ist die hinter dem Grün- und Freiraum stehende Planungsbranche gar nicht zu unterschätzen, an ihr hängen bereits jetzt Zigtausende Jobs, Tendenz steigend. Erste Zahlen aus dem noch unveröffentlichten Green Market Report Austria, der die Branche der Bauwerksbegrünung unter die Lupe nimmt, belegen das. Allein dieser Sektor könnte künftig mehr als 8000 direkte und weitere 25.000 indirekt entstehende neue Arbeitsplätze schaffen. Rechnet man die wesentlich umfangreicheren grün-infrastrukturellen Aufgabenbereiche der Landschaftsarchitektur hinzu, so ergibt sich ein enorm wachsender Wirtschaftsfaktor. Doch mitten in dieser erfolgreichen Entwicklung kam Corona. Was sind die Folgen?

Grundsätzlich müssen für eine Marktanalyse zwei Bereiche unterschieden werden. Der Privatgartenbereich unterliegt in jeder Hinsicht seit Jahrzehnten einer steilen Wachstumskurve, wie sich nicht nur an der Nachfrage nach Gartenbedarfsartikeln in Baumärkten belegen lässt. Auch oder gerade in unsicheren Zeiten, in denen ein ganzes Land Reisebeschränkungen unterworfen ist, gewinnen die eigenen vier grünen Wände weiter an Bedeutung. Doch der Privatgarten ist ein überschaubares Betätigungsfeld für Landschaftsarchitekten, denn nur wenige Private lassen Garten oder Terrasse von Profis planen.

Es sind andere Bereiche, die in den vergangenen Jahrzehnten für die Landschaftsarchitektur wirtschaftlich relevant wurden: die Planung öffentlicher und teilöffentlicher Freiräume, also Parks, Plätze, nutzungserweiterte Straßenräume und Freiraumanlagen zu mehrgeschoßigen Wohnbauten oder zu anderen teilöffentlichen oder öffentlichen Gebäuden, sowie die für das Klima so wichtige grünbasierte Stadtplanung. Doch die sichtlich wachsende Nachfrage nach öffentlichen Grünanlagen im Lockdown scheint Landschaftsarchitekten nicht unweigerlich zu Profiteuren der Corona-Krise gemacht zu haben.

„Bei den heimischen Landschaftsarchitekturbüros fällt derzeit etwa ein Drittel bis ein Viertel des Umsatzes weg“, schätzt Sabine Dessovic, Inhaberin des Büros DnD Landschaftsplanung. „Das liegt am Ausbleiben der vielen kleineren Aufträge. Großprojekte, die bereits in Arbeit sind, laufen bei uns wie bisher normal weiter, und die Baustellen waren beinahe durchgehend in Betrieb.“ Das bestätigt auch Maria Auböck: „Die Baubranche steht unter enormem wirtschaftlichem Druck. Stehzeiten auf der Baustelle bedeuten Wertverlust, daher wurde weitergearbeitet. Doch unsere ausländischen Projekte in Corona-Krisengebieten stehen still.“

Bei DnD Landschaftsplanung hat es bisher auch noch keine Kürzungen der Freiraumbudgets gegeben, aber „natürlich überlegen Investoren, ob jedes geplante Vorhaben gerade jetzt umgesetzt werden muss“, sagt Dessovic. Und so wird die Realisierung des einen oder anderen gewonnenen Wettbewerbs vermutlich auf Eis gelegt. „Es ist die Planungsunsicherheit, die uns derzeit zu schaffen macht. Fällt ein Auftrag jetzt weg, können wir die Gehälter nicht über mehrere Monate weiterfinanzieren, ohne zu wissen, ob im Herbst neue Aufträge eingehen.“ Aus diesem Grund kam es sogar in vielen Landschaftsarchitekturbüros bereits zu Kündigungen. Die Kurzarbeit ist nur für all jene Büros eine Option, die liquide genug sind, um Gehälter vorzufinanzieren. Und das ist bei den in der Branche überdurchschnittlich vielen kleinen oder jungen Unternehmen kaum der Fall. Zuschüsse aus dem Härtefallfonds haben lediglich punktuell geholfen, lautet der Tenor aus den Unternehmen.

Schwächelt die Branche weiterhin, wird sich das über kurz oder lang in den Freiräumen abzeichnen. Das könnte nicht nur fatale Auswirkungen auf die Zukunftsfähigkeit und Klimaresilienz unserer Lebensräume, sondern auch maßgeblichen Einfluss auf die Verfügbarkeit der begehrten Green Jobs haben. Gerade jetzt in der Krise ist daher der richtige Zeitpunkt, Investitionen in die weitere Entwicklung Österreichs zu einem klimaneutralen Innovationsland mit hochwertigen Lebensräumen zu tätigen. Wir waren bereits auf einem guten Weg – jetzt gilt es Maßnahmen zu setzen, die Ökologie, Klima, Gesundheit und Wirtschaft gleichermaßen fördern und die Branche zu einem dauerhaft wirksamen Job- und Konjunkturmotor machen. Zur Umsetzung der Maßnahmen wird es jedenfalls viele erfahrene Landschaftsarchitekturbüros brauchen. Bleibt zu hoffen, dass sie einen entsprechend langen Atem haben, um auch in Zukunft auf dem heimischen Markt die kritische Infrastruktur Freiraum sicherzustellen.

Spectrum, Fr., 2020.05.15

20. März 2020Stephanie Drlik
Spectrum

Bäume mit Mehrwert

Von der Ästhetik des Selbstverständlichen: Auf einen vormaligen Maisacker zu Wattens hat das Architekturbüro Snøhetta eine Streuobstwiese gezaubert, in der ein modernes Raumkonzept mit traditionellen Tiroler Landschaftselementen vereint ist.

Von der Ästhetik des Selbstverständlichen: Auf einen vormaligen Maisacker zu Wattens hat das Architekturbüro Snøhetta eine Streuobstwiese gezaubert, in der ein modernes Raumkonzept mit traditionellen Tiroler Landschaftselementen vereint ist.

Es ist heute fast selbstverständlich, dass Unternehmen Beiträge zur nachhaltigen Entwicklung einer Gesellschaft leisten – Corporate Social Responsibility (CSR) nennt man das. Meist beziehen sich Maßnahmen auf die Geschäftstätigkeiten innerhalb des Unternehmens, die Mitarbeiter oder Umweltaspekte betreffend. CSR ist freiwillig, mehr oder weniger, schließlich geht es für Wirtschaftstreibende um das so wichtige gute Image. Maßnahmen völlig außer Acht lassen kann sich heute kaum ein größeres Unternehmen leisten. Unter diesem Druck entstehen unzählige Lückenfüller für nötig gewordene Nachhaltigkeitsberichte.

Dann und wann stößt man auf ernst gemeinte Beiträge – so im Tiroler Wattens, Hauptsitz des österreichischen Familienunternehmens Swarovski. Der Weltkonzern zeigt bereits seit Jahren Engagement für die Region. Da die Swarovskis seit dem 19. Jahrhundert am Standort erfolgreich wirtschaften, tragen sie eine gewisse Verantwortung für die Region: Man übernimmt also Corporate Regional Responsibility. Wattens soll, so der Leitgedanke des Firmengründers, ein schöner Ort zum Leben sein. Und seit damals wird an diesem Ziel gearbeitet, etwa im Rahmen von Siedlungsprogrammen zur Schaffung von Wohnungen für die Belegschaft; es scheint ein funktionierendes Geben und Nehmen. Nun hat Swarovski in Wattens wieder einmal gegeben. Ziemlich uneigennützig und im Gegensatz zu den Kristallwelten diesmal mit wenig Trommelwirbel und Design-Chic, dafür mit Gespür für die Landschaft. Handlungsrahmen war ein 3,5 Hektar großer Maisacker vor den Toren der Swarovski-Produktionsstätte: Die Agrarfläche auf Swarovski-Grund wurde als Potenzialfläche identifiziert und in eine öffentlich nutzbare Streuobstwiese verwandelt. Klingt nach ein paar Bäumen auf einer Wiese, ist aber weit mehr: Entstanden ist ein Hybrid aus landwirtschaftlicher Produktionsfläche und Park, wobei weniger die Ertragsaussicht als vielmehr der gesellschaftliche Mehrwert im Vordergrund stand.

Für die Umbau- und Erweiterungsarbeiten der bekannten Swarovski-Kristallwelten 2014 bis 2015 beauftragte man unter anderem das norwegische Architekturbüro Snøhetta, das mit Büropartner und Managing Director Patrick Lüth auch einen Standort in Innsbruck betreibt. Es folgte eine weitere Kooperation zwischen Swarovski und Snøhetta zur Erarbeitung eines Gestaltungsleitfadens für das gesamte Produktionsgelände und, beauftragt von Swarovski und der Marktgemeinde Wattens, die Erarbeitung einer „Vision Wattens“. Mit Zweiterem legte Snøhetta Entwicklungsideen für die Gemeinde vor und realisierte sogleich eine solche, inhaltlich vorangetrieben und finanziell ermöglicht durch den Unternehmensleiter Markus Langes-Swarovski.

Das weltweit agierende Architekturbüro Snøhetta ist für interdisziplinäre Arbeit und standortbezogene Planungsansätze bekannt. Und obwohl Streuobstwiesen sicher nicht zum Kerngeschäft des Architekturbüros zählen, hat Snøhetta es wieder geschafft: kontextorientiertes Planen mit Fokus auf die nutzenden Menschen, verpackt in eine symbolkräftige ästhetische Formensprache. Mit dem Aushubmaterial eines neu errichteten Manufakturgebäudes wurde der Landschaftsraum vor dem Swarovski-Werk topografisch modelliert. Über die entstandene hügelige Topografie legt sich ein strenger Raster aus 231 halb- und hochstämmigen Solitär-Obstbäumen, ergänzt um etwa 100 Beerensträucher und eine Wildobsthecke. Durchbrochen wird der geometrisch angelegte Obstgarten lediglich von einer Kirschbaumallee. Zwischen den Obstbäumen soll in den kommenden Jahren eine blumenreiche Magerwiese entstehen, die für die Obstblütenbestäubung wichtige Insekten anlocken wird. Dafür ist eine Abmagerung der vorhandenen Wiese notwendig; das braucht Zeit und spezielle Pflegeabläufe. Ein regelmäßiger Grasschnitt und der konsequente Abtransport der Mahd entziehen der Fettwiese Nährstoffe. Dieses intensive Pflegemanagement wird fortgesetzt, bis sich Magerrasenelemente etablieren.

Die Gestaltung der Anlage ist stimmig und erinnert in ihrer Ästhetik des Selbstverständlichen trotz eines modernen Raumkonzepts an traditionelle Tiroler Landschaftselemente. Der formale Kontrast zwischen Topografie und Baumraster, die funktionale Planung und Ausführung inklusive Versickerungsmulden und Feuchtflächen sowie das durchdachte ökologische Konzept – das alles macht den Unterschied zwischen einer Wiese, auf der Obstbäume wachsen, und einem umfassenden landschaftsarchitektonischen Werk mit hohem ökologischem und soziokulturellem Wert. Auf der Fläche wurden 140 heimische, größtenteils alte Kultur- und Wildobstarten angebaut. Die halb- und hochstämmigen Bäume geben eine traditionelle widerstandsfähige Form des regionalen Obstbaus wieder, der im Gegensatz zur heute weit verbreiteten Niederstamm-Dichtbepflanzung weniger ertragreich ist.

Doch um Erträge geht es hier nicht, es geht um die Stärkung des gemeinschaftlichen Lebens in Wattens. Die Obstbäume werden von den Tiroler Obst- und Gartenbauvereinen und den Tiroler Baumwärtern gemeinsam mit der Bevölkerung gepflegt und beschnitten. Begleitend ist ein entsprechendes Umweltbildungs- und Veranstaltungsprogramm geplant, das die Bewohner einbindet. Schließlich gilt es, nicht nur Wissen über alte Obstsorten weiterzugeben. Als wertvolles Element der traditionellen bäuerlichen Kulturlandschaft Tirols erfüllen Streuobstwiesen einen enorm hohen ökologischen Wert. Neben der Obst- und Blumenvielfalt wird durch die Obstwiese eine Zunahme an Wildbienen, Hummeln, Schmetterlingen, Vögeln, Fledermäusen, Siebenschläfern und anderen wichtigen Ökosystemträgern erwartet. Zudem sollen Bienenstöcke platziert und gemeinsam mit dem lokalen Imkerverein bewirtschaftet werden.

Die Idee, eine landwirtschaftliche Monokulturfläche in einen Genpool alter Obstsorten zu verwandeln, ist ein schönes Symbol. Dass die Privatfläche der Bevölkerung als öffentlich nutzbare Parkanlage zugänglich gemacht wurde, hebt dieses Symbol ins Hier und Jetzt und macht die landschaftsarchitektonische Intervention zu einem bleibenden Wert für die Gemeinde. Wird die Idee der Streuobstwiese von der Bevölkerung angenommen, könnte das verantwortungsvolle Handeln von Swarovski die Region tatsächlich nachhaltig stärken: Corporate Regional Responsibility eben.

Spectrum, Fr., 2020.03.20

27. Oktober 2019Stephanie Drlik
Spectrum

Statt Park Parkplatz?

In Innsbruck geben die Grünen den Ton an, was nicht unweigerlich zu „grünen“ Lösungen führt. Die Hofgarten-Gärtnerei soll einem asphaltierten Busparkplatz weichen – damit schwindet die Chance auf Klimakühlung für die Innenstadt.

In Innsbruck geben die Grünen den Ton an, was nicht unweigerlich zu „grünen“ Lösungen führt. Die Hofgarten-Gärtnerei soll einem asphaltierten Busparkplatz weichen – damit schwindet die Chance auf Klimakühlung für die Innenstadt.

In der letzten Nationalratssitzung vor der Nationalratswahl 2019 wurde die Ausrufung des Klimanotstands für Österreich beschlossen – einstimmig. Eine gute Sache, denn der Klimanotstand ist ein wichtiges politisches Statement. Es zeigt, dass die Klimakrise wahrgenommen wird und – wie in einem Notstand üblich – Maßnahmen ehestmöglich einzuleiten sind. Die Möglichkeit, eine solche Maßnahme rasch auf den Weg zu bringen, hatten die Abgeordneten gleich in ebendieser Sitzung. Es wurde ein Antrag eingebracht, der forderte, dass vor jeder geplanten Oberflächenversiegelung auf Grundstücken im Besitz oder Teilbesitz des Bundes ein Klimacheck durchzuführen wäre. Also bevor bioaktive Bodenoberfläche abgetragen und mit harten baulichen Materialien befestigt wird, wäre die Auswirkung auf das Mikroklima zu prüfen. Der Antrag wurde abgelehnt. Erstaunlich, denn steigende Temperaturen im Klimawandel machen uns zu schaffen, und ausuferndes Betonieren und Asphaltieren ist einer der erwiesenen Turbo-Temperaturkatalysatoren.

Hintergrund des abgelehnten Antrags ist ein Anlassfall, der skurrilerweise gerade in jener Stadt für Klimaalarm sorgt, die mit ihrem grünen Bürgermeister Georg Willi als erste Landeshauptstadt Österreichs den Klimanotstand ausgerufen hat. Es handelt sich um Innsbruck, Hauptstadt Tirols – eines Landes, das sogar noch weiter gegangen ist und beschlossen hat, den Klimaschutz als hoch prioritär in der Landesverfassung zu verankern. Vorausschauend, denn von nun an muss jedes Projekt in Tirol auf seine Klimabilanz geprüft werden.

Zurück zum Anlassfall. Am Rande der Innsbrucker Altstadt liegt der Hofgarten: eine historische, unter Denkmalschutz stehende Parkanlage im Besitz der Republik, verwaltet von den Österreichischen Bundesgärten. Am östlichen Rand der Anlage befindet sich die ehemalige Hofgärtnerei, die seit 2017 nur noch für den Eigenbedarf des Hofgartens produziert. So kommt es, dass Gewächshäuser leer stehen und man sich um eine sinnvolle Nachnutzung bemüht. Schließlich bietet das Areal der Hofgärtnerei die einmalige Gelegenheit, den Park als freiräumlichen Erholungsraum zu erweitern. Nicht ganz unrelevant in einer wachsenden Landeshauptstadt mit steigendem Freiraumdruck, schließlich werden in nächster Umgebung des Hofgartens durch geplante Universitätserweiterungen und das neue Sicherheitszentrum Tirol in direkter Nachbarschaft künftig einige Tausend Menschen zusätzlich arbeiten und studieren.

Sinnvolle Ideen für eine Nachnutzung der leer stehenden Glashäuser und der ungenutzten Gärtnereiflächen gibt es viele. Jedenfalls wünscht man sich, dass der Bezug zum Hofgarten erhalten bleibt. Derzeit wird ein Teil der Fläche für Urban-Gardening-Zwecke genutzt; auch diese beliebte Bespielung könnte weitergeführt werden, ganz zur Freude der Bevölkerung und – so sollte man meinen – der Grünpolitik. Doch diesmal können sich die tonangebenden Innsbrucker Grünen so gar nicht für solch „grüne“ Themen begeistern, Klimanotstand hin oder her. Stattdessen wünscht man sich einen Busparkplatz, der im Zuge der erwähnten Uni-Erweiterung des benachbarten Management Center Innsbruck (MCI) auf Teilen der alten Hofgärtnerei entstehen soll.

Das MCI-Erweiterungsprojekt war bereits knapp vor dem Baubeginn gestanden, doch das Land Tirol hat es – wegen Kostenüberschreitung um kolportierte 55 Millionen Euro – gestoppt. Nun gab es einen Neustart der Planungen, wobei Bürgermeister Willi auf der scheinbar verzweifelten Suche nach Einsparungsmöglichkeiten die großen Klimaziele von Stadt und Land aus den Augen zu verlieren scheint. Denn aus der ursprünglich geplanten Bustiefgarage unter einem auf dem Areal befindlichen Sportplatz soll nun ein investitionsextensiverer, dafür umso versiegelungsintensiverer Busparkplatz unter freiem Himmel entstehen. Und weil die erforderlichen Freiflächen im umgebenden Innenstadtgebiet mehr als rar sind, muss nun die alte Hofgärtnerei dran glauben. Tenor der Projektbefürworter ist, dass die Oberflächen der Gärtnerei ohnehin bereits versiegelt seien, womit man sich auf Glashäuser, Wege und Zufahrtsstraßen bezieht. Ein Pachtvertrag soll die benötigte Fläche für die nächsten 15 Jahre für eine Nutzung durch die Stadt zwecksichern. Was danach mit der Parkplatzfläche geschieht, hängt von der Verkehrspolitik und dem künftigen Stellflächenbedarf ab. Übrig bleibt im schlechtesten Fall ein ungenutzter Busparkplatz – neben einer denkmalgeschützten Parkanlage im Innsbrucker Innenstadtgebiet. Eines steht jedoch heute schon fest: Der Traum vom Park wäre mit der Asphaltierung der Fläche ein für alle Mal geplatzt.

Nun stellen Bürger wie oppositionelle Kommunalpolitiker die berechtigte Frage, warum in einer Stadt im Klimanotstand der touristische Busverkehr überhaupt in die Innenstadt geleitet und nicht bereits außerhalb des dicht bebauten Gebiets abgefangen wird. Es wäre nur zeitgemäß, Gäste klima- und verkehrsschonend mit öffentlichen Verkehrsmitteln in die Innenstadt zu leiten. Auch fragt man sich, warum gerade bei diesem Vorhaben der sonst so rigide eingehaltenen Landesvorgabe zum flächenschonenden Bauen widersprochen wird. Denn in Tirol wird Bodensparen ebenso groß geschrieben wie Klimaschutz. Bei dem projektierten Parkplatzprojekt diskutiert man immerhin über eine Fläche von mehr als 4000 Quadratmeter nutzbaren Freiraums.

Die zuständigen Vertreter der Österreichischen Bundesgärten, dem Ministerium für Nachhaltigkeit und Tourismus unterstellt, stehen Willis fraglichen Gärtnerei-Nachnutzungsplänen erwartungsgemäß kritisch gegenüber. Doch die Entscheidung liegt nicht bei ihnen – mit der Liegenschaftsverwaltung der Hofgärtnerei ist die Burghauptmannschaft betraut. Diese ist dem Wirtschaftsressort zugeordnet, das üblicherweise eher wirtschaftliche als ökologische Interessen verfolgt. Und so schlägt Willi mit seinem Pachtangebot in die richtige Kerbe und argumentiert mit Einnahmen für die Bundesgärten, die in den Hofgarten investiert werden könnten. Ob diese ressortübergreifende Rückführung der Pachteinnahmen wahrscheinlich wäre, sei dahingestellt.

Es scheint jedenfalls, als würde sich der Innsbrucker Bürgermeister neben den groß gesteckten Zielen gerade ein wenig in der alltäglichen Kommunalpolitik verzetteln. Den Klimanotstand auszurufen reicht nicht, es müssen Maßnahmen folgen. Eine gärtnerische Nachnutzung der alten Gärtnereianlage ist eine aufgelegte Maßnahme, um zu beweisen, dass man es mit dem Klimanotstand ernst meint. Auch Innsbruck hat diesen Sommer wieder Rekordtemperaturen verzeichnet. Um das zu entschärfen, braucht es mehr Pflanzen und weniger versiegelte Oberflächen in der Stadt. Im Übrigen werden Glashäuser, die bioaktive Böden mit gewachsenem Erdkern bedecken, nicht als versiegelte Flächen gewertet – zumindest nicht in der Fachwelt.

Spectrum, So., 2019.10.27

28. Juni 2019Stephanie Drlik
Spectrum

Wenn die letzten Wiesen weichen

Täglich werden österreichweit Flächen in der Größe von 16 Fußballfeldern verbaut – und das auch noch an den falschen Orten. Höchste Zeit für ein Umdenken, meint der Raumplaner Gernot Stöglehner.

Täglich werden österreichweit Flächen in der Größe von 16 Fußballfeldern verbaut – und das auch noch an den falschen Orten. Höchste Zeit für ein Umdenken, meint der Raumplaner Gernot Stöglehner.

Weltweit verliert die Menschheit jährlich mehrere Millionen Hektar an fruchtbarem Boden. Österreich, das Land das so stolz auf seine schöne, gesunde Landschaft und die verträgliche Landwirtschaft ist, trägt im Schnitt der vergangenen drei Jahre jeden Tag rund zwölf Hektar an neu genutzter Fläche für Bauland und Infrastruktur bei. Das entspricht 16 Fußballfeldern – täglich. Dabei hatte sich die damalige österreichische Bundesregierung bereits 2002 das Ziel gesetzt, den täglichen Flächenverbrauch auf 2,5 Hektar zu reduzieren. Ein Ziel, zu dem sich auch die letzte Regierung bekannt, die jedoch keine wahrnehmbaren Maßnahmen zur Erreichung beigetragen hat. Gernot Stöglehner, Professor am Institut für Raumplanung, Umweltplanung und Bodenordnung an der Universität für Bodenkultur Wien, kennt viele sinnvolle Planungsinstrumente zur Steuerung – doch Raumplanung allein kann ohne politischen und gesellschaftlichen Wertewandel keine Trendwende herbeiführen.

Herr Stöglehner, Experten warnen schon lange, dass der hohe Flächenverbrauch in Österreich schwerwiegende Folgen haben wird. Warum ist gerade in einem kleinen Land wie Österreich, mit enden wollenden Bodenressourcen, der Flächenverbrauch so hoch?

In Österreich wird tatsächlich überdurchschnittlich viel Fläche für Bauland und Infrastruktur in Anspruch genommen. Problematisch ist dabei nicht nur der Flächenverbrauch, sondern auch, dass die Flächen an falschen Orten verbraucht werden. Wir planen Städte und Siedlungen immer noch so, dass weite Wege und Distanzen zwischen den verschiedenen Nutzungen mit dem Auto zurückgelegt werden müssen. Dadurch ist in Österreich die durchschnittliche Straßenlänge pro Kopf extrem hoch. Diese Situation wirkt sich nicht nur negativ auf die Lebensqualität aus, sie führt auch zu massiven Verkehrs- und Treibhausgasbelastungen und zu dem angesprochenen hohen Flächenverbrauch. Zusammen treibt das die Klimakatastrophe und den zunehmenden Biodiversitätsverlust voran.
Ich sehe eine der grundlegenden Lösungen der Treibhausproblematik in der Entwicklung kompakter, funktionsgemischter und energieeffizienter Raum- und Siedlungsstrukturen. Doch die Situation in Österreich stellt sich heute anders dar: Statt kompakter Innenentwicklung, die CO2 produzierenden Autoverkehr vermeidet und nachhaltige, gesunde Lebensstile fördert, werden immer noch neu ausgewiesene Bauflächen an Randzonen bevorzugt und daher politisch gefördert. Das ist zu kurz gedacht, nicht nur was den Klima- oder Artenschutz betrifft. Umweltschäden führen langfristig auch zu einem Verlust der wirtschaftlichen Wertschöpfung, etwa im Bereich der Landwirtschaft. Schließlich geht die Flächeninanspruchnahme für peripheren Wohnbau, Gewerbe, Industrie und für Einkaufszentren oftmals auf Kosten hochwertiger, landwirtschaftlich genutzter Flächen.

Wir diskutieren die Probleme der Zersiedelung bereits seit Jahrzehnten, und trotzdem ist Österreich heute Europameister im Flächenverbrauch. Fehlen der Planung die richtigen Steuerungsinstrumente, oder ist die Politik schuld, dass sich nichts ändert?

Die Schuldfrage lässt sich so nicht beantworten. Raumentwicklung ist ein dynamisches System, auf das Planer, Entscheidungsträger, Grundeigentümer, die Öffentlichkeit und verschiedene andere Stakeholder einwirken. In diesem System hat die Planung die Verpflichtung, Entwicklungen aufzuzeigen und Wege und Instrumente vorzuschlagen. Die Politik muss auf Basis dieser Grundlagen Entscheidungen treffen. Derzeit führt diese Interessensabstimmung zu einem hohen Flächenverbrauch. Doch eine flächeneffiziente räumliche Entwicklung ist genauso möglich, Planungsinstrumente gibt es ausreichend. Einzig die Verfügbarmachung von ungenutztem Bauland und Leerständen ist ein Problem – hier brauchen wir neue Herangehensweisen.

Die Planung bereitet also nur Optionen vor. Wie ressourcenschonend sich Österreich entwickelt, scheint vom Wertekonzept einzelner Politikerinnen und Politiker abzuhängen.

Da Raumordnung und Bodenschutz in der Kompetenz der Bundesländer liegen, gibt es unterschiedliche Entwicklungsqualitäten. Hinter zukunftsweisenden Raumentwicklungen stehen Politiker, die ihre Gemeinden, Städte oder ihr Bundesland auf einen nachhaltigen Kurs bringen wollen. Dafür muss man in eine professionelle Planungsleistung und Umsetzungsbegleitung investieren, die sich rasch amortisieren.
Die Steuerreform der letzten Regierung zeigt, dass ökologische Werte derzeit nicht gerade hoch im Kurs stehen. Ein Problem, wenn es doch gerade den politischen Willen braucht, um den Flächenverbrauch zu stoppen.
Wir sind eine wachsende Gesellschaft. Stelltsich dem Wachstum etwas in den Weg, wird das Hindernis oft wegentschieden. Doch wir stehen derzeit vor einigen ganz großen gesellschaftlichen Herausforderungen: Klimakatastrophe, Digitalisierung, Verlust an Biodiversität. In unseren Lebensräumen bilden sich noch keine Lösungsansätze dafür ab, und das muss sich ändern. Denn die Ausbeutung der Ressource Boden und die Schädigung unserer Umwelt zugunsten von kurzfristigem Siedlungs- und Wirtschaftswachstum ist keine nachhaltige Strategie. Dahingehend braucht es politisches, aber auch gesellschaftliches Umdenken.

Gesellschaftliches Umdenken?

Wir haben mit 1,7 Quadratmetern pro Kopf Höchstwerte in Europa bei den Verkaufsflächen. Die Straßenlänge ist mit 16 Metern pro Kopf fast doppelt so hoch wie in der Schweiz. Knapp 20 Prozent des Dauersiedlungsraums werden bereits für Bauland und Infrastruktur in Anspruch genommen. Österreichs Naturraum weist klare Grenzen des Wachstums auf, innerhalb derer das frei stehende Einfamilienhaus, das Einkaufszentrum, der Gewerbebetrieb zu viel Fläche verbraucht. Das wird sich so künftig nicht mehr ausgehen. Es gibt Alternativen, etwa in der Innenentwicklung oder in der Nachnutzung von Leerständen, doch das muss auch gesellschaftlich akzeptiert und durch rechtliche und finanzielle Anreize gestützt werden. Schließlich sind am Ende wir alle die Leidtragenden räumlicher Fehlentwicklungen.

Spectrum, Fr., 2019.06.28

19. April 2019Stephanie Drlik
Spectrum

Ab in den Park!

Wohin mit den Süchtigen? Die Linzer Antwort lautet: Verbannung aus der Innenstadt in einen Park in Bahnhofsnähe. Betroffene, Anrainer und Experten für Landschaftsarchitektur protestieren, das Stadtgartenamt bleibt untätig. Über eine Kontroverse im barocken Bergschlössl-Park.

Wohin mit den Süchtigen? Die Linzer Antwort lautet: Verbannung aus der Innenstadt in einen Park in Bahnhofsnähe. Betroffene, Anrainer und Experten für Landschaftsarchitektur protestieren, das Stadtgartenamt bleibt untätig. Über eine Kontroverse im barocken Bergschlössl-Park.

Es ist eine uralte Frage, die sich in jeder größeren Stadt stellt: Wie geht eine Stadtgesellschaft mit jenen Bürgerinnen und Bürgern um, die nicht der gängigen sozialen Norm entsprechen und andere Bevölkerungsgruppen durch ihre Präsenz im öffentlichen Raum stören oder sie durch kriminelle Aktivitäten gefährden? Oftmals mittellos oder eine Sucht bedienend, suchen betroffene Menschen gut frequentierte, öffentliche Plätze auf, um dort zu tun, was immer sie zu tun haben, oder um einfach ihren sozialen Bedürfnissen nachzugehen. Das gefällt den der Norm entsprechenden Bewohnern meist wenig, die sie sich als ordentliche Steuerzahler berechtigt fühlen, den öffentlichen Raum für sich zu beanspruchen und durch Einsatz des Sicherheitsargumentes auf verwaltungspolitischer Ebene Druck erzeugen.

Auch wenn die meisten Straßenbewohner ungefährlich sind, kommt es vereinzelt zu unangenehmen Begegnungen zwischen verängstigten Passanten und stänkernden oder aggressiven Straßenbewohnern. Das führt dazu, dass in österreichischen Städten zunehmend mit Schutz- oder Verbotszonen gearbeitet wird, in denen Bettel-, Nächtigungs-, Alkohol-, Drogen- und sogar Aufenthaltsverbote für auffällige Personen ausgesprochen und exekutiert werden. Die Verbotszonen sind umstritten, nicht nur aus menschenrechtlicher Sicht. Exkludierende Maßnahmen im öffentlichen Raum führen zwar zur lokalen Verdrängung der Problemgruppen, da sich die zu Entfernenden aber nicht in Luft auflösen, verlagert sich die Sache an einen oder womöglich mehrere andere Orte, wo sich wiederum die dort ansässigen Bewohner in ihrem Sicherheitsgefühl gestört fühlen und protestieren.

So geschehen in der oberösterreichischen Landeshauptstadt Linz. Hier hatte man es mit einer aktiven Randgruppenszenerie zu tun, die sich hauptsächlich auf zwei zentral gelegene Hotspots zurückgezogen hatte, den Hessenpark und den Südbahnhofmarkt. Die Linzer waren unzufrieden, man führte Verbotszonen ein, und, siehe da, auch in Linz hatte die Maßnahme lediglich eine Verlagerung des Problems zur Folge. Die Szene wanderte einige Straßen weiter, auf den OK-Platz im Linzer Kulturquartier. Neuer Ort, gleiches Problem: Anwohner und Passanten waren auch hier verunsichert, und so stehen verantwortliche Stadtpolitiker erneut unter Druck.

Druck aus der Bevölkerung kann ein guter Motor für anstehende politische Entscheidungen sein, er kann aber ebenso zu überhasteten Kurzschlussreaktionen führen. In Linz trat offenbar Zweiteres ein. Zumindest zeugt die umstrittene Lösung des Linzer Bürgermeisters Klaus Luger von wenig Feingefühl für die Sache. Im Bestreben, das Konfliktpotenzial zwischen sozialen Randgruppen und der Innenstadtbevölkerung zu minimieren, entschied er – laut eigenen Angaben in einem Dialog zwischen Stadtregierung, Polizei, Suchtexperten und Sozialarbeitern –, die Alkohol- und Drogensüchtigen aus der Innenstadt in den bahnhofsnahen Bergschlössl-Park abzuleiten und dort eine Ersatzfläche für Suchtkranke zu schaffen. Nun kann man diskutieren, ob eine Verlagerung des Innenstadtproblems in ein Wohngebiet mit nahem Kindergarten und Hort sinnvoll ist oder ob die Proteste von besorgten Bewohnern weniger zählen als jene der Geschäftsleute des OK-Platzes. Man kann auch die Nähe des geplanten Standortes zum Hauptbahnhof mit seiner eigenen Drogenszene diskutieren, da die Kumulation unterschiedlicher sozialer Problemgruppen ein erhöhtes Konfliktpotenzial erwarten lässt. Und man kann diskutieren, ob der Wunsch der Betroffenen, die eine geplante Zwangsübersiedlung ablehnen, berücksichtigt werden sollte. Was aber neben all diesen zu klärenden Kritikpunkten bereits ohne Diskussion gegen den neu geschaffenen Aufenthaltsbereich für Randgruppen spricht, ist der historische Bergschlössl-Park.

Gemeinsam mit dem von Barockbaumeister Johann Michael Prunner 1718 errichteten Bergschlössl bildet die Parkanlage eines der bedeutendsten historischen Ensembles im Linzer Stadtgebiet. Mit hoch- und spätbarocken Elementen und landschaftlich überformten Bereichen zählt der Park, 1777 als botanischer Garten eingerichtet, zu den ältesten botanischen Gärten Österreichs. Bis heute belegt ein naturschutzrelevanter und seltener Gehölzbestand diese Entwicklung. Der Bergschlössl-Park ist Teil des wertvollen Gartenkulturerbes der Stadt, worauf das Linzer Stadtmuseum Nordico vergangenes Jahr in einer „Stadtoasen“-Schau hinwies, ebenso wie der Botanische Garten, der den Bergschlössl-Park mit einer Ausstellung zum 300-Jahr-Jubiläum würdigte. Der alte Gehölzbestand schafft eine herrliche Aufenthaltsqualität auf mehr als 2,5 Hektar Parkfläche. In einer wachsenden Stadt wie Linz mit über 200.000 Einwohnern eine wichtige Naherholungsressource. Der geplante Randgruppenstützpunkt wird sich jedenfalls auf diese Erholungsnutzung inklusive der Nutzung des Standortes für Hochzeiten und ähnlich feierliche Anlässe auswirken.

Da die geplanten Vorhaben und die dafür notwendigen adaptiven Eingriffe die Nutzbarkeit, aber auch den historischen Wert der Anlage gefährden, gab es neben Anrainerprotesten zugleich Einsprüche aus der landschaftsarchitektonischen Fachwelt. Man verweist auf ein existierendes Parkpflegekonzept – bislang ohne Resonanz der Stadt. Dass der Bürgermeister von der Verordnung weiterer Verbotszonen absehen will, ist sinnvoll. Doch warum die Standortwahl für die Ersatzfläche auf ein derart unpassendes Objekt gefallen ist, bleibt unklar – wenngleich die Entscheidung nicht sonderlich überrascht.

Schon zuvor hat Linz mit einer offensichtlichen Geringschätzung gegenüber Grünräumen und der nach wie vor fehlenden Baumschutzsatzung auf sich aufmerksam gemacht, wie alarmierte Expertinnen und Experten berichten. Dabei war gerade das Stadtgartenamt Linz aufgrund seiner fortschrittlichen Arbeitsweise einstmals österreichweit geschätzt. Die daraus hervorgegangene Abteilung für „Stadtgrün und Straßenbetreuung“, wie sich das Grünamt heute nennt, tut sich jedenfalls nicht positiv hervor, auch nicht bei den aktuellen Fragestellungen zur Randgruppenthematik. Dabei wäre es ihre Aufgabe gewesen, eine schützende Hand über die historische Parkanlage zu legen. Ob diese Abteilung in den erwähnten Dialog der Stadtregierung zur Standortfrage eingebunden war, ist nicht bekannt.

Zur Kritik, nach der der Park aufgrund des Bewuchses nur schwer überwachbar sei, hat der Linzer Stadtpolizeikommandant in Medienberichten jedenfalls schon auf entsprechende Maßnahmen verwiesen. Bleibt zu hoffen, dass er nicht den radikalen Rückschnitt von historischen Sträucher- und Gehölzstrukturen gemeint hat. Wer Schillerplatz und Hessenpark kennt, muss das Schlimmste befürchten – fachlicher Einspruch vonseiten der Grünabteilung ist jedoch nicht zu erwarten.

Spectrum, Fr., 2019.04.19

22. September 2018Stephanie Drlik
Spectrum

Der Spitalsgarten des KH Nord: Grün darf kein Luxus sein

Was das Wandeln zwischen geschützten Tieren und Pflanzen bewirken kann: der Landschaftsarchitekt Daniel Zimmermann zu den Vorwürfen, der Spitalsgarten des KH Nord sei überdimensioniert und überteuert. Ein Gespräch.

Was das Wandeln zwischen geschützten Tieren und Pflanzen bewirken kann: der Landschaftsarchitekt Daniel Zimmermann zu den Vorwürfen, der Spitalsgarten des KH Nord sei überdimensioniert und überteuert. Ein Gespräch.

Es scheint, als wäre bei der Projektabwicklung des in Bau befindlichen Krankenhauses Nord an der Floridsdorfer Brünner Straße einiges schiefgegangen. Zumindest sprechen Verzögerungen und steigende Baukosten für sich und beschäftigen eine gemeinderätliche Untersuchungskommission. Neuerdings kommen auch die Außenanlagen, die angeblich das neueste Kapitel in der Skandalchronik des KH Nord schreiben sollen, in die Schlagzeilen der Boulevardpresse. Was an den Vorwürfen dran ist, erklärt der planungszuständige Landschaftsarchitekt Daniel Zimmermann, Partner im Planungsbüro 3:0 Landschaftsarchitektur.

Daniel Zimmermann, Sie arbeiten als lokaler Partner mit dem amerikanischen, weltweit tätigen Landschaftsarchitekturbüro Martha Schwartz Partners zusammen, jenem Büro, das für den Entwurf der Außenanlagen des gerade in Bau befindlichen Wiener Krankenhauses Nord verantwortlich zeichnet. Sie waren gemeinsam mit dem projektzuständigen Architekten Albert Wimmer für die Ausführungsplanung und Umsetzung des künstlerischen Leitkonzepts von Martha Schwartz zuständig. Der Freiraum wurde weitgehend fertiggestellt, doch nun werden Kritikpunkte laut, es sei eine überzogene Außenraumgestaltung, ein völlig überteuerter und überdimensionierter Luxusgarten. Was sagen Sie zu diesen Vorwürfen?

Der Entwurf der „Healing Gardens“ ist aus dem Wettbewerbsverfahren als Siegerprojekt hervorgegangen. Ausschlaggebend war die Idee, ein Spitalsumfeld zu schaffen, das nicht nur Dekoration ist, sondern auch eine wesentliche Funktion erfüllt. Die Natur sollte Menschen helfen, gesund zu werden und das Wohl von Patienten und Mitarbeitern zu fördern. Das Konzept ist ambitioniert, doch dieser Ansatz entspricht den modernen Anforderungen eines Spitalsaußenraumes. So wird derzeit auch in anderen europäischen und amerikanischen Großstädten gearbeitet. Die Kosten zur Herstellung bewegen sich im durchschnittlichen Rahmen.

Von welchem Rahmen sprechen wir?

Die Herstellungskosten für die Parkgestaltung waren in der Planungsphase mit 120 bis 140 Euro pro Quadratmeter veranschlagt. Die im direkten Umfeld des Gebäudes befindlichen Therapiegärten erfordern erwartungsgemäß eine intensive, teurere Gestaltung als der in Richtung Süden auslaufende Landschaftspark. Im Projektdurchschnitt hat der Quadratmeter zur Herstellung des Außenraumes 130 Euro gekostet. Der Kostenrahmen wurde also eingehalten.

Die Österreichische Gesellschaft für Landschaftsplanung und Landschaftsarchitektur, die basierend auf langjährigem Erfahrungs- und Expertenwissen Kennwerte für die Herstellung von Grün festlegt, empfiehlt für die Errichtung von Frei-, Grün- und Bewegungsräumen zu Krankenhäusernals kalkulatorischen Richtwert 175 Euro Herstellungskosten pro Quadratmeter.

Da liegen Sie im KH Nord darunter.

So ist es, es wurde wirtschaftlich vertretbar gearbeitet. Und bedenkt man, dass auch hart befestigte Flächen, also etwa Straßen, in der Herstellung teurer als 130 Euro pro Quadratmeter sind, spricht das umso mehr für die grüne Ausgestaltung. Wenn man den Wert eines solchen Spitalskonzepts, den ökologischen, stadtklimatologischen und therapeutischen Nutzen des Grüns einberechnet, ergibt sich ein enormer Mehrwert für die Kommune. Extensive Grünflächen können natürlich günstiger hergestellt werden, doch das ist nicht mit der Herstellung eines Therapiegartens vergleichbar, bei dem es sich um hochwertiges Leistungsgrün mit unterschiedlichsten therapeutischen Funktionen handelt. Die Gestaltung des KH Nord basiert auf fundierten Erkenntnissen der Wissenschaft und der modernen Landschaftsarchitektur. Der Naturraumfaktor soll den Heilungsprozess und die psychische Stabilität der Patienten unterstützen und das Wohlbefinden der Menschen, die in der Einrichtung arbeiten, verbessern. Gewisse Stresssituationen können dadurch minimiert werden, auch für die Mitarbeiter und die Besucher und für alle Leute, die den Park mitnutzen.

Mitnutzen? Derzeit ist das Areal inklusive dem 47.000 Quadratmeter umfassenden Park eingezäunt . . .

Der Landschaftspark und der Spitalsvorplatz sind teilöffentlich konzipierte Flächen. Die Mitbenutzung des Parks durch die Nachbarschaft des Umfeldes war von Anfang an geplant und erwünscht, so wie es auch in anderen Wiener Krankenanstalten praktiziert wird. Auf Grund der räumlichen und infrastrukturellen Situation ist die Zugänglichkeit im KH Nord nicht optimal. Derzeit kann man den Park nur über den Eingangsbereich des Krankenhauses erreichen.

Was sagen Sie zur Kritik an der Dimensionierung des Spitalsgartens und an den hohen Parkpflegekosten?

Die Größe ist absolut nachvollziehbar und legitim. Sie ergibt sich aus der tragenden Rolle des Gartens als Therapieraum, aber auch aus der Notwendigkeit, ökologische und naturschutzrechtliche Ausgleichsflächen zu schaffen, denn auf dem Gebiet leben geschützte Tier- und Pflanzenarten. Was die Pflegekosten betrifft, muss man genauer hinschauen, als das getan wurde. Denn die kolportierten Zahlen beziehen sich auf die intensive Anwuchs- und Entwicklungspflege der ersten Jahre. Danach folgt die wesentlich günstigere Erhaltungspflege. Die Kritik ist ärgerlich, denn man diskutiert ja auch nicht die Kosten der Fassadenreinigung oder für das Teppichsaugen im Gebäude, das sind ebenso wie die Parkpflege notwendige Instandhaltungskosten. Grünpflege ist wichtig, um die hohe Qualität und die Funktionen des Außenraumes aufrechtzuerhalten.

Ist das Freiraumprojekt, bei all den anderen Kosten, die anfallen, nicht eher Luxus als Notwendigkeit?

Wenn Grün zum Luxus wird, sind wir auf dem falschen Weg. Nicht nur, was die heilenden Effekte in Bezug auf das Spital und die Nutzer und Nutzerinnen anbelangt. Allein der stadtökologische und mikroklimatische Beitrag bringt gewichtige Argumente für den Garten. Mit diesem fortschrittlichen Krankenhausfreiraum setzt Wien ein wichtiges Zeichen. Im Gegensatz zum Wiener Wohnbau, wo wir keine großzügigen Außenanlagen mehr verwirklichen können, insbesondere im geförderten Sektor. Auch was die öffentlichen Parkanlagen anbelangt, für die Wien einstmals so berühmt war, erleben wir derzeit Rückschritte. Die Kosten zur Errichtung des Freiraumes im KH Nord belaufen sich auf etwas mehr als ein Prozent der Gesamtbaukosten des Projektvorhabens. Wenn wir diesen Errichtungskosten den Mehrwert der Außenanlage entgegenstellen, ist das jedenfalls eine extrem positive Bilanz für die Stadt und ihre Bewohnerinnen und Bewohner.

Spectrum, Sa., 2018.09.22

25. August 2018Stephanie Drlik
Spectrum

Hier stimmt das Klima

Immer öfter setzt sich die Landschaftsarchitektur mit interdisziplinären Methoden und Einbeziehung grüner Infrastruktur gegen klassisch architektonische Ansätze durch. So auch in Niederösterreich: zur Neugestaltung des Ortszentrums von Brunn am Gebirge.

Immer öfter setzt sich die Landschaftsarchitektur mit interdisziplinären Methoden und Einbeziehung grüner Infrastruktur gegen klassisch architektonische Ansätze durch. So auch in Niederösterreich: zur Neugestaltung des Ortszentrums von Brunn am Gebirge.

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16. Juni 2018Stephanie Drlik
Spectrum

Form für das Chaos

Kein städtischer Raumtypus bildet die Strukturen und Entwicklungen eines Gesellschaftssystems besser ab als öffentliche Grünflächen – so wächst die Verantwortung der Landschaftsarchitektur. Eine Konferenz in Wien widmete sich dem Thema.

Kein städtischer Raumtypus bildet die Strukturen und Entwicklungen eines Gesellschaftssystems besser ab als öffentliche Grünflächen – so wächst die Verantwortung der Landschaftsarchitektur. Eine Konferenz in Wien widmete sich dem Thema.

Landschaftsarchitekten sind als Lebensraumgestalter ähnlichen Rahmenbedingungen unterworfen wie Planerinnen und Planer anderer kreativer Disziplinen. Eine Vielzahl an – sichtbaren und unsichtbaren – Regelwerken begleitet ihre Arbeit und formt folglich unsere Lebensräume. Neben bindenden legislativen Gesetzen, Verordnungen, Richtlinien und Normen und jenen Ansprüchen, die das Fach vorgibt, ist die Gestaltung des Freiraumes insbesondere an gesellschaftliche, kulturelle und baukulturelle Codes und Gebräuchlichkeiten gebunden.

Erst unlängst hat das Architekturzentrum Wien (AzW) in der Ausstellung „Form folgt Paragraph“ Zusammenhänge zwischen dem Vorschriftswesen, gesellschaftlichen und baukulturellen Paradigmen und der gebauten Architektur unter die Lupe genommen. Erfreulich, dass vergangene Woche die Auseinandersetzung mit dem wichtigen Thema vertieft und um den öffentlichen Raum, im Speziellen den öffentlichen Park, erweitert wurde. „Park Politics – Die Rolle der Politik für die Gestaltung des öffentlichen Raumes“, so der Name der internationalen Konferenz, veranstaltet vom Institut für Landschaftsarchitektur (ILA) der Boku in Kooperation mit dem AzW.

Kaum ein städtischer Raumtypus bildet die soziokulturellen, politischen und umweltpolitischen Strukturen und Entwicklungen eines Gesellschaftssystems deutlicher ab als der öffentliche Raum. Insbesondere öffentliche Parkanlagen sind ein Spiegel ihrer Zeit. Man denke an die großen, feudalen Wiener Parkanlagen, die noch Jahrzehnte nach der Demokratiewende mehr dem Repräsentieren als dem öffentlichen Nutzen dienten. Ein sauberes und aufgeräumtes Erscheinungsbild mit geregelten Nutzungen auf vorgegebenen Pfaden galt hierzulande bis in die späten 1970er-Jahre als Parkideal. So waren das Betreten und Benutzen der Rasenflächen untersagt. Erst der Kampf um die „Rasenfreiheit“, der im Wiener Burggarten seinen Anfang nahm, zeigte, dass die kommunalen Vorgaben nicht mehr den gesellschaftlichen Entwicklungen und Vorstellungen entsprachen. Auf Druck der Bevölkerung für mehr Nutzungsfreiheit im öffentlichen Raum wurde das Verbot aufgehoben.

Waren also lange Zeit politische Reglements raum- und nutzungsprägend, so hat sich in der postpolitischen Ära die Ökonomie als leitende Rationale für die Gestaltung des öffentlichen Raumes durchgesetzt: Errichtungs-, Pflege- und Erhaltungskosten spielen heute, so die Organisatorinnen der Konferenz, eine dominierende Rolle. Andererseits findet gerade in wachsenden Städten eine Repolitisierung im Bereich der Raumverteilung und -regulierung statt. Ein Paradoxon, denn dem deutlich zunehmenden Bewusstsein der Bürgerinnen und Bürger in Bezug auf ihre Rechte und dem emanzipierten Einfordern des verfügbaren öffentlichen Raumes steht eine Art Selbstentmündigung gegenüber. Die Verantwortung zur Herstellung, zur Instandhaltung und für die Konsequenzen des eigenen Handelns im urbanen Raum wird bereitwillig an Stadtverwaltungen abgegeben, was jedoch einen Wust an Reglementierungen bedingt. Und so ergibt diese Gegensätzlichkeit aus dem einerseits wachsenden Wunsch nach Beteiligung und Mitsprache der Nutzer und den andererseits zunehmenden Regulierungen der heimischen Verwaltungsabteilungen oftmals skurrile inhaltliche und gestalterische Raumlösungen, die es in vielerlei Hinsicht zu hinterfragen gilt.

Das Thema der Parkpolitik ist also reichlich komplex. Und die erwähnte Konferenz hat es mit sechs Keynotes, acht Sessions und 29 Vorträgen, die von Ankara über Bangkok und Brasilien bis nach Medellin, Oslo und Tel Aviv führten, auch durchaus weit aufgespannt. Jedenfalls tut der Blick über den österreichischen und landschaftsarchitektonischen Tellerrand gut. Man lud neben zahlreichen namhaften Landschaftsarchitektinnen und Landschaftsarchitekten wie Johanna Gibbons und Neil Davidson (J&L, London), Marti Franch Batllori (EMF, Girona), Leonard Grosch (Atelier Loidl, Berlin) und Isolde Rajek (Rajek Barosch, Wien) auch renommierte nationale und internationale Wissenschaftler und Redner fachverwandter Disziplinen nach Wien. Es referierte etwa der bekannte Schweizer Grafikdesigner Ruedi Baur über die territoriale Identität und das Corporate Design von Städten. Die amerikanische Künstlerin Emily Eliza Scott, die das Kunstkollektiv Los Angeles Urban Rangers verantwortet, gewährte Einblicke in ihre partizipative Arbeit im Raum und erweiterte die landschaftsarchitektonische Sicht um eine konzeptionell-künstlerische Dimension. Ebenso unter den Vortragenden war der deutsche Geograf Bernd Belina, der sich mit Fragen zur Regulierung und Überwachung des öffentlichen Raumes auseinandersetzte, was als Beitrag zu den Geschehnissen am Wiener Praterstern nicht passender hätte sein können.

Die zahlreichen Vorträge aus Wissenschaft und Praxis veranschaulichten die Vielfalt des Themas, aber auch das sehr verschiedenartige Verständnis von Park Politics, das je nach disziplinärem Schwerpunkt, kulturellem Hintergrund und Wirkungsbereich der Vortragenden unterschiedlich interpretiert wurde. So ging es um die Verfügbarkeit und gerechte Verteilung von Raum, um Landnutzungstransformationen, um Aneignungs- und Beteiligungsprozesse, um Maßstäblichkeiten, um Privatisierungstendenzen, um das Recht auf Natur in der Stadt, um behördliche Gestaltungs- und Nutzungsreglementierungen, um Ethik, Moral und soziale Verantwortung, um Gentrifizierung und gelungenere Steuerungsprozesse, um den Erhalt historischer Werte, um das Recht auf Ökologie und Biodiversität, um Werte, Kosten und Finanzierungswege, um Bäume, um Tourismus und nicht zuletzt um formale Gestaltungskonzepte, die stabil und gleichzeitig flexibel genug sein müssen, um all den diskutierten gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen standzuhalten.

Aus den zahlreichen präsentierten Steuerungsmöglichkeiten der Landschaftsarchitektur konnten nur wenige allgemeingültige Strategien abgelesen werden. Zu heterogen waren die Beiträge und zu einzigartig und speziell sind lokale Gegebenheiten und Anforderungen jedes Projektes. Doch eines wird nach drei Tagen Konferenz auch hier klar: Das alles ist sehr kompliziert. Und wie der eben zitierte Fred Sinowatz schon einstmals ergänzend hinwies, so gilt auch in Sachen Park Politics, dass es in einer pluralistischen Demokratie nun mal keine perfekten Lösungen für alles und für jeden geben kann. Was die Konferenz jedenfalls klargemacht hat, ist die wachsende Verantwortung, die bei den planenden, gestaltenden und prozessbegleitenden Landschaftsarchitektinnen und Landschaftsarchitekten liegt. Denn – um das vorangegangene Zitat mit einem ebenso sinnhaften Ausspruch von Samuel Beckett zu bekräftigen – eine Form zu finden, die das Durcheinander fasst, das ist nunmehr die Aufgabe des Künstlers.

Spectrum, Sa., 2018.06.16

24. März 2018Stephanie Drlik
Spectrum

Wo bleibt die Wirkung?

Diskutieren, sammeln, herzeigen, weiterentwickeln – aber wie und wo? Die österreichische Landschaftsarchitektur auf der Suche nach einem Haus als Aushängeschild.

Diskutieren, sammeln, herzeigen, weiterentwickeln – aber wie und wo? Die österreichische Landschaftsarchitektur auf der Suche nach einem Haus als Aushängeschild.

Die Landschaftsarchitektur hat eine beachtliche Entwicklung hinter sich. Einst überwiegend mit gartengestalterischen Aufgabenstellungen beschäftigt, hat sich die Disziplin in den vergangenen Jahrzehnten emanzipiert und aus den Anforderungenunserer Zeit heraus in viele unterschiedliche Richtungen entwickelt. Man beschäftigt sich ganzheitlich mit der Landschaft, das schließt den physischen Landschaftsraum ebenso wie die Landschaft als Ökosystem, als Lebensraum, als Kultur- und Gesellschaftsraum ein.

Neben den wichtigen planenden und gestaltenden Kernkompetenzen der Profession liegt ihre Stärke unumstritten in dieser Ganzheitlichkeit, die kaum ein anderer Planungsberuf aufweist. Denn Landschaftsarchitekten stellen nicht nur komplexe ökologische, soziale, kulturelle, ästhetische und ökonomische Zusammenhänge her und setzen diese planerisch um, sie begleiten alle Entwicklungsphasen auch prozessual und beziehen involvierte Fachrichtungen und betroffene Bürger ein.

In einer Zeit, in der Aufgabenstellungen immer komplexer werden, machen diese Aspekte die Landschaftsarchitektur zu einem erfolgsbringenden Zukunftsfaktor nachhaltiger Entwicklungen. Insbesondere im globalen Wandel, der uns vor enorme Herausforderungen des Klimawandels, der Urbanisierung oder sozialer Umbrüche stellt, gewinnen systemübergreifende Lösungen der Landschaftsarchitektur an Bedeutung.

Dank dieses zeitgemäßen Profils weisen internationale Rankings die Profession als eines der stark wachsenden Berufsfelder der kommenden Jahrzehnte mit enormer Marktrelevanz aus. Das klingt vielversprechend und lässt Landschaftsarchitekten, die sich heute mit den ewig alten Problemen des Berufs herumschlagen, hoffnungsfroh in die Zukunft blicken. Doch soll die Landschaftsarchitektur den großen gesellschaftlichen und ökologischen Erfordernissen unserer Zeit gerecht werden und künftig als bedeutende Planungsdisziplin auf unsere heimische Baukultur Einfluss nehmen, muss in Österreich noch einiges geschehen. Denn die bloße Existenz der Profession, so nachhaltig ihre Themen auch sein mögen, bedeutet nicht per se Fortschritt.

Ein Defizit der heimischen Szene, das es dringend zu beheben gilt, ist die diametrale Entwicklung aus wachsender Marktrelevanz und stagnierender monetärer Bewertung. Nach Jahrzehnten der fachlichen Selbstfindung und der durchaus gelungenen Etablierung als relevante Planungsdisziplin laboriert die Landschaftsarchitektur noch immer an einem marktwirtschaftlichen Paradoxon: Trotz zunehmender Bedeutung und steigender Anerkennung innerhalb der Fachwelt stehen die Dienstleistungen und Produkte der Disziplin nach wie vor nicht sonderlich hoch im Kurs. Das mag an dem Problem liegen, dass sich der gestaltete Freiraum nur schwer wirtschaftlich be- und oftmals nur indirekt verwerten lässt. Doch was es auch immer sein mag, die Tatsache lässt einen Schluss zu. Selbst wenn das Bekenntnis zur Bedeutung des Freiraumes generell gegeben ist, wenn es um das Beauftragen und Bezahlen geht, scheint eine mangelnde Wertschätzung für Freiraumbelange vorzuherrschen.

Und das ist fatal, denn es ist gerade die notorische Unterbudgetierung von Freiraumprojekten und Honoraren, die eine disziplinäre Weiterentwicklung ausbremst. Die österreichische Szene ist divers und bunt, aber viele der realisierten Projekte zeigen nicht, was ästhetisch-kreativ und in Sachen Nachhaltigkeit und Fortschritt möglich wäre, sondern nur das, was unter Kostendruck und Budgetknappheit gerade noch machbar war.

Das Problem der mangelnden wirtschaftlichen Wertschätzung mag ein baukulturell oder gesellschaftspolitisch gewachsenes sein, doch es ist zu einem gewissen Maße auch hausgemacht. Denn bisher konnten Österreichs Landschaftsarchitekturschaffende keine sonderlich ausgeprägte Diskussionskultur etablieren. Die Planungsbüros reflektieren und diskutieren ihre Arbeit nur wenig in der Fachöffentlichkeit, und landschaftsarchitektonische Projekte werden selten in österreichischen Medien besprochen. Dabei sind gerade diskursive Reflexionen und kritische Projektrezensionen wichtige Faktoren zur inhaltlichen Weiterentwicklung des Faches und zur Steigerung der allgemeinen Wahrnehmung. Die Disziplin mit ihren zukunftsfähigen Arbeitsfeldern leidet also unter einer mangelnden Außenwirkung, und so findet das Landschaftsarchitekturschaffen hierzulande wenig Beachtung der Öffentlichkeit oder potenzieller Auftraggeber.

Der eigentliche Kern des angesprochenen Problems liegt aber weniger bei den Planungsbüros als vielmehr im Fehlen einer geeigneten Vermittlungsplattform. Eine Plattform, die der österreichischen Landschaftsarchitektur mehr fachliche Aufmerksamkeit verschafft, die relevante Themen einer breiten Öffentlichkeit zugänglich macht und die Austausch und Diskussion rund um das disziplinäre Selbstverständnis und die Entwicklung des Standes der Technik ermöglicht. Im Gegensatz zur Architektur, die österreichweit mittlerweile von mehreren Architekturhäusern vertreten wird, gibt es hierzulande kein eigenes Themenhaus der Landschaftsarchitektur. Der Ruf der Branchenach einem „Haus der Landschaftsarchitektur“ zum Diskutieren, Sammeln, Herzeigen und Weiterentwickeln von Landschaftsarchitektur wird daher merklich lauter. Es wäre tatsächlich ein wichtiger Schritt auf dem Weg in die Zukunftsfähigkeit, die Landschaftsarchitektur in Österreich institutionellzu verorten und der Profession ein nationales und internationales Aushängeschild zu verschaffen.

Bis es so weit ist, bleibt die Disziplin mit ihrem breiten Tätigkeitsspektrum darauf angewiesen, Inhalte in themennahen Häusern unterzubringen – was bislang allerdings nur mäßig in Anspruch genommen wurde. In den vergangenen Jahren gab es jedenfalls nur eine einzige landschaftsarchitektonische Werkschau in einem Architekturhaus. Es handelt sich um jenes Haus, dessen Direktorin nun als Kuratorin des österreichischen Beitrags zur Architekturbiennale 2018 berufen wurde. Jene Kuratorin, die zum Thema „Freespace“ ein Shared-Space-Projekt ins Leben gerufen hat und für dieses grundtypische Aufgabenfeld der Landschaftsarchitektur auf die Beteiligung eines Landschaftsarchitekturbüros im Planungsteam verzichtet hat.

Die Botschaft der letztjährigen Landschaftsräume Schau im Vorarlberger Architekturinstitut, die unter anderem auch das Ziel hatte, die allgemeine Wertschätzung der Landschaftsarchitektur in unserer Kulturgesellschaft zu stärken, ist anscheinend nicht angekommen.

Spectrum, Sa., 2018.03.24

02. Dezember 2017Stephanie Drlik
Spectrum

Belvederestöckl: Fair Play?

Auf der Suche nach dem Kern des Skandals rund um das geplante Bierlokal im historischen Schwarzenberggarten stößt man auf allerlei Merkwürdigkeiten – am Ende findet man einen Tiger. Eine Bestandsaufnahme.

Auf der Suche nach dem Kern des Skandals rund um das geplante Bierlokal im historischen Schwarzenberggarten stößt man auf allerlei Merkwürdigkeiten – am Ende findet man einen Tiger. Eine Bestandsaufnahme.

Wer jemals versucht hat, in Wien ein Bauvorhaben mit heiklen Rahmenbedingungen umzusetzen, der weiß: Möchte man reibungslos und unbeschadet zu einem gebauten Ergebnis gelangen, gilt es, einige Spielregeln einzuhalten. Das Wiener Prozedere ist leicht zu verstehen: Neben der Berücksichtigung der Bauordnung und rechtlich bindender Regelungen werden inhaltliche Leitlinien der Stadt und jene, die das Projektumfeld vorgibt, abgefragt. Hierzu bedarf es eines umsichtig, inklusiv und interdisziplinär gestalteten Planungsprozesses, bei dem Stadtverantwortliche und magistratszuständige Abteilungen ebenso wie Kommunalpolitiker, Anrainer und fachrelevante Planungspartner in den Prozess eingebunden werden. Ganz im Sinne einer transparenten und sauberen Baukultur wird Betroffenen das Vorhaben zu einem Zeitpunkt offengelegt, da es noch eine realistische Chance zur Berücksichtigung vonVerbesserungsvorschlägen gibt.

Trotz des akzeptanzsteigernden Effektes partizipativer Verfahren kommt es immer wieder zu bauherrischen Alleingängen. Gerade einflussreiche Bauwerber oder Berater versuchen gerne, den Weg im Vorfeld der Umsetzung des Projektes politisch zu ebnen, um später auf Umsichtigkeiten verzichten zu können. Solch ignorante Projektabwicklungen haben jedoch einen fauligen Bei-, allenfalls aber einen bitteren Nachgeschmack. Die Projekte leiden nämlich durch das Fehlen wertvoller Fachbeteiligungen unter Qualitätsverlusten und bewirken, angesichts der Machtlosigkeit gegenüber intransparenten Machenschaften, Frustration und Verärgerung.

Vor einigen Monaten wurde ein Bauvorhaben öffentlich, bei dem man sich offensichtlich gegen das Wiener Prozedere und für die schlankere Alleingangtaktik entschied. Es handelt sich um die Planungen zur Revitalisierung des Gastronomiebetriebes im ehemaligen „Belvederestöckl“, einem einstmals kleinen, allerdings feinen Lokal an der Wiener Prinz-Eugen-Straße. Das Stöckl im Besitz der Fürstlich Schwarzenberg'schen Familienstiftung liegt im Park zum Palais Schwarzenberg, einem bedeutenden Barockgarten, errichtet im italienisch-französischen Stil. Auf den Gartenterrassen verzichtete man ab 1783 auf intensive Pflegeschnitte, wodurch sich ein landschaftlicher Park mit wunderbarem Altbaumbestand entwickeln konnte, der auch das 1928 errichtete Stöckl beherbergt. Und dieses seit Jahren leer stehende Gebäude soll nun von der Salm Bräu GmbH gepachtet und zu einer Brauerei mit beachtlicher Gästekapazität erweitert werden.

Die Parameter zur Realisierung sind denkbar schwierig: ein altes Bestandsgebäude in einem historischen Park, geschützt durch die Flächenwidmung Parkschutzgebiet, situiert zwischen dem touristisch hochfrequentierten Belvedere und einem gut-bürgerlichen Wohnviertel, inmitten der Kernzone Weltkulturerbe Wien–Innere Stadtund einer Schutzzone im Rahmen der Wiener Altstadterhaltungsnovelle. Der Park als Gesamtanlage und seine baulichen Gartenelemente stehen unter Denkmalschutz. So manch fachkundiger Immobilienentwickler hätte angesichts dieser Voraussetzungen warnend abgewunken.

Doch scheinbar war sich der Bauwerber seines Vorhabens sicher. Wie anders ließe sich erklären, dass man sich weder die Mühe machte, ein denkmalpflegerisches Fachgutachten einzuholen, noch ein begleitendes Verkehrs- oder Parkierungskonzept für die ursprünglich 880 Sitzplätze umfassen sollende Gastronomiestätte vorzulegen? Auch die Anrainer scheinen von den Plänen weithin überrascht worden zu sein. Diesem Agieren und allen Schutzvorkehrungen zum Trotz: Der Erweiterungsbau des neuen „Stöckl im Park“ wurde ohne Einwände des Denkmalschutzes, des Naturschutzes oder der Baubehörde bewilligt. Jetzt wartet man auf die Betriebsanlagengenehmigung.

Erwartungsgemäß beteuert der Betreiber, im rechtlichen Rahmen gehandelt zu haben, und – wenngleich die Vorgehensweise seltsam scheint – nichts Gegenteiliges soll hier unterstellt werden. Doch für Belange im öffentlichen Interesse hätte man umsichtigeres Handeln und mehr Gespür für den Ort erwartet.

Nun, da eine fachkundige und einflussreiche Bürgerinitiative Druck macht und sich die Österreichische Gesellschaft für historische Gärten mit dem Fall an das Unesco-Weltkulturerbezentrum in Paris gewandt hat, rudert der künftige Betreiber zurück, kündigt Maßnahmen zur Reduzierung des Lärmaufkommens und die Ausarbeitungeines Verkehrskonzeptes an. Man sei jedenfalls gesprächsbereit – nach einer derartigen Projektabwicklung ein ironisches Eingeständnis, das reichlich spät kommt.

Die gartendenkmalpflegerischen Folgen des Bierlokalprojektes wurden in der heißen Debatte der vergangenen Wochen nur am Rande angeschnitten. Dabei liefern gerade sie, in dem Dilemma rund um widersprüchliche Geschäfts- und Anrainerinteressen, die sachlichsten Argumente gegen das Projekt. Welchen Einfluss haben Schank- und Toilettenanlagen und ein Hunderte Sitzplätze umfassender Gastgarten, direkt auf der Mittelachse der denkmalgeschützten Barockanlage liegend, auf den historischen Park? Vielleicht wüssten wir es, gäbe es ein entsprechendes Fachgutachten. Und dass dieses nicht vor der behördlichen Baugenehmigung eingefordert wurde, trifft wohl den Kern des Skandals. Wie konnte ein so fragwürdiges Projekt ohne öffentlich geführte gartendenkmalpflegerische Fachdebatte, ohne Einsprüche des Denkmalamtes und ohne Auflagen im Rahmen der Schutzzonenbeschränkungen von der Baupolizei bewilligt werden?

Die Recherchen im Zuge dieses Artikels konnten diese Frage nicht beantworten. Doch eines ist schon lang bekannt: Die österreichische Gartendenkmalpflege ist seit ihrer Eingliederung in eine Unterabteilung für Spezialmaterien ein zahnloser Tiger imBundesdenkmalamt. Österreich fehlt eine weisungsbefugte, zentralzuständige Instanz, die mächtig genug ist, Belange der Gartendenkmalpflege vor wirtschaftliche Motive zu stellen. Vielleicht erkennen politische Entscheidungsträger anhand des schmerzlichen Anlassfalles den Handlungsbedarf und machen diese folgenschwere Degradierung endlich rückgängig, um beschriebene Verfahrensfehler künftig verhindern zu können.

Spectrum, Sa., 2017.12.02

15. Juli 2017Stephanie Drlik
Spectrum

Unter freiem Himmel

Zwar kommt in Vorarlbergs Landschaftsarchitektur immer öfter die heimische Szene zum Zug, doch bei Prestigeprojekten vertraut man mehrheitlich (derzeit noch?) den Stars aus dem benachbarten Ausland. Notizen zur Ausstellung „Landschaftsräume“ im Vorarlberger Architekturinstitut.

Zwar kommt in Vorarlbergs Landschaftsarchitektur immer öfter die heimische Szene zum Zug, doch bei Prestigeprojekten vertraut man mehrheitlich (derzeit noch?) den Stars aus dem benachbarten Ausland. Notizen zur Ausstellung „Landschaftsräume“ im Vorarlberger Architekturinstitut.

Auf Vorarlberg sind wir Österreicher in Sachen Architektur bekanntlich stolz. Ein einzelnes Bundesland, noch dazu ohne eigene universitäre Architekturfakultät, hat ein hochwertiges Architekturschaffen mit unverkennbarem Stil etabliert. Einem Stil, der selbst in der schier unüberschaubaren internationalen Architekturproduktion einzigartig bleibt. Der Tradition gleichermaßen wie dem Visionären verpflichtet, wird mit dem Anspruch des Alltäglichen auf einem Niveau geplant, das in vergleichbarer Ausdauer bisher kein anderes österreichisches Bundesland durchgehalten hat. Ein reger und selbstkritischer Fachdiskurs prägt diese Architekturszene bereits seit Jahrzehnten und begleitet nach wie vor alles, was Vorarlbergs Architekturschaffende hervorbringen. Die ausgeprägte Diskussions- und Vermittlungskultur kann mit als Grund für die bemerkenswerte Architekturentwicklung dieses Bundeslandes gewertet werden.

Vor diesem Hintergrund mutet es überraschend an, dass im sonst so debattierfreudigen Ländle bislang nur wenig über einen weiteren wichtigen Tätigkeitsbereich der baukulturellen Produktion diskutiert wurde, nämlich über die Landschaftsarchitektur Vorarlbergs. Dieser liegt eine fachliche Entwicklung abseits der selbstbewusst und eigenständig agierenden „Vorarlberger Baukünstler“ zugrunde. Das Ergebnis ist weniger experimentell und visionär als die Vorzeigearchitektur, dennoch stets ordentlich und solide. Und im Ausdruck lässt sich das Realisierte im Außenbereich im Großen und Ganzen ähnlich beschreiben wie das der anerkannten Architekturproduktion: zurückhaltende Schlichtheit, Funktionalität und Traditionsverbundenheit in Form und Materialwahl sowie viel Aufmerksamkeit auf Handwerk und Ausführung.

Für den erwähnten architektonischen Fachdiskurs ist bereits zwei Jahrzehnte lang das Vorarlberger Architektur Institut, kurz VAI, hauptverantwortlich. Mit Verena Konrad, die das Haus seit 2013 leitet, zog ein erweitertes Verständnis von Architektur als Lebensraumgestaltung in die Ausstellungswelten des Institutes ein. Es überrascht daher kaum, dass nun gerade das VAI, als erstes Architekturhaus Österreichs, eine der zentralen lebensraumgestaltenden Disziplinen aufgreift und die „Zeitgenössische Landschaftsarchitektur in Vorarlberg“ in einer soeben eröffneten Schau der „Landschaftsräume“ thematisiert.

Konrad hat diese gemeinsam mit Lilli Lička, Landschaftsarchitektin, Professorin und Mitbegründerin des Büros Koselička, kuratiert. Lička war selbst schon des Öfteren im Ländle tätig, etwa mit der wunderbar zeitlosen Dorfplatzgestaltung in Bezau (2008). „Landschaftsarchitektur ist kulturelle Produktion. Sie bildet wie kaum eine andere Disziplin gesellschaftliche Prozesse ab. Gesellschaftliche Transformationen spiegeln sich in den Räumen wie in den Ansprüchen an Freiraum und Landschaft wider“, so Lička. In Vorarlberg wird sehr gewissenhaft mit dieser gesellschaftlichen Verantwortung umgegangen. Langwierige Planungsprozesse in öffentlichen Räumen, wie jene des Bregenzer Kornmarktes, der nach jahrelanger interdisziplinärer Bearbeitung 2013 fertiggestellt wurde, beweisen, dass man es sich nicht leicht machen möchte. Lička sieht eine merkliche Steigerung der fachlichen Auseinandersetzung und der öffentlichen Wahrnehmung des gestalteten Freiraumes. Folglich tritt Landschaftsarchitektur als kulturelle Disziplin zunehmend in Erscheinung.

Und das durchaus zu Recht, denn das Vorarlberger Landschaftsarchitektur-Geschehen ist vielseitig. Es planen zahlreiche lokale Büros, die größtenteils auch in der VAI Ausstellung zu sehen sind. Neuerdings sind aber vermehrt auch Landschaftsarchitekturbüros aus dem Rest-Österreich in Vorarlberg tätig. Eine Marktöffnung, die wohl bemerkenswerter ist als jene ins benachbarte Ausland. Denn aufgrund der kulturräumlichen Nähe, die sich auch offensichtlich in der formalen Gestaltung des Freiraumes ausdrückt, stellt Vorarlberg seit jeher einen interessanten Markt für Landschaftsarchitektinnen und -architekten aus der Schweiz und aus Deutschland dar. Insbesondere dann, wenn auf große Namen gesetzt werden soll, beauftragt man angesehene Planer aus den Nachbarländern. Länder, die in ihrer langen landschaftsarchitektonischen Tradition mit einer Reihe an renommierten Büros glänzen.

So wurde etwa bei der Planung des erwähnten Bregenzer Kornmarktes oder auch des Vorplatzes zum Bregenzer Festspielhaus auf die Erfahrung und den guten Ruf der Schweizer Vogt Landschaftsarchitekten gesetzt. Den Stadtgarten Dornbirn legte man in die erfahrenen Hände des deutschen Büros Rotzler Krebs Partner (heute Krebs und Herde). Es scheint fast, als möchte man Prestigeprojekte den heimischen Landschaftsarchitekturbüros noch nicht so recht zutrauen. Dabei wäre gerade die Aufmerksamkeit, die mit solchen Vorzeigeprojekten einhergeht, ein willkommener Auftrieb für die heimische Szene. Doch auch abseits von Touristen-Hotspots findet bereits viel gute, wenn auch vielleicht weniger prominente, Landschaftsarchitektur statt. Das VAI in Dornbirn legt nun in seiner aktuellen Schau einige dieser Projekte frei.

Apropos VAI: Die Leitung eines Architekturhauses einer Kunst- oder Kulturtheoretikerin anzuvertrauen hat sich in Dornbirn ebenso wie in Wien als kluge Besetzung erwiesen. Verena Konrad setzt sich über das Präsentieren bloßer Architekturschauen hinweg und zeigt in ihrem Wirkungsbereich, was Lebensraumgestaltung alles bedeuten kann. Es ist davon auszugehen, dass sie als soeben berufene Kommissärin den Österreich-Pavillon im Rahmen der nächsten Architekturbiennale in Venedig wohl auch mit dieser inklusiven Herangehensweise bespielen und das Bild einer modernen österreichischen Baukultur in Europa prägen wird. Denn interpretiert man Konrads VAI Programmierung richtig, scheint sie zu erkennen, dass ein Großteil unseres Lebens draußen unter freiem Himmel stattfindet und Lebensräume nicht an der königsdisziplinär geplanten Gebäudekante enden. Spannend wäre daher zu überlegen, was nach der Hoffmann'schen Gebäudekante des Österreich-Pavillons unter dem freien Himmel Venedigs passieren könnte. Hoffentlich gute Landschaftsarchitektur, vielleicht sogar aus Vorarlberg.

Spectrum, Sa., 2017.07.15

06. Mai 2017Stephanie Drlik
Spectrum

Neuland über dem Fluss

Aus dem dringlichen Bedarf an nutzbarem Grünraum realisieren Metropolen derzeit Utopisches. Auch hierzulande versucht man Neues – und stößt auf altbekannte Grenzen. Eine Nachschau.

Aus dem dringlichen Bedarf an nutzbarem Grünraum realisieren Metropolen derzeit Utopisches. Auch hierzulande versucht man Neues – und stößt auf altbekannte Grenzen. Eine Nachschau.

Zwischen 2006 und 2014 entstand im Südwesten Manhattans, New York, ein 2,4 Hektar großer öffentlicher Park. So weit wäre daran noch nichts ungewöhnlich, obgleich man sich fragen könnte, wo im dicht bebauten Gebiet der Lower West Side Platz für einen derart großen Park war. Um eine Freifläche wie diese zu schaffen, musste rund zehn Meter höher als üblich gearbeitet werden – nämlich auf der Bahntrasse einer stillgelegten Hochbahn. Der High Line Park wurde aus dem dringlichen Bedarf für nutzbaren Grünraum von den Friends of the High Line initiiert und als Private Public Partnership mit der Stadt New York realisiert. Nun schlängeln sich 2,33 Kilometer amerikanisches Parkneuland durch die luftigen Höhen von dreiunddreißig New Yorker Blocks.

Die Idee des High Line Park denken gerade ein paar umtriebige Aktivisten anders herum und legen einen Lowline Park in den unterirdischen Tiefen der Lower East Side Manhattans frei, Terra incognita sozusagen. In einem Lowline Lab wird mittels Spiegeln versucht, Sonnenlicht unter die Erde zu bringen, um eine subterrane Parklandschaft gedeihen zu lassen.

Nur einen Steinwurf vom High Line Park entfernt wird derzeit, nach der Idee des Londoner Heatherwick Studio, Insel-Neuland errichtet. Der 1,1 Hektar große Pier55 Floating Park liegt in bis zu 19 Meter Höhe über dem Hudson River, getragen von 300 gigantischen Betonpilz-Pfeilern. Den Visualisierungen zufolge kann man eine üppig bewachsene Grünoase erwarten, die lediglich durch zwei Brücken mit dem 56 Meter entfernten Ufer verbunden sein wird. Die künstliche Insel für Freizeit und Erholung soll öffentlich nutzbaren Raum für Kulturevents schaffen.

Heatherwick ist auch an einem europäischen Schauplatz ähnlich spektakulär tätig. Ein Park soll künftig North und South Bank Londons verbinden: 6000 Quadratmeter Neuland spannen sich quer über die Themse. Werbesujets zeigen die 366 Meter lange Garden Bridge mit mäandrierenden Spazierwegen durch eine üppig bepflanzte Landschaft. Das Vorhaben wurde als Teil der fußläufigen Erlebbarkeit der Stadt ins Leben gerufen und soll vom Garden Bridge Trust unter Beteiligung der Stadt London finanziert werden. Die politische Entscheidung, die das Projekt nun auf den Weg zur Umsetzung schicken soll, ist noch ausständig.

Freiraumprojekte wie die vorgestellten sind reizvoll, weil sie Utopien verwirklichen und kreative Innovationskraft zeigen. Die Realisierung solch gewagter Ideen spiegelt eine zukunftsgerichtete, couragierte Baukultur wider. Auf der anderen Seite sind derartige Planungen nicht unumstritten – jedes der Projekte hat seine Schwachstellen. Ein großer Kritikpunkt sind die enormen Errichtungs- und Erhaltungskosten, insbesondere wenn mit kommunalen Geldern gearbeitet wird. Für die geplante Garden Bridge etwa wurden Kosten von rund 185 Millionen Pfund und weitere zwei Millionen Pfund pro Jahr für Erhaltung und Betrieb projektiert. Schwierig wird es auch dann, wenn mit öffentlichen Räumen Geld verdient werden soll – so wie mit dem Floating Park, der von Mediengröße Barry Diller und seiner Mode designenden Gattin Diane von Fürstenberg finanziert und betrieben wird.

Der High Line Park muss sich der Kritik stellen, von einer breit getragenen Anrainer-Community initiiert worden zu sein, die ihn heute aufgrund massiver Gentrifizierungstendenzen vermutlich nicht mehr selbst nutzen kann. Dennoch, der Park bleibt eine Erfolgsgeschichte, der fachkundige Qualitätsarbeit zugrunde liegt. Immerhin hatte das New Yorker Landschaftsarchitekturbüro James Corner Field Operations die Projektleitung im Team mit Diller Scofidio & Renfro inne, und der eigens zugezogene niederländische Landschaftsgärtner Piet Oudolf war für die Bepflanzung des artifiziellen Untergrundes zuständig. Neben dem unbestritten hohen Maß an Innovation fällt bei Projekten wie dem Floating Park oder der Garden Bridge das Fehlen entsprechender landschaftsarchitektonischer Planungspartner im Team auf. Denn die Gestaltung mit Pflanzen, die mit extremen Lebensbedingungen auf künstlichem Grund zurechtkommen müssen, erfordert Fachwissen. Dschungelartige Bepflanzungszustände auf Visualisierungen entlocken Landschaftsarchitektinnenund -architekten jedenfalls ein Schmunzeln. Wir dürfen gespannt bleiben, wie die Projekte in Planung sich entwickeln, doch eine Garden Bridge ohne üppigen Garten oder die Insel auf dem Hudson River ohne Schatten spendende Großgehölze scheinen wenig attraktiv.

Auch hierzulande kann man freiräumliches Neuland öffentlich beschreiten. Als innovative Antwort auf die Fragen der dicht bebauten Gebiete entlang des Wienflusses sehen die Architekten Tillner & Willinger mit Auböck & Kárász Landschaftsarchitekten im städtebaulichen Leitbild für das Wiental die Errichtung von drei U-Bahn überspannenden Wiental-Terrassen vor. 2015 haben Tillner & Willinger gleich selbst Hand angelegt und die erste Terrasse im Bereich Pilgramgasse errichtet. Konstruktiv unaufgeregt, neigt sich die 1000-Quadratmeter-Plattform über 13,5 Meter leicht zum Wienfluss ab. Eine raumwirksame Geste, die das regulierte, in diesem Abschnitt leider nicht nutzbare Flussbett erlebbarer macht.

Die Architekten haben das Spiel mit den Höhen auch in der Oberflächengestaltung aufgegriffen und zwischen einem diagonal verlaufenden Betonweg eine künstliche Topografie aus unbehandeltem Lärchenholz modelliert. Dieses Faltwerk und die Neigung zum Wiental erzeugen stellenweise steilere Holzflächen, als es die magistratischen Sicherheitsvorschriften in kalten Wintermonaten erlauben. Für Wien-erfahrene Planungstätige durchaus vorhersehbar, folgte eine Wintersperre der Plattform, die nach anhaltender öffentlicher Kritik schlussendlich durch das Anbringen von Zauntüren undBeschilderung obsolet wurde.

Die Gestaltung mit ein paar Holzbänken und liebesbedürftigen Pflanztrögen überzeugt weniger als die künstliche Topografie, die Leben in die Sache bringt. Für die kontroverse Holzoberfläche gibt es Argumente. Doch neben den vielen Vorzügen, die das Material unbestritten mit sichbringt, wiegt die winterliche Nutzungseinschränkung schwer – der Nutzungsdruck im dicht bebauten Margareten, mit einem Freiraumanteil von nur sieben Prozent, ist enorm. Schade jedenfalls, dass durch die fragliche Oberflächenwahl mehr über Wintersperre und Lärchenbelag nachgedacht werden muss als über die großartige Terrassen-Idee, die in vielerlei Hinsicht Perspektiven schafft.

Interessant wäre, wie die in Sachen Freiraum sachverständige Planungsprofession Landschaftsarchitektur dieses Neuland interpretiert hätte. Nun, vielleicht kommt ja beim nächsten Terrassenbau ein heimisches Landschaftsarchitekturbüro als Generalplaner zum Zug – das wäre zumindest Neuland in der Wiener Vergabepraxis.

Spectrum, Sa., 2017.05.06

25. Februar 2017Stephanie Drlik
Spectrum

Wie Landschaftsplanung Stadt macht

Landschaft ist ein geeignetes Medium für die Entwicklung integrativer und flexibler Stadtsysteme, Landschaftsarchitektur eine Disziplin mit stadtplanerischer Kompetenz. Aus diesem Trend wurden in Wien einige Projekte entwickelt, die sich sehen lassen können.

Landschaft ist ein geeignetes Medium für die Entwicklung integrativer und flexibler Stadtsysteme, Landschaftsarchitektur eine Disziplin mit stadtplanerischer Kompetenz. Aus diesem Trend wurden in Wien einige Projekte entwickelt, die sich sehen lassen können.

Seit einigen Jahren konfrontiert der globale Wandel unsere Zeit mit dringlichen Herausforderungen. Allen voran geraten die wachsenden Städte in den Fokus des Interesses, als Mitverursacher und Katalysator soziokultureller Trends und negativer ökologischer Prozesse. Die gesellschaftliche Verantwortung, die Planerinnen und Planer tragen, wird immer deutlicher – das betrifft auch die Landschaftsarchitektur. Oder gerade die Landschaftsarchitektur, denn das Professionsverständnis der Disziplin ist seit jeher von den hohen Ansprüchen der nachhaltigen Entwicklung geprägt.

Dieses Verständnis und das entsprechende Handwerkszeug, mit dem Landschaftsarchitektinnen und -architekten ausgerüstet sind, machen die Profession in diesen Zeiten zu einer höchst marktrelevanten Zukunftsdisziplin. Um diese Marktrelevanz auch in Österreich zu erlangen, muss sich jedoch künftig noch einiges ändern. Eine den architekturgeprägten Planungsprozess abschließende Behübschung der Oberflächen kann keine tiefgreifenden landschaftsarchitektonischen Konzepte hervorbringen. Landschaftsarchitektur, die für unsere Lebenswelten existenziell relevant sein soll, denkt in großen Systemen und setzt zu Beginn der Entwicklung von Stadtquartieren – also bereits in der städtebaulichen Planungsphase – ein.

Eine Theorie, die Landschaftsarchitektur als stadtplanende Disziplin begreift, ist das in den USA geprägte Konzept des Landscape Urbanism. Die Landschaft ist dabei Ausgangspunkt und Grundbaustein des Städtebaus, räumlich ordnende Struktur und Medium für die Entwicklung flexibler Stadtsysteme. Die Theorie sieht das Quartier nicht nur aus der Landschaft entwickelt, vielmehr wird die Siedlung mit ihrer Infrastruktur, den Straßen, Parks und Plätzen selbst zur Landschaft: Landschaft als integratives System. Für Österreich durchaus ambitionierte Forderungen, bedeutet es doch, Stadtentwicklung als breit aufgestellten, interdisziplinären Prozess zu verstehen, Pluralität und Partizipation zu leben sowie baukulturelle Innovationen zuzulassen und diese politisch mitzutragen.

Während sich so manche innerdisziplinäre Debatte noch immer um die Abgrenzung von Begrifflichkeiten wie Landschaftsplanung und Landschaftsarchitektur oder Objekt- und Ordnungsplanung im Kreise dreht, gehen innovative Landschaftsarchitekturbüros derweilen neue Wege. Durch die Beherrschung aller Instrumente, die von der städtebaulichen Ordnungs- bis zur bauplatzbezogenen Objektplanung notwendig sind, eröffnen sich Büros die Möglichkeit, in größeren Sphären zu denken.

Die in dieser Entwicklung realisierten Ergebnisse können sich im internationalen Vergleich durchaus sehen lassen und steigern die Relevanz der österreichischen Landschaftsarchitektur. So etwa das Landschaftsprojekt der Wiener Außenring-Schnellstraße S1 (ARGE Anna Detzlhofer & Max Rieder), das durch großmaßstäbliche, skulpturale Landschaftsformationen denbeim Straßenbau entstandenen Masseüberschuss in ein straßenintegratives Landschaftsökosystem verwandelt hat.

Ein weiteres gelungenes und realisiertes Beispiel in dieser Kategorie ist der namensgebende See der Wiener Seestadt Aspern. Auf der Suche nach einem Medium, das möglichst viele Synergien zwischen Landschaft und Siedlung schafft, wurde die weitreichende Idee eines Landschaftssees – bereits lange vor der Auslobung des städtebaulichen Wettbewerbs – ins Leben gerufen: Identitätsstiftung und Adressbildung durch eine große Landschaftsfläche, die in Produktion und Erhaltung erschwinglich ist; die Schaffung nachhaltiger ökologischer und sozialer Werte für das spätere Quartier sowie die Bereitstellung natürlicher Ressourcen.

Maßgeblich für diese inhaltliche Entwicklung zeichnet das Büro Knollconsult Umweltplanung verantwortlich, das nicht nur an der beschriebenen Ideenfindung und der Auslobung des städtebaulichen Wettbewerbs beteiligt war, sondern auch mit der Planung des fünf Hektar großen Sees beauftragt wurde. Der Realisierung liegt ein umweltorientiertes Baumanagement zugrunde, im Zuge dessen durch systemische Ansätze über einen Zeitraum von drei Jahren ein ökologisch resilienter Erholungsraum geschaffen wurde. Gemeinsam mit der Planung des Seeparks durch die ARGE Lavaland Treibhaus Landschaftsarchitektur konnten übergeordnete, landschaftsräumliche Zusammenhänge, ein tiefgreifendes Ökosystem und eine starke landschaftliche Identität für das Quartier geschaffen werden. Bei diesem Projekt ist die starke freiraumgeleitete Positionierung hervorzuheben, dank der – von der städtebaulichen Entwicklungsphase bis zur objektplanenden Ebene – durchgängig mit landschaftsarchitektonischer Kompetenz gearbeitet wurde.

Im aktuellen Wiener Planungsgeschehenbefinden sich derzeit zwei städtebaulich interessante Landschaftsprojekte in Umsetzung, bei denen räumlich und ökologiebasiert mit großmaßstäblichen, landschaftlichen Gegebenheiten gearbeitet wurde. Die Wiener Quartierentwicklung im Donaufeld versucht mit einem ambitionierten elf Hektar großen Grünzug Stadtklima zu schaffen (Querkraft Architekten, Stadtland). Und auf dem Gelände des ehemaligen Nordbahnhofshat Studiovlay ein städtebauliches Konzepte entwickelt, das durch erhebliche bauliche Verdichtung am Rand des Planungsgebietes in der Mitte einen zwölf Hektar großen Landschaftsraum freispielt.

Gemeinsam mit dem französisch-deutschen Landschaftsarchitekturbüro Agence Ter sieht man für die freie Mitte auf dem Nordbahnhof abgestufte Gestaltungsintensitäten und Pflegeanforderungen vor, von Stadtwildnis bis intensiv gestaltet. Kern der Idee ist, durch Einsparung von Verkehrsflächen und durch extensive Freiraumgestaltung Kosten zu minimieren, dabei jedoch Gebrauchs- und Erlebniswerte zu maximieren. Der Planung liegt ein durchdachter und vielschichtiger systemischer Ansatz zugrunde, dennoch ist das Projekt in Fachkreisen umstritten. Man fürchtet, der zu erwartende Nutzungsdruck im Endausbau könnte die Kapazität eines solchen Freiraumkonzeptes sprengen, mit gravierenden Folgen für das gesamte Quartier. Die verantwortlichen Planer halten dennoch an dem Konzept fest und fordern eine zurückhaltende Ausgestaltung der Freiflächen.

Nun, da die Planung kurz vor Abschluss der Widmung steht, führen die Größe der Fläche und die vielschichtigen Anforderungen zwischen Stadtwildnis und intensiver Parkgestaltung zu Unklarheiten bezüglich der Verwaltungszuständigkeiten. Bei einer systemisch so groß gedachten städtebaulichen Leitidee scheinen verwaltungsrelevante Probleme im Zuge der Realisierung doch recht klein.

Dennoch: Wie die Stadt mit der Ausgestaltung und mit der Pflege der freien Mitte umgehen wird, könnte gerade für das Gelingen dieses Projektes am Ende entscheidend sein.

Spectrum, Sa., 2017.02.25

17. September 2016Stephanie Drlik
Spectrum

Lasst die Kinder frei!

Welche Haltung gegenüber unseren Kindern verrät die heimische Spielplatzkultur? Welche Art von Erwachsenen wird einmal aus den Kindern, für die keine Spielplätze, sondern Hochsicherheitszonen geplant werden? Ein Appell.

Welche Haltung gegenüber unseren Kindern verrät die heimische Spielplatzkultur? Welche Art von Erwachsenen wird einmal aus den Kindern, für die keine Spielplätze, sondern Hochsicherheitszonen geplant werden? Ein Appell.

Im öffentlichen Raum unserer Städte zeichnet sich bereits seit geraumer Zeit ein Trend der gesellschaftlichen Entmündigung ab. Er hat sich aus der Erwartungshaltung der Menschen entwickelt, eine zur Gänze abgesicherte und kontrollierte Stadt vorzufinden. Die Verantwortung für die Folgen des eigenen Handelns wird bereitwillig an Stadtverwaltungen abgegeben, die den Erwartungen der Bürger entsprechen und rechtlich abgesicherte Rahmenbedingungen schaffen. Bedingungen, die durch enge Normen und Vorschriften wenig Gestaltungsspielraum für Planer zulassen und die zu teils skurrilen Raumsituationen führen. Nirgendwo scheint diese Skurrilität stärker ausgeprägt als in jenen Bereichen der öffentlichen Stadträume, die für die Nutzung durch Kinder vorgesehen sind. Entmündigung und Verantwortungsentzug werden hier von Verwaltungen besonders rigoros exekutiert.

Angst scheint die Triebkraft dieser Entwicklung, Angst der Eltern um ihre Kinder und Angst der Verwaltungen vor Regressionen. Doch auch Planer sind nicht aus ihrer Verantwortung zu nehmen, denn neben der erwähnten fehlenden Verantwortungsbereitschaft und der oftmals wenig vorhandenen autonomieunterstützenden Erziehungskompetenz der Eltern liegt das tatsächliche Problem in einer Stadtplanungspraxis, die Kinder zu wenig im Stadtraum berücksichtigt. Einfach „draußen“ sein und selbstbestimmt das Wohnumfeld erobern ist – nicht zuletzt aufgrund des omnipräsenten motorisierten Individualverkehrs – kaum möglich. Der kindliche Raumbedarf, der sich mit zunehmendem Alter in wachsenden und autonom bestimmten Aktionsradien abzeichnen sollte, beschränkt sich in Folge auf speziell ausgewiesene, meist eingezäunte und streng reglementierte Hotspots des Kinderspiels, die allseits bekannten Spielplätze.

Zwar immer lustig-bunt gestaltet, haben sie dennoch im Gros der Fälle nur wenig mit adäquatem Entwicklungsraum für Kinder und Jugendliche zu tun. Schaukel, Rutsche, Sandkiste und Klettergerüst auf Rindenmulch werden von den Gartenämtern in einstudierter Manier hundertfach über den Stadtraum gestempelt. Doch die Vervielfältigung eines bereits in einfacher Ausführung unzureichenden Prototyps steigert auch in der Massenanwendung nicht die Qualität. Noch vor dem ersten Betreten kennt das Kind den verhaltenskontrollierten, bis zur garantierten Langeweile abgesicherten Spielplatz. Möglichkeiten für Abenteuer, Erkundung und Herausforderung sind bei immer gleichen Klettergerüsten, die mit immer gleichen Schaukeln und Wipptieren kombiniert werden, schnell erschöpft. Beim Anblick dieser Spielplatzklassiker kommt einem unweigerlich die Kleintierhaltung in Käfigen in den Sinn.

Eltern von Kleinkindern mögen sich über die eingezäunten Sicherheitszonen freuen, doch spätestens ab dem Schulalter benötigen Kinder für ihre gesunde Entwicklung mehr als eine bloße Ansammlung von geprüften Spielgeräten auf einer fallschutzgesicherten Fläche. Angemessene Spielfreiräume sollten freies, nicht angeleitetes Spielen ermöglichen, idealerweise ohne ständige elterliche Kontrolle. Spielen bedeutet lernen, und sich im Spiel körperlich auszuprobieren muss auch die Möglichkeit beinhalten zu fallen und sich zu verletzen. Ein Lerneffekt, der für die motorische Entwicklung und die spätere Risikokompetenz der Kinder verantwortlich ist – Risikokompetenz, die man in Stadtverwaltungen leider vergeblich sucht.

So eigenartig die punktuelle Bündelung von spielenden Kindern auf eingezäunten Plätzen ist, es gäbe durchaus auch in dieser Methode Potenziale auszuschöpfen. Doch ist eine Spielfläche erst einmal als solche ausgewiesen, geschieht in unserer ÖNORM- und TÜV-geprüften Welt der Sicherheit Absonderliches. Klettergerüste werden zu Todesfallen, Blumenwiesen zu stechinsektenanziehenden Gefahrenzonen, regennasse Holzoberflächen zu knochenbrechenden Folterinstrumenten. Dass dennoch da und dort etwas Außergewöhnliches zustandekommt, ist dem persönlichen Engagement einzelner Planer geschuldet, die Normen und Vorschriften ausreizen, langwierige Planungsprozesse in Kauf nehmen und trotz aller Auflagen die Kinderbedürfnisse nicht aus den Augen verlieren.

Vielleicht liegt es an den eingeschränkten Möglichkeiten der zahlenmäßig enormen Nutzergruppe der Kinder, Rechte eigeninitiativ einzufordern. Vielleicht missversteht man aber auch das Thema „Spiel“ in der Planungsszene, denn Kinder und ihr Freiraumanspruch werden in der österreichischen Baukultur leider nach wie vor zu wenig ernst genommen. Die Idee der integrativen Lebensraumgestaltung, die möglichst viele Aspekte des Alltagslebens der Stadtbewohner räumlich verwebt, schließt heute die freiräumlichen Bedürfnisse der Kinder nur selten ein. Statt sie in isolierte Spielstationen zu verbannen, sollten sich Kinder überall dort im öffentlichen Raum wiederfinden, wo sie und ihre Begleiter ihren Tagesablauf bestreiten, also vor allem zwischen den Spielplätzen. Dafür müssen sich Planungsverantwortliche vom Denken in Spielplatzeinheiten verabschieden und Quartiere ganzheitlich betrachten. Die bespielbare Stadt bietet einen öffentlichen, generationenübergreifenden Multifunktionsraum an, der uns allen zur Verfügung steht, auch unseren Kindern.

Bei der Konzeption neuer Wohnquartiere in Stadterweiterungsgebieten lassen erste zaghafte Versuche die Richtung erahnen, in die sich unsere Städte entwickeln könnten. Doch Spielraumplanung auf städtebaulicher Ebene ist in Österreich nach wie vor unüblich. Die lebensräumliche Aus- beziehungsweise Eingrenzung minderjähriger Stadtnutzer ist schon derart normal, dass der Handlungsbedarf weder bei Stadtverwaltungen noch bei der sonst ausgesprochen initiativ agierenden Bevölkerungsgruppe der Eltern erkannt wird. Landschaftsarchitekturschaffende bieten zahlreiche Ideen und Lösungsansätze an, doch unsere Spielplatzkultur ist festgefahren einfältig. Ist das nahe Wohnumfeld nicht mit großzügigen Grünanlagen oder Landschaftsräumen ausgestattet, sind Kinder in Städten wohl weiterhin auf Spielplätze angewiesen. Spielplätze, die in den meisten Fällen nicht den Bedürfnissen der Kinder entsprechen.

Die gebaute Spielplatzrealität spiegelt die Haltung einer Gesellschaft gegenüber ihren Kindern wider. Was sagt die österreichische Spielplatzkultur über uns als Gesellschaft aus? Was sollen diese Kinder für Erwachsene werden, die wir aus unserem Lebensraum hinaus in präparierte Hochsicherheitszonen hinein planen? Die Folgen der mangelnden Lebensraumplanung sind jedenfalls schwerwiegend. Zunehmend insularisierte oder verhäuslichte Kindheitsstrukturen machen Kinder krank. Kommunen sollten reagieren, bevor wir Übergewicht, ADHS, Konzentrationsstörungen, motorische Einschränkungen und die sozialen Defizite der Kinder in der volkswirtschaftlichen Bilanz ablesen können. In diesem Sinne der Appell an Planende, Verwaltungsverantwortliche und Eltern: Traut den Kindern mehr zu, und lasst sie frei!

Spectrum, Sa., 2016.09.17

09. Juli 2016Stephanie Drlik
Spectrum

Eins und eins macht . . .?

Ein Ministerentscheid degradiert die Österreichischen Bundesgärten zur Unterabteilung einer Berufsschule. 400 Jahre Gartengeschichte müssen sich nun ohne fachlich kompetente Leitung gegen wachsenden wirtschaftlichen Druck behaupten. Geschichte einer Demontage.

Ein Ministerentscheid degradiert die Österreichischen Bundesgärten zur Unterabteilung einer Berufsschule. 400 Jahre Gartengeschichte müssen sich nun ohne fachlich kompetente Leitung gegen wachsenden wirtschaftlichen Druck behaupten. Geschichte einer Demontage.

Zeitgenössische Landschaftsarchitektur hat es in Österreich wahrlich nicht leicht. Neben allen Schwierigkeiten hat lange Zeit ein mangelndes baukulturelles Verständnis die Situation für Landschaftsarchitekturschaffende erschwert. Doch es scheint, als hätte das Kulturland Österreich dieses baukulturelle Defizit erkannt, denn der Disziplin wird langsam, aber stetig eine gesteigerte Wertschätzung zuteil und eine zunehmende Inklusion im allgemeinen Baugeschehen. Und gerade da sich die zeitgenössische Landschaftsarchitekturproduktion endlich auch in Österreich als Kulturphänomen etabliert, erfährt jener Bereich der Landschaftsarchitektur eine politisch initiierte Abwertung, deren Materie bislang völlig unumstritten als wichtige Kulturgüter anerkannt waren, nämlich die historischen Gartendenkmäler unseres Landes.

Die Gartendenkmalpflege widmet sich der fachgerechten Pflege, der zeitgemäßen Entwicklung sowie dem Schutz historischer Außenanlagen. Die Aufgabenstellungen sind besonders dann komplex, wenn es sich um Gärten und Parks mit speziellen Anforderungen oder mit Schutzstatus handelt, etwa die als Unesco-Weltkulturerbe ausgewiesenen Anlagen. Um die höchst diffizilen Aufgabenstellungen qualitätsvoll abwickeln zu können, bedarf es neben einer langjährigen fachlichen Vertiefung und Auseinandersetzung mit einzelnen Parks einer umfassenden akademischen Fachausbildung. Dessen war sich das Österreichische Bundesdenkmalamt scheinbar nicht bewusst, als vor einigen Jahren die fachkundig geleitete Abteilung für Gartendenkmalpflege in eine Sammelabteilung für Spezialmaterien ohne entsprechende Leitung eingegliedert wurde – eine aus Sicht der Gartendenkmalpflege und des Ensembleschutzes völlig unverständliche Maßnahme.

Nun zeichnen sich bereits die negativen Auswirkungen dieser Fehlentscheidung ab, doch abermals erfährt Österreichs gartenkulturelles Erbe einen herben Rückschlag, diesmal durch einen direkten Ministerentscheid im Ressort für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft: Die Österreichischen Bundesgärten, eine traditionsreiche Institution, die bereits vor mehr als 250 Jahren als kaiserliche Hofgärten geführt wurde, existieren in ihrer bisherigen Form als eigenständige Abteilung mit fachkundig geschulter Direktion nicht mehr. Verantwortlich für Verwaltung und Schutz von sieben der bedeutendsten Gartendenkmäler Europas, wurden sie an die Höhere Bundeslehr- und Forschungsanstalt für Gartenbau Schönbrunn angegliedert. Die HBLA Schönbrunn ist eine Berufsschule ohne nennenswerte gartendenkmalpflegerische Kompetenz. Umgelegt auf die Architekturszene, käme diese Umstrukturierung einer Eingliederung des Bundesdenkmalamtes in eine HTL für Hochbau gleich.

Die Fachwelt ist vor den Kopf gestoßen, denn die Kundmachung des überhastet getroffenen politischen Entschlusses drückt nicht nur eine abschätzige Haltung und ein hohes Maß an Unverständnis aus, sie ließ auch keinerlei Verhandlungsspielraum. Die Vorgehensweise zeigt wenig politisches Feingefühl, wenn nicht sogar einen Verfahrensfehler. Denn durch die Tragweite der Entscheidung in Bezug auf das kulturelle Erbe in Bundesbesitz und aufgrund der geteilten inhaltlichen Zuständigkeiten (Landschaft, Wirtschaft, Kultur) hätte der Entschluss die entsprechenden legislativen Instanzen durchlaufen müssen. Zudem bleibt anzumerken, dass sich das Urteil eines einzelnen fachunkundigen Politikers generell nicht über die Expertise einer ganzen Profession hinwegsetzen sollte. Die Fehlentscheidung wäre durch eine öffentlich geführte Fachdebatte und durch daraus resultierende Alternativvorschläge vermeidbar gewesen.

Was bei der Maßnahme jedoch am stärksten wiegt, sind 400 Jahre österreichische Gartengeschichte, die sich nun ohne weisungsbefugte, fachlich kompetente, akademische Leitung gegen den wachsenden wirtschaftlichen Druck, unter dem die Parks stehen, behaupten müssen: der Schlosspark Ambras, der Hofgarten Innsbruck, der Schlosspark Schönbrunn, der Belvederegarten und die öffentlichen Wiener Parks Volksgarten, Burggarten und Augarten. Denn neben der gärtnerischen Pflege wurde in den letzten Jahren vor allem die Abstimmung von Nutzbarkeit, Wirtschaftlichkeit und Schutz des historischen Erbes zur Hauptaufgabe der Bundesgärten. Eine heikle Angelegenheit, für die es eine Führungspersönlichkeit braucht, die nicht nur ein umfassendes fachliches Verständnis mitbringt, sondern auch in der Lage ist, sich im Sinne der Interessen der Gartendenkmalpflege gegen mächtige Player zu behaupten.

Man denke nur an den Schlosspark Schönbrunn, der mit Konzerten, Märkten und Veranstaltungen zu einer der Cashcows der Republik geworden ist. Die Tatsache, dass sich die Bundesgärten trotzdem in derart gutem denkmalpflegerischem Zustand befinden, ist in großem Maße einer solchen Führungspersönlichkeit geschuldet. Brigitte Mang stand in ihrer Funktion als Direktorin den Bundesgärten stets fachkompetent und schützend vor. Dass sie sich dabei vermutlich nicht immer beliebt gemacht hat, liegt auf der Hand.

Vorgänge der letzten Monate veranschaulichen den Trend, Wirtschaftsbelange dem gartendenkmalpflegerischen Schutz vorzuziehen. Erst unlängst wurden Expansionswünsche des Tiergartens Schönbrunn bekannt, der auf Kosten des öffentlichen Parks im Bereich des Botanischen Gartens sein Territorium erweitern möchte. Auch ist die Absicht der Schloss Schönbrunn Kultur- und Betriebs-GmbH bekannt, im Vorbereich des Schlosses Grünflächen in Bus- und Pkw-Parkplätze zu verwandeln. Und gerade wo die Profitmaximierung dem Schutz der Kulturgüter entgegensteht, ist eine unabhängige, gartendenkmalpflegerische Leitung wichtig.

Die Tatsache, dass nun aufgrund der fehlenden Besetzung der Leitungspositionen weder die entsprechende Kontrolle durch das Bundesdenkmalamt noch der Schutz durch die Bundesgärten gegeben ist, macht es schwer, den Anforderungen des Denkmalschutzgesetzes und der Unesco gerecht zu werden. Zudem wirft die Vorgehensweise kein gutes Bild auf den zuständigen Minister. Das vorgeschobene Argument der notwendig gewordenen Einsparungen ergibt jedenfalls keinen Sinn. Der überwiegende Teil der rund 250 Angestellten ist im gärtnerischen Bereich tätig, als Kostenfaktor bleiben sie bestehen. So lässt sich vielmehr wirtschaftlich gegen die ministerielle Entscheidung argumentieren, kann es doch durch die fehlende Führungskompetenz zu mangelhaften und unwirtschaftlichen Pflege- und Organisationsabläufen und somit zu hohen Folgekosten kommen. Auch der Zusammenhang zwischen einem guten denkmalpflegerischen Erhaltungszustand, einer international repräsentativ auftretenden Leitung und dem Funktionieren der Anlagen als Touristenattraktion ist offensichtlich. Wer eins und eins zusammenzählt, kann seine Schlüsse ziehen.

Spectrum, Sa., 2016.07.09

26. März 2016Stephanie Drlik
Spectrum

Natur der Stadt, grün und grau

Sein Leitsatz hat nach wie vor Gültigkeit: Stadträume schaffen, die lebenswert und schön zugleich sind. Der Schweizer Dieter Kienast (1945 bis 1998): Entwerfer, Forscher, Leitfigur der europäischen Landschaftsarchitektur. Nun erschien die erste Monografie zu seinem Œuvre.

Sein Leitsatz hat nach wie vor Gültigkeit: Stadträume schaffen, die lebenswert und schön zugleich sind. Der Schweizer Dieter Kienast (1945 bis 1998): Entwerfer, Forscher, Leitfigur der europäischen Landschaftsarchitektur. Nun erschien die erste Monografie zu seinem Œuvre.

Unsere Arbeit ist die Suche nach einer Natur der Stadt, deren Farbe nicht nur Grün, sondern auch Grau ist.“ So der Beginn der „Zehn Thesen zur Landschaftsarchitektur“, verfasst von einem der wichtigsten Protagonisten der europäischen Landschaftsarchitektur, dem Schweizer Dieter Kienast (1945 bis 1998). Er war Entwerfer, Planer, Forscher, Hochschullehrer und leidenschaftlicher Theoretiker, der stets die kritische, interdisziplinäre Auseinandersetzung gesucht hat. Kienast begann seine Arbeit mit der „Natur der Stadt“ zu einer Zeit, als die Ökologiebewegung ihre volle Kraft entwickelte und die sogenannte „Befreiung des Grüns in der Stadt“ oberste Prämisse der Freiraumplanung war.

Als in den 1980er-Jahren Publikationen wie etwa „Grün in der Stadt. Von oben, von selbst, für alle, von allen“ oder „So laßt uns denn ein Apfelbäumchen pflanzen“ Disziplin-leitend waren, suchte Kienast nach Möglichkeiten, eine ökologisch intakte Umwelt zu gestalten, die lebenswert und zugleich schön sein sollte. Seine Art der absolutistischen Formgebung brachte ihm jedoch nicht nur Zuspruch aus der Kollegenschaft ein. Man warf ihm vor, an den Bedürfnissen der Menschen vorbei zu planen, seine Arbeiten seien sublimiert und wirklichkeitsfremd. Dabei stand Kienasts Schaffen in direktem Zusammenhang mit grundsätzlichen Themen der Gesellschaft, der Kultur und Natur, nur entsprach sein Blickwinkel eben nicht dem des landschaftsplanerischen Mainstream dieser Zeit. Die räumliche und ästhetisch-sinnliche Erlebbarkeit wurde in Kienasts Freiräumen zur spezifischen Form der Alltagsbewältigung, zur Nutzungskomponente.

Bislang zeigten einige Werkschauen Abschnitte von Dieter Kienasts Schaffen, eine vollständige Monografie fehlte jedoch. Diese Lücke wurde nun geschlossen. Die Kunsthistorikerin Anette Freytag widmete viele Jahre ihrer Forschungstätigkeit an der ETH Zürich dem Schaffen des unorthodoxen Landschaftsarchitekten. Als Abschluss ihrer langjährigen wissenschaftlichen Studien wurde nun eine umfassende Publikation veröffentlicht. „Dieter Kienast. Stadt und Landschaft lesbar machen“ (GTA Verlag der ETH Zürich), ein Buch in der Ästhetik eines Bildbandes, das in seiner Erscheinung an Kienasts wunderschöne Plangrafiken erinnert. Doch die Publikation ist weit mehr als ein hübscher Bildband. Freytag hat nicht nur die über mehrere Standorte verteilte Fülle an Unterlagen aufgearbeitet und Kienasts Entwurfshaltung seinen theoretischen Positionen kritisch nachgespürt. Die Forscherin liefert auch den fachkulturellen und gesellschaftspolitischen Kontext der 1970er- bis 1990er-Jahre mit und interpretiert Kienasts Werk vor diesem Hintergrund.

Dieter Kienast begann 1972 als Mitarbeiter im Schweizer Büro Peter Paul Stöckli, wo er 1980 als Partner einstieg. Das Büro Stöckli & Kienast erweiterte sich 1987 erneut und wurde zu Stöckli, Kienast & Koeppel. Aus einer gemeinsam mit Ehefrau Erika Kienast-Lüder und Günther Vogt geführten Bürozweigstelle in Zürich ging die Büropartnerschaft Kienast Vogt Partner hervor. Aus diesen drei Partnerschaften resultierte ein enorm umfangreiches Œuvre.

Zu den bekanntesten Arbeiten zählen die streng formalen Gestaltungen ab Mitte der 1980er-Jahre, etwa die Freiraumgestaltung für die École cantonale de langue français in Bern (1983 bis 1991), der Friedhof Fürstenwald in Chur (1992 bis 1996) oder der Gartenhof für das Bürohaus der Schweizerischen Rückversicherungs-Gesellschaft Swiss Re (heute Bank Vontobel) in Zürich (1994 bis 1995). Mit Kienast Vogt Partner wurden die Aufträge zunehmend internationaler, Projekte wie etwa der Berggarten auf der Internationalen Gartenschau 2000 bei Graz (1997 bis 1999) oder die Außenanlagen der Tate Modern Gallery in London (1995 bis 2001) konnten verwirklicht werden.

Kienasts Werk entzieht sich allen simplen Definitionen, seine Freiraumgestaltungen weisen aber durchgehend die typisch markante, formgeladene Ästhetik zwischen Natürlichkeit und Künstlichkeit auf. Bewusst gesetzte Brüche und Disharmonien in einer geometrischen Ordnung machen die sinnliche Erfahrung der „gebauten, domestizierten Natur der Stadt“, wie Kienast es formulierte, bewusst.

Die Gestaltungen basieren stets auf dem Kontrastwirken zwischen den vom Menschen gesetzten Formen und der sich diesen Formen widersetzenden Natur. Als ausgebildeter Gärtner und promovierter Pflanzensoziologe wusste Kienast um den richtigen Umgang mit Vegetation. Und er verfügte über eine hoch entwickelte Sensibilität für den passenden Einsatz von Materialien und Formen. Beton, Stahl, Naturstein, Stampflehm, Hecken, Wiesen, Beete und Bäume ordnen den Raum. Kienast organisierte den Freiraum nach typisch postmodernen Entwurfsprinzipien. Er stellte den Ort in seinem Kontext dar und legte Spuren der Geschichte frei. Seine starken Kompositionen waren jedoch – ausgenommen einiger bewusst gesetzter, veränderlicher Pflanzelemente – bis ins Detail festgeschrieben, was ihnen auch die Kritik der beschränkten Aufnahmefähigkeit von Veränderungs- oder Aneignungsprozessen einhandelte.

Parallel zu seiner gestalterischen Praxis hatte Kienast mehrere Professuren inne, am Interkantonalen Technikum Rapperswill (1981 bis 1991), an der Universität Karlsruhe (1992 bis 1997) und ab 1997 an der ETH Zürich. Mit seinem hohen Qualitätsanspruch an die Landschaftsarchitektur als konzeptionell planerische Tätigkeit hat Kienast die Gartenarchitektur zur Landschaftsarchitektur und somit in den Planungsstand erhoben. Er verhalf der Disziplin zu einem neuen, erweiterten Selbstverständnis: Landschaftsarchitektur als integraler Teil der Stadtentwicklung und der großmaßstäblichen Planung. In dieser Entwicklung wurde Kienast zum Impulsgeber, zu einer charismatischen Leitfigur und zu einem respektierten und gleichberechtigten Partner der Architektenschaft.

Die Forschung von Anette Freytag, die nun in dieser hochwertigen Publikation resultierte, gibt Dieter Kienast und seinem Schaffen den festen Platz in der Geschichte der zeitgenössischen europäischen Landschaftsarchitektur, der ihm gebührt. Das Buch macht nicht nur Lust, wieder einmal Kienast und seiner wegweisenden Arbeit nachzuspüren, es dient auch als willkommener Anstoß, der zu einem guten Zeitpunkt kommt. Denn wie schon 40 Jahre zuvor steht die Disziplin wieder an einer Wende. Die Landschaftsarchitektur wird im Zeitalter des Anthropozäns mehr und mehr zum entscheidenden Qualitätsfaktor bei der Entwicklung zukunftsfähiger Städte. Werden wir dabei den ökologischen, gesellschaftlichen und gestalterischen Anforderungen gerecht?

Dieter Kienasts landschaftsarchitektonischer Leitsatz ist jedenfalls nach wie vor gültig und darf uns in dieser Zeit des Wandels als Inspiration und Prüfstein dienen: Es gilt, eine ökologisch intakte Umwelt zu schaffen, die lebenswert, aber auch schön sein sollte.

Spectrum, Sa., 2016.03.26

17. Oktober 2015Stephanie Drlik
Spectrum

Blick ins Freie

Was Landschaftsarchitektur mit dem Wohlbefinden von Pflegeheimbewohnern zu tun hat? In Wien sehr viel: Hier bestimmt die Qualität der Freiräume die Atmosphäre in zwei neuen Einrichtungen.

Was Landschaftsarchitektur mit dem Wohlbefinden von Pflegeheimbewohnern zu tun hat? In Wien sehr viel: Hier bestimmt die Qualität der Freiräume die Atmosphäre in zwei neuen Einrichtungen.

Chronisch kranke und alte Menschen, die aufgrund ihres Gesundheitszustandes nicht zu Hause versorgt werden können, sind oftmals auf die Übersiedlung in eine öffentliche Pflegeeinrichtung angewiesen. Kein einfacher Schritt für kranke und betagte Pflegebedürftige. Das neue Zuhause wird nicht leicht als solches akzeptiert, wiegt der Verlust des Gewohnten doch zu schwer. Zur Verbesserung der Situation der Betroffenen ist eine hochwertige Pflegeleistung durchqualifizierte, einfühlsame Fachkräfte ebenso wichtig wie ein funktional und freundlich gestalteter Lebensraum.

Neben der Gebäudearchitektur kann die Landschaftsarchitektur einen wichtigen Beitrag zum Wohlbefinden in Pflegewohnhäusern leisten. Gebäudeassoziierte Freiräume erfüllen therapeutische und soziale Funktionen, sie ermöglichen den so wichtigen Kontakt mit der Natur, und sie sind vor allem erweiterter Lebensraum der Bewohner und ihrer Angehörigen. Denn die oftmals stark eingeschränkten Bewegungsradien erlauben kaum Ausflüge in die Umgebung, manchmal ist sogar nur der Blick ins Freie möglich. Anforderungen an den Außenraum können daher nicht ausschließlich funktional erfüllt werden, das bloße Betrachten muss Sehnsüchte befriedigen und Stimmungen transportieren.

Landschaftsarchitektur ist in der Lage, dem vorübergehenden oder endgültigen Verlust des eigenen Zuhauses Perspektiven zu bieten, sie kann Lebensinhalte schaffen, emotionale Assoziationen wecken und Erinnerungen hervorrufen. Neben der Funktion wird die Atmosphäre zur bestimmenden Qualität der Freiräume. Mit dem Geriatriekonzept setzte 2007 eine dringend notwendig gewordene Modernisierungswelle der Wiener Kranken- und Altenpflege ein. Die historischen, überdimensioniertenPflegeapparate am Stadtrand wurden aufgelassen und nach und nach durch elf neue oder generalsanierte, kleinere Einrichtungen ersetzt. Die Stadt war sich bei diesem Vorhaben offenbar über die Notwendigkeit hochwertiger Außenanlagen bewusst, die Neubauten wurden allesamt mit professioneller landschaftsarchitektonischer Beteiligung errichtet.

Je nach räumlichen Möglichkeiten versucht jedes Haus ein gewisses Grundpaket an freiräumlicher Infrastruktur anzubieten: etwa allgemeine Freiräume für Patienten und ihre Besucher, Demenzgärten, die als eigenständige Systeme der Bewegung in sicheren Räumen dienen, oder Therapiegärten zur Mobilisierung betagter oder chronisch kranker Menschen. Die Formensprache in den geschaffenen Gärten scheint überwiegend praktisch-funktional motiviert, mit viel Rund und Bunt. Zwei Büros haben sich über die gängige Pflegeheim-Ästhetik hinweggesetzt. Die Gestaltungen fallen, neben dem bravourös absolvierten funktionalen Pflichtprogramm, insbesondere durch ihre atmosphärische Qualität auf.

Das 2012 fertiggestellte Pflegewohnhaus Liesing von Riepl Kaufmann Bammer Architektur entstand mit intensiver freiraumplanerischer Beteiligung von 3:0 Landschaftsarchitektur. Durch die Überlagerung von Gebäude, Garten und angrenzendem Liesinger Schlosspark konnte ein wunderbar gelungenes Gesamtensemble geschaffen werden, das optisch eher an den hochwertigen Wohnbau als an Kategorie Pflegeeinrichtung erinnert. Drei Innenhöfe folgen unterschiedlichen Konzepten, eine sinnvolle Differenzierung zur leichteren Orientierung. Der Schlosspark, leider durch einen Zaun getrennt, bietet zumindest ein privilegiertes Setting, um den Blick schweifen zu lassen, auch von dem auf dem Dach gelegenen Demenzgarten. Der historische Park war da und dort wohl auch Referenz für die architektonische Formensprache im Garten des Pflegewohnheims. Dassder alte Baumbestand zu einem Großteil erhalten werden konnte, schafft eine enorme atmosphärische Qualität. Die Pflege der Außenräume wird derzeit nicht allzu genau ausgeführt, was die romantisierende Note dieses Gartens unterstreicht. Schlampig gekehrte, da und dort leicht vermooste Oberflächen und teils licht bewachsene Beete wirken vor dem alten Baumbestand und dem bronzefarbenen Trapezlochblech der Fassade beinahe wie eine Reminiszenz an das Leben der Bewohner. Hier darf die Zeit ihre Spuren zeigen.

Ähnlich geschickt, atmosphärisch aber doch ganz anders wurde im Pflegewohnhaus Donaustadt gearbeitet. Das 2013 fertiggestellte Gebäude von Delugan Meissl Associated Architects präsentiert sich in der Optik einer schicken Privatklinik. Passend dazu die sinnliche Entwurfssprache der Freiraumgestaltung von Rajek Barosch Landschaftsarchitektur. Die komplexe Gebäudekonfiguration hat schwierige freiräumliche Bedingungen für die Landschaftsarchitekten geschaffen: mehrere eher klein dimensionierte Resträume, die wohl kaum die Freiraumqualitäten eines großen, zusammenhängenden Parks erzeugen können. Eine Befürchtung, über die man sich geschickt hinweggesetzt hat. Isolde Rajek und Oliver Barosch haben sich die Kleinteiligkeit der Außenräume, die sich über zwei Ebenen erstrecken, zunutze gemacht und ein funktionales Freiraumangebot geschaffen.

Aufgrund der konsequent durchgehaltenen Gestaltungssprache und der geschickt entwickelten Blickbeziehungen werden die Höfe, Dachgärten und Terrassen als Einheit wahrgenommen. Zahlreiche Glasfronten zeigen verschiedene Ausschnitte des Freiraums und machen den Außenraum auch von innen erlebbar. So wird der Garten einer Kindertagesstätte, der sich entlang der Eingangshalle und des Cafés erstreckt, zum zentralen Ereignis und zum Unterhaltungsprogramm für Bewohner und Besucher. Die unbeschwerte Fröhlichkeit und Lebendigkeit der spielenden Kinder tun hier besonders gut. Die wunderbare Landschaftsarchitektur auch. Der Allgemeingarten mit Gräserbeeten, Rasenflächen und Obstspalieren ist vitaler Aufenthalts-, Kommunikations- und Naturraum. Durch feine Details gibt er immer wieder neue Eindrücke frei. Zwei Pergolen, die sich um ein Biotop formieren, spenden Schatten und versprühen mit samt der zarten Möblierung und den geflochtenen Hängeleuchten so etwas wie 1950er-Jahre-Charme.

Angesichts der durchgehend qualitätvoll gestalteten und hochwertig ausgeführten Projekte des Büroportfolios von Rajek Barosch darf man sich beeindruckt zeigen. Die Arbeiten tragen durchwegs die klassisch-elegante Handschrift, die schon längst zum Markenzeichen der beiden Landschaftsarchitekten geworden ist. Dass eine solch ästhetische Landschaftsarchitektur auch in den von ihnen gestalteten Geriatriezentren Anwendung findet, hat eine wichtige gesellschaftspolitische Aussage: Respekt und Wertschätzung für alte, pflegebedürftige und chronisch kranke Menschen unserer Gesellschaft, für ihre Angehörigen und das Pflegepersonal. Eine Aussage, die baukulturelle Zukunft hat.

Spectrum, Sa., 2015.10.17

12. September 2015Stephanie Drlik
Spectrum

Eine Frage der Identität

Der öffentliche Raum als stadtplanerisches Programm braucht visionäre Protagonisten, ein klares politisches Bekenntnis und Planende, die über Fachgrenzen hinaus arbeiten. Ein Grätzlbesuch in der Seestadt Aspern in Wien.

Der öffentliche Raum als stadtplanerisches Programm braucht visionäre Protagonisten, ein klares politisches Bekenntnis und Planende, die über Fachgrenzen hinaus arbeiten. Ein Grätzlbesuch in der Seestadt Aspern in Wien.

Der sinnvoll gestaltete, ästhetisch ansprechende öffentliche Raum ist Lebensqualitätsträger, das ist schon lange bekannt. Nun scheint sich auch in unseren Breiten die entsprechende Planungskultur bei Stadtentwicklungsprojekten durchzusetzen: Der öffentliche Raum ist nicht länger das, was zwischen den Gebäuden übrig bleibt, er avanciert zum zentralen Thema, zum tragenden Gerüst der Quartiersentwicklung, dem ein ästhetisch kreativer Gestaltungsakt zugrunde liegt. Dabei gelten neue Regeln. Etwa ersetzt der Mensch nun das Auto als Bezug nehmende Größe, Straßenräume werden zu nutzungserweiterten Lebensräumen, die uns allen gleichberechtigt zur Verfügung stehen sollen, und Grenzen zu räumlichen und inhaltlichen Übergängen. Dass diese Ansätze Idealbilder zeichnen und nicht immer und überall realisierbar sind, liegt auf der Hand. Der öffentliche Raum als stadtplanerisches Programm braucht visionäre Protagonisten, ein klares politisches Bekenntnis und Planende, die es verstehen, über ihre Planungsgrenzen hinaus disziplinübergreifend, kooperativ und dialogorientiert zu arbeiten. Womit wir bei der Seestadt Aspern wären.

Die Partitur des öffentlichen Raumes (Gehl Architects 2009) – Schlüsselmoment in der stadtplanerischen Erfolgsgeschichte Seestadt Aspern – definiert Qualitäten des öffentlichen Raumes und legt sie als Planungsinstrument für den langen Prozess der Quartiersentwicklung verbindlich fest. Ein starkes fachliches Statement, das politisch mitgetragen wird. Die Umsetzung stellt die Wien 3420 Aspern Development AG sicher, Kurt Hofstetter setzt sich mit viel Engagement für den öffentlichen Freiraum ein und baut auf landschaftsarchitektonische Kompetenz: Nicht nur Grünanlagen und Freiräume, auch übergeordnete Straßenzüge, nutzungserweiterte Straßen und Wege wurden in der Seestadt bislang überwiegend von Landschaftsarchitekturbüros geplant und gestaltet. Und das mit einer erfreulich autonomen Entwurfssprache, die scheinbar beiläufig zentrale ökologische und soziokulturelle Fragen zur menschengerechten Stadt bravourös beantwortet.

2012 konnte das Büro DnD Landschaftsplanung den geladenen Wettbewerb zur Gestaltung des öffentlichen Raumes zwischen Janis-Joplin-Promenade, Maria-Tusch-Straße und Ilse-Arlt-Straße (ausgenommen ist die von 3:0 Landschaftsarchitektur geplante Sonnenallee) für sich entscheiden. Die Development AG hat gut daran getan, den gesamten Bereich in eine (landschaftsplanende) Hand zu legen, denn die vielfältige Formensprache und Materialienwahl der umliegenden wohnanlagenbezogenen Freiräume verlangen nach einer verbindenden ästhetischen Einheit. DnD hat diesen Bedarf erkannt und ein starkes, klar lesbares Freiraumgerüst geschaffen, mit dem Hermine-Dasovsky-Platz als Herzstück der Freiraumsequenz. Eine grafische, linear fließende Formgebung definiert den Raum. Entlang der Wegeführungen erfüllt die Linearität den Anspruch der qualitätvollen fuß- und radläufigen Erschließung, an den räumlichen Aufweitungen bildet sie den Rahmen, der die Platzstrukturen fasst. Aufenthaltsnutzungen werden geschickt in die Fließformen integriert. Unterstützt wird das offensichtlich ästhetisch-funktionale Anliegen des Entwurfs durch eine unmissverständliche Materialwahl. Weiße Streifen im Belag verweben glatte, herrlich „berollbare“ Confalt-Oberflächen mit rauem Kleinsteinpflaster. Das kleinstrukturierte Pflaster ist Recyclingmaterial aus Wiener Beständen und vermittelt Vertrautheit – ein ersehntes Gefühl in einem artifiziell anmutenden Stadtteil ohne historisch gewachsene Bestandsstruktur.

Wo sinnvoll oder funktional erforderlich, wurden Gebäudeteile und wohnanlagenbezogene Freiräume gestalterisch integriert oder wurde Distanz zu den Gebäuden geschaffen. Der denkbar komplexe Abstimmungsprozess zeugt von mediatorischem Geschick der Verantwortlichen. Auf üppige Landschaftselemente wurde zugunsten der Großzügigkeit der Straßen-Platz-Sequenz verzichtet. Stattdessen wurde den Baumpflanzungen beziehungsweise den Baumscheiben und Baumschutzgittern in Form des Corporate Designs der Seestadt besondere gestalterische Aufmerksamkeit geschenkt. Unterschiedliche Motive auf Baumscheiben aus Cortenstahl stellen Bezüge zum Grätzl her – auch so kann Identität gestiftet werden.

Verlässt man diese Freiraumsequenz Richtung Stadthaus, öffnet sich die Kubatur zum Hannah-Arendt-Platz. Der Platz hat durch seine Lage an Einkaufsmeile, Stadthaus und Bildungscampus eine zentrale Bedeutung für das Quartier. Räumlich definiert er sich über den äußeren, städtischen Ring des zentralen Hannah-Arendt-Parks (ARGE YEWO Landscapes & Mettler Landschaftsarchitektur), über den Vorbereich des Stadthauses (bauplatzzuständig: zwoPK Landschaftsarchitektur) und über einen Abschnitt der Maria-Tusch-Straße (3:0 Landschaftsarchitektur). Die verteilten Zuständigkeiten lassen es erahnen: Zur Schaffung einer gestalterischen Einheit hat es auch hier viel Abstimmung aller Beteiligten erfordert.

Das Siegerprojekt des geladenen Wettbewerbs zur Gestaltung des Hannah-Arendt-Parks und -Platzes sieht eine formale und funktionale Einheit von Platz- und Grünanlage vor. Der Wechsel der Freiraumtypologie wird durch die asphaltierte Oberfläche angedeutet; eine am Parkrand verlaufende, mehrmals durchbrochene Sitzkante aus Stampfbeton vollzieht die Grenze, die eigentlich keine ist. Sie wird als verbindendes Element wahrgenommen, eine belebte Kante mit vielen Funktionsmöglichkeiten in beide Richtungen. Der hainartige, hoffentlich bald beschattete Abschnitt zwischen Park und Straße wurde bewusst funktionsoffen und flexibel konzipiert. Die gestalterische Zurückhaltung lässt Raum für vielerlei, etwa für bereits stattfindende Veranstaltungen und Märkte. Kinder (und Eltern) kommen aufgrund des angrenzenden Campus im südlichen Bereich des Stadtringes auf ihre Kosten.

Der Hannah-Arendt-Platz strahlt Freundlichkeit aus, er wurde sehr dezent mit viel Einfühlungsvermögen für Nutzerbedürfnisse geplant. In den heißen Augusttagen bot er bereits eine wunderbare Plattform für bewegtes urbanes Leben. Im Übrigen realisiert YEWO derzeit das nächste Projekt in dieser Freiraumabfolge, den wenige Schritte entfernten Maria-Trapp-Platz. Ein vielversprechendes, junges Büro – man darf gespannt sein!

Spectrum, Sa., 2015.09.12

08. August 2015Stephanie Drlik
Spectrum

Altes Grün, neu gedacht

In vielen europäischen Metropolen steht die aufgelockerte Bebauung der Nachkriegsmoderne mit ihren großen Freiflächen im Fokus des Verdichtungsinteresses. Auch in Wien. Wie wichtig sind uns Frei- und Grünraum in der Stadt?

In vielen europäischen Metropolen steht die aufgelockerte Bebauung der Nachkriegsmoderne mit ihren großen Freiflächen im Fokus des Verdichtungsinteresses. Auch in Wien. Wie wichtig sind uns Frei- und Grünraum in der Stadt?

Das Erscheinungsbild einer Stadt spiegelt aktuelle und vergangene kulturelle und baukulturelle Entwicklungen, Trends und Moden wider. Welche vergangenen Zeitspannen abgebildet werden, hängt von unterschiedlichen Faktoren ab, auch vom Umgang einer Gesellschaft mit ihrer Vergangenheit. Nicht immer möchten wir uns an alle Ideologien erinnern, die sich einst baulich manifestiert haben. So weist das baukulturelle Gedächtnis einer Stadt oft dort Erinnerungslücken auf, wo die Entscheidung über Erhalt oder Erneuerung nicht nach fachlichen, sondern nach wirtschaftlichen Motiven getroffen wurde. Lukrative Neubauprojekte trösten jedoch nur kurz über den schmerzlichen Verlust des verlorenen stadtkulturellen Erbes hinweg.

In wachsenden Städten, wo steigende Bevölkerungszahlen Wohnraumschaffungerfordern, ist die bauliche Nachverdichtung des gewachsenen Stadtraumes eine Notwendigkeit. Und wo Neues entsteht, muss Altes weichen – davon sind auch gestaltete Grünflächen aus vergangenen Epochen betroffen. In vielen europäischen Metropolen steht schon seit geraumer Zeit die aufgelockerte Bebauung der Nachkriegsmoderne mit ihren großen Freiflächen im Fokus des Verdichtungsinteresses. Deutschland hat bereits etliche dieser Ensembles geopfert. In Wien wurde unlängst wieder über die, durch Produktionsspitzen der Wohnbautätigkeit der Stadt, zahlreichen kommunalen Zeilenbauten der 1960er- und 1970er-Jahre nachgedacht. Der Fachdiskurs wird im Allgemeinen bemüht wertschätzend und qualitätsaufzeigend geführt, dennoch schwingt eine grundsätzliche ästhetische Abneigung und fachliche Abwertung der Anlagen mit. Leichtfertig als unmodern, baulich minderwertig und wenig funktional abgetan, scheinen manche auch an diesen Stellen lieber vergessen zu wollen. Doch die Diskussion um die Gemeindebauten der Nachkriegsmoderne wird nicht von denkmalpflegerischen Aspekten des Erhalts oder der Erneuerung getragen. Im Kern geht es um den Stellenwert von Frei- und Grünraum in der Stadt.

Die in Montagebauweise errichteten Zeilenbauten wurden damals mit zunehmender Höhe immer weiter auseinandergerückt, um ausreichend Lichteinfall gewährleisten zu können. Bei einer, paradiesisch anmutenden, Bebauung von 30 bis 50 Prozent der Grundfläche entstanden oft riesige Distanzflächen. Für eine städtebauliche Verdichtungauf Kosten dieser Freiflächen wird mit der wachsenden Notwendigkeit zur Lukrierung von verwertbaren Flächen zur Wohnraumschaffung und mit der Unwirtschaftlichkeit der Anlagen argumentiert. Dabei werden die Grünanlagen durchaus als Qualitätsfaktor wahrgenommen, eine bauliche Verwertung scheint dennoch eine ernst gemeinte Option,die bei genauerer Betrachtung jedoch keine qualitätsvolle sein kann.

Die Grünflächen der Zeilenbauten sollten einst unter dem Paradigma des sozialen Städtebaus und des sozialen Grüns verbesserte Lebensqualitäten für alle Stadtbewohner mit sich bringen. Es wurden Wohnbaufreiräume mit größtmöglicher Zugänglichkeit und öffentlicher Nutzbarkeit gefordert. Die offenen Strukturen der Freiflächen ergaben sich im Zeilenbau als Konsequenz der Baukörperanordnung und der parallel oder im rechten Winkel zu den Baukörpern ausgerichteten, asphaltierten Erschließungswege. Viele der in den 1960er-Jahren tätigen Architekten antworteten auf das, was bereits die Hochmoderne gefordert hatte: klare und zurückhaltende architektonische Formensprache in einem leeren und offenen Raum ohne Grenzen.

Doch die gewünschte räumliche Grenzenlosigkeit setzte sich auch bei inhaltlichen Grenzen fort und erwies sich im sozialen kommunalen Wohnbau als problematisch. Die theoretischen Ansätze mündeten in ihrer Umsetzung in fehlenden Freiraumstrukturen, diffusen Randbereichen sowie in durch Verkehrsschmutz und -lärm belasteten Grünflächen. Die Funktion und Nutzbarkeit der Freiräume fanden nur wenig Beachtung. Nutzungsleere und unbelebte grüne Flächen, die häufig als reine Durchgangsräume dienten, waren die Folge. Die freiräumliche Gestaltung wurde von den typischen, überdimensionierten Rasenflächen geprägt, die möglichst eben angelegt und laut Hausordnung nicht zu betreten waren. Freiraumelemente wurden als Einzelteile ohne raumbildende Intention platziert. Die Bepflanzung sollte in ihrer Unregelmäßigkeit den strengen Charakter der Anlagen konterkarieren, doch in den großbaulichen Strukturen wirkten die noch kleinen Naturelemente unmaßstäblich und verloren.

Heute sind die großzügig dimensionierten Freiräume der ehemaligen Stadterweiterungsprojekte zu parkähnlichen Strukturen mit alten Baumbeständen herangewachsen. Die nicht unterbauten Freiraumanlagen mit hochwertigen Großgehölzen bieten Bedingungen, die im sozialen oder geförderten Wohnbau derzeit nicht leistbar scheinen. Neben all den offensichtlichen Mängeln, die heute auf Grund der beträchtlichen Zahl der Wohnanlagen dieser Zeit ins Gewicht fallen, liegt ihre Qualität in diesen Freiräumen und in dem offenen städtebaulichen Charakter. Die paradigmatisch begründete räumliche Grenzenlosigkeit bietet heute die Möglichkeit, die Anlagen mit Freiräumen der Umgebung zu verknüpfen: Zeitgemäße Interventionen nehmen den Wohnbaufreiraum als integrierten Teil des städtischen Freiraumsystems wahr und schaffen vernetzte Stadtlandschaften im Quartier. Dem Seriellen, Additiven der Gebäudetypologien steht jedoch der Wunsch nach charaktervollen, individuellen Landschaften gegenüber, nach Differenzierung der Räume in Bezug auf Größe und Struktur, nach erweiterten Nutzungsangeboten, nach einer starken landschaftsarchitektonischen Formensprache, nach denkmalpflegerischen Akzenten und nach dem Definieren unterschiedlicher Raumöffentlichkeiten.

Wie die vorhandenen freiräumlichen Entwicklungspotenzialezugunsten der Stadt genützt werden, dürfte weniger eine denkmalpflegerische als vielmehr eine grundsätzlich städtebauliche Entscheidung sein: Freiraum nachverdichten oder Freiraumstrukturen ausbauen. Damalige Grundgedanken des sozialen Städtebaus und des sozialen Grüns verfolgten die Absicht, die Lebensqualität aller Stadtbewohner zu verbessern. Die stadtplanerische Vision der Moderne – die ideologische Basis der Nachkriegsmoderne – sieht eine große Bedeutung in der Landschaft als Ausgangspunkt der Planungsidee und definiert Grünflächen als Teil des architektonischen Gesamtkonzeptes.

Das Beibehalten räumlicher Proportionen, die Erhaltung gestalterischer Details mit typischen Materialien und Möblierungen, die inhaltliche Erweiterung nach innen und die freiräumliche Verwebung nach außen lässt die Entstehung vielversprechender Stadtlandschaften erahnen. Stadtlandschaften, von denen ganze Wohnviertel profitieren könnten und die als Erinnerungshilfen für den kommunalen Wiener Wohnbau der Nachkriegsmoderne einen sicheren Platz im städtebaulichen Gedächtnis unserer Stadt einnehmen würden.

Spectrum, Sa., 2015.08.08

13. Juni 2015Stephanie Drlik
Spectrum

Räume ohne Dach

Landschaftsarchitektur schafft Räume, die essenzieller Bestandteil unseres Alltags sind und Grundlage unserer Gesellschaft. Das passiert hierzulande schon lange. Aber wer nimmt davon Notiz?

Landschaftsarchitektur schafft Räume, die essenzieller Bestandteil unseres Alltags sind und Grundlage unserer Gesellschaft. Das passiert hierzulande schon lange. Aber wer nimmt davon Notiz?

Landschaftsarchitektur arbeitet in und mit Freiräumen. Per definitionem sind das jene urbanen, suburbanen und ruralen Räume, die nicht mit Gebäuden besetzt und nicht überdacht sind – Räume ohne Dach. Diese lapidar formulierte Definition ist zwar unpräzise und hält einer gesamtheitlichen Auffassung von Freiraumplanung nicht stand, doch sie gibt die Breite des Betätigungsfeldes wider, in dem Landschaftsarchitekten agieren, und hat daher an dieser Stelle ihre Berechtigung. Landschaftsarchitektur entsteht in öffentlichen und teilöffentlichen ebenso wie in privaten Bereichen. Sie schafft Parks, Plätze, nutzungserweiterte Straßenräume, Spielplätze, Gärten, Dachterrassen, Freiräume zu Wohnanlagen, zu Firmengebäuden, zu Spitälern, Schulen, Kindergärten und so weiter. Auch großmaßstäbliche Landschaftsinterventionen sind ein Teil des landschaftsarchitektonischen Schaffens, etwa die Aufwertung von Uferzonen, die Gestaltung übergeordneter Grünzüge oder die Konzeption ganzer städtischer Freiraumnetze.

Die Profession ist in starkem Maße von einer Ganzheitlichkeit geprägt, die nicht nur komplexe ökologische, soziale, kulturelle, ästhetische und ökonomische Zusammenhänge herstellen und planerisch umsetzen kann, sondern auch diverse Fachrichtungen versteht und einbezieht. Dieser ganzheitliche Charakter macht die Landschaftsarchitektur mehr und mehr zu einem Zukunftsfaktor für die Städte. Und das durchaus nicht nur wegen der wichtigen ökologischen Funktionen, welche die Freiräume erfüllen. Es ist eine zunehmende Sensibilisierung unserer Gesellschaft für die soziale und kulturelle Bedeutung von Freiräumen in einer lebenswerten Stadt zu verzeichnen. Das hat dazu geführt, dass landschaftsplanende Disziplinen immer häufiger Teil der konzeptionellen Entwicklung von Stadterweiterungsgebieten und zukünftigen Stadtquartieren sind. In einem multidisziplinären Entwicklungsprozess mit vielerlei Begehrlichkeiten an den Raum setzen sich Landschaftsarchitekten dabei für die Schaffung möglichst umfangreicher und hochwertiger Grün- und Freiräume ein.

Landschaftsarchitektur ist der Kontext zwischen Natur und Kultur, das macht sie zum kulturellen Zeugnis einer Epoche. Nichts scheint das derzeit besser zu veranschaulichen als das Phänomen des Urban Gardenings: der, noch vor ein paar Jahrzehnten undenkbar gewesene, produktive Gemeinschaftsgarten mitten in der Stadt als landschaftsarchitektonische Manifestation eines kulturellen Wandels.

Besonders neben moderner Mehrgeschoßarchitektur wirken die gemeinschaftlichen Beete und Anbauflächen beinahe ironisch. Doch hinter den Beeten steht das ernst gemeinte Verlangen einer Gesellschaft nach Gemeinschaftlichkeit, autarken Lebensformen, nach Naturverbundenheit und einem bewussterem Leben in der Stadt. Die kulturelle ebenso wie die ästhetisch-kreative Dimension der Disziplin machen den von Landschaftsarchitekten geschaffenen Freiraum zu einem bedeutenden Teil unserer Baukultur, die uns alle angeht und die wir sonst auch gern diskutieren.

Doch in Sachen Landschaftsarchitektur gibt es im Kulturland Österreich ein kulturelles Defizit. Obwohl aus Österreichs facettenreicher Szene der Landschaftsschaffenden jedes Jahr eine Vielzahl hochwertiger Projekte hervorgeht, ist die öffentliche Wahrnehmbarkeit landschaftsarchitektonischen Schaffens hierzulande vergleichsweise gering.

Diese Unterrepräsentanz in der öffentlichen und fachöffentlichen Wahrnehmung dürfte unterschiedliche Ursachen haben. Das fehlende kulturelle Verständnis für eine relativ junge Disziplin? Die mancherorts eingeschränkten Möglichkeiten für ein landschaftsarchitektonisches Schaffen? Das mangelnde Selbstverständnis der Profession, gepaart mit einer skurrilen Praxis der Medien, bei Besprechungen zu Architektur und Städtebau den hochwertigen Freiraum zu loben, nicht aber die Landschaftsarchitekten als deren Urheber zu nennen? Als wertvoller Anstoß für mehr Außenwirkung ist die unlängst erschienene Publikation „Nextland – Zeitgenössische Landschaftsarchitektur in Österreich“ zu werten. Hervorgegangen ist sie aus der gleichnamigen Online-Sammlung, die von der Österreichischen Gesellschaft für Landschaftsarchitektur und Landschaftsplanung (ÖGLA) und dem Institut für Landschaftsarchitektur an der Universität für Bodenkultur im Rahmen von Jürg Meisters Architektursammlung Nextroom betrieben wird.

Seit 2005 werden dort gelungene österreichische Landschaftsarchitekturprojekte, auch in ihrem städtebaulichen und architektonischen Kontext, kuratiert und dokumentiert. 186 Beiträge der Sammlung aus dem Schaffen von 44 Büros wurden nun in dem für Architekturbelange bekannten Birkhäuser Verlag veröffentlicht. Den Herausgebern Lilli Lička und Karl Grimm ist es gelungen, den dringlichen Anforderungen an das lang erwartete Buch gerecht zu werden. Zum einen ist es trotz des Umfangs ein schön aufbereiteter Bildband, der Appetit auf mehr Landschaftsarchitektur und mehr Bücher über Landschaftsarchitektur macht. Zum anderen stellt die Publikation eine Art Inventarisierung österreichischer Vorzeigeprojekte dar, die übersichtlich und sinnvoll kategorisiert als Nachschlagewerk dienen kann. Ergänzt wird die Projektschau durch Essays, die einen historischen und internationalen Kontext herstellen und den Status der Landschaftsarchitektur in Österreich kommentieren. Texte, die durchaus dazu veranlassen wollen, mehr über die Qualität gebauter österreichischer Freiräume und die Situation, in der sie entstehen, zu diskutieren.

Viele der gezeigten Projekte leisten Überzeugungsarbeit auf hohem Niveau. Doch erst in ihrer gedruckten Gesamtheit werden die unterschiedlichen Auffassungen und Strömungen erkennbar. Leider auch der Anspruch so mancher Auftraggeber: Kostensenkung scheint oftmals die oberste Prämisse zu sein, eine allgegenwärtige Realität der österreichischen Landschaftsarchitektur. Die resultierenden Defizite werden insbesondere im internationalen Vergleich mit höheren Standards und größerer Vielfalt deutlich. Die dennoch oft erstaunlich einfallsreichen Projektlösungen und deren Ausführungen charakterisieren auf anschauliche Weise das Gesamtbild der Schau: Qualität trotz Kostenknappheit.

Eine umfassende Werkschau der österreichischen Landschaftsarchitekturschaffenden war längst überfällig. Jetzt ist sie da, und sie liefert einen selbstbewussten Beweis, dass Landschaftsarchitektur in Österreich stattfindet. So mancher Leser wird beim Durchblättern des „Nextland“-Buches ob der vielen schönen Projekte positiv überrascht sein und vielleicht auch das eine oder andere Aha-Erlebnis haben. Dann nämlich, wenn die gestalteten Freiräume, die im eigenen Umfeld recht unbemerkt angenehmer und selbstverständlicher Bestandteil alltäglicher Abläufe sind, als Produkte der Landschaftsarchitektur identifiziert werden.

Spectrum, Sa., 2015.06.13

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