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07. Juni 2003Doris Krumpl
Der Standard

Hoch hinaus und tief hinunter

Hoch- und Tiefbau, „Aufbauen und Aushöhlen“: Das „Zumtobel Staff Lichtforum Wien“ stellt unter diesen beiden Grundprinzipien von Architektur das Werk Hans Holleins in den Mittelpunkt. Es ist auch ein Beitrag zum Stand des Hochhauses.

Hoch- und Tiefbau, „Aufbauen und Aushöhlen“: Das „Zumtobel Staff Lichtforum Wien“ stellt unter diesen beiden Grundprinzipien von Architektur das Werk Hans Holleins in den Mittelpunkt. Es ist auch ein Beitrag zum Stand des Hochhauses.

Wien - Es gibt so etwas wie den „Skyscraper-Index“, der als Barometer für ökonomischen Niedergang dient. Wo immer ein höchstes Haus ausgerufen wird, steht die Wirtschaftskrise schon ante portas. Das war etwa 1930 beim Empire State Building so, in den 70ern beim WTC New York und dem Chicago Sears Tower, das war 1996 so in Kuala Lumpur. Was da in Wien jetzt entsteht, sind keine richtigen Wolkenkratzer, schmettert, darauf angesprochen, Architekt Hans Hollein die Frage ab: „Hier gelten ja nach der öffentlichen Bauordnung bereits Gebäude ab 26 Metern als Hochhäuser.“

Der 69-Jährige hat bereits einige hohe Gebäude fertig gestellt, etwa das Generali-Gebäude am Donaukanal. Der zweitürmige Gebäudekomplex am Laaer Berg, Porr Monte Laa, soll zirka in drei Jahren beziehbar sein. Die beiden Gebäudeteile verbindet Hollein mit auskragenden Strukturen, die von der Vogelperspektive aus wie ein konstruktivistisches 3D-Bild aussehen. Damit schließt sich der Kreis zu seinen Architekturvisionen der 60er-Jahre, als er über New York und auch Wien „Superstructures“ legte. Eine Collage aus einer Stadt über der Stadt, „einer Ebene über der Ebene“ (Hollein) aus amorphen, modellierten Teilen.

Die Wiener Superstructures geben den (meterlang vergrößerten) Hintergrund einer Hollein-Personale im „Zumtobel Staff Lichtforum Wien“. Die komplexe Schau fokussiert auf die Aspekte Aufbauen und Aushöhlen, zwei Grundprinzipien der Architektur. Eine frühe Zeichnung Holleins dokumentiert diese Grundlagenforschung: Aufbauen und Aushöhlen als archaische Tätigkeit; dann höheres Aufbauen, Auskragen und schlussendlich die schiefe Form/Ebene.


Schiefe Ebene

Letztere glaubt Hollein mit seinem kürzlich fertig gestellten Interbank-Komplex in Lima, Peru, erreicht zu haben. Ein kühnes Teil, bei dem die moderne Titanfassade mit der - von einem Dorf Perus in alter Inka-Technik errichteten - Basiswand kontrastiert.

In die Erde bzw. den Berg hinein gehen das seit 1990 in Planung stehende, immer wieder variierte Salzburger Mönchsberg-Museum sowie das vom Publikum gut angenommene Vulcania, die Mischung aus Museum und Themenpark für Vulkanismus im französischen Zentralmassiv (Auvergne).

Der Architekturkurator des New Yorker MoMA, Terence Riley, spricht von einem collageartigen Effekt Holleins, in der Ausstellung sehr gut nachzuvollziehen anhand früher programmatischer Architekturskizzen, welche im Zuge von Holleins Amerika-Studienaufenthalt (Chicago) entstanden waren: „Digging - Piling Up - Forming“.

Derzeit plant Riley die Ausstellung Tall Buildings, anberaumt für Juni 2004, welche Werke der vergangenen Dekade zeigen soll. Tall Buildings deshalb, weil es den technischen Aspekt der Häuser betonen will und nicht die klassischen Skyscraper. Ist die Zeit der Wolkenkratzer nicht längst vorbei, angesichts von 9/11 und auch was Versicherungen betrifft? Riley verneint dies im STANDARD-Gespräch, es herrsche jetzt so etwas wie eine „natürliche Ängstlichkeit“, doch `a la longue werde weitergebaut. „ Sie gewährleisten eine kraftvolle, bedeutende urbane Präsenz, überhaupt in dicht besiedelten Gebieten. Ich denke dabei vor allem an Asien.“

Welche strukturellen Erfindungen oder programmatischen Innovationen hat Riley im Zuge seiner Hochhausrecherchen bemerkt? Da gäbe es vor allem Innovationen in Richtung Ökologie im Sinne von weniger Energieverbrauch, sagt der Architekturexperte und nennt Norman Fosters neues Hochhaus in London als Beispiel. Von der Logistik her ähneln die aktuellen Hochhäuser immer mehr einer Stadt inmitten einer Stadt - öffentlicher Raum inmitten eines Gebäudes".


[Zumtobel Staff Lichtforum
Wien, 1,. Jasomirgottstr. 3-5,
(01) 532 10 47-0. Bis 11. 7. ]

Der Standard, Sa., 2003.06.07

30. Januar 2003Doris Krumpl
Der Standard

Berühmt unbeständig

Der Architekt Joze Plecnik (1872-1957) im Stadtmuseum Graz

Der Architekt Joze Plecnik (1872-1957) im Stadtmuseum Graz

Graz - Vielleicht ist er heute auch deshalb interessant, weil er dem „globalen“ internationalen Stil, der vielfach Tradition, Eigencharakter und historische Entwicklung zugunsten einer modernistischen und enzyklopädischen Orthodoxie aufgab, seine eigene Interpretation und regionale Adaption von klassischer Baukunst entgegenstellte. Weil er so etwas wie eine Idee von „Mitteleuropa“ repräsentiert, in Wien, Prag und Laibach baute. Ein früher „Crossover“-Mann.

International wahrgenommen wurde der Architekt Joze Plecnik (1872-1957) erstmals in den 80ern, der Postmoderne. Legionen von Grazer Architekturschülern etwa studierten die klassische Stadtplanung anhand seiner Heimatstadt Ljubljana (Laibach), deren Innenstadt wie zentrale Gebäude Plecnik in den 30er-Jahren gestaltete, in einen mediterranen Ort verwandeln wollte. Seine Vision war die einer universalen „Architectura perennis“; nach dem Vorbild Athen plante er Akropolis (Stadtburg), Nekropole (Aufbahrungskomplex in Zale), Stadion, Theater, Markthallen. Viele seiner Entwürfe wurden nicht realisiert, wie etwa der Bau des slowenischen Parlaments.

Ein Holzmodell dieses Gebäudes ist eines der Exponate der aktuellen, von Boris Podrecca in Zusammenarbeit mit dem Architekturmuseum Ljubljana konzipierten Schau im Grazer Stadtmuseum: Joze Plecnik und Ljubljana. Der Architekt und seine Stadt. Podrecca sieht die Modernität des Architekten in seiner formalen Flexibilität, in der „Polyvalenz der Formen, die er verschiebt, zerstört, wieder zusammensetzt, synthetisiert und strafft. Bei Plecnik finde ich weder Eingleisigkeit noch stilistischen Rassismus, nur Vielfalt, die auf unterschiedlichste Regungen der Zeit korrigierend antwortet. Dies ist auch in Bezug auf unsere liquide Zeit, in Ermangelung an linearer Geschichte, relevant.“

Otto Wagner wiederum, Plecniks Professor in dessen Wiener Studienjahren, schrieb seinem „erstklassigem Künstler“ zur Studienreise nach Italien, dass er für ihn hoffe, die „berühmte Unbeständigkeit zu verlieren, an der Sie in Wien trotz ihres großen Talents litten“.

Schauerlich sei Plecnik allerdings in seiner terribilitá, meint Podrecca: Bizarr jedenfalls ist Plecniks ausgeführtes National- und Universitäts-Bibliotheksgebäude, wo rohe (Rustica-)Steine die Fassade durchbrechen und gegen oben hin zahlenmäßig abnehmen. Symbolhaft sollte dies den Sieg der Kultur über die Natur darstellen. Expressive Renaissance könnte man dies nennen.

In Plecniks immensem Säulen-Repertoire, das er am auffälligsten wohl bei seinen Brücken/Stiegenentwürfen für die Innenstadt Ljubljana anwendete, findet sich nicht eine idente Form. In der Präzisierung von architektonischen Details und der hohen Bewertung der Handwerkskunst war er mehr Universalist im Stil eines William Morris und Otto Wagners denn Technokrat.

Bis auf weiteres ist man besser beraten, den Ausstellungskatalog zu studieren, denn die rund 30 Videomonitore, auf denen Plecniks im Stadtalltag gefilmte Gebäude gezeigt werden, funktionieren nicht. Und so wandelt man auf dem Luftbildstadtplan der slowenischen Hauptstadt an endlosen blassen Planungszeichnungen entlang.


[Bis 31. 3.]

Der Standard, Do., 2003.01.30

19. Juli 2000Doris Krumpl
Der Standard

Londons gigantische Kunstturbine

Keine chronologische Hitparade der bildenden Künste, sondern die Verbindung von Historischem und Zeitgenössischem versucht Londons vor zwei Monaten eröffnete „Tate Modern“: Doris Krumpl sprach mit ihrem Direktor Nicholas Serota.

Keine chronologische Hitparade der bildenden Künste, sondern die Verbindung von Historischem und Zeitgenössischem versucht Londons vor zwei Monaten eröffnete „Tate Modern“: Doris Krumpl sprach mit ihrem Direktor Nicholas Serota.

London - In der ehemaligen Turbinenhalle geht es zu wie am Hauptbahnhof zur Rushhour. Schülergruppen lungern am Boden, an den Informationsschaltern drängt sich die Menge.

Eintritt zu zahlen braucht man nämlich nicht in der „Tate Modern“, die damit das in Großbritannien gepflegte demokratische Recht auf Museumsbesuch für alle prolongiert. Nicht nur die schlicht geniale Architektur der Schweizer Herzog/de Meuron setzt Maßstäbe, sondern wie das 134,5-Millionen-Pfund-Projekt Tate Modern überhaupt angegangen wurde.

Sir Nicholas Serota, Direktor der alten wie neuen Tate Gallery und mit britischem Understatement ein wohltuender, intellektueller Gegenpol zu den polternden, schenkelklopfenden US-amerikanischen Museumschefs, ist Schirmherr all dieser Aktivitäten. Bevor irgendetwas gebaut wurde, schickte er Sozialarbeiter in das südlich der Themse gelegene „no-man's land“ mit extrem hoher Arbeitslosenrate, die eine Einbindung der ansässigen Bevölkerung in Aussicht stellte.

Wie das Museum of Modern Art für die 40er/50er, das Pompidou für die 70er und das Guggenheim Bilbao für die 90er, so atmet die auf die in Orwellschem Neusprech auf Tate Modern verkürzte Gallery wirklich neuen, aber keinen Zeitgeist. Keine mit Türmchen und Fensterlein verzierte Prunk- und Protzhülle à la 80er steht da am Flussufer, sondern vielmehr ein pragmatischer, demokratischer Bau.


Massenbesuch

Und er hat, abseits der Form wie Funktion bestens vereinenden Architektur, auch noch profunden Inhalt zu bieten. Und „trotz“ des Inhalts kommen Massen, da staunt auch Sir Serota. Vor kurzem wurde der millionste Besucher gezählt, knapp zwei Monate nach der Eröffnung. Erhofft hatte man sich zwei Millionen pro Jahr.

„London entdeckt gerade, dass es einen Fluss hat“, meint Serota - und die britischen Blätter schreiben: „Take a walk on the south side.“ Das können Fußgeher auch via Millennium Bridge machen - wenn sie nicht wegen zu starkem Wackeln („wobble“) und Schwingen gesperrt ist. Ihr Architekt, Sir Norman Foster, muss sich deshalb den Neo-Namen „Sir Norman Wobble“ gefallen lassen.

Vor drei Jahren noch hätte man kein einziges Taxi in dieser Gegend gesehen, erzählt der Direktor. Ihm steht Lars Nittve als Direktor der Tate Modern zur Seite. Vor London hatte der Schwede das renommierte Lousiana Museum of Modern Art in Dänemark geleitet. Gemeinsam konzipierten sie die Schaustellung der Kollektion, die bis dato in den Depots ruhen musste.

Das Wachküssen hat sich gelohnt, so zeigt sich in der permanenten Sammlung erlesener Geschmack. Es gibt das Beste von den Besten, in solchen Größenverhältnissen präsentiert.

Nicht in chronologischer Reihenfolge stehen die Kunstwerke, sondern thematisch geordnet - quer durch die Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts: Stillleben (Still Life/Object/Real Life), Landschaftsbild (Landscape/Matter/Environment), Akt (Nude/ Action/Body), sowie History/ Memory/Society. So befinden sich Halbreliefs von Matisse etwa Aquarellen von Marlene Dumas gegenüber. Oder Richard Longs steinerne Bodenskulptur Red Slate Circle neben Claude Monets Wasserlilien - ein belebender Kontrast beim Thema „Landschaft“.

„Das Museum sollte nicht etwas geschlossen Historisches sein, sondern sich um das zeitgenössische Verständnis von moderner Kunst drehen“, sagen Serota und Nittve unisono.

Diese unkonventionelle, unhierarchische Aufstellung brachte auch Kritik ein. Man wäre zu subjektiv, man sähe zu sehr die persönliche Handschrift der Kuratoren. Serota darauf: „Wo sieht man die übrigens nicht? Außerdem stellt sich die Frage: Warum muss ich als 1956 geborener Künstler immer mit Menschen ausstellen, die zwischen 1950 und 1960 geboren sind? Das ist ja wie in der Schule!“

An einem einzigen Ort kann man übrigens den Besuchermassen entkommen: Die Baustellen-Installation von Fischli/Weiss hält niemand für Kunst - alle rennen schnell daran vorbei. www.tate.org.uk

Der Standard, Mi., 2000.07.19



verknüpfte Bauwerke
Tate Gallery of Modern Art

03. Juli 1999Doris Krumpl
Der Standard

Kribbeln unterm Krauthappel

Wien - Leben mit Maschinen. Zeit: Gegenwart. Haltbarkeitsdauer: unbestimmt. Und das geht hier, simpel gesagt, so: Parameter - wie Wind, Sonne, Temperatur, topographische und städtebauliche Eckdaten - in den Computer eingeben und Lösungen erwarten. Das tat der junge US-Architekt Greg
Lynn mit seinem neuesten Kunststreich, der erstmals in der Wiener Secession auch tatsächlich verwirklicht wurde.

Wien - Leben mit Maschinen. Zeit: Gegenwart. Haltbarkeitsdauer: unbestimmt. Und das geht hier, simpel gesagt, so: Parameter - wie Wind, Sonne, Temperatur, topographische und städtebauliche Eckdaten - in den Computer eingeben und Lösungen erwarten. Das tat der junge US-Architekt Greg
Lynn mit seinem neuesten Kunststreich, der erstmals in der Wiener Secession auch tatsächlich verwirklicht wurde.

Wien - Leben mit Maschinen. Zeit: Gegenwart. Haltbarkeitsdauer: unbestimmt. Und das geht hier, simpel gesagt, so: Parameter - wie Wind, Sonne, Temperatur, topographische und städtebauliche Eckdaten - in den Computer eingeben und Lösungen erwarten. Das tat der junge US-Architekt Greg Lynn mit seinem neuesten Kunststreich, der erstmals in der Wiener Secession auch tatsächlich verwirklicht wurde.

Das erste Secessions-Architekturprojekt seit langem - und allein deshalb begrüßenswert - ist ein amorphes, aus „organischem“ Aluminium geschweißtes Alien, das sich das symmetrische Jugendstiljuwel einverleibt. Ein tingeling thing, wie es Lynn und der mit ihm kooperierende Maler Fabian Marcaccio benennen, beide übrigens bekennende Science-Fiction-Afficionados. Der Name, übersetzt etwa „das kribbelnde, beißende Ding“, bezieht sich auf einen Horrorfilm, in dem ein Arzt behauptet, Angst sei ein eigenes Lebewesen.

Hatten andere Künstler sich vor den historischen Räumen verneigt oder das Innere gänzlich negiert und zugebaut, so betreibt das Duo in bester postmodernistischer Manier dessen Dekonstruktion: eine wuchtige, schrille Intervention, die das dekorative Blätterelement der Kuppel, das goldene Krauthappel, und die strenge Geometrie des Gebäudekerns gleichfalls in die Mangel nimmt.

Das fremde, CAD-generierte Ding schlängelt sich von der Kuppel aus über die Decke der Vorhalle, wo es dann als Art Schiffsrumpf im Hauptraum strandet.

Roh, und die stählernen Konstruktionslinien verleugnend oder durchstoßend, schiebt sich die Malerei des seit zwölf Jahren in New York lebenden argentinischen Künstlers Fabian Marcaccio dazwischen - was an der Fassade allerdings etwas mager und verloren aussieht.

Er scannt in Pop-Farben Objekte, Einwegspritzen, wuchernden Fleisch-Schleim (Alien!) oder Makroaufnahmen von Texturen zu einem Mahlstrom von sich überlagernden Schichten und Farbspuren. „Information overload“ im Infobombardement aus dem Geiste von H. R. Giger. Images, auch aus der klassischen Malerei, wie etwa der dicke Pinselstrich des abstrakten Expressionismus werden als Abfolge von Filmkadern gleichsam mutiert, zuweilen 35 Meter lang. Keine Collage `a la Pop Art, sondern eine Zitatensammlung, Abgründe, in denen man sich verlieren kann.

Die Rückseiten der mit Nylonschnüren aufgespannten Prints ziert hingegen klassisch wilde Malerei. Bedeutsam auch, daß der Architekt nicht brave Anhaltspunkte für die Künstler-Bilder liefert, sondern daß sich alles autonom mixt zu einer hochexplosiven Mischung. Deren Haltbarkeit steht allerdings in den Sternen und hängt auch ein bißchen von der Beschaffenheit der jeweiligen Computerprogramme ab. Doch was soll's, die Secession steht für's Zeitgenössische - und das soll ja vor allem gerne kribbeln und beißen. Bis 8.8.

Ausstellung Lucy Orta im grafischen Kabinett, Gitte Villesen (DK) in der Kellergalerie

Der Standard, Sa., 1999.07.03

Presseschau 12

07. Juni 2003Doris Krumpl
Der Standard

Hoch hinaus und tief hinunter

Hoch- und Tiefbau, „Aufbauen und Aushöhlen“: Das „Zumtobel Staff Lichtforum Wien“ stellt unter diesen beiden Grundprinzipien von Architektur das Werk Hans Holleins in den Mittelpunkt. Es ist auch ein Beitrag zum Stand des Hochhauses.

Hoch- und Tiefbau, „Aufbauen und Aushöhlen“: Das „Zumtobel Staff Lichtforum Wien“ stellt unter diesen beiden Grundprinzipien von Architektur das Werk Hans Holleins in den Mittelpunkt. Es ist auch ein Beitrag zum Stand des Hochhauses.

Wien - Es gibt so etwas wie den „Skyscraper-Index“, der als Barometer für ökonomischen Niedergang dient. Wo immer ein höchstes Haus ausgerufen wird, steht die Wirtschaftskrise schon ante portas. Das war etwa 1930 beim Empire State Building so, in den 70ern beim WTC New York und dem Chicago Sears Tower, das war 1996 so in Kuala Lumpur. Was da in Wien jetzt entsteht, sind keine richtigen Wolkenkratzer, schmettert, darauf angesprochen, Architekt Hans Hollein die Frage ab: „Hier gelten ja nach der öffentlichen Bauordnung bereits Gebäude ab 26 Metern als Hochhäuser.“

Der 69-Jährige hat bereits einige hohe Gebäude fertig gestellt, etwa das Generali-Gebäude am Donaukanal. Der zweitürmige Gebäudekomplex am Laaer Berg, Porr Monte Laa, soll zirka in drei Jahren beziehbar sein. Die beiden Gebäudeteile verbindet Hollein mit auskragenden Strukturen, die von der Vogelperspektive aus wie ein konstruktivistisches 3D-Bild aussehen. Damit schließt sich der Kreis zu seinen Architekturvisionen der 60er-Jahre, als er über New York und auch Wien „Superstructures“ legte. Eine Collage aus einer Stadt über der Stadt, „einer Ebene über der Ebene“ (Hollein) aus amorphen, modellierten Teilen.

Die Wiener Superstructures geben den (meterlang vergrößerten) Hintergrund einer Hollein-Personale im „Zumtobel Staff Lichtforum Wien“. Die komplexe Schau fokussiert auf die Aspekte Aufbauen und Aushöhlen, zwei Grundprinzipien der Architektur. Eine frühe Zeichnung Holleins dokumentiert diese Grundlagenforschung: Aufbauen und Aushöhlen als archaische Tätigkeit; dann höheres Aufbauen, Auskragen und schlussendlich die schiefe Form/Ebene.


Schiefe Ebene

Letztere glaubt Hollein mit seinem kürzlich fertig gestellten Interbank-Komplex in Lima, Peru, erreicht zu haben. Ein kühnes Teil, bei dem die moderne Titanfassade mit der - von einem Dorf Perus in alter Inka-Technik errichteten - Basiswand kontrastiert.

In die Erde bzw. den Berg hinein gehen das seit 1990 in Planung stehende, immer wieder variierte Salzburger Mönchsberg-Museum sowie das vom Publikum gut angenommene Vulcania, die Mischung aus Museum und Themenpark für Vulkanismus im französischen Zentralmassiv (Auvergne).

Der Architekturkurator des New Yorker MoMA, Terence Riley, spricht von einem collageartigen Effekt Holleins, in der Ausstellung sehr gut nachzuvollziehen anhand früher programmatischer Architekturskizzen, welche im Zuge von Holleins Amerika-Studienaufenthalt (Chicago) entstanden waren: „Digging - Piling Up - Forming“.

Derzeit plant Riley die Ausstellung Tall Buildings, anberaumt für Juni 2004, welche Werke der vergangenen Dekade zeigen soll. Tall Buildings deshalb, weil es den technischen Aspekt der Häuser betonen will und nicht die klassischen Skyscraper. Ist die Zeit der Wolkenkratzer nicht längst vorbei, angesichts von 9/11 und auch was Versicherungen betrifft? Riley verneint dies im STANDARD-Gespräch, es herrsche jetzt so etwas wie eine „natürliche Ängstlichkeit“, doch `a la longue werde weitergebaut. „ Sie gewährleisten eine kraftvolle, bedeutende urbane Präsenz, überhaupt in dicht besiedelten Gebieten. Ich denke dabei vor allem an Asien.“

Welche strukturellen Erfindungen oder programmatischen Innovationen hat Riley im Zuge seiner Hochhausrecherchen bemerkt? Da gäbe es vor allem Innovationen in Richtung Ökologie im Sinne von weniger Energieverbrauch, sagt der Architekturexperte und nennt Norman Fosters neues Hochhaus in London als Beispiel. Von der Logistik her ähneln die aktuellen Hochhäuser immer mehr einer Stadt inmitten einer Stadt - öffentlicher Raum inmitten eines Gebäudes".


[Zumtobel Staff Lichtforum
Wien, 1,. Jasomirgottstr. 3-5,
(01) 532 10 47-0. Bis 11. 7. ]

Der Standard, Sa., 2003.06.07

30. Januar 2003Doris Krumpl
Der Standard

Berühmt unbeständig

Der Architekt Joze Plecnik (1872-1957) im Stadtmuseum Graz

Der Architekt Joze Plecnik (1872-1957) im Stadtmuseum Graz

Graz - Vielleicht ist er heute auch deshalb interessant, weil er dem „globalen“ internationalen Stil, der vielfach Tradition, Eigencharakter und historische Entwicklung zugunsten einer modernistischen und enzyklopädischen Orthodoxie aufgab, seine eigene Interpretation und regionale Adaption von klassischer Baukunst entgegenstellte. Weil er so etwas wie eine Idee von „Mitteleuropa“ repräsentiert, in Wien, Prag und Laibach baute. Ein früher „Crossover“-Mann.

International wahrgenommen wurde der Architekt Joze Plecnik (1872-1957) erstmals in den 80ern, der Postmoderne. Legionen von Grazer Architekturschülern etwa studierten die klassische Stadtplanung anhand seiner Heimatstadt Ljubljana (Laibach), deren Innenstadt wie zentrale Gebäude Plecnik in den 30er-Jahren gestaltete, in einen mediterranen Ort verwandeln wollte. Seine Vision war die einer universalen „Architectura perennis“; nach dem Vorbild Athen plante er Akropolis (Stadtburg), Nekropole (Aufbahrungskomplex in Zale), Stadion, Theater, Markthallen. Viele seiner Entwürfe wurden nicht realisiert, wie etwa der Bau des slowenischen Parlaments.

Ein Holzmodell dieses Gebäudes ist eines der Exponate der aktuellen, von Boris Podrecca in Zusammenarbeit mit dem Architekturmuseum Ljubljana konzipierten Schau im Grazer Stadtmuseum: Joze Plecnik und Ljubljana. Der Architekt und seine Stadt. Podrecca sieht die Modernität des Architekten in seiner formalen Flexibilität, in der „Polyvalenz der Formen, die er verschiebt, zerstört, wieder zusammensetzt, synthetisiert und strafft. Bei Plecnik finde ich weder Eingleisigkeit noch stilistischen Rassismus, nur Vielfalt, die auf unterschiedlichste Regungen der Zeit korrigierend antwortet. Dies ist auch in Bezug auf unsere liquide Zeit, in Ermangelung an linearer Geschichte, relevant.“

Otto Wagner wiederum, Plecniks Professor in dessen Wiener Studienjahren, schrieb seinem „erstklassigem Künstler“ zur Studienreise nach Italien, dass er für ihn hoffe, die „berühmte Unbeständigkeit zu verlieren, an der Sie in Wien trotz ihres großen Talents litten“.

Schauerlich sei Plecnik allerdings in seiner terribilitá, meint Podrecca: Bizarr jedenfalls ist Plecniks ausgeführtes National- und Universitäts-Bibliotheksgebäude, wo rohe (Rustica-)Steine die Fassade durchbrechen und gegen oben hin zahlenmäßig abnehmen. Symbolhaft sollte dies den Sieg der Kultur über die Natur darstellen. Expressive Renaissance könnte man dies nennen.

In Plecniks immensem Säulen-Repertoire, das er am auffälligsten wohl bei seinen Brücken/Stiegenentwürfen für die Innenstadt Ljubljana anwendete, findet sich nicht eine idente Form. In der Präzisierung von architektonischen Details und der hohen Bewertung der Handwerkskunst war er mehr Universalist im Stil eines William Morris und Otto Wagners denn Technokrat.

Bis auf weiteres ist man besser beraten, den Ausstellungskatalog zu studieren, denn die rund 30 Videomonitore, auf denen Plecniks im Stadtalltag gefilmte Gebäude gezeigt werden, funktionieren nicht. Und so wandelt man auf dem Luftbildstadtplan der slowenischen Hauptstadt an endlosen blassen Planungszeichnungen entlang.


[Bis 31. 3.]

Der Standard, Do., 2003.01.30

19. Juli 2000Doris Krumpl
Der Standard

Londons gigantische Kunstturbine

Keine chronologische Hitparade der bildenden Künste, sondern die Verbindung von Historischem und Zeitgenössischem versucht Londons vor zwei Monaten eröffnete „Tate Modern“: Doris Krumpl sprach mit ihrem Direktor Nicholas Serota.

Keine chronologische Hitparade der bildenden Künste, sondern die Verbindung von Historischem und Zeitgenössischem versucht Londons vor zwei Monaten eröffnete „Tate Modern“: Doris Krumpl sprach mit ihrem Direktor Nicholas Serota.

London - In der ehemaligen Turbinenhalle geht es zu wie am Hauptbahnhof zur Rushhour. Schülergruppen lungern am Boden, an den Informationsschaltern drängt sich die Menge.

Eintritt zu zahlen braucht man nämlich nicht in der „Tate Modern“, die damit das in Großbritannien gepflegte demokratische Recht auf Museumsbesuch für alle prolongiert. Nicht nur die schlicht geniale Architektur der Schweizer Herzog/de Meuron setzt Maßstäbe, sondern wie das 134,5-Millionen-Pfund-Projekt Tate Modern überhaupt angegangen wurde.

Sir Nicholas Serota, Direktor der alten wie neuen Tate Gallery und mit britischem Understatement ein wohltuender, intellektueller Gegenpol zu den polternden, schenkelklopfenden US-amerikanischen Museumschefs, ist Schirmherr all dieser Aktivitäten. Bevor irgendetwas gebaut wurde, schickte er Sozialarbeiter in das südlich der Themse gelegene „no-man's land“ mit extrem hoher Arbeitslosenrate, die eine Einbindung der ansässigen Bevölkerung in Aussicht stellte.

Wie das Museum of Modern Art für die 40er/50er, das Pompidou für die 70er und das Guggenheim Bilbao für die 90er, so atmet die auf die in Orwellschem Neusprech auf Tate Modern verkürzte Gallery wirklich neuen, aber keinen Zeitgeist. Keine mit Türmchen und Fensterlein verzierte Prunk- und Protzhülle à la 80er steht da am Flussufer, sondern vielmehr ein pragmatischer, demokratischer Bau.


Massenbesuch

Und er hat, abseits der Form wie Funktion bestens vereinenden Architektur, auch noch profunden Inhalt zu bieten. Und „trotz“ des Inhalts kommen Massen, da staunt auch Sir Serota. Vor kurzem wurde der millionste Besucher gezählt, knapp zwei Monate nach der Eröffnung. Erhofft hatte man sich zwei Millionen pro Jahr.

„London entdeckt gerade, dass es einen Fluss hat“, meint Serota - und die britischen Blätter schreiben: „Take a walk on the south side.“ Das können Fußgeher auch via Millennium Bridge machen - wenn sie nicht wegen zu starkem Wackeln („wobble“) und Schwingen gesperrt ist. Ihr Architekt, Sir Norman Foster, muss sich deshalb den Neo-Namen „Sir Norman Wobble“ gefallen lassen.

Vor drei Jahren noch hätte man kein einziges Taxi in dieser Gegend gesehen, erzählt der Direktor. Ihm steht Lars Nittve als Direktor der Tate Modern zur Seite. Vor London hatte der Schwede das renommierte Lousiana Museum of Modern Art in Dänemark geleitet. Gemeinsam konzipierten sie die Schaustellung der Kollektion, die bis dato in den Depots ruhen musste.

Das Wachküssen hat sich gelohnt, so zeigt sich in der permanenten Sammlung erlesener Geschmack. Es gibt das Beste von den Besten, in solchen Größenverhältnissen präsentiert.

Nicht in chronologischer Reihenfolge stehen die Kunstwerke, sondern thematisch geordnet - quer durch die Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts: Stillleben (Still Life/Object/Real Life), Landschaftsbild (Landscape/Matter/Environment), Akt (Nude/ Action/Body), sowie History/ Memory/Society. So befinden sich Halbreliefs von Matisse etwa Aquarellen von Marlene Dumas gegenüber. Oder Richard Longs steinerne Bodenskulptur Red Slate Circle neben Claude Monets Wasserlilien - ein belebender Kontrast beim Thema „Landschaft“.

„Das Museum sollte nicht etwas geschlossen Historisches sein, sondern sich um das zeitgenössische Verständnis von moderner Kunst drehen“, sagen Serota und Nittve unisono.

Diese unkonventionelle, unhierarchische Aufstellung brachte auch Kritik ein. Man wäre zu subjektiv, man sähe zu sehr die persönliche Handschrift der Kuratoren. Serota darauf: „Wo sieht man die übrigens nicht? Außerdem stellt sich die Frage: Warum muss ich als 1956 geborener Künstler immer mit Menschen ausstellen, die zwischen 1950 und 1960 geboren sind? Das ist ja wie in der Schule!“

An einem einzigen Ort kann man übrigens den Besuchermassen entkommen: Die Baustellen-Installation von Fischli/Weiss hält niemand für Kunst - alle rennen schnell daran vorbei. www.tate.org.uk

Der Standard, Mi., 2000.07.19



verknüpfte Bauwerke
Tate Gallery of Modern Art

03. Juli 1999Doris Krumpl
Der Standard

Kribbeln unterm Krauthappel

Wien - Leben mit Maschinen. Zeit: Gegenwart. Haltbarkeitsdauer: unbestimmt. Und das geht hier, simpel gesagt, so: Parameter - wie Wind, Sonne, Temperatur, topographische und städtebauliche Eckdaten - in den Computer eingeben und Lösungen erwarten. Das tat der junge US-Architekt Greg
Lynn mit seinem neuesten Kunststreich, der erstmals in der Wiener Secession auch tatsächlich verwirklicht wurde.

Wien - Leben mit Maschinen. Zeit: Gegenwart. Haltbarkeitsdauer: unbestimmt. Und das geht hier, simpel gesagt, so: Parameter - wie Wind, Sonne, Temperatur, topographische und städtebauliche Eckdaten - in den Computer eingeben und Lösungen erwarten. Das tat der junge US-Architekt Greg
Lynn mit seinem neuesten Kunststreich, der erstmals in der Wiener Secession auch tatsächlich verwirklicht wurde.

Wien - Leben mit Maschinen. Zeit: Gegenwart. Haltbarkeitsdauer: unbestimmt. Und das geht hier, simpel gesagt, so: Parameter - wie Wind, Sonne, Temperatur, topographische und städtebauliche Eckdaten - in den Computer eingeben und Lösungen erwarten. Das tat der junge US-Architekt Greg Lynn mit seinem neuesten Kunststreich, der erstmals in der Wiener Secession auch tatsächlich verwirklicht wurde.

Das erste Secessions-Architekturprojekt seit langem - und allein deshalb begrüßenswert - ist ein amorphes, aus „organischem“ Aluminium geschweißtes Alien, das sich das symmetrische Jugendstiljuwel einverleibt. Ein tingeling thing, wie es Lynn und der mit ihm kooperierende Maler Fabian Marcaccio benennen, beide übrigens bekennende Science-Fiction-Afficionados. Der Name, übersetzt etwa „das kribbelnde, beißende Ding“, bezieht sich auf einen Horrorfilm, in dem ein Arzt behauptet, Angst sei ein eigenes Lebewesen.

Hatten andere Künstler sich vor den historischen Räumen verneigt oder das Innere gänzlich negiert und zugebaut, so betreibt das Duo in bester postmodernistischer Manier dessen Dekonstruktion: eine wuchtige, schrille Intervention, die das dekorative Blätterelement der Kuppel, das goldene Krauthappel, und die strenge Geometrie des Gebäudekerns gleichfalls in die Mangel nimmt.

Das fremde, CAD-generierte Ding schlängelt sich von der Kuppel aus über die Decke der Vorhalle, wo es dann als Art Schiffsrumpf im Hauptraum strandet.

Roh, und die stählernen Konstruktionslinien verleugnend oder durchstoßend, schiebt sich die Malerei des seit zwölf Jahren in New York lebenden argentinischen Künstlers Fabian Marcaccio dazwischen - was an der Fassade allerdings etwas mager und verloren aussieht.

Er scannt in Pop-Farben Objekte, Einwegspritzen, wuchernden Fleisch-Schleim (Alien!) oder Makroaufnahmen von Texturen zu einem Mahlstrom von sich überlagernden Schichten und Farbspuren. „Information overload“ im Infobombardement aus dem Geiste von H. R. Giger. Images, auch aus der klassischen Malerei, wie etwa der dicke Pinselstrich des abstrakten Expressionismus werden als Abfolge von Filmkadern gleichsam mutiert, zuweilen 35 Meter lang. Keine Collage `a la Pop Art, sondern eine Zitatensammlung, Abgründe, in denen man sich verlieren kann.

Die Rückseiten der mit Nylonschnüren aufgespannten Prints ziert hingegen klassisch wilde Malerei. Bedeutsam auch, daß der Architekt nicht brave Anhaltspunkte für die Künstler-Bilder liefert, sondern daß sich alles autonom mixt zu einer hochexplosiven Mischung. Deren Haltbarkeit steht allerdings in den Sternen und hängt auch ein bißchen von der Beschaffenheit der jeweiligen Computerprogramme ab. Doch was soll's, die Secession steht für's Zeitgenössische - und das soll ja vor allem gerne kribbeln und beißen. Bis 8.8.

Ausstellung Lucy Orta im grafischen Kabinett, Gitte Villesen (DK) in der Kellergalerie

Der Standard, Sa., 1999.07.03

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