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04. April 2025Julia Beirer
Der Standard

Es grünt so grün

Ein Drittel der Wiener Bevölkerung sei mit Grünraum in der Nachbarschaft „stark unterversorgt“, sagt der Landschaftsarchitekt Jürgen Furchtlehner. Seine Idee: autofreie Straßenparks.

Ein Drittel der Wiener Bevölkerung sei mit Grünraum in der Nachbarschaft „stark unterversorgt“, sagt der Landschaftsarchitekt Jürgen Furchtlehner. Seine Idee: autofreie Straßenparks.

Die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo hat große Pläne für die französische Hauptstadt. Wie DER STANDARD berichtete, will sie Diesel- und Benzinmotoren bis 2030 komplett aus der Stadt verbannen. Auf dem Weg dorthin hat sie bereits Schnellstraßen entlang der Seine zu Flanierzonen gemacht, den Stadtkern zur autofreien Zone erklärt und das Radwegnetz ausgebaut.

Vergangenen Sonntag konnten Stimmberechtigte über einen weiteren Vorschlag der sozialistischen Bürgermeisterin abstimmen. Die Idee: 500 Straßen autofrei machen und zu Gartenstraßen (französisch „rues-jardin“) umgestalten. Konkret soll jedes Quartier sechs derartige Wohnstraßen erhalten und keine Bewohnerin und kein Bewohner der Stadt weiter als 300 Meter von einer solchen begrünten Straße entfernt leben. Das Projekt wurde angenommen.

Geht es nach Hidalgo, soll Paris zur klimafitten „Gartenstadt“ werden. Ein Konzept, das den beiden Forschern Ulrich Leth und Jürgen Furchtlehner wohlbekannt ist. Leth forscht im Bereich Verkehrsplanung und Verkehrstechnik an der TU Wien, Furchtlehner am Institut für Landschaftsarchitektur der Boku Wien. Was wäre, wenn eine derartige Befragung in Wien stattfinden und den Plänen zugestimmt würde? Welche Bezirke und welche Straßen würden autofrei und begrünt? Dieses Gedankenexperiment haben die beiden durchgespielt.

Wiener Gartenstraßen

500 Straßen autofrei zu machen sollte in Wien „leicht gehen“, sagt Ulrich Leth. „Das wären rund 22 Straßen pro Bezirk.“ In Wien gibt es aktuell 6947 Straßen, deren Fläche rund 41 Quadratkilometer umfasst.

Wichtig ist allerdings, was als Straße definiert wird. Ist es etwa die gesamte Länge einer Straße, die denselben Straßennamen trägt, oder ist es ein Straßenabschnitt zwischen zwei Häuserblocks? Letzteres ist in Wien der Fall, erklärt Leth: „Das bedeutet, dass bereits ein Abschnitt zwischen zwei querenden Straßen zur Gartenstraße umgewandelt werden könnte.“

Gartenstraße ist auch die Bezeichnung der Stadt Wien für eine verkehrsberuhigte und begrünte Verkehrszone, die auch im Stadtentwicklungsplan 2035 vorgesehen ist. Dies seien „flächig entsiegelte, intensiv begrünte Aufenthalts- und Erholungsbereiche im Straßenraum, vorrangig in dichtbebauten Gebieten“, hieß es bei einer Pressekonferenz der Stadt Anfang März.

Doch zurück zum Gedankenexperiment, 500 Straßen in Wien autofrei zu gestalten: Betroffen wären wohl vor allem Straßen im sogenannten unterrangigen Straßennetz, sprich Nebenstraßen in Wohngebieten, sagt Leth.

Diese Straßen könnten als Gartenstraßen vom Durchzugsverkehr befreit werden, wobei eine Zufahrt laut dem Verkehrsforscher immer möglich bleiben wird, „weil auch Einsatzfahrzeuge alle Orte erreichen müssen“. Große Verkehrsachsen oder Hauptstraßen würden nicht zu Gartenstraßen, ist Leth überzeugt.

Doch wo würden die Forscher anfangen? Leth würde zunächst einen Blick auf die Hitzekarte Wiens werfen, um herauszufinden, in welchen Grätzeln besonders rascher Handlungsbedarf besteht.

Die „mit Grünraum stark unterversorgten Stadtteile“ sind in Wien laut Landschaftsarchitekt Jürgen Furchtlehner bereits gut erfasst: Sie erstrecken sich über Teile des vierten, fünften, sechsten und siebenten Bezirks und weiter über den 15., 16., 17. und 18. Bezirk.

Diese Bezirke würde Furchtlehner „sofort und flächendeckend“ angehen und „Straßenabschnitte als langgestreckte Parks gestalten“. Als unterversorgt gelten Haushalte, die weiter als 250 Meter von Grünraum entfernt sind, erklärt Furchtlehner. In Wien betreffe das ein Drittel der Bevölkerung und damit rund 700.000 Menschen. „Wenn der Klimawandel in den kommenden 20 oder 30 Jahren spürbar einschlägt, werden Grünflächen in der Nachbarschaft ausschlaggebend für die Lebensqualität und die Gesundheit der Stadtbevölkerung sein“, sagt er. Umso wichtiger sei es schon jetzt, „Nachbarschaftsgrün“ und Erholungsräume zu schaffen.

Zusammenhängende Wege aus Parks und begrünten Straßen können allerdings nur geschaffen werden, wenn es eine übergeordnete Strategie gebe. „Hier ein kleiner Park und drei Jahre später eine kurze begrünte Straße bringt wenig“, sagt der Landschaftsarchitekt.

Als nächsten Schritt würde Furchtlehner ausgehend von Kindergärten und Schulen „grüne Netzwerke durch die Stadt ziehen“. An diesen Orten würden sich viele vulnerable Personen aufhalten.

Möglich seien Gartenstraßen in diesen Bereichen, weil die begrünten Straßen nicht ganz abgeschottet seien, sagt Furchtlehner. „In den begrünten Straßen gibt es nach wie vor Mobilität, auch die Rettung oder Müllabfuhr kann wenn nötig zufahren.“

Um einen klimatischen Effekt zu erzielen und die Umgebungstemperatur zu senken, müssen Grünflächen laut Furchtlehner mindestens einen Hektar umfassen. Da dies kein Quadrat sein müsse, sondern in die Länge gezogen werden könne, würden sich Straßen als langgezogene Parks – Furchtlehner spricht von Straßenparks – gut eignen. Dadurch ließe sich viel zusammenhängender Grünraum in den Bestand bringen.

Furchtlehner empfiehlt zudem, große Teile der Straße etwa mit Pflastersteinen, Stauden- oder Gräserbeeten zu entsiegeln. Aktuell seien nahezu 100 Prozent des Straßenraums mit Asphalt versiegelt. Dadurch fließe das gesamte Regenwasser in den Kanal, anstatt Pflanzen zur Verfügung gestellt zu werden.

Für eine Umgestaltung müssten Straßen oft gar nicht extra auf- und umgerissen werden, ist Furchtlehner überzeugt. Wenn Umbauarbeiten ohnehin stattfänden, weil etwa wie auf der Gumpendorfer Straße im sechsten Bezirk Leitungen erneuert würden, sei das eine gute Gelegenheit, auch die Oberfläche zu verbessern. Dort sollen künftig mehr Bäume und weniger Autos zu finden sein, außerdem soll es mehr Platz für Fußgängerinnen und Fußgänger geben.

Parkplätze weg

Wichtig ist Furchtlehner zu betonen, dass es nicht darum gehe, die Mobilität einzuschränken. In Wien gebe es vor allem in den inneren Stadtbezirken ein gutes öffentliches Netz, und auch die Radwege würden laufend ausgebaut. „Die Hoffnung ist, dass weniger Menschen abhängig vom Auto sind“, sagt Furchtlehner. Laut Statistik Austria gibt es in Wien aktuell 363 Pkws pro 1000 Einwohnerinnen und Einwohner.

In Paris könnten den Gartenstraßen bis zu 10.000 Parkplätze weichen müssen. Dass gerade Parkplätze häufig zum Politikum werden, beobachtet auch Verkehrsforscher Leth. In Gesprächen mit Politikerinnen und Politikern habe er oft gehört, dass diese verärgerte E-Mails bekämen, wenn Parkplätze wegfielen. „Das ist aber nicht repräsentativ für die Bevölkerung“, sagt er, „denn diejenigen, die davon profitieren, schreiben keine Dankesmail an die Bezirksvorstehung.“

Der Standard, Fr., 2025.04.04

22. Dezember 2023Julia Beirer
Der Standard

Wie wir künftig wohnen könnten

Gemeinschaftsküche, Jeansdämmung und arabischer Luftbrunnen – das Wesen von Wohnhäusern könnte sich in Zukunft sehr verändern. Neue Einfamilienhäuser wird es eher keine mehr geben, so die Einschätzung der befragten Expertinnen und Experten.

Gemeinschaftsküche, Jeansdämmung und arabischer Luftbrunnen – das Wesen von Wohnhäusern könnte sich in Zukunft sehr verändern. Neue Einfamilienhäuser wird es eher keine mehr geben, so die Einschätzung der befragten Expertinnen und Experten.

Es wird kein Neubau sein.“ Diese Antwort kam von allen Experten und Expertinnen, die DER STANDARD nach dem Haus der Zukunft befragt hat.  Das Haus der Zukunft existiert bereits, ist sich Madlyn Miessgang sicher. Sie hat Architektur studiert und forscht nun am Future Lab der TU Wien. „Der Bestand ist eine Ressource, die wir adaptieren und nutzen müssen“, sagt sie.

Dass es sich dabei um ein Mehrparteienhaus handelt, ist für Miessgang klar. „Das Einfamilienhaus ist ein Auslaufmodell“, sagt sie,  „das wird sich mit den Ressourcen und auch finanziell nicht mehr ausgehen.“ Dafür werde Gemeinschaft in Zukunft eine tragende Rolle spielen.

Gemeinschaftsräume

Die Pflege von Älteren und Kindern, gemeinsames Lernen, Spielen und auch Kochen könne in Gemeinschaftsräumen stattfinden. So würde Platz im privaten Bereich eingespart, Wohnraum generell verdichtet und effizienter genutzt. Es sei zu hinterfragen, ob künftig jede Wohnung eine eigene Küche brauche, vielleicht genüge auch eine Gemeinschaftsküche für manche.

Manche Gemeinschaftsnutzungen verteilen sich zudem nicht nur innerhalb eines Hauses, sondern können sich auch auf ganze Grätzel erstrecken. Miessgang: „Das Haus der Zukunft muss über die eigene Grundstücksgrenze hinausdenken.“

Flexible Grundrisse

Zudem brauche es auch die Möglichkeit flexibler Grundrisse, damit sich das Leben der Bewohnerinnen und Bewohner darin verändern kann. 

„In einem Gebäude muss alles möglich sein“, sagt auch Architekt Thomas Romm. Am „nutzungsoffenen“ Bauen werde kein Weg vorbeiführen – und das sind nicht die einzigen Veränderungen, die die Gebäude der Zukunft mit sich bringen.

CO₂-Speicher

Verbundwerkstoffe, sprich Stoffe, die aus mehreren Materialien bestehen, werden laut Romm immer weniger. Stattdessen werde künftig noch mehr auf massive und monolithische Konstruktionen gesetzt. Die Vorteile: Sie sind gut rückbaubar und bieten die Möglichkeit, Wärme zu speichern – und damit auch die Möglichkeit, das „Übel der Techniklastigkeit unserer Gebäude zu überwinden“.

Für Romm ist die Langlebigkeit der Gebäude – und nicht der alle Stoffe bestmöglich rezyklierende Abbruch – die zentrale Voraussetzung für klimagerechtes, kreislauffähiges Bauen. Für den Architekten ist ein Abbruchverbot beziehungsweise das Einholen einer Abbruchgenehmigung unerlässlich – diese ist auch in der Kreislaufwirtschaftsstrategie des Klimaschutzministeriums angekündigt.

Als Architekt wolle Romm zwar, dass auch in Zukunft neu gebaut werden darf – mit diesen Bauten müsse aber Klimareparatur betrieben werden. „Wichtig ist, den Schaden nicht nur zu begrenzen, sondern Gutes zu tun.“ Gebaute Strukturen können CO₂ nämlich über Jahrhunderte speichern. In allererster Linie eigne sich Holz, sofern es nicht verbrannt wird. „Das muss unbedingt verhindert werden“, sagt Romm.

Doch auch in Betonhäusern werden wir in Zukunft nachhaltiger wohnen. Denn der Baustoff könnte schon bald eine weitaus bessere Klimabilanz haben. Daran arbeitet zumindest ein Forschungskonsortium in Österreich. Dort hat man zunächst den Zementanteil reduziert und nun in einem weiteren Schritt verkohltes Altholz hinzugefügt. Der sogenannte Performancebeton verbraucht verglichen mit konventionellem Beton 80 Prozent weniger an CO₂-Emissionen.

Jeans-Dämmung

Um die Temperatur konstant zu halten, spielt die Dämmung eine zentrale Rolle. Bereits in den vergangenen Jahren wurde in Österreich mehr gedämmt – Tendenz weiter steigend. Während der Großteil noch zum günstigsten Schaumstoff, gefolgt von Mineralwolle, sprich Stein- und Glaswolle, greift, könnte sich das in Zukunft ändern. Architekt Peter Schubert tüftelt nämlich bereits an Alternativen.

In den vergangenen Jahren hat er sich mit Stroh beschäftigt, seit Dezember widmet er sich alten Jeans. „Sie bestehen zu mindestens 95 Prozent aus reiner Baumwolle und wärmen gut, darum tragen wir im Winter auch Baumwollkleidung“, sagt der Architekt. Zudem habe Baumwolle mit 450 Grad eine hohe Zündtemperatur. Der Architekt geht davon aus, dass die Entflammbarkeit zudem von 450 auf 1000 Grad mit nur einer Behandlung erhöht werden kann. Doch schon jetzt, ist sich Schubert sicher, erfüllen die zerrissenen Jeans die Anforderungen im Innenausbau.

Da die Herstellung von Baumwolle sehr ressourcenintensiv ist – eine Jean benötige in etwa 8000 Liter Wasser –, wäre es „absurd“, frische Baumwolle als Dämmstoff zu verwenden. Eine Weiterverarbeitung von Jeans zu Reißwolle wäre hingegen klimaschonend.

Das Forschungsprojekt Dämmstoff Himmelblau soll nun beweisen, dass recycelte Jeans der bessere Dämmstoff sind. Vorbild ist laut Schubert ein Projekt in den USA, wo die sogenannte Ultratouch-Jeansdämmung bereits im Baumarkt verkauft wird. „Dort wollen wir auch hin“, sagt Schubert.

Sanierung

Da künftig neben dem Halten von Temperaturen auch die Kühlung von Gebäuden wichtiger wird, blickt Architekt Romm auch in Länder, die von jeher hohen Temperaturen ausgesetzt sind. Künftig könnten auch in Österreich arabische Luftbrunnen verbaut werden. Dabei strömt Luft durch das Erdreich oder unterirdische Hohlräume und zurück in den Wohnraum, wo die Temperatur konstant gehalten werden kann. Eine Imitation davon gab es bereits in den Gründerzeithäusern in Wien.

Damit Gebäude künftig thermisch optimiert und damit der Energiebedarf gesenkt wird, braucht es laut Heinrich Schuller künftig den Beruf eines Sanierungscoachs. Dieser würde planen, die Baustelle koordinieren und sich um Förderungen kümmern.

Unerlässlich sei zudem, dass Häuser künftig in ihre Einzelteile zerlegt und diese wiederverwendet werden können. Dämmstoffe, Verkleidung, Fassade – einfach alles soll auseinandergenommen und wieder zusammengesetzt werden können. Derzeit gebe es zwar die Möglichkeit, etwa Fenster zerstörungsfrei auszubauen, es werde allerdings selten gemacht, weil die Technik schlicht zu teuer sei. „Der Modulbau ist nichts Schlechtes“, sagt Schuller. Im Gegenteil, dadurch könne die Qualität auch besser werden.

Der Standard, Fr., 2023.12.22

14. Oktober 2022Julia Beirer
Der Standard

Wohlig warm ohne Heizen

Im Wiener Stadtentwicklungsgebiet Seestadt Aspern soll ein Bürokomplex entstehen, der ohne Kühlen und Heizen auskommt – und somit auch kein CO₂ ausstößt. Angenehme Temperaturen soll es dort trotzdem haben.

Im Wiener Stadtentwicklungsgebiet Seestadt Aspern soll ein Bürokomplex entstehen, der ohne Kühlen und Heizen auskommt – und somit auch kein CO₂ ausstößt. Angenehme Temperaturen soll es dort trotzdem haben.

Das gesamte Jahr eine Raumtemperatur zwischen 22 und 26 Grad, das aber ohne Heizung oder Klimaanlage und ergo auch, ohne CO₂-Emissionen zu verursachen. Was nach Zukunftsmusik klingt, plant die 2226 AG, ein Ableger der Baumschlager Eberle Architekten, mit dem Bürogebäudekomplex Robin in der Wiener Seestadt Aspern. Der Bau entsteht in Zusammenarbeit mit dem Immobilienentwickler Soravia. Der Spatenstich war vergangenen Mittwoch, die Fertigstellung ist für 2024 geplant.

Vorbild von Robin ist das Gebäude 2226 in Lustenau in Vorarlberg, in dem sich seit 2013 auch der Firmensitz von Baumschlager Eberle Architekten befindet. Die Architektinnen und Architekten haben also als Erste getestet, ob der Bau auch im tiefsten Winter hält, was er verspricht. Und das hat er – die Raumtemperatur fiel nie unter 22 Grad.

Daran sind nicht zuletzt die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter maßgeblich beteiligt. Sie geben nämlich auch in den kalten Wintermonaten genügend Wärme ab, um das Gebäude gemeinsam mit Elektrogeräten und Beleuchtung zu temperieren. Dicke Ziegelwände, eine Stahldecke und dreifach verglaste Fenster machen diese absurd klingende Idee tatsächlich möglich. Das Konzept soll nun in leicht abgewandelter Form auch in der Seestadt Aspern Arbeitsplätze bieten, deren Betrieb ohne CO₂-Ausstoß funktioniert.

Der Aufbau

Wie im Haus 2226 werden auch die Ziegelwände im Robin in Zukunft 76 Zentimeter messen. Damit sind sie laut Jakob Pesendorfer, Geschäftsführer von Baumschlager Eberle Architekten in Wien, doppelt so dick wie in herkömmlichen Bauten und dienen wie auch die Stahlbetondecke als Dämm- und Speichermasse. So können Energieströme besser gespeichert und Wärme sowie Kälte abgegeben werden, erklärt der Architekt.

Auch in der Seestadt Aspern werden die Fenster dreifach verglast in einen Holzrahmen gesteckt und im Anschluss weiter als gewöhnlich in Richtung Innenräume in die Ziegelmauer gesetzt. So strahlt im Sommer nur wenig direkte Sonne in die Räume; im Winter hingegen umso mehr.

Die zukünftigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter können die Lüftungsflügel der Fenster öffnen, für die entsprechende Luftqualität sorgt aber eine Gebäudesteuerung. Sensoren messen permanent den CO₂-Gehalt in der Luft, die Raumtemperatur sowie die Luftfeuchtigkeit. Je nach Bedarf öffnen und schließen die Lüftungsflügel automatisch.

Um auf Nummer sicher zu gehen, haben die Architekten auf Wunsch von Soravia in zwei von drei Bauteilen eine Deckentemperierung eingeplant. Sie funktioniert energieautark. Der Strom kommt aus der Photovoltaikanlage auf dem Dach. Die Deckentemperierung brauche es im Falle eines extremen Außentemperaturanstiegs infolge des Klimawandels, sagt Pesendorfer. „Im Normalbetrieb ist sie nicht nötig.“ Aktiv wird sie also, wenn überhaupt, nur im Sommer.

Somit fallen bei Robin im systembedingten Betrieb weder Kosten noch CO₂-Emissionen für Kühlen und Heizen an, heißt es bei Soravia. Der gesamte CO₂-Ausstoß sei um 40 Prozent niedriger als bei konventionellen Gebäuden. Das ist sogar für Gerhard Schuster eine besondere Weiterentwicklung. Als CEO der Wien 3420 Aspern Development AG ist er an energieautarke Plusenergiehäuser gewöhnt.

Bau der Zukunft?

Um die Wichtigkeit derart innovativer Bauten zu unterstreichen, schlüsselt Soravia den Energieverbrauch der Europäischen Union auf: 51 Prozent entfallen demnach auf Heizen und Kühlen von Gebäuden. Mehr als Verkehr (30) und Strom (19) zusammen. Konzepte wie 2226 sind also ein wichtiger Hebel im Kampf gegen die Erderwärmung.

Das wissen auch die Baumschlager Eberle Architekten. Nach Umsetzungen in der Schweiz sind weitere Projekte in Österreich und Deutschland geplant.

Immer mehr münzen sie das Konzept auf Wohnbauten um. Die Herausforderungen sind im Mehrparteienhaus allerdings anders. Sie kommen zwar weiterhin ohne konventionelle Heizung aus, auch hier setzen die Macher auf Körperwärme und Temperatur- sowie CO₂-Steuerung der Fensterflügel. Eine entscheidende Änderung gibt es allerdings: Der Warmwasserbedarf der Bewohnerinnen etwa im „2226 Graf Dornbirn“ ist um ein Vielfaches höher als in Büros. Daher sind neben einer Photovoltaikanlage auf dem Dach auch 80-Liter-Boiler in den Wohnräumen zur Warmwasseraufbereitung notwendig. Raumtemperaturen zwischen 22 und 26 Grad sind aber ohnehin garantiert.

Der Standard, Fr., 2022.10.14

30. August 2021Julia Beirer
Der Standard

Grün statt Grau

Drei Jahre haben Experten an einer Norm gearbeitet, die das Entstehen und – vor allem – Überleben von Bauwerksbegrünung sichern soll. Denn grüne Fassaden sind rar.

Drei Jahre haben Experten an einer Norm gearbeitet, die das Entstehen und – vor allem – Überleben von Bauwerksbegrünung sichern soll. Denn grüne Fassaden sind rar.

Eine neue Ö-Norm mischt sich unters Volk und könnte größeren und vor allem grüneren Einfluss haben als viele andere. Zugegeben, neue Normen treiben den Level an Aufregung nicht gerade auf die Spitze, allein der neue Standard mit der Kennzahl „L 1136 Vertikalbegrünung im Außenraum“ gibt Hoffnung für hitzegeplagte Städter.

Das Ziel ist nämlich, Gebäude nachhaltig grüner und kühler zu gestalten. Außerdem ist sie die erste Norm in Europa, die Fassadenbegrünung in all ihren Facetten regelt. „Oft wird viel Geld für den Bau ausgegeben und bei der Pflege gespart. Dann ist das Gewächs nach zwei Jahren nicht mehr in Ordnung, und die Begrünung gilt als gescheitert“, erklärt Landschaftsarchitekt Stefan Brunnauer. Diese Problematik greife die Norm auf, indem das Pflegekonzept integriert und kalkuliert wird. Brunnauer, der selbst an der Ausarbeitung der Norm beteiligt war, betont: „Bauwerksbegrünung kann nur als gesamter, integrierter Prozess funktionieren.“

Was die Kosten der Bauwerksbegrünung betrifft, so könne keine pauschale Summe genannt werden. Darin sind sich Expertinnen und Experten einig. Allerdings: Etwa 1,5 bis zwei Prozent der Gesamtkosten des Bauprojekts müssen laut Herbert Eipeldauer vom Verband für Bauwerksbegrünung veranschlagt werden. Die Investitionen ließen sich aber gegenrechnen.
Kühlleistung

Dabei helfen Kennwerte wie Verschattung, Verdunstungskälte und der sogenannte Leaf-Area-Index (Blättchenindex). Susanne Formanek, Geschäftsführerin des Innovationslabors Grün statt Grau, erklärt: „Damit können wir berechnen, wie stark die Blätter übereinander liegen und wie stark die Beschattung auf das Gebäude ist.“ Daraus wiederum lasse sich die Kühlleistung berechnen und der verringerte Energieverbrauch des Hauses. Dass dieser Faktor auch in den Energieausweis von Gebäuden aufgenommen wird, sei gerade im Entstehen.

Einen weiteren interessanten Wert weist die sogenannte PET-Temperatur aus. Dabei geht es nicht um recycelbare Flaschen oder Haustiere, sondern um gefühlte Temperatur. Diese steht in Relation zu Wind, Strahlung, Feuchte und menschlichem Empfinden, ist aber ein genormter Begriff. Formanek betont, dass die PET-Temperatur gerade im Bereich der Vertikalbegrünung sehr aussagekräftig sei, denn das Grün wirke optisch und physisch auf den Menschen ein.
Ausbaufähig

Diesen Schluss lässt zumindest eines der längsten Forschungsprojekte weltweit zu. Seit zehn Jahren wird die vollflächige Grünfassade der MA 48 im fünften Wiener Gemeindebezirk intensiv von der Universität für Bodenkultur gemonitort.

„Blattoberflächen erhitzen sich nur unwesentlich mehr als die Umgebungsluft, so wird durch Begrünungen und ihre natürlichen klimatischen Effekte die gefühlte Temperatur vor der Fassade messbar bis zu 13 °C gesenkt“, sagt Formanek. Die PET-Temperatur ergibt freilich eine andere Temperatur als die eines Messsystems, aber „es ist trotzdem relativ viel“.

Die Bauwerksbegrünung ist in Österreich, gelinge gesagt, ausbaufähig. So lag das durchschnittliche Umsatzwachstum im Dachbegrünungsmarkt zwischen 2014 und 2018 bei nur neun Prozent. Die Tatsache, dass jede fünfte Kommune mittlerweile ein grünes Dach verbindlich vorschreibt, wird diese Zahl zukünftig allerdings in die Höhe treiben.

Was die Fassadenbegrünung betrifft, hätte diese laut Landschaftsgärtner Stefan Brunnauer auch Auswirkungen auf den angrenzenden Straßenraum. Das sei vor allem dann von Bedeutung, wenn Gehsteige zu eng sind und die derzeit am häufigsten gegen Hitze eingesetzte Maßnahme – zusätzliche Städtebäume einzupflanzen – keine Möglichkeit ist.
Grüne Jobs

Aber auch hier ist noch Luft nach oben. Laut dem Green Market Report von Grün statt Grau werden 40.000 Quadratmeter Fassadenfläche in Österreich jährlich begrünt. Das Flächenpotenzial liegt allerdings allein in Wien bei 120 Millionen Quadratmetern.

Dabei könnten auch die Wachstumsaussichten der Branche Investoren auf den Plan rufen. So ist im Green Market Report zu lesen, dass sich der Bauwerksbegrünungsmarkt bis 2030 in einem moderaten Wachstumsszenario auf 270 Millionen Euro Umsatz ausweiten und bei Forcierung der Dachbegrünung bis zu 33.000 grüne Jobs entstehen könnten. Formanek ist überzeugt: „Schon bald wird eine klimasensible Planung in der Baubranche Voraussetzung sein. Häuser der Zukunft müssen den neuen Herausforderungen des Klimawandels angepasst werden, damit Menschen und Pflanzen in Zukunft gut überleben können.“

Der Standard, Mo., 2021.08.30

Presseschau 12

04. April 2025Julia Beirer
Der Standard

Es grünt so grün

Ein Drittel der Wiener Bevölkerung sei mit Grünraum in der Nachbarschaft „stark unterversorgt“, sagt der Landschaftsarchitekt Jürgen Furchtlehner. Seine Idee: autofreie Straßenparks.

Ein Drittel der Wiener Bevölkerung sei mit Grünraum in der Nachbarschaft „stark unterversorgt“, sagt der Landschaftsarchitekt Jürgen Furchtlehner. Seine Idee: autofreie Straßenparks.

Die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo hat große Pläne für die französische Hauptstadt. Wie DER STANDARD berichtete, will sie Diesel- und Benzinmotoren bis 2030 komplett aus der Stadt verbannen. Auf dem Weg dorthin hat sie bereits Schnellstraßen entlang der Seine zu Flanierzonen gemacht, den Stadtkern zur autofreien Zone erklärt und das Radwegnetz ausgebaut.

Vergangenen Sonntag konnten Stimmberechtigte über einen weiteren Vorschlag der sozialistischen Bürgermeisterin abstimmen. Die Idee: 500 Straßen autofrei machen und zu Gartenstraßen (französisch „rues-jardin“) umgestalten. Konkret soll jedes Quartier sechs derartige Wohnstraßen erhalten und keine Bewohnerin und kein Bewohner der Stadt weiter als 300 Meter von einer solchen begrünten Straße entfernt leben. Das Projekt wurde angenommen.

Geht es nach Hidalgo, soll Paris zur klimafitten „Gartenstadt“ werden. Ein Konzept, das den beiden Forschern Ulrich Leth und Jürgen Furchtlehner wohlbekannt ist. Leth forscht im Bereich Verkehrsplanung und Verkehrstechnik an der TU Wien, Furchtlehner am Institut für Landschaftsarchitektur der Boku Wien. Was wäre, wenn eine derartige Befragung in Wien stattfinden und den Plänen zugestimmt würde? Welche Bezirke und welche Straßen würden autofrei und begrünt? Dieses Gedankenexperiment haben die beiden durchgespielt.

Wiener Gartenstraßen

500 Straßen autofrei zu machen sollte in Wien „leicht gehen“, sagt Ulrich Leth. „Das wären rund 22 Straßen pro Bezirk.“ In Wien gibt es aktuell 6947 Straßen, deren Fläche rund 41 Quadratkilometer umfasst.

Wichtig ist allerdings, was als Straße definiert wird. Ist es etwa die gesamte Länge einer Straße, die denselben Straßennamen trägt, oder ist es ein Straßenabschnitt zwischen zwei Häuserblocks? Letzteres ist in Wien der Fall, erklärt Leth: „Das bedeutet, dass bereits ein Abschnitt zwischen zwei querenden Straßen zur Gartenstraße umgewandelt werden könnte.“

Gartenstraße ist auch die Bezeichnung der Stadt Wien für eine verkehrsberuhigte und begrünte Verkehrszone, die auch im Stadtentwicklungsplan 2035 vorgesehen ist. Dies seien „flächig entsiegelte, intensiv begrünte Aufenthalts- und Erholungsbereiche im Straßenraum, vorrangig in dichtbebauten Gebieten“, hieß es bei einer Pressekonferenz der Stadt Anfang März.

Doch zurück zum Gedankenexperiment, 500 Straßen in Wien autofrei zu gestalten: Betroffen wären wohl vor allem Straßen im sogenannten unterrangigen Straßennetz, sprich Nebenstraßen in Wohngebieten, sagt Leth.

Diese Straßen könnten als Gartenstraßen vom Durchzugsverkehr befreit werden, wobei eine Zufahrt laut dem Verkehrsforscher immer möglich bleiben wird, „weil auch Einsatzfahrzeuge alle Orte erreichen müssen“. Große Verkehrsachsen oder Hauptstraßen würden nicht zu Gartenstraßen, ist Leth überzeugt.

Doch wo würden die Forscher anfangen? Leth würde zunächst einen Blick auf die Hitzekarte Wiens werfen, um herauszufinden, in welchen Grätzeln besonders rascher Handlungsbedarf besteht.

Die „mit Grünraum stark unterversorgten Stadtteile“ sind in Wien laut Landschaftsarchitekt Jürgen Furchtlehner bereits gut erfasst: Sie erstrecken sich über Teile des vierten, fünften, sechsten und siebenten Bezirks und weiter über den 15., 16., 17. und 18. Bezirk.

Diese Bezirke würde Furchtlehner „sofort und flächendeckend“ angehen und „Straßenabschnitte als langgestreckte Parks gestalten“. Als unterversorgt gelten Haushalte, die weiter als 250 Meter von Grünraum entfernt sind, erklärt Furchtlehner. In Wien betreffe das ein Drittel der Bevölkerung und damit rund 700.000 Menschen. „Wenn der Klimawandel in den kommenden 20 oder 30 Jahren spürbar einschlägt, werden Grünflächen in der Nachbarschaft ausschlaggebend für die Lebensqualität und die Gesundheit der Stadtbevölkerung sein“, sagt er. Umso wichtiger sei es schon jetzt, „Nachbarschaftsgrün“ und Erholungsräume zu schaffen.

Zusammenhängende Wege aus Parks und begrünten Straßen können allerdings nur geschaffen werden, wenn es eine übergeordnete Strategie gebe. „Hier ein kleiner Park und drei Jahre später eine kurze begrünte Straße bringt wenig“, sagt der Landschaftsarchitekt.

Als nächsten Schritt würde Furchtlehner ausgehend von Kindergärten und Schulen „grüne Netzwerke durch die Stadt ziehen“. An diesen Orten würden sich viele vulnerable Personen aufhalten.

Möglich seien Gartenstraßen in diesen Bereichen, weil die begrünten Straßen nicht ganz abgeschottet seien, sagt Furchtlehner. „In den begrünten Straßen gibt es nach wie vor Mobilität, auch die Rettung oder Müllabfuhr kann wenn nötig zufahren.“

Um einen klimatischen Effekt zu erzielen und die Umgebungstemperatur zu senken, müssen Grünflächen laut Furchtlehner mindestens einen Hektar umfassen. Da dies kein Quadrat sein müsse, sondern in die Länge gezogen werden könne, würden sich Straßen als langgezogene Parks – Furchtlehner spricht von Straßenparks – gut eignen. Dadurch ließe sich viel zusammenhängender Grünraum in den Bestand bringen.

Furchtlehner empfiehlt zudem, große Teile der Straße etwa mit Pflastersteinen, Stauden- oder Gräserbeeten zu entsiegeln. Aktuell seien nahezu 100 Prozent des Straßenraums mit Asphalt versiegelt. Dadurch fließe das gesamte Regenwasser in den Kanal, anstatt Pflanzen zur Verfügung gestellt zu werden.

Für eine Umgestaltung müssten Straßen oft gar nicht extra auf- und umgerissen werden, ist Furchtlehner überzeugt. Wenn Umbauarbeiten ohnehin stattfänden, weil etwa wie auf der Gumpendorfer Straße im sechsten Bezirk Leitungen erneuert würden, sei das eine gute Gelegenheit, auch die Oberfläche zu verbessern. Dort sollen künftig mehr Bäume und weniger Autos zu finden sein, außerdem soll es mehr Platz für Fußgängerinnen und Fußgänger geben.

Parkplätze weg

Wichtig ist Furchtlehner zu betonen, dass es nicht darum gehe, die Mobilität einzuschränken. In Wien gebe es vor allem in den inneren Stadtbezirken ein gutes öffentliches Netz, und auch die Radwege würden laufend ausgebaut. „Die Hoffnung ist, dass weniger Menschen abhängig vom Auto sind“, sagt Furchtlehner. Laut Statistik Austria gibt es in Wien aktuell 363 Pkws pro 1000 Einwohnerinnen und Einwohner.

In Paris könnten den Gartenstraßen bis zu 10.000 Parkplätze weichen müssen. Dass gerade Parkplätze häufig zum Politikum werden, beobachtet auch Verkehrsforscher Leth. In Gesprächen mit Politikerinnen und Politikern habe er oft gehört, dass diese verärgerte E-Mails bekämen, wenn Parkplätze wegfielen. „Das ist aber nicht repräsentativ für die Bevölkerung“, sagt er, „denn diejenigen, die davon profitieren, schreiben keine Dankesmail an die Bezirksvorstehung.“

Der Standard, Fr., 2025.04.04

22. Dezember 2023Julia Beirer
Der Standard

Wie wir künftig wohnen könnten

Gemeinschaftsküche, Jeansdämmung und arabischer Luftbrunnen – das Wesen von Wohnhäusern könnte sich in Zukunft sehr verändern. Neue Einfamilienhäuser wird es eher keine mehr geben, so die Einschätzung der befragten Expertinnen und Experten.

Gemeinschaftsküche, Jeansdämmung und arabischer Luftbrunnen – das Wesen von Wohnhäusern könnte sich in Zukunft sehr verändern. Neue Einfamilienhäuser wird es eher keine mehr geben, so die Einschätzung der befragten Expertinnen und Experten.

Es wird kein Neubau sein.“ Diese Antwort kam von allen Experten und Expertinnen, die DER STANDARD nach dem Haus der Zukunft befragt hat.  Das Haus der Zukunft existiert bereits, ist sich Madlyn Miessgang sicher. Sie hat Architektur studiert und forscht nun am Future Lab der TU Wien. „Der Bestand ist eine Ressource, die wir adaptieren und nutzen müssen“, sagt sie.

Dass es sich dabei um ein Mehrparteienhaus handelt, ist für Miessgang klar. „Das Einfamilienhaus ist ein Auslaufmodell“, sagt sie,  „das wird sich mit den Ressourcen und auch finanziell nicht mehr ausgehen.“ Dafür werde Gemeinschaft in Zukunft eine tragende Rolle spielen.

Gemeinschaftsräume

Die Pflege von Älteren und Kindern, gemeinsames Lernen, Spielen und auch Kochen könne in Gemeinschaftsräumen stattfinden. So würde Platz im privaten Bereich eingespart, Wohnraum generell verdichtet und effizienter genutzt. Es sei zu hinterfragen, ob künftig jede Wohnung eine eigene Küche brauche, vielleicht genüge auch eine Gemeinschaftsküche für manche.

Manche Gemeinschaftsnutzungen verteilen sich zudem nicht nur innerhalb eines Hauses, sondern können sich auch auf ganze Grätzel erstrecken. Miessgang: „Das Haus der Zukunft muss über die eigene Grundstücksgrenze hinausdenken.“

Flexible Grundrisse

Zudem brauche es auch die Möglichkeit flexibler Grundrisse, damit sich das Leben der Bewohnerinnen und Bewohner darin verändern kann. 

„In einem Gebäude muss alles möglich sein“, sagt auch Architekt Thomas Romm. Am „nutzungsoffenen“ Bauen werde kein Weg vorbeiführen – und das sind nicht die einzigen Veränderungen, die die Gebäude der Zukunft mit sich bringen.

CO₂-Speicher

Verbundwerkstoffe, sprich Stoffe, die aus mehreren Materialien bestehen, werden laut Romm immer weniger. Stattdessen werde künftig noch mehr auf massive und monolithische Konstruktionen gesetzt. Die Vorteile: Sie sind gut rückbaubar und bieten die Möglichkeit, Wärme zu speichern – und damit auch die Möglichkeit, das „Übel der Techniklastigkeit unserer Gebäude zu überwinden“.

Für Romm ist die Langlebigkeit der Gebäude – und nicht der alle Stoffe bestmöglich rezyklierende Abbruch – die zentrale Voraussetzung für klimagerechtes, kreislauffähiges Bauen. Für den Architekten ist ein Abbruchverbot beziehungsweise das Einholen einer Abbruchgenehmigung unerlässlich – diese ist auch in der Kreislaufwirtschaftsstrategie des Klimaschutzministeriums angekündigt.

Als Architekt wolle Romm zwar, dass auch in Zukunft neu gebaut werden darf – mit diesen Bauten müsse aber Klimareparatur betrieben werden. „Wichtig ist, den Schaden nicht nur zu begrenzen, sondern Gutes zu tun.“ Gebaute Strukturen können CO₂ nämlich über Jahrhunderte speichern. In allererster Linie eigne sich Holz, sofern es nicht verbrannt wird. „Das muss unbedingt verhindert werden“, sagt Romm.

Doch auch in Betonhäusern werden wir in Zukunft nachhaltiger wohnen. Denn der Baustoff könnte schon bald eine weitaus bessere Klimabilanz haben. Daran arbeitet zumindest ein Forschungskonsortium in Österreich. Dort hat man zunächst den Zementanteil reduziert und nun in einem weiteren Schritt verkohltes Altholz hinzugefügt. Der sogenannte Performancebeton verbraucht verglichen mit konventionellem Beton 80 Prozent weniger an CO₂-Emissionen.

Jeans-Dämmung

Um die Temperatur konstant zu halten, spielt die Dämmung eine zentrale Rolle. Bereits in den vergangenen Jahren wurde in Österreich mehr gedämmt – Tendenz weiter steigend. Während der Großteil noch zum günstigsten Schaumstoff, gefolgt von Mineralwolle, sprich Stein- und Glaswolle, greift, könnte sich das in Zukunft ändern. Architekt Peter Schubert tüftelt nämlich bereits an Alternativen.

In den vergangenen Jahren hat er sich mit Stroh beschäftigt, seit Dezember widmet er sich alten Jeans. „Sie bestehen zu mindestens 95 Prozent aus reiner Baumwolle und wärmen gut, darum tragen wir im Winter auch Baumwollkleidung“, sagt der Architekt. Zudem habe Baumwolle mit 450 Grad eine hohe Zündtemperatur. Der Architekt geht davon aus, dass die Entflammbarkeit zudem von 450 auf 1000 Grad mit nur einer Behandlung erhöht werden kann. Doch schon jetzt, ist sich Schubert sicher, erfüllen die zerrissenen Jeans die Anforderungen im Innenausbau.

Da die Herstellung von Baumwolle sehr ressourcenintensiv ist – eine Jean benötige in etwa 8000 Liter Wasser –, wäre es „absurd“, frische Baumwolle als Dämmstoff zu verwenden. Eine Weiterverarbeitung von Jeans zu Reißwolle wäre hingegen klimaschonend.

Das Forschungsprojekt Dämmstoff Himmelblau soll nun beweisen, dass recycelte Jeans der bessere Dämmstoff sind. Vorbild ist laut Schubert ein Projekt in den USA, wo die sogenannte Ultratouch-Jeansdämmung bereits im Baumarkt verkauft wird. „Dort wollen wir auch hin“, sagt Schubert.

Sanierung

Da künftig neben dem Halten von Temperaturen auch die Kühlung von Gebäuden wichtiger wird, blickt Architekt Romm auch in Länder, die von jeher hohen Temperaturen ausgesetzt sind. Künftig könnten auch in Österreich arabische Luftbrunnen verbaut werden. Dabei strömt Luft durch das Erdreich oder unterirdische Hohlräume und zurück in den Wohnraum, wo die Temperatur konstant gehalten werden kann. Eine Imitation davon gab es bereits in den Gründerzeithäusern in Wien.

Damit Gebäude künftig thermisch optimiert und damit der Energiebedarf gesenkt wird, braucht es laut Heinrich Schuller künftig den Beruf eines Sanierungscoachs. Dieser würde planen, die Baustelle koordinieren und sich um Förderungen kümmern.

Unerlässlich sei zudem, dass Häuser künftig in ihre Einzelteile zerlegt und diese wiederverwendet werden können. Dämmstoffe, Verkleidung, Fassade – einfach alles soll auseinandergenommen und wieder zusammengesetzt werden können. Derzeit gebe es zwar die Möglichkeit, etwa Fenster zerstörungsfrei auszubauen, es werde allerdings selten gemacht, weil die Technik schlicht zu teuer sei. „Der Modulbau ist nichts Schlechtes“, sagt Schuller. Im Gegenteil, dadurch könne die Qualität auch besser werden.

Der Standard, Fr., 2023.12.22

14. Oktober 2022Julia Beirer
Der Standard

Wohlig warm ohne Heizen

Im Wiener Stadtentwicklungsgebiet Seestadt Aspern soll ein Bürokomplex entstehen, der ohne Kühlen und Heizen auskommt – und somit auch kein CO₂ ausstößt. Angenehme Temperaturen soll es dort trotzdem haben.

Im Wiener Stadtentwicklungsgebiet Seestadt Aspern soll ein Bürokomplex entstehen, der ohne Kühlen und Heizen auskommt – und somit auch kein CO₂ ausstößt. Angenehme Temperaturen soll es dort trotzdem haben.

Das gesamte Jahr eine Raumtemperatur zwischen 22 und 26 Grad, das aber ohne Heizung oder Klimaanlage und ergo auch, ohne CO₂-Emissionen zu verursachen. Was nach Zukunftsmusik klingt, plant die 2226 AG, ein Ableger der Baumschlager Eberle Architekten, mit dem Bürogebäudekomplex Robin in der Wiener Seestadt Aspern. Der Bau entsteht in Zusammenarbeit mit dem Immobilienentwickler Soravia. Der Spatenstich war vergangenen Mittwoch, die Fertigstellung ist für 2024 geplant.

Vorbild von Robin ist das Gebäude 2226 in Lustenau in Vorarlberg, in dem sich seit 2013 auch der Firmensitz von Baumschlager Eberle Architekten befindet. Die Architektinnen und Architekten haben also als Erste getestet, ob der Bau auch im tiefsten Winter hält, was er verspricht. Und das hat er – die Raumtemperatur fiel nie unter 22 Grad.

Daran sind nicht zuletzt die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter maßgeblich beteiligt. Sie geben nämlich auch in den kalten Wintermonaten genügend Wärme ab, um das Gebäude gemeinsam mit Elektrogeräten und Beleuchtung zu temperieren. Dicke Ziegelwände, eine Stahldecke und dreifach verglaste Fenster machen diese absurd klingende Idee tatsächlich möglich. Das Konzept soll nun in leicht abgewandelter Form auch in der Seestadt Aspern Arbeitsplätze bieten, deren Betrieb ohne CO₂-Ausstoß funktioniert.

Der Aufbau

Wie im Haus 2226 werden auch die Ziegelwände im Robin in Zukunft 76 Zentimeter messen. Damit sind sie laut Jakob Pesendorfer, Geschäftsführer von Baumschlager Eberle Architekten in Wien, doppelt so dick wie in herkömmlichen Bauten und dienen wie auch die Stahlbetondecke als Dämm- und Speichermasse. So können Energieströme besser gespeichert und Wärme sowie Kälte abgegeben werden, erklärt der Architekt.

Auch in der Seestadt Aspern werden die Fenster dreifach verglast in einen Holzrahmen gesteckt und im Anschluss weiter als gewöhnlich in Richtung Innenräume in die Ziegelmauer gesetzt. So strahlt im Sommer nur wenig direkte Sonne in die Räume; im Winter hingegen umso mehr.

Die zukünftigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter können die Lüftungsflügel der Fenster öffnen, für die entsprechende Luftqualität sorgt aber eine Gebäudesteuerung. Sensoren messen permanent den CO₂-Gehalt in der Luft, die Raumtemperatur sowie die Luftfeuchtigkeit. Je nach Bedarf öffnen und schließen die Lüftungsflügel automatisch.

Um auf Nummer sicher zu gehen, haben die Architekten auf Wunsch von Soravia in zwei von drei Bauteilen eine Deckentemperierung eingeplant. Sie funktioniert energieautark. Der Strom kommt aus der Photovoltaikanlage auf dem Dach. Die Deckentemperierung brauche es im Falle eines extremen Außentemperaturanstiegs infolge des Klimawandels, sagt Pesendorfer. „Im Normalbetrieb ist sie nicht nötig.“ Aktiv wird sie also, wenn überhaupt, nur im Sommer.

Somit fallen bei Robin im systembedingten Betrieb weder Kosten noch CO₂-Emissionen für Kühlen und Heizen an, heißt es bei Soravia. Der gesamte CO₂-Ausstoß sei um 40 Prozent niedriger als bei konventionellen Gebäuden. Das ist sogar für Gerhard Schuster eine besondere Weiterentwicklung. Als CEO der Wien 3420 Aspern Development AG ist er an energieautarke Plusenergiehäuser gewöhnt.

Bau der Zukunft?

Um die Wichtigkeit derart innovativer Bauten zu unterstreichen, schlüsselt Soravia den Energieverbrauch der Europäischen Union auf: 51 Prozent entfallen demnach auf Heizen und Kühlen von Gebäuden. Mehr als Verkehr (30) und Strom (19) zusammen. Konzepte wie 2226 sind also ein wichtiger Hebel im Kampf gegen die Erderwärmung.

Das wissen auch die Baumschlager Eberle Architekten. Nach Umsetzungen in der Schweiz sind weitere Projekte in Österreich und Deutschland geplant.

Immer mehr münzen sie das Konzept auf Wohnbauten um. Die Herausforderungen sind im Mehrparteienhaus allerdings anders. Sie kommen zwar weiterhin ohne konventionelle Heizung aus, auch hier setzen die Macher auf Körperwärme und Temperatur- sowie CO₂-Steuerung der Fensterflügel. Eine entscheidende Änderung gibt es allerdings: Der Warmwasserbedarf der Bewohnerinnen etwa im „2226 Graf Dornbirn“ ist um ein Vielfaches höher als in Büros. Daher sind neben einer Photovoltaikanlage auf dem Dach auch 80-Liter-Boiler in den Wohnräumen zur Warmwasseraufbereitung notwendig. Raumtemperaturen zwischen 22 und 26 Grad sind aber ohnehin garantiert.

Der Standard, Fr., 2022.10.14

30. August 2021Julia Beirer
Der Standard

Grün statt Grau

Drei Jahre haben Experten an einer Norm gearbeitet, die das Entstehen und – vor allem – Überleben von Bauwerksbegrünung sichern soll. Denn grüne Fassaden sind rar.

Drei Jahre haben Experten an einer Norm gearbeitet, die das Entstehen und – vor allem – Überleben von Bauwerksbegrünung sichern soll. Denn grüne Fassaden sind rar.

Eine neue Ö-Norm mischt sich unters Volk und könnte größeren und vor allem grüneren Einfluss haben als viele andere. Zugegeben, neue Normen treiben den Level an Aufregung nicht gerade auf die Spitze, allein der neue Standard mit der Kennzahl „L 1136 Vertikalbegrünung im Außenraum“ gibt Hoffnung für hitzegeplagte Städter.

Das Ziel ist nämlich, Gebäude nachhaltig grüner und kühler zu gestalten. Außerdem ist sie die erste Norm in Europa, die Fassadenbegrünung in all ihren Facetten regelt. „Oft wird viel Geld für den Bau ausgegeben und bei der Pflege gespart. Dann ist das Gewächs nach zwei Jahren nicht mehr in Ordnung, und die Begrünung gilt als gescheitert“, erklärt Landschaftsarchitekt Stefan Brunnauer. Diese Problematik greife die Norm auf, indem das Pflegekonzept integriert und kalkuliert wird. Brunnauer, der selbst an der Ausarbeitung der Norm beteiligt war, betont: „Bauwerksbegrünung kann nur als gesamter, integrierter Prozess funktionieren.“

Was die Kosten der Bauwerksbegrünung betrifft, so könne keine pauschale Summe genannt werden. Darin sind sich Expertinnen und Experten einig. Allerdings: Etwa 1,5 bis zwei Prozent der Gesamtkosten des Bauprojekts müssen laut Herbert Eipeldauer vom Verband für Bauwerksbegrünung veranschlagt werden. Die Investitionen ließen sich aber gegenrechnen.
Kühlleistung

Dabei helfen Kennwerte wie Verschattung, Verdunstungskälte und der sogenannte Leaf-Area-Index (Blättchenindex). Susanne Formanek, Geschäftsführerin des Innovationslabors Grün statt Grau, erklärt: „Damit können wir berechnen, wie stark die Blätter übereinander liegen und wie stark die Beschattung auf das Gebäude ist.“ Daraus wiederum lasse sich die Kühlleistung berechnen und der verringerte Energieverbrauch des Hauses. Dass dieser Faktor auch in den Energieausweis von Gebäuden aufgenommen wird, sei gerade im Entstehen.

Einen weiteren interessanten Wert weist die sogenannte PET-Temperatur aus. Dabei geht es nicht um recycelbare Flaschen oder Haustiere, sondern um gefühlte Temperatur. Diese steht in Relation zu Wind, Strahlung, Feuchte und menschlichem Empfinden, ist aber ein genormter Begriff. Formanek betont, dass die PET-Temperatur gerade im Bereich der Vertikalbegrünung sehr aussagekräftig sei, denn das Grün wirke optisch und physisch auf den Menschen ein.
Ausbaufähig

Diesen Schluss lässt zumindest eines der längsten Forschungsprojekte weltweit zu. Seit zehn Jahren wird die vollflächige Grünfassade der MA 48 im fünften Wiener Gemeindebezirk intensiv von der Universität für Bodenkultur gemonitort.

„Blattoberflächen erhitzen sich nur unwesentlich mehr als die Umgebungsluft, so wird durch Begrünungen und ihre natürlichen klimatischen Effekte die gefühlte Temperatur vor der Fassade messbar bis zu 13 °C gesenkt“, sagt Formanek. Die PET-Temperatur ergibt freilich eine andere Temperatur als die eines Messsystems, aber „es ist trotzdem relativ viel“.

Die Bauwerksbegrünung ist in Österreich, gelinge gesagt, ausbaufähig. So lag das durchschnittliche Umsatzwachstum im Dachbegrünungsmarkt zwischen 2014 und 2018 bei nur neun Prozent. Die Tatsache, dass jede fünfte Kommune mittlerweile ein grünes Dach verbindlich vorschreibt, wird diese Zahl zukünftig allerdings in die Höhe treiben.

Was die Fassadenbegrünung betrifft, hätte diese laut Landschaftsgärtner Stefan Brunnauer auch Auswirkungen auf den angrenzenden Straßenraum. Das sei vor allem dann von Bedeutung, wenn Gehsteige zu eng sind und die derzeit am häufigsten gegen Hitze eingesetzte Maßnahme – zusätzliche Städtebäume einzupflanzen – keine Möglichkeit ist.
Grüne Jobs

Aber auch hier ist noch Luft nach oben. Laut dem Green Market Report von Grün statt Grau werden 40.000 Quadratmeter Fassadenfläche in Österreich jährlich begrünt. Das Flächenpotenzial liegt allerdings allein in Wien bei 120 Millionen Quadratmetern.

Dabei könnten auch die Wachstumsaussichten der Branche Investoren auf den Plan rufen. So ist im Green Market Report zu lesen, dass sich der Bauwerksbegrünungsmarkt bis 2030 in einem moderaten Wachstumsszenario auf 270 Millionen Euro Umsatz ausweiten und bei Forcierung der Dachbegrünung bis zu 33.000 grüne Jobs entstehen könnten. Formanek ist überzeugt: „Schon bald wird eine klimasensible Planung in der Baubranche Voraussetzung sein. Häuser der Zukunft müssen den neuen Herausforderungen des Klimawandels angepasst werden, damit Menschen und Pflanzen in Zukunft gut überleben können.“

Der Standard, Mo., 2021.08.30

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