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19. April 2013Martin Lachmann
TEC21

Schall und Elektronen

Seit einem Jahrhundert erfolgt die elektroakustische Schallwiedergabe nach demselben bewährten Prinzip. Die Gesetze der Akustik setzten der Beschallung realer Räume bisher aber enge Grenzen. Durch die Verknüpfung konventioneller Lautsprecher mit digitaler Ansteuerung ist die Elektroakustik heute in der Lage, Schall nach Wunsch auszurichten und zu konzentrieren oder Reflexionen zu erzeugen. Die Wellenfeldsynthese macht virtuelle Schallquellen ausserhalb eines Raums hörbar und lokalisierbar, was vollkommen neue Möglichkeiten für die akustische Raumgestaltung eröffnet.

Seit einem Jahrhundert erfolgt die elektroakustische Schallwiedergabe nach demselben bewährten Prinzip. Die Gesetze der Akustik setzten der Beschallung realer Räume bisher aber enge Grenzen. Durch die Verknüpfung konventioneller Lautsprecher mit digitaler Ansteuerung ist die Elektroakustik heute in der Lage, Schall nach Wunsch auszurichten und zu konzentrieren oder Reflexionen zu erzeugen. Die Wellenfeldsynthese macht virtuelle Schallquellen ausserhalb eines Raums hörbar und lokalisierbar, was vollkommen neue Möglichkeiten für die akustische Raumgestaltung eröffnet.

Die Elektroakustik befasst sich mit der Aufnahme und Wiedergabe von Schall mithilfe von elektrischen Systemen. Sichtbare Komponenten dieser Technik sind Mikrofone und Lautsprecher. Sie sind die Schnittstellen zwischen der Welt der Akustik (vgl. TEC21 11/2012 «Hall und Aura»), in der sich der Schall meist in der Luft fortpflanzt, und der Welt der Elektrotechnik und der Elektronik, in der sich Elektronen in Leitern und Halbleitern bewegen.

Im Kontext der Architektur interessiert vor allem die Wiedergabeseite der Elektroakustik, die Lautsprecher- beziehungsweise Beschallungstechnik. Lautsprecherinstallationen begegnen uns in allen Lebensbereichen – vom Kleinlautsprecher im Mobiltelefon über die Durchsageanlage im Bahnhof bis zur Beschallungsanlage an einem Konzert oder in einer Klangkunstinstallation im Museum (Abb. 01).

Gleiches Prinzip wie vor hundert Jahren

Der grösste Teil der heute in der Beschallungstechnik verwendeten, mannigfaltig ausgebildeten Lautsprecher basiert immer noch auf dem «Urprinzip» des elektrodynamischen Lautsprechers, wie es vor über 100 Jahren zum Patent angemeldet wurde[1] (vgl. Kasten Seite 28). Zwar wurde die konstruktive Ausführung kontinuierlich verfeinert und kommen in grossem Umfang Hightech-Materialien zum Einsatz, was zu einer enormen Steigerung der Wiedergabequalität geführt hat – die grundsätzlichen Bauelemente, ihre Funktion und Wirkungsweise sind aber praktisch unverändert geblieben. Die Signalkette von Geräten zwischen Mikrofon und Lautsprecher ist heute weitgehend digitalisiert und unterscheidet sich grundsätzlich von der noch vor kurzer Zeit gebräuchlichen Analogtechnik. Mikrofone und Lautsprecher selbst basieren hingegen immer noch auf denselben Prinzipien wie zur Zeit ihrer ersten praktischen Anwendungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts (vgl. Kasten S. 22 und Abb. 03, S. 21). Die Herstellung von qualitativ hochwertigen Lautsprechern und Mikrofonen ist nach wie vor sehr aufwendig, gute Produkte sind entsprechend teuer.

Die technischen Grundlagen der modernen Beschallungstechnik wurden, getrieben auch von den Anforderungen des weltweiten Wettrüstens, während des Ersten Weltkriegs gelegt. Bereits 1919 sprach der amerikanische Präsident Woodrow Wilson in einem Stadion in San Diego mithilfe einer elektroakustischen Beschallungsanlage zu über 50 000 Personen. In den 1920er- und 1930er-Jahren war dann Deutschland in der physikalischen Forschung und Entwicklung weltweit führend, und wieder löste die militärische Aufrüstung einen ungeahnten Aufschwung der noch jungen Elektroakustik aus. Von enormen Grossbeschallungsanlagen für Parteiaufmärsche (Abb. 02) bis hin zum «Volksempfänger»-Radio in allen deutschen Haushalten setzte das NS-Regime (und in Italien die Faschisten) die Elektroakustik zur Verbreitung von Propaganda ein.

Die weitere Entwicklung der Qualität von Lautsprechersystemen ist bis heute asymptotisch verlaufen; nach einer rasanten Steigerung in der ersten Zeit stieg die Wiedergabequalität nur noch langsam an. Bereits in den 1950er- und 1960er-Jahren existierten Lautsprechersysteme mit einer Klangqualität, die mit derjenigen von heutigen Systemen vergleichbar ist.

Digital angesteuerte Zeilenlautsprecher

Die bestehenden Technologien in der Beschallungstechnik werden beständig weiterentwickelt, grundsätzlich neue Entwicklungen gibt es aber kaum. Manchmal erleben seit langer Zeit bekannte Prinzipien wie etwa die gegenwärtig verbreiteten Zeilenlautsprecher ein Revival. Ihr Prinzip ist schon aus den Anfangsjahren der Elektroakustik bekannt: Mehrere identische Lautsprecher werden in linearer Anordnung übereinander montiert, um so die Schallverteilung durch Interferenz gezielt zu beeinflussen. In der Regel wird dabei eine breite horizontale und eine schmale vertikale Schallabstrahlung angestrebt. Während vieler Jahre wurden nach diesem Prinzip aufgebaute Lautsprechersysteme fast nur für Sprachbeschallungen, etwa in Kirchen oder Hörsälen, eingesetzt.

Die Kombination der traditionellen Lautsprechertechnik mit digitaler Ansteuerung hat in den letzten Jahren ein grosses Comeback der Zeilenlautsprechersysteme ausgelöst. Die digitale Ansteuerung ermöglicht beispielsweise die Kontrolle des Abstrahlverhaltens des Lautsprechers durch definierte Interferenzen (Beamforming). Statt mechanisch kann ein derartiger Lautsprecher dadurch auch elektronisch im Raum ausgerichtet werden (Abb. 04). Die perfekte Sprachverständlichkeit der Durchsagen in den akustisch problematischen Hallen im Gare du Nord in Paris oder im kürzlich umgebauten Bahnhof King’s Cross in London demonstrieren, wie effektiv moderne Zeilenstrahler den Schall genau in die gewünschte Richtung schicken können. Eine andere Form von Zeilenlautsprechern sind die heute bei Livekonzerten oft anzutreffenden Line Arrays («Lautsprecherbananen»). Die Grundidee ist auch hier eine gezielte Optimierung der Schallabstrahlung in horizontaler und vertikaler Richtung und damit einhergehend eine Erhöhung der Reichweite des Lautsprechersystems.

Nicht nur Akustiker (vgl. TEC21, Nr. 11/2012, Kasten S. 22), auch qualifizierte Elektroakustikplaner sind selten. Deshalb werden Anlagen aus Unerfahrenheit oft zu komplex ausgelegt, was für Kunden und Anwender problematisch ist. Zu komplexe Anlagen sind oft schwer zu bedienen und zu warten, sie neigen wegen der vielen Komponenten zu erhöhter Fehleranfälligkeit, und die unvermeidlichen individuellen Schwächen der einzelnen Komponenten summieren sich überproportional und verringern so die Gesamtqualität des Systems.

Die Erfahrung zeigt vielmehr, dass oft einfache (nicht unbedingt preisgünstige) elektroakustische Systeme die beste Klangqualität produzieren.

Wellenfeldsynthese und Raumklang

Aktuelle Entwicklungen und Trends in der Elektroakustik zeichnen sich im Bereich der Systemintegration und bei der digitalen Steuerung von einzelnen Komponenten und ganzen Systemen ab. Die Kombination konventioneller Lautsprechersysteme mit einer digitalen Ansteuerung eröffnet viele neue Möglichkeiten.

Neben dem erwähnten Beamforming, der Steuerung der Abstrahlcharakteristik von Lautsprechersystemen, ist der Raumklang ein wichtiger Trend in der elektroakustischen Forschung. Dabei wird ein virtuelles und im Idealfall dreidimensionales Schallfeld für die Zuhörer erzeugt. Eine technisch relativ einfache Umsetzung dieser Idee ist seit vielen Jahren aus dem (Heim-)Kinobereich bekannt, wo verschiedene «Surround Sound»-Systeme gebräuchlich sind. Diese versuchen mit verteilt aufgestellten Lautsprechern, die von einzelnen Tonspuren versorgt werden, den Zuhörern eine künstliche Raumatmosphäre – zumindest in der horizontalen Ebene – zu vermitteln. Die Resultate können unter günstigen Umständen durchaus ansprechend sein. Eine Schwäche dieser Technologie liegt darin, dass der virtuelle Raumeindruck und die räumliche Ortung der virtuellen Schallquellen immer von der Position der Zuhörer abhängig sind. In einem Kino erleben die Zuhörer den korrekten, vom Tonmeister gewünschten Raumklang nur, wenn sie auf der Mittelachse des Raums und in 2∕3 der Saaltiefe sitzen.

Die Wellenfeldsynthese als eine Art «akustische Holografie» konstruiert das Schallfeld so, wie es sich um eine reale Schallquelle herum ausbilden würde. Basierend auf der Erkenntnis des niederländischen Mathematikers und Physikers Christiaan Huygens (1629–1695), dass sich jede Wellenfront aus Elementarwellen konstruieren lässt, hat Prof. J. A. Berkout an der TU Delft Ende der 1980er-Jahre die Wellenfeldsynthese und ein dazugehöriges elektroakustisches Wiedergabesystem entwickelt (Abb. 05). Bei dieser Technologie ist die räumliche Ortung virtueller Schallquellen nicht mehr positionsabhängig. Man kann somit um eine virtuelle Schallquelle im Raum herumgehen, ohne dass sich deren gehörte Position verändert. Der Nachteil der Wellenfeldsynthese ist die grosse Anzahl der benötigten Lautsprecher. Die «akustische Holografie» erfordert ein kontinuierliches Array von nah beieinander liegenden Lautsprechern. Forscher und Ingenieure entwickeln gegenwärtig Alternativen zur Wellenfeldsynthese. Dabei soll mithilfe komplexer digitaler Signalbearbeitungsalgorithmen und mit relativ wenigen Lautsprechern ein möglichst von der Hörposition unabhängiges räumliches Schallfeld erzeugt werden.[2] Neben den kommerziellen Anwendungen ist die Erzeugung von Raumklang mit elektroakustischen Mitteln ein zentrales Thema in der elektroakustischen Musik und in der Klangkunst. Schon vor Xenakis (vgl. TEC21 20/2012 «Reflexion und Stimmung») haben sich einzelne Komponisten dieses Themas angenommen – das Interesse daran ist auch heute ungebrochen.[3] Oft ergeben sich daraus interessante Synergien zwischen Kunst und Industrie.

An der Schnittstelle zwischen kommerziellen und künstlerischen Anwendungen der Elektroakustik liegt das Feld der multimedialen Präsentationen, beispielsweise im Museumsbereich. Hier kommt der Elektroakustik oft die Aufgabe zu, die räumlich-visuellen Eindrücke mit räumlich-akustischen Eindrücken zu ergänzen und/oder zu verstärken – auch in diesem Bereich ist der «Raumklang» ein zentrales Thema.

Mit Antischall gegen Lärm

In Zukunft wird sich die Elektroakustik, etwas ironischerweise, eher mit der Vernichtung von Schall als mit dessen Erzeugung befassen. Unter «Antischall» wird meist die Auslöschung von störendem Schall durch gezielt eingesetzten «negativ gepolten» Schall zusammengefasst. Störender Schall kann unhörbar gemacht werden, indem am Standort des Zuhörers mit einem Lautsprecher ein Schallsignal erzeugt wird, das die gleichen physikalischen Eigenschaften (Lautstärke, Frequenzspektrum) hat wie dasjenige, das ausgelöscht werden soll, aber die umgekehrte Polarität aufweist – d. h. um 180° phasenverschoben ist (destruktive Interferenz). Das Erzeugen eines derartigen «spiegelbildlichen» Schallsignals ist anspruchsvoll. In der Praxis gelingt es relativ gut, wenn sich die zuhörende Person mit dem den Antischall erzeugenden elektroakustischen System in einer definierten und unveränderlichen akustischen/räumlichen Umgebung befindet. Diese Situation besteht etwa bei einem Kopfhörer. Bei den seit einigen Jahren auf dem Markt erhältlichen «Noise Cancelling Headphones» befinden sich aussen am Hörer Mikrofone, die den störenden Schall aufnehmen. Dieser wird durch eine Elektronik im Hörer «umgepolt» und über die Kopfhörermembranen abgestrahlt. So löschen sich am Ohr des Zuhörers der direkt einfallende Störschall und der durch den Kopfhörer erzeugte «Antischall» praktisch vollständig aus.

Das theoretische Prinzip des Antischalls funktioniert im Fall von «Noise Cancelling»-Kopfhörern, weil sich die räumlichen Bezüge zwischen dem Ohr des Zuhörers und der den Antischall erzeugenden Schallquelle nicht ändern und weil die Abtastung des Störschalls praktisch am gleichen Ort erfolgt wie dessen Auslöschung. Mit fest installierten Mikrofonen und Lautsprechern störenden Lärm in einem Raum zu eliminieren, in dem sich mehrere Personen an verschiedenen, wechselnden Positionen befinden, ist hingegen ein fast unlösbares Problem. Das Antischallfeld kann prinzipiell nur für einen bestimmten Punkt im Raum erzeugt werden – im besten Fall würde eine einzige Person an einem fixierten Platz von der Lärmreduktion profitieren. Für Räume, in denen sich Personen relativ unbeweglich aufhalten, wie beispielsweise Fahrerkabinen von Baumaschinen, sind Antischall-Systeme denkbar und teilweise auch kommerziell erhältlich.

Grenzen der Elektroakustik

Eine grundlegende Grenze der Elektroakustik wird von den existierenden Beschallungsanlagen in realen Umgebungen mit real existierender Akustik gesetzt. Das vom Lautsprecher abgestrahlte Schallsignal gelangt nicht direkt ans Ohr des Zuhörers, sondern wird zuerst durch die Akustik der Umgebung (Reflexionen, Nachhall etc.) verändert. Grundsätzlich bedeutet dies immer eine Verschlechterung der ursprünglichen Signalqualität. Bei ungünstigen akustischen Verhältnissen kommt die vom Lautsprecher abgestrahlte Information nicht mehr verständlich beim Zuhörer an. Auch eine schlechte (Raum-)Akustik kann mit den heutigen elektroakustischen Systemen nicht korrigiert werden. Einen Raum von zu langem Nachhall zu befreien ist, ähnlich wie beim oben erwähnten Antischall, in der Praxis eine fast unlösbare Aufgabe.

Als Alternativen zum klassischen elektrodynamischen Lautsprecher existieren gegenwärtig verschiedene technische Konzepte für digitale Lautsprecher, die digitale Audiosignale direkt in hörbare (analoge) Schallsignale umsetzen. Die praktische Realisierung und der serienmässige Einsatz solcher Systeme stehen aber noch vor grossen Herausforderungen.


Anmerkungen:
[01] Am 27. 4. 1898 meldet der britische Physiker Sir Oliver Lodge ein Patent über einen elektrodynamischen Lautsprecher an, der als Urtyp aller nachfolgenden dynamischen Lautsprecher angesehen werden kann.
[02] Sowohl im Bereich der Wellenfeldsynthese wie auch der erwähnten alternativen Technologien zur räumlichen Wiedergabe nimmt die Schweiz in der Forschung und Entwicklung international eine Spitzenposition ein. Technologiefirmen wie Sonic Emotion oder Illusonic sind führende Unternehmen in diesem Bereich. Ausserdem forscht unter anderen auch die ZHdK in Zürich intensiv im Bereich Raumklang.
[03] Die raumakustischen Projekte des Basler Komponisten Beat Gysin werden in TEC21 33-34/2013 vorgestellt.

TEC21, Fr., 2013.04.19



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09. März 2012Martin Lachmann
TEC21

Schall und Rauch

«Sound, that noble accident of the air…»[1] – diese Umschreibung des Phänomens Klang, gibt einen Eindruck davon, wie «unbeschrieben» die wissenschaftliche Akustik noch im Barock war. Selbst die führenden Naturgelehrten wussten bis gegen das Ende des 19. Jahrhunderts wenig über die wissenschaftlichen Grundlagen der Entstehung und Ausbreitung von Schall, was ihm eine mysteriöse Aura verlieh. Auf dem Gebiet der Bauakustik – der Lärmbekämpfung – hat er diese inzwischen verloren. Die Raumakustik hingegen ist nach wie vor von einem Nebel umwoben. Dieser wird in diesem Beitrag gelüftet.

«Sound, that noble accident of the air…»[1] – diese Umschreibung des Phänomens Klang, gibt einen Eindruck davon, wie «unbeschrieben» die wissenschaftliche Akustik noch im Barock war. Selbst die führenden Naturgelehrten wussten bis gegen das Ende des 19. Jahrhunderts wenig über die wissenschaftlichen Grundlagen der Entstehung und Ausbreitung von Schall, was ihm eine mysteriöse Aura verlieh. Auf dem Gebiet der Bauakustik – der Lärmbekämpfung – hat er diese inzwischen verloren. Die Raumakustik hingegen ist nach wie vor von einem Nebel umwoben. Dieser wird in diesem Beitrag gelüftet.

Die Akustik ist ein interdisziplinäres Fachgebiet, das auf Erkenntnissen aus zahlreichen anderen Fachgebieten aufbaut, unter anderen aus der Physik, der Psychologie, der Nachrichtentechnik und der Materialwissenschaft. Bevor also Joseph Louis Gay-Lussac (1778–1850) und John Dalton (1766–1844) nicht ihre Gesetze zum Verhalten von Gasen formuliert hatten, war z. B. eine exakte Berechnung der Schallgeschwindigkeit nicht möglich. Selbst Isaac Newton (1642–1726) «fälschte» 1713 seine Formel zur Berechnung der Schallgeschwindigkeit, indem er eine Konstante einfügte, die das Resultat erstaunlicherweise exakt mit den Werten der einige Jahre zuvor durchgeführten Feldmessungen der Royal Society in Übereinstimmung brachte.

Die Wissenschafter und Baumeister der Antike und des Mittelalters verfügten noch nicht über genaue Kenntnisse von den Eigenschaften des Schalls. Es existierten keine klaren Vorstellungen, geschweige denn Theorien davon, wie Schall entsteht oder sich ausbreitet. Man konnte also nur auf empirische Erkenntnisse zurückgreifen. Noch lange Zeit herrschte z. B. die Meinung vor, dass sich hohe Töne schneller ausbreiten als tiefe. Die Einsicht, dass die Schallgeschwindigkeit für alle Frequenzen gleich ist, ist relativ jung.

In dasselbe Kapitel gehört das Klischee der ausgezeichneten Akustik in griechischen Theatern oder in mittelalterlichen Kirchen, war doch die gute Sprachverständlichkeit in den antiken Theatern ein erfreuliches Nebenprodukt der optimalen Bauform im Hinblick auf die Zuschauerkapazität und den visuellen Kontakt des Publikums zur Szene (konzentrische, stark ansteigende Ränge, um möglichst viele Personen bei optimalen Sichtbedingungen nahe an die Szene heranzubringen).

In vielen Kirchen ist die Akustik (ausser für spezifische musikalische Werke) sogar oft ausgesprochen schlecht. Entsprechend bemühen sich ganze Heerscharen von Elektroakustikern, die Sprachverständlichkeit in Kirchen mit technischen Mitteln einigermassen zu gewährleisten. In den umfangreichen Kirchenaufzeichnungen über alle Epochen ist kein Hinweis zu finden, dass man zu irgendeinem Zeitpunkt die Akustik in Kirchen zu einem bestimmten (theologischen) Zweck «gestaltet» hätte.2 Die Akustik ist in vielen historischen Bauwerken, so spektakulär und beeindruckend sie oft sein mag, in vielen Fällen ein «Zufallsprodukt» des Baustils.

Von der Berechenbarkeit des Nachhalls …

Ein Meilenstein in der wissenschaftlichen Akustik – insbesondere der Raumakustik – waren die Arbeiten von Wallace Clement Sabine (1868–1919) im ausgehenden 19. Jahrhundert. 1895 veröffentlichte er eine Formel zur Berechnung der Nachhallzeit, einer der nach wie vor wichtigsten Kenngrössen der Raumakustik. Es dauerte aber weitere 30 Jahre, bis die wissenschaftliche Raumakustik Eingang in das praktische Bauwesen fand. Vor allem bekannte nordische Architekten der Moderne, allen voran Alvar Aalto und Vilhelm Lauritzen, beschäftigten sich intensiv mit den neuen Erkenntnissen und arbeiteten sie mit grossem Aufwand und Leidenschaft in ihre Bauten ein. Der schwedische Architekt Sven Markelius, ein enger Freund Aaltos, erwähnte in seinem berühmten Vortrag 1928 im finnischen Abo die neue Wissenschaft der Raumakustik sogar als exemplarisches Beispiel für die in der Moderne so bedeutende Verbindung von Form und Funktion.3 Das von ihm entworfene und 1932 eingeweihte Konzerthaus in Helsingborg wird denn auch bis heute für seine hervorragende Akustik gepriesen.

Die Entwicklung der wissenschaftlichen Akustik im 20. Jahrhundert war aber auch immer wieder von Rückschlägen geprägt, welche die Akzeptanz und Glaubwürdigkeit der noch jungen Wissenschaft in der Bauwelt ebenso wie in der Gesellschaft schwächten. So wurden immer wieder Konzertsäle entworfen, die sich als akustisch unbefriedigend herausstellten. In einigen Fällen schien es fast, als seien elementare Grundlagen der Raumgestaltung und der Akustik vergessen worden. Solche Diskontinuitäten in der Wissensentwicklung respektive in der Anwendung der Akustik im gebauten Raum sind selbst in der jüngeren Geschichte zu beobachten.

Problematisch waren vor allem Konzertsaalbauten in Amerika in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, wie das «Eastman Theatre» in New York (1923; Architekt: William G. Kaelber) oder die «Kleinhans Music Hall» in Buffalo (1938–1940; Architekt: Eliel Saarinen). Problem war unter anderem die Grösse der Säle; sie wurden für zu viele Zuhörer gebaut, was zu viel Absorption zur Folge hatte. Ein weiteres Problem war der fächerförmige Grundriss, der dazu führte, dass die Reflexionen von den Wänden alle an die Rückwand gelenkt und die zentral im Raum befindlichen Plätze mangelhaft mit Schallenergie versorgt wurden, weshalb sich kein «umhüllender» Klang für die Zuhörer einstellte. Positive Beispiele sind noch immer eher die Ausnahme als die Regel (vgl. TEC21, Nr. 22/2008, Nr. 27-28/2010 und «… Ohren, die nicht hören …», S. 20).

… zur Darstellbarkeit von Zeit, Frequenz und Amplitude

Dies ist umso erstaunlicher, als die wissenschaftliche Akustik ab Mitte der 1920er-Jahre im Zusammenwirken mit der sich im gleichen Zeitraum entwickelnden Elektronik und Audiotechnik rasche Fortschritte machte. Die Tonaufnahmetechnik ermöglichte erstmals die Trennung eines Klanges von seiner Quelle – ein revolutionärer Fortschritt. Insbesondere die in den 1940er- und 1950er-Jahren entwickelte Magnetbandtechnik ermöglichte erstmals das exakte Speichern von Schallereignissen und deren spätere Auswertung – eine wichtige Grundlage für akustische Messungen und das Verständnis der Akustik generell. Ein neues Zeitalter in der Entwicklung der akustischen Messtechnik brach Ende der 1970er- Jahre an, als in der Elektronik und Audiotechnik die Digitaltechnik Einzug hielt. Damit wurde es erstmals möglich, Schallsignale «verlustfrei» – d. h. ohne Störgeräusche wie z. B. Bandrauschen etc. – aufzuzeichnen und zu speichern. Die nun digitalisierten Signale konnten in Rechenmodelle eingespeist werden. Damit liess sich zum ersten Mal die Dreidimensionalität der akustischen Signale – entlang der Achsen Zeit, Frequenz und Amplitude – umfassend visualisieren. Die anschauliche Darstellung von grossen Datenmengen ist zentral für das Verständnis komplizierter physikalischer Vorgänge.

Objektive Parameter versus subjektiven Klangeindruck

Die Entwicklung der akustischen Messtechnik, gerade im raumakustischen Bereich, ist längst nicht abgeschlossen. Man versucht, neue, «objektiv» messbare Parameter zu finden, die – zusammen mit den bereits bekannten Kenngrössen – den subjektiven Klangeindruck in Räumen möglichst gut abbilden sollen. Denn dies ist der Kern der Akustik: Sie besteht nur zur Hälfte aus objektiver Physik – der andere Teil ist der subjektive Höreindruck. Die Qualität eines akustischen Ereignisses, sei dies nun Raumklang oder Umgebungslärm, wird von jeder Person individuell aufgrund persönlicher Erfahrungen, Vorlieben etc. beurteilt und entzieht sich grundsätzlich einer objektiven Bewertung. Die Akustik rückt damit in die Nähe von gestaltenden Disziplinen wie der Architektur oder dem Produktdesign. In allen diesen Bereichen ergibt sich die Qualität eines Werks aus einer Mischung von funktional- objektiven und gestalterisch-subjektiven Aspekten. Das bedeutet, dass sich Akustiker bei ihrer Arbeit nicht allein auf physikalisches Wissen stützen können. Vielmehr müssen sie sich den noch nicht gebauten Raum hörend vorstellen können – wie es Architekten auf der visuellen Ebene tun.

TEC21, Fr., 2012.03.09



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09. März 2012Martin Lachmann
TEC21

… Ohren, die nicht hören …

«As conscious beings, our perceptions are ours alone!»[1] Die Beurteilung von akustischen Situationen, sei es von Klang in der Raumakustik oder von Störung durch Lärm in der Bauakustik, ist immer subjektiv. Dies mag ein Grund dafür sein, dass man dem Thema in der Architekturdiskussion ausweicht – es sei denn, die Akustik steht im Zentrum der Nutzung, wie bei Konzertsälen, Ausstellungsarchitekturen oder klangkünstlerischen Projekten (Abb. 2, 3 und 11).

«As conscious beings, our perceptions are ours alone!»[1] Die Beurteilung von akustischen Situationen, sei es von Klang in der Raumakustik oder von Störung durch Lärm in der Bauakustik, ist immer subjektiv. Dies mag ein Grund dafür sein, dass man dem Thema in der Architekturdiskussion ausweicht – es sei denn, die Akustik steht im Zentrum der Nutzung, wie bei Konzertsälen, Ausstellungsarchitekturen oder klangkünstlerischen Projekten (Abb. 2, 3 und 11).

Wenn sich die Akustik in jedem Planungs- und Bauprozess gleichberechtigt mit anderen Fachbereichen Gehör verschaffen könnte, wären Räume zu gewinnen, die mit den Augen und auch mit den Ohren erlebbar sind. Die Akustik ist heute eine etablierte technische Wissenschaft. Das bedeutet aber nicht, dass sie alle Phänomene verstanden hätte. Die wichtigsten Knackpunkte sind das Verhältnis zwischen objektiver Messung und subjektiver Wahrnehmung, die geometrische Massstabsfrage, die Komplexität des Schallfeldes und der Mangel an Materialkennwerten. Die Qualität von akustischen Planungen und Werken kann nur beschränkt gemessen – und damit überprüft – werden.

Die geometrische Massstabsfrage ist eine Folge der Wellenlänge: Während die Wellenlängen des Lichts im Verhältnis zu unserer Umgebung klein sind (auch beim langwelligsten Licht liegt die Wellenlänge unter einem Millionstel Meter), umfasst die Wellenlänge des hörbaren Schalls den Bereich von ca. 17 Meter bis 1.7 Zentimeter – liegt also in den Dimensionen unseres Umfelds (Abb. 7). Entsprechend wird der Schall von der gebauten Umgebung anders beeinflusst als das Licht. Hinter einer Säule steht man im Konzertsaal immer im Schatten – egal, ob es sich um weisses, rotes oder grünes Licht handelt. Tieffrequente Töne (Bässe) hingegen hört man auch hinter der Säule, denn sie beugen sich darum herum, hochfrequente hingegen dringen kaum mehr ans Ohr, weil sie abgeschattet werden (Abb. 8).

Je nach Tonhöhe wird der Schall an grossen Objekten reflektiert, an mittleren gebeugt oder gestreut und passiert kleine Objekte teilweise ungehindert (Abb. 9 und 10). Daraus lässt sich erahnen, wie komplex sich das dreidimensionale Schallfeld gestaltet (Abb. 13). Ginge es nur um eine Frequenz, wäre es einfach, den akustisch idealen Raum zu entwerfen. Neben dieser grossmassstäblichen Wechselwirkung zwischen Schall und Bauwerk besteht auch eine kleinmassstäbliche Wechselwirkung zwischen den Schallwellen und der Oberfläche von Baustoffen. Entscheidend ist das Verhältnis zwischen der Unebenheit der Oberfläche (poliert, geriffelt, genoppt) und der Wellenlänge des auftreffenden Schalls. Entspricht die Unebenheit etwa der Wellenlänge, wird der Schall gestreut, andernfalls wird er reflektiert.

Grenzen der Simulation

Das führt dazu, dass für akustische Berechnungen oft mehr als ein theoretisches Modell nötig ist, um der Ausbreitung des Schalls bei verschiedenen Frequenzen Rechnung zu tragen. Wegen der Komplexität des Schallfeldes wird in der Akustikplanung trotz fortgeschrittener Computersimulation immer noch relativ oft mit Massstabmodellen gearbeitet ( gemessen).

Hier besteht eine Parallele zur Architektur, wo trotz fotorealistischer Computervisualisierung der Modellbau nach wie vor differenziertere Eindrücke bieten kann und darum auch weiterhin angewendet wird. In der Akustik zeigt sich das Problem von Simulationsprogrammen deutlich. Gerade weil auch hochentwickelte Software immer nur einen Ausschnitt des Problems beleuchten kann, spielt die Erfahrung beim Einspeisen der Daten in die Software und beim Beurteilen und Interpretieren der Resultate eine zentrale Rolle. Ist diese Erfahrung bei den Anwendern der Software nicht gegeben, werden auch unrealistische Ergebnisse für bare Münze genommen. den Klang gest alten In der Raumakustik sind Form, Struktur und akustische Eigenschaften der Raumoberflächen in wesentlichem Mass verantwortlich für den resultierenden Klang im Raum. Die zeitgenössische Formensprache und ihre Materialisierung birgt zahlreiche raumakustische Problemfelder und erzeugt leider nur selten «automatisch» gute Raumakustik. Grund dafür ist die Verwendung von mehrheitlich «schallharten» (nicht absorbierenden) Materialien, grossen, unstrukturierten, orthogonalen Flächen und die starke Reduktion von klassischen textilen Elementen wie Teppichen, Polstermöbeln, Vorhängen usw. im Innenausbau.

Der im späten 19. Jahrhundert vorherrschende Architekturstil führte praktisch zufällig zur Entstehung einiger der weltbesten Konzertsäle. So ist beispielsweise die Tonhalle in Zürich entstanden, kurz bevor die wissenschaftliche Raumakustik überhaupt anfing zu existieren. Bis in die 1980er- Jahre «retteten» Architektur- und Einrichtungsstil die Akustik in vielen Wohnbauten. Von der Architektur wäre in Zusammenarbeit mit der Akustik ein bewusstes akustisches Entwerfen gefordert. Dabei ginge es in erster Linie um die akustische Gestaltung der einzelnen Räume in einem Bauwerk – ist doch die Akustik ein zentraler Faktor, ob ein Raum seiner gedachten Funktion gerecht wird. Das akustische Entwerfen sollte aber weiter gehen: Analog zu visuellen Abfolgen könnten und sollten akustische Abfolgen und Atmosphärenwechsel ein Gebäude strukturieren, es interessant und angenehm machen und auch so erhalten.

Da es keine allgemeingültige «gute» und «schlechte» Raumakustik gibt – Raumakustik ist immer dann gut, wenn sie dem Benutzungszweck und der Atmosphäre des Raums dienlich ist – lässt sich raumakustische Planung nicht in einfache Schwarz-Weiss-Schemata pressen.

Heute ist es durchaus möglich, Räume akustisch zuverlässig zu planen. Zuerst müssen die Akustiker aber die voraussichtliche Nutzung und die Bedürfnisse und Wünsche der Nutzerinnen und Nutzer der zu planenden Räume kennenlernen. Anschliessend ist es ihre Aufgabe diese verbal/subjektiven Beschreibungen unter Einbezug der gestalterischen Ansprüche in Akustikmassnahmen zu übersetzen. Einschlägige Normen und Empfehlungen liefern zwar Richtwerte und Empfehlungen für die raumakustische Auslegung von bestimmten Raumtypen, ersetzen aber die individuelle Planung nicht. Es ist unerlässlich, dass sich die Akustiker aus ihrer Erfahrung vorstellen können, wie ein Raum klingen wird. Davon ausgehend «formen» sie den gewünschten Raumklang, abgestimmt auf die Verwendung eines Raumes, was sich anhand der Nachhallzeit anschaulich darstellen und überprüfen lässt (Abb. 5 und 6).

Neue Akustikmaterialien und ihre Grenzen

Die im Bauwesen verwendeten Materialien besitzen sehr unterschiedliche akustische Eigenschaften. Es ist darum eine der Aufgaben der Akustiker, geeignete Materialien so zu kombinieren, dass sich das gewünschte Klangbild im Raum einstellt. Ein Material mit idealen akustischen Eigenschaften für alle Anwendungen existiert nicht und ist auch – wie aus den physikalischen Gundlagen hervorgeht – nicht zu erwarten. Doch die Werkstofftechnologie entwickelt sich erfreulicherweise sehr dynamisch. So steht der Akustik heute eine grosse Palette von Materialien zur Verfügung, welche es ihr ermöglicht, auf viele Gestaltungswünsche der Architektur zu reagieren. Die Zeiten, in denen sich die Auswahl bei akustisch wirksamen Oberflächen auf gelochte Blechverkleidungen und Weichfaserplatten beschränkte, sind glücklicherweise vorbei.

Eine heute weitverbreitete neue Technologie für Akustikmaterialien ist die Mikroperforation. Dabei weist ein beliebiges hartes Plattenmaterial sehr viele feine Löcher mit einem Durchmesser im Sub-Millimeterbereich auf. Durch die Reibung der bewegten Luft in den Löchern wird Schallenergie in Wärme umgewandelt. Ein derart behandeltes Material hat schallabsorbierende Eigenschaften, ohne dass es zusätzlich mit herkömmlichen Absorbermaterialien hinterlegt werden muss.

Ausserdem sind die feinen Perforationen je nach Material meist unauffällig, sodass die Oberflächen optisch homogen wirken. Die akustische Notsanierung des ehemaligen Plenarsaals des deutschen Bundestags in Bonn mit mikroperforierten Glasbauteilen bedeutete 1993 den Durchbruch dieser in den 1980er-Jahren entwickelten Technologie. Aufgrund ihres physikalischen Prinzips absorbieren mikroperforierte Platten den Schall aber nur in einem relativ begrenzten Frequenzbereich. Sie müssen in der Regel mit anderen Materialien ergänzt werden, um die gewünschte Raumakustik zu erzeugen. Das bestätigt die Erfahrung, dass sich mit einem einzigen Material nicht alle akustischen Aufgaben zugleich lösen lassen.

Vorhänge und Filterplatten

Auch im Bereich der traditionellen Akustikmaterialien finden gegenwärtig interessante Entwicklungen statt. Bei Textilien wird beispielsweise intensiv daran gearbeitet, durch spezielle Webtechniken, die sich nur mit den modernsten Maschinen realisieren lassen, den Strömungswiderstand von Geweben zu optimieren. Denn ein poröses Material kann den Schall nur wirkungsvoll absorbieren, wenn sein Strömungswiderstand in einem definierten Idealbereich liegt. Ein aktuelles Beispiel für die innovative Nutzung dieses Prinzips sind optisch transparente Akustikvorhänge mit guter akustischer Absorption.[2]

Weitere neue Akustikmaterialien mit absorbierenden Eigenschaften sind metallische Produkte, die auf Umwegen aus anderen Bereichen der Industrie Eingang in den Bereich der Akustik gefunden haben. So werden beispielsweise in der Verfahrenstechnik metallische Filtergewebe verwendet, deren Maschen so fein sind, dass sich ein für die akustische Absorption günstiger Strömungswiderstand einstellt. Eine ähnliche Wirkung haben dünne Platten aus Sintermetall (zusammengebackene kleine Metallpartikel). Damit sind heute auch homogene metallische Flächen mit schallabsorbierender Wirkung realisierbar.

Schall zerstreuen, Schall messen, Schall gestalten

Neben der «Vernichtung» des Schalls mittels Schallabsorption (Abb. 12) ist dessen Lenkung oder Streuung (Diffusion) ein ebenso wichtiges akustisches Werkzeug. Aus diesem Bereich stammt eine der bedeutendsten akustischen Entwicklungen der jüngeren Vergangenheit: In den 1970er-Jahren legte der deutsche Physiker Manfred Schröder die zahlentheoretischen Grundlagen für den Bau von hochwirksamen schallstreuenden Strukturen, die seither als «Schröder-Diffusoren» in vielen Konzertsälen den Schall gleichmässiger verteilen und dadurch eine bessere Verständlichkeit ermöglichen (Abb. 4).

Leider fehlen in der Akustik auch heute noch vielfach verlässliche Materialdaten als Grundlage für akustische Berechnungen und Simulationen. Akustiklabors wie jenes der Empa in Dübendorf (Abb. 1), in denen Messungen an Materialien unter normgerechten Bedingungen durchgeführt werden können, sind darum für die Akustik sehr wichtig. Sie bieten oft die einzige Möglichkeit, über Messungen an konkreten Materialmustern verlässliche Daten für den akustischen Planungsprozess zu erhalten.

Trotz verschiedenen technischen, finanziellen und organisatorischen Hürden ist es heute für ein erfahrenes Team aus Architektinnen und Akustikern möglich, die Akustik in einem Gebäude – über den rein funktionalen Aspekt hinaus – zu gestalten. Während sich im Aussen- raum die Begriffe und Konzepte von «Soundscape», «Klangökologie» und «Klanggestaltung » langsam auf breiter Front durchsetzen, ist ein solches Verständnis für Innenräume leider noch nicht erkennbar – dabei könnten die subtilen akustischen Verläufe im Innenraum ebenfalls als «Soundscape» begriffen werden. Je früher die Diskussion über akustische Konzepte an einem Bauwerk ansetzt, desto grösser ist die Chance, die visuelle und die akustische Gestaltung zu einem harmonischen Ganzen verbinden zu können.


Anmerkungen:
[01] Lerman, P. D. Do You Hear What I Hear? Learning to Listen in a Mediated World. MIX Magazine, 2005, June 1
[02] Diese insbesondere für die Ausstattung von Büroräumen attraktiven Neuentwicklungen werden voraussichtlich in einem der folgenden TEC21-Hefte noch detailliert beschrieben

TEC21, Fr., 2012.03.09



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TEC21

Schall und Elektronen

Seit einem Jahrhundert erfolgt die elektroakustische Schallwiedergabe nach demselben bewährten Prinzip. Die Gesetze der Akustik setzten der Beschallung realer Räume bisher aber enge Grenzen. Durch die Verknüpfung konventioneller Lautsprecher mit digitaler Ansteuerung ist die Elektroakustik heute in der Lage, Schall nach Wunsch auszurichten und zu konzentrieren oder Reflexionen zu erzeugen. Die Wellenfeldsynthese macht virtuelle Schallquellen ausserhalb eines Raums hörbar und lokalisierbar, was vollkommen neue Möglichkeiten für die akustische Raumgestaltung eröffnet.

Seit einem Jahrhundert erfolgt die elektroakustische Schallwiedergabe nach demselben bewährten Prinzip. Die Gesetze der Akustik setzten der Beschallung realer Räume bisher aber enge Grenzen. Durch die Verknüpfung konventioneller Lautsprecher mit digitaler Ansteuerung ist die Elektroakustik heute in der Lage, Schall nach Wunsch auszurichten und zu konzentrieren oder Reflexionen zu erzeugen. Die Wellenfeldsynthese macht virtuelle Schallquellen ausserhalb eines Raums hörbar und lokalisierbar, was vollkommen neue Möglichkeiten für die akustische Raumgestaltung eröffnet.

Die Elektroakustik befasst sich mit der Aufnahme und Wiedergabe von Schall mithilfe von elektrischen Systemen. Sichtbare Komponenten dieser Technik sind Mikrofone und Lautsprecher. Sie sind die Schnittstellen zwischen der Welt der Akustik (vgl. TEC21 11/2012 «Hall und Aura»), in der sich der Schall meist in der Luft fortpflanzt, und der Welt der Elektrotechnik und der Elektronik, in der sich Elektronen in Leitern und Halbleitern bewegen.

Im Kontext der Architektur interessiert vor allem die Wiedergabeseite der Elektroakustik, die Lautsprecher- beziehungsweise Beschallungstechnik. Lautsprecherinstallationen begegnen uns in allen Lebensbereichen – vom Kleinlautsprecher im Mobiltelefon über die Durchsageanlage im Bahnhof bis zur Beschallungsanlage an einem Konzert oder in einer Klangkunstinstallation im Museum (Abb. 01).

Gleiches Prinzip wie vor hundert Jahren

Der grösste Teil der heute in der Beschallungstechnik verwendeten, mannigfaltig ausgebildeten Lautsprecher basiert immer noch auf dem «Urprinzip» des elektrodynamischen Lautsprechers, wie es vor über 100 Jahren zum Patent angemeldet wurde[1] (vgl. Kasten Seite 28). Zwar wurde die konstruktive Ausführung kontinuierlich verfeinert und kommen in grossem Umfang Hightech-Materialien zum Einsatz, was zu einer enormen Steigerung der Wiedergabequalität geführt hat – die grundsätzlichen Bauelemente, ihre Funktion und Wirkungsweise sind aber praktisch unverändert geblieben. Die Signalkette von Geräten zwischen Mikrofon und Lautsprecher ist heute weitgehend digitalisiert und unterscheidet sich grundsätzlich von der noch vor kurzer Zeit gebräuchlichen Analogtechnik. Mikrofone und Lautsprecher selbst basieren hingegen immer noch auf denselben Prinzipien wie zur Zeit ihrer ersten praktischen Anwendungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts (vgl. Kasten S. 22 und Abb. 03, S. 21). Die Herstellung von qualitativ hochwertigen Lautsprechern und Mikrofonen ist nach wie vor sehr aufwendig, gute Produkte sind entsprechend teuer.

Die technischen Grundlagen der modernen Beschallungstechnik wurden, getrieben auch von den Anforderungen des weltweiten Wettrüstens, während des Ersten Weltkriegs gelegt. Bereits 1919 sprach der amerikanische Präsident Woodrow Wilson in einem Stadion in San Diego mithilfe einer elektroakustischen Beschallungsanlage zu über 50 000 Personen. In den 1920er- und 1930er-Jahren war dann Deutschland in der physikalischen Forschung und Entwicklung weltweit führend, und wieder löste die militärische Aufrüstung einen ungeahnten Aufschwung der noch jungen Elektroakustik aus. Von enormen Grossbeschallungsanlagen für Parteiaufmärsche (Abb. 02) bis hin zum «Volksempfänger»-Radio in allen deutschen Haushalten setzte das NS-Regime (und in Italien die Faschisten) die Elektroakustik zur Verbreitung von Propaganda ein.

Die weitere Entwicklung der Qualität von Lautsprechersystemen ist bis heute asymptotisch verlaufen; nach einer rasanten Steigerung in der ersten Zeit stieg die Wiedergabequalität nur noch langsam an. Bereits in den 1950er- und 1960er-Jahren existierten Lautsprechersysteme mit einer Klangqualität, die mit derjenigen von heutigen Systemen vergleichbar ist.

Digital angesteuerte Zeilenlautsprecher

Die bestehenden Technologien in der Beschallungstechnik werden beständig weiterentwickelt, grundsätzlich neue Entwicklungen gibt es aber kaum. Manchmal erleben seit langer Zeit bekannte Prinzipien wie etwa die gegenwärtig verbreiteten Zeilenlautsprecher ein Revival. Ihr Prinzip ist schon aus den Anfangsjahren der Elektroakustik bekannt: Mehrere identische Lautsprecher werden in linearer Anordnung übereinander montiert, um so die Schallverteilung durch Interferenz gezielt zu beeinflussen. In der Regel wird dabei eine breite horizontale und eine schmale vertikale Schallabstrahlung angestrebt. Während vieler Jahre wurden nach diesem Prinzip aufgebaute Lautsprechersysteme fast nur für Sprachbeschallungen, etwa in Kirchen oder Hörsälen, eingesetzt.

Die Kombination der traditionellen Lautsprechertechnik mit digitaler Ansteuerung hat in den letzten Jahren ein grosses Comeback der Zeilenlautsprechersysteme ausgelöst. Die digitale Ansteuerung ermöglicht beispielsweise die Kontrolle des Abstrahlverhaltens des Lautsprechers durch definierte Interferenzen (Beamforming). Statt mechanisch kann ein derartiger Lautsprecher dadurch auch elektronisch im Raum ausgerichtet werden (Abb. 04). Die perfekte Sprachverständlichkeit der Durchsagen in den akustisch problematischen Hallen im Gare du Nord in Paris oder im kürzlich umgebauten Bahnhof King’s Cross in London demonstrieren, wie effektiv moderne Zeilenstrahler den Schall genau in die gewünschte Richtung schicken können. Eine andere Form von Zeilenlautsprechern sind die heute bei Livekonzerten oft anzutreffenden Line Arrays («Lautsprecherbananen»). Die Grundidee ist auch hier eine gezielte Optimierung der Schallabstrahlung in horizontaler und vertikaler Richtung und damit einhergehend eine Erhöhung der Reichweite des Lautsprechersystems.

Nicht nur Akustiker (vgl. TEC21, Nr. 11/2012, Kasten S. 22), auch qualifizierte Elektroakustikplaner sind selten. Deshalb werden Anlagen aus Unerfahrenheit oft zu komplex ausgelegt, was für Kunden und Anwender problematisch ist. Zu komplexe Anlagen sind oft schwer zu bedienen und zu warten, sie neigen wegen der vielen Komponenten zu erhöhter Fehleranfälligkeit, und die unvermeidlichen individuellen Schwächen der einzelnen Komponenten summieren sich überproportional und verringern so die Gesamtqualität des Systems.

Die Erfahrung zeigt vielmehr, dass oft einfache (nicht unbedingt preisgünstige) elektroakustische Systeme die beste Klangqualität produzieren.

Wellenfeldsynthese und Raumklang

Aktuelle Entwicklungen und Trends in der Elektroakustik zeichnen sich im Bereich der Systemintegration und bei der digitalen Steuerung von einzelnen Komponenten und ganzen Systemen ab. Die Kombination konventioneller Lautsprechersysteme mit einer digitalen Ansteuerung eröffnet viele neue Möglichkeiten.

Neben dem erwähnten Beamforming, der Steuerung der Abstrahlcharakteristik von Lautsprechersystemen, ist der Raumklang ein wichtiger Trend in der elektroakustischen Forschung. Dabei wird ein virtuelles und im Idealfall dreidimensionales Schallfeld für die Zuhörer erzeugt. Eine technisch relativ einfache Umsetzung dieser Idee ist seit vielen Jahren aus dem (Heim-)Kinobereich bekannt, wo verschiedene «Surround Sound»-Systeme gebräuchlich sind. Diese versuchen mit verteilt aufgestellten Lautsprechern, die von einzelnen Tonspuren versorgt werden, den Zuhörern eine künstliche Raumatmosphäre – zumindest in der horizontalen Ebene – zu vermitteln. Die Resultate können unter günstigen Umständen durchaus ansprechend sein. Eine Schwäche dieser Technologie liegt darin, dass der virtuelle Raumeindruck und die räumliche Ortung der virtuellen Schallquellen immer von der Position der Zuhörer abhängig sind. In einem Kino erleben die Zuhörer den korrekten, vom Tonmeister gewünschten Raumklang nur, wenn sie auf der Mittelachse des Raums und in 2∕3 der Saaltiefe sitzen.

Die Wellenfeldsynthese als eine Art «akustische Holografie» konstruiert das Schallfeld so, wie es sich um eine reale Schallquelle herum ausbilden würde. Basierend auf der Erkenntnis des niederländischen Mathematikers und Physikers Christiaan Huygens (1629–1695), dass sich jede Wellenfront aus Elementarwellen konstruieren lässt, hat Prof. J. A. Berkout an der TU Delft Ende der 1980er-Jahre die Wellenfeldsynthese und ein dazugehöriges elektroakustisches Wiedergabesystem entwickelt (Abb. 05). Bei dieser Technologie ist die räumliche Ortung virtueller Schallquellen nicht mehr positionsabhängig. Man kann somit um eine virtuelle Schallquelle im Raum herumgehen, ohne dass sich deren gehörte Position verändert. Der Nachteil der Wellenfeldsynthese ist die grosse Anzahl der benötigten Lautsprecher. Die «akustische Holografie» erfordert ein kontinuierliches Array von nah beieinander liegenden Lautsprechern. Forscher und Ingenieure entwickeln gegenwärtig Alternativen zur Wellenfeldsynthese. Dabei soll mithilfe komplexer digitaler Signalbearbeitungsalgorithmen und mit relativ wenigen Lautsprechern ein möglichst von der Hörposition unabhängiges räumliches Schallfeld erzeugt werden.[2] Neben den kommerziellen Anwendungen ist die Erzeugung von Raumklang mit elektroakustischen Mitteln ein zentrales Thema in der elektroakustischen Musik und in der Klangkunst. Schon vor Xenakis (vgl. TEC21 20/2012 «Reflexion und Stimmung») haben sich einzelne Komponisten dieses Themas angenommen – das Interesse daran ist auch heute ungebrochen.[3] Oft ergeben sich daraus interessante Synergien zwischen Kunst und Industrie.

An der Schnittstelle zwischen kommerziellen und künstlerischen Anwendungen der Elektroakustik liegt das Feld der multimedialen Präsentationen, beispielsweise im Museumsbereich. Hier kommt der Elektroakustik oft die Aufgabe zu, die räumlich-visuellen Eindrücke mit räumlich-akustischen Eindrücken zu ergänzen und/oder zu verstärken – auch in diesem Bereich ist der «Raumklang» ein zentrales Thema.

Mit Antischall gegen Lärm

In Zukunft wird sich die Elektroakustik, etwas ironischerweise, eher mit der Vernichtung von Schall als mit dessen Erzeugung befassen. Unter «Antischall» wird meist die Auslöschung von störendem Schall durch gezielt eingesetzten «negativ gepolten» Schall zusammengefasst. Störender Schall kann unhörbar gemacht werden, indem am Standort des Zuhörers mit einem Lautsprecher ein Schallsignal erzeugt wird, das die gleichen physikalischen Eigenschaften (Lautstärke, Frequenzspektrum) hat wie dasjenige, das ausgelöscht werden soll, aber die umgekehrte Polarität aufweist – d. h. um 180° phasenverschoben ist (destruktive Interferenz). Das Erzeugen eines derartigen «spiegelbildlichen» Schallsignals ist anspruchsvoll. In der Praxis gelingt es relativ gut, wenn sich die zuhörende Person mit dem den Antischall erzeugenden elektroakustischen System in einer definierten und unveränderlichen akustischen/räumlichen Umgebung befindet. Diese Situation besteht etwa bei einem Kopfhörer. Bei den seit einigen Jahren auf dem Markt erhältlichen «Noise Cancelling Headphones» befinden sich aussen am Hörer Mikrofone, die den störenden Schall aufnehmen. Dieser wird durch eine Elektronik im Hörer «umgepolt» und über die Kopfhörermembranen abgestrahlt. So löschen sich am Ohr des Zuhörers der direkt einfallende Störschall und der durch den Kopfhörer erzeugte «Antischall» praktisch vollständig aus.

Das theoretische Prinzip des Antischalls funktioniert im Fall von «Noise Cancelling»-Kopfhörern, weil sich die räumlichen Bezüge zwischen dem Ohr des Zuhörers und der den Antischall erzeugenden Schallquelle nicht ändern und weil die Abtastung des Störschalls praktisch am gleichen Ort erfolgt wie dessen Auslöschung. Mit fest installierten Mikrofonen und Lautsprechern störenden Lärm in einem Raum zu eliminieren, in dem sich mehrere Personen an verschiedenen, wechselnden Positionen befinden, ist hingegen ein fast unlösbares Problem. Das Antischallfeld kann prinzipiell nur für einen bestimmten Punkt im Raum erzeugt werden – im besten Fall würde eine einzige Person an einem fixierten Platz von der Lärmreduktion profitieren. Für Räume, in denen sich Personen relativ unbeweglich aufhalten, wie beispielsweise Fahrerkabinen von Baumaschinen, sind Antischall-Systeme denkbar und teilweise auch kommerziell erhältlich.

Grenzen der Elektroakustik

Eine grundlegende Grenze der Elektroakustik wird von den existierenden Beschallungsanlagen in realen Umgebungen mit real existierender Akustik gesetzt. Das vom Lautsprecher abgestrahlte Schallsignal gelangt nicht direkt ans Ohr des Zuhörers, sondern wird zuerst durch die Akustik der Umgebung (Reflexionen, Nachhall etc.) verändert. Grundsätzlich bedeutet dies immer eine Verschlechterung der ursprünglichen Signalqualität. Bei ungünstigen akustischen Verhältnissen kommt die vom Lautsprecher abgestrahlte Information nicht mehr verständlich beim Zuhörer an. Auch eine schlechte (Raum-)Akustik kann mit den heutigen elektroakustischen Systemen nicht korrigiert werden. Einen Raum von zu langem Nachhall zu befreien ist, ähnlich wie beim oben erwähnten Antischall, in der Praxis eine fast unlösbare Aufgabe.

Als Alternativen zum klassischen elektrodynamischen Lautsprecher existieren gegenwärtig verschiedene technische Konzepte für digitale Lautsprecher, die digitale Audiosignale direkt in hörbare (analoge) Schallsignale umsetzen. Die praktische Realisierung und der serienmässige Einsatz solcher Systeme stehen aber noch vor grossen Herausforderungen.


Anmerkungen:
[01] Am 27. 4. 1898 meldet der britische Physiker Sir Oliver Lodge ein Patent über einen elektrodynamischen Lautsprecher an, der als Urtyp aller nachfolgenden dynamischen Lautsprecher angesehen werden kann.
[02] Sowohl im Bereich der Wellenfeldsynthese wie auch der erwähnten alternativen Technologien zur räumlichen Wiedergabe nimmt die Schweiz in der Forschung und Entwicklung international eine Spitzenposition ein. Technologiefirmen wie Sonic Emotion oder Illusonic sind führende Unternehmen in diesem Bereich. Ausserdem forscht unter anderen auch die ZHdK in Zürich intensiv im Bereich Raumklang.
[03] Die raumakustischen Projekte des Basler Komponisten Beat Gysin werden in TEC21 33-34/2013 vorgestellt.

TEC21, Fr., 2013.04.19



verknüpfte Zeitschriften
TEC21 2013|17 Wohlklang und Technik

09. März 2012Martin Lachmann
TEC21

Schall und Rauch

«Sound, that noble accident of the air…»[1] – diese Umschreibung des Phänomens Klang, gibt einen Eindruck davon, wie «unbeschrieben» die wissenschaftliche Akustik noch im Barock war. Selbst die führenden Naturgelehrten wussten bis gegen das Ende des 19. Jahrhunderts wenig über die wissenschaftlichen Grundlagen der Entstehung und Ausbreitung von Schall, was ihm eine mysteriöse Aura verlieh. Auf dem Gebiet der Bauakustik – der Lärmbekämpfung – hat er diese inzwischen verloren. Die Raumakustik hingegen ist nach wie vor von einem Nebel umwoben. Dieser wird in diesem Beitrag gelüftet.

«Sound, that noble accident of the air…»[1] – diese Umschreibung des Phänomens Klang, gibt einen Eindruck davon, wie «unbeschrieben» die wissenschaftliche Akustik noch im Barock war. Selbst die führenden Naturgelehrten wussten bis gegen das Ende des 19. Jahrhunderts wenig über die wissenschaftlichen Grundlagen der Entstehung und Ausbreitung von Schall, was ihm eine mysteriöse Aura verlieh. Auf dem Gebiet der Bauakustik – der Lärmbekämpfung – hat er diese inzwischen verloren. Die Raumakustik hingegen ist nach wie vor von einem Nebel umwoben. Dieser wird in diesem Beitrag gelüftet.

Die Akustik ist ein interdisziplinäres Fachgebiet, das auf Erkenntnissen aus zahlreichen anderen Fachgebieten aufbaut, unter anderen aus der Physik, der Psychologie, der Nachrichtentechnik und der Materialwissenschaft. Bevor also Joseph Louis Gay-Lussac (1778–1850) und John Dalton (1766–1844) nicht ihre Gesetze zum Verhalten von Gasen formuliert hatten, war z. B. eine exakte Berechnung der Schallgeschwindigkeit nicht möglich. Selbst Isaac Newton (1642–1726) «fälschte» 1713 seine Formel zur Berechnung der Schallgeschwindigkeit, indem er eine Konstante einfügte, die das Resultat erstaunlicherweise exakt mit den Werten der einige Jahre zuvor durchgeführten Feldmessungen der Royal Society in Übereinstimmung brachte.

Die Wissenschafter und Baumeister der Antike und des Mittelalters verfügten noch nicht über genaue Kenntnisse von den Eigenschaften des Schalls. Es existierten keine klaren Vorstellungen, geschweige denn Theorien davon, wie Schall entsteht oder sich ausbreitet. Man konnte also nur auf empirische Erkenntnisse zurückgreifen. Noch lange Zeit herrschte z. B. die Meinung vor, dass sich hohe Töne schneller ausbreiten als tiefe. Die Einsicht, dass die Schallgeschwindigkeit für alle Frequenzen gleich ist, ist relativ jung.

In dasselbe Kapitel gehört das Klischee der ausgezeichneten Akustik in griechischen Theatern oder in mittelalterlichen Kirchen, war doch die gute Sprachverständlichkeit in den antiken Theatern ein erfreuliches Nebenprodukt der optimalen Bauform im Hinblick auf die Zuschauerkapazität und den visuellen Kontakt des Publikums zur Szene (konzentrische, stark ansteigende Ränge, um möglichst viele Personen bei optimalen Sichtbedingungen nahe an die Szene heranzubringen).

In vielen Kirchen ist die Akustik (ausser für spezifische musikalische Werke) sogar oft ausgesprochen schlecht. Entsprechend bemühen sich ganze Heerscharen von Elektroakustikern, die Sprachverständlichkeit in Kirchen mit technischen Mitteln einigermassen zu gewährleisten. In den umfangreichen Kirchenaufzeichnungen über alle Epochen ist kein Hinweis zu finden, dass man zu irgendeinem Zeitpunkt die Akustik in Kirchen zu einem bestimmten (theologischen) Zweck «gestaltet» hätte.2 Die Akustik ist in vielen historischen Bauwerken, so spektakulär und beeindruckend sie oft sein mag, in vielen Fällen ein «Zufallsprodukt» des Baustils.

Von der Berechenbarkeit des Nachhalls …

Ein Meilenstein in der wissenschaftlichen Akustik – insbesondere der Raumakustik – waren die Arbeiten von Wallace Clement Sabine (1868–1919) im ausgehenden 19. Jahrhundert. 1895 veröffentlichte er eine Formel zur Berechnung der Nachhallzeit, einer der nach wie vor wichtigsten Kenngrössen der Raumakustik. Es dauerte aber weitere 30 Jahre, bis die wissenschaftliche Raumakustik Eingang in das praktische Bauwesen fand. Vor allem bekannte nordische Architekten der Moderne, allen voran Alvar Aalto und Vilhelm Lauritzen, beschäftigten sich intensiv mit den neuen Erkenntnissen und arbeiteten sie mit grossem Aufwand und Leidenschaft in ihre Bauten ein. Der schwedische Architekt Sven Markelius, ein enger Freund Aaltos, erwähnte in seinem berühmten Vortrag 1928 im finnischen Abo die neue Wissenschaft der Raumakustik sogar als exemplarisches Beispiel für die in der Moderne so bedeutende Verbindung von Form und Funktion.3 Das von ihm entworfene und 1932 eingeweihte Konzerthaus in Helsingborg wird denn auch bis heute für seine hervorragende Akustik gepriesen.

Die Entwicklung der wissenschaftlichen Akustik im 20. Jahrhundert war aber auch immer wieder von Rückschlägen geprägt, welche die Akzeptanz und Glaubwürdigkeit der noch jungen Wissenschaft in der Bauwelt ebenso wie in der Gesellschaft schwächten. So wurden immer wieder Konzertsäle entworfen, die sich als akustisch unbefriedigend herausstellten. In einigen Fällen schien es fast, als seien elementare Grundlagen der Raumgestaltung und der Akustik vergessen worden. Solche Diskontinuitäten in der Wissensentwicklung respektive in der Anwendung der Akustik im gebauten Raum sind selbst in der jüngeren Geschichte zu beobachten.

Problematisch waren vor allem Konzertsaalbauten in Amerika in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, wie das «Eastman Theatre» in New York (1923; Architekt: William G. Kaelber) oder die «Kleinhans Music Hall» in Buffalo (1938–1940; Architekt: Eliel Saarinen). Problem war unter anderem die Grösse der Säle; sie wurden für zu viele Zuhörer gebaut, was zu viel Absorption zur Folge hatte. Ein weiteres Problem war der fächerförmige Grundriss, der dazu führte, dass die Reflexionen von den Wänden alle an die Rückwand gelenkt und die zentral im Raum befindlichen Plätze mangelhaft mit Schallenergie versorgt wurden, weshalb sich kein «umhüllender» Klang für die Zuhörer einstellte. Positive Beispiele sind noch immer eher die Ausnahme als die Regel (vgl. TEC21, Nr. 22/2008, Nr. 27-28/2010 und «… Ohren, die nicht hören …», S. 20).

… zur Darstellbarkeit von Zeit, Frequenz und Amplitude

Dies ist umso erstaunlicher, als die wissenschaftliche Akustik ab Mitte der 1920er-Jahre im Zusammenwirken mit der sich im gleichen Zeitraum entwickelnden Elektronik und Audiotechnik rasche Fortschritte machte. Die Tonaufnahmetechnik ermöglichte erstmals die Trennung eines Klanges von seiner Quelle – ein revolutionärer Fortschritt. Insbesondere die in den 1940er- und 1950er-Jahren entwickelte Magnetbandtechnik ermöglichte erstmals das exakte Speichern von Schallereignissen und deren spätere Auswertung – eine wichtige Grundlage für akustische Messungen und das Verständnis der Akustik generell. Ein neues Zeitalter in der Entwicklung der akustischen Messtechnik brach Ende der 1970er- Jahre an, als in der Elektronik und Audiotechnik die Digitaltechnik Einzug hielt. Damit wurde es erstmals möglich, Schallsignale «verlustfrei» – d. h. ohne Störgeräusche wie z. B. Bandrauschen etc. – aufzuzeichnen und zu speichern. Die nun digitalisierten Signale konnten in Rechenmodelle eingespeist werden. Damit liess sich zum ersten Mal die Dreidimensionalität der akustischen Signale – entlang der Achsen Zeit, Frequenz und Amplitude – umfassend visualisieren. Die anschauliche Darstellung von grossen Datenmengen ist zentral für das Verständnis komplizierter physikalischer Vorgänge.

Objektive Parameter versus subjektiven Klangeindruck

Die Entwicklung der akustischen Messtechnik, gerade im raumakustischen Bereich, ist längst nicht abgeschlossen. Man versucht, neue, «objektiv» messbare Parameter zu finden, die – zusammen mit den bereits bekannten Kenngrössen – den subjektiven Klangeindruck in Räumen möglichst gut abbilden sollen. Denn dies ist der Kern der Akustik: Sie besteht nur zur Hälfte aus objektiver Physik – der andere Teil ist der subjektive Höreindruck. Die Qualität eines akustischen Ereignisses, sei dies nun Raumklang oder Umgebungslärm, wird von jeder Person individuell aufgrund persönlicher Erfahrungen, Vorlieben etc. beurteilt und entzieht sich grundsätzlich einer objektiven Bewertung. Die Akustik rückt damit in die Nähe von gestaltenden Disziplinen wie der Architektur oder dem Produktdesign. In allen diesen Bereichen ergibt sich die Qualität eines Werks aus einer Mischung von funktional- objektiven und gestalterisch-subjektiven Aspekten. Das bedeutet, dass sich Akustiker bei ihrer Arbeit nicht allein auf physikalisches Wissen stützen können. Vielmehr müssen sie sich den noch nicht gebauten Raum hörend vorstellen können – wie es Architekten auf der visuellen Ebene tun.

TEC21, Fr., 2012.03.09



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TEC21 2012|11 Hall und Aura

09. März 2012Martin Lachmann
TEC21

… Ohren, die nicht hören …

«As conscious beings, our perceptions are ours alone!»[1] Die Beurteilung von akustischen Situationen, sei es von Klang in der Raumakustik oder von Störung durch Lärm in der Bauakustik, ist immer subjektiv. Dies mag ein Grund dafür sein, dass man dem Thema in der Architekturdiskussion ausweicht – es sei denn, die Akustik steht im Zentrum der Nutzung, wie bei Konzertsälen, Ausstellungsarchitekturen oder klangkünstlerischen Projekten (Abb. 2, 3 und 11).

«As conscious beings, our perceptions are ours alone!»[1] Die Beurteilung von akustischen Situationen, sei es von Klang in der Raumakustik oder von Störung durch Lärm in der Bauakustik, ist immer subjektiv. Dies mag ein Grund dafür sein, dass man dem Thema in der Architekturdiskussion ausweicht – es sei denn, die Akustik steht im Zentrum der Nutzung, wie bei Konzertsälen, Ausstellungsarchitekturen oder klangkünstlerischen Projekten (Abb. 2, 3 und 11).

Wenn sich die Akustik in jedem Planungs- und Bauprozess gleichberechtigt mit anderen Fachbereichen Gehör verschaffen könnte, wären Räume zu gewinnen, die mit den Augen und auch mit den Ohren erlebbar sind. Die Akustik ist heute eine etablierte technische Wissenschaft. Das bedeutet aber nicht, dass sie alle Phänomene verstanden hätte. Die wichtigsten Knackpunkte sind das Verhältnis zwischen objektiver Messung und subjektiver Wahrnehmung, die geometrische Massstabsfrage, die Komplexität des Schallfeldes und der Mangel an Materialkennwerten. Die Qualität von akustischen Planungen und Werken kann nur beschränkt gemessen – und damit überprüft – werden.

Die geometrische Massstabsfrage ist eine Folge der Wellenlänge: Während die Wellenlängen des Lichts im Verhältnis zu unserer Umgebung klein sind (auch beim langwelligsten Licht liegt die Wellenlänge unter einem Millionstel Meter), umfasst die Wellenlänge des hörbaren Schalls den Bereich von ca. 17 Meter bis 1.7 Zentimeter – liegt also in den Dimensionen unseres Umfelds (Abb. 7). Entsprechend wird der Schall von der gebauten Umgebung anders beeinflusst als das Licht. Hinter einer Säule steht man im Konzertsaal immer im Schatten – egal, ob es sich um weisses, rotes oder grünes Licht handelt. Tieffrequente Töne (Bässe) hingegen hört man auch hinter der Säule, denn sie beugen sich darum herum, hochfrequente hingegen dringen kaum mehr ans Ohr, weil sie abgeschattet werden (Abb. 8).

Je nach Tonhöhe wird der Schall an grossen Objekten reflektiert, an mittleren gebeugt oder gestreut und passiert kleine Objekte teilweise ungehindert (Abb. 9 und 10). Daraus lässt sich erahnen, wie komplex sich das dreidimensionale Schallfeld gestaltet (Abb. 13). Ginge es nur um eine Frequenz, wäre es einfach, den akustisch idealen Raum zu entwerfen. Neben dieser grossmassstäblichen Wechselwirkung zwischen Schall und Bauwerk besteht auch eine kleinmassstäbliche Wechselwirkung zwischen den Schallwellen und der Oberfläche von Baustoffen. Entscheidend ist das Verhältnis zwischen der Unebenheit der Oberfläche (poliert, geriffelt, genoppt) und der Wellenlänge des auftreffenden Schalls. Entspricht die Unebenheit etwa der Wellenlänge, wird der Schall gestreut, andernfalls wird er reflektiert.

Grenzen der Simulation

Das führt dazu, dass für akustische Berechnungen oft mehr als ein theoretisches Modell nötig ist, um der Ausbreitung des Schalls bei verschiedenen Frequenzen Rechnung zu tragen. Wegen der Komplexität des Schallfeldes wird in der Akustikplanung trotz fortgeschrittener Computersimulation immer noch relativ oft mit Massstabmodellen gearbeitet ( gemessen).

Hier besteht eine Parallele zur Architektur, wo trotz fotorealistischer Computervisualisierung der Modellbau nach wie vor differenziertere Eindrücke bieten kann und darum auch weiterhin angewendet wird. In der Akustik zeigt sich das Problem von Simulationsprogrammen deutlich. Gerade weil auch hochentwickelte Software immer nur einen Ausschnitt des Problems beleuchten kann, spielt die Erfahrung beim Einspeisen der Daten in die Software und beim Beurteilen und Interpretieren der Resultate eine zentrale Rolle. Ist diese Erfahrung bei den Anwendern der Software nicht gegeben, werden auch unrealistische Ergebnisse für bare Münze genommen. den Klang gest alten In der Raumakustik sind Form, Struktur und akustische Eigenschaften der Raumoberflächen in wesentlichem Mass verantwortlich für den resultierenden Klang im Raum. Die zeitgenössische Formensprache und ihre Materialisierung birgt zahlreiche raumakustische Problemfelder und erzeugt leider nur selten «automatisch» gute Raumakustik. Grund dafür ist die Verwendung von mehrheitlich «schallharten» (nicht absorbierenden) Materialien, grossen, unstrukturierten, orthogonalen Flächen und die starke Reduktion von klassischen textilen Elementen wie Teppichen, Polstermöbeln, Vorhängen usw. im Innenausbau.

Der im späten 19. Jahrhundert vorherrschende Architekturstil führte praktisch zufällig zur Entstehung einiger der weltbesten Konzertsäle. So ist beispielsweise die Tonhalle in Zürich entstanden, kurz bevor die wissenschaftliche Raumakustik überhaupt anfing zu existieren. Bis in die 1980er- Jahre «retteten» Architektur- und Einrichtungsstil die Akustik in vielen Wohnbauten. Von der Architektur wäre in Zusammenarbeit mit der Akustik ein bewusstes akustisches Entwerfen gefordert. Dabei ginge es in erster Linie um die akustische Gestaltung der einzelnen Räume in einem Bauwerk – ist doch die Akustik ein zentraler Faktor, ob ein Raum seiner gedachten Funktion gerecht wird. Das akustische Entwerfen sollte aber weiter gehen: Analog zu visuellen Abfolgen könnten und sollten akustische Abfolgen und Atmosphärenwechsel ein Gebäude strukturieren, es interessant und angenehm machen und auch so erhalten.

Da es keine allgemeingültige «gute» und «schlechte» Raumakustik gibt – Raumakustik ist immer dann gut, wenn sie dem Benutzungszweck und der Atmosphäre des Raums dienlich ist – lässt sich raumakustische Planung nicht in einfache Schwarz-Weiss-Schemata pressen.

Heute ist es durchaus möglich, Räume akustisch zuverlässig zu planen. Zuerst müssen die Akustiker aber die voraussichtliche Nutzung und die Bedürfnisse und Wünsche der Nutzerinnen und Nutzer der zu planenden Räume kennenlernen. Anschliessend ist es ihre Aufgabe diese verbal/subjektiven Beschreibungen unter Einbezug der gestalterischen Ansprüche in Akustikmassnahmen zu übersetzen. Einschlägige Normen und Empfehlungen liefern zwar Richtwerte und Empfehlungen für die raumakustische Auslegung von bestimmten Raumtypen, ersetzen aber die individuelle Planung nicht. Es ist unerlässlich, dass sich die Akustiker aus ihrer Erfahrung vorstellen können, wie ein Raum klingen wird. Davon ausgehend «formen» sie den gewünschten Raumklang, abgestimmt auf die Verwendung eines Raumes, was sich anhand der Nachhallzeit anschaulich darstellen und überprüfen lässt (Abb. 5 und 6).

Neue Akustikmaterialien und ihre Grenzen

Die im Bauwesen verwendeten Materialien besitzen sehr unterschiedliche akustische Eigenschaften. Es ist darum eine der Aufgaben der Akustiker, geeignete Materialien so zu kombinieren, dass sich das gewünschte Klangbild im Raum einstellt. Ein Material mit idealen akustischen Eigenschaften für alle Anwendungen existiert nicht und ist auch – wie aus den physikalischen Gundlagen hervorgeht – nicht zu erwarten. Doch die Werkstofftechnologie entwickelt sich erfreulicherweise sehr dynamisch. So steht der Akustik heute eine grosse Palette von Materialien zur Verfügung, welche es ihr ermöglicht, auf viele Gestaltungswünsche der Architektur zu reagieren. Die Zeiten, in denen sich die Auswahl bei akustisch wirksamen Oberflächen auf gelochte Blechverkleidungen und Weichfaserplatten beschränkte, sind glücklicherweise vorbei.

Eine heute weitverbreitete neue Technologie für Akustikmaterialien ist die Mikroperforation. Dabei weist ein beliebiges hartes Plattenmaterial sehr viele feine Löcher mit einem Durchmesser im Sub-Millimeterbereich auf. Durch die Reibung der bewegten Luft in den Löchern wird Schallenergie in Wärme umgewandelt. Ein derart behandeltes Material hat schallabsorbierende Eigenschaften, ohne dass es zusätzlich mit herkömmlichen Absorbermaterialien hinterlegt werden muss.

Ausserdem sind die feinen Perforationen je nach Material meist unauffällig, sodass die Oberflächen optisch homogen wirken. Die akustische Notsanierung des ehemaligen Plenarsaals des deutschen Bundestags in Bonn mit mikroperforierten Glasbauteilen bedeutete 1993 den Durchbruch dieser in den 1980er-Jahren entwickelten Technologie. Aufgrund ihres physikalischen Prinzips absorbieren mikroperforierte Platten den Schall aber nur in einem relativ begrenzten Frequenzbereich. Sie müssen in der Regel mit anderen Materialien ergänzt werden, um die gewünschte Raumakustik zu erzeugen. Das bestätigt die Erfahrung, dass sich mit einem einzigen Material nicht alle akustischen Aufgaben zugleich lösen lassen.

Vorhänge und Filterplatten

Auch im Bereich der traditionellen Akustikmaterialien finden gegenwärtig interessante Entwicklungen statt. Bei Textilien wird beispielsweise intensiv daran gearbeitet, durch spezielle Webtechniken, die sich nur mit den modernsten Maschinen realisieren lassen, den Strömungswiderstand von Geweben zu optimieren. Denn ein poröses Material kann den Schall nur wirkungsvoll absorbieren, wenn sein Strömungswiderstand in einem definierten Idealbereich liegt. Ein aktuelles Beispiel für die innovative Nutzung dieses Prinzips sind optisch transparente Akustikvorhänge mit guter akustischer Absorption.[2]

Weitere neue Akustikmaterialien mit absorbierenden Eigenschaften sind metallische Produkte, die auf Umwegen aus anderen Bereichen der Industrie Eingang in den Bereich der Akustik gefunden haben. So werden beispielsweise in der Verfahrenstechnik metallische Filtergewebe verwendet, deren Maschen so fein sind, dass sich ein für die akustische Absorption günstiger Strömungswiderstand einstellt. Eine ähnliche Wirkung haben dünne Platten aus Sintermetall (zusammengebackene kleine Metallpartikel). Damit sind heute auch homogene metallische Flächen mit schallabsorbierender Wirkung realisierbar.

Schall zerstreuen, Schall messen, Schall gestalten

Neben der «Vernichtung» des Schalls mittels Schallabsorption (Abb. 12) ist dessen Lenkung oder Streuung (Diffusion) ein ebenso wichtiges akustisches Werkzeug. Aus diesem Bereich stammt eine der bedeutendsten akustischen Entwicklungen der jüngeren Vergangenheit: In den 1970er-Jahren legte der deutsche Physiker Manfred Schröder die zahlentheoretischen Grundlagen für den Bau von hochwirksamen schallstreuenden Strukturen, die seither als «Schröder-Diffusoren» in vielen Konzertsälen den Schall gleichmässiger verteilen und dadurch eine bessere Verständlichkeit ermöglichen (Abb. 4).

Leider fehlen in der Akustik auch heute noch vielfach verlässliche Materialdaten als Grundlage für akustische Berechnungen und Simulationen. Akustiklabors wie jenes der Empa in Dübendorf (Abb. 1), in denen Messungen an Materialien unter normgerechten Bedingungen durchgeführt werden können, sind darum für die Akustik sehr wichtig. Sie bieten oft die einzige Möglichkeit, über Messungen an konkreten Materialmustern verlässliche Daten für den akustischen Planungsprozess zu erhalten.

Trotz verschiedenen technischen, finanziellen und organisatorischen Hürden ist es heute für ein erfahrenes Team aus Architektinnen und Akustikern möglich, die Akustik in einem Gebäude – über den rein funktionalen Aspekt hinaus – zu gestalten. Während sich im Aussen- raum die Begriffe und Konzepte von «Soundscape», «Klangökologie» und «Klanggestaltung » langsam auf breiter Front durchsetzen, ist ein solches Verständnis für Innenräume leider noch nicht erkennbar – dabei könnten die subtilen akustischen Verläufe im Innenraum ebenfalls als «Soundscape» begriffen werden. Je früher die Diskussion über akustische Konzepte an einem Bauwerk ansetzt, desto grösser ist die Chance, die visuelle und die akustische Gestaltung zu einem harmonischen Ganzen verbinden zu können.


Anmerkungen:
[01] Lerman, P. D. Do You Hear What I Hear? Learning to Listen in a Mediated World. MIX Magazine, 2005, June 1
[02] Diese insbesondere für die Ausstattung von Büroräumen attraktiven Neuentwicklungen werden voraussichtlich in einem der folgenden TEC21-Hefte noch detailliert beschrieben

TEC21, Fr., 2012.03.09



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