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03. Februar 2017Andreas Kohne
TEC21

Archetypisch denken

Der Berliner Werkbund hat für das Projekt WerkBundStadt 33 Architekturbüros angefragt, darunter auch Büros aus der Schweiz, Italien, Grossbritannien und den Niederlanden. Die beiden Schweizer Büros jessenvollenweider aus Basel und E2A Architekten aus Zürich fallen durch anregende und polarisierende Projektvorschläge auf.

Der Berliner Werkbund hat für das Projekt WerkBundStadt 33 Architekturbüros angefragt, darunter auch Büros aus der Schweiz, Italien, Grossbritannien und den Niederlanden. Die beiden Schweizer Büros jessenvollenweider aus Basel und E2A Architekten aus Zürich fallen durch anregende und polarisierende Projektvorschläge auf.

Der Deutsche Werkbund hat sich in seiner Geschichte immer wieder die Aufgabe gestellt, eine modellhafte Antwort auf die Frage des zeitgemässen Wohnens zu finden, und bis heute vorbildliche Siedlungen geschaffen (vgl. «Wie wohnen?», TEC21 3–4/2017). Fast hundert Jahre nach der Weissenhofsiedlung in Stuttgart soll nun in Berlin- Charlottenburg die WerkBundStadt entstehen, ein Stück Stadt mit rund 1100 Wohnungen. Der ehemalige Industriestandort soll längerfristig in einen Ort zum Wohnen, Leben und Arbeiten überführt werden.

In einem dialogischen Verfahren entwickelten 33 Architekturbüros gemeinsam ein stimmiges, durchlässiges städtisches Quartier mit hoher Dichte (3.5–3.8). Es besteht aus vier Blockrandbebauungen, hohen Akzenten zur Spree und zum angrenzenden Industrieareal, einem zentralen Platz und einer langen, strassenbegleitenden Häuserzeile von der Quedlinburger Strasse hinunter zur Spree (vgl. Parzellierungsplan).

Dieser Masterplan auf einer Fläche von 29 000 m² ist in 39 Parzellen aufgeteilt, und jedes Büro erhielt per Los drei Parzellen für einen Projektentwurf. Alle beteiligten Architekturbüros waren dadurch aufgefordert, sich neben ihrer vertieften Auseinandersetzung mit der Stadt intensiv mit der grundsätzlichen Frage des Wohnens zu beschäftigen. Es galt, ein städtisches Wohnhaus zu entwerfen, bei dem der Ort zwar bekannt war, nicht aber die unmittelbare Nachbarschaft oder das zukünftige Publikum. Abgesehen von den selbst auferlegten Regularien für die Architektur der Häuser (vgl. Kasten unten) gab es keine weiteren Einschränkungen.

Potenzial weiterentwickeln

Für jede Parzelle des gemeinsam entwickelten Masterplans arbeiteten jeweils drei Büros drei entsprechende Projektentwürfe aus. Im Rahmen einer Klausur wurden die besten Entwürfe ausgewählt und zusammengestellt (vgl. «Diskurs als Strategie» TEC21 3–4/2017). In diesem fast empirischen Auswahlverfahren galt es, für jede Parzelle das richtige Projekt zu finden und mit den unmittelbaren Nachbarn zu konfrontieren. Trotz stringentem Regelwerk entstand eine individuelle Vielfalt von Architekturen, die in inhaltlichen und formalen Bereichen einige Fragen aufwirft.

Das Quartiermodell offenbart die Themen, die im Rahmen der weiteren Bearbeitung zu klären sind: So muss sich an einigen Stellen die Architektur zugunsten der Stadt zurücknehmen, die Rolle und der Charakter von Strassen und Plätzen ist zu klären, und zudem müsste das Thema des Wohnens intensiviert werden. Auch beim architektonischen Ausdruck der Gebäude und dem Umgang mit dem festgelegten Material Ziegelstein ist eine vertiefte inhaltliche Auseinandersetzung erforderlich, die bisher nur in Teilen stattgefunden hat.

Gleichwertige Kammern

E2A Architekten aus Zürich beschäftigen sich bei ihrem Projektvorschlag mit der Robustheit und der Permanenz eines architektonischen Entwurfs. Sie ­etablieren für ihre Wohnungen ein interessantes Kammerungsprinzip mit gleichwertigen Räumen, die sich untereinander mit um 180° öffenbaren Doppelflügel­türen zu Enfiladen verbinden lassen. Es gibt keinen privaten Aussenraum, dafür hat jedes Zimmer seinen französischen Balkon, der den Dialog nach aussen mit der Stadt ermöglicht.

Indem sich die Architekten auf einen austarierten und gleichwertigen Raum mit ­wohlüberlegten Proportionen konzentrieren, legen sie die zukünftige Wohnform nicht fest, sondern liefern eine Grundlage für eine individuelle Interpretation. ­Somit können diese Räume ganz unterschiedlich genutzt und zu unterschiedlich grossen Wohnungen zusammengeschlossen werden. Die Grundrissstruktur bietet ein hohes Mass an Flexibilität, eine Vierzimmerwohnung ist ebenso möglich wie eine Sechszimmerwohnung. Die Aufteilung erlaubt den Bewohnern, unterschiedlichste Formen des Wohnens zu leben.

Das Modell der Wohnung ist eine Rückführung auf die multi­kulturelle, vielschichtige Stadt. Wim Eckert beschreibt das Konzept wie folgt: «Unser Haus ist eine Organisationsform, in der Räume unvoreingenommen besetzt werden können. Je archetypischer eine solche Ordnung von gleichwertigen Räumen ist, desto unabhängiger lassen sie sich nutzen. Darin liegt die Idee der durchmischten Stadt, in einem Haus zu wohnen, das von unterschiedlichen Menschen mit unterschiedlichen Bedürfnissen geprägt ist.» Nach aussen zur Stadt hin tritt das Haus zurückhaltend und massiv in Erscheinung mit grossen, gleichmässig gesetzten Öffnungen, die die innere Organisation abbilden.

Wiederentdeckung des Erkers

Das Büro jessenvollenweider setzt sich bei seinem Entwurf mit der Frage auseinander, wie man ein eigenständiges Haus planen kann, das sich zugleich in das Kollektiv der Stadt einfügt. Die Architekten zeichnen ein plastisches Gebäude, vom Sockel bis zum Dach wie aus einem Guss, das dennoch die gesuchte Dreiteiligkeit erzeugt. Auf die spezielle Ecksituation der Parzelle ­reagieren die Architekten mit einer Betonung der Vertikalen und führen gleichzeitig das architektonische Motiv des Erkers ein.

Der Erker, hier meist in Form eines Wintergartens, verbindet Innen- und Aussenraum und ist ein starkes Element der Raumerweiterung – Wohnung und Stadt lassen sich so aus unterschiedlichen Perspektive wahrnehmen, der Bewohner ist geborgen im privaten Umfeld und dennoch Teil der Stadt. Er kann in seiner eigenen Wohnung vor das Haus treten, in den Strassenraum eintauchen oder hinunter zur Spree schauen. Die vorgeschlagenen Wohnungen lassen sich als Bekenntnis für diesen neuen Ort und die Stadt verstehen. Sie erlauben es, das städtische Leben zu spüren und einzufangen, aber auch, sich aus dem Öffentlichen ins Private zurückzuziehen.

Grundsätzlich wünschte man sich mehr solche Beiträge, die sich intensiv und polarisierend mit dem Thema Wohnen oder der einzelnen Wohnung auseinandersetzen. Trotz Tradition und Vorbildcharakter des Werkbunds fehlten bei vielen anderen Projekten bis zum jetzigen Stand anscheinend Ansporn oder Anreize. Doch alle beteiligten Architekten haben mit ihren Projekten eine grosse Chance: im Sinn eines Zwischenstands ihre Entwürfe weiterzubearbeiten und eine wegweisende WerkBundStadt zu entwickeln, die besser wird als das bereits Bekannte und Vorhandene.

TEC21, Fr., 2017.02.03



verknüpfte Zeitschriften
TEC21 2017|05-06 WerkBundStadt II Schweizer Beiträge

03. Februar 2017Andreas Kohne
Andrea Wiegelmann
TEC21

«Eine Reise ins Ungewisse hält lebendig»

E2A Architekten aus Zürich planen und realisieren zurzeit mehrere Projekte in Deutschland. Für die WerkBundStadt Berlin reichten sie auf den ihnen zugelosten Parzellen interessante Entwürfe ein. Ein Gespräch mit Wim Eckert.

E2A Architekten aus Zürich planen und realisieren zurzeit mehrere Projekte in Deutschland. Für die WerkBundStadt Berlin reichten sie auf den ihnen zugelosten Parzellen interessante Entwürfe ein. Ein Gespräch mit Wim Eckert.

TEC21: Herr Eckert, wie haben Sie das dialogische Verfahren erlebt?

Wim Eckert: Wie der Titel WerkBundStadt Berlin bereits ankündigt, war uns von Anfang klar, dass es sich um eine inhaltliche und grundsätzliche Auseinandersetzung mit dem Thema Stadt und Wohnen handeln soll. Das Verfahren bot dazu eine ideale Plattform, um derartige Vorstellungen und Ideen zu präsentieren und unter Kollegen zu diskutieren. Dies explizit im Gegensatz zu all den Wohnungsbauwettbewerben, bei denen der Architekt seinen Vorschlag als monologische Antwort zu den in der Regel austauschbaren Programmen abliefert.

TEC21: Welche Vorteile sehen Sie für den Entwurf?

Wim Eckert: Der verabschiedete Masterplan formuliert einen Konsens aus den Ideen der acht städtebaulichen Entwürfe und den Ideen aus den Klausuren. Dieser iterative Prozess mit multipler Autorenschaft ist durch das Verfahren möglich, er hat eine gemeinsame Basis geschaffen für gewisse Fragen. Dies hat ein gewisses Mass an Kohäsion, aber auch an Konfrontation.

TEC21: Was interessierte Sie speziell bei Ihrem Projekt?

Wim Eckert: Uns interessiert seit Längerem die Frage nach der Robustheit des architektonischen Entwurfs. In diesem konkreten Fall bestand die Möglichkeit, die Idee eines sogenannten robusten Entwurfs in den Wohnungsbau zu überführen und mit gleichwertigen Räumen eine Wohnung zu schaffen, deren Nutzung offen ist. Es handelt sich um ein hierarchieloses Gebäude, bei dem die Gleichwertigkeit der Räume alles andere überschreibt. Diese Grundhaltung spiegelt sich auch in der Fassade wider.

TEC21: Wo steckt in Ihrem Projekt der Werkbundgedanke?

Neben der grundsätzlichen Auseinandersetzung mit dem städtischen Wohnen möchten wir mit unserem Projekt auch auf die Dimensionen des Hand­werks und der Produktion eingehen. Wir können uns gut vorstellen, dass bei unserem Projekt verschiedene Bauteile, etwa die doppelflügeligen Innentüren, die Fenster oder die «Meterküche», zusammen mit Unternehmungen, vielleicht sogar Schweizer Firmen, entwickelt und dann seriell hergestellt werden.

TEC21: Wie geht es nun konkret weiter?

Wim Eckert: Hier ist die Zeit ein wertvoller Faktor. Ich gehe davon aus, dass auf der einen Seite die inhaltlichen Klausuren weitergehen und auf der andern Seite viele baurechtliche Fragen geklärt werden müssen, damit das Projekt erfolgreich umgesetzt werden kann. Ich hoffe, dass sich die Klausuren nochmals intensiv mit den Spielregeln und deren Auslegung befassen. Denn trotz hoher Stringenz des Plans herrscht eine grosse Kollisionsgefahr. Es gilt nun, den vorliegenden Zwischenstand genau zu orchestrieren, die Übergänge zu klären, ohne daraus eine einzige Architektur zu formen. Auf der Ebene des Quartiers ist das Thema des Erdgeschosses zu klären, mit der Frage, welche Nutzungen sich in welchen Strassen und an welchen Lagen am besten eignen.

TEC21: Wäre ein solches Verfahren Ihrer Meinung nach auch in der Schweiz denkbar?

Wim Eckert: Ich glaube, dass ein derartiges dialogisches Verfahren hier durchaus vorstellbar wäre, denn auch bei uns findet eine Debatte statt, die im Vergleich zu Deutschland aber einfach nicht so offen geführt wird. Ich vermute auch, dass die Umsetzung des Masterplans in der Schweiz viel zurückhaltender und dis­ziplinierter angepackt worden wäre. Die grundsätzlichen Fragen für ein dialogisches Verfahren würden sich jedoch ganz zu Anfang stellen: Wie wird selektioniert, und wer selektioniert? Dieses demokratisierte Auswahlverfahren kennen wir bei uns bereits mit den Präqualifikationen.

TEC21, Fr., 2017.02.03



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TEC21 2017|05-06 WerkBundStadt II Schweizer Beiträge

27. Februar 2016Andreas Kohne
TEC21

Wohnen an verzwickter Lage

Zwischen alten Fabrikgebäuden, Autobahn und Bahnviadukt entsteht auf dem Areal der ehemaligen Spinnerei Zwicky ein neues Quartier. Auf dem Baufeld E, genannt Zwicky Süd, konnten Schneider Studer Primas Architekten ihr Projekt «The Mothers of Invention» realisieren.

Zwischen alten Fabrikgebäuden, Autobahn und Bahnviadukt entsteht auf dem Areal der ehemaligen Spinnerei Zwicky ein neues Quartier. Auf dem Baufeld E, genannt Zwicky Süd, konnten Schneider Studer Primas Architekten ihr Projekt «The Mothers of Invention» realisieren.

Im Grenzbereich von Zürich, Wallisellen und Dübendorf liegt am Ufer der Glatt das Zwicky-Areal mit seinen alten Industriebauten, in denen seit 1840 Nähfäden und Webgarne produziert wurden. 2001 wurde die Produktion ins Ausland verlagert – zurück blieben neben prägenden Bauten 24 ha Land. Für das Baufeld E übernahm 2008 die Firma Senn aus St. Gallen zusammen mit der Immobilienberatung Wüest & Partner die Projektentwicklung.

Gleich zu Beginn konnte mit der Bau- und Wohngenossenschaft Kraftwerk1 ein kompetenter Partner und Nutzer gefunden werden, der gewillt ist, einen Pionierbeitrag zur lebendigen Quartierentwicklung zu leisten. Im Wissen um den nicht einfachen Standort wurden gemeinsam klare Vorstellungen bezüglich Wohnen, Arbeiten, Kultur und Erdgeschossnutzung entwickelt. Das Ziel war ambi­tioniert: Aus der grünen Wiese sollte ein Stück lebendige Stadt entstehen.

«The Mothers of Invention»

Vom Projektentwickler Senn und von der Bau- und Wohngenossenschaft Kraftwerk1 wurde 2009 ein Studienauftrag unter fünf Teams veranstaltet. Schneider Studer Primas Architekten konnten diesen für sich entscheiden und schlugen vor, das Areal stärker in seine Umgebung einzubetten.

Zusammenhängende Grünräume sollen dabei als Naherholungsraum für eine grössere Umgebung dienen und der Fussgänger- und Radweg unter dem Bahnviadukt neu als verbindender, gedeckter Stras­sen­raum zum identitätsstiftenden Objekt im Quartier werden.

Als Bebauung entwickelte das Planungsteam, abgeleitet von den bestehenden Industrie- und Fabrikbauten der ehemaligen Spinnerei Zwicky, drei Bautypen: schmale hohe Scheiben, fette Blocks und tiefe Hallen. Durch die Setzung dieser gegensätzlichen Haustypen etablierten sie eine Offenheit zum Viadukt und Bestand, gleichzeitig überzeugten sie mit einem dichten Konglomerat sowie ausreichend Flexibilität und Entwicklungspotenzial innerhalb des Areals.

Crux mit dem Lärm

Die optimale Verkehrserschliessung macht das Gebiet höchst attraktiv. So führt die Glattalbahn Linie 12 in wenigen Minuten zum Glattzentrum, zum Bahnhof Stettbach oder in einer Viertelstunde zum Bellevue oder Flughafen, und mit dem Auto ist man in zwei Minuten auf der A1. Handkehrum umzingeln Bahn, Autobahn und ihre Zubringer unmittelbar das Areal, und das Verkehrsrauschen ist allgegenwärtig. Bei der Über­arbeitung des Studienauftrags wurde der Lärm denn auch zur grossen Herausforderung.

Basierend auf computergesteuerten Berechnungen der Lärmemissionen mussten auf städtebaulicher Ebene Bauten neu gesetzt werden, um die zulässigen Werte einhalten zu können. Dabei rückten die grossen Blocks nach innen, und die schmalen, teilweise abgewinkelten Scheibenbauten umschliessen das Gelände enger und kamen neu auch entlang des Viadukts zu stehen. Es entstand eine stärkere Abschottung nach aussen, wobei die ursprünglichen räumlichen Bezüge zum Industrieareal weitgehend verloren gingen oder mehrheitlich nur noch auf der Ebene des Erdgeschosses stattfinden.

Robuste Grundstrukturen – verschiedenste Nutzungsmöglichkeiten

Bei den Gebäuden wurde an den drei Grundtypen festgehalten, die sich in ihrer Kombination ideal ergänzen: Die schmalen Scheiben mit langen Terrassen und Laubengängen und fein aufgereihten Studios, Kleinwohnungen und Familienmaisonetten bilden einen Kranz und schützen die Blocks vor Lärm.

Die massigen Blocks mit Klein- und Mittelbetrieben, Ateliers und verschiedensten Wohnungen stehen für Kompaktheit, Energieeffizienz und soziale Dichte. In den Hallen, die das Erdgeschoss beleben, wird produziert, gelagert, ausgestellt, verkauft und teilweise auch gewohnt.

Bereits im Stu­dienauftrag wurde von den Architekten eine kluge ­Konzeption mit einfachen Strukturen für die jewei­li­gen Bautypen vorgeschlagen und nachgewiesen. Im Verlauf der Planung konnte innerhalb dieser Vielfalt den spezifischen Anforderungen, Nutzungswünschen und Preisvorgaben der unterschiedlichen Endnutzer und Bauherrschaften nachgekommen werden, ohne dass sich dabei das Projekt komplett veränderte.

Lichtdurchflutete Scheiben

In den vier schmalen, rund 10 m tiefen Bauten sind durchgehende oder zweiseitig orientierte Wohnungen angelegt. Somit gelingt es, die Individualzimmer von der Lärmseite abzuwenden und die durchgehenden Wohn-Ess-Räume von zwei Seiten mit ausreichend Tageslicht zu versorgen. Im Süden zum Chriesbach liegen die durchgehenden Wohnungen mit einer schotten­artigen Struktur.

Die eher kleineren (2 ½- und 3 ½-Zimmer-)Wohnungen, die über einen Laubengang effizient erschlossen sind, bestehen aus unterschiedlich breiten Raumschichten, die sich jeweils von Fassade zu Fassade erstrecken, zweiseitig belichtet sind und in ihrer Tiefe ganz unterschiedlich bespielt werden können. ­Gegen die Neugutstrasse und das Bahnviadukt befinden sich die eher grösseren (3 ½- und 4 ½-Zimmer-)Woh­nungen, die direkt über innenliegende Treppenhäuser erschlossen werden.

Bei diesen zweiseitig orientierten Wohnungen liegen sämtliche Individualzimmer zum hofartigen Aussenraum. Je nach Ausrichtung ist der Wohnraum ebenfalls zum Hofraum oder zur lauteren Ostseite hin orientiert. Zusammen mit dem Essbereich und der offenen Küche entsteht ein durchgehender, abgewinkelter Wohn-Ess-Raum, der die beiden Seiten jeweils miteinander verbindet.

Die rötlich eingefärbten Stahlstrukturen der Laubengang- und Balkonkonstruktionen verleihen der Anlage einen industriellen Charakter und werden in Zukunft mit Pflanzen überwachsen sein. An zwei Stellen werden sie zu Brückenterrassen, die zum benachbarten Ge­bäude hinüberspannen und neue Wohnformen und Nachbarschaften evozieren. Eine Idee, die bereits im Studienauftrag vorgeschlagen wurde und letztlich dank der innovativen Weiterverwendung und durch Recyc­ling der ­beiden provisorischen Fussgängerbrücken der Escher-Wyss-Platz-Baustelle im Rahmen der Kosten realisiert werden konnte.

Massige Blocks mit Atrien und Höfen

Die beiden grossen Blocks im Zentrum erinnern spontan mit ihren Abmessungen von rund 30 × 40 m eher an ­effiziente Bürobauten. Die strukturelle Grundkonzeption der Architekten erlaubt, dass in diesen tiefen Häusern Schule, Klein- und Mittelbetriebe sowie Wohnungen möglich sind. Als Reaktion auf die grosse Bautiefe wurden den Bauten jeweils zwei Erschliessungshöfe und ein Lichthof einbeschrieben. Beim südwestlichen Block (Haus 3) der Pensimo wurden die drei Höfe letztendlich zu zwei grösseren zusammengelegt und miteinander verbunden.

Die preisgünstigen und knapp geschnittenen Familienwohnungen sind nach aussen orientiert und entlang der Fassade angeordnet, wobei sich der Wohn-Ess-Raum jeweils zum innenliegenden Hof erstreckt und über diesen zusätzlich belichtet wird.

Demgegenüber wurde beim anderen Block (Haus 5) der Baugenossenschaft Kraftwerk1 an den beiden Erschliessungshöfen und dem Belichtungsatrium festgehalten.

Aus dieser Konstellation lassen sich ganz unterschiedliche und überraschende Wohnungen ableiten, beispielsweise die 170 m² grosse 4 ½-Zimmer-Wohnung, die sich über die gesamte Bautiefe von 31 m erstreckt und über den eher knappen Lichthof belichtet wird, oder die 13 ½-Zimmer-Wohnung, eine Art Mischung aus ­Clusterwohnung und klassischer WG. Dazwischen liegen immer wieder sogenannte Wohnraumerweiterungen, die als Atelier oder Bibliothek nutzbar sind.

Flache Hallen

Der Hallentypus vermittelt zwischen den hohen Bauten und dem Erdgeschoss. Die ein- bis zweigeschossigen Hallen sind als grosse, zusammenhängende Bauten an die Scheiben herangeschoben und dienen als Werkstätten, Manufakturen, Ateliers oder Veloparking und die Dächer als Terrassen.

Die Hallenwohnungen sind schmale Maisonettewohnungen. Mit einem zwei­ge­schossigen Bereich, entweder an der Fassade oder in der Mitte der Wohnung, wird die grosse Bautiefe von 27 m kompensiert und Licht ins Gebäudeinnere gebracht.

Im Obergeschoss verfügt jede Einheit über einen ­privaten Patio, von wo mit einem Oberlicht wiederum Licht ins Erdgeschoss gebracht wird. So entsteht gewissermassen der Charme eines Reihenhauses in Verbindung mit der Flexibilität von urbanen Lofts.

Mit der Überbauung Zwicky-Süd ist im Schnittpunkt der Peripherien Dübendorf und Wallisellen ein neues Stück Stadt entstanden, das heute nach aussen eher verschlossen und abweisend daherkommt. Im ­Gegensatz zu anderen Wohnsiedlungen findet sich aber im dichten Innern der Bebauung eine Vielzahl von erfrischenden Ansätzen bezüglich der Vorstellung von Stadtleben und des Wohnens und Zusammenlebens.

Zum Schluss bleibt die Frage, zu welcher Stadt dieses neue Quartier längerfristig je gehören wird. Oder bleibt es eine Art Insel oder Oase in der Agglo­me­ra­tion an der Linie der Glattalbahn?

TEC21, Sa., 2016.02.27



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TEC21 2016|09-10 Wohnbauten: Öffnung oder Abgrenzung

Presseschau 12

03. Februar 2017Andreas Kohne
TEC21

Archetypisch denken

Der Berliner Werkbund hat für das Projekt WerkBundStadt 33 Architekturbüros angefragt, darunter auch Büros aus der Schweiz, Italien, Grossbritannien und den Niederlanden. Die beiden Schweizer Büros jessenvollenweider aus Basel und E2A Architekten aus Zürich fallen durch anregende und polarisierende Projektvorschläge auf.

Der Berliner Werkbund hat für das Projekt WerkBundStadt 33 Architekturbüros angefragt, darunter auch Büros aus der Schweiz, Italien, Grossbritannien und den Niederlanden. Die beiden Schweizer Büros jessenvollenweider aus Basel und E2A Architekten aus Zürich fallen durch anregende und polarisierende Projektvorschläge auf.

Der Deutsche Werkbund hat sich in seiner Geschichte immer wieder die Aufgabe gestellt, eine modellhafte Antwort auf die Frage des zeitgemässen Wohnens zu finden, und bis heute vorbildliche Siedlungen geschaffen (vgl. «Wie wohnen?», TEC21 3–4/2017). Fast hundert Jahre nach der Weissenhofsiedlung in Stuttgart soll nun in Berlin- Charlottenburg die WerkBundStadt entstehen, ein Stück Stadt mit rund 1100 Wohnungen. Der ehemalige Industriestandort soll längerfristig in einen Ort zum Wohnen, Leben und Arbeiten überführt werden.

In einem dialogischen Verfahren entwickelten 33 Architekturbüros gemeinsam ein stimmiges, durchlässiges städtisches Quartier mit hoher Dichte (3.5–3.8). Es besteht aus vier Blockrandbebauungen, hohen Akzenten zur Spree und zum angrenzenden Industrieareal, einem zentralen Platz und einer langen, strassenbegleitenden Häuserzeile von der Quedlinburger Strasse hinunter zur Spree (vgl. Parzellierungsplan).

Dieser Masterplan auf einer Fläche von 29 000 m² ist in 39 Parzellen aufgeteilt, und jedes Büro erhielt per Los drei Parzellen für einen Projektentwurf. Alle beteiligten Architekturbüros waren dadurch aufgefordert, sich neben ihrer vertieften Auseinandersetzung mit der Stadt intensiv mit der grundsätzlichen Frage des Wohnens zu beschäftigen. Es galt, ein städtisches Wohnhaus zu entwerfen, bei dem der Ort zwar bekannt war, nicht aber die unmittelbare Nachbarschaft oder das zukünftige Publikum. Abgesehen von den selbst auferlegten Regularien für die Architektur der Häuser (vgl. Kasten unten) gab es keine weiteren Einschränkungen.

Potenzial weiterentwickeln

Für jede Parzelle des gemeinsam entwickelten Masterplans arbeiteten jeweils drei Büros drei entsprechende Projektentwürfe aus. Im Rahmen einer Klausur wurden die besten Entwürfe ausgewählt und zusammengestellt (vgl. «Diskurs als Strategie» TEC21 3–4/2017). In diesem fast empirischen Auswahlverfahren galt es, für jede Parzelle das richtige Projekt zu finden und mit den unmittelbaren Nachbarn zu konfrontieren. Trotz stringentem Regelwerk entstand eine individuelle Vielfalt von Architekturen, die in inhaltlichen und formalen Bereichen einige Fragen aufwirft.

Das Quartiermodell offenbart die Themen, die im Rahmen der weiteren Bearbeitung zu klären sind: So muss sich an einigen Stellen die Architektur zugunsten der Stadt zurücknehmen, die Rolle und der Charakter von Strassen und Plätzen ist zu klären, und zudem müsste das Thema des Wohnens intensiviert werden. Auch beim architektonischen Ausdruck der Gebäude und dem Umgang mit dem festgelegten Material Ziegelstein ist eine vertiefte inhaltliche Auseinandersetzung erforderlich, die bisher nur in Teilen stattgefunden hat.

Gleichwertige Kammern

E2A Architekten aus Zürich beschäftigen sich bei ihrem Projektvorschlag mit der Robustheit und der Permanenz eines architektonischen Entwurfs. Sie ­etablieren für ihre Wohnungen ein interessantes Kammerungsprinzip mit gleichwertigen Räumen, die sich untereinander mit um 180° öffenbaren Doppelflügel­türen zu Enfiladen verbinden lassen. Es gibt keinen privaten Aussenraum, dafür hat jedes Zimmer seinen französischen Balkon, der den Dialog nach aussen mit der Stadt ermöglicht.

Indem sich die Architekten auf einen austarierten und gleichwertigen Raum mit ­wohlüberlegten Proportionen konzentrieren, legen sie die zukünftige Wohnform nicht fest, sondern liefern eine Grundlage für eine individuelle Interpretation. ­Somit können diese Räume ganz unterschiedlich genutzt und zu unterschiedlich grossen Wohnungen zusammengeschlossen werden. Die Grundrissstruktur bietet ein hohes Mass an Flexibilität, eine Vierzimmerwohnung ist ebenso möglich wie eine Sechszimmerwohnung. Die Aufteilung erlaubt den Bewohnern, unterschiedlichste Formen des Wohnens zu leben.

Das Modell der Wohnung ist eine Rückführung auf die multi­kulturelle, vielschichtige Stadt. Wim Eckert beschreibt das Konzept wie folgt: «Unser Haus ist eine Organisationsform, in der Räume unvoreingenommen besetzt werden können. Je archetypischer eine solche Ordnung von gleichwertigen Räumen ist, desto unabhängiger lassen sie sich nutzen. Darin liegt die Idee der durchmischten Stadt, in einem Haus zu wohnen, das von unterschiedlichen Menschen mit unterschiedlichen Bedürfnissen geprägt ist.» Nach aussen zur Stadt hin tritt das Haus zurückhaltend und massiv in Erscheinung mit grossen, gleichmässig gesetzten Öffnungen, die die innere Organisation abbilden.

Wiederentdeckung des Erkers

Das Büro jessenvollenweider setzt sich bei seinem Entwurf mit der Frage auseinander, wie man ein eigenständiges Haus planen kann, das sich zugleich in das Kollektiv der Stadt einfügt. Die Architekten zeichnen ein plastisches Gebäude, vom Sockel bis zum Dach wie aus einem Guss, das dennoch die gesuchte Dreiteiligkeit erzeugt. Auf die spezielle Ecksituation der Parzelle ­reagieren die Architekten mit einer Betonung der Vertikalen und führen gleichzeitig das architektonische Motiv des Erkers ein.

Der Erker, hier meist in Form eines Wintergartens, verbindet Innen- und Aussenraum und ist ein starkes Element der Raumerweiterung – Wohnung und Stadt lassen sich so aus unterschiedlichen Perspektive wahrnehmen, der Bewohner ist geborgen im privaten Umfeld und dennoch Teil der Stadt. Er kann in seiner eigenen Wohnung vor das Haus treten, in den Strassenraum eintauchen oder hinunter zur Spree schauen. Die vorgeschlagenen Wohnungen lassen sich als Bekenntnis für diesen neuen Ort und die Stadt verstehen. Sie erlauben es, das städtische Leben zu spüren und einzufangen, aber auch, sich aus dem Öffentlichen ins Private zurückzuziehen.

Grundsätzlich wünschte man sich mehr solche Beiträge, die sich intensiv und polarisierend mit dem Thema Wohnen oder der einzelnen Wohnung auseinandersetzen. Trotz Tradition und Vorbildcharakter des Werkbunds fehlten bei vielen anderen Projekten bis zum jetzigen Stand anscheinend Ansporn oder Anreize. Doch alle beteiligten Architekten haben mit ihren Projekten eine grosse Chance: im Sinn eines Zwischenstands ihre Entwürfe weiterzubearbeiten und eine wegweisende WerkBundStadt zu entwickeln, die besser wird als das bereits Bekannte und Vorhandene.

TEC21, Fr., 2017.02.03



verknüpfte Zeitschriften
TEC21 2017|05-06 WerkBundStadt II Schweizer Beiträge

03. Februar 2017Andreas Kohne
Andrea Wiegelmann
TEC21

«Eine Reise ins Ungewisse hält lebendig»

E2A Architekten aus Zürich planen und realisieren zurzeit mehrere Projekte in Deutschland. Für die WerkBundStadt Berlin reichten sie auf den ihnen zugelosten Parzellen interessante Entwürfe ein. Ein Gespräch mit Wim Eckert.

E2A Architekten aus Zürich planen und realisieren zurzeit mehrere Projekte in Deutschland. Für die WerkBundStadt Berlin reichten sie auf den ihnen zugelosten Parzellen interessante Entwürfe ein. Ein Gespräch mit Wim Eckert.

TEC21: Herr Eckert, wie haben Sie das dialogische Verfahren erlebt?

Wim Eckert: Wie der Titel WerkBundStadt Berlin bereits ankündigt, war uns von Anfang klar, dass es sich um eine inhaltliche und grundsätzliche Auseinandersetzung mit dem Thema Stadt und Wohnen handeln soll. Das Verfahren bot dazu eine ideale Plattform, um derartige Vorstellungen und Ideen zu präsentieren und unter Kollegen zu diskutieren. Dies explizit im Gegensatz zu all den Wohnungsbauwettbewerben, bei denen der Architekt seinen Vorschlag als monologische Antwort zu den in der Regel austauschbaren Programmen abliefert.

TEC21: Welche Vorteile sehen Sie für den Entwurf?

Wim Eckert: Der verabschiedete Masterplan formuliert einen Konsens aus den Ideen der acht städtebaulichen Entwürfe und den Ideen aus den Klausuren. Dieser iterative Prozess mit multipler Autorenschaft ist durch das Verfahren möglich, er hat eine gemeinsame Basis geschaffen für gewisse Fragen. Dies hat ein gewisses Mass an Kohäsion, aber auch an Konfrontation.

TEC21: Was interessierte Sie speziell bei Ihrem Projekt?

Wim Eckert: Uns interessiert seit Längerem die Frage nach der Robustheit des architektonischen Entwurfs. In diesem konkreten Fall bestand die Möglichkeit, die Idee eines sogenannten robusten Entwurfs in den Wohnungsbau zu überführen und mit gleichwertigen Räumen eine Wohnung zu schaffen, deren Nutzung offen ist. Es handelt sich um ein hierarchieloses Gebäude, bei dem die Gleichwertigkeit der Räume alles andere überschreibt. Diese Grundhaltung spiegelt sich auch in der Fassade wider.

TEC21: Wo steckt in Ihrem Projekt der Werkbundgedanke?

Neben der grundsätzlichen Auseinandersetzung mit dem städtischen Wohnen möchten wir mit unserem Projekt auch auf die Dimensionen des Hand­werks und der Produktion eingehen. Wir können uns gut vorstellen, dass bei unserem Projekt verschiedene Bauteile, etwa die doppelflügeligen Innentüren, die Fenster oder die «Meterküche», zusammen mit Unternehmungen, vielleicht sogar Schweizer Firmen, entwickelt und dann seriell hergestellt werden.

TEC21: Wie geht es nun konkret weiter?

Wim Eckert: Hier ist die Zeit ein wertvoller Faktor. Ich gehe davon aus, dass auf der einen Seite die inhaltlichen Klausuren weitergehen und auf der andern Seite viele baurechtliche Fragen geklärt werden müssen, damit das Projekt erfolgreich umgesetzt werden kann. Ich hoffe, dass sich die Klausuren nochmals intensiv mit den Spielregeln und deren Auslegung befassen. Denn trotz hoher Stringenz des Plans herrscht eine grosse Kollisionsgefahr. Es gilt nun, den vorliegenden Zwischenstand genau zu orchestrieren, die Übergänge zu klären, ohne daraus eine einzige Architektur zu formen. Auf der Ebene des Quartiers ist das Thema des Erdgeschosses zu klären, mit der Frage, welche Nutzungen sich in welchen Strassen und an welchen Lagen am besten eignen.

TEC21: Wäre ein solches Verfahren Ihrer Meinung nach auch in der Schweiz denkbar?

Wim Eckert: Ich glaube, dass ein derartiges dialogisches Verfahren hier durchaus vorstellbar wäre, denn auch bei uns findet eine Debatte statt, die im Vergleich zu Deutschland aber einfach nicht so offen geführt wird. Ich vermute auch, dass die Umsetzung des Masterplans in der Schweiz viel zurückhaltender und dis­ziplinierter angepackt worden wäre. Die grundsätzlichen Fragen für ein dialogisches Verfahren würden sich jedoch ganz zu Anfang stellen: Wie wird selektioniert, und wer selektioniert? Dieses demokratisierte Auswahlverfahren kennen wir bei uns bereits mit den Präqualifikationen.

TEC21, Fr., 2017.02.03



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27. Februar 2016Andreas Kohne
TEC21

Wohnen an verzwickter Lage

Zwischen alten Fabrikgebäuden, Autobahn und Bahnviadukt entsteht auf dem Areal der ehemaligen Spinnerei Zwicky ein neues Quartier. Auf dem Baufeld E, genannt Zwicky Süd, konnten Schneider Studer Primas Architekten ihr Projekt «The Mothers of Invention» realisieren.

Zwischen alten Fabrikgebäuden, Autobahn und Bahnviadukt entsteht auf dem Areal der ehemaligen Spinnerei Zwicky ein neues Quartier. Auf dem Baufeld E, genannt Zwicky Süd, konnten Schneider Studer Primas Architekten ihr Projekt «The Mothers of Invention» realisieren.

Im Grenzbereich von Zürich, Wallisellen und Dübendorf liegt am Ufer der Glatt das Zwicky-Areal mit seinen alten Industriebauten, in denen seit 1840 Nähfäden und Webgarne produziert wurden. 2001 wurde die Produktion ins Ausland verlagert – zurück blieben neben prägenden Bauten 24 ha Land. Für das Baufeld E übernahm 2008 die Firma Senn aus St. Gallen zusammen mit der Immobilienberatung Wüest & Partner die Projektentwicklung.

Gleich zu Beginn konnte mit der Bau- und Wohngenossenschaft Kraftwerk1 ein kompetenter Partner und Nutzer gefunden werden, der gewillt ist, einen Pionierbeitrag zur lebendigen Quartierentwicklung zu leisten. Im Wissen um den nicht einfachen Standort wurden gemeinsam klare Vorstellungen bezüglich Wohnen, Arbeiten, Kultur und Erdgeschossnutzung entwickelt. Das Ziel war ambi­tioniert: Aus der grünen Wiese sollte ein Stück lebendige Stadt entstehen.

«The Mothers of Invention»

Vom Projektentwickler Senn und von der Bau- und Wohngenossenschaft Kraftwerk1 wurde 2009 ein Studienauftrag unter fünf Teams veranstaltet. Schneider Studer Primas Architekten konnten diesen für sich entscheiden und schlugen vor, das Areal stärker in seine Umgebung einzubetten.

Zusammenhängende Grünräume sollen dabei als Naherholungsraum für eine grössere Umgebung dienen und der Fussgänger- und Radweg unter dem Bahnviadukt neu als verbindender, gedeckter Stras­sen­raum zum identitätsstiftenden Objekt im Quartier werden.

Als Bebauung entwickelte das Planungsteam, abgeleitet von den bestehenden Industrie- und Fabrikbauten der ehemaligen Spinnerei Zwicky, drei Bautypen: schmale hohe Scheiben, fette Blocks und tiefe Hallen. Durch die Setzung dieser gegensätzlichen Haustypen etablierten sie eine Offenheit zum Viadukt und Bestand, gleichzeitig überzeugten sie mit einem dichten Konglomerat sowie ausreichend Flexibilität und Entwicklungspotenzial innerhalb des Areals.

Crux mit dem Lärm

Die optimale Verkehrserschliessung macht das Gebiet höchst attraktiv. So führt die Glattalbahn Linie 12 in wenigen Minuten zum Glattzentrum, zum Bahnhof Stettbach oder in einer Viertelstunde zum Bellevue oder Flughafen, und mit dem Auto ist man in zwei Minuten auf der A1. Handkehrum umzingeln Bahn, Autobahn und ihre Zubringer unmittelbar das Areal, und das Verkehrsrauschen ist allgegenwärtig. Bei der Über­arbeitung des Studienauftrags wurde der Lärm denn auch zur grossen Herausforderung.

Basierend auf computergesteuerten Berechnungen der Lärmemissionen mussten auf städtebaulicher Ebene Bauten neu gesetzt werden, um die zulässigen Werte einhalten zu können. Dabei rückten die grossen Blocks nach innen, und die schmalen, teilweise abgewinkelten Scheibenbauten umschliessen das Gelände enger und kamen neu auch entlang des Viadukts zu stehen. Es entstand eine stärkere Abschottung nach aussen, wobei die ursprünglichen räumlichen Bezüge zum Industrieareal weitgehend verloren gingen oder mehrheitlich nur noch auf der Ebene des Erdgeschosses stattfinden.

Robuste Grundstrukturen – verschiedenste Nutzungsmöglichkeiten

Bei den Gebäuden wurde an den drei Grundtypen festgehalten, die sich in ihrer Kombination ideal ergänzen: Die schmalen Scheiben mit langen Terrassen und Laubengängen und fein aufgereihten Studios, Kleinwohnungen und Familienmaisonetten bilden einen Kranz und schützen die Blocks vor Lärm.

Die massigen Blocks mit Klein- und Mittelbetrieben, Ateliers und verschiedensten Wohnungen stehen für Kompaktheit, Energieeffizienz und soziale Dichte. In den Hallen, die das Erdgeschoss beleben, wird produziert, gelagert, ausgestellt, verkauft und teilweise auch gewohnt.

Bereits im Stu­dienauftrag wurde von den Architekten eine kluge ­Konzeption mit einfachen Strukturen für die jewei­li­gen Bautypen vorgeschlagen und nachgewiesen. Im Verlauf der Planung konnte innerhalb dieser Vielfalt den spezifischen Anforderungen, Nutzungswünschen und Preisvorgaben der unterschiedlichen Endnutzer und Bauherrschaften nachgekommen werden, ohne dass sich dabei das Projekt komplett veränderte.

Lichtdurchflutete Scheiben

In den vier schmalen, rund 10 m tiefen Bauten sind durchgehende oder zweiseitig orientierte Wohnungen angelegt. Somit gelingt es, die Individualzimmer von der Lärmseite abzuwenden und die durchgehenden Wohn-Ess-Räume von zwei Seiten mit ausreichend Tageslicht zu versorgen. Im Süden zum Chriesbach liegen die durchgehenden Wohnungen mit einer schotten­artigen Struktur.

Die eher kleineren (2 ½- und 3 ½-Zimmer-)Wohnungen, die über einen Laubengang effizient erschlossen sind, bestehen aus unterschiedlich breiten Raumschichten, die sich jeweils von Fassade zu Fassade erstrecken, zweiseitig belichtet sind und in ihrer Tiefe ganz unterschiedlich bespielt werden können. ­Gegen die Neugutstrasse und das Bahnviadukt befinden sich die eher grösseren (3 ½- und 4 ½-Zimmer-)Woh­nungen, die direkt über innenliegende Treppenhäuser erschlossen werden.

Bei diesen zweiseitig orientierten Wohnungen liegen sämtliche Individualzimmer zum hofartigen Aussenraum. Je nach Ausrichtung ist der Wohnraum ebenfalls zum Hofraum oder zur lauteren Ostseite hin orientiert. Zusammen mit dem Essbereich und der offenen Küche entsteht ein durchgehender, abgewinkelter Wohn-Ess-Raum, der die beiden Seiten jeweils miteinander verbindet.

Die rötlich eingefärbten Stahlstrukturen der Laubengang- und Balkonkonstruktionen verleihen der Anlage einen industriellen Charakter und werden in Zukunft mit Pflanzen überwachsen sein. An zwei Stellen werden sie zu Brückenterrassen, die zum benachbarten Ge­bäude hinüberspannen und neue Wohnformen und Nachbarschaften evozieren. Eine Idee, die bereits im Studienauftrag vorgeschlagen wurde und letztlich dank der innovativen Weiterverwendung und durch Recyc­ling der ­beiden provisorischen Fussgängerbrücken der Escher-Wyss-Platz-Baustelle im Rahmen der Kosten realisiert werden konnte.

Massige Blocks mit Atrien und Höfen

Die beiden grossen Blocks im Zentrum erinnern spontan mit ihren Abmessungen von rund 30 × 40 m eher an ­effiziente Bürobauten. Die strukturelle Grundkonzeption der Architekten erlaubt, dass in diesen tiefen Häusern Schule, Klein- und Mittelbetriebe sowie Wohnungen möglich sind. Als Reaktion auf die grosse Bautiefe wurden den Bauten jeweils zwei Erschliessungshöfe und ein Lichthof einbeschrieben. Beim südwestlichen Block (Haus 3) der Pensimo wurden die drei Höfe letztendlich zu zwei grösseren zusammengelegt und miteinander verbunden.

Die preisgünstigen und knapp geschnittenen Familienwohnungen sind nach aussen orientiert und entlang der Fassade angeordnet, wobei sich der Wohn-Ess-Raum jeweils zum innenliegenden Hof erstreckt und über diesen zusätzlich belichtet wird.

Demgegenüber wurde beim anderen Block (Haus 5) der Baugenossenschaft Kraftwerk1 an den beiden Erschliessungshöfen und dem Belichtungsatrium festgehalten.

Aus dieser Konstellation lassen sich ganz unterschiedliche und überraschende Wohnungen ableiten, beispielsweise die 170 m² grosse 4 ½-Zimmer-Wohnung, die sich über die gesamte Bautiefe von 31 m erstreckt und über den eher knappen Lichthof belichtet wird, oder die 13 ½-Zimmer-Wohnung, eine Art Mischung aus ­Clusterwohnung und klassischer WG. Dazwischen liegen immer wieder sogenannte Wohnraumerweiterungen, die als Atelier oder Bibliothek nutzbar sind.

Flache Hallen

Der Hallentypus vermittelt zwischen den hohen Bauten und dem Erdgeschoss. Die ein- bis zweigeschossigen Hallen sind als grosse, zusammenhängende Bauten an die Scheiben herangeschoben und dienen als Werkstätten, Manufakturen, Ateliers oder Veloparking und die Dächer als Terrassen.

Die Hallenwohnungen sind schmale Maisonettewohnungen. Mit einem zwei­ge­schossigen Bereich, entweder an der Fassade oder in der Mitte der Wohnung, wird die grosse Bautiefe von 27 m kompensiert und Licht ins Gebäudeinnere gebracht.

Im Obergeschoss verfügt jede Einheit über einen ­privaten Patio, von wo mit einem Oberlicht wiederum Licht ins Erdgeschoss gebracht wird. So entsteht gewissermassen der Charme eines Reihenhauses in Verbindung mit der Flexibilität von urbanen Lofts.

Mit der Überbauung Zwicky-Süd ist im Schnittpunkt der Peripherien Dübendorf und Wallisellen ein neues Stück Stadt entstanden, das heute nach aussen eher verschlossen und abweisend daherkommt. Im ­Gegensatz zu anderen Wohnsiedlungen findet sich aber im dichten Innern der Bebauung eine Vielzahl von erfrischenden Ansätzen bezüglich der Vorstellung von Stadtleben und des Wohnens und Zusammenlebens.

Zum Schluss bleibt die Frage, zu welcher Stadt dieses neue Quartier längerfristig je gehören wird. Oder bleibt es eine Art Insel oder Oase in der Agglo­me­ra­tion an der Linie der Glattalbahn?

TEC21, Sa., 2016.02.27



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