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26. August 2024Karl Gaulhofer
Die Presse

Die Bauten der Bösen: Wer will in Goebbels’ Wanne baden?

Die Stadt Berlin hat vor, das Landhaus des NS-Propagandaministers zu verschenken oder sogar abzureißen, dem Denkmalschutz zum Trotz. Wie geht man anderswo mit den Immobilien von Diktatoren und ihren Schergen um?

Die Stadt Berlin hat vor, das Landhaus des NS-Propagandaministers zu verschenken oder sogar abzureißen, dem Denkmalschutz zum Trotz. Wie geht man anderswo mit den Immobilien von Diktatoren und ihren Schergen um?

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09. Juli 2022Karl Gaulhofer
Spectrum

Was mit uns passiert, wenn berühmte Bauten einstürzen

Der Prozess zur Brücken-Katastrophe soll Genua von seinem Trauma befreien. Paris zittert um den rostigen Eiffelturm. Über Niedergang und Neustart ikonischer Bauwerke.

Der Prozess zur Brücken-Katastrophe soll Genua von seinem Trauma befreien. Paris zittert um den rostigen Eiffelturm. Über Niedergang und Neustart ikonischer Bauwerke.

Zwei Jahre: So kurz soll der Prozess dauern, mit dem die Stadt Genua ihr kollektives Trauma überwinden will – den Einsturz der Autobahnbrücke Ponte Morandi im August 2018, der 43 Menschen das Leben kostete. In nur zwei Jahren soll geklärt sein, ob die Autobahngesellschaft und hohe Beamte in Rom aus Profitgier Gefahren vertuscht haben. Schwere Anschuldigungen, viele Kläger – üblicherweise dauern solche Gerichtsverfahren weit länger. Aber die Frist ist gezielt gesetzt: Nur knapp zwei Jahre dauerte auch der Neubau der Brücke. Die Italiener feierten den Kraftakt als Symbol ihres Widerstandsgeistes: In der Not stehen wir zusammen, lassen uns nicht unterkriegen, krempeln die Ärmel auf und zeigen der Welt, dass wir neu durchstarten können.

Freilich war das nur möglich, weil man den Auftrag ohne Ausschreibung vergab und die Regeln aussetzte, mit denen Italien die Korruption im Bauwesen eindämmen will. Aber der Genueser Stararchitekt Renzo Piano hat für seine Planung ja auch keinen Cent verrechnet.

San Giorgio heißt die neue Brücke, nach dem inoffiziellen Stadtpatron. Ein Kämpfer auch er, der Bezwinger des Drachen. Das Banner des Heiligen – rotes Kreuz auf weißem Grund – flatterte auf den Galeeren, als Genua noch die „Herrscherin der Meere“ war, wie Petrarca schrieb, „prächtig an Menschen und Mauern“. Doch mit dem Niedergang der Schwerindustrie ab den 1970er-Jahren brach ihr das ökonomische Rückgrat. Der Hafen verlor an Bedeutung, aus der stolzen wurde eine sieche Stadt, der 260.000 Bewohner den Rücken kehrten. Im Einsturz der Brücke sahen viele den Todesstoß. Der Ponte San Giorgio dient nun als Symbol einer ersehnten Neugeburt.

Eiffel würde „in Ohnmacht fallen“

Wie sehr ikonische Bauwerke mit kollektivem Traum und Trauma, Stolz und Sorgen verbunden sind, zeigt sich soeben auch in Frankreich. „Werden wir den Eiffelturm einstürzen sehen?“, fragt das Magazin „Marianne“ in seiner jüngsten Ausgabe. Das Wahrzeichen von Paris ist von Rost zerfressen, haben die Aufdecker aus geheimen Berichten erfahren. Gustave Eiffel würde „in Ohnmacht fallen“, zitiert das Blatt einen Insider. Hatte doch der Ingenieur geschrieben: „Der Anstrich ist das Wichtigste für die Erhaltung eines metallischen Werks, und die darauf verwendete Sorgfalt die einzige Garantie, dass es die Zeiten überdauert.“

Schon 20 Mal hat man die Streben neu gestrichen, in modisch wechselnden Farben. Aber nie wurde in jüngerer Zeit der alte Lack entfernt, das gesamte Eisenfachwerk abgebeizt. Denn dafür müsste die Betreibergesellschaft den Turm länger schließen. Und das wäre – bei sechs Millionen Besuchern pro Jahr, die zum Vollpreis je 27 Euro zahlen – ein gewaltiger Umsatzentgang. Das Überpinseln mit immer neuen Schichten aber führt zu Spannungen, Rissen, Abblättern, bis mit dem Wasser der Rost eintritt und das Eisen aushöhlt wie Termiten das Holz.

Noch hält ein Teil der alten Schichten, so bald wird der Eiffelturm also nicht in sich zusammenbrechen. Aber die Aufregung zeigt, welche Emotionen mit der Vorstellung verbunden sind – als wäre es das Ende Frankreichs.

Die ganze Welt war bestürzt, als sich –mit der Katze des Kustoden als einzigem Opfer – 1902 der Markusturm in Venedig auf einen Schutthaufen reduzierte. Ein Menetekel für die anbrechende Moderne: Am tausendjährigen Fundament der Pfähle lag es nicht. Der geplante Aufzug war schuld – um ihn installieren zu können, hatte man im Inneren des Turmes Metallanker entfernt. Wohl auch deshalb beschloss der Stadtrat sofort, den Campanile wiederaufzubauen, „com'era e dov'era“, wie und wo er war. Zum Missfallen von Otto Wagner: Auch der „moderne Stil“ solle am Markusplatz vertreten sein, meinte der Wiener Architekt. Der gar nicht so alte Turm habe ohnehin „die Harmonie und Ästhetik des Platzes verdorben“.

Die Gelegenheit zum Wandel tatsächlich genutzt haben die Westberliner, als 1980 ein Teil ihrer Kongresshalle einstürzte. Als „schwangere Auster“ war diese bekannt, wegen ihrer spektakulären Aufwölbung, aber auch als Symbol für die deutsch-amerikanische Freundschaft. Diese war gegen Ende des Kalten Krieges durch die Friedensbewegung angekratzt. Und so hat man mit dem Wiederaufbau die Agenda zu einem global orientierten „Haus der Kulturen“ erweitert.

Symbole der Hybris

Oft wurden einstürzende Prunkbauten auch als Symbol der Hybris punziert. Davon ausgenommen war just jene Epoche, in der die Tragstruktur am häufigsten versagte: Beim Bau der gotischen Kathedralen krachte es ständig irgendwo. Aber die Bischöfe hielten es eben für ein gottgefälliges Werk, gen Himmel zu streben, immer höher, schlanker und heller, um sich gegenseitig zu übertrumpfen und christliche Weltwunder zu schaffen, die alle antiken verblassen lassen.

Zudem waren sie bibelfest und wussten: Auch der Turm von Babel stürzte nicht ein. Er verfiel zur Ruine, nachdem die Arbeiter einander durch göttlich induzierte Sprachverwirrung nicht mehr verstanden und die Baustelle aufgeben mussten. Erst der jüdische Historiker Flavius Josephus verbreitete später die Legende vom Sturm, der den zu hohen Turm umgehauen habe.

So oder so: Die historischen Fakten waren anders. Der 91 Meter hohe, pyramidenförmige Tempelturm, auf den sich das Alte Testament bezieht, war keinem frevlerischen König geschuldet, der sich aufs Niveau der Götter hieven wollte. Vielmehr wollten, wie Herodot uns aufklärt, fromme Baumeister den Gottheiten ermöglichen, zuweilen herabzusteigen, um die Nacht mit einer Priesterin zu verbringen. Was für ein Missverständnis!

Spectrum, Sa., 2022.07.09

20. Juli 2021Karl Gaulhofer
Die Presse

Architektin Ellen van Loon: „Das Leiner-Haus sah schlimm aus“

Sie baut Benkos Kaufhaus in der Mariahilfer Straße: Die Niederländerin Ellen van Loon über fehlende Impulse für Wien, die Zukunft des Shoppens und Kunst im Schaufenster.

Sie baut Benkos Kaufhaus in der Mariahilfer Straße: Die Niederländerin Ellen van Loon über fehlende Impulse für Wien, die Zukunft des Shoppens und Kunst im Schaufenster.

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30. Juni 2021Karl Gaulhofer
Die Presse

Macht dieser Turm aus Arles ein neues Bilbao?

Die Schweizer Roche-Erbin Maja Hoffmann hat in der provenzalischen Kleinstadt mit Hunderten Millionen Euro eines der größten Kulturzentren der Welt geschaffen. Das 56 Meter hohe Wahrzeichen dazu setzte Frank Gehry.

Die Schweizer Roche-Erbin Maja Hoffmann hat in der provenzalischen Kleinstadt mit Hunderten Millionen Euro eines der größten Kulturzentren der Welt geschaffen. Das 56 Meter hohe Wahrzeichen dazu setzte Frank Gehry.

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22. Januar 2021Karl Gaulhofer
Spectrum

In welchem Stil soll der Staat bauen?

Putin lässt sich einen geheimen Palast errichten, Trump hat gerade noch rechtzeitig das Dekret zu „schöneren Bundesgebäuden“ unterschrieben. Kein Anlass für Spott: Weltweit fehlt eine Formensprache für die moderne Demokratie.

Putin lässt sich einen geheimen Palast errichten, Trump hat gerade noch rechtzeitig das Dekret zu „schöneren Bundesgebäuden“ unterschrieben. Kein Anlass für Spott: Weltweit fehlt eine Formensprache für die moderne Demokratie.

Wie geht es weiter mit Amerika? Und wie mit den Heimtextilien im Weißen Haus? Vor vier Jahren ließ Donald Trump gleich nach seinem Einzug goldene Vorhänge anbringen, und viele feinsinnige Ästheten seufzten: Das kommt davon, wenn man einen geschmacksfreien Parvenü zum Präsidenten wählt. Soeben wurde Joe Biden als neuer Hausherr inauguriert, er hat wohl dringlichere Sorgen als seine Vorhänge. Aber ein Farbwechsel wäre ein wichtiges Symbol – wie so vieles, was mit staatstragendem Bauen und Wohnen zu tun hat.

Trump jedenfalls zieht jetzt ganz zu den reichen Pensionisten nach Florida. Seine Villa Mar-a-Lago in Palm Beach ist eine bauliche Narretei aus den Zwanzigerjahren: außen überdrehter spanischer Kolonialstil mit Türmchen und Loggien, innen wuchtige Neogotik und glitzernder Tand.

Aber doch nur eine Portiersloge im Vergleich zu Putins geheimen Palast an der Schwarzmeerküste, der uns dank des Drohnen-Videos seines Widersachers Alexej Nawalny gerade in Schauer versetzt – durch seine monströsen Dimensionen, nicht wegen seines „italienischen Designs“.

Aber was soll's: Autokraten, Tyrannen und ihre Lehrlinge waren immer schon Bauherren ohne Maß und Stil – von Nero über Ceausescu und Saddam Hussein bis zum türkischen Großmaul Erdoğan.

Auch Biden mag es lieber traditionell

Mehr zu denken gibt jenes Dekret, das Trump kurz vor seinem Abgang unterzeichnet hat. Es schreibt vor, dass alle US-Bundesgebäude – rund 300.000 an der Zahl – nur noch im „schönen“ neoklassizistischen Stil errichtet und renoviert werden dürfen. Einzig Säulen, Tempelfronten, Kolonnaden und Ziergiebel seien der Nation würdig, und ihr Anblick soll Trumps dauerhaftes Vermächtnis bleiben. Architekturkritiker fürchten, dass Biden, der für seinen konservativen Geschmack bekannt ist, diesen „Executive Order“ seines Vorgängers nicht wie manch anderen einfach vom Tisch wischt.

Zumal es die Gründerväter ja gut meinten. Auf der Suche nach einer Formensprache für ihre aus dem fremden Boden gestampften Republik griffen sie auf den Baukasten der antiken Demokratien in Athen und Rom zurück. Er sollte für Freiheit und Gleichheit stehen. Aber im Gepäck hatten ihn auch Europas koloniale Eroberer, Sklavenhalter in den Südstaaten und Diktatoren. Und so hat er seine Unschuld verloren.

Geschlossene Wände und steile Stufen mögen machtvoll repräsentieren, aber sie schüchtern uns ein. Für unser ästhetisches Empfinden hat sich das Kapitol schon längst in eine Trutzburg verwandelt, politisch erst jüngst – für beide Seiten: die Trump-Anhänger, die es erstürmen wollten, und ihre Gegner, die es verteidigen mussten. Aber es sorgt damit bei den Amerikanern wohl für umso mehr „Bewunderung“, wird auch baulich als wertvoll und „schön“ empfunden – und auf diesen „Geschmack des Volkes“ konnte sich Trumps Dekret berufen.

Wie sich die Parlamente gleichen

Hat die moderne Demokratie die ihr adäquaten baulichen Ausdrucksformen noch immer nicht gefunden? Zu diesem Fazit kam der Österreich-Beitrag auf der Architekturbiennale in Venedig von 2014. Christian Kühn zeigte dort Miniaturmodelle aller rund 200 Parlamente weltweit – überwiegend klassizistische Bauten, obwohl die meisten erst nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden sind. Es macht auch keinen Unterschied, ob ein Parlament zu einer lupenreinen Demokratie gehört oder als Feigenblatt einer Diktatur dient: Die Exemplare von Finnland und Nordkorea ähneln sich frappant.

Weil es nur um die Kulisse geht, um Form statt Funktion. Staatliche Bauten sollen Erhabenheit ausstrahlen, dem Nationalstolz schmeicheln. Mit ein Grund, warum die Russen ihren Zaren Putin nicht zum Teufel jagen: Mag er auch sein Luxusleben mit Steuergeldern finanzieren – sein klandestiner Palast zeigt doch der Welt, was für eine großartige Nation Russland immer noch ist.

Auf Grandeur setzt auch Frankreich: Wie ein König residiert der Präsident im Élysée-Palast. François Mitterrand rechtfertigte seine megalomanische Bauwut damit, dass es „eine direkte Verbindung zwischen der Größe der Architektur“ und „der Größe eins Volkes“ gebe. Auf eine augenzwinkernde Arbeitsteilung setzen hingegen die Briten: Für das nötige Pathos in Stein sorgt der Buckingham Palace ihrer Marionettenmonarchin, die Macht aber sitzt im Reihenhäuschen Downing Street 10. Sonderlich gute Architektur bieten freilich beide Adressen nicht.

Die Brasilianer entwarfen das Regierungsviertel ihrer zukunftsfrohen Hauptstadt Brasilia am Reißbrett – aber beim zentralen Kongressgebäude zeigte auch der geniale Oscar Niemeyer zu viel Respekt: Es blieb bei zwei nüchternen Hochhäusern, die stramm wie Gardesoldaten nebeneinander stehen.

Deutschland als Vorbild

Lässt sich wenigstens von den Deutschen lernen? Krieg und Schuld hatten ihnen die kollektive Großmannssucht gründlich ausgetrieben. Und so machten sie, mitten im Wirtschaftswunder, Bonn zu einem geradezu aufreizend bescheidenen Regierungssitz. Sollte ja auch nur ein Provisorium sein. Aber immerhin ist dort mit dem Kanzlerbungalow eine kleine Ikone der Moderne geglückt. Die schwerelos wirkende Stahlskelettkonstruktion auf Stützen, mit Flachdach, vielen Glasfronten und flexibler Raumaufteilung verkörpert die Werte einer modernen Demokratie: Offenheit, Teilhabe, Wille zur Veränderung.

Etwas von diesem Geist ist mit nach Berlin übersiedelt, wo er sich großzügiger und gestaltenreicher entfalten darf – am sinnfälligsten in Norman Fosters gläserner Reichstagskuppel, wo das Volk über seinen Vertretern steht und sie, sofern schwindelfrei, nach Herzenslust kontrollieren kann.

Als Hillary Clinton sich als Außenministerin verabschiedete, verglich sie die Nachkriegsordnung mit der nicht mehr zeitgemäßen Architektur des Parthenons. Wir brauchten, sagte sie, „mehr Frank Gehry statt feierlicher Antike“, denn „wo einst ein paar starke Säulen das Gewicht der Welt tragen konnten, braucht es heute einen dynamischen Mix von Materialien und Strukturen”. Trump, dem sie unterlag, setzte auf schlichtere Qualitäten: „Keiner baut Mauern besser als ich.“ Aber das ist nun gottlob vorbei.

Spectrum, Fr., 2021.01.22

13. Juni 2013Karl Gaulhofer
Die Presse

Ein Schloss schließt die Berliner Wunde

Der Grundstein ist gelegt, nach vielen Stolpersteinen. Bis 2019 soll das Berliner Stadtschloss wieder auferstanden sein. Hinter der historischen Kulisse, die viele Architekten für kleinlich halten, steckt eine große Vision.

Der Grundstein ist gelegt, nach vielen Stolpersteinen. Bis 2019 soll das Berliner Stadtschloss wieder auferstanden sein. Hinter der historischen Kulisse, die viele Architekten für kleinlich halten, steckt eine große Vision.

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Presseschau 12

26. August 2024Karl Gaulhofer
Die Presse

Die Bauten der Bösen: Wer will in Goebbels’ Wanne baden?

Die Stadt Berlin hat vor, das Landhaus des NS-Propagandaministers zu verschenken oder sogar abzureißen, dem Denkmalschutz zum Trotz. Wie geht man anderswo mit den Immobilien von Diktatoren und ihren Schergen um?

Die Stadt Berlin hat vor, das Landhaus des NS-Propagandaministers zu verschenken oder sogar abzureißen, dem Denkmalschutz zum Trotz. Wie geht man anderswo mit den Immobilien von Diktatoren und ihren Schergen um?

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09. Juli 2022Karl Gaulhofer
Spectrum

Was mit uns passiert, wenn berühmte Bauten einstürzen

Der Prozess zur Brücken-Katastrophe soll Genua von seinem Trauma befreien. Paris zittert um den rostigen Eiffelturm. Über Niedergang und Neustart ikonischer Bauwerke.

Der Prozess zur Brücken-Katastrophe soll Genua von seinem Trauma befreien. Paris zittert um den rostigen Eiffelturm. Über Niedergang und Neustart ikonischer Bauwerke.

Zwei Jahre: So kurz soll der Prozess dauern, mit dem die Stadt Genua ihr kollektives Trauma überwinden will – den Einsturz der Autobahnbrücke Ponte Morandi im August 2018, der 43 Menschen das Leben kostete. In nur zwei Jahren soll geklärt sein, ob die Autobahngesellschaft und hohe Beamte in Rom aus Profitgier Gefahren vertuscht haben. Schwere Anschuldigungen, viele Kläger – üblicherweise dauern solche Gerichtsverfahren weit länger. Aber die Frist ist gezielt gesetzt: Nur knapp zwei Jahre dauerte auch der Neubau der Brücke. Die Italiener feierten den Kraftakt als Symbol ihres Widerstandsgeistes: In der Not stehen wir zusammen, lassen uns nicht unterkriegen, krempeln die Ärmel auf und zeigen der Welt, dass wir neu durchstarten können.

Freilich war das nur möglich, weil man den Auftrag ohne Ausschreibung vergab und die Regeln aussetzte, mit denen Italien die Korruption im Bauwesen eindämmen will. Aber der Genueser Stararchitekt Renzo Piano hat für seine Planung ja auch keinen Cent verrechnet.

San Giorgio heißt die neue Brücke, nach dem inoffiziellen Stadtpatron. Ein Kämpfer auch er, der Bezwinger des Drachen. Das Banner des Heiligen – rotes Kreuz auf weißem Grund – flatterte auf den Galeeren, als Genua noch die „Herrscherin der Meere“ war, wie Petrarca schrieb, „prächtig an Menschen und Mauern“. Doch mit dem Niedergang der Schwerindustrie ab den 1970er-Jahren brach ihr das ökonomische Rückgrat. Der Hafen verlor an Bedeutung, aus der stolzen wurde eine sieche Stadt, der 260.000 Bewohner den Rücken kehrten. Im Einsturz der Brücke sahen viele den Todesstoß. Der Ponte San Giorgio dient nun als Symbol einer ersehnten Neugeburt.

Eiffel würde „in Ohnmacht fallen“

Wie sehr ikonische Bauwerke mit kollektivem Traum und Trauma, Stolz und Sorgen verbunden sind, zeigt sich soeben auch in Frankreich. „Werden wir den Eiffelturm einstürzen sehen?“, fragt das Magazin „Marianne“ in seiner jüngsten Ausgabe. Das Wahrzeichen von Paris ist von Rost zerfressen, haben die Aufdecker aus geheimen Berichten erfahren. Gustave Eiffel würde „in Ohnmacht fallen“, zitiert das Blatt einen Insider. Hatte doch der Ingenieur geschrieben: „Der Anstrich ist das Wichtigste für die Erhaltung eines metallischen Werks, und die darauf verwendete Sorgfalt die einzige Garantie, dass es die Zeiten überdauert.“

Schon 20 Mal hat man die Streben neu gestrichen, in modisch wechselnden Farben. Aber nie wurde in jüngerer Zeit der alte Lack entfernt, das gesamte Eisenfachwerk abgebeizt. Denn dafür müsste die Betreibergesellschaft den Turm länger schließen. Und das wäre – bei sechs Millionen Besuchern pro Jahr, die zum Vollpreis je 27 Euro zahlen – ein gewaltiger Umsatzentgang. Das Überpinseln mit immer neuen Schichten aber führt zu Spannungen, Rissen, Abblättern, bis mit dem Wasser der Rost eintritt und das Eisen aushöhlt wie Termiten das Holz.

Noch hält ein Teil der alten Schichten, so bald wird der Eiffelturm also nicht in sich zusammenbrechen. Aber die Aufregung zeigt, welche Emotionen mit der Vorstellung verbunden sind – als wäre es das Ende Frankreichs.

Die ganze Welt war bestürzt, als sich –mit der Katze des Kustoden als einzigem Opfer – 1902 der Markusturm in Venedig auf einen Schutthaufen reduzierte. Ein Menetekel für die anbrechende Moderne: Am tausendjährigen Fundament der Pfähle lag es nicht. Der geplante Aufzug war schuld – um ihn installieren zu können, hatte man im Inneren des Turmes Metallanker entfernt. Wohl auch deshalb beschloss der Stadtrat sofort, den Campanile wiederaufzubauen, „com'era e dov'era“, wie und wo er war. Zum Missfallen von Otto Wagner: Auch der „moderne Stil“ solle am Markusplatz vertreten sein, meinte der Wiener Architekt. Der gar nicht so alte Turm habe ohnehin „die Harmonie und Ästhetik des Platzes verdorben“.

Die Gelegenheit zum Wandel tatsächlich genutzt haben die Westberliner, als 1980 ein Teil ihrer Kongresshalle einstürzte. Als „schwangere Auster“ war diese bekannt, wegen ihrer spektakulären Aufwölbung, aber auch als Symbol für die deutsch-amerikanische Freundschaft. Diese war gegen Ende des Kalten Krieges durch die Friedensbewegung angekratzt. Und so hat man mit dem Wiederaufbau die Agenda zu einem global orientierten „Haus der Kulturen“ erweitert.

Symbole der Hybris

Oft wurden einstürzende Prunkbauten auch als Symbol der Hybris punziert. Davon ausgenommen war just jene Epoche, in der die Tragstruktur am häufigsten versagte: Beim Bau der gotischen Kathedralen krachte es ständig irgendwo. Aber die Bischöfe hielten es eben für ein gottgefälliges Werk, gen Himmel zu streben, immer höher, schlanker und heller, um sich gegenseitig zu übertrumpfen und christliche Weltwunder zu schaffen, die alle antiken verblassen lassen.

Zudem waren sie bibelfest und wussten: Auch der Turm von Babel stürzte nicht ein. Er verfiel zur Ruine, nachdem die Arbeiter einander durch göttlich induzierte Sprachverwirrung nicht mehr verstanden und die Baustelle aufgeben mussten. Erst der jüdische Historiker Flavius Josephus verbreitete später die Legende vom Sturm, der den zu hohen Turm umgehauen habe.

So oder so: Die historischen Fakten waren anders. Der 91 Meter hohe, pyramidenförmige Tempelturm, auf den sich das Alte Testament bezieht, war keinem frevlerischen König geschuldet, der sich aufs Niveau der Götter hieven wollte. Vielmehr wollten, wie Herodot uns aufklärt, fromme Baumeister den Gottheiten ermöglichen, zuweilen herabzusteigen, um die Nacht mit einer Priesterin zu verbringen. Was für ein Missverständnis!

Spectrum, Sa., 2022.07.09

20. Juli 2021Karl Gaulhofer
Die Presse

Architektin Ellen van Loon: „Das Leiner-Haus sah schlimm aus“

Sie baut Benkos Kaufhaus in der Mariahilfer Straße: Die Niederländerin Ellen van Loon über fehlende Impulse für Wien, die Zukunft des Shoppens und Kunst im Schaufenster.

Sie baut Benkos Kaufhaus in der Mariahilfer Straße: Die Niederländerin Ellen van Loon über fehlende Impulse für Wien, die Zukunft des Shoppens und Kunst im Schaufenster.

Hinweis: Leider können Sie den vollständigen Artikel nicht in nextroom lesen. Sie haben jedoch die Möglichkeit, diesen im „Die Presse“ Archiv abzurufen. Vollständigen Artikel anssehen

30. Juni 2021Karl Gaulhofer
Die Presse

Macht dieser Turm aus Arles ein neues Bilbao?

Die Schweizer Roche-Erbin Maja Hoffmann hat in der provenzalischen Kleinstadt mit Hunderten Millionen Euro eines der größten Kulturzentren der Welt geschaffen. Das 56 Meter hohe Wahrzeichen dazu setzte Frank Gehry.

Die Schweizer Roche-Erbin Maja Hoffmann hat in der provenzalischen Kleinstadt mit Hunderten Millionen Euro eines der größten Kulturzentren der Welt geschaffen. Das 56 Meter hohe Wahrzeichen dazu setzte Frank Gehry.

Hinweis: Leider können Sie den vollständigen Artikel nicht in nextroom lesen. Sie haben jedoch die Möglichkeit, diesen im „Die Presse“ Archiv abzurufen. Vollständigen Artikel anssehen

22. Januar 2021Karl Gaulhofer
Spectrum

In welchem Stil soll der Staat bauen?

Putin lässt sich einen geheimen Palast errichten, Trump hat gerade noch rechtzeitig das Dekret zu „schöneren Bundesgebäuden“ unterschrieben. Kein Anlass für Spott: Weltweit fehlt eine Formensprache für die moderne Demokratie.

Putin lässt sich einen geheimen Palast errichten, Trump hat gerade noch rechtzeitig das Dekret zu „schöneren Bundesgebäuden“ unterschrieben. Kein Anlass für Spott: Weltweit fehlt eine Formensprache für die moderne Demokratie.

Wie geht es weiter mit Amerika? Und wie mit den Heimtextilien im Weißen Haus? Vor vier Jahren ließ Donald Trump gleich nach seinem Einzug goldene Vorhänge anbringen, und viele feinsinnige Ästheten seufzten: Das kommt davon, wenn man einen geschmacksfreien Parvenü zum Präsidenten wählt. Soeben wurde Joe Biden als neuer Hausherr inauguriert, er hat wohl dringlichere Sorgen als seine Vorhänge. Aber ein Farbwechsel wäre ein wichtiges Symbol – wie so vieles, was mit staatstragendem Bauen und Wohnen zu tun hat.

Trump jedenfalls zieht jetzt ganz zu den reichen Pensionisten nach Florida. Seine Villa Mar-a-Lago in Palm Beach ist eine bauliche Narretei aus den Zwanzigerjahren: außen überdrehter spanischer Kolonialstil mit Türmchen und Loggien, innen wuchtige Neogotik und glitzernder Tand.

Aber doch nur eine Portiersloge im Vergleich zu Putins geheimen Palast an der Schwarzmeerküste, der uns dank des Drohnen-Videos seines Widersachers Alexej Nawalny gerade in Schauer versetzt – durch seine monströsen Dimensionen, nicht wegen seines „italienischen Designs“.

Aber was soll's: Autokraten, Tyrannen und ihre Lehrlinge waren immer schon Bauherren ohne Maß und Stil – von Nero über Ceausescu und Saddam Hussein bis zum türkischen Großmaul Erdoğan.

Auch Biden mag es lieber traditionell

Mehr zu denken gibt jenes Dekret, das Trump kurz vor seinem Abgang unterzeichnet hat. Es schreibt vor, dass alle US-Bundesgebäude – rund 300.000 an der Zahl – nur noch im „schönen“ neoklassizistischen Stil errichtet und renoviert werden dürfen. Einzig Säulen, Tempelfronten, Kolonnaden und Ziergiebel seien der Nation würdig, und ihr Anblick soll Trumps dauerhaftes Vermächtnis bleiben. Architekturkritiker fürchten, dass Biden, der für seinen konservativen Geschmack bekannt ist, diesen „Executive Order“ seines Vorgängers nicht wie manch anderen einfach vom Tisch wischt.

Zumal es die Gründerväter ja gut meinten. Auf der Suche nach einer Formensprache für ihre aus dem fremden Boden gestampften Republik griffen sie auf den Baukasten der antiken Demokratien in Athen und Rom zurück. Er sollte für Freiheit und Gleichheit stehen. Aber im Gepäck hatten ihn auch Europas koloniale Eroberer, Sklavenhalter in den Südstaaten und Diktatoren. Und so hat er seine Unschuld verloren.

Geschlossene Wände und steile Stufen mögen machtvoll repräsentieren, aber sie schüchtern uns ein. Für unser ästhetisches Empfinden hat sich das Kapitol schon längst in eine Trutzburg verwandelt, politisch erst jüngst – für beide Seiten: die Trump-Anhänger, die es erstürmen wollten, und ihre Gegner, die es verteidigen mussten. Aber es sorgt damit bei den Amerikanern wohl für umso mehr „Bewunderung“, wird auch baulich als wertvoll und „schön“ empfunden – und auf diesen „Geschmack des Volkes“ konnte sich Trumps Dekret berufen.

Wie sich die Parlamente gleichen

Hat die moderne Demokratie die ihr adäquaten baulichen Ausdrucksformen noch immer nicht gefunden? Zu diesem Fazit kam der Österreich-Beitrag auf der Architekturbiennale in Venedig von 2014. Christian Kühn zeigte dort Miniaturmodelle aller rund 200 Parlamente weltweit – überwiegend klassizistische Bauten, obwohl die meisten erst nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden sind. Es macht auch keinen Unterschied, ob ein Parlament zu einer lupenreinen Demokratie gehört oder als Feigenblatt einer Diktatur dient: Die Exemplare von Finnland und Nordkorea ähneln sich frappant.

Weil es nur um die Kulisse geht, um Form statt Funktion. Staatliche Bauten sollen Erhabenheit ausstrahlen, dem Nationalstolz schmeicheln. Mit ein Grund, warum die Russen ihren Zaren Putin nicht zum Teufel jagen: Mag er auch sein Luxusleben mit Steuergeldern finanzieren – sein klandestiner Palast zeigt doch der Welt, was für eine großartige Nation Russland immer noch ist.

Auf Grandeur setzt auch Frankreich: Wie ein König residiert der Präsident im Élysée-Palast. François Mitterrand rechtfertigte seine megalomanische Bauwut damit, dass es „eine direkte Verbindung zwischen der Größe der Architektur“ und „der Größe eins Volkes“ gebe. Auf eine augenzwinkernde Arbeitsteilung setzen hingegen die Briten: Für das nötige Pathos in Stein sorgt der Buckingham Palace ihrer Marionettenmonarchin, die Macht aber sitzt im Reihenhäuschen Downing Street 10. Sonderlich gute Architektur bieten freilich beide Adressen nicht.

Die Brasilianer entwarfen das Regierungsviertel ihrer zukunftsfrohen Hauptstadt Brasilia am Reißbrett – aber beim zentralen Kongressgebäude zeigte auch der geniale Oscar Niemeyer zu viel Respekt: Es blieb bei zwei nüchternen Hochhäusern, die stramm wie Gardesoldaten nebeneinander stehen.

Deutschland als Vorbild

Lässt sich wenigstens von den Deutschen lernen? Krieg und Schuld hatten ihnen die kollektive Großmannssucht gründlich ausgetrieben. Und so machten sie, mitten im Wirtschaftswunder, Bonn zu einem geradezu aufreizend bescheidenen Regierungssitz. Sollte ja auch nur ein Provisorium sein. Aber immerhin ist dort mit dem Kanzlerbungalow eine kleine Ikone der Moderne geglückt. Die schwerelos wirkende Stahlskelettkonstruktion auf Stützen, mit Flachdach, vielen Glasfronten und flexibler Raumaufteilung verkörpert die Werte einer modernen Demokratie: Offenheit, Teilhabe, Wille zur Veränderung.

Etwas von diesem Geist ist mit nach Berlin übersiedelt, wo er sich großzügiger und gestaltenreicher entfalten darf – am sinnfälligsten in Norman Fosters gläserner Reichstagskuppel, wo das Volk über seinen Vertretern steht und sie, sofern schwindelfrei, nach Herzenslust kontrollieren kann.

Als Hillary Clinton sich als Außenministerin verabschiedete, verglich sie die Nachkriegsordnung mit der nicht mehr zeitgemäßen Architektur des Parthenons. Wir brauchten, sagte sie, „mehr Frank Gehry statt feierlicher Antike“, denn „wo einst ein paar starke Säulen das Gewicht der Welt tragen konnten, braucht es heute einen dynamischen Mix von Materialien und Strukturen”. Trump, dem sie unterlag, setzte auf schlichtere Qualitäten: „Keiner baut Mauern besser als ich.“ Aber das ist nun gottlob vorbei.

Spectrum, Fr., 2021.01.22

13. Juni 2013Karl Gaulhofer
Die Presse

Ein Schloss schließt die Berliner Wunde

Der Grundstein ist gelegt, nach vielen Stolpersteinen. Bis 2019 soll das Berliner Stadtschloss wieder auferstanden sein. Hinter der historischen Kulisse, die viele Architekten für kleinlich halten, steckt eine große Vision.

Der Grundstein ist gelegt, nach vielen Stolpersteinen. Bis 2019 soll das Berliner Stadtschloss wieder auferstanden sein. Hinter der historischen Kulisse, die viele Architekten für kleinlich halten, steckt eine große Vision.

Hinweis: Leider können Sie den vollständigen Artikel nicht in nextroom lesen. Sie haben jedoch die Möglichkeit, diesen im „Die Presse“ Archiv abzurufen. Vollständigen Artikel anssehen

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