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15. Februar 2025Ber­na­det­te Redl
Der Standard

Bauen Frauen besser?

Bauherrinnen sind unterrepräsentiert, obwohl sie im Hintergrund oft die Fäden ziehen und an viele Dinge denken, die ein Haus zu einem Zuhause machen. Bauunternehmen könnten sich das zunutze machen.

Bauherrinnen sind unterrepräsentiert, obwohl sie im Hintergrund oft die Fäden ziehen und an viele Dinge denken, die ein Haus zu einem Zuhause machen. Bauunternehmen könnten sich das zunutze machen.

Wer sich auf Baustellen umsieht, merkt schnell: Frauen sind hier meist in der Unterzahl. Das gilt nicht nur unter den Handwerkern und Arbeitern; auch Bauherrinnen sind selten, es gibt sie meist nur als Duo mit männlichen Partnern, zumindest beim Einfamilienhausbau. Im Hintergrund jedoch ziehen hier meist die Frauen die Strippen. „Wenn die Frau an Bord ist, zieht der Mann oft mit. Ist sie es nicht, kannst du das Projekt vergessen“, weiß auch Theresa Mai aus ihrem Arbeitsalltag. Sie ist Gründerin und Geschäftsführerin von Wohnwagon. Frauen, sagt sie, seien beim Bauen wichtiger, als viele denken.

„Mag sein, dass Männer manchmal ein besseres technisches Verständnis haben, beim Wohnen geht es aber um so viel mehr“, sagt Mai. Viele Frauen hätten ein besonders Talent, etwa wenn es um die Projektorganisation, das Aufstellen eines Zeitplans, die Kommunikation mit den Nachbarinnen und Nachbarn oder mit der Bank gehe. „Frauen machen aus einem Grundriss ein Zuhause“, sagt Mai. Sie würden an jedes Detail denken, an die Wege in der Küche, die Abläufe im Bad. Wo hängt man sein Gewand auf, wenn man das Haus betreten hat? Das seien Dinge, die Männer oft nicht mitplanen.

Mai baut mit ihrem Unternehmen nachhaltige und modulare Vollholzhäuser, die für eine kurze Baustelle sorgen. Und sie hat sich vorgenommen, auch Frauen anzusprechen. „Mit uns trauen sich auch alleinstehende Bauherrinnen, ihr neues Zuhause zu schaffen.“ Die Modulhäuser sind zwischen 40 und 100 Quadratmeter groß: Das sei fassbar und mache den Sprung ein bisschen leichter, sagt Mai.

Weibliche Technikerinnen

In vielen klassischen Bauunternehmen würden die Wünsche von Frauen oft weniger gehört und ernst genommen. Bei Wohnwagon wird mit einem bedürfnisorientierten Zugang gearbeitet, zudem gibt es viele weibliche Technikerinnen. „Frauen ziehen Frauen an. Mir kommt vor, durch unser diverses Team kommen wir schneller zu ökonomischen Lösungen.“ Ihre Mitarbeiterinnen würden vor allem das Denken in Ökosystemen mitbringen, „und sie schaffen es, die Kundinnen und Kunden besser ins Projekt mitzunehmen, sie an Bord zu holen“, sagt Mai.

Sie weiß auch, dass Frauen oft anders bauen als Männer. Vielen Frauen seien das Material und eine liebevolle Gestaltung wichtiger, als zwei Euro am Quadratmeterpreis zu sparen. Mai betont aber auch: „Bauen kann sich nicht jede und jeder leisten, das braucht man nicht beschönigen.“ Um 50.000 Euro gehe sich auch kein kleines Haus aus, wenn es solid sein soll. „Wenn man baut, sollte es immer eine langfristige Wertanlage sein.“ Gerade Frauen würde ansonsten erst recht Altersarmut in späteren Jahren drohen. Dennoch sieht das Unternehmen seine Häuser als eine gute Option auch für Alleinerzieherinnen, Frauen nach einer Trennung oder dem Auszug der Kinder. „Diese Frauen waren oft ihr Leben lang für ihre Kinder, ihre Familien da und denken sich nun: „Jetzt bin ich dran und gönne mir was““, sagt Mai.

Die Grundrisse sind im Schnitt 20 bis 30 Prozent kleiner als in herkömmlichen Häusern, die Fixkosten sind minimal. Ein kleines Haus koste ab 150.000, größere liegen bei 300.000 Euro, sagt Mai.

Nicht verunsichern lassen

Sie rät Frauen, die ein Bauprojekt in Angriff nehmen, an ihren Traum zu glauben und sich nicht verunsichern zu lassen, wenn jemand sagt: „Das machen wir anders.“ Man müsse darauf bestehen, auf Augenhöhe ernst genommen zu werden. Wichtig sei, der eigenen Vision zu folgen, Mitstreiterinnen und Begleiter zu suchen, die das schon einmal gemacht haben – und Firmen, mit denen man sich wohlfühlt.

Wären mehrere Frauen Bauherrinnen, glaubt Mai, würde unsere gebaute Umgebung liebevoller und vielfältiger aussehen. Und nachhaltiger. Frauen, sagt Mai, hätten oft mehr Gefühl dafür, was ihre Entscheidungen bedeuten – und zwar für uns alle.

Der Standard, Sa., 2025.02.15

04. März 2024Ber­na­det­te Redl
Der Standard

Was haben Sie sich dabei gedacht?

20 Jahre nach Fertigstellung hat unsere Autorin die Architekten ihres Wohnhauses in Ottakring auf ein Getränk zu sich eingeladen und konnte ihnen die brennendste aller Fragen stellen: Wofür ist dieser Schalter neben der Badezimmertür?

20 Jahre nach Fertigstellung hat unsere Autorin die Architekten ihres Wohnhauses in Ottakring auf ein Getränk zu sich eingeladen und konnte ihnen die brennendste aller Fragen stellen: Wofür ist dieser Schalter neben der Badezimmertür?

Die Zufriedenheit ist Rudolf Szedenik anzusehen. Er klopft gegen die Holzverkleidung im Stiegenhaus und betrachtet die Stufen aus Beton, als hätte er sie selbst gegossen. „Das haben wir schon lange nicht mehr gemacht“, sagt er und zeigt auf die Holzverkleidung. Und die Stufen, freut er sich, hätten sich gut gehalten. „Das war ein Experiment. Bei diesen Betonteilen ohne Belag ist die Sorge immer groß, dass sie sich schlecht reinigen lassen.“

Szedenik ist Architekt und hat mit seiner Kollegin Cornelia Schindler und dem gemeinsamen Büro SS Plus vor über 20 Jahren das Haus geplant, in dem ich lebe. Heute habe ich ihn und Katja Lederer, die ebenfalls an der Planung beteiligt war und das Büro nun führt, auf ein Gespräch zu mir nach Hause eingeladen.

Als die beiden meine Wohnung betreten, ist ihnen sofort anzumerken, dass Erinnerungen hochkommen. 15 Jahre sei sie nicht mehr hier gewesen, erzählt Lederer. Und es ist klar: Auf beiden Seiten gibt es viele Fragen.

Wer in einem Mehrparteienhaus lebt, will früher oder später einmal wissen: Was haben sich die Planerinnen bei diesem oder jenem gedacht? So geht es freilich auch mir und meinen Nachbarn, die ich vorab in unserer Whatsapp-Gruppe um ihr Feedback und ihre Fragen gebeten haben.

Die meisten von uns sind glücklich in unserer Anlage. Sie wurde gefördert errichtet – somit sind die Mieten günstig. Dazu kommen zahlreiche Gemeinschaftsflächen im Hof und auf dem Dach und vor allem: viel, viel Grün.

Aber natürlich gibt es auch den einen oder anderen Kritikpunkt. Allen voran die Fenster beschäftigen uns sehr. Von innen lässt sich nur ein Teil öffnen. Vor allem das Putzen ist daher eine Herausforderung. In waghalsigen Verrenkungen habe ich schon manche Nachbarn beobachtet, wie sie sich hinauslehnen oder mit selbstgebauten Gerätschaften versuchen, die Außenseiten zu reinigen. Wie kommt man auf so etwas?

„Das ist auf unserem Mist gewachsen, es war eine Entscheidung für die Ästhetik“, gibt Szedenik zu. Manchmal müsse man als Architekt solche Abwägungen machen. Das ist mir klar, doch verstanden habe ich die Sache mit den Fenstern noch immer nicht ganz.

Und der Grundriss? In unserer Drei-Zimmer-Wohnung führt vom Kinderzimmer aus eine Balkontür auf die Terrasse. Als Mutter eines Zweijährigen habe ich sie immer verriegelt und mir oft die Frage gestellt, wieso man so etwas plant. „Für einen Teenager hat das aber Mehrwert“, sagt Lederer. Seien die Kinder einmal älter, wäre es schade, hätte man auf diese zweite Balkontür verzichtet.

Ein viertes Zimmer?

Wir haben genug Platz in unserer 80 Quadratmeter großen Wohnung, dennoch haben wir uns vor allem in den Hochzeiten der Pandemie ein viertes Schlafzimmer statt des langen Gangs oder des großen Vorzimmers sehnlichst gewünscht.

Vor 20 Jahren, erzählt Szedenik, hätte es die Notwendigkeit dafür schlichtweg nicht gegeben. Wer mehr Platz gebraucht hat, konnte sich einfach eine größere Wohnung nehmen – das sei damals noch leistbar gewesen. „Heute bauen wir im Schnitt pro Wohnung fünf oder zehn Quadratmeter kleiner und müssen die Grundstücke sehr dicht bebauen.“ Auf 80 Quadratmetern würde man heute jedenfalls eine Vier-Zimmer-Wohnung planen. Das habe mit Spekulation zu tun, aber auch mit Bodenverbrauch, für den es heute weit mehr Bewusstsein gebe, sagt Szedenik.

Neben der Tür zu unserem Badezimmer gibt es einen Schalter, der uns seit Jahren Rätsel aufgibt. Auf ihm prangt ein oranges Licht, seine Funktion ist uns bis heute unklar. Er steuert weder die Lüftung noch einen Heizstrahler, wie eine Nachbarin unlängst vermutete. Szedenik und Lederer sind sich allerdings sicher, dass er doch etwas mit der Lüftung zu tun haben muss, ganz genau könnten sie es aber auch nicht mehr rekonstruieren. Schade!

Apropos Lüftung: Den Schlitz im Schlafzimmerfenster, durch den kalte Luft strömt, haben wir im Winter immer zugeklebt, weil uns die Zugluft stört. Eine gefährliche Sache, erklärt Lederer, die Schimmelbildung zur Folge haben könnte. Die Luft, die im Bad abgesaugt werde, müsse schließlich von irgendwoher nachströmen, sagt die Architektin. Es sei schon absurd, so Szedenik: „Wir kriegen die Dichtheit der Fenster vorgeschrieben, müssen aber gleichzeitig Lüftungen planen.“

Und warum gibt es im Klo kein Waschbecken, obwohl Platz dafür wäre? Manche Dinge waren auch schon vor 20 Jahren gleich. Es sei mit den Bauträgern immer ein Ringen, vor allem bei der Ausstattung – um Steckdosen, Armaturen, Bodenbeläge.

Nach der Tour durch die Wohnung drehen wir eine Runde durch die Anlage. Szedenik zückt sein Handy und fotografiert – die Fassade, die großzügigen Gemeinschaftsflächen, die hochgewachsenen Bäume im Innenhof.

Auch sie stören manche Nachbarinnen, die dadurch weniger Licht in ihren Wohnungen oder Gärten haben. Auch hier, sagt Szedenik, sei es eine Abwägungssache. Lederer und er freuen sich dennoch über das viele Grün, das über die Jahre hier gewachsen ist. Es sei eines der ersten Projekte gewesen, an dem er beteiligt gewesen sei, bei dem es einen eigenen Wettbewerb für die Freiraumplanung gegeben habe, erzählt der Architekt. Der Bauträger habe ein Gespür für diese Notwendigkeit gehabt.

Auch die Pläne zur Nutzung der Gemeinschaftsflächen sind aufgegangen. In unserem Partyraum wird so gut wie jedes Wochenende ein Fest oder ein Kindergeburtstag gefeiert, der Spielraum ist vor allem im Winter und an Regentagen voll, und im Fitnessraum treffen sich mehrmals wöchentlich Nachbarn für Sportkurse. Daran sehe man, sagt Szedenik: „Wenn ein Gebäude gut angelegt ist, bildet sich eine Gemeinschaft von selbst.“ Schade sei nur, dass diese Großzügigkeit heute im Neubau nicht mehr möglich ist, dadurch würde es weniger Raum für Begegnung geben.

In unserem Hof liegt übrigens ein großer, unförmiger Stein. Was es damit auf sich hat, haben wir uns immer schon gefragt. Nun wissen wir: Das ist Kunst am Bau. Bisher klettern vor allem die Kinder darauf herum. Und was stand auf dem Grundstück eigentlich vorher? Ein einstöckiger Bau mit einer Putzerei darin, erzählt mir Szedenik.

Ich freue mich, dass ich heute so viel über mein Zuhause erfahren habe, und werde es schnellstens meinen Nachbarn erzählen. Und Szedenik und Lederer sind froh über die gute Lebensqualität in „ihrem“ Projekt und auch ein bisschen stolz. Zu Recht, wie ich finde.

Der Standard, Mo., 2024.03.04

14. Oktober 2023Ber­na­det­te Redl
Der Standard

Allein daheim

Die Einfamilienhaussiedlung ist ein Konzept von vorgestern und wenig nachhaltig. Viele Zimmer stehen leer, die großen Häuser überfordern ihre alternden Bewohnerinnen und Bewohner. Doch wie gelingt es, sie zukunftsfit zu machen? Ein Besuch in einer Siedlung in Mistelbach.

Die Einfamilienhaussiedlung ist ein Konzept von vorgestern und wenig nachhaltig. Viele Zimmer stehen leer, die großen Häuser überfordern ihre alternden Bewohnerinnen und Bewohner. Doch wie gelingt es, sie zukunftsfit zu machen? Ein Besuch in einer Siedlung in Mistelbach.

Es gab eine Zeit, da war das Haus von Irmgard Opitz voller Leben. Zehn Kinder aus der Nachbarschaft planschten gleichzeitig in ihrem Schwimmbecken, sie veranstaltete Kräuterworkshops und Adventfeiern, oder es kamen einfach ein paar Freundinnen vorbei, um gemeinsam in die Sauna zu gehen. „Das waren schöne Momente. Wie schön, das wird einem erst klar, wenn sie vorbei sind“, sagt die 83-Jährige heute. Sie sitzt am Esstisch in ihrem Haus in Mistelbach. Auf einer Fensterbank stehen getrocknete Blütenköpfe, nach Farben einsortiert in Rex-Gläsern. Der Garten, die Blumen und Kräuter – das war Irmgard Opitz’ große Freude. Und die vielen Menschen, die dadurch in ihr Haus kamen.

Heute ist das anders. Ihre Familie besucht sie nicht mehr so oft. Ihre Kinder hätten sich ihr eigenes Leben aufgebaut, erzählt sie. „Und meine Freundinnen hatten alle irgendwann ihre eigene Sauna.“

Es ist eine Geschichte, die bezeichnender nicht sein könnte für das Leben im Einfamilienhaus. Jeder hat sein eigenes Reich. Auf den Spielplatz oder ins Freibad geht kaum noch jemand, weil jeder im Garten eine Rutsche, ein Trampolin oder einen Pool hat. Auch das Haus von Irmgard Opitz steht in einer klassischen Einfamilienhaussiedlung, wie es unzählige in Österreich gibt. Die Häuser „Am Stadtwald“, wie die Siedlung heißt, stammen aus den 1970er- bis 1990er-Jahren, die meisten werden von einer oder zwei Personen bewohnt, ein Großteil der Zimmer steht leer, denn die Kinder sind längst ausgezogen.

Das Konzept stammt aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Lagen Wohnungen davor direkt neben Geschäften und Dienstleistern, zentral im Ortskern, wurden ab dann Siedlungen immer weiter außerhalb erschlossen – das Auto als Nonplusultra machte den Traum vom Wohnen im Grünen möglich. Damals begann die Zersiedelung. Die Folge: Noch heute sind viele vom Auto abhängig, und Ortskerne sterben aus.

Auch die Häuser in den Siedlungen stehen zunehmend leer. In Österreichs schon bestehenden, aber unterbelegten Einfamilienhäusern wäre, Schätzungen zufolge, Platz für rund drei Millionen Menschen. Gleichzeitig finden viele junge Familien heute keinen Wohnraum, der für sie leistbar ist. Schon gar nicht mit Garten. Auch aufgrund des steigenden Bodenverbrauchs werden zunehmend Rufe laut, den Neubau von Einfamilienhäusern zu unterbinden. Die Konsequenz ist klar: Nicht der Neubau ist die Zukunft, sondern das Umnutzen des Bestands, weil so auch Infrastruktur und Ressourcen gespart werden können.

Wie dieses Potenzial genutzt werden könnte, wurde auch „Am Stadtwald“ untersucht. Ein Forschungsteam der TU Wien, geleitet von Julia Lindenthal, hat gezeigt, wie nachhaltige Siedlungssanierung gelingen könnte. Dabei wurden nicht nur für einzelne Häuser Pläne ausgearbeitet, auch für den öffentlichen Raum wurden Vorschläge gemacht. Denn heute gibt es in der Siedlung keinen zentralen Platz, um sich zu treffen, keine Parkbänke; auch das Potenzial für neue Bäume, Energiegemeinschaften oder nachhaltige Mobilität wäre groß.

Kaum Interesse

So viel zur Theorie, denn in der Praxis war die Begeisterung der Siedlungsbewohner begrenzt. Zu einem Seminartag mit Vorträgen kamen nur drei Besucherinnen, sechs Bewohner erklärten sich letztlich damit einverstanden, mit ihrem Haus am Projekt teilzunehmen. Neben Irmgard Opitz war auch Jutta Danzinger eine von ihnen.

Sie ist eine der jüngeren Bewohnerinnen und im März 2020 mit ihrer Familie in die Siedlung gezogen, in ein Haus aus dem Jahr 1975, das sie zuvor saniert hatten. „Viele, die hier leben, wollen keine Veränderung“, sagt Danzinger. Sie sei von Anfang an mit Begeisterung dabei gewesen und könne nicht nachvollziehen, warum sich so viele gegen das Projekt gewehrt hätten. Vor allem der Entwurf des öffentlichen Raums, wie er in ihrer Siedlung aussehen könnte, gehe ihr bis heute nicht aus dem Kopf. „Jeden Tag, wenn ich hier rauffahre, denke ich an die Pläne und wie schön es hier sein könnte“, sagt sie. Früher habe sie keine Vorstellung gehabt, dass die Straße in der Siedlung auch ein grüner Lebensraum für alle sein könnte. Man könne klein anfangen, sagt Projektleiterin Lindenthal, etwa mit einem Bankerl auf der Straße und einem Baum. Doch mit ihrer Begeisterung ist Danzinger so gut wie allein. „Bäume sind böse, weil sie Mist machen, das ist leider die Ansicht vieler hier.“

Danzinger sitzt in ihrer modernen Küche und erzählt vom Lebensalltag in der Siedlung: Man helfe einander aus, tratsche auf der Straße. Darüber hinaus gehe das Miteinander aber nicht. Für ein Straßenfest, das im Zuge des Projekts veranstaltet wurde, habe sich im Folgejahr niemand mehr gefunden, der es organisieren wollte. „Ich hätte das alleine machen müssen“, sagt Danzinger wehmütig, „der Mensch ist ein Gewohnheitstier, und bei uns gilt leider auch: Jedes Haus ein Staat, und jeder kocht sein eigenes Süppchen.“ Sie und ihre Familie seien auch fast die Einzigen, die den Garten tatsächlich nutzen: „Die anderen pflegen ihn nur, mähen den Rasen.“

Die Pflege des großen Gartens ist auch bei Irmgard Opitz ein Thema: „Langsam wird mir das alles zu viel Arbeit, auch das Haus“, sagt sie, während sie auf ihrem Dachboden steht, umringt von tausenden Blumen und Kräutern, die zusammengebunden in kleinen Sträußen von den Dachbalken hängen. Der Duft hier oben ist zitronig und frisch.

Früher hat sie Seminare gegeben, Potpourris, Kräuterkissen und Gewürzmischungen gefertigt. Zehn Sommer lang hat sie ihren Garten für Besucherinnen und Besucher geöffnet. „Ich habe immer gerne das, was ich hatte, mit anderen geteilt.“ Dass alles heute nicht mehr so geht wie früher, belastet sie. Dafür bräuchte sie Hilfe, sagt sie. Doch so sehr sie es liebt, Opitz weiß auch: „Mein Haus ist eine Belastung für die Zukunft, ich sitze auf zu viel Grund und Boden.“

Das Projektteam der TU hat deshalb Pläne ausgearbeitet, das Haus zu teilen. Im ersten Stock könnte eine zweite Wohnung mit separatem Eingang entstehen. Lindenthal spricht von einer Win-win-Situation für alle: Eine junge Familie könnte hier ein Zuhause mit Garten finden und Opitz jemanden, der ihr im Alltag oder im Garten helfen kann. „Ich würde mir das wünschen, damit ich nicht alleine wohne“, sagt Opitz. Doch der finanzielle Aspekt des Umbaus sei ein Thema, und für größere Projekte wie die Organisation eines Gemeinschaftsgartens, der im Projekt ebenfalls vorgeschlagen wurde, fühlt sie sich zu alt. „Ich wäre aber offen dafür, wenn jemand die Sache in die Hand nimmt.“

Auch für ihre Siedlung wünscht sich Opitz mehr: „Wir haben keinen gemeinsamen Platz und nur sehr wenig Kontakt. Das ist kein Dorf, es kennt nicht jeder jeden. Aber jeder wohnt in seinem Bereich, möglichst allein und mit klaren Grenzen. Es ist kein sehr kommunikationsfreundliches Siedlungskonstrukt.“ Viele hätten sich bereits daran gewöhnt, mit dem Auto zu ihren Bekannten zu fahren und nicht in der Nachbarschaft soziale Kontakte zu knüpfen. „Im Nachhinein etwas zu verändern ist immer schwer – das muss wohl die nächste Generation übernehmen.“

Das sagen auch die anderen Projektteilnehmer, erzählt Lindenthal. Einige hätten die Umbaupläne fürs Haus aufbewahrt, um sie irgendwann den Kindern zu übergeben.

Aufstocken und anbauen

Ortswechsel nach Götzis in Vorarlberg, in die Einfamilienhaussiedlung „Unter der Bahn“. Auch für sie wurde vor ein paar Jahren von Forschenden ein Zukunftskonzept erstellt. Dass nur ein Haushalt in einem so großen Haus lebt, passe überhaupt nicht zusammen mit unserer demografischen Entwicklung, sagt dazu die Architektin Nicole Rodlsberger. Es brauche auch Platz für Wohngemeinschaften oder Patchworkfamilien. Deshalb hat Rodlsberger mit ihrem Kollegen Sebastian Vilanek für die Siedlung Konzepte zur Nachverdichtung erstellt. Konkret: Wo könnte aufgestockt oder angebaut werden, damit mehr Menschen auf den vorhandenen Grundstücken unterkommen. Eine Variante sieht separate Gebäude auf den Grundstücken vor, eine andere erweitert die bestehenden Häuser zu Winkelhöfen, wieder eine andere macht fünf große Höfe daraus und bringt damit statt anfangs 24 sogar 130 Bewohnerinnen und Bewohner unter.

Für Letztere habe es in der Siedlung die meisten Sympathien gegeben, weil es so gelingen könnte, die gemeinsam genutzten Gartenflächen am ehesten zu erhalten. Trotzdem sind laut Rodlsberger die Bewohnerinnen bei der Präsentation der Pläne anfangs entsetzt gewesen. Auch hier habe laut Vilanek die Elterngeneration am Ist-Zustand nichts verändern wollen, die Kinder hätten allerdings großes Interesse gezeigt. Mit ihrer Arbeit wollen die Forschenden eine Struktur entwickeln, die auf andere Siedlungen umgelegt werden könnte, etwa indem Gemeinden festlegen, wo erweitert werden kann.

„Natürlich kann nicht mitten in einer Siedlung mehrgeschoßiger Wohnbau errichtet werden. Aber es braucht etwas dazwischen, was beide Welten vereint – eine höhere Anzahl von Bewohnern, die dennoch die Vorteile des Einfamilienhauses nutzen können, etwa den Garten drumherum“, sagt Rodlsberger.

Sie und ihr Kollege wünschen sich vor allem mehr Vorzeigebeispiele, die den Menschen ihre Ängste nehmen. Eines davon steht ebenfalls in Götzis: Es ist ein Grundstück, auf dem die Kinder im Garten der Eltern ein Haus gebaut haben. Anfangs, erzählt Rodlsberger, hätten die Projektteilnehmer das Grundstück als „total zugebaut“ empfunden. Erst als sie mit den Bewohnern ins Gespräch kamen, die darin eine gestiegene Lebensqualität sehen, habe sich ihre Sicht geändert und sie hätten erkannt, dass mehr Menschen auf gleichem Raum wieder Leben in die Nachbarschaft bringen können.

Das erhofft sich auch Irmgard Opitz für ihre Siedlung in Mistelbach. Ein erster Schritt ist ein Bankerl. Ein solches hat sie gleich nach dem Projekt vor ihrem Haus aufgestellt – in der Hoffnung, mit den Nachbarn ins Gespräch zu kommen.

Der Standard, Sa., 2023.10.14

18. März 2023Ber­na­det­te Redl
Der Standard

Wohnen hoch drei im Dritten

Nahe der U3-Station Gasometer ragen drei neue Wohntürme in die Höhe. Sie alle eint eine gemeinsame Sockelzone, die teilweise auch für die Öffentlichkeit zugänglich sein wird. Ein Besuch in luftigen Höhen und Wiens größter Fahrradgarage.

Nahe der U3-Station Gasometer ragen drei neue Wohntürme in die Höhe. Sie alle eint eine gemeinsame Sockelzone, die teilweise auch für die Öffentlichkeit zugänglich sein wird. Ein Besuch in luftigen Höhen und Wiens größter Fahrradgarage.

Noch kennen sie einander nicht, aber das wird sich bald ändern. Schon in ein paar Wochen freuen sich 2000 bis 3000 Wienerinnen und Wiener auf neue und hoffentlich gute Nachbarschaft. Denn dann beziehen sie im dritten Bezirk das Hochhausquartier The Marks, das aus insgesamt drei Türmen besteht. Der Helio Tower, gebaut von der Buwog, ist bereits bezogen, The One von WBV-GPA und Neues Leben wird im April fertig, und der Q-Tower des ÖSW soll ebenfalls noch im Frühjahr einzugsbereit sein.

Im Erdgeschoß teilen sich die drei Türme eine Sockelzone, die sich über drei Stockwerke erstreckt und alle möglichen Gemeinschaftsflächen beherbergt. Diese können von den Bewohnerinnen aller drei Türme genutzt werden und sind somit laut Michael Gehbauer, Geschäftsführer der Wohnbauvereinigung für Privatangestellte (WBV-GPA), ein wesentlicher Hebel gegen die Anonymität im Hochhaus, von der bei Wohntürmen oft die Rede ist. So gibt es etwa Kinderspielräume, Gemeinschaftsräume mit Kochmöglichkeiten, eine Laufbahn sowie einen Spa- und Fitnessbereich mit Außenpool, Kinderbecken und Sonnendeck.

Eine darüber hinausgehende Vernetzung der künftigen Bewohnerinnen ist nicht vorgesehen. Aus Erfahrung wisse man, so Gehbauer, dass sich die neuen Nachbarn meist sehr rasch selbst in Facebook- oder Whatsapp-Gruppen organisieren.

Während das Erdgeschoß, in dem sich Gastronomie und Geschäfte ansiedeln sollen, auch für die Öffentlichkeit zugänglich ist, stehen die Stockwerke darüber nur den Bewohnern zur Verfügung. „Dort trifft man sich und tauscht sich aus“, sagt Gehbauer.

Gute Landung

Man habe eine „gute Landung“ schaffen wollen, erklärt die Architektin von The One, Lina Streeruwitz, deren Büro auch mit dem städtebaulichen Masterplan des gesamten Projekts The Marks beauftragt war. Man habe versucht, die Erdgeschoßzone der drei Türme vom recht stark befahrenen Umfeld abzugrenzen, um einen eigenständigen Stadtraum zu schaffen, sagt die Architektin.

Und weiter: Die große Herausforderung sei heute gar nicht mehr, die Autos, sondern die Stellplätze für 2000 Fahrräder unterzubringen, sagt Streeruwitz. Hier ist es gelungen, und somit beherbergt The Marks die größte Fahrradgarage Wiens. Im Sockel befinden sich außerdem Coworking-Spaces, ein Kindergarten sowie hauseigene Spielplätze. Auf dem dritten Stock entstehen zudem begrünte Begegnungs- und Ruhezonen.

Große Bäume

Für ein Neubauprojekt sind die in der Erdgeschoßzone gepflanzten Bäume ungewöhnlich groß. Das sei Teil des städtebaulichen Vertrags gewesen, ebenso, dass die Dachterrasse von The One zugänglich sein muss – wenn auch nicht für die Öffentlichkeit. „Das Risiko ist uns aufgrund der Höhe zu groß gewesen“, erklärt Ivan Blagojevic, Prokurist der gemeinnützigen Bau-, Wohn- und Siedlungsgenossenschaft Neues Leben. Sie kann jedoch von den Bewohnerinnen reserviert und genutzt werden.

Wer ganz nach oben will, nimmt den Aufzug in den 39. Stock und braucht dafür genau 39 Sekunden, wie ein Bauarbeiter erzählt, der als Fahrstuhlführer fungiert, solange das Projekt noch in der Bauphase steckt: „Eine Sekunde pro Stockwerk“, erzählt er sichtlich stolz, auch wenn der Job, wie er sagt, etwas eintönig ist. So lange so viele verschiedene Handwerker im Haus sind, müsse jemand darauf achten, dass der Lift nicht blockiert oder etwas beschädigt wird. Zudem fehle so manchen Besuchern noch die Orientierung im Haus, erklärt er.

Wie es später einmal aussehen könnte, zeigt sich im 29. Stock, wo eine Vier-Zimmer-Eigentumswohnung schon fertig eingerichtet ist. Rund 700.000 Euro wird sie ihre zukünftigen Besitzerinnen kosten. Einige der Wohnungen mit Größen von 45 bis 130 Quadratmeter sind noch zu haben. Die leistbaren Mietwohnungen, die in den untersten 20 Stockwerken liegen, kosten 11,70 Euro pro Quadratmeter und sind allesamt schon vergeben. „Wohnen im Hochhaus soll kein Privileg sein“, ist Gehbauer wichtig zu betonen.

Freie Aussicht

Weiter oben, im 29. Stock, ist die Aussicht freilich beeindruckender. „Alle Türme haben das Ziel, einen freien Blick aneinander vorbei zu ermöglichen“, erklärt die Architektin. Eine andere Sache, die auch die Architektur schwer lösen kann, ist der Geräuschpegel, den die A23 zu den drei Türmen hinüberträgt. Doch auch hier hat das Wohnen im Hochhaus einen Vorteil: Denn zumindest ab dem zehnten Stockwerk hört man die Autobahn kaum noch.

Und die Energiekosten? Alle Wohnungen verfügen über eine Fußbodenheizung und sind an das Fernwärmenetz der Stadt Wien angeschlossen. Die Verantwortlichen erklären: „Da die Weichen für dieses Projekt schon vor sieben Jahren gestellt wurden, ist das Energiekonzept hier sicherlich nicht State of the Art. Bei anderen Projekten sind wir schon viel weiter.“

An die Zukunft denkt man hier dennoch. Denn das Quartier um The Marks wird sich in den nächsten Jahren weiter verändern – schon jetzt wird rundherum gebaut. Deshalb habe man auch so geplant, sagt Streeruwitz, dass das Projekt jetzt allein, aber hoffentlich auch später funktionieren wird, wenn es in guter Gesellschaft ist.

Der Standard, Sa., 2023.03.18

12. Februar 2021Ber­na­det­te Redl
Der Standard

Von Haus aus keimfrei

Die Pandemie hat neue Anforderungen bei der Planung von Spitälern offengelegt. Architekten überlegen nun, wie Krankenzimmer und Stationen künftig modularer aufgebaut sein sollten – etwa um Infektionen besser zu verhindern.

Die Pandemie hat neue Anforderungen bei der Planung von Spitälern offengelegt. Architekten überlegen nun, wie Krankenzimmer und Stationen künftig modularer aufgebaut sein sollten – etwa um Infektionen besser zu verhindern.

Welche Lehren ziehen wir aus der Pandemie? Diese Frage treibt nicht nur Wissenschafter, Mediziner, Politiker und Ökonomen um, sondern auch Architekten – speziell jene, die sich mit dem Umbau von Spitälern beschäftigen. Auch hier sind im vergangenen Jahr neue Anforderungen offensichtlich geworden.

„Schon jetzt sehen wir bei aktuellen Wettbewerben die ersten Vorboten“, sagen Andreas Frauscher und Richard Klinger von Architects Collective, beide sind Experten im Bereich Gesundheitsbauten. Vor allem Flexibilität wird in Zukunft ein viel größeres Thema sein. So könnten etwa Stationsgrundrisse in Krankenhäusern so geplant werden, dass einzelne Bereiche schnell abgeteilt und besser isoliert werden können, um infektiöse und nichtinfektiöse Patienten voneinander zu trennen. Dort muss es dann auch separate Personalräume und sämtliche andere Einrichtungen geben – auf einer Station sollte also quasi alles doppelt vorhanden sein.

Zimmer umwandeln

Auch über Zimmergrößen in Spitälern wird seit vielen Jahren diskutiert, nun hat das Thema einen neuen Schub bekommen. In Skandinavien etwa, so Klinger, gibt es bereits jetzt in den zuletzt neu errichteten Krankenhäusern nur mehr Einzelzimmer – früher oder später könnte sich das auch hierzulande durchsetzen. Zumindest könnte die Planung in Richtung mehr Flexibilität gehen, damit man etwa aus einem Zweibett- rasch zwei Einzelzimmer machen kann.

Wie das konkret gehen könnte, zeigt das Forschungsprojekt „Karmin“ (Krankenhaus, Architektur, Mikrobiom und Infektion) der TU Braunschweig. Ein Team aus Architekten hat dort ein Krankenhauszimmer entwickelt, in dem das Infektionsrisiko auf ein Minimum reduziert werden soll – im Vorjahr wurde es präsentiert. Die Grundlage des Projekts: Wissenschafter der Charité in Berlin hatten zuvor ein Jahr lang Abstriche in Patientenzimmern genommen und die Virenbelastung genau untersucht. Denn auch schon vor Corona waren Krankenhausinfektionen, etwa mit multiresistenten Keimen, ein Problem in Spitälern.

Das von den Forschenden entwickelte Zimmer, von dem ein Prototyp in der Nähe von Würzburg und einer auf dem Gelände der Charité Berlin aufgebaut wurde, verfügt über zwei Betten, die einander gegenüberstehen – damit das Personal nicht an einer Person vorbei zur anderen gehen muss. Auf jeder Seite des Raumes liegt eine Nasszelle – denn wenn jeder Patient sein eigenes Bad hat, lässt sich das Ansteckungsrisiko weiter reduzieren und das Zimmer kann in der Mitte abgetrennt werden. Das macht die Errichtung zwar teurer, das gleiche sich aber dadurch aus, dass Kosten für Infektionsbehandlungen wegfallen, heißt es in dem Projekt.

Mehr Privatsphäre

Und Einbettzimmer haben noch weitere Vorteile: Neben der größeren Privatsphäre für Patientinnen und Patienten „kann man sich dadurch andere Räume sparen, etwa Untersuchungszimmer“, sagt Frauscher. Denn Patienten können dann direkt im Zimmer untersucht werden. Zudem erhöhe ein Einzelzimmer die Aufenthaltsqualität, „die Patienten erholen sich besser und schneller“, so der Architekt weiter. So wird auch auf lange Zeit Geld gespart.

Weiters gibt es in dem fiktiven Zimmer der TU Braunschweig ausschließlich Oberflächen, die sich leicht reinigen lassen, sowie antimikrobielle Griffe, die Keime sogar abtöten können. Auch eine gute Beleuchtung, die Lüftung und die Position der in den Zimmern angebrachten Desinfektionsmittelspender spielen bei der Infektionsvermeidung eine Rolle.

Vor allem was Oberflächen betrifft, sind die Standards in Spitälern aber auch heute schon hoch. So hat etwa die Abteilung Anstaltshygiene bei der Ausführung von Krankenhäusern „viel mitzureden“, wie Frauscher sagt: „Sie schauen genau darauf, dass es keine Schmutzwinkel gibt.“ Auch eine große Anzahl von Türen ist schon jetzt per Taster steuerbar, und auf die Auswahl von Oberflächenmaterialien wird viel Wert gelegt.

Auch eine weitere Neuerung könnte sich in Zukunft durchsetzen: Es gibt erste Überlegungen, Isolierzimmer mit speziellen Durchreichen zu versehen, sodass das Personal sich nicht für jede Tätigkeit, etwa wenn es nur darum geht, den Patientinnen und Patienten etwas zu bringen, ein- und ausschleusen muss. „Wir als Architekten und Ingenieure können im Zuge unserer Planungen solche Voraussetzungen schaffen“, sagt Wolfgang Kradischnig, Geschäftsführer der Delta Podsedensek Architekten ZT und Experte für Spitalsbauten.

Zudem müsse sich auch die Wegführung in Krankenhäusern in Zukunft ändern, sodass Besucher, das Personal und infektiöse Patienten separate Eingänge nutzen und Letztere von dort auch direkt, ohne an Wegkreuzungen auf andere Menschen zu treffen, auf die Infektionsstationen gelangen können. „Es braucht beim Eingang eine professionelle Triage, ein Patient wird sich nicht mehr wie früher einfach die Abteilung selbst suchen können, in die er muss“, sagt Kradischnig.

Weniger effizient

Doch nicht nur bezüglich Infektionsschutz, auch insgesamt dürfte sich die Planung von Spitälern durch die Krise verändern. Bisher wurde in Österreich versucht, die Zahl der Krankenhausbetten zu reduzieren, weil sie kostenintensiv sind. Man habe immer weiter optimiert, sich überlegt, wo man noch effizienter werden oder Funktionen zusammenlegen kann, so Kradischnig.

„Hier wird es ein Umdenken geben, und wir werden wieder einen Puffer schaffen müssen“, sagt auch Klinger – vor allem auch bei den Intensivbetten. Generell ist Platz ein Thema. „Für eine Pandemie braucht es Reserven, das wurde nun mit Provisorien gelöst, etwa im Zugangsbereich mit Containern. Bei zukünftigen Bauten sollte das aber bereits in der Planung berücksichtigt werden“, sagt Kradischnig. Und auch andere Bereiche im Spital müssen großzügiger werden, etwa Wartebereiche oder Gänge, um ausreichend Abstand halten zu können.

Generell sei Österreich jedoch gut aufgestellt in dieser Pandemie – das liege auch an der Architektur der Gesundheitsimmobilien, sagen die Architekten. Dennoch gibt es Verbesserungsbedarf: Denn auch wenn hierzulande vieles nicht so schnell gehen kann wie anderswo, etwa im chinesischen Wuhan, wo zu Beginn der Corona-Pandemie in nur wenigen Tagen ein Krankenhaus gebaut wurde, sollte auch bei uns besser vorgedacht werden, fordert Kradischnig.

„Wir müssen uns besser vorbereiten und schon jetzt Raumerfordernisse und Abläufe für zukünftige Ausnahmesituationen überlegen. Auch bei uns ist mit Modulbau vieles sehr schnell möglich, doch es muss vorab Pläne geben, um sie dann im Ernstfall schnell abrufen zu können.“

Der Standard, Fr., 2021.02.12

14. September 2019Ber­na­det­te Redl
Der Standard

Wie es sich anfühlt, in luftigen Höhen zu leben

Der Ausblick bringt Hochhausbewohner ins Schwärmen. Ansonsten macht die Höhe im täglichen Leben kaum einen Unterschied. Nicht einmal schwindelfrei muss man sein. Zwei Turmbewohner erzählen.

Der Ausblick bringt Hochhausbewohner ins Schwärmen. Ansonsten macht die Höhe im täglichen Leben kaum einen Unterschied. Nicht einmal schwindelfrei muss man sein. Zwei Turmbewohner erzählen.

Ich wohne in der Wienerberg-City in dem Turm, der auch „roter Riese“ genannt wird. Mein 120 Quadratmeter großes Apartment liegt im 19. Stockwerk, nordseitig ausgerichtet und hat einen verglasten Balkon. Vor fünf Jahren bin ich eingezogen, davor habe ich immer nur in klassischen Altbauwohnungen gewohnt.

Es ist gefühlsmäßig heller, weil keine anderen Häuser die Fenster verstellen. Außerdem kann man das Wetter und das Geschehen in der Stadt beobachten und hat natürlich einen super Ausblick auf Wien. Mit der Zeit habe ich aber auch festgestellt, dass es immer „normaler“ wird, mit so einer Aussicht zu leben – man gewöhnt sich eben daran. Viele meiner Besucher sind beim ersten Mal aber sehr beeindruckt.

In meiner Wohnung hört man leider den Wind pfeifen, das ist bei einem stärkeren Sturm ärgerlich. Ich würde sagen, das ist das einzige Manko an der Wohnung hoch oben. Vielleicht gibt es ja Hochhäuser, die besser verbaut sind. Ich selbst habe mich noch nie unbehaglich gefühlt, weil ich so weit weg vom Boden bin, ich hatte aber schon Besucher, die davon erzählt haben.

Wir haben zwei Aufzüge und einen Lastenaufzug – somit ist immer einer in Betrieb. In fünf Jahren ist es nur einmal vorgekommen, dass wirklich nichts mehr ging – das war dann doch sehr anstrengend, aber auch ein gutes Work-out, und eingekauft wurde an diesem Tag auch nichts.

In unserem Haus gibt es sehr angenehme nachbarschaftliche Beziehungen, jeder kennt den Concierge, man grüßt sich im Lift und im Hausgang. Weil das Haus so groß ist, gibt es auch Gemeinschaftsräume, welche angemietet werden können, und eben etwas mehr Infrastruktur im Haus.

Ich bin zum Glück schwindelfrei. Beim Fensterputzen sollte man das auch auf jeden Fall sein.

Pascal wohnt im 19. Stock

Ich wohne seit zehn Jahren im 24. Stock, diese Weite ist herrlich und die Aussicht wunderschön. Von meiner Wohnung habe ich einen Ausblick nach Süden und Westen, über alle Dächer. Da bekommt man eine ganz andere Perspektive, auch wenn sie manchmal etwas verzerrt ist. Ich habe oft den Eindruck, etwas ist ganz nah. In Wirklichkeit ist jedoch alles weiter weg, als es von oben aussieht.

Normalerweise habe ich Höhenangst, ich würde beispielsweise nicht auf den Eiffelturm hinauffahren. Im Hochhaus ist das aber gar kein Problem. Selbst auf meinem Balkon, der vorn aus Glas ist, habe ich keine Angst. Man muss also nicht schwindelfrei sein, um in einem Hochhaus zu wohnen. Ich kann mir gut vorstellen, für immer in so einer Höhe zu wohnen. Früher habe ich in wunderschönen Altbauwohnungen gelebt, das hat zwar auch seinen eigenen Reiz. Trotzdem würde ich nicht tauschen und nur wieder in ein Hochhaus ziehen.

Wenn ich erzähle, dass ich im 24. Stock wohne, sagen manche, um Gottes Willen. Wenn sie dann aber in der Wohnung sind, wundern sie sich, dass man die Höhe gar nicht spürt. Der Wohnung merkt man ja nicht an, ob sie im zweiten oder 24. Stock liegt – nur wenn man auf dem Balkon steht oder beim Fenster rausschaut. Obwohl am Wienerberg eigentlich immer der Wind geht, spürt und hört man ihn in der Wohnung nicht. Man sieht ihn höchstens am Wasserstand im WC, der ist unterschiedlich hoch, immer wenn das Haus sich etwas bewegt. Es muss aus statischen Gründen ja etwas schwanken. Wenn man im Bett liegt oder am Tisch sitzt, merkt man davon aber nichts.

Die oft thematisierte Anonymität ist kein Problem, ich kenne alle in meinem Stockwerk. Die Menschen hier sind sehr freundlich, es ist wie ein kleines Dorf im Hochhaus.

Ilse wohnt im 24. Stock

Der Standard, Sa., 2019.09.14

20. Oktober 2018Ber­na­det­te Redl
Der Standard

Mit Holz rechnen

Vorgefertigter Holzbau ist die Zukunft, sagt eine Architektin. Kürzere Bauzeiten und mehr Platz sprechen dafür. Bisher fehlt es aber oft am nötigen Wissen zur Berechnung der Baukosten.

Vorgefertigter Holzbau ist die Zukunft, sagt eine Architektin. Kürzere Bauzeiten und mehr Platz sprechen dafür. Bisher fehlt es aber oft am nötigen Wissen zur Berechnung der Baukosten.

Die Autoindustrie macht es vor. Fahrzeuge werden am Computer geplant, am Fließband produziert und fix und fertig an die Nutzer geliefert. Diese Systematisierung ist effizient, spart Zeit und Kosten. Eben das soll die Zukunft auch für die Bauwirtschaft bringen. „Die Vision ist, dass Module, etwa ein Zimmermodul oder eine Nasszelle inklusive Armaturen und Duschwanne, in der Fabrik gefertigt, auf die Baustelle geliefert und dort zusammengestellt werden“, sagt Architektin Regina Lettner.

Besonders hoch ist das Potenzial für die Systematisierung beim Baustoff Holz. Zwei österreichische Unternehmen, die ein solches Konzept im Zuge einer Zusammenarbeit bereits umsetzen, sind Kaufmann Bausysteme aus Reuthe und der Projektentwickler Zima aus Dornbirn. Seriell vorgefertigte Grundmodule aus Holzmassivbauweise werden beim Purelivin-System aneinander „angedockt“. Auf diese Weise entstehen Zwei- bis Vier-Zimmer-Einheiten mit 51 bis 75 Quadratmetern.

Die Gebäude sind zu 95 Prozent natürlich, die Bauzeit vor Ort beträgt lediglich ein Drittel, der Betonanteil wird auf zehn Prozent reduziert, und das gesamte Gebäude kann rückgebaut und recycelt werden. „Es gibt keine Verzögerungen durch klimatische Einflüsse und ein klares Zeit- und Kostenmanagement durch die Vorfertigung“, berichten die Entwickler.

Keine Fehler

Ziel ist, sagt auch Lettner, so wenig Zeit wie möglich auf der Baustelle zu verbringen, das reduziert Kosten. Zudem könnten durch Vorfertigung Zeitverzögerungen und handwerkliche Fehler verhindert werden. Außerdem muss Holz – im Gegensatz zu anderen Baustoffen – nicht austrocknen, die Baustelle ist sofort begehbar. Und: Holzbauten bieten viele Möglichkeiten für Zwischen- und Umnutzung, so Lettner.

Sie kritisiert, dass Holzbauten noch viel zu selten umgesetzt werden – obwohl das Interesse bei Bauträgern und Investoren groß ist, laut Umfragen sogar bei 98 Prozent liegt. Lettner: „Leider tun es viele nicht, weil sie das Gefühl haben, ihnen fehlt es an Wissen.“

Das stimme teilweise auch, so die Architektin. Zu Beginn eines Projekts werden bei der Baukostenberechnung mit unterschiedlichen Materialien oft Faktoren nicht bedacht, die einen Holzbau günstiger machen würden. „Es werden Gemeinkosten einer herkömmlichen Baustelle kalkuliert, dabei verkürzt sich beim vorgefertigten Holzbau die Bauzeit um etwa 45 Prozent“, so Lettner. Zudem rechne sich niemand aus, wie viel Eisen man sparen könnte, weil durch das geringere Gewicht die Erfordernisse an das Fundament stark reduziert werden. So entstehen Holzbauten mit Anforderungen, die eigentlich für Stahlbeton nötig wären.

Zudem finden Berechnungen oft erst nach der Planung statt. „Jemand überlegt sich: „Vielleicht könnten wir doch mit Holz bauen.„ Dann wird nachgerechnet, aber falsch. Von Anfang an in Holz geplant, wären viele Projekte günstiger.“ Lettner ist sich sicher: Holzbau ist genauso teuer wie Stahlbeton. Beweise dafür fehlen aber. Daher hat sie mit ihrem Unternehmen Baukult ZT eine Erhebung konzipiert, die dazu endlich Zahlen liefern soll.

Wer mit Holz bauen will, das gelte auch für Einfamilienhäuser, so Lettner, wisse oft nicht, wo er Informationen findet. Sie rät, sich an Pro Holz, Holzbau Austria oder produzierende Betriebe zu wenden. Sie alle beschäftigen sich mit Statik, Brand- und Schallschutz von Holz – übrigens Themen, die oft mit Vorurteilen behaftet sind, für die es aber längst Lösungen gibt. Auch im Sinne der Nutzflächenoptimierung sei Holz der Baustoff der Zukunft, denn durch geringere Außenwandstärken ergeben sich drei Prozent mehr nutzbarer Raum. „Ich würde den Immobilienverantwortlichen raten, jetzt schon mit Holz anzufangen, dann sind sie in ein paar Jahren nicht unter den Letzten.“

Das Argument, dass Architekten durch Gebäude aus der Fabrik arbeitslos werden, lässt Lettner nicht gelten: „Das klingt nach Retortenwohnen, aber auch in der systematisierten Autoproduktion gibt es verschiedene Modelle. So wird es auch bei Gebäuden sein.“

Der Standard, Sa., 2018.10.20

20. Oktober 2018Ber­na­det­te Redl
Der Standard

Stadt ohne Parkplätze

Durch autonomes Fahren und Carsharing werden in Zukunft kaum noch Parkplätze benötigt – zumindest in der Theorie eines Wiener Designbüros. Es erstellte Ansichten eines potenziell parkplatzlosen Wiens.

Durch autonomes Fahren und Carsharing werden in Zukunft kaum noch Parkplätze benötigt – zumindest in der Theorie eines Wiener Designbüros. Es erstellte Ansichten eines potenziell parkplatzlosen Wiens.

Ein junges Paar liegt in der Wiese und sonnt sich, daneben, auf einer Parkbank unter einem Baum, sitzt eine Frau und liest ein Buch. In einem Schanigarten unterhält sich eine Touristengruppe, im Hintergrund grasen Pferde und Ziegen in einem eingezäunten Bereich – all das direkt neben der Wiener Börse.

„Was?“, werden jene Wiener nun ungläubig fragen, die die Börsegasse kennen. Dort gibt es keine Wiese, keine Bäume, keine Schanigärten, Pferde und Ziegen schon gar nicht. Allerdings – denn auf dieser Seite der Börse gibt es eine Tiefgarageneinfahrt – eine Tankstelle und vor allem viele parkende Autos; in insgesamt fünf Reihen stehen sie nebeneinander.

Das eingangs beschriebene Szenario ist ein Blick in die Zukunft, wie das Architektur- und Designbüro Wideshot sie sich vorstellt. In ihrem Beitrag für die Vienna Design Week gehen Oliver Bertram, Managing Partner bei Wideshot, und sein Team davon aus, dass die Stadt der Zukunft durch selbstfahrende Autos und die Sharing Economy weit weniger Platz für parkende Fahrzeuge brauchen wird. Stattdessen können grüne Gemeinschaftsflächen entstehen.

Wie das aussehen kann, hat das Team in der virtuellen Welt modelliert, an insgesamt drei Orten im ersten Bezirk (wo es im Verhältnis zur Einwohnerzahl die meisten Autos gibt) konnten Interessierte während der Vienna Design Week in eine parkplatzlose Stadt der Zukunft reisen.

Bertrams Vision: „Autos sind dann autonom unterwegs. Haben sie einen Fahrgast ans Ziel gebracht, fahren sie weiter und holen den nächsten ab – sie sind also ständig in Bewegung, ein Parkplatz wird obsolet.“

Neue Anforderungen

In der Zukunft ändern sich dadurch auch die Anforderungen an die Architektur. Straßen und Parkplätze werden ganz anders aussehen, so Bertram. Er nennt ein Beispiel: In Zukunft werden Autos von selbst einparken, den Platz zum Aussteigen aus dem Fahrzeug braucht es dann nicht mehr – der Parkplatz kann also kleiner werden.

„Das Straßenbild wird sich grundsätzlich ändern“, sagt Bertram und berichtet von Studien aus Nordamerika, wonach das Zusammenleben auf der Straße zwischen Menschen und verschiedenen Verkehrsmitteln dann ganz anders funktionieren wird. Das Motto sei „Human first“ – also Vorrang für Menschen in allen Belangen. Eine konkrete Folge dieser Entwicklung: Große Verkehrswege, auf denen Fahrzeuge möglichst schnell durchfahren können, werde es in diesen Zukunftsszenarien nicht mehr geben. Kreuzungen werden schmaler, Fußwege breiter.

Schmalere Straßen, kleinere Parkplätze und weniger Autos, zumindest in der Stadt – davon geht das Wideshot-Team in seinem Zukunftsszenario aus. Ob es insgesamt weniger Autos geben wird, dazu gibt es verschiedene Forschungsmeinungen und Prognosen, so Bertram. Wahrscheinlich sei, dass durch das gemeinschaftliche Nutzen von Autos insgesamt weniger Fahrzeuge unterwegs sein werden.

Manche Wissenschafter gehen jedoch auch davon aus, dass sich an der Anzahl der Fahrzeuge pro Person nicht viel ändern wird, weil viele gern ein eigenes Auto haben wollen. Im innerstädtischen Bereich, so Bertram, werde die Sharing Economy aber große Auswirkungen haben.

Das ist auch heute schon zu sehen: Durch Uber etwa werden private Fahrzeuge mit anderen geteilt, damit wird Geld erwirtschaftet. „In Zukunft wird Uber ein Logistikdienstleister sein, der die autonomen Fahrzeuge verwaltet“, so Bertram. Er hat auch eine Prognose für den zeitlichen Rahmen: Schon in zwanzig Jahren seien die Auswirkungen durch das autonome Fahren in der Stadt sehr deutlich spürbar. Erste merkliche Veränderungen könnte es auch schon in zehn Jahren geben.

Auto als Statussymbol

Aber leben in Zukunft wirklich so viele Menschen ohne eigenes Auto? Ein Grund, der für viele gegen die Abschaffung des Autos spricht: Sie sehen es als Statussymbol, identifizieren sich dadurch. Auch in diesem Punkt gibt es in der Forschung unterschiedliche Theorien. Der Trend gehe bei der jüngeren Generation schon heute weg vom Eigentum hin zur Sharing Economy. „In den USA sind die Führerscheinquoten der 16-Jährigen um 30 Prozent gesunken. Auch bei uns ist die Zahl der jungen Menschen, die einen Führerschein oder ein eigenes Auto haben, rückläufig“, erzählt Bertram.

Also insgesamt weniger motorisierter Verkehr? Bertram gibt zu, dass durch autonome Fahrzeuge und Carsharing auch viele Menschen, die ansonsten mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs wären, auf Autos umsteigen könnten. In der Konsequenz würde das zu noch mehr Verkehr führen. Es gäbe also zwar weniger Autos auf Parkplätzen, dafür noch mehr auf den Straßen.

Das Wesen von öffentlichen Verkehrsmitteln sei, dass ein Sammeltransport an bestimmten Orten geplant anhält. Dadurch, so Bertram, ergebe sich das Problem der „last mile“, also der letzten Meter, die Öffi-Nutzer zwangsläufig zu Fuß oder mit dem Rad zurücklegen müssen. Für viele sei das eine Hemmschwelle und auch schon heute ein Grund für ein eigenes Auto. Die autonomen Fahrzeuge der Zukunft decken diese letzte Meile zu hundert Prozent ab. Bertram ist sich jedenfalls sicher: „Die Öffis werden in der Zukunft eine starke Konkurrenz bekommen.“

Der Standard, Sa., 2018.10.20

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Presseschau 12

15. Februar 2025Ber­na­det­te Redl
Der Standard

Bauen Frauen besser?

Bauherrinnen sind unterrepräsentiert, obwohl sie im Hintergrund oft die Fäden ziehen und an viele Dinge denken, die ein Haus zu einem Zuhause machen. Bauunternehmen könnten sich das zunutze machen.

Bauherrinnen sind unterrepräsentiert, obwohl sie im Hintergrund oft die Fäden ziehen und an viele Dinge denken, die ein Haus zu einem Zuhause machen. Bauunternehmen könnten sich das zunutze machen.

Wer sich auf Baustellen umsieht, merkt schnell: Frauen sind hier meist in der Unterzahl. Das gilt nicht nur unter den Handwerkern und Arbeitern; auch Bauherrinnen sind selten, es gibt sie meist nur als Duo mit männlichen Partnern, zumindest beim Einfamilienhausbau. Im Hintergrund jedoch ziehen hier meist die Frauen die Strippen. „Wenn die Frau an Bord ist, zieht der Mann oft mit. Ist sie es nicht, kannst du das Projekt vergessen“, weiß auch Theresa Mai aus ihrem Arbeitsalltag. Sie ist Gründerin und Geschäftsführerin von Wohnwagon. Frauen, sagt sie, seien beim Bauen wichtiger, als viele denken.

„Mag sein, dass Männer manchmal ein besseres technisches Verständnis haben, beim Wohnen geht es aber um so viel mehr“, sagt Mai. Viele Frauen hätten ein besonders Talent, etwa wenn es um die Projektorganisation, das Aufstellen eines Zeitplans, die Kommunikation mit den Nachbarinnen und Nachbarn oder mit der Bank gehe. „Frauen machen aus einem Grundriss ein Zuhause“, sagt Mai. Sie würden an jedes Detail denken, an die Wege in der Küche, die Abläufe im Bad. Wo hängt man sein Gewand auf, wenn man das Haus betreten hat? Das seien Dinge, die Männer oft nicht mitplanen.

Mai baut mit ihrem Unternehmen nachhaltige und modulare Vollholzhäuser, die für eine kurze Baustelle sorgen. Und sie hat sich vorgenommen, auch Frauen anzusprechen. „Mit uns trauen sich auch alleinstehende Bauherrinnen, ihr neues Zuhause zu schaffen.“ Die Modulhäuser sind zwischen 40 und 100 Quadratmeter groß: Das sei fassbar und mache den Sprung ein bisschen leichter, sagt Mai.

Weibliche Technikerinnen

In vielen klassischen Bauunternehmen würden die Wünsche von Frauen oft weniger gehört und ernst genommen. Bei Wohnwagon wird mit einem bedürfnisorientierten Zugang gearbeitet, zudem gibt es viele weibliche Technikerinnen. „Frauen ziehen Frauen an. Mir kommt vor, durch unser diverses Team kommen wir schneller zu ökonomischen Lösungen.“ Ihre Mitarbeiterinnen würden vor allem das Denken in Ökosystemen mitbringen, „und sie schaffen es, die Kundinnen und Kunden besser ins Projekt mitzunehmen, sie an Bord zu holen“, sagt Mai.

Sie weiß auch, dass Frauen oft anders bauen als Männer. Vielen Frauen seien das Material und eine liebevolle Gestaltung wichtiger, als zwei Euro am Quadratmeterpreis zu sparen. Mai betont aber auch: „Bauen kann sich nicht jede und jeder leisten, das braucht man nicht beschönigen.“ Um 50.000 Euro gehe sich auch kein kleines Haus aus, wenn es solid sein soll. „Wenn man baut, sollte es immer eine langfristige Wertanlage sein.“ Gerade Frauen würde ansonsten erst recht Altersarmut in späteren Jahren drohen. Dennoch sieht das Unternehmen seine Häuser als eine gute Option auch für Alleinerzieherinnen, Frauen nach einer Trennung oder dem Auszug der Kinder. „Diese Frauen waren oft ihr Leben lang für ihre Kinder, ihre Familien da und denken sich nun: „Jetzt bin ich dran und gönne mir was““, sagt Mai.

Die Grundrisse sind im Schnitt 20 bis 30 Prozent kleiner als in herkömmlichen Häusern, die Fixkosten sind minimal. Ein kleines Haus koste ab 150.000, größere liegen bei 300.000 Euro, sagt Mai.

Nicht verunsichern lassen

Sie rät Frauen, die ein Bauprojekt in Angriff nehmen, an ihren Traum zu glauben und sich nicht verunsichern zu lassen, wenn jemand sagt: „Das machen wir anders.“ Man müsse darauf bestehen, auf Augenhöhe ernst genommen zu werden. Wichtig sei, der eigenen Vision zu folgen, Mitstreiterinnen und Begleiter zu suchen, die das schon einmal gemacht haben – und Firmen, mit denen man sich wohlfühlt.

Wären mehrere Frauen Bauherrinnen, glaubt Mai, würde unsere gebaute Umgebung liebevoller und vielfältiger aussehen. Und nachhaltiger. Frauen, sagt Mai, hätten oft mehr Gefühl dafür, was ihre Entscheidungen bedeuten – und zwar für uns alle.

Der Standard, Sa., 2025.02.15

04. März 2024Ber­na­det­te Redl
Der Standard

Was haben Sie sich dabei gedacht?

20 Jahre nach Fertigstellung hat unsere Autorin die Architekten ihres Wohnhauses in Ottakring auf ein Getränk zu sich eingeladen und konnte ihnen die brennendste aller Fragen stellen: Wofür ist dieser Schalter neben der Badezimmertür?

20 Jahre nach Fertigstellung hat unsere Autorin die Architekten ihres Wohnhauses in Ottakring auf ein Getränk zu sich eingeladen und konnte ihnen die brennendste aller Fragen stellen: Wofür ist dieser Schalter neben der Badezimmertür?

Die Zufriedenheit ist Rudolf Szedenik anzusehen. Er klopft gegen die Holzverkleidung im Stiegenhaus und betrachtet die Stufen aus Beton, als hätte er sie selbst gegossen. „Das haben wir schon lange nicht mehr gemacht“, sagt er und zeigt auf die Holzverkleidung. Und die Stufen, freut er sich, hätten sich gut gehalten. „Das war ein Experiment. Bei diesen Betonteilen ohne Belag ist die Sorge immer groß, dass sie sich schlecht reinigen lassen.“

Szedenik ist Architekt und hat mit seiner Kollegin Cornelia Schindler und dem gemeinsamen Büro SS Plus vor über 20 Jahren das Haus geplant, in dem ich lebe. Heute habe ich ihn und Katja Lederer, die ebenfalls an der Planung beteiligt war und das Büro nun führt, auf ein Gespräch zu mir nach Hause eingeladen.

Als die beiden meine Wohnung betreten, ist ihnen sofort anzumerken, dass Erinnerungen hochkommen. 15 Jahre sei sie nicht mehr hier gewesen, erzählt Lederer. Und es ist klar: Auf beiden Seiten gibt es viele Fragen.

Wer in einem Mehrparteienhaus lebt, will früher oder später einmal wissen: Was haben sich die Planerinnen bei diesem oder jenem gedacht? So geht es freilich auch mir und meinen Nachbarn, die ich vorab in unserer Whatsapp-Gruppe um ihr Feedback und ihre Fragen gebeten haben.

Die meisten von uns sind glücklich in unserer Anlage. Sie wurde gefördert errichtet – somit sind die Mieten günstig. Dazu kommen zahlreiche Gemeinschaftsflächen im Hof und auf dem Dach und vor allem: viel, viel Grün.

Aber natürlich gibt es auch den einen oder anderen Kritikpunkt. Allen voran die Fenster beschäftigen uns sehr. Von innen lässt sich nur ein Teil öffnen. Vor allem das Putzen ist daher eine Herausforderung. In waghalsigen Verrenkungen habe ich schon manche Nachbarn beobachtet, wie sie sich hinauslehnen oder mit selbstgebauten Gerätschaften versuchen, die Außenseiten zu reinigen. Wie kommt man auf so etwas?

„Das ist auf unserem Mist gewachsen, es war eine Entscheidung für die Ästhetik“, gibt Szedenik zu. Manchmal müsse man als Architekt solche Abwägungen machen. Das ist mir klar, doch verstanden habe ich die Sache mit den Fenstern noch immer nicht ganz.

Und der Grundriss? In unserer Drei-Zimmer-Wohnung führt vom Kinderzimmer aus eine Balkontür auf die Terrasse. Als Mutter eines Zweijährigen habe ich sie immer verriegelt und mir oft die Frage gestellt, wieso man so etwas plant. „Für einen Teenager hat das aber Mehrwert“, sagt Lederer. Seien die Kinder einmal älter, wäre es schade, hätte man auf diese zweite Balkontür verzichtet.

Ein viertes Zimmer?

Wir haben genug Platz in unserer 80 Quadratmeter großen Wohnung, dennoch haben wir uns vor allem in den Hochzeiten der Pandemie ein viertes Schlafzimmer statt des langen Gangs oder des großen Vorzimmers sehnlichst gewünscht.

Vor 20 Jahren, erzählt Szedenik, hätte es die Notwendigkeit dafür schlichtweg nicht gegeben. Wer mehr Platz gebraucht hat, konnte sich einfach eine größere Wohnung nehmen – das sei damals noch leistbar gewesen. „Heute bauen wir im Schnitt pro Wohnung fünf oder zehn Quadratmeter kleiner und müssen die Grundstücke sehr dicht bebauen.“ Auf 80 Quadratmetern würde man heute jedenfalls eine Vier-Zimmer-Wohnung planen. Das habe mit Spekulation zu tun, aber auch mit Bodenverbrauch, für den es heute weit mehr Bewusstsein gebe, sagt Szedenik.

Neben der Tür zu unserem Badezimmer gibt es einen Schalter, der uns seit Jahren Rätsel aufgibt. Auf ihm prangt ein oranges Licht, seine Funktion ist uns bis heute unklar. Er steuert weder die Lüftung noch einen Heizstrahler, wie eine Nachbarin unlängst vermutete. Szedenik und Lederer sind sich allerdings sicher, dass er doch etwas mit der Lüftung zu tun haben muss, ganz genau könnten sie es aber auch nicht mehr rekonstruieren. Schade!

Apropos Lüftung: Den Schlitz im Schlafzimmerfenster, durch den kalte Luft strömt, haben wir im Winter immer zugeklebt, weil uns die Zugluft stört. Eine gefährliche Sache, erklärt Lederer, die Schimmelbildung zur Folge haben könnte. Die Luft, die im Bad abgesaugt werde, müsse schließlich von irgendwoher nachströmen, sagt die Architektin. Es sei schon absurd, so Szedenik: „Wir kriegen die Dichtheit der Fenster vorgeschrieben, müssen aber gleichzeitig Lüftungen planen.“

Und warum gibt es im Klo kein Waschbecken, obwohl Platz dafür wäre? Manche Dinge waren auch schon vor 20 Jahren gleich. Es sei mit den Bauträgern immer ein Ringen, vor allem bei der Ausstattung – um Steckdosen, Armaturen, Bodenbeläge.

Nach der Tour durch die Wohnung drehen wir eine Runde durch die Anlage. Szedenik zückt sein Handy und fotografiert – die Fassade, die großzügigen Gemeinschaftsflächen, die hochgewachsenen Bäume im Innenhof.

Auch sie stören manche Nachbarinnen, die dadurch weniger Licht in ihren Wohnungen oder Gärten haben. Auch hier, sagt Szedenik, sei es eine Abwägungssache. Lederer und er freuen sich dennoch über das viele Grün, das über die Jahre hier gewachsen ist. Es sei eines der ersten Projekte gewesen, an dem er beteiligt gewesen sei, bei dem es einen eigenen Wettbewerb für die Freiraumplanung gegeben habe, erzählt der Architekt. Der Bauträger habe ein Gespür für diese Notwendigkeit gehabt.

Auch die Pläne zur Nutzung der Gemeinschaftsflächen sind aufgegangen. In unserem Partyraum wird so gut wie jedes Wochenende ein Fest oder ein Kindergeburtstag gefeiert, der Spielraum ist vor allem im Winter und an Regentagen voll, und im Fitnessraum treffen sich mehrmals wöchentlich Nachbarn für Sportkurse. Daran sehe man, sagt Szedenik: „Wenn ein Gebäude gut angelegt ist, bildet sich eine Gemeinschaft von selbst.“ Schade sei nur, dass diese Großzügigkeit heute im Neubau nicht mehr möglich ist, dadurch würde es weniger Raum für Begegnung geben.

In unserem Hof liegt übrigens ein großer, unförmiger Stein. Was es damit auf sich hat, haben wir uns immer schon gefragt. Nun wissen wir: Das ist Kunst am Bau. Bisher klettern vor allem die Kinder darauf herum. Und was stand auf dem Grundstück eigentlich vorher? Ein einstöckiger Bau mit einer Putzerei darin, erzählt mir Szedenik.

Ich freue mich, dass ich heute so viel über mein Zuhause erfahren habe, und werde es schnellstens meinen Nachbarn erzählen. Und Szedenik und Lederer sind froh über die gute Lebensqualität in „ihrem“ Projekt und auch ein bisschen stolz. Zu Recht, wie ich finde.

Der Standard, Mo., 2024.03.04

14. Oktober 2023Ber­na­det­te Redl
Der Standard

Allein daheim

Die Einfamilienhaussiedlung ist ein Konzept von vorgestern und wenig nachhaltig. Viele Zimmer stehen leer, die großen Häuser überfordern ihre alternden Bewohnerinnen und Bewohner. Doch wie gelingt es, sie zukunftsfit zu machen? Ein Besuch in einer Siedlung in Mistelbach.

Die Einfamilienhaussiedlung ist ein Konzept von vorgestern und wenig nachhaltig. Viele Zimmer stehen leer, die großen Häuser überfordern ihre alternden Bewohnerinnen und Bewohner. Doch wie gelingt es, sie zukunftsfit zu machen? Ein Besuch in einer Siedlung in Mistelbach.

Es gab eine Zeit, da war das Haus von Irmgard Opitz voller Leben. Zehn Kinder aus der Nachbarschaft planschten gleichzeitig in ihrem Schwimmbecken, sie veranstaltete Kräuterworkshops und Adventfeiern, oder es kamen einfach ein paar Freundinnen vorbei, um gemeinsam in die Sauna zu gehen. „Das waren schöne Momente. Wie schön, das wird einem erst klar, wenn sie vorbei sind“, sagt die 83-Jährige heute. Sie sitzt am Esstisch in ihrem Haus in Mistelbach. Auf einer Fensterbank stehen getrocknete Blütenköpfe, nach Farben einsortiert in Rex-Gläsern. Der Garten, die Blumen und Kräuter – das war Irmgard Opitz’ große Freude. Und die vielen Menschen, die dadurch in ihr Haus kamen.

Heute ist das anders. Ihre Familie besucht sie nicht mehr so oft. Ihre Kinder hätten sich ihr eigenes Leben aufgebaut, erzählt sie. „Und meine Freundinnen hatten alle irgendwann ihre eigene Sauna.“

Es ist eine Geschichte, die bezeichnender nicht sein könnte für das Leben im Einfamilienhaus. Jeder hat sein eigenes Reich. Auf den Spielplatz oder ins Freibad geht kaum noch jemand, weil jeder im Garten eine Rutsche, ein Trampolin oder einen Pool hat. Auch das Haus von Irmgard Opitz steht in einer klassischen Einfamilienhaussiedlung, wie es unzählige in Österreich gibt. Die Häuser „Am Stadtwald“, wie die Siedlung heißt, stammen aus den 1970er- bis 1990er-Jahren, die meisten werden von einer oder zwei Personen bewohnt, ein Großteil der Zimmer steht leer, denn die Kinder sind längst ausgezogen.

Das Konzept stammt aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Lagen Wohnungen davor direkt neben Geschäften und Dienstleistern, zentral im Ortskern, wurden ab dann Siedlungen immer weiter außerhalb erschlossen – das Auto als Nonplusultra machte den Traum vom Wohnen im Grünen möglich. Damals begann die Zersiedelung. Die Folge: Noch heute sind viele vom Auto abhängig, und Ortskerne sterben aus.

Auch die Häuser in den Siedlungen stehen zunehmend leer. In Österreichs schon bestehenden, aber unterbelegten Einfamilienhäusern wäre, Schätzungen zufolge, Platz für rund drei Millionen Menschen. Gleichzeitig finden viele junge Familien heute keinen Wohnraum, der für sie leistbar ist. Schon gar nicht mit Garten. Auch aufgrund des steigenden Bodenverbrauchs werden zunehmend Rufe laut, den Neubau von Einfamilienhäusern zu unterbinden. Die Konsequenz ist klar: Nicht der Neubau ist die Zukunft, sondern das Umnutzen des Bestands, weil so auch Infrastruktur und Ressourcen gespart werden können.

Wie dieses Potenzial genutzt werden könnte, wurde auch „Am Stadtwald“ untersucht. Ein Forschungsteam der TU Wien, geleitet von Julia Lindenthal, hat gezeigt, wie nachhaltige Siedlungssanierung gelingen könnte. Dabei wurden nicht nur für einzelne Häuser Pläne ausgearbeitet, auch für den öffentlichen Raum wurden Vorschläge gemacht. Denn heute gibt es in der Siedlung keinen zentralen Platz, um sich zu treffen, keine Parkbänke; auch das Potenzial für neue Bäume, Energiegemeinschaften oder nachhaltige Mobilität wäre groß.

Kaum Interesse

So viel zur Theorie, denn in der Praxis war die Begeisterung der Siedlungsbewohner begrenzt. Zu einem Seminartag mit Vorträgen kamen nur drei Besucherinnen, sechs Bewohner erklärten sich letztlich damit einverstanden, mit ihrem Haus am Projekt teilzunehmen. Neben Irmgard Opitz war auch Jutta Danzinger eine von ihnen.

Sie ist eine der jüngeren Bewohnerinnen und im März 2020 mit ihrer Familie in die Siedlung gezogen, in ein Haus aus dem Jahr 1975, das sie zuvor saniert hatten. „Viele, die hier leben, wollen keine Veränderung“, sagt Danzinger. Sie sei von Anfang an mit Begeisterung dabei gewesen und könne nicht nachvollziehen, warum sich so viele gegen das Projekt gewehrt hätten. Vor allem der Entwurf des öffentlichen Raums, wie er in ihrer Siedlung aussehen könnte, gehe ihr bis heute nicht aus dem Kopf. „Jeden Tag, wenn ich hier rauffahre, denke ich an die Pläne und wie schön es hier sein könnte“, sagt sie. Früher habe sie keine Vorstellung gehabt, dass die Straße in der Siedlung auch ein grüner Lebensraum für alle sein könnte. Man könne klein anfangen, sagt Projektleiterin Lindenthal, etwa mit einem Bankerl auf der Straße und einem Baum. Doch mit ihrer Begeisterung ist Danzinger so gut wie allein. „Bäume sind böse, weil sie Mist machen, das ist leider die Ansicht vieler hier.“

Danzinger sitzt in ihrer modernen Küche und erzählt vom Lebensalltag in der Siedlung: Man helfe einander aus, tratsche auf der Straße. Darüber hinaus gehe das Miteinander aber nicht. Für ein Straßenfest, das im Zuge des Projekts veranstaltet wurde, habe sich im Folgejahr niemand mehr gefunden, der es organisieren wollte. „Ich hätte das alleine machen müssen“, sagt Danzinger wehmütig, „der Mensch ist ein Gewohnheitstier, und bei uns gilt leider auch: Jedes Haus ein Staat, und jeder kocht sein eigenes Süppchen.“ Sie und ihre Familie seien auch fast die Einzigen, die den Garten tatsächlich nutzen: „Die anderen pflegen ihn nur, mähen den Rasen.“

Die Pflege des großen Gartens ist auch bei Irmgard Opitz ein Thema: „Langsam wird mir das alles zu viel Arbeit, auch das Haus“, sagt sie, während sie auf ihrem Dachboden steht, umringt von tausenden Blumen und Kräutern, die zusammengebunden in kleinen Sträußen von den Dachbalken hängen. Der Duft hier oben ist zitronig und frisch.

Früher hat sie Seminare gegeben, Potpourris, Kräuterkissen und Gewürzmischungen gefertigt. Zehn Sommer lang hat sie ihren Garten für Besucherinnen und Besucher geöffnet. „Ich habe immer gerne das, was ich hatte, mit anderen geteilt.“ Dass alles heute nicht mehr so geht wie früher, belastet sie. Dafür bräuchte sie Hilfe, sagt sie. Doch so sehr sie es liebt, Opitz weiß auch: „Mein Haus ist eine Belastung für die Zukunft, ich sitze auf zu viel Grund und Boden.“

Das Projektteam der TU hat deshalb Pläne ausgearbeitet, das Haus zu teilen. Im ersten Stock könnte eine zweite Wohnung mit separatem Eingang entstehen. Lindenthal spricht von einer Win-win-Situation für alle: Eine junge Familie könnte hier ein Zuhause mit Garten finden und Opitz jemanden, der ihr im Alltag oder im Garten helfen kann. „Ich würde mir das wünschen, damit ich nicht alleine wohne“, sagt Opitz. Doch der finanzielle Aspekt des Umbaus sei ein Thema, und für größere Projekte wie die Organisation eines Gemeinschaftsgartens, der im Projekt ebenfalls vorgeschlagen wurde, fühlt sie sich zu alt. „Ich wäre aber offen dafür, wenn jemand die Sache in die Hand nimmt.“

Auch für ihre Siedlung wünscht sich Opitz mehr: „Wir haben keinen gemeinsamen Platz und nur sehr wenig Kontakt. Das ist kein Dorf, es kennt nicht jeder jeden. Aber jeder wohnt in seinem Bereich, möglichst allein und mit klaren Grenzen. Es ist kein sehr kommunikationsfreundliches Siedlungskonstrukt.“ Viele hätten sich bereits daran gewöhnt, mit dem Auto zu ihren Bekannten zu fahren und nicht in der Nachbarschaft soziale Kontakte zu knüpfen. „Im Nachhinein etwas zu verändern ist immer schwer – das muss wohl die nächste Generation übernehmen.“

Das sagen auch die anderen Projektteilnehmer, erzählt Lindenthal. Einige hätten die Umbaupläne fürs Haus aufbewahrt, um sie irgendwann den Kindern zu übergeben.

Aufstocken und anbauen

Ortswechsel nach Götzis in Vorarlberg, in die Einfamilienhaussiedlung „Unter der Bahn“. Auch für sie wurde vor ein paar Jahren von Forschenden ein Zukunftskonzept erstellt. Dass nur ein Haushalt in einem so großen Haus lebt, passe überhaupt nicht zusammen mit unserer demografischen Entwicklung, sagt dazu die Architektin Nicole Rodlsberger. Es brauche auch Platz für Wohngemeinschaften oder Patchworkfamilien. Deshalb hat Rodlsberger mit ihrem Kollegen Sebastian Vilanek für die Siedlung Konzepte zur Nachverdichtung erstellt. Konkret: Wo könnte aufgestockt oder angebaut werden, damit mehr Menschen auf den vorhandenen Grundstücken unterkommen. Eine Variante sieht separate Gebäude auf den Grundstücken vor, eine andere erweitert die bestehenden Häuser zu Winkelhöfen, wieder eine andere macht fünf große Höfe daraus und bringt damit statt anfangs 24 sogar 130 Bewohnerinnen und Bewohner unter.

Für Letztere habe es in der Siedlung die meisten Sympathien gegeben, weil es so gelingen könnte, die gemeinsam genutzten Gartenflächen am ehesten zu erhalten. Trotzdem sind laut Rodlsberger die Bewohnerinnen bei der Präsentation der Pläne anfangs entsetzt gewesen. Auch hier habe laut Vilanek die Elterngeneration am Ist-Zustand nichts verändern wollen, die Kinder hätten allerdings großes Interesse gezeigt. Mit ihrer Arbeit wollen die Forschenden eine Struktur entwickeln, die auf andere Siedlungen umgelegt werden könnte, etwa indem Gemeinden festlegen, wo erweitert werden kann.

„Natürlich kann nicht mitten in einer Siedlung mehrgeschoßiger Wohnbau errichtet werden. Aber es braucht etwas dazwischen, was beide Welten vereint – eine höhere Anzahl von Bewohnern, die dennoch die Vorteile des Einfamilienhauses nutzen können, etwa den Garten drumherum“, sagt Rodlsberger.

Sie und ihr Kollege wünschen sich vor allem mehr Vorzeigebeispiele, die den Menschen ihre Ängste nehmen. Eines davon steht ebenfalls in Götzis: Es ist ein Grundstück, auf dem die Kinder im Garten der Eltern ein Haus gebaut haben. Anfangs, erzählt Rodlsberger, hätten die Projektteilnehmer das Grundstück als „total zugebaut“ empfunden. Erst als sie mit den Bewohnern ins Gespräch kamen, die darin eine gestiegene Lebensqualität sehen, habe sich ihre Sicht geändert und sie hätten erkannt, dass mehr Menschen auf gleichem Raum wieder Leben in die Nachbarschaft bringen können.

Das erhofft sich auch Irmgard Opitz für ihre Siedlung in Mistelbach. Ein erster Schritt ist ein Bankerl. Ein solches hat sie gleich nach dem Projekt vor ihrem Haus aufgestellt – in der Hoffnung, mit den Nachbarn ins Gespräch zu kommen.

Der Standard, Sa., 2023.10.14

18. März 2023Ber­na­det­te Redl
Der Standard

Wohnen hoch drei im Dritten

Nahe der U3-Station Gasometer ragen drei neue Wohntürme in die Höhe. Sie alle eint eine gemeinsame Sockelzone, die teilweise auch für die Öffentlichkeit zugänglich sein wird. Ein Besuch in luftigen Höhen und Wiens größter Fahrradgarage.

Nahe der U3-Station Gasometer ragen drei neue Wohntürme in die Höhe. Sie alle eint eine gemeinsame Sockelzone, die teilweise auch für die Öffentlichkeit zugänglich sein wird. Ein Besuch in luftigen Höhen und Wiens größter Fahrradgarage.

Noch kennen sie einander nicht, aber das wird sich bald ändern. Schon in ein paar Wochen freuen sich 2000 bis 3000 Wienerinnen und Wiener auf neue und hoffentlich gute Nachbarschaft. Denn dann beziehen sie im dritten Bezirk das Hochhausquartier The Marks, das aus insgesamt drei Türmen besteht. Der Helio Tower, gebaut von der Buwog, ist bereits bezogen, The One von WBV-GPA und Neues Leben wird im April fertig, und der Q-Tower des ÖSW soll ebenfalls noch im Frühjahr einzugsbereit sein.

Im Erdgeschoß teilen sich die drei Türme eine Sockelzone, die sich über drei Stockwerke erstreckt und alle möglichen Gemeinschaftsflächen beherbergt. Diese können von den Bewohnerinnen aller drei Türme genutzt werden und sind somit laut Michael Gehbauer, Geschäftsführer der Wohnbauvereinigung für Privatangestellte (WBV-GPA), ein wesentlicher Hebel gegen die Anonymität im Hochhaus, von der bei Wohntürmen oft die Rede ist. So gibt es etwa Kinderspielräume, Gemeinschaftsräume mit Kochmöglichkeiten, eine Laufbahn sowie einen Spa- und Fitnessbereich mit Außenpool, Kinderbecken und Sonnendeck.

Eine darüber hinausgehende Vernetzung der künftigen Bewohnerinnen ist nicht vorgesehen. Aus Erfahrung wisse man, so Gehbauer, dass sich die neuen Nachbarn meist sehr rasch selbst in Facebook- oder Whatsapp-Gruppen organisieren.

Während das Erdgeschoß, in dem sich Gastronomie und Geschäfte ansiedeln sollen, auch für die Öffentlichkeit zugänglich ist, stehen die Stockwerke darüber nur den Bewohnern zur Verfügung. „Dort trifft man sich und tauscht sich aus“, sagt Gehbauer.

Gute Landung

Man habe eine „gute Landung“ schaffen wollen, erklärt die Architektin von The One, Lina Streeruwitz, deren Büro auch mit dem städtebaulichen Masterplan des gesamten Projekts The Marks beauftragt war. Man habe versucht, die Erdgeschoßzone der drei Türme vom recht stark befahrenen Umfeld abzugrenzen, um einen eigenständigen Stadtraum zu schaffen, sagt die Architektin.

Und weiter: Die große Herausforderung sei heute gar nicht mehr, die Autos, sondern die Stellplätze für 2000 Fahrräder unterzubringen, sagt Streeruwitz. Hier ist es gelungen, und somit beherbergt The Marks die größte Fahrradgarage Wiens. Im Sockel befinden sich außerdem Coworking-Spaces, ein Kindergarten sowie hauseigene Spielplätze. Auf dem dritten Stock entstehen zudem begrünte Begegnungs- und Ruhezonen.

Große Bäume

Für ein Neubauprojekt sind die in der Erdgeschoßzone gepflanzten Bäume ungewöhnlich groß. Das sei Teil des städtebaulichen Vertrags gewesen, ebenso, dass die Dachterrasse von The One zugänglich sein muss – wenn auch nicht für die Öffentlichkeit. „Das Risiko ist uns aufgrund der Höhe zu groß gewesen“, erklärt Ivan Blagojevic, Prokurist der gemeinnützigen Bau-, Wohn- und Siedlungsgenossenschaft Neues Leben. Sie kann jedoch von den Bewohnerinnen reserviert und genutzt werden.

Wer ganz nach oben will, nimmt den Aufzug in den 39. Stock und braucht dafür genau 39 Sekunden, wie ein Bauarbeiter erzählt, der als Fahrstuhlführer fungiert, solange das Projekt noch in der Bauphase steckt: „Eine Sekunde pro Stockwerk“, erzählt er sichtlich stolz, auch wenn der Job, wie er sagt, etwas eintönig ist. So lange so viele verschiedene Handwerker im Haus sind, müsse jemand darauf achten, dass der Lift nicht blockiert oder etwas beschädigt wird. Zudem fehle so manchen Besuchern noch die Orientierung im Haus, erklärt er.

Wie es später einmal aussehen könnte, zeigt sich im 29. Stock, wo eine Vier-Zimmer-Eigentumswohnung schon fertig eingerichtet ist. Rund 700.000 Euro wird sie ihre zukünftigen Besitzerinnen kosten. Einige der Wohnungen mit Größen von 45 bis 130 Quadratmeter sind noch zu haben. Die leistbaren Mietwohnungen, die in den untersten 20 Stockwerken liegen, kosten 11,70 Euro pro Quadratmeter und sind allesamt schon vergeben. „Wohnen im Hochhaus soll kein Privileg sein“, ist Gehbauer wichtig zu betonen.

Freie Aussicht

Weiter oben, im 29. Stock, ist die Aussicht freilich beeindruckender. „Alle Türme haben das Ziel, einen freien Blick aneinander vorbei zu ermöglichen“, erklärt die Architektin. Eine andere Sache, die auch die Architektur schwer lösen kann, ist der Geräuschpegel, den die A23 zu den drei Türmen hinüberträgt. Doch auch hier hat das Wohnen im Hochhaus einen Vorteil: Denn zumindest ab dem zehnten Stockwerk hört man die Autobahn kaum noch.

Und die Energiekosten? Alle Wohnungen verfügen über eine Fußbodenheizung und sind an das Fernwärmenetz der Stadt Wien angeschlossen. Die Verantwortlichen erklären: „Da die Weichen für dieses Projekt schon vor sieben Jahren gestellt wurden, ist das Energiekonzept hier sicherlich nicht State of the Art. Bei anderen Projekten sind wir schon viel weiter.“

An die Zukunft denkt man hier dennoch. Denn das Quartier um The Marks wird sich in den nächsten Jahren weiter verändern – schon jetzt wird rundherum gebaut. Deshalb habe man auch so geplant, sagt Streeruwitz, dass das Projekt jetzt allein, aber hoffentlich auch später funktionieren wird, wenn es in guter Gesellschaft ist.

Der Standard, Sa., 2023.03.18

12. Februar 2021Ber­na­det­te Redl
Der Standard

Von Haus aus keimfrei

Die Pandemie hat neue Anforderungen bei der Planung von Spitälern offengelegt. Architekten überlegen nun, wie Krankenzimmer und Stationen künftig modularer aufgebaut sein sollten – etwa um Infektionen besser zu verhindern.

Die Pandemie hat neue Anforderungen bei der Planung von Spitälern offengelegt. Architekten überlegen nun, wie Krankenzimmer und Stationen künftig modularer aufgebaut sein sollten – etwa um Infektionen besser zu verhindern.

Welche Lehren ziehen wir aus der Pandemie? Diese Frage treibt nicht nur Wissenschafter, Mediziner, Politiker und Ökonomen um, sondern auch Architekten – speziell jene, die sich mit dem Umbau von Spitälern beschäftigen. Auch hier sind im vergangenen Jahr neue Anforderungen offensichtlich geworden.

„Schon jetzt sehen wir bei aktuellen Wettbewerben die ersten Vorboten“, sagen Andreas Frauscher und Richard Klinger von Architects Collective, beide sind Experten im Bereich Gesundheitsbauten. Vor allem Flexibilität wird in Zukunft ein viel größeres Thema sein. So könnten etwa Stationsgrundrisse in Krankenhäusern so geplant werden, dass einzelne Bereiche schnell abgeteilt und besser isoliert werden können, um infektiöse und nichtinfektiöse Patienten voneinander zu trennen. Dort muss es dann auch separate Personalräume und sämtliche andere Einrichtungen geben – auf einer Station sollte also quasi alles doppelt vorhanden sein.

Zimmer umwandeln

Auch über Zimmergrößen in Spitälern wird seit vielen Jahren diskutiert, nun hat das Thema einen neuen Schub bekommen. In Skandinavien etwa, so Klinger, gibt es bereits jetzt in den zuletzt neu errichteten Krankenhäusern nur mehr Einzelzimmer – früher oder später könnte sich das auch hierzulande durchsetzen. Zumindest könnte die Planung in Richtung mehr Flexibilität gehen, damit man etwa aus einem Zweibett- rasch zwei Einzelzimmer machen kann.

Wie das konkret gehen könnte, zeigt das Forschungsprojekt „Karmin“ (Krankenhaus, Architektur, Mikrobiom und Infektion) der TU Braunschweig. Ein Team aus Architekten hat dort ein Krankenhauszimmer entwickelt, in dem das Infektionsrisiko auf ein Minimum reduziert werden soll – im Vorjahr wurde es präsentiert. Die Grundlage des Projekts: Wissenschafter der Charité in Berlin hatten zuvor ein Jahr lang Abstriche in Patientenzimmern genommen und die Virenbelastung genau untersucht. Denn auch schon vor Corona waren Krankenhausinfektionen, etwa mit multiresistenten Keimen, ein Problem in Spitälern.

Das von den Forschenden entwickelte Zimmer, von dem ein Prototyp in der Nähe von Würzburg und einer auf dem Gelände der Charité Berlin aufgebaut wurde, verfügt über zwei Betten, die einander gegenüberstehen – damit das Personal nicht an einer Person vorbei zur anderen gehen muss. Auf jeder Seite des Raumes liegt eine Nasszelle – denn wenn jeder Patient sein eigenes Bad hat, lässt sich das Ansteckungsrisiko weiter reduzieren und das Zimmer kann in der Mitte abgetrennt werden. Das macht die Errichtung zwar teurer, das gleiche sich aber dadurch aus, dass Kosten für Infektionsbehandlungen wegfallen, heißt es in dem Projekt.

Mehr Privatsphäre

Und Einbettzimmer haben noch weitere Vorteile: Neben der größeren Privatsphäre für Patientinnen und Patienten „kann man sich dadurch andere Räume sparen, etwa Untersuchungszimmer“, sagt Frauscher. Denn Patienten können dann direkt im Zimmer untersucht werden. Zudem erhöhe ein Einzelzimmer die Aufenthaltsqualität, „die Patienten erholen sich besser und schneller“, so der Architekt weiter. So wird auch auf lange Zeit Geld gespart.

Weiters gibt es in dem fiktiven Zimmer der TU Braunschweig ausschließlich Oberflächen, die sich leicht reinigen lassen, sowie antimikrobielle Griffe, die Keime sogar abtöten können. Auch eine gute Beleuchtung, die Lüftung und die Position der in den Zimmern angebrachten Desinfektionsmittelspender spielen bei der Infektionsvermeidung eine Rolle.

Vor allem was Oberflächen betrifft, sind die Standards in Spitälern aber auch heute schon hoch. So hat etwa die Abteilung Anstaltshygiene bei der Ausführung von Krankenhäusern „viel mitzureden“, wie Frauscher sagt: „Sie schauen genau darauf, dass es keine Schmutzwinkel gibt.“ Auch eine große Anzahl von Türen ist schon jetzt per Taster steuerbar, und auf die Auswahl von Oberflächenmaterialien wird viel Wert gelegt.

Auch eine weitere Neuerung könnte sich in Zukunft durchsetzen: Es gibt erste Überlegungen, Isolierzimmer mit speziellen Durchreichen zu versehen, sodass das Personal sich nicht für jede Tätigkeit, etwa wenn es nur darum geht, den Patientinnen und Patienten etwas zu bringen, ein- und ausschleusen muss. „Wir als Architekten und Ingenieure können im Zuge unserer Planungen solche Voraussetzungen schaffen“, sagt Wolfgang Kradischnig, Geschäftsführer der Delta Podsedensek Architekten ZT und Experte für Spitalsbauten.

Zudem müsse sich auch die Wegführung in Krankenhäusern in Zukunft ändern, sodass Besucher, das Personal und infektiöse Patienten separate Eingänge nutzen und Letztere von dort auch direkt, ohne an Wegkreuzungen auf andere Menschen zu treffen, auf die Infektionsstationen gelangen können. „Es braucht beim Eingang eine professionelle Triage, ein Patient wird sich nicht mehr wie früher einfach die Abteilung selbst suchen können, in die er muss“, sagt Kradischnig.

Weniger effizient

Doch nicht nur bezüglich Infektionsschutz, auch insgesamt dürfte sich die Planung von Spitälern durch die Krise verändern. Bisher wurde in Österreich versucht, die Zahl der Krankenhausbetten zu reduzieren, weil sie kostenintensiv sind. Man habe immer weiter optimiert, sich überlegt, wo man noch effizienter werden oder Funktionen zusammenlegen kann, so Kradischnig.

„Hier wird es ein Umdenken geben, und wir werden wieder einen Puffer schaffen müssen“, sagt auch Klinger – vor allem auch bei den Intensivbetten. Generell ist Platz ein Thema. „Für eine Pandemie braucht es Reserven, das wurde nun mit Provisorien gelöst, etwa im Zugangsbereich mit Containern. Bei zukünftigen Bauten sollte das aber bereits in der Planung berücksichtigt werden“, sagt Kradischnig. Und auch andere Bereiche im Spital müssen großzügiger werden, etwa Wartebereiche oder Gänge, um ausreichend Abstand halten zu können.

Generell sei Österreich jedoch gut aufgestellt in dieser Pandemie – das liege auch an der Architektur der Gesundheitsimmobilien, sagen die Architekten. Dennoch gibt es Verbesserungsbedarf: Denn auch wenn hierzulande vieles nicht so schnell gehen kann wie anderswo, etwa im chinesischen Wuhan, wo zu Beginn der Corona-Pandemie in nur wenigen Tagen ein Krankenhaus gebaut wurde, sollte auch bei uns besser vorgedacht werden, fordert Kradischnig.

„Wir müssen uns besser vorbereiten und schon jetzt Raumerfordernisse und Abläufe für zukünftige Ausnahmesituationen überlegen. Auch bei uns ist mit Modulbau vieles sehr schnell möglich, doch es muss vorab Pläne geben, um sie dann im Ernstfall schnell abrufen zu können.“

Der Standard, Fr., 2021.02.12

14. September 2019Ber­na­det­te Redl
Der Standard

Wie es sich anfühlt, in luftigen Höhen zu leben

Der Ausblick bringt Hochhausbewohner ins Schwärmen. Ansonsten macht die Höhe im täglichen Leben kaum einen Unterschied. Nicht einmal schwindelfrei muss man sein. Zwei Turmbewohner erzählen.

Der Ausblick bringt Hochhausbewohner ins Schwärmen. Ansonsten macht die Höhe im täglichen Leben kaum einen Unterschied. Nicht einmal schwindelfrei muss man sein. Zwei Turmbewohner erzählen.

Ich wohne in der Wienerberg-City in dem Turm, der auch „roter Riese“ genannt wird. Mein 120 Quadratmeter großes Apartment liegt im 19. Stockwerk, nordseitig ausgerichtet und hat einen verglasten Balkon. Vor fünf Jahren bin ich eingezogen, davor habe ich immer nur in klassischen Altbauwohnungen gewohnt.

Es ist gefühlsmäßig heller, weil keine anderen Häuser die Fenster verstellen. Außerdem kann man das Wetter und das Geschehen in der Stadt beobachten und hat natürlich einen super Ausblick auf Wien. Mit der Zeit habe ich aber auch festgestellt, dass es immer „normaler“ wird, mit so einer Aussicht zu leben – man gewöhnt sich eben daran. Viele meiner Besucher sind beim ersten Mal aber sehr beeindruckt.

In meiner Wohnung hört man leider den Wind pfeifen, das ist bei einem stärkeren Sturm ärgerlich. Ich würde sagen, das ist das einzige Manko an der Wohnung hoch oben. Vielleicht gibt es ja Hochhäuser, die besser verbaut sind. Ich selbst habe mich noch nie unbehaglich gefühlt, weil ich so weit weg vom Boden bin, ich hatte aber schon Besucher, die davon erzählt haben.

Wir haben zwei Aufzüge und einen Lastenaufzug – somit ist immer einer in Betrieb. In fünf Jahren ist es nur einmal vorgekommen, dass wirklich nichts mehr ging – das war dann doch sehr anstrengend, aber auch ein gutes Work-out, und eingekauft wurde an diesem Tag auch nichts.

In unserem Haus gibt es sehr angenehme nachbarschaftliche Beziehungen, jeder kennt den Concierge, man grüßt sich im Lift und im Hausgang. Weil das Haus so groß ist, gibt es auch Gemeinschaftsräume, welche angemietet werden können, und eben etwas mehr Infrastruktur im Haus.

Ich bin zum Glück schwindelfrei. Beim Fensterputzen sollte man das auch auf jeden Fall sein.

Pascal wohnt im 19. Stock

Ich wohne seit zehn Jahren im 24. Stock, diese Weite ist herrlich und die Aussicht wunderschön. Von meiner Wohnung habe ich einen Ausblick nach Süden und Westen, über alle Dächer. Da bekommt man eine ganz andere Perspektive, auch wenn sie manchmal etwas verzerrt ist. Ich habe oft den Eindruck, etwas ist ganz nah. In Wirklichkeit ist jedoch alles weiter weg, als es von oben aussieht.

Normalerweise habe ich Höhenangst, ich würde beispielsweise nicht auf den Eiffelturm hinauffahren. Im Hochhaus ist das aber gar kein Problem. Selbst auf meinem Balkon, der vorn aus Glas ist, habe ich keine Angst. Man muss also nicht schwindelfrei sein, um in einem Hochhaus zu wohnen. Ich kann mir gut vorstellen, für immer in so einer Höhe zu wohnen. Früher habe ich in wunderschönen Altbauwohnungen gelebt, das hat zwar auch seinen eigenen Reiz. Trotzdem würde ich nicht tauschen und nur wieder in ein Hochhaus ziehen.

Wenn ich erzähle, dass ich im 24. Stock wohne, sagen manche, um Gottes Willen. Wenn sie dann aber in der Wohnung sind, wundern sie sich, dass man die Höhe gar nicht spürt. Der Wohnung merkt man ja nicht an, ob sie im zweiten oder 24. Stock liegt – nur wenn man auf dem Balkon steht oder beim Fenster rausschaut. Obwohl am Wienerberg eigentlich immer der Wind geht, spürt und hört man ihn in der Wohnung nicht. Man sieht ihn höchstens am Wasserstand im WC, der ist unterschiedlich hoch, immer wenn das Haus sich etwas bewegt. Es muss aus statischen Gründen ja etwas schwanken. Wenn man im Bett liegt oder am Tisch sitzt, merkt man davon aber nichts.

Die oft thematisierte Anonymität ist kein Problem, ich kenne alle in meinem Stockwerk. Die Menschen hier sind sehr freundlich, es ist wie ein kleines Dorf im Hochhaus.

Ilse wohnt im 24. Stock

Der Standard, Sa., 2019.09.14

20. Oktober 2018Ber­na­det­te Redl
Der Standard

Mit Holz rechnen

Vorgefertigter Holzbau ist die Zukunft, sagt eine Architektin. Kürzere Bauzeiten und mehr Platz sprechen dafür. Bisher fehlt es aber oft am nötigen Wissen zur Berechnung der Baukosten.

Vorgefertigter Holzbau ist die Zukunft, sagt eine Architektin. Kürzere Bauzeiten und mehr Platz sprechen dafür. Bisher fehlt es aber oft am nötigen Wissen zur Berechnung der Baukosten.

Die Autoindustrie macht es vor. Fahrzeuge werden am Computer geplant, am Fließband produziert und fix und fertig an die Nutzer geliefert. Diese Systematisierung ist effizient, spart Zeit und Kosten. Eben das soll die Zukunft auch für die Bauwirtschaft bringen. „Die Vision ist, dass Module, etwa ein Zimmermodul oder eine Nasszelle inklusive Armaturen und Duschwanne, in der Fabrik gefertigt, auf die Baustelle geliefert und dort zusammengestellt werden“, sagt Architektin Regina Lettner.

Besonders hoch ist das Potenzial für die Systematisierung beim Baustoff Holz. Zwei österreichische Unternehmen, die ein solches Konzept im Zuge einer Zusammenarbeit bereits umsetzen, sind Kaufmann Bausysteme aus Reuthe und der Projektentwickler Zima aus Dornbirn. Seriell vorgefertigte Grundmodule aus Holzmassivbauweise werden beim Purelivin-System aneinander „angedockt“. Auf diese Weise entstehen Zwei- bis Vier-Zimmer-Einheiten mit 51 bis 75 Quadratmetern.

Die Gebäude sind zu 95 Prozent natürlich, die Bauzeit vor Ort beträgt lediglich ein Drittel, der Betonanteil wird auf zehn Prozent reduziert, und das gesamte Gebäude kann rückgebaut und recycelt werden. „Es gibt keine Verzögerungen durch klimatische Einflüsse und ein klares Zeit- und Kostenmanagement durch die Vorfertigung“, berichten die Entwickler.

Keine Fehler

Ziel ist, sagt auch Lettner, so wenig Zeit wie möglich auf der Baustelle zu verbringen, das reduziert Kosten. Zudem könnten durch Vorfertigung Zeitverzögerungen und handwerkliche Fehler verhindert werden. Außerdem muss Holz – im Gegensatz zu anderen Baustoffen – nicht austrocknen, die Baustelle ist sofort begehbar. Und: Holzbauten bieten viele Möglichkeiten für Zwischen- und Umnutzung, so Lettner.

Sie kritisiert, dass Holzbauten noch viel zu selten umgesetzt werden – obwohl das Interesse bei Bauträgern und Investoren groß ist, laut Umfragen sogar bei 98 Prozent liegt. Lettner: „Leider tun es viele nicht, weil sie das Gefühl haben, ihnen fehlt es an Wissen.“

Das stimme teilweise auch, so die Architektin. Zu Beginn eines Projekts werden bei der Baukostenberechnung mit unterschiedlichen Materialien oft Faktoren nicht bedacht, die einen Holzbau günstiger machen würden. „Es werden Gemeinkosten einer herkömmlichen Baustelle kalkuliert, dabei verkürzt sich beim vorgefertigten Holzbau die Bauzeit um etwa 45 Prozent“, so Lettner. Zudem rechne sich niemand aus, wie viel Eisen man sparen könnte, weil durch das geringere Gewicht die Erfordernisse an das Fundament stark reduziert werden. So entstehen Holzbauten mit Anforderungen, die eigentlich für Stahlbeton nötig wären.

Zudem finden Berechnungen oft erst nach der Planung statt. „Jemand überlegt sich: „Vielleicht könnten wir doch mit Holz bauen.„ Dann wird nachgerechnet, aber falsch. Von Anfang an in Holz geplant, wären viele Projekte günstiger.“ Lettner ist sich sicher: Holzbau ist genauso teuer wie Stahlbeton. Beweise dafür fehlen aber. Daher hat sie mit ihrem Unternehmen Baukult ZT eine Erhebung konzipiert, die dazu endlich Zahlen liefern soll.

Wer mit Holz bauen will, das gelte auch für Einfamilienhäuser, so Lettner, wisse oft nicht, wo er Informationen findet. Sie rät, sich an Pro Holz, Holzbau Austria oder produzierende Betriebe zu wenden. Sie alle beschäftigen sich mit Statik, Brand- und Schallschutz von Holz – übrigens Themen, die oft mit Vorurteilen behaftet sind, für die es aber längst Lösungen gibt. Auch im Sinne der Nutzflächenoptimierung sei Holz der Baustoff der Zukunft, denn durch geringere Außenwandstärken ergeben sich drei Prozent mehr nutzbarer Raum. „Ich würde den Immobilienverantwortlichen raten, jetzt schon mit Holz anzufangen, dann sind sie in ein paar Jahren nicht unter den Letzten.“

Das Argument, dass Architekten durch Gebäude aus der Fabrik arbeitslos werden, lässt Lettner nicht gelten: „Das klingt nach Retortenwohnen, aber auch in der systematisierten Autoproduktion gibt es verschiedene Modelle. So wird es auch bei Gebäuden sein.“

Der Standard, Sa., 2018.10.20

20. Oktober 2018Ber­na­det­te Redl
Der Standard

Stadt ohne Parkplätze

Durch autonomes Fahren und Carsharing werden in Zukunft kaum noch Parkplätze benötigt – zumindest in der Theorie eines Wiener Designbüros. Es erstellte Ansichten eines potenziell parkplatzlosen Wiens.

Durch autonomes Fahren und Carsharing werden in Zukunft kaum noch Parkplätze benötigt – zumindest in der Theorie eines Wiener Designbüros. Es erstellte Ansichten eines potenziell parkplatzlosen Wiens.

Ein junges Paar liegt in der Wiese und sonnt sich, daneben, auf einer Parkbank unter einem Baum, sitzt eine Frau und liest ein Buch. In einem Schanigarten unterhält sich eine Touristengruppe, im Hintergrund grasen Pferde und Ziegen in einem eingezäunten Bereich – all das direkt neben der Wiener Börse.

„Was?“, werden jene Wiener nun ungläubig fragen, die die Börsegasse kennen. Dort gibt es keine Wiese, keine Bäume, keine Schanigärten, Pferde und Ziegen schon gar nicht. Allerdings – denn auf dieser Seite der Börse gibt es eine Tiefgarageneinfahrt – eine Tankstelle und vor allem viele parkende Autos; in insgesamt fünf Reihen stehen sie nebeneinander.

Das eingangs beschriebene Szenario ist ein Blick in die Zukunft, wie das Architektur- und Designbüro Wideshot sie sich vorstellt. In ihrem Beitrag für die Vienna Design Week gehen Oliver Bertram, Managing Partner bei Wideshot, und sein Team davon aus, dass die Stadt der Zukunft durch selbstfahrende Autos und die Sharing Economy weit weniger Platz für parkende Fahrzeuge brauchen wird. Stattdessen können grüne Gemeinschaftsflächen entstehen.

Wie das aussehen kann, hat das Team in der virtuellen Welt modelliert, an insgesamt drei Orten im ersten Bezirk (wo es im Verhältnis zur Einwohnerzahl die meisten Autos gibt) konnten Interessierte während der Vienna Design Week in eine parkplatzlose Stadt der Zukunft reisen.

Bertrams Vision: „Autos sind dann autonom unterwegs. Haben sie einen Fahrgast ans Ziel gebracht, fahren sie weiter und holen den nächsten ab – sie sind also ständig in Bewegung, ein Parkplatz wird obsolet.“

Neue Anforderungen

In der Zukunft ändern sich dadurch auch die Anforderungen an die Architektur. Straßen und Parkplätze werden ganz anders aussehen, so Bertram. Er nennt ein Beispiel: In Zukunft werden Autos von selbst einparken, den Platz zum Aussteigen aus dem Fahrzeug braucht es dann nicht mehr – der Parkplatz kann also kleiner werden.

„Das Straßenbild wird sich grundsätzlich ändern“, sagt Bertram und berichtet von Studien aus Nordamerika, wonach das Zusammenleben auf der Straße zwischen Menschen und verschiedenen Verkehrsmitteln dann ganz anders funktionieren wird. Das Motto sei „Human first“ – also Vorrang für Menschen in allen Belangen. Eine konkrete Folge dieser Entwicklung: Große Verkehrswege, auf denen Fahrzeuge möglichst schnell durchfahren können, werde es in diesen Zukunftsszenarien nicht mehr geben. Kreuzungen werden schmaler, Fußwege breiter.

Schmalere Straßen, kleinere Parkplätze und weniger Autos, zumindest in der Stadt – davon geht das Wideshot-Team in seinem Zukunftsszenario aus. Ob es insgesamt weniger Autos geben wird, dazu gibt es verschiedene Forschungsmeinungen und Prognosen, so Bertram. Wahrscheinlich sei, dass durch das gemeinschaftliche Nutzen von Autos insgesamt weniger Fahrzeuge unterwegs sein werden.

Manche Wissenschafter gehen jedoch auch davon aus, dass sich an der Anzahl der Fahrzeuge pro Person nicht viel ändern wird, weil viele gern ein eigenes Auto haben wollen. Im innerstädtischen Bereich, so Bertram, werde die Sharing Economy aber große Auswirkungen haben.

Das ist auch heute schon zu sehen: Durch Uber etwa werden private Fahrzeuge mit anderen geteilt, damit wird Geld erwirtschaftet. „In Zukunft wird Uber ein Logistikdienstleister sein, der die autonomen Fahrzeuge verwaltet“, so Bertram. Er hat auch eine Prognose für den zeitlichen Rahmen: Schon in zwanzig Jahren seien die Auswirkungen durch das autonome Fahren in der Stadt sehr deutlich spürbar. Erste merkliche Veränderungen könnte es auch schon in zehn Jahren geben.

Auto als Statussymbol

Aber leben in Zukunft wirklich so viele Menschen ohne eigenes Auto? Ein Grund, der für viele gegen die Abschaffung des Autos spricht: Sie sehen es als Statussymbol, identifizieren sich dadurch. Auch in diesem Punkt gibt es in der Forschung unterschiedliche Theorien. Der Trend gehe bei der jüngeren Generation schon heute weg vom Eigentum hin zur Sharing Economy. „In den USA sind die Führerscheinquoten der 16-Jährigen um 30 Prozent gesunken. Auch bei uns ist die Zahl der jungen Menschen, die einen Führerschein oder ein eigenes Auto haben, rückläufig“, erzählt Bertram.

Also insgesamt weniger motorisierter Verkehr? Bertram gibt zu, dass durch autonome Fahrzeuge und Carsharing auch viele Menschen, die ansonsten mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs wären, auf Autos umsteigen könnten. In der Konsequenz würde das zu noch mehr Verkehr führen. Es gäbe also zwar weniger Autos auf Parkplätzen, dafür noch mehr auf den Straßen.

Das Wesen von öffentlichen Verkehrsmitteln sei, dass ein Sammeltransport an bestimmten Orten geplant anhält. Dadurch, so Bertram, ergebe sich das Problem der „last mile“, also der letzten Meter, die Öffi-Nutzer zwangsläufig zu Fuß oder mit dem Rad zurücklegen müssen. Für viele sei das eine Hemmschwelle und auch schon heute ein Grund für ein eigenes Auto. Die autonomen Fahrzeuge der Zukunft decken diese letzte Meile zu hundert Prozent ab. Bertram ist sich jedenfalls sicher: „Die Öffis werden in der Zukunft eine starke Konkurrenz bekommen.“

Der Standard, Sa., 2018.10.20

02. Juni 2018Ber­na­det­te Redl
Der Standard

Wohnen im Alter: Vom Spitzendeckchen Abschied nehmen

Mit dem Projekt „Neues Wohnen 70 plus“ soll Menschen dabei geholfen werden, ihre Wohnsituation fürs Alter fit zu machen

Mit dem Projekt „Neues Wohnen 70 plus“ soll Menschen dabei geholfen werden, ihre Wohnsituation fürs Alter fit zu machen

Salzburg – 20,5 Stunden – so viel Zeit verbringen ältere Menschen pro Tag durchschnittlich in ihrer Wohnung. Eine halbe Stunde sind sie innerhalb ihres Wohnhauses, nur 2,5 Stunden außerhalb des Gebäudes unterwegs.

Für viele ist es eine große Herausforderung, überhaupt aus dem Haus zu gehen, weiß die Gerontologin Sonja Schiff. Sie berichtet von einem Hausbesuch: „Ich kann mich an eine alte Dame erinnern, die sehnsüchtig beim Fenster hinaussah und meinte, sie würde so gerne wieder einmal die Sonne auf der Haut spüren. Es stellte sich heraus, dass sie schon seit fünf Jahren ihre Wohnung nicht mehr verlassen hatte.“

Die Ursachen dafür sehen Schiff und ihre Kollegin, die Architektin Ursula Spannberger, darin, dass viele ältere Menschen in Wohngebäuden leben, die ihren Bedürfnissen nicht entsprechen. Aus ebendiesem Grund haben Schiff und Spannberger das Salzburger Projekt „Neues Wohnen 70 plus“ ins Leben gerufen.

„Menschen können oft schwer formulieren, was sie von einem Gebäude brauchen, welche sozialen Funktionen es für sie erfüllen muss“, sagt Spannberger. Die Architektin hat daher mit der sogenannten Raum-Wert-Analyse ein Werkzeug entwickelt, mit dessen Hilfe „die Menschen eine Sprache finden und sich darüber unterhalten können, was sie von einem Raum brauchen“, wie Spannberger erklärt. Es wird eine Wohnbiografie erstellt und herausgearbeitet, welche Elemente von Wohnen individuell glücklich machen.

Wohlfühloase oder Mühlstein

Denn Schiff und Spannberger wissen: „Ein Garten kann eine unverzichtbare Wohlfühloase sein oder aber auch ein Mühlstein an Arbeit um den Hals.“ Eigentlich gehe es im Alter darum, sich zurücklehnen zu können, für viele Menschen werde es aber gerade dann mühsam. Schuld daran sei oft die unpassende Wohnsituation, etwa Wohnungen im fünften Stock ohne Lift, Reihenhäuser mit enger Wendeltreppe, Häuser mit vielen Stufen, zu enge Bäder oder zu kleine Toiletten. „Viele Menschen müssen im Alter ihre Wohnung bedienen, dabei sollte vielmehr die Wohnung ihnen dienen“, so Spannberger. Vor allem die Nachkriegsgeneration sei oft nicht bereit, etwas an der Wohnsituation zu verändern. Die Gründe dafür sind eine Kombination aus verpasstem Moment, Verdrängung des Älterwerdens und der Angst, etwas aufgeben zu müssen, was hart erarbeitet wurde. „Das ist eine Generation, die alles verloren hat, deshalb klammert sie sich auch an alles, was sie im Leben geschaffen hat, egal ob das eine Einbauküche oder ein Spitzendeckchen ist“, so Spannberger.

Gerade im Verhalten dieser Generation liegt aber auch die Chance für Jüngere, glauben die Expertinnen. „Die Babyboomer können heute sehr oft mit ansehen, wie die Eltern nach und nach ihre Selbstbestimmung abgeben müssen.“ Und diese Generation sei flexibler, wenn es darum gehe, die eigene Wohnsituation zu verbessern, sagt Spannberger. „Zudem haben sie oft schon in ihrer Jugend in Wohngemeinschaften gelebt.“

Die Generation ist auch die Zielgruppe des Projekts, im Zuge dessen ein individueller Plan ausgearbeitet wird. Er soll Optionen dafür aufzeigen, wie die Wohnsituation konkret verändert werden kann. Möglichkeiten sind zum Beispiel: Wohnung wechseln, adaptieren, ein Haus teilen und für andere Menschen zugänglich machen. „Gerade auf dem Land haben viele Menschen sehr große Häuser gebaut, damit die Kinder später etwas haben, wenn sie zurückkommen – aber viele kommen nicht zurück“, sagt Spannberger. Hier könne es eine Option sein, etwa im Erdgeschoß Platz für eine junge Familie zu machen. „Das hat auch soziale Vorteile, man kann sich gegenseitig helfen und Gesellschaft leisten.“

Einen perfekten Zeitpunkt, mit dem Schmieden der Zukunftspläne zu beginnen, gebe es nicht. „Meistens merken die Menschen es daran, dass ein neuer Lebensabschnitt beginnt, sie in Pension gehen oder immer mehr Wehwehchen haben“, so die Expertin. Dann sei es ratsam, sich Gedanken zu machen, daraus eine Art Brief an sich selbst zu formulieren und diese Pläne – eventuell auch erst später – in die Tat umzusetzen.

Gesellschaftliche Vorteile

Wenn Menschen ihre Wohnsituation im Alter anpassen, hat das auch gesellschaftliche Benefits, etwa eine Verringerung des Baulandbedarfs. Aus diesem Grund wird Neues Wohnen 70 plus auch vom Land Salzburg und dem Salzburger Zukunftslabor gefördert. Im Zuge dieser Unterstützung suchen Schiff und Spannberger derzeit Bewerber aus, die sich zuvor freiwillig für eine kostenlose Beratung gemeldet haben. Aus diesem Testlauf wird ein Leitfaden entwickelt, der dann öffentlich verfügbar sein wird. Ab 2019 können Interessierte sich gegen Bezahlung beraten lassen. Einen Preis für den Service kann Spannberger pauschal nicht nennen. Das sei ganz individuell: „Nach einem kostenlosen Auftragsklärungsgespräch wird ein transparentes Angebot gemacht, je nachdem, welche Leistungen die Beratung enthalten soll.“

Letztendlich soll das Projekt auch möglich machen, dass die immer größer werdende Gruppe älterer Menschen so lange wie möglich selbstständig leben kann. Schiffer: „Oft habe ich alte Menschen erlebt, die eigentlich allein und selbstbestimmt hätten leben können. Wegen der schlechten Rahmenbedingungen in der Wohnung mussten sie aber ins Heim oder von der Hauskrankenpflege unterstützt werden.“

Der Standard, Sa., 2018.06.02

22. Oktober 2016Ber­na­det­te Redl
Der Standard

Von In­seln und Iden­ti­täts­pro­ble­men

Stadt­ent­wi­cklung wird in Mai­land von aus­län­di­schen In­ves­to­ren be­trie­ben. Der so­zia­le Wohn­bau bleibt da­bei auf der Stre­cke, ob­wohl der Be­darf da­für groß ist. Auch die Bü­ro­kra­tie ver­hin­dert vie­les. Ein Be­such.

Stadt­ent­wi­cklung wird in Mai­land von aus­län­di­schen In­ves­to­ren be­trie­ben. Der so­zia­le Wohn­bau bleibt da­bei auf der Stre­cke, ob­wohl der Be­darf da­für groß ist. Auch die Bü­ro­kra­tie ver­hin­dert vie­les. Ein Be­such.

Mit sil­brig glän­zen­der Fass­ade er­hebt sich der Wol­ken­krat­zer vom grau­en Stein­bo­den in den mit Re­gen­wol­ken ver­han­ge­nen Him­mel. Grau in grau ist nicht nur das Wet­ter, son­dern die Farb­ge­bung des gan­zen Are­als rund um das höch­ste Ge­bäu­de Ita­li­ens, den Tor­re Uni­cre­dit in Mai­land. Er bil­det mit an­de­ren Hoch­häus­ern das Zen­trum des Ge­schäfts­vier­tels Por­ta Nuo­va na­he dem Bahn­hof Por­ta Ga­ri­bal­di. Nur der Bo­sco Ver­ti­ca­le passt hier nicht ins Bild: Die Fass­ade der Wohn­tür­me ist mit hun­der­ten Bäu­men und Sträu­chern be­grünt.

Wie passt die­ses kar­ge Are­al, fi­nan­ziert von aus­län­di­schen In­ves­to­ren wie dem Land Ka­tar, in die­se Stadt, die in die­ser Ge­gend vor al­lem durch Ar­bei­ter­woh­nun­gen ge­prägt ist? Die Ant­wort auf die­se Fra­ge kennt auch die Ar­chi­tek­tin Ka­tia Ac­cos­sa­to nicht. Sie ver­folgt die Dis­kuss­io­nen um die Nut­zung des Ge­biets schon seit vie­len Jah­ren, hat in Mai­land stu­diert und kennt die Be­den­ken der Mai­län­der: „Es fällt den Men­schen schwer, ei­nen Dia­log zwi­schen die­sen zwei Rea­li­tä­ten zu fin­den. Die­ses Stadt­ent­wi­cklungs­pro­jekt ist ei­ne In­sel, die ein Iden­ti­täts­pro­blem schafft.“

Ver­las­se­ne Vier­tel

Vier Ki­lo­me­ter west­lich ein ähn­li­ches Bild: Gläs­er­ne Bü­ro­hoch­häu­ser ra­gen in den Him­mel, Lo­gos von Ban­ken und Ver­si­che­run­gen pran­gen auf ih­ren Spit­zen. Auch die­ses Stadt­ent­wi­cklungs­ge­biet mit dem Na­men Ci­ty Li­fe wird von aus­län­di­schen In­ves­to­ren fi­nan­ziert.

Trotz viel­ver­spre­chen­der Na­mens­ge­bung ist hier von Le­ben nicht viel zu se­hen, ob­wohl ne­ben den Bü­ro­tür­men be­reits Grün­an­la­gen mit Spiel­plät­zen und von Zäu­nen um­ge­be­ne Wohn­an­la­gen von Za­ha Ha­did und Da­ni­el Li­be­skind fer­tig­ge­stellt sind. „Bei wei­tem nicht al­le Woh­nun­gen sind ver­kauft, die Kauf­prei­se lie­gen bei 10.000 Eu­ro pro Qua­drat­me­ter“, sagt Ac­cos­sa­to. Auch sie hofft, dass hier mehr los sein wird, wenn erst ein­mal fer­tig­ge­baut ist.

Wo aber le­ben die Mai­län­der, die sich die Ei­gen­tums­woh­nun­gen in den neu­en Stadt­vier­teln nicht leis­ten kön­nen? Wie steht es um den so­zia­len Wohn­bau in der 1,3-Mil­lio­nen-Ein­woh­ner-Stadt? Ant­wor­ten auf die­se Fra­gen woll­te auch ei­ne De­le­ga­ti­on, be­ste­hend aus Ver­tre­tern der ge­mein­nüt­zi­gen Wohn­wirt­schaft und Jour­na­lis­ten aus Ös­ter­reich, bei ei­nem Be­such in Mai­land fin­den.

Der Druck auf dem ita­lie­ni­schen Woh­nungs­markt ist groß, die Im­mo­bi­lien­prei­se sind hoch. 2,5 Mil­lio­nen Woh­nun­gen feh­len, 600.000 Haus­hal­te ha­ben drin­gen­den Be­darf im öf­fent­li­chen und kom­mu­na­len Wohn­sek­tor. Die Kon­se­quen­zen die­ser Not­la­ge: Zwei Drit­tel al­ler Ita­lie­ner im Al­ter von 18 bis 34 le­ben laut ita­lie­ni­schem Sta­tis­ti­kamt Is­tat noch bei ih­ren El­tern, an­de­re ha­ben sich nach ei­nem Bau­boom En­de der 1990er-Jah­re Ei­gen­tums­woh­nun­gen ge­kauft und sind da­durch heu­te noch stark ver­schul­det.

„Die Wohn­be­la­stung in Ita­li­en ist heu­te um ein Drit­tel hö­her als noch vor zehn Jah­ren“, weiß Mar­kus Sturm, Ob­mann des Ver­eins für Wohn­bau­för­de­rung. 72 Pro­zent der Ita­lie­ner le­ben in Ei­gen­tums­woh­nun­gen, in Ös­ter­reich sind es 58 Pro­zent. Im so­zia­len Wohn­bau sind die Un­ter­schie­de be­son­ders dras­tisch: Wäh­rend in Ös­ter­reich 20 Pro­zent in ge­mein­nüt­zi­gen Woh­nun­gen le­ben, sind es in Ita­li­en nur vier Pro­zent. Mai­land steht et­was bes­ser da als das ge­sam­te Land – hier le­ben 14 Pro­zent in So­zi­al­woh­nun­gen.

„Ei­gent­lich soll­ten So­zi­al­woh­nun­gen nur in Not­si­tua­tio­nen be­wohnt wer­den, aus de­nen sich die Mie­ter selbst wie­der be­frei­en kön­nen“, be­schreibt Cor­ra­do Bi­na den ur­sprüng­li­chen Ge­dan­ken hin­ter dem Mai­län­der Sys­tem. Das Un­ter­neh­men, für das er ar­bei­tet, heißt La Me­trop­oli­ta­na und be­wirt­schaf­tet die kom­mu­na­len So­zi­al­woh­nun­gen der Stadt. „Es hat sich aber her­aus­ge­stellt, dass die Men­schen sehr lan­ge, so­gar bis zu 35 Jah­re in die­sen Woh­nun­gen le­ben.“ An­spruch ha­ben Fa­mi­li­en oder Ein­zel­per­so­nen, de­ren Brut­to­haus­halts­ein­kom­men 35.000 Eu­ro pro Jahr nicht über­steigt. Je nach fi­nanz­iel­ler Stel­lung be­we­gen sich die Mie­ten zwi­schen 20 und 200 Eu­ro mo­nat­lich, so Bi­na.

In die­sem Punkt sieht Sturm ei­nen der größ­ten Un­ter­schie­de zum so­zia­len Wohn­bau in Ös­ter­reich: „Die­se Woh­nun­gen sind in Mai­land für Men­schen in schwie­ri­gen Le­bens­si­tua­tio­nen ge­dacht. In Ös­ter­reich wol­len wir mit dem ge­mein­nüt­zi­gen Wohn­bau hin­ge­gen brei­te Ge­sell­schafts­schich­ten be­die­nen und auch die Mit­tel­schicht an­spre­chen.“

Wer in Mai­land nicht zu den Ärm­sten ge­hört, al­so mehr als 35.000 Eu­ro jähr­lich ver­dient, sich aber auch Ei­gen­tums­woh­nun­gen in den schi­cken, neu­en Stadt­vier­teln nicht leis­ten kann, hat erst seit we­ni­gen Jah­ren auch hier die Chan­ce, in so­zia­len Wohn­an­la­gen un­ter­zu­kom­men.

Ei­nes die­ser Pro­jek­te mit dem Na­men Via Cen­ni steht im Wes­ten Mai­lands. Weil die Stadt der pri­va­ten So­ci­al-Hou­sing-Stif­tung, die das Wohn­pro­jekt ko­or­di­niert, das Grund­stück kos­ten­los über­las­sen hat, kön­nen die Wohn­kos­ten weit un­ter dem Markt­wert ge­hal­ten wer­den. Im Ge­gen­zug sind 15 Pro­zent für kom­mu­na­le So­zi­al­woh­nun­gen re­ser­viert.

Of­fe­ne Or­te

„Hier steht das Zu­sam­men­le­ben im Mit­tel­punkt“, er­klärt ei­ne Be­wohn­erin. Die Hol­län­de­rin, die schon seit vie­len Jah­ren in Mai­land lebt, führt vol­ler Stolz durch die An­la­ge. Ob­wohl sich auch hier das Wet­ter trüb zeigt, ist der Ort be­lebt und bunt. Der Kom­plex ist den lom­bar­di­schen Hö­fen, die für die Re­gi­on um Mai­land ty­pisch sind, nach­emp­fun­den.

Of­fe­ne Lau­ben­gän­ge und Ge­mein­schafts­räu­me wer­den von al­len Be­wohn­ern ge­nutzt, eben­so die Grün­flä­chen und Spiel­plät­ze, die zwi­schen den Wohn­ge­bäu­den lie­gen. Die­se sind so­gar für Men­schen aus der Nach­bar­schaft zu­gäng­lich. „Die Mie­ter ver­wal­ten die An­la­ge selbst, sie bil­den ei­nen Ver­ein“, er­klärt Gi­or­da­na Fer­ri von der Stif­tung.

Seit 2010 hat die Stadt Mai­land ei­nen neu­en Flä­chen­nut­zungs- und Be­bau­ungs­plan, in dem auch de­fi­niert ist, in wel­che Rich­tung sich die so­zia­le Woh­nungs­wirt­schaft ent­wi­ckeln soll. „Wir ha­ben uns be­müht, die so­zia­len Brenn­punk­te ins Au­ge zu fas­sen. Die fünf am meis­ten be­trof­fe­nen Quar­tie­re mit ins­ge­samt 20.000 Woh­nun­gen ha­ben wir mit öf­fent­li­chen Geld­ern auf­ge­wer­tet“, er­zählt Fran­co Zin­na, Di­rek­tor der zu­stän­di­gen Ab­tei­lung bei der Stadt Mai­land.

Der neue Plan nimmt au­ßer­dem pri­va­te Bau­her­ren stär­ker in die Pflicht. Es gilt: Wird ei­ne Flä­che ab 15.000 Qua­drat­me­tern in Bau­land um­ge­wid­met, muss die Hälf­te der Flä­che der Kom­mu­ne für so­zia­len Wohn­bau über­las­sen wer­den. Auf die Fra­ge, wie die Um­set­zung die­ser har­ten Maß­nah­me bei kon­kre­ten Pro­jek­ten funk­tio­nie­re, bleibt Zin­na je­doch va­ge: „Im Ein­zel­fall ver­han­delt der Bau­trä­ger mit der Stadt, wie er ei­nen Bei­trag leis­ten kann.“

So kann es auch sein, dass statt So­zi­al­woh­nun­gen an­de­re, für die All­ge­mein­heit not­wen­di­ge oder sinn­vol­le Pro­jek­te ver­wirk­licht wer­den, er­klärt Zin­na, et­wa ei­ne Stra­ßen­zu­fahrt, ein Mu­se­um oder die Fi­nan­zie­rung so­zia­ler Be­treu­ung in ei­nem Wohn­vier­tel.

Doch auch in die­sem Be­reich gibt es Pro­ble­me, sagt Zin­na. Vie­le Erd­ge­schoß­zo­nen, für die ei­gent­lich ei­ne Nut­zung als Bürg­er­fo­rum, für kom­mu­na­le Dienst­leis­tun­gen oder als So­zi­al­be­treu­ungs­stel­le für Se­nio­ren, Mig­ran­ten oder Ju­gend­li­che vor­ge­se­hen war, ste­hen leer. „Das schei­tert an der Bü­ro­kra­tie. Die Po­li­tik in die­ser Stadt ist ein De­sas­ter. Die ver­schie­de­nen Fach­be­rei­che der Stadt­ver­wal­tung ar­bei­ten ein­fach nicht zu­sam­men, nur so könn­ten die­se Pro­jek­te funk­tio­nie­ren.“

Be­la­sten­de Bü­ro­kra­tie

Ähn­li­che, wenn auch nicht so har­te Kri­tik übt Sturm am ös­ter­rei­chi­schen Sys­tem. „Durch über­bor­den­de Bau­vor­schrif­ten stei­gen auch bei uns im ge­mein­nüt­zi­gen Sek­tor die Mie­ten. Der Durch­schnitts­bür­ger, der sich ei­ne Vil­la baut, muss we­ni­ger Vor­la­gen be­ach­ten als der Ge­ring­ver­die­ner, der im so­zia­len Wohn­bau lebt. Zu­dem sind die Grund­prei­se in Ös­ter­reich viel zu hoch.“

Sein Stell­ver­tre­ter, Karl Wurm, stimmt zu: „Man muss da­mit auf­hö­ren, über­all die­sel­ben Qua­li­tä­ten zu er­war­ten. Im so­zia­len Wohn­bau muss es Un­ter­schie­de ge­ben.“ Bei­de sind froh über den „ge­sun­den So­zi­al­mix“ aus Woh­nungs­ei­gen­tum, pri­va­ten und ge­werb­li­chen so­wie ge­mein­nüt­zi­gen Miet­woh­nun­gen in Ös­ter­reich.

Doch Wurm warnt: „In Ita­li­en wird Stadt­ent­wi­cklung von In­ves­to­ren, Fonds und Ka­tar be­trie­ben, bei uns ist es noch nicht so weit. Wie an­de­re Groß­städ­te lei­det aber auch Wien an bud­ge­tä­ren Pro­ble­men, und die Ten­denz geht in die­se Rich­tung. Klar ist, die In­ves­to­ren ste­hen auch vor un­se­rer Tür, und für sie zählt nur die Ren­di­te.“

[ Die Rei­se er­folg­te auf Ein­la­dung des Ver­eins für Wohn­bau­för­de­rung. ]

Der Standard, Sa., 2016.10.22

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