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23. Dezember 2020Claudia Schwartz
Neue Zürcher Zeitung

Schloss mit lustig: Das ambitionierteste deutsche Kulturprojekt seit der Wende bleibt ein Streitpunkt

Der Wiederaufbau der Hohenzollernresidenz in Berlin ist vollendet. Aber wie schafft man die Bespielung des Humboldt-Forums in einer Zeit, in der das Existenzrecht ethnologischer Sammlungen infrage steht?

Der Wiederaufbau der Hohenzollernresidenz in Berlin ist vollendet. Aber wie schafft man die Bespielung des Humboldt-Forums in einer Zeit, in der das Existenzrecht ethnologischer Sammlungen infrage steht?

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verknüpfte Bauwerke
Humboldt-Forum

22. Oktober 2020Claudia Schwartz
Neue Zürcher Zeitung

Adieu, TXL! So einen Flughafen wie Berlin-Tegel wird es nie mehr geben

Die Entstehungsbedingungen waren aussergewöhnlich, das quälende Ende in Raten war es auch. Die Geschichte des legendären Berliner Flughafens zwischen Sehnsuchtsort und Architekturikone.

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12. Juli 2019Claudia Schwartz
Neue Zürcher Zeitung

David Chipperfield vollendet in Berlin mit einem Eingangstempel die Museumsinsel

Soll keiner sagen, in Berlin gäbe es nicht auch das Glück des Gelingens. Am Freitag wird auf der Museumsinsel in Anwesenheit von Bundeskanzlerin Angela Merkel der Neubau von David Chipperfield eingeweiht. Die James-Simon-Galerie dient als Tor zu Deutschlands schönster Kulturlandschaft – und formuliert die neue Antithese zum wiederaufgebauten Schloss.

Soll keiner sagen, in Berlin gäbe es nicht auch das Glück des Gelingens. Am Freitag wird auf der Museumsinsel in Anwesenheit von Bundeskanzlerin Angela Merkel der Neubau von David Chipperfield eingeweiht. Die James-Simon-Galerie dient als Tor zu Deutschlands schönster Kulturlandschaft – und formuliert die neue Antithese zum wiederaufgebauten Schloss.

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James-Simon-Galerie

29. November 2016Claudia Schwartz
Neue Zürcher Zeitung

Berlin, Bollywood

Während die Bauten in Berlins Mitte immer preussischer aussehen, setzen die Häuser zunehmend auf Weltkultur. – Weshalb das alles so gut zu Berlin passt.

Während die Bauten in Berlins Mitte immer preussischer aussehen, setzen die Häuser zunehmend auf Weltkultur. – Weshalb das alles so gut zu Berlin passt.

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02. Dezember 2014Claudia Schwartz
Neue Zürcher Zeitung

Entstehungsgeschichten

Während viele Institutionen und Nationen sich zur Jahrtausendwende für die Weltausstellung in Hannover «zurechtmachten», reüssierte die Schweiz mit einem...

Während viele Institutionen und Nationen sich zur Jahrtausendwende für die Weltausstellung in Hannover «zurechtmachten», reüssierte die Schweiz mit einem...

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26. April 2013Claudia Schwartz
Neue Zürcher Zeitung

Mit leiser Wucht

Er ist eine Leitfigur der Bündner Architektur und einer, dessen Entwürfe die Idee vom originären Schweizer Bauen über die Landesgrenzen hinaustrugen. Und er liess sich nie von Modeströmungen verbiegen: Am 26. April feiert Peter Zumthor seinen 70. Geburtstag.

Er ist eine Leitfigur der Bündner Architektur und einer, dessen Entwürfe die Idee vom originären Schweizer Bauen über die Landesgrenzen hinaustrugen. Und er liess sich nie von Modeströmungen verbiegen: Am 26. April feiert Peter Zumthor seinen 70. Geburtstag.

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Zumthor Peter

19. Oktober 2011Claudia Schwartz
Neue Zürcher Zeitung

Vom Glücksspiel der Architekturtheorie

Ort und Mittel sind ungewöhnlich, da die Architekten Denise Scott Brown und Robert Venturi im Oktober 1968 eine Kamera auf die Kühlerhaube ihres Wagens...

Ort und Mittel sind ungewöhnlich, da die Architekten Denise Scott Brown und Robert Venturi im Oktober 1968 eine Kamera auf die Kühlerhaube ihres Wagens...

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verknüpfte Publikationen
Las Vegas im Rückspiegel

14. Dezember 2010Claudia Schwartz
Neue Zürcher Zeitung

Diskreter Charme der Architektur

Buzzi e Buzzi – ein Tessiner Architekturbüro an der ETH Hönggerberg
Einen Einblick ins Werk der Tessiner Architekten Buzzi e Buzzi gibt eine minimalistische Ausstellung im Architekturfoyer Hönggerberg. Sie lässt Raum für übergreifende Fragen.

Buzzi e Buzzi – ein Tessiner Architekturbüro an der ETH Hönggerberg
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Presseschau 12

23. Dezember 2020Claudia Schwartz
Neue Zürcher Zeitung

Schloss mit lustig: Das ambitionierteste deutsche Kulturprojekt seit der Wende bleibt ein Streitpunkt

Der Wiederaufbau der Hohenzollernresidenz in Berlin ist vollendet. Aber wie schafft man die Bespielung des Humboldt-Forums in einer Zeit, in der das Existenzrecht ethnologischer Sammlungen infrage steht?

Der Wiederaufbau der Hohenzollernresidenz in Berlin ist vollendet. Aber wie schafft man die Bespielung des Humboldt-Forums in einer Zeit, in der das Existenzrecht ethnologischer Sammlungen infrage steht?

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Humboldt-Forum

22. Oktober 2020Claudia Schwartz
Neue Zürcher Zeitung

Adieu, TXL! So einen Flughafen wie Berlin-Tegel wird es nie mehr geben

Die Entstehungsbedingungen waren aussergewöhnlich, das quälende Ende in Raten war es auch. Die Geschichte des legendären Berliner Flughafens zwischen Sehnsuchtsort und Architekturikone.

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12. Juli 2019Claudia Schwartz
Neue Zürcher Zeitung

David Chipperfield vollendet in Berlin mit einem Eingangstempel die Museumsinsel

Soll keiner sagen, in Berlin gäbe es nicht auch das Glück des Gelingens. Am Freitag wird auf der Museumsinsel in Anwesenheit von Bundeskanzlerin Angela Merkel der Neubau von David Chipperfield eingeweiht. Die James-Simon-Galerie dient als Tor zu Deutschlands schönster Kulturlandschaft – und formuliert die neue Antithese zum wiederaufgebauten Schloss.

Soll keiner sagen, in Berlin gäbe es nicht auch das Glück des Gelingens. Am Freitag wird auf der Museumsinsel in Anwesenheit von Bundeskanzlerin Angela Merkel der Neubau von David Chipperfield eingeweiht. Die James-Simon-Galerie dient als Tor zu Deutschlands schönster Kulturlandschaft – und formuliert die neue Antithese zum wiederaufgebauten Schloss.

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James-Simon-Galerie

29. November 2016Claudia Schwartz
Neue Zürcher Zeitung

Berlin, Bollywood

Während die Bauten in Berlins Mitte immer preussischer aussehen, setzen die Häuser zunehmend auf Weltkultur. – Weshalb das alles so gut zu Berlin passt.

Während die Bauten in Berlins Mitte immer preussischer aussehen, setzen die Häuser zunehmend auf Weltkultur. – Weshalb das alles so gut zu Berlin passt.

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02. Dezember 2014Claudia Schwartz
Neue Zürcher Zeitung

Entstehungsgeschichten

Während viele Institutionen und Nationen sich zur Jahrtausendwende für die Weltausstellung in Hannover «zurechtmachten», reüssierte die Schweiz mit einem...

Während viele Institutionen und Nationen sich zur Jahrtausendwende für die Weltausstellung in Hannover «zurechtmachten», reüssierte die Schweiz mit einem...

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26. April 2013Claudia Schwartz
Neue Zürcher Zeitung

Mit leiser Wucht

Er ist eine Leitfigur der Bündner Architektur und einer, dessen Entwürfe die Idee vom originären Schweizer Bauen über die Landesgrenzen hinaustrugen. Und er liess sich nie von Modeströmungen verbiegen: Am 26. April feiert Peter Zumthor seinen 70. Geburtstag.

Er ist eine Leitfigur der Bündner Architektur und einer, dessen Entwürfe die Idee vom originären Schweizer Bauen über die Landesgrenzen hinaustrugen. Und er liess sich nie von Modeströmungen verbiegen: Am 26. April feiert Peter Zumthor seinen 70. Geburtstag.

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Zumthor Peter

19. Oktober 2011Claudia Schwartz
Neue Zürcher Zeitung

Vom Glücksspiel der Architekturtheorie

Ort und Mittel sind ungewöhnlich, da die Architekten Denise Scott Brown und Robert Venturi im Oktober 1968 eine Kamera auf die Kühlerhaube ihres Wagens...

Ort und Mittel sind ungewöhnlich, da die Architekten Denise Scott Brown und Robert Venturi im Oktober 1968 eine Kamera auf die Kühlerhaube ihres Wagens...

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Las Vegas im Rückspiegel

14. Dezember 2010Claudia Schwartz
Neue Zürcher Zeitung

Diskreter Charme der Architektur

Buzzi e Buzzi – ein Tessiner Architekturbüro an der ETH Hönggerberg
Einen Einblick ins Werk der Tessiner Architekten Buzzi e Buzzi gibt eine minimalistische Ausstellung im Architekturfoyer Hönggerberg. Sie lässt Raum für übergreifende Fragen.

Buzzi e Buzzi – ein Tessiner Architekturbüro an der ETH Hönggerberg
Einen Einblick ins Werk der Tessiner Architekten Buzzi e Buzzi gibt eine minimalistische Ausstellung im Architekturfoyer Hönggerberg. Sie lässt Raum für übergreifende Fragen.

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08. Februar 2008Claudia Schwartz
Neue Zürcher Zeitung

Kühn geschwungenes Dach für eine neue Zeit

Die Berliner Kongresshalle des amerikanischen Architekten Hugh Stubbins spiegelt ein Stück Westberliner Geschichte. Einst Wahrzeichen der freiheitlichen Demokratie, ist sie heute bauliches Denkmal der Nachkriegsmoderne. Seit 1989 übt hier das «Haus der Kulturen der Welt» seine Vermittlerrolle im globalisierten Kulturschaffen.

Die Berliner Kongresshalle des amerikanischen Architekten Hugh Stubbins spiegelt ein Stück Westberliner Geschichte. Einst Wahrzeichen der freiheitlichen Demokratie, ist sie heute bauliches Denkmal der Nachkriegsmoderne. Seit 1989 übt hier das «Haus der Kulturen der Welt» seine Vermittlerrolle im globalisierten Kulturschaffen.

Es gibt wohl kaum eine andere Stadt, die so viele Wahrzeichen besitzt wie Berlin. Ultimatives – um das zweifelhafte Wort für einmal zu gebrauchen – Berliner Wahrzeichen ist das Brandenburger Tor, das die Geschichte Berlins schicksalshaft mitgemacht hat vom Raub der Quadriga durch Napoleon über den Mauerbau bis zur Wiedervereinigung. Darüber hinaus präsentiert die Hauptstadt Wahrzeichen, wohin man blickt. Das neue Berlin hat den Potsdamer Platz und die Reichstagskuppel, das alte das Reiterstandbild Friedrichs des Grossen Unter den Linden. Ostberlin hat den Fernsehturm und Westberlin die Schwangere Auster, wie die Berliner die Kongresshalle im Spreebogen nördlich vom Tiergarten nennen.

Da in Ostberlin zu jener Zeit in Stalins Namen bereits Arbeiterpaläste in die Höhe gewachsen waren, besann sich der Westberliner Senat auf demokratische Werte und plante für das Jahr 1957 die Internationale Bauausstellung (Interbau), deren Herzstück das Hansaviertel bildete. Der Architekt Hugh Stubbins (1912–2006) sollte als amerikanischen Beitrag zur Bauausstellung bewusst keinen Wohnbau, sondern ein öffentliches Haus, eine Kongresshalle, entwerfen. Es war eine hochpolitische Aufgabe im Namen des antikommunistischen Konsenses. Sie war geeignet, das Westberliner Wahrzeichen von allem Anfang an über das Postkartenmotiv hinaus dem wahren pathetischen Sinn seiner Gattung zuzuführen – unterstrichen durch Benjamin Franklins Gedanken von der «Liebe zur Freiheit».

Symbol der Hoffnung

Der Entwurf der Kongresshalle war ein Geschenk der Vereinigten Staaten von Amerika an die Inselstadt Berlin – im Zeichen der transatlantischen Freundschaft. Ihre Errichtung mitten in der Einöde im einstigen politischen Zentrum der Stadt sollte zudem ein Symbol für den Wiederaufbau des zerstörten Berlin und für die amerikanische Unterstützung der noch jungen Bundesrepublik sein. Den Standort wählte man demonstrativ am östlichsten Rand Westberlins: Zwar gab es die Berliner Mauer noch nicht, aber Berlin war bereits die Frontstadt des Kalten Kriegs. Mit dem Haus der Schweizer Gesandtschaft, die als einziges Bauwerk neben dem Reichstagsgebäude im Spreebogen als Relikt des einstigen Alsenviertels den Krieg überdauert hatte, war Stubbins' Bau in all den Jahrzehnten der Teilung in der Einöde am Berliner Mauerstreifen Zeichen der Hoffnung auf ein vereintes Deutschland. So blieb zwar die Kongresshalle Stubbins' einziges Gebäude in Europa, sie machte den Architekten des Citicorp Center in New York und des Landmark Tower in Yokohama diesseits des Atlantiks gleichwohl schlagartig berühmt.

Stubbins schien in idealer Weise die Voraussetzungen für die architektonische Umsetzung des gesellschaftspolitisch brisanten Programms zu besitzen, zählte er doch als Assistent und ehemaliger Büromitarbeiter des in die USA emigrierten Bauhaus-Gründers Walter Gropius zu jenem Kreis von Architekten, die eine Brücke schlugen zwischen der europäischen Bautradition und der – nicht zuletzt durch sie selbst beförderten – amerikanischen Moderne. Der politische Auftrag erforderte eine zeichenhafte Gestalt. Dem trug Stubbins – nach dem Vorbild von Matthew Nowickis Sporthalle in Raleigh in North Carolina – Rechnung mit einer spektakulären geschwungenen Dachform, deren Betonschalenkonstruktion den Veranstaltungssaal im Inneren demonstrativ überspannt. Schnell hatte der Berliner Volksmund den anfänglich wegen seines ideologischen Auftrags nicht vorbehaltlos geliebten Bau an der Spree, der vor allem in nächtlicher Beleuchtung seinen Bauch aufzuklappen scheint, Schwangere Auster getauft.

Multifunktional sollte der Bau sein und technisch hoch ausgerüstet – vor allem auch wegen der symbolischen Sitzungen, die der dazu jeweils eigens aus Bonn anreisende Deutsche Bundestag oder die Bundesversammlung durchführen sollten. Das Dach der Berliner Kongresshalle, das zwischen zwei Trägern aufgespannt ist, erhob mit seiner skulpturalen Anmutung den Schalenbau zu einem Prototyp moderner Architektur. Die Kongresshalle galt als Botin einer neuen Zeit, der auch Utzons Opernhaus in Sydney oder Niemeyers Parlamentsgebäude in Brasilia entsprangen. Allerdings hinkte bei der Kongresshalle die technische Entwicklung dem gestalterischen Furor hinterher, und so stürzten 1980 die Dachkrempe und 600 Tonnen Beton vor den Eingang nieder, da eines der beiden Zugbänder zur Stabilisierung der Randbalken nachgegeben hatte. Die kurzzeitig aufflammende sprichwörtliche Berliner Abrisswut, die sich gerne an Gebäuden der Nachkriegsmoderne auslebt, hatte hier in Anbetracht der symbolträchtigen amerikanischen Freundschaftsgeste ein Einsehen: Zur 750-Jahr-Feier bauten die Berliner ihre Schwangere Auster wieder auf.

Ohnehin ist die Bedeutung des Baus heute weniger im Architekturgeschichtlichen denn in seiner gesellschaftspolitischen und ästhetischen Relevanz zu suchen. Wer das Haus zum ersten Mal betritt, dem kann es passieren, dass er die grosse Freitreppe zur oberen Plattform nimmt und dort vor verschlossener Tür steht: Der Haupteingang befindet sich gut versteckt hinter den beiden dem Haus vorgelagerten Wasserbecken, in denen sich der Bau spiegelt. – Funktionale Gesichtspunkte wurden bei dem Bau dem politischen Programm hintangestellt.

Die Welt im Spiegel

Im vergangenen Jahr wurde die Kongresshalle nach mehrmonatiger Renovation im Rahmen des 50-Jahr-Jubiläums der Interbau wiedereröffnet. Der denkmalgeschützte Bau wurde für 9 Millionen Euro vor allem technisch aufgerüstet, die Aussenfassade wurde gesäubert, so dass sich die Schale aussen nun in frischem Hellorange präsentiert, das Innere führte man sanft in die pastellene Farbgebung seiner Zeit zurück. Der quadratische, 92 mal 96 Meter grosse Sockel nimmt ein geräumiges Foyer auf, das ein Restaurant und einen Buchshop beherbergt und das sich nun, entsprechend der ursprünglichen Forderung nach Transparenz, hell, von Einbauten befreit und mit neuen Ausblicken präsentiert.

Seit 1989 ist in der Berliner Kongresshalle das «Haus der Kulturen der Welt» (HKW) beheimatet – inzwischen prominent zwischen neu gebautem Bundespräsidialamt und Kanzleramt gelegen. Man hat sich der Erforschung ästhetischer Reflexe einer Weltkultur verschrieben – kein einfaches Unterfangen, da dieser Fokus heute zum Konsens jeder zeitgenössischen Kulturveranstaltung gehört. Allerdings positioniert sich das HKW im reichen Berliner Kulturleben nicht schlecht im praktizierten Crossover von Kunstschaffen und gleichzeitiger theoretischer Reflexion. Im kommenden Sommer will man sich am attraktiven Standort an der Spree weiter öffnen mit dem Programm «Wassermusik», das sich neben Surf, Tiki und Seefahrer-Liedern auch den politischen Aspekten der Ressource Wasser und dem Klimawandel zuwenden wird. Die Schwangere Auster bietet dann eine Beach-Bar, grillierten Fisch und Algensalat zwischen Sand und Palmen. Die Welt mag unübersichtlicher geworden sein. Berlin liegt weiterhin am Meer.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2008.02.08

05. Oktober 2007Claudia Schwartz
Neue Zürcher Zeitung

Rationalist der Architektur

Stilübungen oder Metaphorik waren nie die Sache von Oswald Mathias Ungers. Der deutsche Architekt erstrebte mit seinen Bauten keine Interpretation, die...

Stilübungen oder Metaphorik waren nie die Sache von Oswald Mathias Ungers. Der deutsche Architekt erstrebte mit seinen Bauten keine Interpretation, die...

Stilübungen oder Metaphorik waren nie die Sache von Oswald Mathias Ungers. Der deutsche Architekt erstrebte mit seinen Bauten keine Interpretation, die über die angelegte Raumordnung und ihre Funktion hinauswies. In der Konsequenz dieses Ansatzes wurde die elementare Form – Quadrat, Kubus, Kreis und rechter Winkel – zur konstruktiven Leitfigur des Architekten. So manifestiert sich in Ungers' Werken eine ästhetische Radikalität, die zu seinem – nicht unumstrittenen – Markenzeichen wurde.

Ungers, geboren 1926 in der Eifel, studierte in Karlsruhe bei Egon Eiermann und war selbst zeitlebens nicht nur Architekt, sondern auch Lehrer. So weist das Schaffen von Ungers, der zu den international einflussreichsten deutschen Architekten der Nachkriegszeit zählt, in der Lebensmitte eine ungewöhnlich lange baufreie Phase auf, in der er sich intensiv der Architekturtheorie widmete. 1977 erschien die – gemeinsam mit Rem Koolhaas und Hans Kollhoff – erarbeitete Studie «Die Stadt in der Stadt – Berlin, das grüne Städtearchipel», in der Ungers seinen massgebenden Begriff der dialektischen Metropole entwickelte. Dieser überlagerte die gegensätzlichen Entwürfe von Le Corbusier und Guy Debord in einem Grossstadt-Modell, das nicht auf eine Idealvorstellung abzielt, sondern die Identität einer Stadt in vielfachen Qualitäten sucht, um «eine Erhaltung und Verdeutlichung» zu rechtfertigen.

Vor allem an Ungers' berühmten Museumsbauten – dem Kölner Wallraf-Richartz-Museum (1975), dem Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt (1979–1984) und der Erweiterung der Hamburger Kunsthalle (1996) – lässt sich ablesen, wie der Baumeister im Spannungsfeld von räumlichen Ordnungsmustern und deren Brechung seine Idee von Architektur herausbildete. Ungers propagierte den interdisziplinären Ansatz in der Architektur. Allerdings darf man seinen Weg des Fächerübergreifenden durchaus als puristisch bezeichnen, da er in klassizistischer Rückbesinnung vor allem den gemeinsamen Wurzeln von Kunst und Architektur nachspürte. Die «soziale Frage» der Architektur hat Ungers, der Ende der sechziger Jahre deswegen von den Berliner Studenten heftig angegriffen wurde, denn auch lieber anderen überlassen. Er wollte den künstlerischen Rang der Architektur verteidigen und ihren überzeitlichen Geltungsdrang.

Über die Berliner Neue Nationalgalerie von Ludwig Mies van der Rohe schrieb Ungers einmal: «Es ist die Botschaft der Architektur als reine Kunst, als ein in sich abgeschlossenes Werk, losgelöst von aller Realität. Ein Ort, auf sich selbst bezogen. Eine geistige Akropolis, befreit von allen Zwängen und Niederungen der realen Welt.» Zeitlebens hatte er nicht weniger als die Unsterblichkeit der Baukunst im Blick. Wie erst jetzt bekannt wurde, ist Oswald Mathias Ungers am 30. September im Alter von 81 Jahren an den Folgen einer Lungenentzündung gestorben.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2007.10.05



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Ungers Oswald Mathias

30. Juni 2007Claudia Schwartz
Neue Zürcher Zeitung

Der klassische Kompromiss

Die Stiftung Preussischer Kulturbesitz hat David Chipperfields neuen Entwurf für das Eingangsgebäude der Berliner Museumsinsel vorgestellt. Die Architektur zeigt sich klassisch modern - und ohne Vision.

Die Stiftung Preussischer Kulturbesitz hat David Chipperfields neuen Entwurf für das Eingangsgebäude der Berliner Museumsinsel vorgestellt. Die Architektur zeigt sich klassisch modern - und ohne Vision.

Berlin wird nie eine schöne Stadt sein wie Rom oder Paris. Aber aus Berliner Sicht ist die Museumsinsel der schönste Ort der Welt. Hier ruht die unübersichtliche und oft schroff anmutende Metropole in sich selbst. Im Namen von Schinkel und Stüler nahm im Laufe der Zeit eine Stadtlandschaft Gestalt an, die das Bildungsideal zum Mass aller Dinge machte. So strebt alles nach klassischer Schönheit, von den Wassern der Spree umspült. Selbst die Freizeitgesellschaft, die an heissen Sommertagen den Lustgarten vor dem Alten Museum bevölkert, erlegt sich hier - Magie des Ortes - eine gewisse Haltung auf.

Nun wurde diese Pflicht zur höheren Ordnung auch an einen englischen Stararchitekten herangetragen. «So nicht, Mr. Chipperfield», raunte es durch den deutschen Blätterwald, nachdem der als «Toilettenhäuschen» und «Gewerbekiste» kritisierte Entwurf des Architekten für einen Neubau auf der Museumsinsel nach Jahren unvermittelt wieder ins Rampenlicht gerückt war: Der Deutsche Bundestag hatte an einem Frühlingsmorgen überraschend 73 Millionen Euro freigegeben für den vorgezogenen Bau eines im Masterplan für die Museumsinsel (1999) vorgesehenen zentralen Eingangsgebäudes, das Toiletten und Shops aufnehmen soll für die jährlich erwarteten vier Millionen Besucher.

«Rettet die Museumsinsel»

Tatsächlich stellten die schlichten Glasboxen, die etwas einfallslos Chipperfields Figge Museum in Davenport zu kopieren schienen, keine angemessene Antwort dar auf das einzigartige architektonische Ensemble der Berliner Museumsinsel. Der renommierte Architekt, der in letzter Zeit Erfolge in Marbach (Literaturmuseum der Moderne) oder Essen (Projekt für den Neubau des Essener Folkwang-Museums) feierte, signalisierte zwar seinen Willen zur Überarbeitung. Doch mit dem Berliner Hang zur Übertreibung trat umgehend die Initiative «Rettet die Museumsinsel» auf den Plan. Prominente Unterstützung fand sie durch den deutschen Unterhaltungs- und Erinnerungsbetrieb von Günter Jauch bis Lea Rosh. Der darauffolgende Architekturstreit hinterliess den Eindruck, dass den selbsternannten Rettern der Baukunst mehr noch als Chipperfields Neubauprojekt dessen Sanierungskonzept für die Ruine des Neuen Museums ein Dorn im Auge war. Dieses hält das Prinzip des Bewahrens hoch und hat nichts am Hut mit jener Retro-Ideologie, die alles wieder so aufgebaut sehen möchte, wie es vor den Zeitläuften der Geschichte da stand. Nun hat allerdings Chipperfield mit dem neuen Entwurf seinen Kritikern erst einmal ein Schnippchen geschlagen - so schön klassizistisch sollen sich dereinst nach seinem Plan die Säulen entlang des Kupfergrabens erheben, so selbstverständlich soll eine Freitreppe hinaufführen in die nach dem Stifter der Nofretete benannte James-Simon-Galerie. Der Architekt hat die betonte Funktionalität des ersten Entwurfes in eine dezidiert zeichenhafte Erschliessung des «Berliner Louvre» übergeführt, wie es der Pariser Namensvetter mit Peis gläserner Pyramide vormacht, wobei in Berlin die einzelnen Museen weiterhin auch separate Eingänge behalten.

Chipperfields Entwurf baut nicht nach und rekonstruiert nicht. Er stellt aber - und das ist neu in der altehrwürdigen Ansammlung berühmter Solitäre - einen Dialog her zwischen den einzelnen Gebäuden. Der Riegel öffnet sich über eine Säulenhalle zum Flussufer hin, lädt die Besucher zum Flanieren und Verweilen ein und unterstreicht den Charakter der Museumsinsel als einer Architekturlandschaft. Aus der Perspektive des Kupfergrabens verdeckt das filigrane Stabwerk einem Vorhang gleich den alltäglichen Museumsbetrieb, der die klassische Ruhe des historischen Kulturerbes stört.

Spree-Athen

Diese Architektur will nichts anderes sein als eine Fortsetzung der sie umgebenden antikisierenden Baukunst mit modernen Mitteln. Ein schöner Kompromiss also, der beflissen die Leitmotive Spree-Athens, Säulen, Sockel, Ufermauern und Tempel-Assoziationen, aufzählt und jede eigenständige Aussage verweigert. Zwar fügt sich Chipperfields Lösung dienend ein in die Hierarchie des Bestehenden. Am Ende verliert sie aber mit einer kaum lesbaren Eingangssituation - unentschlossen zwischen Kollonadenriegel, Estrade und Freitreppe - die eigene Daseinsberechtigung als erschliessendes Element. Immerhin bildet die James-Simon-Galerie ja den Übergang ins Pergamonmuseum, ins Neue Museum sowie zur archäologischen Promenade.

Bei solcher Bescheidenheit kann man sich des Gedankens nicht erwehren, ob es nicht besser gewesen wäre, die ganze unvermeidliche Infrastruktur gleich im Berliner Sand zu versenken. Und mit Wehmut fragt man sich, welchen Weg in die heiligen Hallen Architekten wie Herzog & de Meuron den Museumsbesuchern an diesem weltbewegenden Ort gewiesen hätten? Zwar sind die Details im Innenausbau erst in Ausarbeitung. Aber der vom Denkmalschutz bereits abgesegneten Aussenhülle fehlt es an einer Vision, welche Aufgabe das Museum der Zukunft haben könnte. Insofern schreibt Chipperfields Architektur die Geschichte der Museumsinsel mitnichten fort. Denn Schinkel und Stüler agierten einst kompromisslos zeitgenössisch in ihrem Willen, dem Wesen des Museums eine neue Bedeutung einzuschreiben. Chipperfields Architektur mag ein schöner Kompromiss sein, von der Kraft des Authentischen, die der Genius Loci vorgibt, ist sie nicht beseelt.

Neue Zürcher Zeitung, Sa., 2007.06.30



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James-Simon-Galerie

08. Dezember 2006Claudia Schwartz
Neue Zürcher Zeitung

Das architektonische Mass aller Dinge

Die Neue Nationalgalerie Berlin inszeniert anlässlich von Oswald Mathias Ungers' 80. Geburtstag den Kosmos des Meisters. Im Zentrum stehen die Wechselwirkungen zwischen Architektur und bildender Kunst.

Die Neue Nationalgalerie Berlin inszeniert anlässlich von Oswald Mathias Ungers' 80. Geburtstag den Kosmos des Meisters. Im Zentrum stehen die Wechselwirkungen zwischen Architektur und bildender Kunst.

Kaum ein Architekt hat die geometrische Formensprache so konsequent zum baukünstlerischen Prinzip erhoben und gleichzeitig den eigenen architektonischen Massstab aufs Engste mit der bildenden Kunst verknüpft wie Oswald Mathias Ungers («OMU»). So werden Besucher in Berlins Neuer Nationalgalerie derzeit von «Square» (Bruce Nauman), «Basalt Circle» (Richard Long) und «The Voiden Closed by the Squares of the Three, Four and Five» (Carl Andre) empfangen. Die Werke spielen auf jene Überzeugung an, wonach für die Architektur kein Weg an der Kunst vorbeiführt. Ein gelungener Auftakt, mit dem die Ausstellung «Kosmos der Architektur» ins Werk eines der einflussreichsten deutschen Architekten der Gegenwart anlässlich von dessen 80. Geburtstag einführt.

Kunst- und Wunderkammer

Nicht zuletzt beweist diese vom Architekten gemeinsam mit dem Kurator Andres Lepik konzipierte Schau, dass sich der von Ludwig Mies van der Rohe gebaute und von Ungers bewunderte, aber schwierig zu bespielende Glastempel durchaus für Inszenierungen eignet, wenn man es nur behutsam anstellt. Freilich verführt wohl kaum ein Werk zur Besinnung aufs Wesentliche wie dasjenige von Ungers, dem Meister der Klarheit und Strenge. Der Deutsche ergründet mit seiner Architektur bis heute die Idee der Baukunst, die bei ihm unbeirrt von Strömungen und Stilen zu einer Art Quintessenz des Hauses gerinnt.

Ins Zentrum des architektonischen Œuvre stellt die Berliner Schau denn auch das Haus an der Belvederestrasse in Köln (1958/59). Von Ungers als sein eigenes gebaut, hat es sich in den darauffolgende Jahrzehnten zu einer Kunst- und Wunderkammer Ungerschen Schaffens entwickelt. Hier sind normalerweise auch die gesammelten Kunstwerke, die Schriften (etwa von Vitruv, Schinkel oder Le Corbusier) sowie die Modelle zu Hause, die in der Schau neben Fotografien und Aufrissen zu sehen sind. Das Kölner Gebäude, das 1989 um einen Bibliotheksbau, einen «kubischen Idealraum», erweitert wurde, öffnet sich im Innern dank Sichtbezügen (statt einer tradierten Folge von Zimmern) und aussen dank einer reliefartigen Struktur, die zur Räson gebracht ist im dezidierten Umgang mit den Materialien Ziegel und Beton.

Städtebauliche Einbindung oder innere Raumaufteilungen, kurz: Pläne oder Entwurfsarbeit sind in Berlin nicht das Thema. Die Bauten werden wie selbstredende Kunstwerke aufs Podest gehoben, so etwa das Haus Glashütte (1988), das, eingebettet in eine minimalistisch gestaltete Landschaft, mit seiner Fassade kühl und präzise die Elemente setzt nach dem Bautypus des Megarons, eines quadratischen Zentralbaus mit Satteldach. Obwohl der Architekt nach dem zweiten auch noch ein drittes Haus für sich errichtete (Haus Kämpchensweg in Köln, 1994-96), nutzte er das erste weiter bis vor wenigen Jahren als Wohn- und Arbeitsrefugium. Alles erzählt davon, wie hier einem die Architektur zur «Lebensnotwendigkeit» geworden ist, wobei das Denken «immer um Raum, Körper, Proportion, Mass und Zahl» kreist. Es ist eine kühle Besessenheit, welche die Baukunst den alltäglichen Niederungen der Moden, des Alltags, der Stilübungen enthebt. Dafür steht die Hamburger Galerie der Gegenwart (1989) ebenso wie das Kölner Wallraf- Richartz-Museum (1975) oder das Deutsche Architekturmuseum in Frankfurt (1979-84).

One-Man-Show

Keine Frage, dass die Sockel mit den Architekturmodellen in Übereinstimmung mit den Bodenplatten von Mies van der Rohes Kunsttempel placiert sind als Ausdruck für Ungers' Bewunderung für «das Sublime, das Erhabene, das sich in der elementaren Einfachheit der Nationalgalerie ausdrückt». Man ahnt es: Ungers' Bauten sind Traktate über die Baukunst, die auf das Übergeordnete verweisen und auf die Ursprünge zurückführen wie die - in der Schau als Gipsmodelle gezeigten - Marksteine der Architekturgeschichte vom Parthenon über das Pantheon bis zum Castel del Monte. Denn kein anderer deutscher Architekt hat in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts das Nachdenken über sein Fach so beständig betrieben wie OMU. Aber die Ausstellung arbeitet intuitiv und verzichtet komplett auf Texttafeln. Ein unverzeihliches Versäumnis bei einer so vielschichtigen wie herausfordernden Architektenpersönlichkeit. Ungers' Bedeutung als Vordenker und Lehrer der Architektur kommt zwangsläufig zu kurz.

Über die Kriterien der Reduktion, über Ungers' Theorie und - durchaus umstrittene - Bauphilosophie hätte man gerne etwas mehr erfahren, da sie beseelt ist von jener «Coincidentia oppositorum», die Ungers selbst nach Nikolaus von Kues zitiert. So aber überhöht die Schau gerade jenen ästhetisierenden Formalismus, wie er Ungers in oberflächlicher Betrachtung oft ausschliesslich zugesprochen wird.

Wer sich fragt, wo sich eigentlich die derzeit vieldiskutierte Armut Berlins manifestiert, der kann sie in solchen - in der Neuen Nationalgalerie bereits üblichen - Ausstellungen «von, mit und über» Armani, Koolhaas oder nun eben Ungers studieren. Was nicht heissen soll, dass dabei nicht bewundernswürdige Präsentationen entstehen. Aber die kritische Befragung der Architekten oder Designer und ihrer Werke tritt zurück hinter eine One-Man-Show, die kostengünstig zu haben ist, da sie nicht zuletzt Werbung in eigener Sache betreibt. Auch hier trifft das zu, da die Staatlichen Museen zu Berlin gemeinsam mit Oswald Mathias Ungers auf der Museumsinsel Umbau und Erweiterung des Pergamonmuseums planen.

[ Bis 7. Januar 2007. Katalog: O. M. Ungers. Kosmos der Architektur. Hrsg. Andres Lepik. Hatje-Cantz-Verlag, Ostfildern 2006. 91 Abb., 120 S., Fr. 42.- (Euro 20.- in der Ausstellung). ]

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2006.12.08

11. Oktober 2006Claudia Schwartz
Neue Zürcher Zeitung

Schönheit der Moderne

Eine Berliner Schau zur Architektur von Eritreas Hauptstadt Asmara

Eine Berliner Schau zur Architektur von Eritreas Hauptstadt Asmara

Im Cinema Impero des Architekten Mario Messina aus dem Jahr 1938 bewachen noch heute Löwenköpfe auf Säulen die grosse Leinwand. Der erste Rang schwebt in sanfter Bewegung über dem Saal, und Stuck mit afrikanischen Motiven - Tänzern, Palmen und Antilopen - verbreitet einen Hauch von Art déco. Die Aussenfassade indes nimmt das Ornamentale in funktionalistischer Gliederung und technisch anmutender Materialisierung sogleich wieder zurück. Diese Kinoarchitektur aus den dreissiger Jahren ist ein herausragendes Beispiel dafür, wie die italienischen Baukünstler im Zuge des faschistischen Kolonialismus den Geist der klassischen Moderne nach Asmara brachten und wie sie dabei lokale Tradition und europäische Avantgarde eigenwillig, aber immer klar definiert verbanden.

Der Architekt Giuseppe Pettazzi entwarf im gleichen Jahr eine futuristisch angehauchte Tankstelle in Asmara, deren 30 Meter lange, frei schwebende Betondächer an Flugzeugflügel erinnern. Und nicht zu vergessen der Palazzo Mutton (1944) von Antonio Vitaliti mit seiner modernistisch skurrilen Verschränkung von Zylinder und Kubus im Stil des Razionalismo. Die Liste liesse sich beliebig fortführen, da Asmara, die Hauptstadt Eritreas, die ganze Schönheit der italienischen Moderne des 20. Jahrhunderts wie im Bilderbuch vereint: neben Rationalismus, Art déco und Futurismus auch die Bewegungen von Novecento, Neoklassizismus und Neobarock.

Unter Denkmalschutz

Das Deutsche Architekturzentrum (DAZ) in Berlin beleuchtet mit «Asmara - Afrikas heimliche Hauptstadt der Moderne» nun den einzigartigen, 2001 unter Denkmalschutz gestellten Stadtkern erstmals in einer Ausstellung. Die Schau geht zurück auf eine deutsch-eritreische kulturpolitische Initiative: Nicht zuletzt wirbt man dafür, dass dieser in die Unesco-Liste des Weltkulturerbes aufgenommen wird. Denn neben Asmara weisen nur noch Tel Aviv, Miami South Beach oder das neuseeländische Napier ähnlich bedeutende bauliche Ensembles der klassischen Moderne auf.

Die Wiederentdeckung der städtebaulichen und architektonischen Qualitäten von Asmara hat vor nicht allzu langer Zeit eingesetzt, nachdem Eritrea zu Beginn der neunziger Jahre seine Unabhängigkeit erlangt hatte. Am Zentrum von Asmara, das grösstenteils im Rahmen der Stadterweiterung in den dreissiger Jahren entstanden ist, lässt sich nachvollziehen, wie die italienischen Architekten unter teilweisem Rückgriff auf klassisches Formenvokabular ihren Beitrag zum International Style leisteten. Anfänglich fand der Ausbau der Hauptstadt zum Verwaltungs- und Repräsentationszentrum noch im Zeichen des Historismus statt, wie das im Stil der Neugotik gehaltene Gebäude der Bank von Eritrea belegt. Dazu gesellte sich vor allem in den sakralen Bauten eine seit 1900 die Architektur beeinflussende synkretistische Vermischung unterschiedlicher Formensprachen und Stile. Ein spätes Beispiel dafür ist die Moschee Al Khulafa Al Rashiudin (1943) von Giuseppe Arata, die maurische und romanische Formelemente vereinigt.

Städteplanung als Herrschaftsmittel

Zwischen 1935 und 1941 erfuhr Asmara eine explosionsartige Entwicklung und verwandelte sich von der kleinen Provinzstadt zu jener Metropole europäischer Prägung, die Kriegswirren, vier Jahrzehnte äthiopischer Herrschaft und Befreiungskrieg überstand. Der damalige Bauboom war motiviert durch das imperialistische Engagement Mussolinis, der Asmara nach dem Vorbild Roms zu einem «Africa Orientale Italiana» ausbauen wollte. Dabei wies aber nicht der Monumentalismus den planerischen Weg. Massgeblich waren vielmehr die internationalen Ansprüche der 1933 verfassten Charta von Athen, die eine zweckmässige Architektur im Sinne einer funktionellen Stadt und des Neuen Bauens propagierte.

Die Ausstellung blickt nicht nur auf die Baugeschichte der eritreischen Hauptstadt, sondern reflektiert die Ambivalenz der Moderne auf dem afrikanischen Kontinent. Denn Asmaras urbane Blüte steht in engem Zusammenhang mit Italiens kolonialistischer Herrschaftspolitik. Städteplanung diente auch als ein Mittel zur Durchsetzung von Rassegesetzen und sozialer Segregation. In Eritrea wurde deshalb in den letzten Jahren darüber debattiert, ob man Gebäude wie Bruno Sclafanis Casa del Fascio (1940), einst Hauptquartier der faschistischen Partei und Symbol des italienischen Regimes, überhaupt unter Denkmalschutz stellen soll. Mittlerweile hat sich aber das Bewusstsein durchgesetzt, dass diese Architektur einen Teil der Geschichte Eritreas darstellt. So ist heute die Identität des Landes tief verbunden mit dem Erscheinungsbild der Hauptstadt im ostafrikanischen Hochland, in der sich afrikanische und europäische Einflüsse im sogenannten Asmara Style verbinden.


[ Bis 3. Dezember im DAZ, danach im Deutschen Architekturmuseum Frankfurt (6. Februar bis 15. April 2007), in Stuttgart und auf dem Weltkongress der Union Internationale des Architectes in Turin im Juli 2007. - Begleitpublikation: Asmara. The Frozen City (dt., engl., ital.). Hrsg. Jochen Visscher. Jovis-Verlag, Berlin 2006. 96 S., Fr. 28.- (Euro 16.- in der Ausstellung). - Ausserdem: Asmara. Africa's Secret Modernist City. Merrell Publishers, London, 2003. 240 S., £ 24.95 (Euro 37.- in der Ausstellung). ]

Neue Zürcher Zeitung, Mi., 2006.10.11

25. August 2006Claudia Schwartz
Neue Zürcher Zeitung

Kistendenken

Schweizer Architektur in Berlin

Schweizer Architektur in Berlin

Den Abschied von der Kiste in der Schweizer Architektur feiert eine Berliner Ausstellung unter dem Titel «Swiss Shapes» in der Galerie Aedes am Pfefferberg. Nach der Grundthese der Ausstellungsmacher hat die «Swiss Box» die Schweizer Architektur in eine baukünstlerische Sackgasse geführt, aus der sie nun dank einer Tendenz zu mehreckigen Grundrissen wieder herausfindet. Wenngleich die Neue Einfachheit der Architektur Ende der achtziger Jahre in der Schweiz einen ausgesprochen radikalen Weg ging, so war sie doch kein eidgenössischer Sonderfall. Die Schau lässt zudem sowohl die regionalen Unterschiede ausser acht, die den Schweizer Minimalismus der neunziger Jahre von Graubünden bis Basel auszeichnet, wie auch den Beweggrund der minimalistischen Tradition, die eine Antwort auf gestalterische Beliebigkeit suchte.

Der Minimalismus als Defizit dient folglich als Folie, um einer ominösen Entwicklung «von der Oberfläche hin zum Raum» nachzuspüren - weg vom ästhetischen Mittel der Reduktion hin zum neuen schiefwinkligen architektonischen Paradigma («Swiss Shapes»). Als Beispiele dienen etwa das interkantonale Gymnasium Payerne des Freiburger Teams Mattias Boegli und Adrian Kramp oder ausgerechnet der nicht wenig problematische Entwurf des Basler Büros Christ und Gantenbein fürs Zürcher Landesmuseum. Der verengte Blick bestimmt übrigens auch die Auswahl der Präsentation: Die Romands und die Tessiner werden hier kurzerhand übergangen. Massgebliche Handschriften der jüngeren Schweizer Gegenwartsarchitektur wie Buzzi & Buzzi aus Locarno und Giraudi Wettstein aus Lugano bleiben unberücksichtigt. Damit verpasst man in Berlin die Gelegenheit, die vorgestellten Projekte zumindest im Schweizer Kontext zu diskutieren.

Eine zweite Ausstellung bei Aedes widmet sich unter dem Titel «Zurich happens» dem städtebaulichen Wandel der Limmatstadt in den Industriegebieten. Die entsprechenden Umnutzungsprojekte in Zürich Nord und Zürich West werden vorgestellt unter Gesichtspunkten der Stadtentwicklung, des Entwurfs, der Planung und Umsetzung: ein informativer Ausblick auf eine umfangreiche Analyse und Dokumentation zum Thema, die 2007 abgeschlossen sein soll.

[ Beide Ausstellungen bis 24. September. Katalog: Swiss Shapes / Zurich Happens. Hsrg. Kristin Feireiss und Hans-Jürgen Commerell. Galerie Aedes, Berlin 2006, Euro 10.-. ISBN 3-937093-70-2. ]

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2006.08.25

26. Mai 2006Claudia Schwartz
Neue Zürcher Zeitung

Bahnhof mit Aussicht

Bahnreisende werden in Zukunft am befremdlichsten Ort ankommen, den Berlin zu bieten hat. Der neue Hauptbahnhof liegt im Herzen der Stadt und gleichwohl im Niemandsland: Rund um den riesigen Kreuzungsbahnhof sieht es derzeit aus, als sei die Mauer erst gefallen.

Bahnreisende werden in Zukunft am befremdlichsten Ort ankommen, den Berlin zu bieten hat. Der neue Hauptbahnhof liegt im Herzen der Stadt und gleichwohl im Niemandsland: Rund um den riesigen Kreuzungsbahnhof sieht es derzeit aus, als sei die Mauer erst gefallen.

Humboldthafen und Brachland machen die gläserne Space-Age-Röhre mit den aufgebockten Bürohäusern des Hamburger Architekturbüros von Gerkan, Marg und Partner zum High-Tech- Raumschiff inmitten einer innerstädtischen Mondlandschaft. Selbst im Spreebogenpark am anderen Ufer, jener ernüchternden Art leer gefegter Landschaftsarchitektur, sieht man kaum Menschen. Was ursprünglich ein Ort für Bürger mitten im Regierungsviertel sein sollte, lässt Jogger, Radfahrer und selbst Hunde zügig vorbeiziehen. Die Hauptstädter haben der unwirtlichen Gegend mit dem «Bundespressestrand», einem Open-Air-Restaurant mit aufgeschüttetem Sandboden und Strandkörben eine kleine Insel abgetrotzt. Dank der Weite, die sich nach Westen hin öffnet, gibt es hier an Sommerabenden den längsten Berliner Sonnenuntergang zu bewundern.

Nachzügler der Hauptstadtwerdung

Die Flusslandschaft inmitten der Metropole mit Kanzleramt, Schweizer Botschaft und dem Haus der Bundespressekonferenz ist Durchgangszone geblieben. Ein einsamer Ort, wären da nicht die Spreedampfer, welche die Touristen im Minutentakt zwischen den Betonkolossen von Bundestagsbibliothek und Abgeordnetenhäusern durchs Regierungsviertel transportieren. Wer in Zukunft mit der Bahn nach Berlin reist, steht nun plötzlich da: mitten im Nichts. Keine andere Stadt habe einen Bahnhof mit einer solchen Ruhezone rundherum, gibt die freundliche Kommunikationsbeauftragte der Deutschen Bahn AG zu bedenken. Aber die Menschen, die aus der Ferne mit dem Zug hier ankommen, wollen nur möglichst schnell nach Hause oder ins Hotel.

Der Berliner Hauptbahnhof, den die deutsche Bundeskanzlerin heute Freitag feierlich eröffnet, ist nicht nur aufgrund seiner Symbolik ein Nachzügler der Hauptstadtwerdung: ein Bahnhof nicht im Westen oder im Osten, sondern in der sogenannten neuen Mitte der Stadt geplant. Wo das «Band des Bundes» die deutsch-deutsche Wiedervereinigung symbolisiert, versinnbildlicht die Gestalt des Bahnhofs, dessen Ausläufer sich in alle vier Himmelsrichtungen strecken, noch einmal die Öffnung der Stadt nach vierzig Jahren im Abseits. Hier kreuzen sich die neue, unterirdische Nord-Süd-Fernverbindung und die bogenförmig geführte oberirdische West-Ost-Bahn. Der am historischen Standort des einstigen Lehrter Bahnhofes errichtete Gebäudekomplex bildet in der Vogelperspektive ein leicht geschwungenes, doppelgleisiges Eisenbahnkreuz. Über die oberirdische Bahnsteighalle, die sich als gläserne Röhre von Westen nach Osten ins Stadtbild schmiegt, schlagen zwei von Norden nach Süden ausgerichtete, schlanke Büroriegel eine Brücke und flankieren die zentrale Bahnhofshalle.

Eine solche Verpflichtung aufs Symbol hat ihren Preis. Wie beim Band des Bundes tritt auch hier die baukünstlerische Vision zurück hinter die Bild gewordene Idee: Ein Highlight zeitgenössischer Architektur ist der Berliner Kreuzungsbahnhof aus Stahl und Glas nicht geworden, zumindest nicht von aussen betrachtet. In seinem Inneren aber nimmt der transparente Gebäudekomplex durch eine klare, funktionelle Gliederung für sich ein, weil er dem Reisenden eine schnelle Orientierung ermöglicht.

Ingenieurtechnisches Meisterwerk

Das schwebende Auf und Ab von 54 Rolltreppen und 6 Aufzügen über 5 Ebenen erlaubt schwindelerregende Blicke in die Tiefe. Das durch dieses Leitsystem zu den unterirdischen Bahnsteigen dringende Tageslicht signalisiert den hier Ankommenden den Weg zu den Ausgängen. Die filigran anmutende Glasdach-Konstruktion der Bahnhofshalle und die mit Seilen übers Kreuz ausgespannte Gleisüberdachung stellen ingenieurtechnische Meisterleistungen dar und geben dem Ganzen eine luftige, technoide Anmutung. Dass der Bahnhofsbau mit seiner Gliederung von Haupthalle, Büroriegeln und Gleisröhre dennoch einen eher biederen Gesamteindruck hinterlässt, verdankt sich allerdings auch der Deutschen Bahn, die sich als Bauherrin wie als Planerin eines neuen Schienenverkehrskonzeptes zuweilen ignorant gebärdete. Erst kürzte Bahnchef Hartmut Mehdorn die ursprünglich über 400 Meter lange gläserne Bahnsteighalle um mehr als ein Drittel, dann plante er die kathedralenartigen, indirekt beleuchteten Gewölbe in den Untergeschossen in Flachdecken mit Neonröhren um. Mit der Kürzung des gläsernen Wurms blieb die ursprünglich futuristisch anmutende Gestalt des Bahnhofs auf der Strecke, die Proportionen zwischen der filigranen Bahnsteighalle und den kantigen Büroriegeln sind empfindlich gestört. Ein Entscheid des Berliner Landesgerichts in dem Urheberrechtsprozess zwischen dem Architekten und dem Bahnunternehmen ist noch hängig. - Wer am Hauptbahnhof Berlin den Zug verlässt, der hat die Wahl zwischen dem Ausgang in Richtung Süden über den neuen Washingtonplatz und jenem in Richtung Norden über den ebenso jungfräulichen Europaplatz. Berlin gibt sich mit der Welt verbunden und hat wieder einmal das Naheliegende vergessen: Ein Zentralbahnhof sollte eng ins Verkehrssystem der Stadt greifen. Davon kann derzeit allerdings noch nicht die Rede sein. Die eigentliche Bedeutung dieses neuen architektonischen Elementes im Stadtzentrum liegt in seiner städtebaulichen Funktion, da die gläserne Nord-Süd-Spange die riegelartige Wirkung des Regierungsviertels etwas abschwächt, das den Spreebogen brachial teilt. Der Bahnhof wird die innerstädtische Brache um ihn herum etwas weiter zusammenwachsen lassen.

Tatsächlich liegt aber der Masterplan, der eine Bebauung des Lehrter Stadtteils vorsieht, seit langem in den Schubladen. Der grosse Leerstand von Gebäuden im Berliner Zentrum macht seine Realisierung ungewiss. Hier zeigt sich einmal mehr, wie schwierig es nach der Wende war, Prognosen zu machen im Hinblick auf die Entwicklung des wiedervereinigten Berlin. Der Hauptbahnhof wurde in einer Zeit geplant, als man mit einem Zuwachs der Berliner Bevölkerung auf sechs Millionen Menschen rechnete. Heute lebt gerade einmal die Hälfte an der Spree. Die Abtrennung des Bahnhofs Zoo vom Fernverkehr dürfte nicht zuletzt in der Angst der Deutschen Bahn begründet sein, dass die Geschäfte am neuen Standort zu wenig Kunden finden könnten.

Hauptbahnhof - Lehrter Bahnhof

Wer mit der Fernbahn oder der S-Bahn über die Ost-West-Strecke ins Berliner Zentrum einschwebt, dem bietet sich im gläsernen Tunnel des neuen Berliner Hauptbahnhofes ein einzigartiges Panorama. Am anderen Ufer der Spree bauen sich Reichstagskuppel, Kanzleramt und Abgeordnetenhäuser zu einer atemberaubenden Kulisse auf. Aus der Distanz des leicht erhöhten Bahntrassees erscheint die ausgreifende Hauptstadt- Ikonographie, die die Menschen sonst klein macht, diskret in den Tiergarten gebettet. Wer im Untergrund ankommt, wo die Nord-Süd-Strecke verläuft, muss sich erst in einem der zylinderförmigen Lifte in die grosse Bahnhofshalle hinauf fahren lassen wie in einer gläsernen Rohrpost. Dann liegt auch ihm gen Süden die stadträumliche Skulptur des Regierungsviertels zu Füssen. Welche Metropole hat den Ankommenden eine solche Aussicht zu bieten? Den Berlinern wird dieser Anblick in Zukunft das Ende des Heimwehs ankünden, Berlinbesuchern bei der Abreise das Fernweh ins Herz pflanzen.

Die Berliner werden in den Eröffnungstagen geduldig Schlange stehen, um ihren Bahnhof erstmals zu begehen, wie sie es in den vergangenen Jahren bei allen neuen Gebäuden taten. Am Ende wird es ihnen gefallen, auch wenn keiner versteht, warum der Bahnhof Zoo, an dem nun keine Fernzüge mehr halten sollen, aufs Abstellgleis gestellt wird. Zudem hätten die Hauptstädter lieber den Namen des historischen Standortes Lehrter Bahnhof behalten. So künden einem nun zwar die Tafeln auf den Gleisen der Fernbahn die Station «Berlin Hauptbahnhof» an. Aber ein paar Etagen weiter oben wechselt man im gleichen Gebäude am «Lehrter Bahnhof» in die S-Bahn. Sie verstehen nur Bahnhof? Willkommen in Berlin!

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2006.05.26



verknüpfte Bauwerke
Hauptbahnhof Berlin

28. Januar 2006Claudia Schwartz
Neue Zürcher Zeitung

Die schlichte Lösung

Entwurf der Architektin Ursula Wilms für Topographie des Terrors in Berlin

Entwurf der Architektin Ursula Wilms für Topographie des Terrors in Berlin

Die Berliner Dépendance des Stuttgarter Architektenbüros Heinle, Wischer und Partner hat, wie bereits kurz gemeldet, mit dem Entwurf der verantwortlichen Architektin Ursula Wilms den ersten Preis im Wettbewerb um den Neubau des Berliner Dokumentationszentrums Topographie des Terrors für sich entschieden. Die Jury begründete ihr Votum damit, dass der Baukörper des siegreichen Projektes die Grundrissform des benachbarten Martin-Gropius-Baus aufnehme und «trotz einiger Mängel im Detail» einen angemessenen Beitrag darstelle.

Noch ist der Entwurf nur in rudimentären Skizzen einsehbar. Eine endgültige Beurteilung wird im März möglich sein, wenn in einer Ausstellung im Berliner Gropius-Bau die Wettbewerbsentwürfe präsentiert werden. Bereits jetzt lässt sich aber sagen, dass es sich bei der pavillonartigen Architektur um eine auf Funktionalität angelegte Lösung handelt. Die betont zurückhaltende Gestalt erscheint eher wie die solide Reaktion auf ein jahrelanges Berliner Baudebakel, als dass sie jenes architektonische Zeichen im Namen der Erinnerung setzen dürfte, das in der deutschen Hauptstadt neben Libeskinds Jüdischem Museum und Eisenmans Holocaust-Mahnmal nach der Wende geplant war.

Die jahrelangen Querelen um die Architektur des Schweizers Peter Zumthor hatten von der eigentlichen historischen Bedeutung des Ortes abgelenkt. So ist es mittlerweile schon als Erfolg zu werten, wenn auf dem Gelände, auf dem sich während des Nationalsozialismus zentrale Einrichtungen von SS und Gestapo befanden, nun überhaupt noch ein gemeinsam von Bund und Berlin getragenes Dokumentationszentrum entsteht. Der erste Spatenstich für den auf 20 Millionen Euro geschätzten Bau (15 Millionen hatte bereits Zumthors Projekt verschlungen) soll 2007, die Eröffnung 2009 erfolgen. Wo Zumthors Entwurf 1993 als Vorzeige-Architektur des «neuen Berlin» gefeiert worden war, ist die Stimmung nun verhaltener: Das Projekt mit seiner schlichten Kubatur und seiner vorgehängten Metallgeflecht-Fassade strebt laut Konzept weder «Eigendarstellung» noch «Interpretationsversuch des geschichtlichen Ortes» an.

Aufregende Baukunst hat die deutsche «Architekturhauptstadt» in dem später einmal eine Etage aus dem Boden ragenden Gebäude sicherlich nicht gewonnen, wenngleich nach der Bekanntgabe des Wettbewerbsergebnisses alle Beteiligten Sonntagsstimmung zu verbreiten bemüht waren. Der Direktor der Stiftung Topographie des Terrors, Andreas Nachama, lobte den «schönen Entwurf», der Kulturstaatsminister Neumann begrüsste die Entscheidung an und für sich, und Berlins Kultursenator Flierl dankte öffentlich der Jury, die - man höre und staune - «anders als beim letzten Wettbewerb» bei der Auswahl grössten Wert darauf gelegt habe, «dass die Nutzeranforderungen erfüllt werden». Jetzt kann es nur noch schiefgehen.

Neue Zürcher Zeitung, Sa., 2006.01.28



verknüpfte Bauwerke
Dokumentationszentrum Topographie des Terrors

24. September 2005Claudia Schwartz
Neue Zürcher Zeitung

Die Bücherwelle

Wie eine wohlgenährte Zecke hält sich Norman Fosters neue philologische Bibliothek am Hauptgebäude der Freien Universität (FU) im Berliner Südwesten fest....

Wie eine wohlgenährte Zecke hält sich Norman Fosters neue philologische Bibliothek am Hauptgebäude der Freien Universität (FU) im Berliner Südwesten fest....

Wie eine wohlgenährte Zecke hält sich Norman Fosters neue philologische Bibliothek am Hauptgebäude der Freien Universität (FU) im Berliner Südwesten fest. «The Berlin Brain» haben die Bauverantwortlichen ihre neue Bibliothek für die Geisteswissenschaften getauft, von der man sich auch einen Imagewechsel erwartet: Fosters asymmetrisches Schuppentier aus Glas und Aluminium soll am Berliner Wissenschaftsstandort ein Zeichen setzen. Denn die im Jahr 1948 mit Hilfe der Amerikaner gegründete Bildungsstätte ist etwas ins Abseits geraten, seit mit dem Mauerfall die traditionsreiche Humboldt-Universität wieder ins Zentrum der Stadt rückte. Kommt hinzu, dass die FU-Institute in Dahlem in unzähligen Gebäuden etwas anonym über das schönste Berliner Villenviertel verstreut sind.

Der Überraschungseffekt

Norman Foster hat der Stadt mit der gläsernen begehbaren Reichtagskuppel schon einmal ein effektvolles Symbol beschert, und an diesen Erfolg soll der Neubau offensichtlich anknüpfen. Auch die Bibliothek lebt weniger von einem dezidierten baukünstlerischen Statement als vom Überraschungseffekt, den seine organische Blob- Architektur inmitten eines Stadtteils mit bürgerlichen Wohnhäusern darstellt. Bedauerlicherweise wurde sie aus finanziellen Gründen nicht als Solitär auf dem Areal des weitläufigen Campus placiert, sondern in einen eigens geschaffenen Innenhof des bestehenden Hauptgebäudes gestellt. Dieses ist, auf Le Corbusiers Modulor-System zurückgehend, zwar durchaus auf Flexibilität, auf Rück- und Weiterbau angelegt. Aber der aufgeblähte Bücherwurm blinzelt dadurch zur Strasse hin nur ein wenig über den Rand des Althergebrachten hinaus und wirkt beengt. Ein Bau mit Signifikanz ist es trotzdem geworden: Die futuristisch anmutende, auf optische Eigenständigkeit bedachte Bibliothek nimmt die Siebziger-Jahre- Patina des Campus samt seiner Idee einer offenen, demokratischen Architektur wie selbstverständlich mit ins 21. Jahrhundert.

Das als «Rostlaube» in die Architekturgeschichte eingegangene Hauptgebäude eignet sich heute nicht mehr als Vorzeigeobjekt, obschon die Architekten Georges Candilis, Alexis Josic und Shadrach Woods bei dessen Eröffnung 1973 einen strukturalistischen Wurf landeten. Statt in Schönheit zu verwittern, rostete die Stahlfassade durch. Mit dem Auftrag für den Bibliotheksneubau ging deshalb jener für die Sanierung des Überlieferten einher. Foster hat den etwas unübersichtlichen Universitätsbau sanft in seine heitere, leichte Funktionalität zurückgeführt.

Die neue Bibliothek, die elf Institutsbüchereien vereint, besteht aus einem kompakten fünfgeschossigen Kernbau. Er empfängt im Foyer mit zwei geschwungenen, von luftigen Galerien umspielten Flügeln, die man über eine offene Treppe vom Zentrum her erreicht. Über das Ganze spannt sich ein frei schwebendes Dach. Die wabenartige Stahl-Glas-Aluminium-Konstruktion sieht man im Inneren wie durch den Weichzeichner, da sich eine zweite Haut aus Glasfaser über den Kernbau wölbt. Die Bibliothek wird durch zwei tunnelartige Übergänge von der Rostlaube her erschlossen. Ihr etwas angestrengt knallig-gelber Anstrich verleiht dem Foyer Plastizität und bietet eine Orientierungshilfe, wirkt im Aussenbereich in Verbindung mit der herben Architektur der Rostlaube dagegen wie eine Baustellen-Markierung. Abgesehen von diesem ästhetischen Ausrutscher hat Foster eine in kühlem Grau und Weiss gehaltene, benutzerfreundliche Bücherhalle geschaffen, die das hier gesammelte Wissen in respektvoller Distanz präsentiert.

Sonne und Schatten

An den über 600 Leseplätzen entlang der wellenartigen Galerien arbeitet man ungestört vom Gestöber zwischen den Bücherregalen. Wer sich hier vergräbt, dem wird die Aussenwelt allerdings sehr fern. Denn nur das natürliche Spiel von Sonne und Schatten dringt durch das weisse Dach ins Innere. Fragt sich, ob Benutzer diese erzwungene Atmosphäre der Abgeschiedenheit auf Dauer als angenehm empfinden. Die Universitätsverantwortlichen haben die Isolationsfalle offenbar schon erkannt und setzen in ihrer Broschüre zum Neubau auf den «Flirtfaktor», den die an Sichtbezügen reiche Architektur biete.

Neue Zürcher Zeitung, Sa., 2005.09.24



verknüpfte Bauwerke
Philologische Bibliothek der Freien Universität Berlin

24. August 2005Claudia Schwartz
Neue Zürcher Zeitung

Die weiblichen Baumeister

Emilie Winkelmann, die erste deutsche Architektin, erschwindelte sich die Legitimation zur Teilnahme an den Lehrgängen der Technischen Hochschule Hannover...

Emilie Winkelmann, die erste deutsche Architektin, erschwindelte sich die Legitimation zur Teilnahme an den Lehrgängen der Technischen Hochschule Hannover...

Emilie Winkelmann, die erste deutsche Architektin, erschwindelte sich die Legitimation zur Teilnahme an den Lehrgängen der Technischen Hochschule Hannover mit einem Trick und unterschrieb ihr Gesuch mit «E. Winkelmann». So nahm die damals 27-Jährige, die zuvor bereits im familiären Zimmereibetrieb ausgebildet worden war, ab 1902 als erste Frau in Deutschland an Kursen für Baukunst teil. Der fleissigen Studentin, die sich den Lebensunterhalt nebenher in einem Zeichnungsbüro verdiente, wurde am Tag des Staatsexamens allerdings eröffnet, dass es ihr als Frau nicht gestattet sei, die Abschlussprüfungen zu absolvieren. Das war ein Jahr bevor Preussen den offiziellen Architekturabschluss auch für Frauen einführte. «E. Winkelmann» indes war eine willensstarke Person und gründete ohne Diplom ihr eigenes Büro in Berlin. Sie erfreute sich bald zahlreicher Aufträge von gut situierten Bauherren in Berlin und Brandenburg und beschäftigte bis zu vierzehn Angestellte.

Individuelle Lösungen

Die Wohnhäuser der Architektin erinnern in ihrer individualisierten, den Bedürfnissen der Bewohner angepassten Raumanordnung, mit ihren tief heruntergezogenen Dächern, Erkern, Wintergärten und Treppentürmen an die Landhäuser von Hermann Muthesius. Wie die meisten ihrer Kolleginnen ging aber Emilie Winkelmann nicht in die architekturhistorischen Darstellungen ein. Kerstin Dörhöfer, Architektin und Professorin an der Berliner Universität der Künste, will deshalb mit ihrer Publikation «Pionierinnen der Architektur» jenen «alten Damen der Architektur ein Denkmal» setzen, die von der Geschichtsschreibung übergangen, ignoriert oder vergessen wurden. Nur wenige prominente Architektinnen finden bis heute Erwähnung in historischen Abrissen wie etwa Eileen Gray, Lilly Reich oder Margarete Schütte-Lihotzky. Derzeit gibt es aber Bestrebungen, dieses Manko in der Architekturgeschichte aufzuholen; Forschungsergebnisse wie Dörhöfers Publikation oder die im Frühjahr von Ute Maasberg und Regine Prinz an der TU Braunschweig veröffentlichte Studie (NZZ 14. 3. 05) sind nicht zuletzt auch deshalb von Bedeutung, weil heute zwar etwa gleich viele Frauen wie Männer Architektur studieren, ihnen in der Ausbildung aber immer noch kaum weibliche Vorbilder vermittelt werden.

Dörhöfer geht es nicht darum, einen weiblichen Architekturstil aufzuspüren, sondern darum, die drei Generationen der frühen Vertreterinnen ihres Fachs vorzustellen, ihre Leistungen von der Jahrhundertwende bis in die fünfziger Jahre nachzuzeichnen und anhand von ausführlich beschriebenen Werkbeispielen bekannt zu machen. Ihre Darstellung macht deutlich, dass es den Pionierinnen wie Elisabeth von Knobelsdorff, Paul Maria Canthal, Stefanie Zwirn, Lieselotte von Bonin, Marlene Poelzig oder Marie Frommer nicht darum ging, «weibliche» Formen in der Baukunst zu finden. Sie wechselten von der traditionellen Frauenrolle des 19. Jahrhunderts in ein männliches Berufsbild, um erst einmal zu bauen, und nicht, um anders zu bauen, so Dörhöfer. Die Architektinnen arbeiteten mit zeitgemässen Materialien, Konstruktionen und Techniken; ihre Entwürfe waren traditionell oder modern - wie jene der männlichen Architekten auch.

Trotzdem erkennt die Autorin eine gemeinsame entwerferische Haltung, insofern den frühen Architektinnen Funktionalität oberstes Gebot war. Sie suchten weniger nach einer spezifischen Formensprache, um sich selbst ein künstlerisches Denkmal zu setzen, sondern bemühten sich vielmehr, den sozialen und räumlichen Bedingungen und der Bauherrschaft entsprechend zu bauen. Dabei folgten sie weniger homogenen Ordnungen, Regelwerken oder Prinzipien etwa des Bauhauses oder Le Corbusiers, sondern suchten nach individuellen, der Situation angepassten Lösungen. Ein anschauliches Beispiel dafür geben etwa Marie Frommers sehr unterschiedliche Entwürfe und Umbauten von Berliner Geschäftshäusern bis zu ihrer Emigration im Jahr 1936.

Dörhöfer konzentriert sich in ihrer Untersuchung hauptsächlich auf den Raum Berlin als Wirkungsbereich, da die Stadt in den zwanziger Jahren ein Ort des Aufbruchs sowohl in der Architektur der Moderne als auch in der Frauenbewegung war. Berlin bildete zudem einen Brennpunkt der Reformbestrebungen im Wohnungs- und Städtebau - ein Bereich, der den Interessen und Neigungen der ersten Baukünstlerinnen entgegenkam, wie Dörhöfer etwa am Beispiel von Ella Briggs belegt, die sich mit ihren sozialen Siedlungsbauten sowohl in Wien als auch in Berlin einen Namen machte.

Auf der einen Seite wirkte noch die vom Rollenbild des 19. Jahrhunderts geprägte weibliche Sozialisation, die den Frauen Tugenden wie «Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit, die Präzision und Liebe zum Detail» vermittelte. Auf der anderen Seite war es das Anliegen der Frauenbewegung, das weibliche Geschlecht von sozialen und räumlichen Einengungen zu befreien. Hinzu kamen mit dem Ende der Goldenen Zwanziger schliesslich die Zwänge der Weltwirtschaftskrise, die eine Rationalisierung des Wohnungsbaus und eine rationelle Haushaltführung nötig machten. Diese Rahmenbedingungen spiegeln sich in den Entwürfen der Architektinnen: Paul Maria Canthals (gemeinsam mit Dirk Gascard-Deipold) erarbeitetes Projekt für ein «billiges und zeitgemässes Eigenhaus» stellt in dieser Hinsicht ein bestechend klares, formal interessantes Ergebnis dar; die «Wohnlaube eines geistigen Arbeiters» und die «Laube für den Vogelfreund» von Stefanie Zwirn wirken mit ihren Nutzungsvarianten auf kleinstem Raum wie die Vorläufer zeitgenössischer Single-Wohnungen oder jüngster mobiler Wohnlösungen.

Sozialgeschichte

Kerstin Dörhöfer würdigt mit ihrer Untersuchung nicht nur die Pionierinnen der Architektur. Sie wirft auch einen aufschlussreichen und pointierten Blick auf die Rezeptionsgeschichte. Die buchstabiert von der Frage nach der weiblichen Eignung zur Profession bis zu jener nach der Auswirkung einer solchen Ausübung auf die «Geschlechtsidentität» der Frau alle Vorurteile durch, mit denen sich das gesellschaftliche Bild der Geschlechter auch am architektonischen Reissbrett festmachen lässt. Oder, wie es Grete Zimmermann, Schülerin und zeitweilige Mitarbeiterin von Hans Poelzig, sich als Merkspruch an die Wand pinnte: «Darum ist auch die Baukunst eine durchaus männliche Sache, der weibliche Baumeister eine fast nur Mitleid erweckende Vorstellung.» Das vorliegende Buch ist auch eine mit einigem Vergnügen zu lesende Sozialgeschichte.

[ Kerstin Dörhöfer: Pionierinnen in der Architektur. Eine Baugeschichte der Moderne. Ernst-Wasmuth-Verlag, Tübingen 2005. Zahlr. Abb., 223. S., Fr. 52.10. ]

Neue Zürcher Zeitung, Mi., 2005.08.24

21. Mai 2005Claudia Schwartz
Neue Zürcher Zeitung

Die Akademie im Glashaus

Mit den höchsten staatlichen Weihen wird heute Samstag in Berlin der Neubau der Akademie der Künste am Pariser Platz feierlich eingeweiht. Das repräsentative Haus am prominenten Ort nimmt die Institution in die Pflicht: In der Öffentlichkeit wird von der Bundeseinrichtung mehr gesellschaftliches Engagement gefordert.

Mit den höchsten staatlichen Weihen wird heute Samstag in Berlin der Neubau der Akademie der Künste am Pariser Platz feierlich eingeweiht. Das repräsentative Haus am prominenten Ort nimmt die Institution in die Pflicht: In der Öffentlichkeit wird von der Bundeseinrichtung mehr gesellschaftliches Engagement gefordert.

Das jüngste Haus am Pariser Platz mutet an wie ein Nachzügler: ein verspäteter Bote aus jener Werkstatt der Einheit, in der man über der Frage des architektonischen Umgangs mit der Geschichte der Hauptstadt in einen heillosen Fassadenstreit geriet. Auch den Entwurf der Architekten Günter Behnisch, Manfred Sabatke und Werner Durth für die Akademie legten die Berliner Zuständigen erst in den Giftschrank, was - neben den üblichen Berliner Bauskandalen - zu erheblichen Verzögerungen führte. Sieht man einmal von der zukünftigen amerikanischen Botschaft ab, so schliesst die Akademie als letztes Haus das Karree, das den geschichtsträchtigen Platz beim Brandenburger Tor umgibt. Von ihrer Architektur konnte man insofern Besonderes erwarten, als die Institution, für die sie steht, eine Abteilung für Baukunst führt.

Das Ergebnis zum Pariser Platz hin wirkt nun allerdings nicht überzeugend, da das gläserne Gebäude in seinem verschatteten Winkel tagsüber eher gesichtslos anmutet. Man kann es nur begrüssen, dass sich die Akademie vom Neo-Stil der kritischen Rekonstruktion ihrer Nachbarn distanziert. Aber einen expliziten Antipoden zur geschlossenen Gesellschaft aus Stein rundherum stellt sie nicht dar. Statt auf eine dezidierte Stellungnahme setzt man auf der Vorderseite auf ein verschroben anmutendes Zitat in Gestalt einer Gitterstruktur, die an die Proportionen des einstigen Altbaus erinnern soll. Die ewige Berliner Dichotomie von Glas contra Stein wirkt heute noch anachronistischer und provinzieller als schon zur Zeit des Architekturstreits: Eine Vision von zeitgemässem Städtebau gibt der Pariser Platz nicht ab.

Kulturdampfer

Man würde dem Neubau allerdings nicht gerecht, wenn man in ihm nur eine Reaktion auf den berühmten Berliner Streit erkennt. Seine Transparenz hat einen tieferen Sinn, da sich die neue Fassade, tritt man näher, zurücknimmt zugunsten des ans Foyer anschliessenden architektonischen Relikts aus der Zeit nach 1900. Neben dem Brandenburger Tor sind die Ausstellungshallen Ernst von Ihnes das einzige Zeugnis der über dreihundertjährigen Geschichte des Platzes. Behnisch schlägt mit der Aussenfassade aus Glas und Stahl eine Brücke zu diesen Ausstellungsräumen mit ihren grossflächigen Oberlichtern. Die alten Schausäle gehören zum Schönsten, was Berlin in dieser Art zu bieten hat, und die Architekten taten gut daran, eine Anbiederung an das Überlieferte durch Nachahmung zu meiden. So respektiert die neue Architektur nun die alte, indem sie sich in gebotener Distanz schützend um sie legt.

Besucher lassen im leicht ansteigenden Foyer das Niveau der Strasse sogleich hinter sich auf dem Weg in höhere Gefilde. Hier öffnet sich die Akademie als Lichthof hoch hinaus mit Stegen, Treppen, Podesten und verschobenen Ebenen. Dem Akademiepräsidenten werden die luftig gelegenen Standorte, die sich für die traditionelle Treppenrede anbieten, in Zukunft Schwindelfreiheit abfordern. Es ist nicht zu übersehen, dass dieser Kulturdampfer in Scharouns Bücherschiff der Staatsbibliothek im Westen der Stadt einen Vorläufer besitzt. Ein unmissverständliches Statement hat sich Behnisch als Baumeister der Bonner Republik also doch noch geleistet in Berlin, wo die Baupolitik die Moderne gern zu ihrem Feindbild erklärt. Im Eingangsbereich teilen sich die Wege zum Verwaltungstrakt, zu den historischen Räumen und hin zu einem Wandelgang, der sich als öffentlicher Weg durch das ganze Gebäude hindurchzieht und den Pariser Platz mit dem Holocaust-Mahnmal an der Behrensstrasse verbindet. Eine freundliche Geste der Durchlässigkeit im Stadtzentrum, das aufgrund der Sicherheitsbestimmungen mancher Botschaften mittlerweile Sperrgebiet ist.

In ihrem Inneren zeigt sich die Akademie als Haus der Begegnung, das nachts einladend in den Stadtraum leuchtet: eine Raumlandschaft, die immer neue Perspektiven freigibt, wenn man sie erkundet. Die Materialien sind dezent gewählt mit Terrazzoböden, Eichenparkett und Treppengeländern aus Metall und Ahornläufen. Vielschichtig wird die wechselvolle Geschichte des Ortes lesbar, der im Dritten Reich von Speers Generalbauinspektion und später von den DDR- Grenztruppen genutzt wurde. Farbliche Referenzen an das Brandenburger Tor im Plenarsaal und im Klubraum öffnen das Haus optisch zum Pariser Platz. Berlin ist nicht arm an Aussichtspunkten. Aber von hier aus hat man den atemraubendsten Blick: Auge in Auge mit der Quadriga, sieht man zum Kanzleramt im Spreebogen und zur Reichstagskuppel hinüber.

Herbstlaub im Mai

Die Akademie der Künste wird aus Platzgründen auch weiterhin ihren idyllischen Westberliner Sitz im Hansaviertel behalten. Behnisch hat mit seiner Architektur die Aufgabe des zukünftig ersten Standortes am Pariser Platz vorgezeichnet. Die Architektur nimmt die Einrichtung in die Pflicht: als symbolträchtiges Haus zwischen deutscher Vergangenheit und Zukunft, die Insignien der Berliner Republik im Blick. Die Rückkehr der Akademie ins Zentrum Berlins markiert das Ende einer Zeit der politischen Wirren, der baulichen Zerstörung und institutionellen Zerrissenheit, die Nationalsozialismus, Krieg, deutsche Teilung und selbst der Mauerfall über die Künstlervereinigung brachten. Wenn das Haus heute Samstag in Anwesenheit von Bundeskanzler und Bundespräsident eröffnet wird, täuscht das nicht darüber hinweg, dass es um die Einrichtung mehr als still geworden ist, nachdem man sich in den neunziger Jahren wegen Ost-West-Grabenkämpfen vorwiegend mit sich selbst beschäftigt hatte.

Nicht nur die Übernahme der ehemals «Königlich-Preussischen Akademie der Künste» durch den Bund im vergangenen Jahr hat die Frage aufgeworfen, welche Aufgabe der über dreihundertjährigen Gesellschaft heute zukommt. Von nationaler Strahlkraft kann keine Rede sein. Selbst bei den naheliegendsten Diskussionen wie jener um die Misere der Berliner Gedenkstätte «Topographie des Terrors» hat man sich gedrückt, Stellung zu beziehen. Die Akademie muss sich eine neue Identität geben. Der derzeitige Präsident, Adolf Muschg, der mittlerweile am Pariser Platz residiert, weiss um die grossen Erwartungen, die am prominenten Standort auf der Einrichtung ruhen.

Wenige Tage vor der Eröffnung hat Muschg öffentlich erklärt, dass die Akademie wieder eine vernehmbare Stimme in aktuellen Fragen werden muss. Allerdings weiss auch er, wie schwierig es ist, diesen Impuls zu geben. Es sei eben nicht mehr wie in den sechziger oder siebziger Jahren, als sich künstlerisches Schaffen per se als politische Einmischung verstand, so Muschg. Kommt hinzu, dass sich an der Spree seit den neunziger Jahren eine Reihe von Stiftungen aus Politik und Wirtschaft längst als Foren für Gesellschaftsfragen etabliert haben, und auch an kulturellen Anziehungspunkten ist die Stadt bekanntlich nicht arm. Die Zeiten, in denen die Akademie im lauschigen Tiergartenviertel unter sich das Weinglas erhob, sind vorbei. Soll das Herbstlaub, das man sich aufs neue Glasdach gemalt hat, nicht zum Sinnbild eigener Befindlichkeit werden, muss sich die Akademie bewegen. Das Haus dazu hat sie.

[ Publikation zum Haus: Werner Durth und Günther Behnisch: Berlin - Pariser Platz. Neubau der Akademie der Künste. Jovis-Verlag, Berlin 2005. 200 Abb., 264 S., Fr. 83.20. ]

Neue Zürcher Zeitung, Sa., 2005.05.21



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01. April 2005Claudia Schwartz
Neue Zürcher Zeitung

Das verbindende Element

Lange vor der Machtübernahme der National Party im Jahr 1948 prägte ethnische Segregation die rasante Entwicklung der ursprünglichen Goldgräbersiedlung...

Lange vor der Machtübernahme der National Party im Jahr 1948 prägte ethnische Segregation die rasante Entwicklung der ursprünglichen Goldgräbersiedlung...

Lange vor der Machtübernahme der National Party im Jahr 1948 prägte ethnische Segregation die rasante Entwicklung der ursprünglichen Goldgräbersiedlung Johannesburg. Aber erst die Apartheid machte aus der Trennung der Bevölkerung eine offizielle Doktrin. Städteplanung war für das Regime ein Mittel, Territorien zu schaffen und Schwarzen und Weissen bestimmte Lebensräume zuzuteilen. Mit dem Ende der Apartheid verschwanden nicht die einstigen Gebiete der Abgrenzung; auf Luftaufnahmen lässt sich die zonale Struktur der Stadt auch heute noch deutlich erkennen. Allerdings bildete sich in den letzten Jahren in den Metropolen des Landes zunehmend ein Bewusstsein dafür, dass die Veränderung auch den öffentlichen Raum erfassen, dass sich in diesem entgegen der rassenpolitischen Tradition die Idee von Freiheit, Chancengleichheit und Versöhnung verwirklichen muss: So ging mit der Entstehung einer neuen Zivilgesellschaft im ersten Jahrzehnt der Demokratie eine Neudefinition der Städteplanung einher.

Neue Raumpolitik

Die erste Ausstellung über zeitgenössische südafrikanische Architektur in Deutschland präsentiert unter dem Titel «Fast Forward Johannesburg» bereits realisierte oder in Entstehung begriffene Projekte aus Johannesburg, die den gesellschaftlichen Wandel mittragen. Zwar musste sich die Metropole im Laufe ihrer bewegten Geschichte städtebaulich immer wieder neu erfinden, aber in jüngerer Zeit schlägt sich in der Architektur die Suche nach Identität und die Auseinandersetzung mit der Geschichte des Landes in besonderer Weise nieder. Konkret verband sich mit den gezeigten Entwürfen die Prämisse, ursprünglich voneinander abgegrenzte Viertel zu verbinden oder Begegnungsraum zu schaffen. Keine leichte Aufgabe, die aber im Einzelnen zu eigenwilligen architektonischen Lösungen führt, wie die ästhetisch und diskursiv vorbildliche Schau in der Berliner Galerie Aedes East belegt. Manche der Projekte könnten durchaus wegweisend für eine originäre südafrikanische Gegenwartsarchitektur sein, die nationale Tradition mit zeitgenössischer Bauweise verschmelzt. Oftmals bilden sie einen Blickfang in dem von Brüchen geprägten Erscheinungsbild, das einen schillernden Stilmix des 20. Jahrhunderts bietet - vom Berlin der zwanziger über das New York der fünfziger bis hin zum Brasilia der sechziger Jahre.

Empfangen werden die Ausstellungsbesucher in Berlin vom Modell des «Constitutional Court», der 2004 von Omm Design Workshop, Durban, zusammen mit Urban Solutions, Johannesburg, verwirklicht wurde. Das neue Verfassungsgericht symbolisiert so explizit wie unaufdringlich in Südafrikas Verfassung verankerte Werte wie Vielfalt und Chancengleichheit. So weist das in den betont nüchternen Materialien Beton und Glas gehaltene Gebäude einen ornamentalen Detailreichtum auf, der unter anderem an die neun Provinzen und elf Landessprachen Südafrikas erinnert. Die Entstehung der Architektur im Zeichen der Übergangsgesellschaft verwirklicht sich nicht nur in der neuen Funktion des ehemaligen Gefängnisstandortes, sondern auch durch öffentliche Wege, die die Innenstadt mit dem vorwiegend von Einwanderern aus anderen Regionen des Kontinents bewohnten Stadtteil Hillbrow verbinden und damit den über Jahrzehnte planerisch fundamentierten Rassismus ganz konkret überwinden.

Begegnungsorte

Eine wichtige Aufgabe kommt jenen Bauten zu, die das Chaos von Taxis, Märkten und Strassenhändlern an den Rändern der Innenstadt und in Soweto organisieren und so eine urbane Kultur etablieren. Mit dem «Bara Taxi Rank and Market» (2004-06) hat das Team Urban Solutions eine frappante Lösung für einen Busbahnhof gefunden: Die lange Arkade aus skulptural geformten Betonteilen mutet an wie ein Kunstwerk und bildet weitherum einen Blickfang und Anziehungspunkt. Während der «Faraday Market and Transport Interchange» (Albonico & Sack Architects, MMA Architects, Johannesburg, 2003) seine einfache Bedachung aus Wellblech durch eine filigrane Stahlkonstruktion in höhere Gefilde hebt und mit weit aufgespannten, gläsernen Decken den Anschluss herstellt zur internationalen Bahnhofarchitektur.

Das Apartheid-Museum (von den Johannesburger Teams Gapp Architects & Urban Designers, Mashabane Rose Architects, Britz / Roodt Partnership, Linda Mvusi Architects, 2002) entstand in enger Zusammenarbeit der Architekten mit den Museumskuratoren. Das Ergebnis zeitigt eine enge Korrespondenz der Wege und Materialien zwischen dem Innen- und dem Aussenraum und damit eine durchgehende Inszenierung im Namen der Erinnerung. Die massiven, aus Ziegeln aufgeschichteten Mauern und mit Felsbrocken verfüllten Wände aus Draht verleihen dem Gebäude eine haptische Anziehungskraft und lassen es zum Bindeglied werden in dem kaum bebauten Landstreifen zwischen der Innenstadt und Soweto.

Einen schönen Schlusspunkt setzt die Schau mit der diplomatischen Vertretung Südafrikas im Berliner Tiergarten von Mphethi Morojele Architects (MMA Architects, 2003). Es handelt sich dabei um den ersten Botschaftsneubau Südafrikas im Ausland seit 27 Jahren, der bei aller Modernität des Entwurfes mit einem dezenten Reichtum dekorativer Elemente eine Brücke schlägt zur landeseigenen Bautradition. Wo das Herzstück ein lichtdurchflutetes Atrium bildet mit einer klaren Struktur von Verbindungswegen und Ebenen, die den Mitarbeitern als Begegnungsorte dienen, wird die Architektur selbst zur Botschafterin eines demokratischen Neubeginns.

[ Bis 21. April. Katalog: Fast Forward Johannesburg. Mit Essays von Dagmar Hoetzel und Lindsey Bremner. Galerie Aedes, Berlin 2005 (ISBN: 3-937093-46-X). 49 S., Euro 10.-. ]

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2005.04.01

18. Dezember 2004Claudia Schwartz
Neue Zürcher Zeitung

Aus dem Lot

Der Beginn der Bauarbeiten an dem umstrittenen «Denkmal für die ermordeten Juden Europas» in Berlin liegt über ein Jahr zurück. Wann immer man im Laufe...

Der Beginn der Bauarbeiten an dem umstrittenen «Denkmal für die ermordeten Juden Europas» in Berlin liegt über ein Jahr zurück. Wann immer man im Laufe...

Der Beginn der Bauarbeiten an dem umstrittenen «Denkmal für die ermordeten Juden Europas» in Berlin liegt über ein Jahr zurück. Wann immer man im Laufe der Zeit das Gelände nahe dem Brandenburger Tor aufsuchte und der Wirkung nachspürte, die der Anblick der wachsenden Zahl von Stelen auslösen würde, stellte sich Ratlosigkeit ein. Vergeblich suchte man nach der angekündigten Wellenbewegung, die sich in der Gruppierung ergeben sollte, und nicht die geringste Andeutung eines Sinnbildes war zu erkennen. Man glaubte den Grund im Unfertigen des Ganzen zu finden. Die Gegend wirkte wie ein Depot im Berliner Sand, in dem riesige Betonklötze auf ihre Weiterverarbeitung warten.

Mittlerweile haben sich die Säulen zu einem Bild gefügt, zu einem Feld geordnet: Dicht an dicht stehen sie in unterschiedlichen Höhen und Neigungswinkeln und ergeben ein kühles kubistisches Zusammenspiel in Helldunkel. Als graue Steinmasse bildet das Gelände einen rauen Kontrast zu den umliegenden bunten Häuserfassaden. Von der Reichstagskuppel aus gesehen mutet das Bauwerk an wie ein grosser, mitten in die Stadt hinein gepflasterter, unsinniger Flecken, der sich nicht in seine Umgebung einpasst. Von hier oben ist mit etwas gutem Willen und bei guten Lichtverhältnissen auch so etwas wie eine Wellenbewegung zu erkennen. Als Stein des Anstosses schiebt sich das Betonmosaik immer wieder in den Blick im Stadtbild des neuen Berlin zwischen Reichstagskuppel und Potsdamer Platz. Das hauptstädtische Postkartenidyll ist nur noch unter Anstrengung zu bekommen. Seit die wenigen Bäume zwischen die Säulen gepflanzt sind, fällt auf, wie leblos der Beton wirkt. Dagegen scheinen sich die unterschiedlich geneigten Stelen leicht zu bewegen, als würde der Wind darüber ziehen.

Der letzte der 2751 Steinquader wurde in dieser Woche gesetzt. Der anfängliche Eindruck des Unbestimmten bleibt. Man muss dem New Yorker Architekten Peter Eisenman ein Kompliment machen dafür, dass sein Werk sich der Suggestion und einem falschen Gefühlsausdruck verweigert, der den Schrecken der Vergangenheit beschwören will. Es ist erstaunlich, wie wenig monumental das Bauwerk wirkt trotz seinem riesigen Ausmass von vier Fussballfeldern. Es scheint leicht in den Boden abzusinken und erhebt sich jedenfalls nicht im Schuldstolz. Ähnlich wie Norman Foster die Würdeformel der Reichstagskuppel unterlief, indem er diese öffentlich begehbar machte, enthebt Eisenman das Denkmal einem eindeutigen Erinnerungshabitus. Es bringt historische Verantwortung zum Ausdruck, aber es bereitet keiner symbolpolitischen Selbstentsühnung den Weg.

Man wandelt hier über unebene, gepflasterte Wege zwischen den Betonwänden. Manchmal kippt eine Stele aus dem Lot und neigt sich einem leicht entgegen oder weicht nach hinten zurück. Vom Potsdamer Platz herüber weht der Würstchenduft vom Weihnachtsmarkt. Die Stelen wachsen in der Mitte des Feldes auf bis zu fünf Meter an, während der Weg zwischen ihnen steigt und fällt, im Zentrum droht das ganze Feld mit einem in den Boden zu versinken. Die Stadt rundherum verschwindet manchmal hinter den Säulen, der eindringende Lärm der vielbefahrenen Strasse zwischen dem Regierungsviertel und dem Potsdamer Platz wirkt zunehmend störend. Die Immissionen der Grossstadt lassen sich nicht ausblenden, so sehr man sich auch anstrengt. Man findet hier keine Ruhe und ist doch auf sich selbst zurückgeworfen. Eisenman schickt einen in eine körperliche Erfahrung mit vagem Ausgang.

Hier beginnt das Unwohlsein mit diesem Denkmal, das Missverständnissen nicht entgegenwirkt. Zum Beispiel jener Annahme, wonach hier eine physische Beklemmung vermittelt werde, die der Erfahrung der im Nationalsozialismus Verfolgten ähnlich sei. Unwohlsein darüber, dass die historische Katastrophe nicht ausgesprochen (und also in gewissem Sinne beschwiegen) wird, dass die Fakten in einem angegliederten, unterirdischen «Ort der Information» nachgereicht werden müssen.

Das Berliner Mahnmal gibt keine Antwort auf die Frage, wie die Deutschen zu ihrer Geschichte stehen sollen, ausser jener vielleicht, dass die Haltung, die man zur Vergangenheit einnimmt, nirgendwo anders als im eigenen Kopf entstehen kann. Eisenman hat einen rationalen «place of no meaning» geschaffen und eine Absage an die Vergegenwärtigung des Grauens mit ästhetischen Mitteln. Gäbe es ein Bild für das Bilderverbot, so fände man es am ehesten hier.

Als Schlussstrich unter die Debatte um die deutsche Vergangenheit, wie von den Kritikern des Mahnmals befürchtet, eignet sich dieses Denkmal kaum. Die Steine reden nicht, es liegt an den gegenwärtigen und zukünftigen Generationen, ob sie ihnen eine Stimme verleihen. Eisenman hat auf einem offenen Mahnmal bestanden. Passanten werden sich auf den kleineren Blöcken niederlassen, vielleicht zum Picknick oder um sich fotografieren zu lassen. Noch wohnt dem Denkmal Bedachtsamkeit, Würde und Sachlichkeit inne. Ob dies so bleibt, wenn der Zaun nach der Eröffnung im kommenden Mai entfernt sein wird und die Menschen das Stelenfeld begehen werden, wird sich weisen müssen.

Neue Zürcher Zeitung, Sa., 2004.12.18



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15. Dezember 2004Claudia Schwartz
Neue Zürcher Zeitung

Die zweite Natur des Hauses

Farbenfreudig, dann wieder technokratisch- nüchtern, postmodern oder minimalistisch präsentiert sich die Architektur Sloweniens, die derzeit in der Akademie...

Farbenfreudig, dann wieder technokratisch- nüchtern, postmodern oder minimalistisch präsentiert sich die Architektur Sloweniens, die derzeit in der Akademie...

Farbenfreudig, dann wieder technokratisch- nüchtern, postmodern oder minimalistisch präsentiert sich die Architektur Sloweniens, die derzeit in der Akademie der Künste in Berlin unter dem Titel «Baustelle: Slowenien» zu sehen ist. Da hier keine Vereinfachung passt, taten die Kuratoren gut daran, die Vielfalt und Widersprüchlichkeit zur Geltung zu bringen, statt sie unter ein Motto zu zwingen. Die dreiundzwanzig zwischen 1995 und 2004 realisierten Projekte zeigen auf kleinem Raum einen Reichtum der Positionen, der eine Baukunst im Aufbruch, zwischen Rückbesinnung und Zukunftsvision markiert.

Die in Zusammenarbeit mit der Architekturgalerie Dessa in Ljubljana konzipierte Darstellung der slowenischen Baukunst bildet den sechsten Teil einer Reihe über aktuelle städtebauliche und baukünstlerische Tendenzen aus Mittel- und Osteuropa. Auf die utopischen Entwürfe von Moskauer Architekten folgten die nationalromantischen und postmodernen Tendenzen aus Polen und Ungarn, das kompromisslose Anknüpfen der Prager Architekten an die Weisse Moderne und jenes der Esten an den skandinavischen Funktionalismus. Gemeinsam ist allen die Identitätssuche nach dem Zusammenbruch des Kommunismus. Charakteristisch für die slowenische Architektur der letzten Dekade ist darüber hinaus die spürbare Anlehnung an west- beziehungsweise nordeuropäische Strömungen. Nicht immer ist das Präsentierte allerdings frei von Eklektizismus.

Der minimalistische Umgang mit den Materialien Beton und Holz deutet auf Schweizer und Vorarlberger Vorbilder hin, die Experimentierfreude und Plastizität bei Fassadengestaltung auf Seitenblicke in die Niederlande und nach Skandinavien. Dabei ergeben sich eigenwillige formale Lösungen wie beim strengen langgestreckten Kubus der Union-Brauerei von Aleš Prini in Ljubljana mit seiner Haut aus einer beleuchteten Glasmembran (1999). Die zentrale Lage Sloweniens zwischen Adria, Alpen und Pannonischer Ebene zeigte sich schon zur Zeit von Joe Plenik (1872-1957) offen für Einflüsse. Dem Schüler Otto Wagners und Vater der slowenischen Moderne widmet die Schau in ihrem Auftakt einen knappen, informativen Rückblick, insbesondere, was seine Prägung der Hauptstadt Ljubljana anbelangt. Plenik bildet bis heute den massgebenden Bezugspunkt, wie der Wohnhauskomplex (2001) des Architektenteams Matija Bevk und Vasa J. Petrovi illustriert. Dieser öffnet sich in einem Gartenhof zu Pleniks benachbarter Kirche des heiligen Franziskus und erweist ihr in warmen, zurückhaltenden Farben und bestechender formaler Klarheit die Reverenz.

Zwei Generationen führen heute die Entwicklung an: Vojteh Ravnikar oder Prini vertreten jene, die der Architekturgeschichte der Region in «verdeckter Kontinuität» verbunden sind und sich in den siebziger und achtziger Jahren einen Namen machten. Ravnikars gemeinsam mit Maruša Zorec und Robert Potokar realisierte, geometrisch anmutende Bibliothek in Nova Gorica (2000) sowie ein Wohn- und Geschäftskomplex in Capodistria (1996) sind beispielhaft für einen kritischen Regionalismus: Die Bauten wirken in ihrer Umgebung wie ein Bindeglied und beanspruchen gleichzeitig Eigenständigkeit.

Weiter etabliert sich eine jüngere Generation, die in London oder Amsterdam studiert hat: Das Team Dodd, Glaar, Perovi, Vehovar sucht mit seiner Grundschule in Koevje (2002) eine lokale Verortung, indem es die Umgebung als zweite Natur des Gebäudes durch Ausblicke und Gebäudeeinschnitte in Szene setzt. Zu dieser in die Region eingebetteten Bauweise bildet der international ausgerichtete Stil des Architektenduos Sadar Vuga in seinem formalistischen Spiel mit Volumina einen urban anmutenden Kontrapunkt: in vertikaler, farblich fein abgestimmter Schichtung bei der Industrie- und Handelskammer (1999); eher hart und unnahbar beim völlig schwarzen Baukörper des Arcadia-Lightware-Gebäudes (2000), beide in Ljubljana. Ein schönes Detail dieser Schau sind die biografischen Leuchtkästen, mittels deren die achtzehn Architekten vorgestellt werden.

[ Ausstellung bis 9. Januar 2005. Katalog Euro 12.-. ]

Neue Zürcher Zeitung, Mi., 2004.12.15

16. August 2004Claudia Schwartz
Neue Zürcher Zeitung

Bewahrender Stadterneuerer

Zum Tod des Architekten Josef P. Kleihues

Zum Tod des Architekten Josef P. Kleihues

Zu seinen bekanntesten Bauten zählen das Museum of Contemporary Art in Chicago (1996) und das «Kant-Dreieck» (1994), ein Bürohaus mit Haifischflosse auf dem Dach unweit des Berliner Bahnhofs Zoo. Seinen so sensiblen wie selbstbewussten Umbauten, den Deichtorhallen in Hamburg und dem Museum Hamburger Bahnhof in Berlin, hauchte er mit feinem Gespür für Konstruktion seine «antikisierende Technologie» (Giorgio Grassi) ein. In die Geschichte der Berliner Architektur schrieb sich Josef Paul Kleihues indes mit Macht ein als Mentor einer zeitgenössischen Baukunst, die das klassische Vokabular und die Idee des europäischen Stadtgrundrisses hochhielt. Dafür fand der 1933 im westfälischen Rheine geborene Architekt in der Stadt an der Spree mit ihren historisch bedingten Brüchen früh ein ideales Betätigungsfeld. - Berlin als Stadt des preussischen Klassizismus und des Bauhauses prägte das Denken Kleihues', wie umgekehrt die deutsche Hauptstadt heute ohne ihn nicht das wäre, was sie ist. Sein Werk, dem konkreten Ort verbunden, erinnerte an die Ausdruckskraft Messels oder an das städtebauliche Bewusstsein Scharouns, bei dem er studiert hatte; er wollte das Gedächtnis der Architektur wiederbeleben gegen das «Verlöschen der Stadt» (Wolf Jobst Siedler).

Kleihues kam Ende der fünfziger Jahre zum Architekturstudium an die Spree und eröffnete 1962 ein eigenes Büro. Damit begann ein lebenslanges Engagement, dem theoretische Überlegung und städteplanerisches Anliegen ebenso wichtig waren wie die Baukunst selbst. Den Berliner Bezirk Kreuzberg beispielsweise würde ohne Kleihues' Einfluss heute eine Autobahn durchschneiden: Als Leiter der Neubauabteilung der «Internationalen Bauausstellung Berlin 1984/87» brachte er die Internationalität, die Berlin vor dem Zweiten Weltkrieg architektonisch geprägt hatte, zurück und gab der Westberliner Baupolitik eine entscheidende Wende.

Anlässlich seines 70. Geburtstags im vergangenen Jahr war auch vom architekturpolitischen Kartell Berlins die Rede, in dem Kleihues eine zentrale Rolle spielte, im positiven wie im negativen Sinn. Das Bauen mit modernen Mitteln bei gleichzeitiger Bezugnahme auf den historischen Stadtgrundriss fand vor allem nach der Wende Resonanz und seinen Ausdruck in der «kritischen Rekonstruktion»: Die Bewegung löste den Berliner Architekturstreit aus, als sie sich im rigorosen Festhalten an Traufhöhe und Blockrandbebauung zur rückwärts gewandten Ideologie auswuchs. Kleihues selbst bekam bei der Verzerrung seiner kühnen Entwürfe der Häuser Sommer und Liebermann am Pariser Platz den zwanghaften Charakter der historistisch-restriktiven Berliner Baupolitik am eigenen Leib zu spüren. Sein Plädoyer für den Wiederaufbau des Berliner Schlosses mag man in diesem Zusammenhang als eine späte resignative Flucht nach vorn interpretieren.

Kleihues bezeichnete sich selbst als «poetischen Rationalisten», und seine Verehrung galt in diesem Sinne dem berühmtesten Baumeister der Stadt an der Spree, Karl Friedrich Schinkel. Kurz vor seinem Tod nahm Josef Paul Kleihues vergangene Woche an der Eröffnung der nächtlich hell erleuchteten Attrappe der Schinkel'schen Bauakademie auf dem Friedrichswerder teil, für deren Wiederaufbau er als Wortführer der preussischen Postmoderne gekämpft hatte. Der letzte Auftritt von Josef Paul Kleihues, der in der Nacht zum 13. August gestorben ist, war zu Ehren seines grössten Vorbilds.

Neue Zürcher Zeitung, Mo., 2004.08.16



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28. Juni 2004Claudia Schwartz
NZZ-Folio

Türme und Mietskasernen

Wenn in den vergangenen Jahren von Berlin als einer Architekturstadt die Rede war, dann blieb meist der berühmte Katzenjammer nicht aus: Über den schwerwiegenden...

Wenn in den vergangenen Jahren von Berlin als einer Architekturstadt die Rede war, dann blieb meist der berühmte Katzenjammer nicht aus: Über den schwerwiegenden...

Wenn in den vergangenen Jahren von Berlin als einer Architekturstadt die Rede war, dann blieb meist der berühmte Katzenjammer nicht aus: Über den schwerwiegenden städtebaulichen Fehlentwicklungen seit dem Fall der Berliner Mauer ging oft vergessen, dass die Stadt an der Spree weitaus mehr zu bieten hat als die abends menschenleere Friedrichstrasse. Berlin ist seit je ein Mekka für Architekturinteressierte: Baumeister wie Schinkel, Peter Behrens, die Gebrüder Luckhardt, Bruno Taut oder Hans Scharoun sind nur einige der berühmten Namen, die sich mit dem Berliner Stadtbild verbinden. Ein von Guido Brendgens und Norbert König verfasster Architekturführer rückt die Verhältnisse unaufgeregt zurecht. Das handliche Werk stellt umfassend und kompetent die berlinische Architektur bis in die unmittelbare Gegenwart vor - ausgehend von einer Einführung, die der besonderen, historisch bedingten Charakteristik der deutschen Hauptstadt Rechnung trägt. Dass die Autoren auch nicht mit Kritik zurückhalten, dabei allerdings die Neutralitätspflicht eines solchen Übersichtswerks hochhalten, gehört ebenso zu den Vorzügen dieser Publikation wie die eingestreuten Essays zu Schwerpunktthemen wie der Museumsinsel, dem Potsdamer Platz, den Berliner Mietskasernen oder dem «Bauhaus in Berlin». Das einzige, bei einer weiteren Auflage zu behebende Manko ist das Fehlen eines Stadtplans, der das in Wort und Bild Dargestellte lokalisieren würde. Was aber dem kundigen Führer durch die Strassen Berlins keinen entscheidenden Abbruch tut.

NZZ-Folio, Mo., 2004.06.28



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Berlin Architektur. Architekturführer

02. Juni 2004Claudia Schwartz
Neue Zürcher Zeitung

Abrissbirnenlösung

Die deutsche Bundesregierung und das Land Berlin haben, wie kurz gemeldet (NZZ 27. 5. 04), beschlossen, das Neubauprojekt des vom Schweizer Architekten...

Die deutsche Bundesregierung und das Land Berlin haben, wie kurz gemeldet (NZZ 27. 5. 04), beschlossen, das Neubauprojekt des vom Schweizer Architekten...

Die deutsche Bundesregierung und das Land Berlin haben, wie kurz gemeldet (NZZ 27. 5. 04), beschlossen, das Neubauprojekt des vom Schweizer Architekten Peter Zumthor geplanten Berliner Dokumentationszentrums für die Stiftung «Topographie des Terrors» abzubrechen und das Projekt neu auszuschreiben. Was nach jahrelanger Ungewissheit auf den ersten Blick wie ein Befreiungsschlag wirkt, wirft doch einige Fragen auf. Dass die Ursache für die endlose Bauverzögerung nicht allein in den wiederholten Pleiten beteiligter Firmen liegen konnte, wie die Berliner Bauverwaltung lange glauben machte, dass vielmehr die Schwierigkeiten in Zumthors aufwendiger Beton- Stabwerkskonstruktion selbst gründeten, war in Anbetracht der nun seit mehr als zwei Jahren verödeten Baustelle offensichtlich.

Von den Diskussionen zwischen Architekt, Stiftung und Bauverwaltung drang jedenfalls genug an die Öffentlichkeit, dass auf eine heillos verfahrene Situation geschlossen werden konnte. So gesehen erscheint der Schlussstrich, den die Berliner Bausenatorin, Ingeborg Junge-Rever, und die Kulturbeauftragte der Bundesregierung, Christina Weiss, gemeinsam gezogen haben, verständlich. Das überstürzte Tempo, mit der die Kehrtwende nun vollzogen wurde, und die Art und Weise, wie man den Beschluss öffentlich machte, ohne vorab den Architekten zu informieren, lassen allerdings noch nicht unbedingt darauf schliessen, dass das Projekt bereits von einem neuen Stil beseelt wäre.

Es bleibt zudem die Frage, wie es dazu kommen kann, dass erst neun Jahre nach Grundsteinlegung eines Baus und der Vollendung von drei Treppenhäusern ein Gebäude als zu risikoreich nicht nur in seiner Realisierung, sondern auch hinsichtlich seiner späteren Betriebskosten eingeschätzt wird, wie dies nun ein Gutachten tut. Bei allen baulichen Unwägbarkeiten - das Scheitern des einst als architektonische Ergänzung zu Jüdischem Museum und Holocaust-Mahnmal auf den Weg gebrachten Projektes stellt eine Bankrotterklärung für alle Beteiligten dar. Über 13 Millionen Euro hat man in den Berliner Sand gesetzt, es könnten noch ein paar mehr werden, wenn die bereits erstellten Treppenhäuser abgerissen werden müssen oder Schadenersatzansprüche folgen. Zumthor lässt gegenwärtig seinerseits rechtliche Schritte prüfen.

In den letzten Tagen war oft davon die Rede, dass der authentische «Ort der Täter», an dem einst ein Teil des NS-Machtapparates sass, keine Memorialarchitektur benötige, sondern eine schlichte Anmutung. Vergessen scheint, dass man sich genau aus diesem Grund 1993 für Zumthors minimalistischen Entwurf entschieden hatte. Nun wird ein Wettbewerb neu ausgeschrieben werden müssen, um mit dem Restbudget von rund 25 Millionen Euro ein neues Haus zu entwerfen, zu bauen und einzurichten. Die Aufgabe ist nicht leichter geworden.

Neue Zürcher Zeitung, Mi., 2004.06.02



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Topografie des Terrors

31. März 2004Claudia Schwartz
Neue Zürcher Zeitung

Die Republik in der Pflicht

Das Berliner Dokumentationszentrum Topographie des Terrors ist gefährdet

Das Berliner Dokumentationszentrum Topographie des Terrors ist gefährdet

Er griff zum letzten Mittel, das übrig blieb: Reinhard Rürup, der wissenschaftliche Leiter der Stiftung Topographie des Terrors, ist, wie bereits gemeldet, von seinem Amt zurückgetreten. Nach nahezu zwei Jahrzehnten unermüdlichen Engagements und nachdem der auf dem Gebiet des Nationalsozialismus international renommierte Historiker trotz allen Rückschlägen während Jahren mit bewundernswerter Integrität an dem Neubauprojekt der Stiftung festgehalten hat. In dem vom Schweizer Architekten Peter Zumthor entworfenen Dokumentationszentrum soll dereinst über die Mechanismen des Machtapparates im «Dritten Reich» informiert werden.

Seit Ende 1999 dauert mittlerweile der Baustopp auf dem brachliegenden Gelände in Berlin- Kreuzberg, wo einst Gestapo, SS und Reichssicherheitshauptamt ihren Sitz hatten. Von den seither regelmässig aus der Verwaltung tropfenden Meldungen über einen geplanten Weiterbau nimmt kaum noch einer Kenntnis, erweisen sie sich doch ausnahmslos als jene - wie es ein ehemaliger Berliner Kultursenator einmal formulierte - «Bemühenszusagen», mit der die Politik in dieser Stadt unermüdlich, aber folgenlos die eigene Entschlossenheit demonstriert.

Rürups Rücktritt ist, wie die «Frankfurter Rundschau» anprangert, nicht nur eine «Schande für alle übrigen Beteiligten», sondern auch ein Schuss vor ihren Bug. Denn was in Berlin Bemühenszusage heisst, nennt sich auf Seiten der Bundesregierung seit längerem Absichtserklärung: Als das Erinnerungsprojekt vor drei Jahren bereits im Berliner Treibsand aus Inkompetenz und Finanznot zu versinken drohte, kündigte der Bund an, die Baukosten zur Hälfte zu übernehmen - vorausgesetzt, der Kostenrahmen von rund 39 Millionen Euro werde eingehalten. Doch liess man die Lokalpolitik in gewohnter, wenig kostensparender Weise weiterwursteln: Die unendliche Geschichte nahm ihren Fortgang mit dem Konkurs von am Bau beteiligten Firmen, Neuausschreibungen sowie Überarbeitungen durch den Architekten, dessen Entwurf sich Berlin in den Neunzigern gerne ans Revers heftete, wenn es um den Nimbus einer Stadt der Architektur ging.

Schwere Vorwürfe richtet der scheidende Direktor nun nicht zuletzt an die Adresse der Kulturabteilung im Kanzleramt unter Christina Weiss. Offenbar wollte man dort in Anbetracht der anhaltenden Unsicherheit des Bauprojektes Druck auf den Berliner Senat ausüben und kündigte die Streichung von Sondermitteln für die Erstausstattung der geplanten Einrichtung an. Man will den Berliner Schlendrian schlagen und trifft damit die Stiftung Topographie des Terrors mitten ins Herz, indem man dem nicht bestehenden Haus nun auch noch den Inhalt nimmt. Die zur Diskussion stehenden Mittel sind bereits fest eingeplant in die zukünftige Darstellung der Geschichte des nationalsozialistischen Unterdrückungsapparates. Als Beitrag zum diesjährigen Gedenken an den Widerstand des 20. Juli 1944 zogen Rürup und sein Team einen diesbezüglichen Schwerpunkt vor mit einer Schau über das Gestapo-Gefängnis, über «Terror und Widerstand 1933-1945». Sie sollte ab Mai auf dem Topographie-Gelände zu sehen sein und muss nun abgesagt werden.

Verärgert zeigt sich der für gewöhnlich sehr zurückhaltende Rürup auch deshalb, weil das Kanzleramt nicht erst das Gespräch mit der Stiftung suchte, um die akuten Folgen abzuwägen, sondern es der Berliner Kulturverwaltung überliess, die Einrichtung vor vollendete Tatsachen zu stellen. Ein wahrlich berlinischer und jedenfalls unwürdiger Umgangston gegenüber einer Institution, die einen international hoch angesehenen Beitrag zur wissenschaftlichen Aufarbeitung der nationalsozialistischen Verbrechen leistet. Die Bundesregierung will mit ihrem Vorstoss die Hauptstadt an ihre Hausaufgaben erinnern und versetzt der Topographie des Terrors womöglich den Todesstoss. Die Einrichtung steht schon länger auf der Kippe. Mit dem Abgang von Reinhard Rürup, mit dessen Person das Projekt aufs Engste verknüpft ist, erscheint die Vollendung des Ausstellungszentrums unsicherer denn je.

Der Bund hat sich mit Vehemenz zwei Grossprojekte der Erinnerungskultur zur eigenen Angelegenheit gemacht: das zentrale Holocaust-Mahnmal und das Jüdische Museum - repräsentative Einrichtungen mit hohem Symbolwert das eine wie das andere. Umso stärker tritt die Halbherzigkeit zutage, mit der sich die Politik der Topographie des Terrors zuwendet. Für einmal geht es nicht darum, wohlwollend Gesinnung kundzutun. Es geht darum, Verantwortlichkeit in die Tat umzusetzen. Das Gelände Topographie des Terrors ist ein historischer Ort des Schreckens inmitten der deutschen Hauptstadt. Die Stiftung hat die Aufgabe, über die Systematik des nationalsozialistischen Unrechtsstaates, über die Strukturen der Täter aufzuklären. Das ist keine berlinische Angelegenheit, sondern eine der Berliner Republik.

Neue Zürcher Zeitung, Mi., 2004.03.31



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Topografie des Terrors

20. November 2003Claudia Schwartz
Neue Zürcher Zeitung

Eine glänzende Botschaft an Berlin

Vor wenigen Tagen wurde Rem Koolhaas' bereits viel diskutierter Neubau der niederländischen Botschaft in Berlin vollendet. Aus diesem Anlass zeigt die Berliner Neue Nationalgalerie eine Ausstellung, der es leider nicht gelingt, das Werk von Koolhaas und dessen Office for Metropolitan Architecture (OMA) verständlich zu machen.

Vor wenigen Tagen wurde Rem Koolhaas' bereits viel diskutierter Neubau der niederländischen Botschaft in Berlin vollendet. Aus diesem Anlass zeigt die Berliner Neue Nationalgalerie eine Ausstellung, der es leider nicht gelingt, das Werk von Koolhaas und dessen Office for Metropolitan Architecture (OMA) verständlich zu machen.

Die Niederländer haben in Berlin nahe am Wasser gebaut. Ihr neues Botschaftsgebäude von Rem Koolhaas liegt an der Spree fast wie an einer Amsterdamer Gracht. Damit lässt sich die Botschaft abseits des traditionellen Diplomatenviertels im Berliner Tiergarten nieder - weit weg vom Trubel um den Reichstag. An der Klosterstrasse hat das Gastland einen malerischen Standort aufgespürt in einer fast holländisch anmutenden Stadtlandschaft am Wasser.

Jenseits vom Blockrand

Für Koolhaas, der mit seinem Rotterdamer Office for Metropolitan Architecture (OMA) 1997 den Wettbewerb für die Botschaft in Berlin gewann, stellt der noch vor seiner feierlichen Eröffnung im kommenden Frühjahr viel beachtete Bau eine Genugtuung dar. Der Vordenker der internationalen Architekturszene hatte die Stadt Anfang der neunziger Jahre im Zorn verlassen, nachdem sich abgezeichnet hatte, dass der Ideenwettbewerb für den Masterplan des neuen Potsdamer Platzes - Koolhaas sass damals in der Wettbewerbsjury - zugunsten des traditionellen Berliner Strickmusters mit Blockrandbebauung und Steinfassaden ausgehen würde. Daran erinnert die niederländische Botschaft an der Klosterstrasse, die sich ausnimmt als persönliche Botschaft des Stararchitekten an diese Stadt. Sie besagt, dass zeitgemässes Bauen nicht «kritische Rekonstruktion» sein muss und dass es auch ohne Steinfassaden geht.

Koolhaas hat seine Message diskret verpackt, wie es sich für ein Haus der Diplomatie ziemt: Er stellte einen gläsernen Würfel ans Spreeufer und umrahmte ihn stadtseitig mit einem zweiten, L-förmigen Trakt, der Gästeappartements und Infrastruktur aufnimmt, mit seiner schlanken Form und gelochten Metallfassade dabei leicht wie ein Vorhang wirkt. Der Architekt entbindet das Hauptgebäude von seiner Pflicht zur Berliner Blockrandstruktur, indem sich der zweite Bau zur Nachbarschaft hin rechtwinklig stellt. Mit diesem Kunstgriff verhilft er der lokalen «Gestaltungssatzung» zu ihrem Recht und befreit sich gleichzeitig elegant von ihr: Die Botschaft selbst ist ein Solitär und hebt sich klar von der Umgebung ab. Die Architektur schafft ihren eigenen Kontext, gibt sich als exterritoriales Gelände zu erkennen und demonstriert nach aussen Geschlossenheit.

Das Ensemble der beiden durch Brücken verbundenen Bauten und das dazwischenliegende Gelände bilden ähnlich wie die skandinavischen Botschaften in Berlin eine ebenso heterogene wie harmonische Stadtlandschaft en miniature, die trotz begrenzten Platzverhältnissen im Hof und zum Flussufer hin erstaunlich viel Freifläche entfaltet, wenngleich Asphalt und verwilderte Grünfläche derzeit noch keine Augenweide abgeben. Ein Durchgang zwischen Haupt- und Nebengebäude erlaubt es hohen Gästen, direkt vor dem Eingang im Hof vorzufahren, und Passanten, wie selbstverständlich übers Botschaftsgelände zu schlendern. Die niederländische Vertretung öffnet sich den Berlinern wie keine andere an der Spree.

Die Stadt im Haus

Die Durchfahrt zwischen den beiden Gebäuden zieht gewissermassen die Strasse über den Hof bis direkt zum Eingangsbereich des Hauses. Im Gebäudeinnern setzt sie sich als Gang fort, der sich vom Foyer bis aufs Dach schlängelt. Dieser inszeniert als Lebensader der Botschaft eine Art Strassenleben: Räume, Menschen, Innen- und Aussenwelt, Aussichten und Einblicke, alles ist über die eine, zweihundert Meter lange Binnenstrasse miteinander verbunden. Man passiert Treppen und Rampen, tritt durch die Aussenhaut hindurch auf eine gläserne Gangway und geniesst mehr oder weniger den schwindelerregenden Blick durch grünen Glasboden auf die Strasse darunter. Es gibt keine Etagen mehr, sondern unzählige Ebenen, die miteinander funktional in Bezug treten. Die Räume zeigen sich kühl und zurückhaltend in Sichtbeton, Aluminium, Glas und Holzfurnier. Die Ausführung hat, diplomatisch gesagt, etwas von rohem Realismus.

Der niederländische Botschafter wird zukünftig in einer aus der Fassade hervorschiessenden Skybox Sitzungen abhalten oder Diners geben - atemraubender Ausblick auf die Stadt inklusive. Hier ist kein Gegensatz von Architektur und Stadt mehr, man flaniert und sieht plötzlich durch einen Fassadeneinschnitt des zweiten Botschaftsgebäudes hindurch: Je nach Blickwinkel rückt die silberne Kugel des Fernsehturms am Alexanderplatz ins Bild oder der Turm des Stadthauses. Der beschauliche Spaziergang endet hoch oben in der Kantine, die sich durch Öffnen des Dachs in ein lauschiges Atrium verwandeln lässt und mit der Dachterrasse einen Ort für Empfänge gibt, wie ihn sich ein Botschafter wohl nur wünschen kann.

Koolhaas hat einen Schauplatz der diplomatischen Vermittlung geschaffen, wie er im Bilderbuch steht, voller Überraschungen, mit grossen Gesten und kleinen Rückziehern, mit einem Gefühl für den Rhythmus zwischen wagemutigem Antrag und Zurückhaltung. Es ist überdies eine Liebeserklärung an Berlin, ein Plädoyer dafür, mit den historischen Brüchen dieser Stadt zu leben und ihr nicht falsche Nostalgie ins Gesicht zu schminken. Diese Botschaft kommt zur rechten Zeit, da sich seit dem endgültigen Beschluss für den Abriss des Palastes der Republik in den lokalen Medien über den Wiederaufbau des Berliner Schlosses hinaus eine Rekonstruktionswut aufbläht, die an jedem freien Plätzchen in Berlins Mitte ein untergegangenes Kutscherhaus aufspürt. Es bleibt zu hoffen, dass die vor wenigen Tagen erfolgte Verleihung des Berliner Architekturpreises an Koolhaas und das Aussenministerium der Niederlande für ihr Botschaftsgebäude nicht nur ein Lippenbekenntnis ist, sondern eine konkrete Zusammenarbeit mit dem Architekten für die Zukunft mit sich bringt. Ein Preis ging übrigens auch an die Schweizer Botschaft in Berlin der Basler Architekten Diener & Diener.

Problematische Koolhaas-Ausstellung

Die Fertigstellung der niederländischen Vertretung gibt Koolhaas Gelegenheit, in der Berliner Neuen Nationalgalerie die Show «Content - Rem Koolhaas. OMA/AMO. Bauten, Projekte und Konzepte seit 1996» zu präsentieren. Man kann das kreative Wirrwarr dieser Multimedia-Installation eigentlich nur Anhängern des Beschleunigungstheoretikers empfehlen. Gegen die Koolhaas'sche Erkenntnis, dass die Architektur dem Lauf der globalen Gesellschaft hoffnungslos hinterherhinkt, scheinen hier Modelle, Entwürfe, T-Shirt-Shop, Kommentare zu Politik und Gesellschaft in einem gewaltigen Überholmanöver anzusetzen. Man hört buchstäblich Mies van der Rohe ein väterliches «Less is more» flüstern.

«Content» illustriert die Grenzen einer derartigen Präsentation von Architektur, nicht nur dort, wo die Schau die Entwürfe kaum in Raum und Zeit stellt und offen lässt, was tatsächlich gebaut worden ist. Der Zwiespalt, den die Ausstellung von Architektur als frei im Raum schwebender Kunst birgt, tritt spätestens dann zutage, wenn auf die plakative Kritik an der westlichen Irak- Politik gleich um die Ecke stolz das derzeit ehrgeizigste Projekt von Koolhaas folgt: Das Modell eines oben zusammengewachsenen Zwillingshochhauses für Peking ist effektvoll beleuchtet, und seine schwierige statische Ausbalancierung wird vielfältig belegt. Aber nirgends wird ausgeführt, dass das Architekturspektakel für das chinesische Staatsfernsehen entsteht im Auftrag eines Unterdrückungssystems, das dort später seine mediale Wirklichkeit konstruieren wird. Vielleicht klärt der Katalog über die Einbettung der Architektur in solch globale Zusammenhänge auf. Der aber erscheint erst in einigen Wochen, wie uns der Mitarbeiter des Meisters vertröstet. Dann werde es übrigens «noch einmal eine ganz grosse Präsentation» geben. Wer nun an PR und Shopping denkt, hat zu viel Koolhaas gelesen.

Draussen in der angebrochenen Winternacht leuchtet derweil der zauberhafte Glaskasten des Botschaftsgebäudes in Weiss, Gelb, Orange am Ufer der Spree und richtet seinen Blick ins Berliner 21. Jahrhundert. Rem Koolhaas widerlegt in Berlin gerade seine eigene These von der Überlegenheit des geistigen Konstrukts gegenüber der Realität. Noch ist sein neues Haus schneller, als Berlin träumt.

[Die Ausstellung in der Neuen Nationalgalerie in Berlin dauert bis zum 18. Januar 2004. Ein Katalog ist angekündigt.]

Neue Zürcher Zeitung, Do., 2003.11.20



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Niederländische Botschaft

26. September 2003Claudia Schwartz
Neue Zürcher Zeitung

Ganz glücklich über den „zweiten Schinkel“

Der Architekt Ludwig Persius in Potsdam

Der Architekt Ludwig Persius in Potsdam

Leicht erhöht über Potsdam liegt das Schloss Babelsberg, umgeben von einem malerischen Park. Ein Bauwerk nach der Mode seiner Zeit im neugotischen Stil mit zinnenbewehrten Türmen. Begonnen hat es 1833 Karl Friedrich Schinkel. Weniger bekannt ist, dass sein begabtester Schüler und Nachfolger, Ludwig Persius, den Bau in einer zweiten Entstehungsphase im Wesentlichen erweiterte und 1849 vollendete. An dem pittoresken Ort ist derzeit die Schau «Ludwig Persius. Architekt des Königs» zu sehen, welche die Stiftung Preussische Schlösser und Gärten Berlin- Brandenburg dem Architekten (1803-1845) aus Anlass seines 200. Geburtstags widmet.

Schloss Babelsberg wird oft Schinkel zugeschrieben und illustriert das Schattendasein, das Persius in der Rezeptionsgeschichte neben dem grossen Architekten Preussens bis heute führt. Es ist das Verdienst der gegenwärtigen Präsentation, das Werk von Persius in ein neues Licht zu rücken und gleichzeitig Schinkels Bedeutung als überragender Künstler gelten zu lassen. In den Zeichnungen und Entwürfen von Persius offenbart sich ein künstlerisches Talent, das Schinkels Lehre hochhielt. Gleichwohl überführte Persius dessen idealisierende Symmetrie in eine funktionale, kubisch verschachtelte Bauweise, die manchmal wie eine leise Vorahnung der späteren Bauhaus-Bewegung aufleuchtet. So bei der Orangerie in Bad Muskau (1844), einer der wenigen ausserhalb Potsdams realisierten Persius-Bauten, die nach Wunsch von Fürst Hermann Pückler- Muskau orientalische Anklänge aufweisen sollte. Persius fand eine bestechend moderate Lösung, die in Abstrahierung der formalen Aufgabe mit leichten Tudorbögen, schlohweissem Fassadenanstrich und nur angedeuteten Zinnen wie ein Vorläufer der frühen Industriearchitektur des 20. Jahrhunderts erscheint. Der Bauherr, selbst ein leidenschaftlicher Gartenkünstler, zeigte sich «ganz glücklich, endlich einen zweiten Schinkel gefunden zu haben».


Der Architekt des Königs

Persius' Werk ist von Kontinuität geprägt. Es weist ihn als direkten Nachfahren Schinkels und als frühen Vertreter der Schinkel-Schule aus, die sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts unter dem Einfluss des Historismus auflöste. Die Zusammenschau der Bildwelten von Lehrer und Schüler beleuchtet, wie erst die Synergie der beiden unterschiedlichen Temperamente - unterstützt vom Gartenarchitekten Peter Joseph Lenné und befördert von Wilhelm IV. - die Potsdamer Schlösser- und Gartenlandschaft zu jenem einzigartigen Gesamtkunstwerk erweckte, als das sie sich bis heute zeigt. Während Schinkel in Babelsberg nach einem ersten königlichen Auftrag eine bescheidene Sommerresidenz im Cottagestil entworfen hatte, wünschte sich der neue Machthaber Friedrich Wilhelm IV. nach Schinkels Tod von Persius eine Erweiterung, die den Anforderungen grösserer Gesellschaftsanlässe entsprach. Persius brach - im Bewusstsein des «genialen Entwurfes» seines Meisters, mit dessen Bauausführung er zuvor schon beauftragt war - die zwischen Pfeiler gespannten Wandflächen asymmetrisch auf. Er schraubte runde und oktogonale Türme in den Himmel, legte Erker und Terrassen an, entwarf ein zeichenhaftes Märchenschloss im Burgenstil.

Anhand von 120 originalen Zeichnungen, Entwürfen, Plänen und Fassadenansichten sowie Fotografien, Modellen, Bauplastiken und einem Werkverzeichnis im umsichtig edierten Katalog erfährt das architektonische Lebenswerk von Persius hier eine umfassende kritische Würdigung. Diese hält sich in einer ersten werkgeschichtlichen Aufarbeitung rigoros an den engen zeitlichen und räumlichen Horizont von Leben und Werk des Potsdamer Architekten. Eine Aufarbeitung im internationalen Kontext wäre wünschbar, um den provinziellen Eindruck, den eine solche Engführung zwangsläufig mit sich bringt, aufzubrechen. Im Rahmen der gegenwärtigen Forschung stehen weitere Publikationen an, die dieses falsche Bild allerdings entkräften dürften.

Eine «Galerie der verschollenen Zeichnungen» erinnert mit fünfzig Reproduktionen an den 1945 verlorenen Nachlass von Persius, der mit über 650 Originalblättern einst das Œuvre dokumentierte: das rege Schaffen eines im Alter von 42 Jahren viel zu früh Verstorbenen. «Schinkels Meisterschüler» und erster «Baukondukteur» war mit der Bauausführung des Prinzenschlosses, des Gärtnerwohnhauses und der Römischen Bäder bei Charlottenhof in Sanssouci sowie des Glienicker Schlosses betraut. Persius vollendete mit der Überarbeitung der Kuppel zudem Schinkels Nikolaikirche. Zu den Höhepunkten seines Werks zählen die Heilandskirche in Sacrow (1844), die Potsdamer Friedenskirche (1848), das 1843 in der Art einer Moschee errichtete Dampfmaschinenhaus von Sanssouci und das etwa zur gleichen Zeit entworfene Belvedere auf dem Pfingstberg.

Nach Schinkels Tod wurde Persius von Wilhelm IV. bald zum «Architekten des Königs» berufen. Die letzten vier Jahre seines Lebens zeichnete er für den Ausbau von Potsdam verantwortlich in enger Zusammenarbeit mit dem königlichen Auftraggeber, dessen Launenhaftigkeit in «Ordre, Contreordre, Disordre» dem Baumeister ein Abwägen von diplomatischem Geschick und unbeirrter Sicherheit in der Sache abforderte. Persius' Schaffen stand in der Folge unter den Leitgedanken des «Romantikers auf dem Thron», dem die Architektur mehr zusagte als die Politik: Sein Bestreben lag in der Vollendung des Gesamtwerks Sanssouci, in der Verschönerung der Silhouette von Potsdam und im Kirchenbau.


Italiensehnsucht

Zu den reizvollsten Schöpfungen von Persius zählen seine Turmvillen im Stil der norditalienischen Renaissance. Sie erlangten, von Schinkels Sehnsucht nach Italien berührt, in eigentümlicher Kombination aus funktionaler Einfachheit und gestalterischer Plastizität Vorbildcharakter. Obwohl Persius Italien nie zuvor gesehen hatte, beherrschte er den Landhausstil der Fabbrica, eines von Wirtschaftsgebäuden und Anbauten umgebenen Anwesens, und entwickelte ihn weiter: Die für ihn typische «allseitig ausgebildete Baugestalt» wurde vielfach nachgeahmt, was manche Strassenzüge Potsdams bis heute prägt und die «Potsdamer Turmvilla» zur bürgerlichen Spielart des königlichen Entwurfs eines preussischen Arkadien werden liess.

Der Rundgang durch das von Persius gebaute, erst teilweise sanierte Schloss Babelsberg mit seinen überraschenden Ausblicken auf das Gebäude selbst und auf die umliegende Landschaft zeugt vom unbedingten Willen zur Inszenierung, von der angestrebten Harmonie zwischen Architektur und Natur, die sich zum Gesamtkunstwerk fügen sollten. Am Ende bringt die Architektur selbst den Künstler zum Leuchten. Der Achteckturm, der mit einem pompös inszenierten, zweigeschossigen Tanzsaal das Herzstück des Schlosses bildet, stellt den Höhepunkt der Babelsberger Schau dar und illustriert den schweren Stand einer theoretischen Präsentation von Architektur im Anblick des originalen Bauwerks. Persius hat die Fertigstellung des Saales nach seinen Plänen nicht mehr erlebt; das Prunkstück wurde vom Schinkel-Schüler Johann Heinrich Strack vollendet.

Die Sehnsucht nach Italien, das Streben nach einer idealen Wirklichkeit liessen Persius keine Ruhe. Im Oktober 1844 erbat er sich von seinem König Urlaub. Es war seine erste Studienreise. Im Tagebuch notiert er des Königs Auftrag, Bauwerke von Genua bis Neapel zu besichtigen. Die «Reise-Ordres für Italien Seiner Majestät» muten im Nachhinein so fürsorglich wie makaber an: «Recht sauber leben, keinen italienischen Wein trinken.» Persius kehrte im Mai 1845 von seiner viermonatigen Reise zurück, erkrankte an Typhus und starb wenige Wochen später. Der König berief keinen Nachfolger mehr für den Potsdamer Hofarchitekten, der ihm von seiner Reise schrieb: «Ein hohes Meer bei heiterstem Sonnenschein, milde Frühlingslust im Frostmonat, eine solche Stadt und eine grossartige Scenerie der Gegend mussten einen so unerhörten Eindruck auf einen Potsdamer machen, dass Ew. Majestät gnädigst verzeihen wollen, wenn ich selbst hier auf diesem Blatte noch taumele.»


Bis 19. Oktober im Schloss Babelsberg in Potsdam. Begleitpublikation: Ludwig Persius. Architekt des Königs. Hrsg. Stiftung Preussische Schlösser und Gärten. Verlag Schnell & Steiner, Regensburg 2003. Abb., 275 S., 29 Euro. - Der Architekturführer «Ludwig Persius» (130 S.) kostet 12 Euro.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2003.09.26

20. September 2003Claudia Schwartz
Neue Zürcher Zeitung

Im Bauch des Architekten

Das Jüdische Museum in Berlin empfängt mit stürzenden Linien und kippenden Wänden. Auch nach wiederholtem Besuch nimmt die Architektur einen gefangen,...

Das Jüdische Museum in Berlin empfängt mit stürzenden Linien und kippenden Wänden. Auch nach wiederholtem Besuch nimmt die Architektur einen gefangen,...

Das Jüdische Museum in Berlin empfängt mit stürzenden Linien und kippenden Wänden. Auch nach wiederholtem Besuch nimmt die Architektur einen gefangen, noch bevor man die Ausstellungsräume betritt. Bald werden es eineinhalb Millionen Menschen sein, die seit der Eröffnung vor zwei Jahren die Institution besucht haben. Mindestens die Hälfte von ihnen kommt laut Direktor Michael Blumenthal wegen der Architektur von Daniel Libeskind. Grund genug, dem Hausarchitekten zum zweijährigen Bestehen des Museums eine in Zusammenarbeit mit der Londoner Barbican Gallery erarbeitete Ausstellung zu widmen. Wo der Markenname Libeskind als Vehikel dient, um den eigenen Erfolg zu befördern, kennt die Vermarktung keine Grenzen. Schon beim Eingang wirbt das im Museum beheimatete Restaurant mit einem «Libeskind Special», jüdischen und internationalen Spezialitäten inklusive «Space-Cocktail».

Spacig gibt sich auch die Sonderausstellung «Kontrapunkt: Die Architektur von Daniel Libeskind», die mit kreuz und quer durch die Räume gezogenen Leinwänden etwas angestrengt den Geist des Konstruktivismus atmet. Die Schau stellt weniger eine kritische Würdigung von Libeskinds Schaffen dar als vielmehr eine One- Man-Show entlang von vierzehn Projekten, unterlegt mit Zitaten des Meisters. Dabei gelingt eine assoziative Annäherung an den ausgebildeten Musiker und Architekten, der mit seinem multidisziplinären Ansatz neue Wege in der Architektur beschritten hat und die Fragen der Baukunst und Stadtplanung als gesellschaftlichen Diskurs versteht.

Anhand von Modellen, Plänen, Zeichnungen, Fotografien und Multimedia-Installationen wird der Werdegang eines Stararchitekten nachvollziehbar, dessen Bauten eine Ausdruckskraft besitzen, der man sich nur schwer entziehen kann: Libeskind, der zuerst als Theoretiker und Visionär Aufsehen erregte, baute seine ersten Modelle wie Kunstwerke, abstrahiert, skulpturhaft und für den Laien kaum lesbar. Die frühen grafischen Arbeiten, «Micromegas» und «Chamberworks» (1979/ 83), loten den Raum in zeichnerischer Mathematik und musikalischer Intuition aus. Der Entwurf scheint bei Libeskind seinen Weg über die Abstraktion ins Skulpturale zu finden.

Der 1946 in Polen geborene Libeskind ist auch in Israel und den USA aufgewachsen, wo er die amerikanische Staatsbürgerschaft angenommen hat. Von den vierzehn vorgestellten Projekten, die in den letzten zehn Jahren entstanden sind, sind vier realisiert: Das Felix-Nussbaum-Haus in Osnabrück (1998), das Berliner Jüdische Museum (1999), das Imperial War Museum North in Manchester (2001) und das Studio Barbara Weil in Mallorca (2003). Die Schau präsentiert die Modelle ohne Vitrine. Das ermöglicht eine ansprechende sinnliche Annäherung vor allem bei den noch in der Planungsphase befindlichen Projekten wie der transparenten Bremer Konzerthalle «Musicon» und beim spiralartigen Erweiterungsbau des Londoner Victoria and Albert Museum.

Libeskinds nicht realisierte Berliner Entwürfe für den Potsdamer Platz (1991) und den Alexanderplatz (1993) erscheinen im Rückblick als stimmungsvolle Reminiszenz an die hochfliegenden Metropolenpläne, die sich die wiedervereinigte Stadt nach der deutschen Wende erträumte. Der unlängst erfolgte Umzug des Architekten von Berlin nach New York erstaunt in diesem Zusammenhang nicht. Die Stadt an der Spree mit ihrer Liebe zu Traufhöhe und Blockrandbebauung musste dem Visionär irgendwann zu eng werden. Allerdings erscheint auch die innere Entwicklung von Libeskinds Schaffen auf den Schlusspunkt der Schau, auf das aktuelle Projekt für das World- Trade-Center-Gelände in New York, zuzusteuern. Im Laufe des Parcours wirkt das bedeutungsvolle Projekt wie eine logische Folge der vorangegangenen. Libeskind, für den der Bau des Jüdischen Museums Berlin den internationalen Durchbruch bedeutete, kann Wettbewerbe nicht zuletzt dann für sich entscheiden, wenn der Architektur eine hohe Symbolfunktion zukommt: sei es als Ikonen der Erinnerung wie beim Jüdischen Museum und bei den Plänen für Ground Zero oder als Zeichen der Mahnung beim Imperial War Museum North oder beim Umbau des Militärmuseums Dresden. Es sei der Fehler der Stadtplaner, zu denken, dass der Berliner Alexanderplatz in fünfzig Jahren vollkommen sein könnte, schreibt der Architekt. Hier mag ein Grund für seinen Erfolg liegen. Seine Bauten pflegen keine verträumte Vorstellung von der Vergangenheit. Sie halten die Spannungen der Gegenwart aus.


[ Bis 14. Dezember im Jüdischen Museum in Berlin. Eine erweiterte Version der Ausstellung wird vom 16. September 2004 bis zum 23. Dezember 2004 in der Barbican Gallery in London zu sehen sein. Die Begleitbroschüre kostet 1 Euro. ]

Neue Zürcher Zeitung, Sa., 2003.09.20

08. August 2003Claudia Schwartz
Neue Zürcher Zeitung

Berliner Bauamtsschimmel

Akademie der Künste beklagt Schäden am Rohbau ihres zukünftigen Hauses

Akademie der Künste beklagt Schäden am Rohbau ihres zukünftigen Hauses

Erst vor kurzem gab der neue Präsident der Akademie der Künste in Berlin, Adolf Muschg, seiner Hoffnung Ausdruck, dass sich beim Neubau der Institution am Pariser Platz doch noch alles zu einem glücklichen Ende füge und das Haus in vorgesehener Frist fertiggestellt werde (NZZ 12. 7. 03). Nun hat ihn schon der berühmt- berüchtigte hauptstädtische Schlendrian eingeholt. Nachdem die Bauarbeiten bereits seit Monaten aufgrund der typischen Berliner Mischung aus Finanznöten und Inkompetenz stagniert hatten, wurde nun im Tiefgeschoss ein «massiver Befall der Wände mit Schimmelpilz» entdeckt, wie es in einer Pressemitteilung der Akademie heisst. Diese sieht folglich den Sinn ihres Neubaus in Frage gestellt, da in den metertiefen Untergeschossen ihre wertvollen Archivbestände untergebracht werden sollten. Damit kommt ein Missstand ans Licht, der seinen Anfang nahm, als das Land Berlin einen Teil des Grundstücks am historischen Standort der Akademie am Pariser Platz dem benachbarten Hotel Adlon verkaufte und die Akademie zwang, die Archivräume in den Berliner Untergrund zu verlegen. Die Hiobsbotschaft kommt zu einer Zeit, da man sich in Berlin durch die angekündigte Übernahme der Institution durch den Bund per Anfang nächsten Jahres der Querelen enthoben glaubte. Eine Bauruine aber wird sich dieser kaum andrehen lassen.

Was derzeit an gegenseitigen Beschuldigungen von Baufirma und Berliner Bauverwaltung nach aussen dringt, verheisst nichts Gutes. Es erinnert an Fehlkalkulationen und Missmanagement beim Neubau von Peter Zumthor für die Gedenkstätte «Topographie des Terrors», einem neben Günter Behnischs Akademiegebäude weiteren architektonischen Renommierprojekt Berlins der Nachwendezeit, für das schon länger ein Baustopp gilt. Der gläserne Entwurf von Günter Behnisch am Pariser Platz hatte anfänglich mit heftigem Widerstand bei den zahlreichen offiziellen Vertretern des steinernen Berlin zu kämpfen, wie auch das ehrgeizige Projekt Zumthors für die Gedenkstätte am Ort der ehemaligen Zentrale der Gestapo so manchem ein Dorn im Auge ist. Die Berliner «taz» forderte deshalb den Rücktritt der Verantwortlichen in der Bauverwaltung, die dazu tendierten, ungeliebte Projekte zu verschleppen, oder besser gesagt: verschimmeln zu lassen.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2003.08.08



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Akademie der Künste

28. Juli 2003Claudia Schwartz
Neue Zürcher Zeitung

Modellstadt mit Inselgefühl und Uhrturmschatten

Die steirische Metropole Graz geniesst den Ruf einer Stadt der Architektur. Im Kulturhauptstadtjahr sind einige neue Projekte zu verzeichnen. Peter Cook und Colin Fournier, Florian Riegler und Roger Riewe oder Vito Acconci wagen - organische wie minimalistische - Brüche im Grazer Kontext. Dieser ist allgemein geprägt vom Dialog einer dekonstruktivistischen Moderne mit dem denkmalgeschützten Altbestand.

Die steirische Metropole Graz geniesst den Ruf einer Stadt der Architektur. Im Kulturhauptstadtjahr sind einige neue Projekte zu verzeichnen. Peter Cook und Colin Fournier, Florian Riegler und Roger Riewe oder Vito Acconci wagen - organische wie minimalistische - Brüche im Grazer Kontext. Dieser ist allgemein geprägt vom Dialog einer dekonstruktivistischen Moderne mit dem denkmalgeschützten Altbestand.

«Durch und durch eine unerträgliche Stadt, wunderschön», schreibt der Schriftsteller Franz Schuh über Graz. So viel Graz wie heuer war nie. In den Spätnachrichten des österreichischen Fernsehens meldet sich zur Halbzeit von Graz 03 der «überglückliche» Grazer Bürgermeister zu Wort, der das Kulturhauptstadtdasein unbedingt weiterempfehlen kann. Über fünftausend Presseartikel rund um die Welt, so hat man gezählt, berichteten in den letzten Monaten über die steirische Landeshauptstadt. Graz hat keinen Aufwand gescheut, um sich unter anderem mit neuer Architektur im Zentrum und mit künstlerischen Interventionen selbst an den Ankunftsorten wie Flughafen, Bahnhof und Autobahnen herauszuputzen. So viel Kulturhauptstadt war nie.
Hundert Prozent Stadt?

Graz sei «fast weltauffällig» geworden, bemerkte der Intendant Wolfgang Lorenz. Manchem ist das fast schon zu viel, wie sich im Grazer Haus der Architektur (HdA) zeigt, als bei einer Podiumsdiskussion zur Stadtentwicklung ein Besucher mit dem selbst beschrifteten T-Shirt «Graz 2004» akute Erschöpfung zur Halbzeit demonstriert. Da unterscheidet er sich nicht von den vielen anderen Grazern, denen es bei aller Liebe schon vor längerem zu hektisch wurde im Städtchen. Sie zogen ins Einfamilienhaus in die Grazer Umgebung, offiziell «GU» genannt. Wer erst einmal ein Auto mit GU-Schild fährt, setzt sich dem urbanen Gefühl nur noch bei Bedarf aus.

Graz war seit je eine Modellstadt. Jene mit einer glanzvollen Vergangenheit als Habsburger- Residenz, die Friedrich III. mit Stadtburg, Hofkirche und Dom zum Zentrum des Deutschen Reiches ausbaute. Den Prachtbauten des Barock und der Renaissance verdankt sich eines der grössten und berühmtesten intakten Altstadtensembles im deutschsprachigen Raum, dessen denkmalgeschützte verschachtelte Dächerlandschaft schon beim Anflug auf die Stadt ein Gefühl von idyllischem Nachhausekommen vermittelt. Es mag deshalb erstaunen, dass Graz nun ein «Musterbeispiel einer modernen europäischen Stadt» mit den sich daraus ergebenden Problemen sein soll, wie der Grazer Architekt Harald Saiko erklärt. Er hat gemeinsam mit dem Schweizer Ernst Hubeli und dem Berliner Kai Vöckler eine Ausstellung im HdA über die Identität der europäischen Stadt konzipiert. Die Schau «Grazland - 100% Stadt», Schwerpunkt der HdA-Programmreihe «Europe.cc - Changing Cities», illustriert das «mitteleuropäische Phänomen» der Suburbanisierung. Die anhaltende Zersiedelung macht die europäische Stadt mit ihren aus dem Mittelalter geerbten Strukturen zum Auslaufmodell und führt in der Folge zu einer Verstädterung der Agglomeration. Wobei Forschungsmethoden und Entwurfsstrategien, mit denen Stadtentwicklung analysiert und gestaltet werden können, der sich rasant verändernden Wirklichkeit hinterherhinken. Der in der Schau präsentierte Film «Grazland» zeigt ausserhalb des berühmten historischen Grazer Zentrums eine prototypisch disparat ins Umland wuchernde Stadtagglomeration. Wenn nun ausgerechnet das beschauliche Graz die typischen Merkmale auf Grund der Abwanderung zu beklagen hat, belegt dies höchstens, dass es sich nicht ausschliesslich um ein Problem der Metropolen handelt.

Die Veranstaltung im Haus der Architektur, die nicht Bestandteil des offiziellen Graz-03-Programms ist, passt gut ins aufgeregte Umfeld der Kulturhauptstadt, weil sie auf die Kehrseite der Medaille aufmerksam macht. Die europäische Stadt von heute muss in eigener Sache werben, dabei läuft sie Gefahr, zur Kulisse ihrer selbst und zum touristischen Vergnügungsviertel zu werden. Indirekt stellt sich hier die Frage, inwieweit Kulturhauptstadtprojekte geeignet sind, eine positive Veränderung des Stadtraumes zu bewirken. Gerade Graz prägt seit je ein Hang zur Selbstdarstellung. Was nicht zuletzt als ein Resultat des Daseins «hinter dem Semmering» im Allgemeinen und seiner Randlage während der Teilung Europas im Kalten Krieg im Besonderen erscheint. So bietet sich Graz wahlweise an als ruhiges Rentnerparadies «Pensionopolis» oder als lebendige Studentenstadt, als Stadt der Kultur oder der weiblichen Grazien. Die literarische und später architektonische Avantgarde mit ihrer Bewegung, sich von historischen Vorbildern und kultureller Tradition abzusetzen, rieb sich gern am traditionellen bis reaktionären Grazer Klima. Den Kulturkampf hat man sich in Graz im Image einer Stadt der Gegensätze anverwandelt und im Übrigen gelernt, mit Kritik umzugehen.

Dass Graz als Kulturhauptstadt eine besondere Auffälligkeit zeigt, verdankt sich auch dem besonderen Talent der Selbstinszenierung. Souverän hat man die Gratwanderung, die das Grossprojekt «Kulturhauptstadt Europas» zwischen Seriosität und Populismus bedeutet, gemeistert. Man hat auf Folklore verzichtet und den Schwerpunkt auf nachhaltige Projekte in der Architektur gelegt. Bemerkenswertes ist dabei herausgekommen, zum Beispiel eine Insel in der Mur und ein voraussichtlich im Herbst zu eröffnendes Kunsthaus.

Wie immer gibt es zwar die Schneekugeln mit dem Uhrturm en miniature zu kaufen. Aber selbst beim Souvenir geht in diesem Jahr nichts ohne den schwarzen Doppelgänger, den der Künstler Markus Wilfling dem Grazer Wahrzeichen auf dem Schlossberg zur Seite gestellt hat. Und man staunt darüber, dass die Grazer dem Vernehmen nach den erst mit Misstrauen beäugten Uhrturmschatten gerne für immer behalten würden. Dabei drängt sich beim schwarzen Spiegelbild des hoch über der Altstadt schwebenden Wahrzeichens durchaus die Assoziation an dunklere Zeiten auf, in denen die Stadt sich während des Nationalsozialismus als eine der ersten als «judenfrei» hervortat und dafür gerne den Titel einer «Stadt der Volkserhebung» trug.
Schatten der Vergangenheit

So ist vielleicht das wichtigste Projekt im Rahmen der Kulturhauptstadt eines, von dem man derzeit gar nicht spricht - vielleicht weil es schon vor drei Jahren verwirklicht wurde oder möglicherweise weil der Schatten, den es wirft, doch etwas den Kulturhauptstadtglanz beeinträchtigen könnte. Im Hinblick auf Graz 03 sahen manche politisch Verantwortlichen die Chance, dass Graz sich endlich auch den dunklen Seiten der eigenen Vergangenheit stelle, mit deren Aufarbeitung es sich bisher nicht gerade hervorgetan hatte. Auf gemeinsame Initiative des damaligen Bürgermeisters Alfred Stingl und des Kulturstadtrates Helmut Strobl beschloss der Gemeinderat 1998 einstimmig den Neubau der Grazer Synagoge an jenem Ort, an dem die alte am 9. November 1938 zerstört worden war.

Der neue Bau wurde der Israelitischen Kultusgemeinde am 9. November 2000 als ein offizielles Zeichen gegen das «Vergessen und Verdrängen» übergeben. Das Grazer Architektenpaar Jörg und Ingrid Mayr erarbeitete einen behutsamen Entwurf. Er nimmt die geometrische Ausrichtung auf, wie sie den historischen Bau (1892) des Wiener Architekten Maximilian Katschner in Würfel und Kugel prägte als eine Anlehnung an Sempers berühmte Dresdner Synagoge. Die alten Ziegel, die von den Nationalsozialisten im Garagenbau weiter verwendet worden waren, wurden von Grazer Schülern gereinigt und dienten der Vervollständigung des erhaltenen historischen Fundaments sowie dem ansatzweisen Wiederaufbau der alten Türme, die dem etwas kleineren Neubau vorangestellt sind. So scheint sich der neue Bau aus den Ruinen des alten zu erheben. Ohne die Verpflichtung zur Rückbesinnung, die der Status einer europäischen Kulturhauptstadt mit sich gebracht hat, hätte man wohl noch lange vergeblich auf ein Zeichen gewartet dafür, dass Graz Verantwortung übernimmt für die Ereignisse der Vergangenheit. Zu den seltsamen Begebenheiten einer Kulturhauptstadt mag es gehören, dass die Stadt der Israelitischen Kultusgemeinde zwar den Neubau schenkte, diese die nötigen Sicherheitsvorkehrungen - in Deutschland wäre dies undenkbar - aber grösstenteils selbst tragen muss.
«Friendly Alien»

Der Standort der Synagoge am rechten Mur- Ufer wird nun durch die neuen Projekte Kunsthaus und Mur-Insel belebt und gestärkt. Alle drei dienen städtebaulich der Aufwertung des Flussbereichs sowie des rechts vom Fluss gelegenen Stadtteils, der als ehemaliges Arbeiterviertel jenseits der berühmten historischen Vorzeige-Altstadt bis heute ein Schattendasein fristet. Das noch im Bau befindliche Ausstellungshaus der Architekten Peter Cook und Colin Fournier erscheint im Grazer Kontext als eine in mehrfacher Hinsicht bestechende Lösung. Einerseits wirkt es mit seiner blauen Acrylhülle zeichenhaft und behauptet sich im plastisch anmutenden historischen Stadtkörper. Andrerseits hat es in seiner Verspieltheit etwas Barockes und bekennt sich damit zur alten Substanz. Diese Absetzbewegung bei gleichzeitiger sanfter Einordnung ins Stadtgefüge setzt die Qualität jener etwas missverständlich als Grazer Schule bezeichneten Architekturszene fort, deren Anfänge in die sechziger Jahre zurückgehen. Das Kunsthaus erscheint als ein Fortschreiben der lokalen Architekturtradition mit anderen Mitteln. Es tauscht das dekonstruktivistische Vokabular, mit dem die Grazer Schule sich international etablierte, ein gegen eine organische Form, mit welcher es sich im städtischen Kreislauf verbindet.

Das Blasenartige des Entwurfs war allerdings keine stilistische Entscheidung der Architekten, sondern ist das Ergebnis der jahrelangen und schwierigen Entstehungsgeschichte des Grazer Kunsthauses, das ursprünglich in die Gewölbe des Schlossbergs implantiert werden sollte. Cook und Fournier haben ihren Entwurf für den ersten Wettbewerb - ein flexibles Gebilde, das aus dem Berg in die Stadt mäandert - an den neuen Standort jenseits der Mur transformiert. Wie ein Luftkissen hat es sich über den Fluss bewegt und landete sanft am neuen Ort beim Südtirolerplatz, wo es sich nun an das teilweise erhaltene Denkmal des Eisernen Hauses anschmiegt. Mit dem prägnanten Gusseisenskelettbau aus dem Jahr 1846 geht die neue Architektur eine physische wie funktionelle Verbindung ein. «Alien» nennen es die Architekten auf Grund der Entstehungsgeschichte, «Friendly Alien» korrigierten die Stadtverantwortlichen mit Nachdruck. Das wäre gar nicht nötig, denn das blaue Wesen korrespondiert von ganz alleine gut mit anderen herausragenden Architekturen der Stadt: zum Beispiel mit dem am anderen Ufer der Mur in Sichtweite gelegenen Grazer Kaufhaus Kastner und Öhler. Das gründerzeitliche Juwel, dem das Architektenpaar Szyszkowitz und Kowalski eine leichte und schwebende gläserne Moderne einhauchte, stellt ein Vorzeigestück einer erneuernden Architektur in historischem Umfeld dar.

In der Sichtachse zwischen Kunsthaus und Kaufhaus liegt der zweite aufsehenerregende Bau im Bereich der Mur-Vorstadt, die Mur-Insel des New Yorker Allroundkünstlers Vito Acconci. Wie ein Tragflügelboot schwimmt die filigrane Stahlrohrgitter-Konstruktion nördlich des Mur-Stegs im Wasser. Die als zeitlich begrenzte Installation gedachte Mur-Insel beherbergt ein Café, ein Amphitheater und einen Kinderspielplatz und hat sich zum Lieblingsobjekt entwickelt, für dessen Verbleiben die Grazer sich nun ausgesprochen haben. Derzeit wirft allerdings die Ankündigung des Bundes, als landesweiter Herr der Flüsse eine Wasserpacht von 10 000 Euro pro Jahr einzutreiben, hohe Wellen im Musterort, wo man düpiert darauf hinweist, dass der steirische Kulturhauptstadtglanz ganz Österreich erstrahlen lässt. Von der Mur-Insel aus betrachtet, wirkt die Stadt viel grösser und erhabener. So oder so ist aber das Wichtigste, dass es den Grazern selber gefällt. «Es kost' zwoa vüh, aber 's schaut guat aus», meinte ein junger Grazer nach der ersten Begehung auf die Frage, wie ihm denn das neue Kunsthaus gefalle.

Irgendwie scheint Graz, sonst eher als leicht verschlafene Provinzstadt mit südlichem Charme geliebt, im Kulturhauptstadtjahr ein bisschen über sich selbst hinausgewachsen zu sein. Eine Öffnung nicht nur gegenüber ausländischen Gestaltern wie Cook und Fournier und Acconci ist zu verzeichnen, auch nach innen ist Wagemut angesagt, wo einmal nicht die alte Garde der Grazer Architektur um Günther Domenig aufscheint. So konnte das Grazer Team Florian Riegler und Roger Riewe den Wettbewerb für das Literaturhaus für sich entscheiden. Der minimalistische Entwurf distanziert sich - wie auch das Kunsthaus und die Mur-Insel - vom Grazer dekonstruktivistisch Gewachsenen. Die Architekten haben das historische Palais an der Elisabethstrasse behutsam in den ursprünglichen Zustand zurückgeführt. Hofseitig wurde ihm ein L-förmiger, zweistöckiger Neubau aus Beton zur Seite gestellt, der sich in Habsburger Gelb satt durchgefärbt gibt. Es ist ein lauschiger urbaner Ort geworden, der Altes und Neues harmonisch in Dialog setzt und in seiner Klarheit der Literatur, die hier zu Wort kommen soll, den Vorrang einräumt.
Es geht um die Wurst

Fehlplanungen wie die Neukonzeption des Jakominiplatzes hat Graz an der Schwelle zum neuen Jahrtausend zu vermeiden gewusst. Dem zentralen Knotenpunkt des öffentlichen Verkehrs trieb man in den neunziger Jahren das kleinstädtische Nachkriegs-Ambiente gründlich aus mit einer Heerschar von signalgelb gestrichenen Lichtmasten, die dem Grazer Platz am Eingang zur Fussgängerzone den Flutlichtcharme eines DDR-Grenzpostens verleihen und den Ort so recht verschandeln.

Graz befindet sich immer im Zwiespalt, für eine Provinzstadt zu gross und für eine Metropole zu klein zu sein. So wurde es einem im Vorfeld des Kulturhauptstadtjahres bei der Ankündigung, den Hauptplatz vor dem Rathaus in eine repräsentative «italienische Piazza» verwandeln zu wollen, angst und bange um jene zusammengewürfelte originäre Grazer Mischung von Blumenverkäuferinnen, Strassenmusikanten und Wurstbuden mit Aussicht auf den Schlossberg. Der Würstlstand hat gottlob überlebt trotz Graz 03. Eleganter, normiert und gedrängter zwar präsentieren sich die kleinen Häuschen jetzt, so dass sie die umstehenden, bis in die Gotik zurückreichenden Häuserfassaden und den Blick zum Schlossberg nicht verstellen - vor allem abends, wenn alles nach Markus Pernthalers gelungener Gestaltung schön indirekt beleuchtet ist. Und wer diese Sorge um den Würstlstand am Hauptplatz nicht versteht, dem möchte man eine Geschichte aus der Kindheit entgegenhalten, bei der es um die Wurst geht. Aber da kommt einem prompt ein Bub mit seiner Oma dazwischen, der um die obligate Belohnung nach erschöpfender Einkaufstour bettelt.

Graz bleibt Graz. Ein Ort der Bewegung, auf seltsame Art unverändert. «Bleiben Sie dran, wir sind gleich für Sie da», verspricht die von nettem Vogelgezwitscher begleitete Stimme auf dem Anrufbeantworter des Restaurants «Landhauskeller» und stellt gleich noch das Schmankerl einer «Rindfleischsülze mit Kernöl» in Aussicht. In Gedanken hoffnungsfroh bei den kulinarischen Genüssen, merkt man erst nach einiger Zeit, dass man längst in der Endlosschlaufe hängt und sich auch keiner mehr melden wird. Denn sonntags ist Ruhetag, auch in einer Kulturhauptstadt.

[ Die Ausstellung «Grazland - 100% Stadt» im HdA dauert bis zum 19. Dezember. Begleitpublikation: 100% Stadt. Der Abschied vom Nichtstädtischen. Konzeption: Ernst Hubeli, Harald Saiko, Kai Vöckler. Verlag Haus der Architektur, Graz 2003. 256 S., Euro 19.90 (ISBN: 3-901174-51-6). - Curves and Spikes. Peter Cook und Colin Fournier und Klaus Kada. Kunsthaus und Stadthalle für Graz. Hrsg. Kristin Feireiss, Hans-Jürgen Commerell. Galerie Aedes, Berlin 2003. 60 S., Euro 10.-. ]

Neue Zürcher Zeitung, Mo., 2003.07.28

24. Mai 2003Claudia Schwartz
Neue Zürcher Zeitung

Am schnellsten war die Schnecke

Deutsches Historisches Museum eröffnet Schauhaus von Pei

Deutsches Historisches Museum eröffnet Schauhaus von Pei

In Berlin bot am Freitag die feierliche Eröffnung des neuen Ausstellungsgebäudes von Ieoh Ming Pei für das Deutsche Historische Museum (DHM) eine verhaltene Szenerie. Den Festreden lauschte man nicht im lichtdurchfluteten, erst danach zu besichtigenden Neubau, sondern im Eingangsbereich des in Sanierung befindlichen historischen Zeughauses. Hier wird voraussichtlich im Herbst 2004 mit der Dauerausstellung das Herzstück des Museums eröffnen.

Dass sich der Auftakt nicht zu einer dem Ereignis angemessenen Geste aufschwang, mag auch dem Start in Raten geschuldet sein. Aber die Diskrepanz zwischen der Abwesenheit von Bundeskanzler wie Bundespräsident und den Worten des DHM-Generaldirektors Hans Ottomeyer, der vom «entscheidenden Schritt für die Zukunft» des deutschen Nationalmuseums spricht, war kaum zu übersehen. Als Festredner für die Eröffnungsschau mit dem Titel «Idee Europa. Entwürfe zum ‹ewigen Frieden›» wäre auch Joschka Fischer mit Ambitionen auf den Posten des EU-Aussenministers denkbar gewesen. Schröder entsandte indes die Kulturstaatssekretärin und unterstrich damit den Eindruck, dass er das von seinem Vorgänger, dem Historiker Kohl, mit Enthusiasmus auf den Weg gebrachte Haus lieber aus einer gewissen politischen Distanz betrachtet.

Dabei liesse sich in schwierigen Zeiten schon Staat machen mit der am berühmten Boulevard Unter den Linden gelegenen, dem Regierungsviertel nahen Einrichtung, deren Geburtsstunde 1987 in eine Zeit fiel, als man noch gut und gerne Geld für Kultur ausgab. Die von Kohl im Schatten der Mauer konzipierte Westberliner Museumsidee, gedacht als Antipode zum offiziellen DDR-Geschichtsbild im Zeughaus, wurde von der deutschen Wende überholt. Mit der Erweiterung durch einen Neubau des an den Bund übergegangenen Zeughauses beauftragte der Kanzler in der Folge jenen Architekten, der schon Mitterrands Paris mit dem Ruhmesprojekt einer Glaspyramide für den Louvre verschönert hatte.

Das DHM etablierte sich als erste gesamtdeutsche Kultureinrichtung trotz politischem Widerstand, der sich aus der damaligen Abneigung gegen nationale Gesten erklärt. Die gegenwärtig von verantwortlicher Seite demonstrierte Ignoranz gegenüber dem - neben dem Jüdischen Museum in Berlin - wichtigsten Bundesmuseum erscheint im sechzehnten Jahr seines Bestehens hingegen etwas kleingeistig. Zumal die im Gründungsakt festgeschriebene Verpflichtung auf «Verständigung über die gemeinsame Geschichte von Deutschen und Europäern» aktueller ist denn je. Von der Dynamik der ersten Jahre nach der Wiedervereinigung unter der Leitung von Christoph Stölzl, als die Institution eine vernehmbare Stimme in der Aufarbeitung deutscher Geschichte war, ist kaum noch etwas zu spüren. Die für die Neukonzeption der Dauerausstellung wichtige Zwischenphase prägen Desorientierung und internes Hickhack, befördert durch eine einschneidende Kürzung der jährlichen Bundesmittel, die gegenwärtig 1,2 Millionen Euro betragen.

So erzählt Peis Gebäude vom Schwung der Gründerjahre nach der Wende. Das neue Ausstellungshaus war bereits im Vorfeld der Eröffnung einer der in letzter Zeit in Berlin am heftigsten gelobten Neubauten, weil es eine klassisch anmutende Moderne in die historische Mitte der Stadt bringt. Souverän belehrt der amerikanische Architekt chinesischer Abstammung all jene eines Besseren, die gerne behaupten, dass die Baukunst der Gegenwart nichts zuwege bringe. Peis Schauhaus zählt zwar nicht zu den grossen Innovationen des Architekten. Es erscheint vielmehr als unbeschwertes Alterswerk, das sich in verspielter Formensprache über die Hinterhoflage des zerschnittenen und eingezwängten Grundstücks hinwegsetzt und, den einen oder anderen Vorgänger zitierend, Peis Würfen in Washington und Paris Nachdruck verleiht.

Durch die gläserne, bogenförmige Fassade gen Süden wird das riesige Foyer von Licht durchflutet; den in strenger Klarheit eingesetzten Materialien Kalkstein, Granit und eingefärbter Beton verleiht dies eine haptische, sinnliche Ausstrahlung. Pei vermeidet jede Historisierung, erweist aber mit Ausblicken seinem architektonischen Ahnen Schinkel die Reverenz - und vor allem dem Zeughaus. Die Nordseite des DHM-Stammhauses mit den Plastiken von Schlüter darf, von Peis gläsernem Foyer aus betrachtet, einer Schaufassade gleich auftrumpfen. Allerdings hat Pei Schinkels Maxime, wonach ein Museum «erst erfreuen und dann belehren» soll, derart hochgehalten, dass seine effektvolle Inszenierung in Gestalt des zweckfreien Foyers rund die Hälfte der Gesamtfläche in Anspruch nimmt. Die Enge der vier Ausstellungsetagen, die 2500 Quadratmeter umfassen, dürften in Zukunft sowohl die Kuratoren der Wechselausstellungen wie die Besucher noch zu spüren bekommen.

Weniger Altersmilde hätte man sich bei Peis gläserner Treppenspindel gewünscht, die sich in einem ersten Entwurf geschlossener zeigte. Nun kragt - weniger nüchtern und auf den ersten Blick wohl gefälliger - eine Treppenwindung als fette Wulst aus dem Zylinder, weshalb der Berliner Volksmund in seiner liebenswürdigen Art die Glaswindung bereits zur «Schnecke» gemacht hat. Würde allerdings manch anderes bedächtig und ruhig wie sie seiner Vollendung entgegengleiten, wäre aus der deutschen Hauptstadt wieder so etwas wie Bewegung zu vermelden.

[ Das DHM präsentiert bis zum 22. September eine Pei-Werkschau. Publikation: I. M. Pei - Der Ausstellungsbau für das Deutsche Historische Museum, hrsg. von Ulrike Kretzschmar. Prestel-Verlag, München 2003. 96 S., Fr. 26.-. Eine Besprechung der Ausstellung «Idee Europa. Entwürfe zum ‹ewigen Frieden›» (25. Mai bis 25. August) folgt. ]

Neue Zürcher Zeitung, Sa., 2003.05.24



verknüpfte Bauwerke
Deutsches Historisches Museum - Ausstellungshalle

02. Mai 2003Claudia Schwartz
Neue Zürcher Zeitung

Bald kein Denkmal mehr

Abriss des Berliner Admiralspalastes?

Abriss des Berliner Admiralspalastes?

In Berlin, der verarmten Stadt, ist es keine Seltenheit, dass Gebäude, die man zuerst zum Denkmal erklärt, bei Aussicht auf kaufkräftige Investoren doch zur Disposition gestellt werden. Aktuelles Beispiel ist der Admiralspalast am Bahnhof Friedrichstrasse, in dem bis zum Sommer 1997 das Metropol-Theater seine Spielstätte hatte. Nun ist das Grundstück an zentraler Lage zum Verkauf ausgeschrieben, wobei Kaufgebote unter Berücksichtigung des Denkmalschutzes wie auch beim Wunsch nach einer Aufhebung des Denkmalschutzes willkommen sind. Im Klartext wird damit auch ein Abriss des in seinen neoklassizistischen Fassaden noch original erhaltenen Baus nicht ausgeschlossen. Vorläufig rechnet man allerdings damit, dass das Vorderhaus zur Friedrichstrasse, die Spielstätte des Kabaretts Distel, erhalten bleibt. Die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» wertet die Abrissklausel als Alarmzeichen einer fortschreitenden «heimlichen Entmachtung des Denkmalschutzes» in Zeiten des Spardiktats. Nicht wegzudiskutieren ist einerseits der jahrelange Leerstand der unbenutzten Spielstätte, deren prominente Lage offensichtlich die nötigen Sanierungskosten nicht mehr aufwiegen kann. Andrerseits kann man heute sagen, dass auch die Schliessung des Metropoltheaters nichts an der Misere der Berliner Bühnen änderte und der Verkauf des Grundstückes kaum mehr als ein Tropfen auf den heissen Stein der Berliner Finanzmisere sein wird. Der neoklassizistische, reliefverzierte Bau aus dem Jahr 1910 (Architekten: Heinrich Schweitzer, Wilhelm Cremer & Richard Wolffenstein), der eine im Zentrum Berlins selten gewordene Architekturepoche vertritt und einen Blickfang in der gläsernen Traufhöhen-Ödnis der Friedrichstrasse bietet, wird dann aber verloren sein. Böse Zungen erkennen darin schlicht den hauptstädtischen Lauf der Dinge: Was Berlin heute abreisst, so glauben sie, wird es in fünfzig Jahren kritisch rekonstruieren.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2003.05.02

16. Februar 2003Claudia Schwartz
Neue Zürcher Zeitung

Ein Sehnsuchtsort am Ufer der Havel

Am 15. Februar 1803 wurde in Potsdam Ludwig Persius geboren, der später als Architekt die dortige Schlösser- und Parklandschaft entscheidend mitgestaltete. Eines seiner reizvollsten Werke ist die Sacrower Heilandskirche, die zu den bedeutendsten Bauten der Schinkel-Schule zählt. Zu DDR-Zeiten stand sie unerreichbar im Todesstreifen.

Am 15. Februar 1803 wurde in Potsdam Ludwig Persius geboren, der später als Architekt die dortige Schlösser- und Parklandschaft entscheidend mitgestaltete. Eines seiner reizvollsten Werke ist die Sacrower Heilandskirche, die zu den bedeutendsten Bauten der Schinkel-Schule zählt. Zu DDR-Zeiten stand sie unerreichbar im Todesstreifen.

Eine kleine Kirche wünschte sich König Friedrich Wilhelm IV., «im italienischen Styl mit einem Campanile daneben»: Die Heilandskirche von Sacrow ist bis heute einer der schönsten Orte geblieben, die man sich vorstellen kann. Der «Architekt des Königs» und Schinkel-Nachfolger Ludwig Persius (1803-1845) schuf mit ihr ein Beispiel für jenen Zauber, mit dem Preussen seinen Traum von Arkadien in höchstem Einklang von Architektur und Landschaft verwirklichte.

Das Dorf Sacrow ist slawischen Ursprungs; die Gründer nannten es «sa crowje», zu Deutsch: hinter dem Gebüsch. Um 1775 zeigte sich für das «Ratzenloch» jener havelländische Landgeistliche zuständig, dem man in Fontanes «Wanderungen durch die Mark Brandenburg» begegnet. Ein abgelegenes Nest, wenn auch unweit von Potsdam, ist Sacrow noch heute, auf einer Landzunge im märkischen Kiefernwald, eingeklemmt zwischen Jungfernsee, Sacrower See und Havelbucht. Wäre da nicht Persius' Kirchlein ausserhalb des Dorfes, kämen hier wohl kaum Fremde vorbei.
Ein Kirchenschiff

Wilhelm IV. muss bei einem Streifzug durch den Königswald von der meditativen Schönheit des Ortes angetan gewesen sein. Vielleicht zog den «Romantiker auf dem Thron» aber auch das Wissen hierher, dass Friedrich Heinrich de la Motte Fouqué einst im Gut Sacrow aufwuchs. Als Kind dürfte er öfter an der Bucht inmitten dieser malerischen Schönheit der havelländischen Seenlandschaft gespielt haben. Mag sein, dass hier der Ursprung liegt für den auf Fernwirkung bedachten Blick des späteren romantischen Dichters. Jedenfalls kaufte der König gleich nach seiner Thronbesteigung das Gut Sacrow mitsamt seinem Park am Ufer der Oberhavel, in deren Bucht in alten Zeiten die Fischer vor dem Sturm Zuflucht gesucht haben sollen. «S. Ecclesiae sanctissimi Salvatoris in portu sacro» - die königliche «Kirche des heilbringenden Erlösers im heiligen Hafen» wurde im Volksmund zur Heilandskirche. Im historisierenden Rückgriff auf die frühchristlichen Sakralbauten mit ihren Rundbogenformen fand das politisch-religiöse Selbstverständnis von Wilhelm IV. seinen Ausdruck, der in der urchristlichen Liturgie die Lösung für Preussens kirchenpolitische Probleme zu finden glaubte.

Der Architekt liess das Kirchenschiff mehr schon ins Wasser, als dass er es am Ufer vertäute. Wer durch den Arkadenumgang wandelt, der blickt direkt in den See hinab. Der einsame Bau, der sich in der Havel spiegelt, hat nichts Eitles, eher wirkt er selbstbewusst, von zurückhaltender Fasson. In ihm findet sich die für Persius' Bauweise typische Spannung zwischen kubischer, fast moderner Reduktion und heiteren italianisierenden Anklängen. Ludwig Persius war, so sagt man, Schinkels begabtester Schüler. Noch Student der Berliner Bauakademie, kam er als «Bauconducteur» bei den Kronprinzenschlössern Glienicke und Charlottenhof mit dem strengen Klassizismus in Berührung, bei der Hofgärtnervilla und den römischen Bädern in Sanssouci befiel auch ihn die Sehnsucht nach Italien.

Fast versteckt liegt die Heilandskirche heute in einem von Lenné gestalteten Park. Zuerst taucht beim Gang über die verschlungenen Uferwege der Campanile auf, dann die Kirche selbst. Bei Sonnenschein nimmt die farbige Fassade im horizontalen Wechsel von gelblich-rosa und blau leuchtenden, glasierten Ziegeln das Flimmern des Lichtes über dem Wasser auf. Die Arkaden verleihen dem einfachen Baukörper mit flachem Satteldach Leichtigkeit und illustrieren, wie Schinkels Schüler eine eigene Handschrift ausbildete. Er nahm dem preussischen Klassizismus Schinkels etwas von seinem Gewicht, indem er die Monumentalität in bewegter Heiterkeit aufgehen liess.

Das Kirchlein, das nicht allzu viel kosten sollte, besteht aus einem einfachen Saal mit halbrunder Apsis. Nicht einmal die «Verglasung der Rose mit buntem Glase» erlaubte der König, der bei seinen Besuchen während der Bauzeit (1841-44) immer wieder Änderungswünsche hatte, sich aber im Übrigen über die Arbeit seines Baumeisters «hocherfreut» zeigte, wie Persius einmal in sein Tagebuch notiert. Die Decke, ein blauer Stoffhimmel mit goldenen Sternen, war ebenfalls der preussischen Sparsamkeit geschuldet und ihre Rekonstruktion nach der Wende viel teurer, als es die einer Holzkassettendecke gewesen wäre, wie der Aufseher von der Kirchgemeinde schmunzelnd erklärt. Die Heilandskirche bildete eigentlich das Modell für Persius' Friedenskirche in Sanssouci (1845-48), die als dreischiffiger klosterähnlicher Komplex auftrumpfte und die glanzvollen Jahre der Heilandskirche beendete. Der König und die prinzlichen Herrschaften, auf Sommerfrische in Sanssouci, mussten fürs Gebet nun nicht mehr den Weg nach Sacrow antreten.
Der Blick von ferne

Einmal wurde die Sehnsucht des romantischen Ideals, die sich in dem verwunschenen Ort spiegelt, von der Wirklichkeit eingeholt. Zur Zeit der Berliner Mauer stand die Heilandskirche unerreichbar inmitten des Todesstreifens, auf der Landseite von Mauern umschlossen, zur Wasserseite direkt hinter der schwer bewachten Demarkationslinie. Für die Menschen im Westen wie im Osten, die in Sichtnähe lebten, wurde sie zu einem eigentümlichen Sehnsuchtsort. Die DDR überliess die Kirche dem feuchten Moder. Nur heftiger Bürgerprotest und eine Spendenaktion aus Westberlin rettete sie vor dem Zerfall. Mit dem Ende der DDR wurde die Heilandskirche aus ihrer drei Jahrzehnte dauernden Isolation erlöst. Heute strahlt sie wieder von weitem und lockt einer Wassernixe gleich, die gerade dem See entsteigt. Aus solcher Distanz erscheint der durch die Arkaden abgestufte Bau als Trugbild einer dreischiffigen Basilika.

Der königliche Gartenarchitekt Peter Joseph Lenné mahnte einst, die Sichtachsen nicht aus dem Blick zu verlieren. So sieht man vom Standort der Heilandskirche in Richtung Glienicker Brücke zwei weitere wichtige Bauten von Persius. Vom Schlosspark Glienicke lugt zwischen den Bäumen das Dampfmaschinenhaus (1836-38) herüber, das mit dem mächtigen Wasserreservoirturm die dortige Uferlandschaft prägt als Gegenstück zu Schinkels Grosser Neugierde. Es gehört neben dem Belvedere auf dem Pfingstberg (1847 bis 1852), dem Babelsberger Dampfmaschinenhaus (1844/45) und jenem berühmten von Sanssouci in Gestalt einer Moschee (1841/42) zu den wichtigsten Werken des Potsdamer Baukünstlers, der die Architektur seiner Geburtsstadt nicht zuletzt mit seinen italienischen Turmvillen prägte. Auch das von Schinkel im Stil trutziger Burgen begonnene Babelsberger Schloss, das von Sacrow aus zu sehen ist, führte Persius im Wesentlichen zu Ende. Hier wird die Stiftung Preussischer Schlösser und Gärten das Werk von Ludwig Persius, dessen Geburtstag sich heute zum 200. Mal jährt, demnächst in einer umfassenden Ausstellung präsentieren. Die Heilandskirche von Sacrow aber ist mit nichts zu vergleichen.

Neue Zürcher Zeitung, So., 2003.02.16

27. Januar 2003Claudia Schwartz
Neue Zürcher Zeitung

Quartier français

Portzamparcs Botschaft in Berlin eröffnet

Portzamparcs Botschaft in Berlin eröffnet

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verknüpfte Bauwerke
Französische Botschaft

12. Dezember 2002Claudia Schwartz
Neue Zürcher Zeitung

Die spanische Linie

Die Architekten Cruz y Ortiz in Berlin

Die Architekten Cruz y Ortiz in Berlin

Die schwingenden Bögen über den Gleisen des Bahnhofes Santa Justa in Sevilla (1988-91) bilden sanfte Leitsysteme von Ankunft und Abfahrt. Die in der umliegenden Landschaft weitherum sichtbare Tribüne des Madrider Sportstadions (1989 bis 94) signalisiert als steil abgeschrägtes Dach Öffnung nach aussen und nimmt Bewegung im Inneren auf. Beide Gebäude sind Markenzeichen des Architektenduos Antonio Cruz und Antonio Ortiz aus Sevilla. Die Werke der Spanier sprechen von der Kunst, die zukünftige Funktion eines Gebäudes in die Dynamik der Form zu transformieren. Im Aedes East Forum in den Berliner Hacke'schen Höfen lässt sich dies anhand einer Ausstellung zu Cruz y Ortiz unter dem Titel «Synthese der Architektur» nachvollziehen: Über das vielbeachtete Frühwerk eines Wohnblocks mit nierenförmigem Innenhof in der Altstadt von Sevilla (1974-76) hinaus werden eine Reihe aktueller Bauten und Projekte der vergangenen zehn Jahre präsentiert, so u. a. das Besucherzentrum des Nationalparks Doñana (1999-2002), das durch seine an die Haupthalle angebundenen kleineren Gebäude Ausläufer bildet und in der Dünenlandschaft Wurzeln zu schlagen scheint. Ebenfalls vorgestellt wird das im Bau befindliche Projekt für den Basler Hauptbahnhof (zusammen mit dem Luganeser Architektenteam Sandra Giraudi und Felix Wettstein). Mit einem Übergang zur Erschliessung der Bahngleise wird dem Komplex für die Zukunft eine expressive urbane Rolle zugesprochen. Der synthetische Charakter von Architektur, die Übereinstimmung von Form, Konstruktion und Nutzung zieht sich als Leitmotiv durch das Werk von Cruz y Ortiz. Selbst in der Berliner Schau haben die Architekten ihre Linie verfolgt und ihre Überzeugung ins Bild umgesetzt. Die Inszenierung propagiert eine sinnliche Logik des Ganzen, wo in Tische eingelassene Zeichnungen und Photographien mit den darauf präsentierten Modellen räumliche Spannung erzeugen.


[Ausstellung bis 12. Januar 2003. Katalog Euro 10.-.]

Neue Zürcher Zeitung, Do., 2002.12.12

22. November 2002Claudia Schwartz
Neue Zürcher Zeitung

Bauhaus ist nicht gleich Bauhaus

Eine Berliner Ausstellung beleuchtet eine Legende

Eine Berliner Ausstellung beleuchtet eine Legende

Anne-Marie Wimmer, Studentin in der Ausbauwerkstatt am Bauhaus Dessau, kehrte nach einem mehrwöchigen Aufenthalt bei einem Lübecker Hersteller desillusioniert wieder an die Schule zurück. In ihrem Bericht gab sie zu Protokoll, dass es für das Bauhaus besser wäre, «Musterbeispiele in die Welt zu setzen», als sich «so krampfhaft» um die Erfindung von gangbaren Massenartikeln zu bemühen. Allzu entfernt erschien Wimmer der Entwurfsvorgang in der freien Wirtschaft vom schöpferischen Ideal. Nach 1930, als die Werkstätten schon geschlossen worden waren und der Unterricht vorwiegend auf Papier stattfand, war solch kritische Selbstreflexion am Bauhaus nicht selten. Wimmers Aussage belegt die Diskrepanz zwischen individuellem künstlerischem Anspruch und dem Programm am Bauhaus, das den auf die Industrie ausgerichteten Designer auszubilden gedachte.

Die Ausstellung «Bauhaus-Möbel: Eine Legende wird besichtigt» im Berliner Bauhaus-Archiv beleuchtet aufschlussreich dieses Spannungsfeld zwischen individueller Kunst und industrieller Vermarktung, zwischen ästhetischer Vorstellung und sozialem Anspruch. Es bot auch Bauhaus- intern immer wieder Raum für Auseinandersetzungen. Der Blick darauf wird heute von dem missverständlichen Stilbegriff des «Bauhauses» verstellt, der Einheitlichkeit suggeriert, wo eigentlich Vielfalt herrschte. Das Bauhaus war eine Ausbildungsstätte, die im Lehrbetrieb Produkte mit Experimentiercharakter hervorbrachte und nicht fertige Entwürfe. So gesehen erweist sich die längst allgemein gültige Bezeichnung der «Bauhaus-Möbel» zwar als gut zu vermarktendes Label, hat aber mit den tatsächlich am Bauhaus entstandenen Objekten oftmals nichts zu tun.
Stilbegriff

Gerade jene berühmten «Klassiker der Moderne», mit denen man heute das Bauhaus am prominentesten vertreten glaubt, sind ausserhalb des Schulbetriebs als persönliches Werk entstanden. Die sogenannte Breuer-Krise illustriert, wie diffus die Entwicklung am Bauhaus selbst zwischen künstlerischer Entfaltung, Vermarktung und populärer Aneignung verlief. Der Tischlereimeister Marcel Breuer verweigerte dem damaligen Bauhaus-Leiter Walter Gropius das Recht, seine Möbel am Bauhaus herzustellen und zu vertreiben. Trotzdem wurden die Stahlrohrmöbel von Breuer, dem die Berliner Ausstellung aus Anlass seines 100. Geburtstags gewidmet ist, zum Inbegriff dessen, was man gemeinhin unter «Bauhaus» versteht.

Die Entgrenzung des Begriffs begann, wie der Kurator Christian Wolsdorff im Katalog darlegt, um 1928: Mit dem aufkommenden Begriff eines «Bauhaus-Stils» begann die Abkoppelung der Bezeichnung von der Institution. Das zweite prominente Beispiel, wie privater Auftrag und Schule vermengt wurden, stellt neben Breuer der letzte Bauhaus-Direktor, Ludwig Mies van der Rohe, dar. Seine modernen Bauten und Projekte wurden als Bauhaus-Werke deklariert, obwohl sie davor und teilweise als Gegenbewegung zum Bauhaus entstanden. Den effektvollen Auftakt der Schau macht denn auch unter anderem seine Stahlbandsessel-Variante, die er 1929 schon vor seinem Direktorat in Dessau als Vorläufer des Barcelona- Chair entworfen hatte.

Die Ausstellungsmacher argumentieren klug, indem sie die ausgestellten Objekte - darunter einige komplette Wohnensembles - auf die Handschrift ihrer Entwerfer zurückzuführen versuchen. Skizzen, Photographien und Plakate dokumentieren zudem die heterogenen Positionen von damals. Deren einziger gemeinsamer Nenner wäre am ehesten in der asketischen Moderne, in der Abkehr vom Dekorativen zu finden. Die Schau erschliesst die Entwicklung und das weitere Umfeld des Bauhauses von den Standorten Weimar und Dessau und vom allgemeineren Blickwinkel «Bauhaus extern». Dabei trifft man vor allem in der Auftragsproduktion auf Erscheinungsbilder, die man kaum für Produkte des Bauhauses halten würde, weil sie in ihrer behäbigen und etwas provinziellen Art der mit dem «Bauhaus-Stil» verbundenen Klarheit, Funktionalität und Eleganz entgegenlaufen.
Wohngeschmack

Die Ausstellung zeichnet nach, wie der bürgerliche Wohngeschmack der Auftraggeber vor allem in den Anfängen der Schule nicht mit deren Willen zur Avantgarde Schritt hielt. Auf der einen Seite steht der künstlerische Anspruch, wie er sich beispielsweise in Gestalt von Breuers «Lattenstuhl» (1924) äussert. Auf der anderen Seite finden sich die bei der Tischlerei von privater Seite bestellten Einrichtungen, die auf praktischen Nutzen ausgerichtet sind und ein zurückhaltendes Erscheinungsbild «bis hin zur Hässlichkeit» aufweisen, wie in der Ausstellung ironisch bemerkt wird. So zeigt etwa Walter Determanns Wohnküchenentwurf (1919) eine rustikale, blumenverzierte Bauernstube. Die 200 Exponate vom Bett über den fast zeitgenössisch mobil wirkenden «Junggesellenschrank» von Josef Pohl (1929) bis hin zum Blumenständer stammen grösstenteils aus der Sammlung des Bauhaus-Archivs und illustrieren die Heterogenität, die sich abhängig von der Entwerferpersönlichkeit entwickelte und in der frühen Weimarer Phase Einflüsse von Expressionismus, De Stijl und Art déco zeigt. Vor allem unter dem Direktor Hannes Meyer bezog man am Bauhaus mit der «Analyse gesellschaftlicher Faktoren» zunehmend Aspekte der Technisierung und Politisierung mit ein.

Selten gestaltete sich die Liaison von Künstlerhandschrift und Auftraggeberpersönlichkeit so harmonisch wie bei Marcel Breuers Ess- und Schlafzimmer für Nina und Wassili Kandinsky, das mit seiner Form- und Farbgebung die Lehre des Malers umzusetzen suchte (1926). Oft merkt man den Objekten die Anstrengung an, dem (spiess)bürgerlichen Wohngeschmack Rechnung zu tragen, wie bei Lily Reichs auf Gemütlichkeit getrimmtem Stahlrohr-Polstersessel (1936). Jede Epoche generierte nicht nur einen architektonischen Stil, sondern richtete sich auf ihre Art wohnlich ein. Die vorbildliche Berliner Schau macht entlang der 14-jährigen Geschichte der Möbelwerkstatt auch die Veränderung des Publikumsgeschmacks deutlich, dem sich das Bauhaus nicht entziehen konnte. So konnte der Anspruch, im reinen Geiste der eigenen Lehre zu produzieren, nicht aufrechterhalten werden. Damit setzte der unaufhaltsame Niedergang der Schule ein. Diese musste unter dem politischen Druck des NS-Regimes 1933 endgültig geschlossen werden. Interessant erscheint, dass sich der einzelne Künstler, wie die Beispiele Mies van der Rohe und Breuer belegen, von der Schule lösen musste, um jene charakteristische Handschrift herauszubilden, welche die grossen Würfe hervorbrachte. Oder mit den Worten Christian Morgensterns: «Wenn ich sitze, will ich nicht sitzen, wie mein Sitz-Fleisch möchte, sondern wie mein Sitz-Geist sich, sässe er, den Stuhl sich flöchte.»

Claudia Schwartz

[ Ausstellung bis 10. März. Katalog: Bauhaus-Möbel. Eine Legende wird besichtigt. Hrsg. Bauhaus-Archiv Berlin, Berlin 2002. 440 Abb., 336 S., Euro 14.95 (Euro 9.50 in der Ausstellung ]

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2002.11.22

05. Oktober 2002Claudia Schwartz
Neue Zürcher Zeitung

Öffnen Sie das Tor!

Für die Deutschen ist es ein Nationalsymbol, für die Berliner das schönste Streitobjekt. Das Brandenburger Tor, dessen Hüllen nach zweijähriger Sanierung...

Für die Deutschen ist es ein Nationalsymbol, für die Berliner das schönste Streitobjekt. Das Brandenburger Tor, dessen Hüllen nach zweijähriger Sanierung...

Für die Deutschen ist es ein Nationalsymbol, für die Berliner das schönste Streitobjekt. Das Brandenburger Tor, dessen Hüllen nach zweijähriger Sanierung am Tag der deutschen Einheit gefallen sind, bietet seit der Wende Stoff zu Diskussionen. Damals entschied man sich bei der Restaurierung der Quadriga für den Originalzustand vor dem Krieg und brachte das Eiserne Kreuz, das die DDR hatte entfernen lassen, wieder in Viktorias Siegeskranz an, begleitet von einer heftigen Debatte, ob ausgerechnet ein Symbol deutschen Militarismus hoch auf dem Wahrzeichen Berlins prangen dürfe.

Auch die Sanierung ging nicht ohne Gezeter vonstatten. Die Geschichte des Denkmals, seit Carl Gotthard Langhans den Bau 1791 fertigstellte, bot vier Varianten. Man entschied sich für die pure «Steinsichtigkeit». Dass man nicht mehr Fragen des nationalen Selbstverständnisses erörterte, sondern die Gestalt des Tores zur Geschmacksfrage wurde, die Passanten durch Münzeinwurf entschieden, mag man als Zeichen der Abkehr vom deutschen Sonderweg lesen. Welche Hauptstadt auf der Welt würde die Farbgebung ihres Wahrzeichens Touristen überlassen?

Dabei böte das Brandenburger Tor einigen Anlass zum Nachdenken über den deutschen Patriotismus. Wie kein anderes Bauwerk ist das Tor Nationalsymbol, doch haben daran andere Nationen nicht geringeren Anteil als die Deutschen selbst. Der Architekt Langhans erdachte sein Bauwerk als Öffnung des «alten Zopfstils» hin zur griechischen Klassik. Napoleon entführte die Quadriga nach Paris, wo sie acht Jahre als Sinnbild nationaler Schmach dienen musste. Erst dies befeuerte den Nationalstolz so, dass Preussen nach der Revanche die zurückgeholte Viktoria mit Eisernem Kreuz, Eichenlaub und gekröntem Adler dekorierte. Und erst die von der Sowjetunion verfügte Abschnürung der Osthälfte Berlins machte das Tor zum Symbol der deutschen Teilung, später zu jenem der deutschen Einheit.

Der sowjetische Satellitenstaat DDR liess die Ruinen der Gebäude abtragen, die das Tor eingerahmt hatten. Es entstand eine Ödnis an der Sektorengrenze zu Westberlin; nach dem Mauerbau konnten nur ostdeutsche Grenzsoldaten zu dem einsam im Sperrgebiet stehenden Tor gelangen. Es wurde zur Projektionsfläche für die Sehnsucht nach Einheit. Vom Westen aus rief Reagan Gorbatschew zu: «Öffnen Sie das Tor, reissen Sie die Mauer nieder.» Die Mauer ist gefallen, die Baulücken sind in pseudohistorischer Rekonstruktion fast geschlossen. Es bleiben die Erinnerung und der Berliner liebster Streit ums Brandenburger Tor. Vor kurzem entschied sich der Senat zu seiner Schliessung für den Autoverkehr, doch es fehlt nicht an Stimmen, die einmal mehr fordern: «Öffnen Sie das Tor.»

Neue Zürcher Zeitung, Sa., 2002.10.05

17. September 2002Claudia Schwartz
Neue Zürcher Zeitung

Schöngerechnet

Das Berliner Schlossprojekt schrumpft

Das Berliner Schlossprojekt schrumpft

Wo man erst mit Museen, Bibliothek und einem Veranstaltungszentrum so viel wie möglich hineinpackte, wird schon wieder ausgelagert: Das Nutzungskonzept für das zur Rekonstruktion empfohlene Berliner Schloss steht wieder zur Disposition. Die Experten haben sich nach neuesten Ergebnissen um 40 000 Quadratmeter vertan, als sie ein Nutzungsvolumen von 100 000 Quadratmetern errechneten. Grund für den Lapsus soll eine zu niedrig bemessene Raumhöhe sein. Man überlegt nun, die Berliner Zentral- und Landesbibliothek, neben den Staatlichen Museen zu Berlin und den Sammlungen der Humboldt-Universität einer der drei potenziellen Nutzer, wieder auszuladen oder nur ausgewählte Bibliotheksbestände zu integrieren. Beim neubarocken Traumschloss bahnt sich hiermit schon in der frühesten Planungsphase eine der typischen Berliner Kompromisslösungen an. Das Schlossprojekt steht nicht zuletzt in der Kritik, weil es lange Zeit an Vorstellungen über eine sinnvolle Nutzung fehlte, die der schönen Hülle einen Inhalt gegeben hätten. Die nachgereichte, nicht sehr überzeugende Mischnutzung beginnt schon wieder zu bröckeln. Die Tatsache, dass sich eine Kommission von Experten bei der Angabe von Nutzungsflächen um fast das Doppelte verkalkulierte, ist ein Skandal, wenn man bedenkt, dass der Expertenbericht immerhin als Grundlage für die Abstimmung im Bundestag diente (NZZ 5. 7. 02). Die Kommissionsempfehlung für den Wiederaufbau fiel mit einem Mehr von nur einer Stimme ohnehin äusserst knapp aus. Man kommt in Anbetracht der neuesten Entwicklungen nicht umhin, den Expertenbericht als Schönrechnung zu deuten.

Neue Zürcher Zeitung, Di., 2002.09.17

27. Juli 2002Claudia Schwartz
Neue Zürcher Zeitung

Raumschiff Architektur über Berlin

Der 21. UIA-Weltkongress sucht eine Baukultur der Zukunft

Der 21. UIA-Weltkongress sucht eine Baukultur der Zukunft

Zum Auftakt betonte der Kongresspräsident Andreas Gottlieb Hempel die Fähigkeit der Architektur, «seelische Empfindungen» zu nähren, und der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder mahnte die Architekten, sich anzustrengen, damit die Menschen ein besseres Leben hätten. So manchem der gegen 6000 Kongressteilnehmer - Architekten, Ingenieure, Soziologen, Historiker und Publizisten - dürfte dieser heilige Ernst im Laufe der Woche noch in den Ohren geklungen haben, während er sich im klimatisierten Internationalen Congress Centrum (ICC) in Berlin wiederholt und trotz Rollkragenpullover fröstelnd in den Gängen verirrte.


Regionale Bausteine

Man hätte sich kaum einen skurrileren Ort für das Nachdenken über die Städte von morgen und das Leben in ihnen vorstellen können als das ICC. Der aluminiumbewehrte Koloss aus den siebziger Jahren steht wie ein Relikt der einstigen technoiden Utopien am Rande der westlichen City. Das urbane Leben findet anderswo statt. Manche Asiaten filmten die obligaten Erinnerungsbilder denn auch einfach im Foyer von den Plakatwänden ab, die Berlins neue Architektur mit Hochglanz zur Geltung brachten. Freilich passte der bunkerartige Bau in seiner anachronistischen Zukunftseuphorie durchaus zum Thema des Weltkongresses, der noch vor drei Jahren in Peking «Die Architektur des 21. Jahrhunderts» ausgerufen hatte. Der gemeinsam von der Union Internationale des Architectes (UIA) und dem Bund Deutscher Architekten (BDA) veranstaltete Kongress unter dem Thema «Ressource Architektur» wurde schon im Vorfeld durch schwindende Ressourcen beim BDA und Pleite-Gerüchte belastet und war geprägt von einem wohl nur teilweise dem finanziellen Desaster geschuldeten organisatorischen Dilettantismus.

Das diesjährige Konferenz-Motto legte der versammelten Zunft nahe, sich jenseits der ästhetischen Aufgabe vermehrt auf soziale und ökologische Verantwortung zu verständigen. Damit hatte man sich ohnehin schon Meilen entfernt von den ideologischen, nur um sich selbst kreisenden Berliner Architekturdebatten. Kam hinzu, dass sich umgekehrt hauptstädtische Institutionen wie die Staatlichen Museen ungerührt zeigten von der Anwesenheit Tausender Architekturinteressierter und die Tore des Alten Museums, wo die Schau mit Architektenzeichnungen aus zwei Jahrhunderten den Höhepunkt des Rahmenprogramms bildete, pünktlich um sechs Uhr schlossen. Es waren die kleinen Galerien, die in Anlehnung an Sigfried Giedions Buch «Raum, Zeit, Architektur» dem kopflastigen Architekturmarathon nächtens mit den Mitteln der Kunst urbanes Leben einhauchten.


Weltmassstab

Der Weltkongress, der am Freitag zu Ende ging, nahm die Leitgedanken früherer Konferenzen auf und teilte das Stadtthema mit der Weltkonferenz «Urban 21» vor zwei Jahren. Nicht neu sind die Fakten globaler Umweltprobleme und sozialer Ungleichverteilung. Baukultur, so die Veranstalter, hiesse demzufolge auch, dass die Baugestalter ihre ethischen Grundsätze im Hinblick auf die inneren Widersprüche der globalen Gesellschaft befragen. Ein wissenschaftliches Komitee, dem unter anderem Thomas Herzog, Matthias Sauerbruch, Jörg Schlaich und Donata Valentien angehören, veröffentlichte im Vorfeld ein Grundsatzpapier. Es will die Architekten in die Pflicht kultureller Werte nehmen, die über den ökonomischen und ästhetischen Selbstzweck hinausweisen. Was sich in der Forderung des Präsidenten der Uno-Umweltorganisation UNEP, Klaus Töpfer, nach einer «neuen globalen Friedenspolitik gegenüber der Menschheit, der Umwelt und den Kulturen» noch etwas theoretisch anliess, wurde eindringlich untermauert von Tai Kheng Soon (Singapur), der die Architekten in seinem Vortrag dazu aufrief, sich als Teil einer modernen, humanen, lebensgerechten - und damit: politischen - Kultur zu verstehen.

Durch die Referate und Diskussionen der sehr allgemein gehaltenen Veranstaltungsblöcke «Stadt und Gesellschaft», «Natur und gebaute Umwelt», «Innovation und Tradition», «Raum und Identität» zogen sich wie ein Leitfaden die Begriffe Wachstum, Überbevölkerung, Risiken der Weltzivilisation, Umwelt, Bürgerinitiativen, intelligente Systeme, Sozialverträglichkeit. Man hüpfte in fünf Tagen um die Welt - von der Wasserwirtschaft in den argentinischen Pampas über die Transformation des öffentlichen Raumes in den «Blauen Städten» Ostsibiriens hin zum Berliner «Kompetenzzentrum Plattenbau».

Der Münchner Architekt Thomas Herzog belegte am Beispiel des Florentiner Palazzo Pitti, dass bei der Entwicklung selbstregulierender Systeme die Hochtechnologie von morgen auf die Ressourcen der Ahnen zurückgreifen kann. Der Stuttgarter Ingenieur Jörg Schlaich betonte die Ressource «Arbeitsbeschaffung» für Schwellenländer. Bei seiner Ausführung, wie die weltweite Energiefrage mit Windkraftwerken in der Wüste zu lösen sei - «Stellen Sie sich vor, Sie verschwenden stündlich so viel Energie, wie Sie nur können, und die Betreiber in den armen Ländern profitieren auch noch davon» -, wurde es einem denn doch wind und weh.


Globale Unterschiede

Ein in den vergangenen Jahren noch nicht derart ausgeprägter Trend zur Verortung machte sich bemerkbar: Globales Denken kann nur in regionalem Handeln Wirkung zeitigen, da die Probleme diametral verschieden sind. So leidet die 16-Millionen-Menschen-Stadt Schanghai unter Landflucht und Überbevölkerung. Sie gehört zu den fünf Mega-Citys und wird laut Vereinten Nationen im Jahr 2015 schätzungsweise 23 Millionen Einwohner zählen. Währenddessen beklagt man zum Beispiel in deutschen Städten - insbesondere im Osten - einen Bevölkerungsrückgang und zunehmenden Leerstand.

Das Wissen um das globalisierte ökologische Zusammenwirken kann dabei als Grundlage dienen, ortsbezogene Konzepte so zu variieren, dass sie allgemeinen Nutzen besitzen. Gleichzeitig befördern diese die Identität der Architekturen, wo der internationale Stil in gleichförmiges Design mündet. Die Ressourcen der Architektur können jene der Natur nicht ersetzen. Aber es ist ein grosses Potential vorhanden, diese umsichtiger und schonungsvoller zu nutzen. Der grosse Andrang von Teilnehmern aus dem Osten und aus Schwellenländern belegte die Dringlichkeit des Themas für jene Regionen. Irgendjemand warf dann die späte Frage auf, warum sich denn kaum Stararchitekten an der Diskussion um eine Baukultur für die Zukunft beteiligten. Peter Eisenman war gerade im Begriff zu erklären, dass für ihn die Ressource der Architektur in der Idee des Architekten liege. Da neigte sich die Konferenz aber schon ihrem Ende zu.


[ Zum Kongress erscheint ein Weissbuch: Resource Architecture. Main Kongress. Report and Outlook. UIA Whitebook 2002. Verlag Birkhäuser, Basel 2002. ]

Neue Zürcher Zeitung, Sa., 2002.07.27

23. Juli 2002Claudia Schwartz
Neue Zürcher Zeitung

Architektur-Marathon

Der UIA-Weltkongress tagt in Berlin

Der UIA-Weltkongress tagt in Berlin

Ab heute ist Berlin für eine Woche Schauplatz des 21. Architektur-Weltkongresses. Zum ersten Mal findet die 1948 in Lausanne von der Union Internationale des Architectes (UIA) gegründete Veranstaltung damit in Deutschland statt. Die Hauptstadt an der Spree, die in Sachen Baukunst mit der Empfehlung für eine Rekonstruktion der einstigen Hohenzollern-Residenz in ihrem Zentrum gerade einen Schritt zurück in altehrwürdige Tage gemacht hat, wagt nun unter dem Titel «Ressource Architektur» immerhin theoretisch den Blick in die Zukunft. Zur heutigen Eröffnung des Spektakels, das bis zum Freitag dauert, wird auch Bundeskanzler Gerhard Schröder zu einer Ansprache erwartet. Mit der derzeit geschätzten Teilnahme von 4000 Architekten aus über 90 Ländern mussten die Veranstalter zwar ihre ursprünglich auf mehr als das Doppelte bezifferten Erwartungen schon empfindlich zurückschrauben. Dennoch wurde die Grossveranstaltung bereits im Vorfeld weit beachtet: Das riesige Programm bietet neben Diskussionsforen und Workshops in der ganzen Stadt Ausstellungen und weitere Rahmenveranstaltungen.


[Informationen findet man unter www.uia-berlin2002.com]

Neue Zürcher Zeitung, Di., 2002.07.23

20. Juli 2002Claudia Schwartz
Neue Zürcher Zeitung

Baumeister der Demokratie

Günter Behnisch in zwei Berliner Ausstellungen

Günter Behnisch in zwei Berliner Ausstellungen

Geht es um die Frage nach einem angemessenen Bauen für die Demokratie, fällt schnell der Name des Stuttgarter Architekten Günter Behnisch. Der von ihm stammende Münchner Olympiapark (entstanden 1967-72 in Zusammenarbeit mit Otto Frei und Fritz Auer) und der Deutsche Bundestag in Bonn (1972-92) gelten als Paradebeispiele einer bundesdeutschen Nachkriegsarchitektur, die in menschlichem Mass und offener Geste einen neuen gesellschaftspolitischen Ausdruck für öffentliche Bauten suchte. Als «Mentor einer antiautoritären Architektur» oder «Baumeister der Rheinischen Republik» hat man den 1922 in Dresden geborenen Architekten infolgedessen auch bezeichnet. Umgekehrt gelten seine Werke auch als Symbole der Identitätssuche in der alten Bundesrepublik.

Aus Anlass von Behnischs 80. Geburtstag zeigt die Galerie Aedes in Berlin eine ausführliche Werkschau in zwei Teilen: Während Aedes West am Savignyplatz unter dem Titel «Günter Behnisch zum 80. Geburtstag» eine breit angelegte Rückschau bietet, stellt Aedes East in den Hackeschen Höfen das Schaffen aus jüngerer Zeit des seit 1989 neu formierten Büroteams Behnisch, Behnisch & Partner (mit Sohn Stefan Behnisch und Günther Schaller) vor. Architekturmodelle, Skizzen, Zeichnungen und Photographien umkreisen ein teilweise visionär anmutendes Lebenswerk, für das Umsicht im Umgang mit Benutzern und Umwelt charakteristisch ist. Herauszulesen ist auch die mutige Handschrift eines Baukünstlers, der sich - wie das Beispiel der neuen Berliner Akademie der Künste am Pariser Platz zeigt - nicht gegen die eigene Überzeugung von steinernen Vorschriften gängeln lässt.


[ Ausstellung bis 25. August. Kataloge je Euro 10.-. ]

Neue Zürcher Zeitung, Sa., 2002.07.20

13. Juli 2002Claudia Schwartz
Neue Zürcher Zeitung

Ausgrabungen am barocken Überbau

Reaktionen auf den Berliner Willen zur Schlossfassade

Reaktionen auf den Berliner Willen zur Schlossfassade

Eigentlich war man sich im Vorfeld der Debatte im Deutschen Bundestag über die Zukunft des Berliner Schlossplatzes einig, dass zu der Frage bereits alles gesagt sei. Trotzdem findet die Resolution des Parlaments für die teilweise Rekonstruktion der einstigen Residenz der Hohenzollern (vgl. NZZ 6. 7. 02), die wohlgemerkt nicht die Realisierung bedeuten muss, ein enormes Echo. Den Anlass zu erneuter Diskussion gibt vor allem die Eindeutigkeit des Votums für die historisierende Architektur.


Jenseits der Vergangenheit

Die klare Mehrheit hat also für eine Reparatur von Berlins historischem Zentrum gestimmt, die Spuren der Geschichte in harmonischer Anmutung begradigt. Das hätte für den nahe beim Regierungsviertel gelegenen Stadtteil ein trügerisches Erscheinungsbild zur Folge, das spätere Generationen nicht mehr an seine Schleifung im 20. Jahrhundert durch Nationalsozialismus und SED-Regime erinnert. Die Schlossbefürworter, die in der städtebaulichen Heterogenität des Ortes das oberste Gebot für eine Rekonstruktion sehen, zeigen sich zufrieden über eine solch «kluge Entscheidung» («Frankfurter Allgemeine Zeitung»). Nun könne endlich mit den Grabungen nach den für die Nachbildung unentbehrlichen Schlosstrümmern auf dem Flakbunkerberg begonnen werden, schwärmt auch «Die Welt» und macht deutlich, dass die wirklichen Probleme nun erst begonnen haben dürften: Es gibt keine Erfahrungen mit einem vergleichbar aufwendigen bauplastischen Programm, auf die man zurückgreifen könnte. Einigkeit herrscht in der Fachwelt nämlich darüber, dass die Rekonstruktion der Fassaden, wie sie Schlüter und Eosander in ihrem Selbstverständnis als Bildhauer-Architekten schufen, unvergleichbare Ansprüche stellt.

Welche geschichtspolitische Gesinnung, so fragen sich die Kritiker, steht hinter dem Faible für die architektonische Vorvergangenheit? Noch vor zwei Jahren glaubte man im Bekenntnis des Kanzlers zum Schloss («einfach weil es schön ist») ein neues Machtsymbol am Horizont der misstrauisch beäugten Berliner Republik aufsteigen zu sehen, die in der Suche nach historischer Selbstvergewisserung eine heile nationalgeschichtliche Kontinuität vorspiegle. Mittlerweile scheint man eher geneigt, die Liebe zum Feudalen in einer unspezifischen Gefühlslage zu begründen. Die «Süddeutsche Zeitung» («SZ») registriert eine Sehnsucht nach einer Vergangenheit, die «sehr von jener abweicht, aus der man tatsächlich kommt». Wenn einerseits das an die Verbrechen der Gestapo erinnernde Projekt «Topographie des Terrors» tatsächlich erneut gefährdet sein sollte, wie die «FAZ» am Freitag berichtete, während andrerseits der rasche Aufbau der Hohenzollern-Residenz propagiert wird, deutet dies jedenfalls nicht auf eine ausgewogene Geschichtspolitik Berlins.

Die «Tageszeitung» («taz») erkennt im Hang zum Barock den oft zitierten «symbolischen Normalisierungsschub». Sie schreibt ihn allerdings weniger dem in letzter Zeit oft diskutierten neuen nationalen Selbstverständnis der Deutschen zu, sondern interpretiert ihn vielmehr als geschichtliche Indifferenz einer rot-grünen Regierung, die als erste deutsche Politikergeneration den Krieg nicht mehr erlebt habe. In der Tat ist kaum zu befürchten, dass ein Flickwerk aus Schlosshülle und Betonkern, eine «disneyhafte Simulation» («Die Zeit»), zum ideologisch gefärbten Überbau heranwachsen könnte.


Die Zukunft der Architektur?

In die Richtung gehen auch jene Kommentare, die in der unverhältnismässigen Symbolhaftigkeit des Schlosses eine Entsprechung zu den hochgeschraubten Erwartungen an Berlin nach der Wende sehen. Die Sinnstiftung, die man der Hauptstadt im Wiedervereinigungsprozess zutraute, war enorm; die Zukunftsvision einer Stadt im Aufbruch wird nun durch die Rückwendung zum Alten konterkariert. Pikanterweise fällt die Empfehlung zusammen mit dem gross angekündigten Architektur-Weltkongress (UIA) Ende Juli über die Zukunft der Baukunst, an dem sich die Gastgeberstadt Berlin als moderne Architekturstadt präsentieren möchte.

Jene, die vom Anblick des Potsdamer Platzes in ihrem Wunsch nach «urbanem Heil» enttäuscht seien, erwarteten dieses jetzt von der Schlosskopie, mutmasst die «SZ». Vielfach wurde betont, dass die Entscheidung eine «politische Niederlage» («Berliner Zeitung») für die zeitgemässe Architektur sei, deren Vertreter grösstenteils mit Bedauern und Empörung reagieren und von einer «sehr traurigen Entscheidung für Berlin» (Daniel Libeskind) oder gar von einem «Skandal» (Wolf Prix) sprechen.

Mit dem Bekenntnis zum Schloss endet das Märchen, das Berlin seit der Wende als die zukunftsweisende Metropole unserer Tage preist. So setzt sich laut «taz» nun auch architektonisch eine Geisteshaltung zwischen Grössenwahn und Lethargie durch, die Berlin über Jahre hinweg «zum Schlusslicht hat werden lassen».

Neue Zürcher Zeitung, Sa., 2002.07.13

06. Juli 2002Claudia Schwartz
Neue Zürcher Zeitung

Der Weisheit letztes Schloss

Den Schlusspunkt unter einen zwölfjährigen Streit sollte der Deutsche Bundestag mit seiner Entscheidung für die teilweise Rekonstruktion des Hohenzollern-Schlosses...

Den Schlusspunkt unter einen zwölfjährigen Streit sollte der Deutsche Bundestag mit seiner Entscheidung für die teilweise Rekonstruktion des Hohenzollern-Schlosses...

Den Schlusspunkt unter einen zwölfjährigen Streit sollte der Deutsche Bundestag mit seiner Entscheidung für die teilweise Rekonstruktion des Hohenzollern-Schlosses in Berlin-Mitte setzen. Dieser Eindruck wurde von Voten wie jenem von Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) unterstrichen, der erklärte, ein weiteres Hinauszögern einer ästhetischen Festlegung bedeute «eine Blamage für die Politik». Schloss, aus, Amen, schien sich denn die klare Mehrheit zu sagen: Sie plädierte am Donnerstagabend, wie kurz gemeldet, in einem Entscheid quer durch alle politischen Lager für eine teilweise Rekonstruktion der Fassaden, wie sie die Baumeister Schlüter und Eosander einst schufen. Damit folgte man einer im April ausgesprochenen Expertenempfehlung (vgl. NZZ 22. 4. 02). Auch wenn es sich dabei nur um eine vorläufige Beschlussempfehlung und nicht um den Startschuss zum definitiven Baubeginn des 770 Millionen Euro teuren Projektes handelt: Der Königsweg eines offenen Architekturwettbewerbs, der historischen neben zeitgenössischen Entwürfen eine Chance gegeben hätte, ist damit ein für alle Mal versperrt.

Das Berliner Parlament, das sich nach den Abstimmungen zu Reichstagsverhüllung und Haackes umstrittenem Erdtrog einmal mehr mit den Künsten befasste, konzentrierte sich auf geschichtspolitische Argumente. Von «historischer Selbstvergewisserung», «Kult der offenen Wunden» oder «nostalgischer Rückwendung» war denn die Rede. Kaum mehr hörte man gottlob jenes Ost-West-Ressentiment, das die Frage um die zukünftige Gestalt des Schlossplatzes nach der Wende ideologisierte, indem Palast der Republik und Schloss gegeneinander ausgespielt wurden. Zwar versuchte die PDS mit einem Änderungsantrag, eine Integration von «Erichs Lampenladen» in den Neubau festschreiben zu lassen. Allerdings war mit dem bereits zuvor bestehenden Konsens einer Ausrichtung des Neubaus nach Grundriss und Kubatur des Schlosses der Abriss des DDR-Gebäudes bereits besiegelt.

Das Berliner Schloss, man darf es nun wieder so nennen, soll das Areal in Nachbarschaft zur Museumsinsel auf der Spreeinsel wieder füllen, wo 1950 das SED-Regime den Feudalbau sprengen liess. Derzeit baut man hier in direkter Nachbarschaft die Kommandantur wieder auf, irgendwann soll auch Schinkels Bauakademie wiedererstehen. Die Künstlichkeit der historischen Anmutung in Berlins Mitte endet also noch nicht bei Adlon und Kronprinzenpalais. Etwas zurechtgebogen wirkte in diesem Zusammenhang der architekturkritische Einwand gegen das Moderne, wonach in Berlin in den vergangenen zehn Jahren so viel zeitgenössische Bauten entstanden seien wie nirgendwo sonst. Da glaubte man Frank O. Gehrys DG-Bank-Gebäude am unweit gelegenen verödeten Pariser Platz spotten zu hören. Es setzt dem historisierenden Berliner Willen zu Traufhöhe und Naturstein, der noch fast jedem zeitgenössischen Kunststück die Flügel stutzte, subtil ein Denkmal.

Man muss nicht so weit gehen wie die «Süddeutsche Zeitung», die am Freitag die symbolische Überhöhung des langjährigen Streites sogleich wieder aufnahm und im deutschen Willen zum Barock eine «nationalromantische Stimmung» erkannte. Zumindest aber lässt sich bei dem buchstäblich historischen Beschluss der Abgeordneten ein an der Berliner Tourismuswerbung geschulter Blick ablesen, der nicht müde wird, die Schönheit der Stadt im Überlieferten zu suchen und den von geschichtlichen Brüchen scheinbar verschonten Gendarmenmarkt als schönsten Platz Berlins anzupreisen. So hüllt die deutsche Hauptstadt ihr Herz in Barock, während Anhänger der hohen Baukunst unserer Zeit auch in Zukunft nach Bilbao oder Sydney pilgern.

Neue Zürcher Zeitung, Sa., 2002.07.06

22. April 2002Claudia Schwartz
Neue Zürcher Zeitung

Das Schlossgefühl

Seit der Wiedervereinigung dauert die Diskussion um einen möglichen Wiederaufbau des Berliner Schlosses an. Eine internationale Expertenkommission hat nun ihre Empfehlung für eine teilweise Rekonstruktion abgegeben. Vor allem der vorgeschlagene Nachbau der barocken Fassaden ist umstritten. Die Politik will ihre Entscheidung erst nach Überprüfung der Nutzungs- und Finanzierungskonzepte fällen.

Seit der Wiedervereinigung dauert die Diskussion um einen möglichen Wiederaufbau des Berliner Schlosses an. Eine internationale Expertenkommission hat nun ihre Empfehlung für eine teilweise Rekonstruktion abgegeben. Vor allem der vorgeschlagene Nachbau der barocken Fassaden ist umstritten. Die Politik will ihre Entscheidung erst nach Überprüfung der Nutzungs- und Finanzierungskonzepte fällen.

Neuzugezogene sehen sich in Berlin meist nach kurzer Zeit mit der Frage konfrontiert, wie sie es denn mit dem Schloss halten. Ein leichtfertiges Achselzucken, so lernt man schnell, provoziert mit Sicherheit nächtelange, hochemotionale Ausführungen, egal, ob das Gegenüber einen Wiederaufbau befürwortet oder ablehnt. Zum Ausgleich neigende Charaktere haben fortan ein sorgfältig abgewogenes Dafür und Dawider im Gepäck. Diesen Anschein machte jedenfalls Hannes Swoboda, der aus Wien stammende Vorsitzende der Kommission Historische Mitte Berlin, als er den Abschlussbericht an Bundesbauminister Kurt Bodewig übergab. Bei Aufnahme seiner Arbeit in Berlin, so der Architekt und Europapolitiker, habe er «gemeint, man müsse etwas ganz Neues bauen», aber nun beschliesse er sie als «moderater Schlossbefürworter».

Seit der Wiedervereinigung scheiden sich die Geister an der Frage, ob die einstige Hohenzollernresidenz wieder aufgebaut werden soll oder ob nicht doch vielleicht zeitgenössische Architektur der deutschen Hauptstadt im Europa des 21. Jahrhunderts besser ansteht. Hinter der ästhetischen Diskussion um Berlins prominenteste Ödnis verbirgt sich eine ideologische Auseinandersetzung. Der Ort, an dem die DDR-Spitze 1950 den im Krieg schwer beschädigten Barockbau als Symbol feudaler Herrschaft sprengen liess, soll zum Paradeplatz der Wiedervereinigung stilisiert werden: Mit Preussens Glanz und Gloria will man die Irrungen deutsch-deutscher Geschichte camouflieren. Nur so ist zu verstehen, weshalb auf der einen Seite der Spreeinsel die angebliche Leidenschaft für eine historische Baukunst, die real nicht existiert, derart heftig aufbricht, während auf der anderen Seite kein Förderverein Spruchbänder hochhält für Preussens schönstes Architekturensemble auf der Museumsinsel, deren Sanierung in der hoch verschuldeten Stadt chronisch gefährdet ist.


Kulissenarchitektur

Die Schlossfrage wurde in den vergangenen zehn Jahren so etwas wie die Berliner Glaubensfrage. Mit ihr lässt sich umgekehrt viel über Berliner Befindlichkeiten in Erfahrung bringen: über die Beschädigungen, die einer Stadt im Laufe ihrer Zeit dauerhaft zugefügt wurden, über geschichtliche Unbehaustheit und die Sehnsucht nach dem Alten, über Ressentiments in Ost und West. Als die Diskussion nach zehn Jahren nur noch um sich selbst kreiste, weil alles gesagt schien, reichten die Staatlichen Museen den Vorschlag nach, ihre in Dahlem beheimateten aussereuropäischen Sammlungen in einem dereinstigen Bau auf dem Schlossplatz unterzubringen.

Das grösste Problem war endlich angesprochen: Keiner wusste bis dahin, was in den herbeigeredeten Prunkbau denn eigentlich hineinkommen sollte. Schon höhnten die Gegner, wie denn ozeanische Totenmasken in ein Preussenschloss passten, ohne freilich zu begründen, weshalb diesen eine moderne Architektur besser zu Gesicht stehen sollte. Ein Ende der erbitterten Debatte um den Schlossplatz, den man symbolisch «zur Mitte der Republik» aufgeladen hatte, war nicht abzusehen. Die Bundesregierung setzte zur Klärung eine internationale Kommission Historische Mitte Berlin ein. Diese schliesst nun ihre von der Öffentlichkeit mit Interesse verfolgte Arbeit nach mehr als einem Jahr mit einer «Empfehlung» ab.

Die Experten sprechen sich für einen Bau aus, der in Grundriss, Kubatur, drei Fassaden, Schlüterhof und Stülers Kuppel dem Zustand des Schlosses vor seiner Zerstörung gleichkommt. Die schönste Seite nach Osten, ein malerisches Ensemble aus der Renaissancezeit, wird nicht mehr wiederherzustellen sein. Im Innern sollen einzelne altehrwürdige Räume (zum Beispiel der weisse Saal oder Schlüters berühmtes Treppenhaus) das Neue ergänzen. Eine vollständige Rekonstruktion, so viel steht also fest, wird es nicht geben. Es soll vielmehr eine Architektur sein, die zwar nicht das wiederaufgebaute Schloss darstellt, die aber, steht man davor, zumindest so aussieht - etwas für das Schlossgefühl, wenn man so will.

Als potenzielle Nutzer des neuen Ortes bieten sich neben den Staatlichen Museen die Humboldt-Universität mit ihren wissenschaftsgeschichtlichen Sammlungen sowie die Landesbibliothek an. Zum angestrebten «Dialog der Kulturen» sollen zudem Cafés, Restaurants, Läden und Veranstaltungssäle beitragen. Alles in allem übersteigt das die Raumverhältnisse des ehemaligen Schlosses um das Dreifache, womit wir beim typischen Berliner Kompromiss wären, der die gerade mit offenen Armen empfangenen Institutionen teilweise gleich wieder auslagert: in den Marstall zum Beispiel oder in neu zu Errichtendes. Skepsis weckt auch der in diesem Zusammenhang geäusserte Vorschlag, den berühmten Schlüterhof zu überdecken sowie den Eosanderhof zu überbauen. Das mächtige Schlossgeviert würde damit seine Transparenz einbüssen. Auch die von der Kommission «wo möglich» zur Nachahmung empfohlene alte Geschosshöhe dürfte dem Platzmangel geopfert werden, was die äussere Fassadengliederung vollends zum Trugbild machen würde.


Der Lauf der Geschichte

Zu begrüssen wäre der Vorschlag, die einstige städtebauliche Fassung wiederherzustellen, deren Bürgerhäuser unter Wilhelm II. dem Kaiser-Wilhelm-Nationaldenkmal weichen mussten; sie rangen dem Schloss Verhältnismässigkeit ab. Der Palast der Republik soll abgerissen werden, wobei dem Neubau denkmalswürdige Teile (zum Beispiel der Volkskammersaal) implantiert würden. Die SED baute übrigens einst das rekonstruierte Schlossportal, von dessen Balkon aus Karl Liebknecht 1918 die sozialistische Republik ausgerufen hatte, ins Staatsratsgebäude ein. Dieses, wohl das anmutigste DDR-Bauwerk, soll erhalten bleiben. Somit könnten Passanten vielleicht dereinst zwei Rekonstruktionen des einen Portals vergleichen: das Liebknecht-Portal der DDR und ein neues Eosander-Portal der Berliner Republik, die sich bei aller Gleichheit ja irgendwie doch grundsätzlich unterscheiden müssten. Die Nachbarschaft von Schlossfassade und Staatsratsgebäude würde ausserdem deutlich machen, wie die DDR in ihrem staatlichen Repräsentationsbau in königlicher Raumhöhe die Gliederung jenes Prunkbaus zitierte, den sie zuvor zerstört hatte.

Vielleicht lässt sich bei dem Projekt ja doch mehr historische Erkenntnis über das Wahre im Falschen gewinnen, als man anfänglich vermutete. Der Bundesbauminister und der Regierende Bürgermeister von Berlin bedankten sich bei der Übergabe im Staatsratsgebäude jedenfalls höflich für die wertvolle «Entscheidungsgrundlage», die der Kommissionsbericht für die Politik darstelle. Es gelte jetzt, die Nutzung und Finanzierung des auf rund 700 Millionen Euro geschätzten Projektes abzuklären. Berlin hat, wie man weiss, kein Geld, und ob man im fernen Süden und im Westen der Bundesrepublik dieses Projekt mit Steuergeldern unterstützen will, bleibt fraglich. Laut Expertenbericht soll ein Drittel der Mittel durch die öffentliche Hand, der Rest durch Investoren, private Anleger und Sponsoren aufgebracht werden. Über Letztere lässt sich jetzt schon sagen, dass sie ihre Unterstützung von einer historischen Fassade abhängig machen. Zur Fassadenfrage - die Kommission hatte sich mit einem äusserst knappen Mehr von nur einer Stimme für Barock entschieden - wollte sich wiederum der Bundesbauminister lieber nicht äussern. Die Abklärungen zu Nutzung und Finanzierung, sagte er, würden ein Jahr dauern. Von deren Ergebnissen hingen am Ende auch die Vorgaben für einen Architekturwettbewerb und die Frage nach der äusseren Gestalt ab.

Währenddessen demonstrierte draussen vor dem Staatsratsgebäude vorsorglich schon einmal ein versprengtes Grüppchen «für die Wiedererrichtung des Schlosses». Unweit davon erinnerte die Initiative «Berliner Unwille» mit einer Performance an das historische Ereignis von 1448, als die Berliner ihren Unwillen gegen den Bau der ersten Hohenzollernresidenz kundtaten und den Schlossplatz fluteten, indem sie die Schleusen des Spreekanals öffneten. So hat alles ein Ende, nur das Berliner Schloss hat zwei.

Neue Zürcher Zeitung, Mo., 2002.04.22

09. Februar 2002Claudia Schwartz
Neue Zürcher Zeitung

Beton statt Schiefer

An der letzten Sitzung des Kuratoriums für das Denkmal für die ermordeten Juden Europas hat sich Peter Eisenman nun definitiv für Beton als Material...

An der letzten Sitzung des Kuratoriums für das Denkmal für die ermordeten Juden Europas hat sich Peter Eisenman nun definitiv für Beton als Material...

An der letzten Sitzung des Kuratoriums für das Denkmal für die ermordeten Juden Europas hat sich Peter Eisenman nun definitiv für Beton als Material für die zu errichtenden Stelen ausgesprochen. Die Erwägung des Architekten, eventuell Schiefer statt Beton zu verwenden, hatte zuvor für Aufregung gesorgt, weil damit Kosten- wie Zeitplan für das Mahnmalprojekt in Berlin gefährdet gewesen wären (NZZ 23. 1. 02). Die Geschäftsführerin Sibylle Quack rechnet damit, dass im Frühsommer die Bauarbeiten für den dem Denkmal angegliederten unterirdischen «Ort der Information» beginnen.

Neue Zürcher Zeitung, Sa., 2002.02.09



verknüpfte Bauwerke
Holocaust Mahnmal

23. Januar 2002Claudia Schwartz
Neue Zürcher Zeitung

Schiefer statt Beton?

Peter Eisenmann irritiert mit neuen Ideen für das Holocaust-Mahnmal

Peter Eisenmann irritiert mit neuen Ideen für das Holocaust-Mahnmal

Man mag es kaum mehr als einen Zufall bezeichnen, dass just zu diesem Zeitpunkt erneut ein Streit um das Denkmal für die ermordeten Juden Europas auszubrechen droht. Noch nie stand die Realisierung des umstrittenen Projektes so konkret bevor; selbst die geschmacklose Werbekampagne des Fördervereins mit dem in eine photographierte Alpenlandschaft eingeblendeten Satz «Den Holocaust hat es nie gegeben» war schon fast wieder vergessen, und die Musealisierung des Plakates im Rahmen der derzeitigen Holocaust-Ausstellung in Berlin (NZZ 21. 01. 02) erschien als Beleg für die erfolgreiche Wende des langjährigen Vorhabens zum Guten: In diesem Frühjahr soll das mit 2700 Stelen an einen jüdischen Friedhof erinnernde Denkmal in den Bau gehen. Seit einigen Monaten stehen auf dem Mahnmalsgelände zwischen Brandenburger Tor und Potsdamer Platz Stelen in verschiedenen Grössen und Farbschattierungen zur Probe.

Zu Steinen des Anstosses wurden nun hellgraue Blöcke aus Schiefer, wo als Material ursprünglich Beton geplant war. Der Architekt Peter Eisenman, so ist zu vernehmen, lasse diese Materialproben durchführen, weil er offenbar Befürchtungen hat, dass bei schlechter Verarbeitung die Oberfläche nicht die gewünschte Qualität aufweisen könnte. Die Gerüchte verursachten umgehend grosse Aufregung in Berlin, wo solche Einwände an den fatalen Streit um den Neubau von Peter Zumthor für die Gedenkstätte Topographie des Terrors erinnern. Hier hatte nicht zuletzt der Wunsch des Architekten nach möglichst weissem Beton das Projekt in zeitliche und finanzielle Bedrängnis gebracht, so dass bis zum heutigen Tag, an dem eigentlich schon längst alles fertig sein sollte, auf dem ehemaligen Gestapo-Gelände nichts als zwei einsame Treppenhäuser stehen.

Die Geschäftsleiterin der Stiftung für das Denkmal, Sibylle Quack, zeigt Verständnis für die Sensibilität in der Öffentlichkeit, erklärt aber den Schiefertest als ein legitimes Gedankenspiel des Architekten, der sein Projekt bis zuletzt zu optimieren versuche - in rein materialtechnischem Sinne. Dies mutet seltsam an bei einem erfahrenen Architekten wie Eisenman und in Anbetracht der symbolischen Tragweite des Mahnmalsprojektes, zumal Beton, beschichtet oder unbeschichtet, kein neues, gewissermassen bis zur letzten Minute unberechenbares Material darstellt. Die Verwendung von Schiefer würde den Charakter des Denkmals verändern, nicht nur auf Grund der ausgeprägten Oberflächenstruktur des Gesteins, sondern vor allem, weil die hohen Stelen aus Teilen zusammengefügt werden müssten - und so keine Monolithe mehr wären.

Peter Eisenman, heisst es, habe in Anbetracht der Aufregung gegenüber der Stiftung am Montagabend bereits versichert, die Idee mit dem Schiefer nicht weiter zu verfolgen, da sie den geplanten Kosten- wie Zeitrahmen gefährden würde. Die Bauarbeiten sollen also planmässig im Frühjahr beginnen. Noch ist jedoch die Bauausschreibung gestoppt wegen «technischer Optimierungsvorschläge im Hinblick auf die Oberflächenbehandlung der Betonstelen».

Neue Zürcher Zeitung, Mi., 2002.01.23



verknüpfte Bauwerke
Holocaust Mahnmal

14. Januar 2002Claudia Schwartz
Neue Zürcher Zeitung

Ein Klassiker in Berlin

Mies van der Rohe im Alten Museum

Mies van der Rohe im Alten Museum

Allmählich bringt die Kunst das Leben auf die Museumsinsel zurück. Schon seit einiger Zeit lockt der wunderschön rekonstruierte Lustgarten vor Schinkels Altem Museum die Menschen im Sommer in Scharen auf die Berliner Spreeinsel. Aber erst seit der Wiedereröffnung der Alten Nationalgalerie vor wenigen Wochen liegt eine besondere Magie über dem Ort, eine Verheissung auf jene Zukunft, in der die fünf berühmten Museen als Ensemble wiederhergestellt sein werden. Die Berliner stehen in diesen Tagen in eisiger Kälte stundenlang Schlange, um sich eines ihrer schönsten Häuser des Spätklassizismus, die Alte Nationalgalerie, wieder anzueignen. Gleich nebenan im Alten Museum findet sich ein weiterer Höhepunkt mit der Ausstellung über die «Berliner Jahre 1907-1938» von Ludwig Mies van der Rohe, die vom New Yorker Museum of Modern Art übernommen worden ist (NZZ 14. 7. 01). Eine schöne Koinzidenz, war es doch der Geist des Klassizismus, der den Meister der Moderne zeitlebens umtrieb. Insbesondere die preussische Tonart Karl Friedrich Schinkels hatte es Mies van der Rohe angetan. Ihm erwies er mit seinem genialen Spätwerk, der Neuen Nationalgalerie am Kulturforum in Berlin (1965-68), seine Reverenz. Die Schau setzt ihren Schwerpunkt in der Verwurzelung in dieser architektonischen Tradition. Die ausgesprochen stilvoll gehaltene Präsentation nimmt einen effektvollen Auftakt mit der Vision des (unrealisiert gebliebenen) Hochhauses in der Friedrichstrasse in Gestalt eines hochfliegenden Plexiglasmodells, um dann die frühen Werke der Berliner Zeit Revue passieren zu lassen: In den grossbürgerlichen Villen und Häusern deutet sich jenes Formenvokabular an, das der 1886 in Aachen geborene Architekt bei seiner Emigration nach Amerika 1938 im Gepäck trug und das er zu jener Architektursprache ausformulierte, die ihn zum Meister der klassischen Moderne werden liess. Die in vorbildlicher Weise um räumliche Anschaulichkeit bemühte Schau findet eine unabkömmliche Ergänzung durch den anspruchsvollen Begleitband.


[Bis 10. März. Begleitbuch: Mies in Berlin - Ludwig Mies van der Rohe. Die Berliner Jahre 1907-1938. Hrsg. Terence Riley und Barry Bergdoll. Prestel-Verlag, München 2001. 392 S., 595 Abb., Fr. 117.- (EUR 69.- in der Ausstellung).]

Neue Zürcher Zeitung, Mo., 2002.01.14

01. Dezember 2001Claudia Schwartz
Neue Zürcher Zeitung

Deutschland - ein Kunstmärchen

Wiedereröffnung der Alten Nationalgalerie in Berlin

Wiedereröffnung der Alten Nationalgalerie in Berlin

Die prächtige vorgelagerte Freitreppe ist ohne Funktion, sie dient einzig der Ästhetik und als Sockel für das Reiterstandbild König Friedrich Wilhelms IV.: Dieses Gebäude sollte die Liebe zur deutschen Kunst beheimaten und dem Willen zum Einheitsstaat Gestalt verleihen. Entstanden ist es im 19. Jahrhundert dank einer Bürgerinitiative, weshalb dem König der Name der «National-Galerie» lange nicht behagte. Im 20. Jahrhundert schrieb ihr Mies van der Rohes Neue Nationalgalerie die Rolle der grossen Schwester zu. Von Anfang an war die Alte Nationalgalerie zu mehr geboren, als «nur» Museum zu sein. So blickt sie erhaben auf ihre berühmten Nachbarn, auf Schinkels Altes Museum und Stülers Neues Museum. Sie ist die kapriziöse Prinzessin unter den Königshäusern auf der Museumsinsel. Nun strahlt ihre gereinigte Sandsteinhaut wieder und ist leicht gerötet. Am Sonntag wird die Alte Nationalgalerie nach umfassender Sanierung wieder eröffnet - erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg sind dann ihre Bestände wieder vereint.


Kunst und Bau des 19. Jahrhunderts

Friedrich Wilhelm IV., der die Spreeinsel zu einer «Freistätte für Kunst und Wissenschaft» machen wollte, skizzierte die Alte Nationalgalerie - in Anlehnung an Gillys Entwurf eines Denkmals für Friedrich II. und Klenzes Walhalla in Donaustauf - als hoch auf einen Sockel gestellten Pseudoperipteros. Der königliche Architekt Friedrich August Stüler verlieh der pompösen Idee mit seinem Entwurf (1862-65) die Klarheit und Eleganz, die Schinkel ihn gelehrt hatte. Nach seinem Tod übernahm Johann Heinrich Strack die Ausführung des Baus (1866-76) in spätklassizistischem Formenkanon.

Der Griff zur architektonischen Pathosformel des antiken Tempels war Ausdruck der damaligen deutschen Sehnsucht nach einer politischen Einheit der Nation. Die Architektur folgte nicht den funktionalen Geboten eines Museums, sondern dem repräsentativen Gestus eines Nationaldenkmals; mit diesem Umstand sollte jeder der renommierten Museumsdirektoren ringen. Als der Nationalstaat mit der Gründung des deutschen Kaiserreiches noch während der Bauarbeiten Wirklichkeit wurde, schrieb man der 1876 eröffneten Galerie im Giebel mit dem Jahr der Reichsgründung 1871 auch gleich das Programm mit ein: «Der Deutschen Kunst MDCCCLXXI».

Den Gründungsmythos dieses Museums als Ort des geeinten Deutschlands möchte der Generaldirektor der Staatlichen Museen zu Berlin, Peter-Klaus Schuster, wiederbeleben. Von «der deutschen Anstrengung im Museums-Kosmos» spricht er in Anspielung auf die voraussichtlich zehn Jahre dauernde Sanierung der Museumsinsel, in deren Rahmen die 140 Millionen Mark teure Wiederherstellung der Alten Nationalgalerie zwar ein gewichtiges Moment, aber eben erst den Anfang darstellt. Wenn Schuster von Geyers Skulpturenfries im Treppenhaus - mit den bayrischen und preussischen Königen auf dem Doppelthron, flankiert von ihren Künstlern - als der «Geburtsurkunde des deutschen Kulturföderalismus» schwärmt, dann muss selbst der Kulturstaatsminister schmunzeln und das Pathos auf den Boden eines «zentralen» und «nicht zentralistischen» Ereignisses zurückholen. Nida-Rümelin hofft im Übrigen, dass die Deutschen die Museumsinsel als «ihren» und nicht «als Berliner Kulturbesitz» ansehen und bringt damit eine Entwicklung auf den Punkt, die sich in der Hauptstadt im Dunstkreis von Reichstag, Regierungsviertel und Schlossplatz seit einiger Zeit abzeichnet: die Teilung in bundesrepublikanisches und berlinisches Terrain. Der Museumsinsel - Weltkulturerbe, Prestigeobjekt der Bundesrepublik und Erbe Preussens - kommt hier als löchrigem und geldverschlingendem Riesenschiff die leidige Rolle der Manövriermasse zu.

Den Anfang der Alten Nationalgalerie bildete das Vermächtnis des Sammlers und Bankiers Wagener. Der bürgerliche Bilderreigen wuchs unter Direktoren wie Max Jordan, dem Schweizer Hugo von Tschudi oder Ludwig Justi - oft im Zwist mit dem Kaiser und gegen den Versuch wilhelminischer Verherrlichung - zu einer beachteten Sammlung internationaler Kunst heran, die den Bogen spannt von der Französischen Revolution bis zum Ersten Weltkrieg. Allerdings gelang es bei diesem «Schrein für die Kunst der Nation» nie, die Lücken zu schliessen, die in der ursprünglichen Privatsammlung angelegt waren.

So bringt Berlin mit Geschick den eigenen Vorzug ins Licht, eine «Sammlung des 19. Jahrhunderts in einem Haus des 19. Jahrhunderts» (Schuster) zeigen zu können. Und tatsächlich erweist sich die Alte Nationalgalerie nun als ein gemeinsames Paradestück von Kunst und Bau. Der Architekt (HG Merz, Stuttgart) beweist einen subtilen Umgang mit dem vorgefundenen disparaten Zustand. Dieser rührt von diversen frühen Umbauten wegen chronischen Platzmangels und zur Verbesserung der Ausstellungsbedingungen, von Kriegszerstörung und DDR-Wiederaufbau her. Man hat das Haus in die alte Pracht zurückgeführt, eine auffallend kühle Moderne hinzugefügt und gleichzeitig die für das Gebäude charakteristischen Zeitschichten herausgearbeitet.


Bilder und Räume

So tritt man hier eine wunderbare Reise durch die Ungleichzeitigkeit einer Epoche entlang an 440 Gemälden und 80 Plastiken an. Dabei erlaubt der parataktische Verlauf von Bildern und Räumen, von Brüchen und Wechseln, die Spannungen der Kunst einer Zeit hervorzuheben: Während der Rundgang der Bilder chronologisch im dritten Geschoss mit der Goethezeit beginnt und im Erdgeschoss mit dem fassungslosen Rot und Gelb von Beckmanns «Kleiner Sterbeszene» (1906) einen irritierenden Ausklang findet, «altert» die Architektur, ihrem unterschiedlichen Zerstörungsgrad entsprechend, von oben nach unten. Die Gegenläufigkeit ist ein gewagtes Spiel. Ein verblüffendes Ensemble aus der Zeit um 1900 ergibt sie im ersten Geschoss, wo Runge-Ranken und Jugendstilornamente mit den Bildern des Fin de Siècle zusammenlaufen.

Die kleinen Kabinette, die sich in der nördlichen Apsis über die drei Stockwerke ziehen, erweisen sich als die Juwelen des Hauses. Ihre intime Bürgerlichkeit und eine dezente Stoffbespannung der Wände verleiht den kleinformatigen Bildern eine berückende Ausstrahlung: den Romantikern Blechen, Krüger, Hummel wie der biedermeierlichen Leuchtkraft von Eduard Gaertners Berliner Veduten oder dem breit aufgefächerten Werk Menzels. Zu den Höhepunkten gehören die beiden durch den Umbau im dritten Geschoss neu gewonnenen, dem Werk Schinkels beziehungsweise Caspar David Friedrichs gewidmeten, in dezentem Grau gehaltenen Räume. Die Strahlkraft von Caspar David Friedrichs restaurierter Gebirgslandschaft «Der Watzmann» macht das Fehlen seines «Kreuzes im Riesengebirge», das auf Grund eines Berliner Kleinkrieges im Schloss Charlottenburg verblieben ist, umso ärgerlicher. Man kann nur hoffen, dass dieser Unsinn bald behoben und das Bild in den hier versammelten Friedrich-Reigen heimgeholt wird. Als Schwachpunkt erweist sich die Oberlichtdecke der beiden Cornelius-Säle im zweiten Geschoss, welche die Deutschrömer und die französischen Impressionisten in ein schlechtes Licht rückt. Die tiefen Valeurs von Böcklins «Toteninsel» werden übertönt, und selbst Manets «Wintergarten» oder sein «Landhaus im Rueil» verzagen in der Unruhe von Wandfries, Täfelung, Bespannung und grellem Licht.

Ansonsten macht staunen, wie die Erzählung der Bilder dem aufgeregten Disput der unterschiedlichen architektonischen Schichten des Gebäudes standhält. Mit einem klassizistischen Paukenschlag empfängt Schadows monumentales Grabmal des Grafen von der Mark im Treppenhaus; meditativ wirkt der Raum mit den Fresken der Casa Bartholdy; ein wunderbarer, gleichsam angehaltener Moment des Realismus in Deutschland verdankt sich Liebermanns «Gänserupferinnen», seiner «Flachsscheuer» und Uhdes «Heideprinzesschen»; die Disziplinen suchen den Dialog in Schadows letzter Marmorarbeit «Ruhendes Mädchen» (1826) mit dem «Inneren des Palmenhauses» (1832/33) von Blechen. Im ersten Geschoss kündigt sich der Aufbruch in die Moderne an mit einem ganzen Panorama von Menzel, mit Leistikows Hauptwerk der Berliner Secession, «Grunewaldsee», mit den blank liegenden Nerven der Jahrhundertwende in Kolbes «Goldener Insel», Franz von Stucks «Sünde», Corinths «Frau mit Rosenhut».

Von Waldmüllers klarsichtiger «Praterlandschaft» fällt der Blick noch einmal durch den Friedrich-Saal mit dem ewigen Eis vom «Watzmann», hindurch zum gegenüberliegenden Gang mit Blechens kalter «Gebirgsschlucht im Winter», wo das kleine Licht der Berghütte unerreichbar scheint - und wieder zurück zum lichten Blick Waldmüllers. Wo die Kunst in den Sichtachsen Trost findet, darf man sie zu Hause wissen.


[Erstmals findet sich der Kernbestand der Nationalgalerie in einem Katalog: Nationalgalerie Berlin. Das XIX. Jahrhundert. Katalog der ausgestellten Werke. Staatliche Museen zu Berlin und Verlag E. A. Seemann, Leipzig 2001. 541 Abb., 472 S., EUR 19.90; als CD-ROM EUR 12.90. ]

Neue Zürcher Zeitung, Sa., 2001.12.01



verknüpfte Bauwerke
Alte Nationalgalerie - Wiederherstellung

15. September 2001Claudia Schwartz
Neue Zürcher Zeitung

Ein Gedächtnis für die Zukunft

Die Eröffnung des Jüdischen Museums wurde überschattet von den Terroranschlägen in den USA. Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges fühlen sich die Berliner mit den Amerikanern eng verbunden. So blieben viele kulturelle Einrichtungen geschlossen, auch das Jüdische Museum an den ersten beiden seiner vorgesehenen Eröffnungstage. Seit Donnerstag ist es nun allen zugänglich.

Die Eröffnung des Jüdischen Museums wurde überschattet von den Terroranschlägen in den USA. Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges fühlen sich die Berliner mit den Amerikanern eng verbunden. So blieben viele kulturelle Einrichtungen geschlossen, auch das Jüdische Museum an den ersten beiden seiner vorgesehenen Eröffnungstage. Seit Donnerstag ist es nun allen zugänglich.

Ein Vierteljahrhundert dauerte es von der Idee eines Jüdischen Museums für das damalige Westberlin über das integrative Modell einer jüdischen Abteilung innerhalb des Stadtmuseums bis zur Eröffnung einer eigenständigen Institution. Durch die Wende kam dem Projekt unvermittelt eine nationale Bedeutung in der neuen alten Hauptstadt zu; aber erst in den vergangenen vier Jahren nahm es Gestalt an. Der Direktor Michael Blumenthal hat es mit weltläufiger Souveränität befördert. Der Architekt Daniel Libeskind hat es mit seiner spektakulären Architektur in die Wirklichkeit geholt. Diesen Erfolg muss man hochhalten in Anbetracht der zögerlichen Entwicklung der beiden anderen grossen Erinnerungsprojekte in der Stadt, des Holocaust-Denkmals und der Mahnstätte «Topographie des Terrors».

Seit der Einweihung des Libeskind-Baus vor zweieinhalb Jahren pilgerten 350 000 Besucher durch das leere Haus. Die expressive Architektur wurde in kurzer Zeit zum übermächtigen Symbol, so dass manche seine Funktionstüchtigkeit als Museum bezweifelten oder die Freihaltung des Hauses von Exponaten als Gleichnis für den unwiederbringlichen Verlust jüdischen Lebens forderten. Die nun eröffnete Dauerausstellung widerlegt die Einwände, wonach sich die eigenwillige Architektur mit ihrem verzerrten Grundriss und ihren intensiven Raumerlebnissen nicht als Ausstellungsgebäude eigne. Sie macht allerdings auch deutlich, dass der Bau nach einem subtilen Umgang und einer Reduktion der gestalterischen Mittel verlangt.

Man betritt das Museum durch das barocke Kollegiengebäude und gelangt über eine Treppe ins Untergeschoss, wo sich die «Achse des Holocausts» und die «Achse des Exils» kreuzen. In einer Reverenz an die Jerusalemer Gedenkstätte Yad Vashem, in der Namen gegen das Vergessen stehen, sind den Wänden die Orte der Vernichtung und der Zuflucht eingeschrieben. Dazwischen, hinter Glas, zwei, drei letzte Dinge, Spuren eines Schicksals. Der Inhalt einer Brieftasche, welche die jüdischen Nachbarn bei ihrer Deportation noch schnell vom Wagen warfen, zwei Passfotos, eine Visitenkarte; die zurückgebliebene Hausbewohnerin hat sie aufgehoben zum Gedächtnis. In der «Achse des Exils» betrachtet man die fünf Reisepässe der Irma Markus, ausgestellt zwischen 1939 und 1960 in verschiedenen Städten der Welt - Zeugnisse einer Identität, die mit Stempeln beglaubigt ist und in der Fremde doch verloren zu gehen droht.


Gute Ansätze in 13 Kapiteln

Mit dem stillen Auftakt haben sich die Ausstellungsmacher ganz nach der Architektur gerichtet. Im Weiteren legten sie diesen Willen zur Beschränkung ab. Schon dem «Memory Void», einem jener hermetischen Betonschächte, die das Gebäude durchschlagen, glaubte man, einen Inhalt geben zu müssen: Die Installation «Shalechet» (Gefallenes Laub) des israelischen Künstlers Menashe Kadishman besteht aus 10 000 Eisenscheiben am Boden: 10 000 Gesichter mit weit aufgerissenen Mündern. Das Kunstwerk wirkt geschmäcklerisch und konterkariert den von der Architektur beschworenen Verlust.

Ein wenig von der anfänglichen Zurückhaltung hätte dem Hauptteil der Schau in den beiden Obergeschossen gut getan - nicht nur in Anbetracht der sich konkurrenzierenden Exponate, sondern auch was die aussergewöhnliche Architektur anbelangt, die nun hinter all den Einbauten, eingezogenen Wänden, abgehängten Decken und unmotiviert die Räume verstellenden Treppen kaum mehr erkennbar ist. Die Ausstellung auf 3000 Quadratmetern Fläche zeichnet streng chronologisch entlang von 13 Kapiteln und anhand von 3900 Exponaten (davon rund 1600 Originale und 560 Leihgaben) die Spuren jüdischen Lebens im Kontext jüdischer und deutscher Geschichte von der Römerzeit bis heute nach.

Einen Reigen von Handschriften präsentiert der Abschnitt über das Mittelalter. «Das Buch Sinai» aus dem Jahr 1391 des Rabbiners Meir ben Baruch aus Rothenburg gibt als eines der ältesten erhaltenen Dokumente jener Zeit Einblick in die religiöse Gedankenwelt der Juden. Worms, Speyer und Mainz stehen für frühe jüdische Gemeinden. Mit Photographien ist die Geschichte der Wormser Synagoge, des ältesten jüdischen Gotteshauses in Mitteleuropa (bis zu seiner Zerstörung 1938), nacherzählt. Dabei verpasst man die Chance eines kurzen Abrisses zur Synagogenarchitektur im Allgemeinen und lässt den nach dem Krieg wieder errichteten Sakralbau lieber im raumgreifenden Hauskino als 3D-Animation durch die mittelalterliche Stadt schweben. Die kostbare vorübergehende Leihgabe des Apostolischen Museums in Rom wurde dagegen so unscheinbar zwischen andere Exponate placiert, dass man sie kaum findet: Die Abschrift (10. Jh.) eines Dekrets von Kaiser Konstantin aus dem Jahr 321 belegt die Existenz von jüdischen Bürgern im römischen Köln.


Der Wille zur Unterhaltung

Hier zeigen sich schon die Schwächen des Konzeptes, das vor allem unterhaltend und anschaulich sein will. Vieles wird kurz gestreift, ohne Akzentuierung präsentiert man eine auf die Länge ermüdende, bunte Gleichförmigkeit. In nur eineinhalb Jahren musste die Ausstellung eingerichtet werden; der aus Neuseeland berufene Projektleiter Ken Gorbey macht selbst kein Hehl daraus, dass noch einiges verbessert und vertieft werden muss.

Unverständlich ist, warum in einem Berliner Museum die jüdischen Aufklärer um Moses Mendelssohn keinen adäquaten Raum erhalten haben. Kaum deutlich wird, wie beschwerlich der Weg in die Emanzipation, Assimilation und in den Aufstieg ins Bürgertum zwischen 1870 und 1933 war. Und die Wechselbeziehung von jüdischen und nichtjüdischen Intellektuellen findet sich gerade einmal im Bonmot von Henriette Herz: «Der Geist ist ein gewaltiger Gleichmacher.» Dagegen feiert man die Berliner Kaufhauskultur, die sich mit den Namen Wertheim und Tietz und dem Kaufhaus des Westens («KaDeWe») verbindet, ausgiebig mit Leuchtschriften und aufgeblasenen Bildern. Für die Tatsache, dass sich die Juden von der bürgerlichen Gesellschaft kaum unterscheiden, gibt es eine ganze Wand, tapeziert mit anonymen Familienporträts als Zeitbildern. Nicht dargelegt wird der interne Streit zwischen Orthodoxen und Reformern. Den Zionismus vertritt das Porträt von Theodor Herzl. Für den vom Gesellschaftlichen sich zunehmend ins Ideologisch- Politische verfestigenden Antisemitismus steht, völlig unkommentiert, Julius Langbehns Werk «Rembrandt als Erzieher». Die Rolle eines Vorläufers, die Langbehns Ausrottungsjargon für die nationalsozialistische Rassenideologie spielte, wird nicht thematisiert.

Damit unterwandert die Schau letztlich ihren eigenen populären Anspruch, «für ein sehr breites Publikum» etwas Aufklärendes bieten zu wollen. Aus schlicht in die Vitrine gestellten Büchern oder gehängten Porträts - wie sie hier im Übrigen, mit wenigen Zitaten unterlegt, für das ganze jüdisch-deutsche Geistesleben herangezogen werden: eine Art name dropping - zieht der Unwissende keine Information und wohl ebenso wenig Unterhaltung. - Wie der Zickzackkurs von Libeskinds Bau die Unwägbarkeit und Vielschichtigkeit jüdischen Lebens gleichsam verinnerlicht hat, so laufen in der Ausstellung Lebenswelten, antisemitische Bedrohung, Emanzipationskurs stichwortartig nebeneinander her. Dabei findet man ein Gleichgewicht zwischen historischen Dokumenten, Zeitbildern, Judaica und den Hilfsmitteln moderner Ausstellungstechnik. Dazwischen bietet das «Museum für die ganze Familie» überall Grotten und Spielecken «nur für Kinder», wobei Letztere die Terminals des «Learning Center» im Foyer mehr faszinieren dürften. Mit der notwendigen Zurückhaltung bei den erzählerischen Mitteln werden Nationalsozialismus, Massenflucht und Massenmord sowie die Zeit nach 1945 bis hin zur jüdischen Gegenwart in Deutschland dokumentiert.


Annäherungen

In Berlin gab es schon einmal ein Jüdisches Museum. Es eröffnete an der Oranienburger Strasse 1933 nur wenige Tage vor der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler. Den Fundus für die Ausstellungen bildeten die Sammlungen der Mitglieder der Jüdischen Gemeinde, die damals als eine der bedeutendsten in Europa rund 140 000 Mitglieder zählte. Schon nach sechs Jahren kam nach dem Novemberpogrom 1938 das Ende für das erste Jüdische Museum der Stadt. 1945 lebten noch 8000 Juden in Berlin. Bald werden in ganz Deutschland wieder 100 000 Juden leben, Berlin entwickelt sich wieder zum jüdischen Zentrum und ist nach einer Erhebung des Jüdischen Weltkongresses in New York nicht zuletzt wegen der Zuwanderer aus dem Osten die prozentual am schnellsten wachsende Jüdische Gemeinschaft ausserhalb Israels.

Das neue Jüdische Museum knüpft als «Sinnbild jüdischer Kultur» an die Tradition seines Vorgängers an. Von einem Wandel in der deutsch-jüdischen Beziehung haben manche im Vorfeld der Eröffnung, etwas hochgegriffen, geredet. Von einem neuen Fokus Deutschlands auf die jüdische Geschichte kann man sprechen, weil das Museum erstmals seit 1945 eine andere Sicht auf die jüdische Geschichte zeigt, insofern die Shoah als ein Kapitel in einer langen Zeitspanne dargestellt ist und die Rolle der Juden nicht auf die der Opfer beschränkt ist. Im Übrigen kommt dem Haus als erster überregional ausgerichteter derartiger Einrichtung in Deutschland Bedeutung nicht allein als historisches Museum zu, sondern als Ort der zukünftigen Annäherung, der Toleranz lehrt im Zusammenleben verschiedener Bevölkerungsgruppen. An diesem hohen Anspruch muss sich die Ausstellung messen lassen.

Neue Zürcher Zeitung, Sa., 2001.09.15



verknüpfte Bauwerke
Jüdisches Museum

17. Juli 2001Claudia Schwartz
Neue Zürcher Zeitung

Neues Raumgefühl durch Kuhperspektive

Der Architekt Hugo Häring in einer Berliner Ausstellung

Der Architekt Hugo Häring in einer Berliner Ausstellung

In den zwanziger Jahren gehörte Hugo Häring (1882-1958) neben Ludwig Mies van der Rohe, Walter Gropius, Erich Mendelsohn, Martin Wagner, Bruno Taut und Hans Scharoun zur Avantgarde der deutschen Architekten und blieb unter ihnen doch der grosse Unbekannte. Der gebürtige Schwabe liess sich 1921 in Berlin nieder, wo er in der Folge an einer Reihe von wichtigen Projekten beteiligt war. Unter anderem schuf er neben Bruno Taut und Rudolf von Salvisberg einen Abschnitt der Waldsiedlung «Onkel Toms Hütte» (Berlin-Zehlendorf, 1926-31), die zum berühmten Beispiel eines im Stil der Neuen Sachlichkeit gehaltenen sozialen Siedlungsbaus wurde.

Theoretiker und moderner Mitstreiter
Häring begründete mit Mies und anderen die Architektenvereinigung «Der Ring», eine Art Sezession deutscher Architekten, die der modernen Bewegung im Land zu einem gemeinsamen Auftritt des «neuen Bauens» verhelfen wollte. Häring nahm an den massgeblichen städtebaulichen Diskussionen im Berlin der zwanziger Jahre teil. Sein bestechender, expressionistisch angehauchter Wettbewerbsentwurf für ein Hochhaus an der Friedrichstrasse (1922) gibt vielleicht am schönsten seine Vorstellung eines bewegten, irrational aus sich heraus entwickelten Raumes wieder; der Entwurf blieb unrealisiert. Häring war zeitlebens auch Theoretiker. Obschon er sein Hauptwerk, «Die Ausbildung des Geistes zur Arbeit an der Gestalt», nie publizieren konnte, war er mit der ästhetischen und architektonischen Diskussion seiner Zeit eng verbunden. Im Gegensatz zum künstlerischen Stilwillen seines Kollegen Peter Behrens forderte er die Zurücknahme der individuellen Handschrift beim Entwurf und propagierte eine Berücksichtigung der unterschiedlichsten Gestaltungskräfte. Darin liegt wohl auch der Grund für die schwer zu erfassende Heterogenität von Härings Werk.

Es ist das Verdienst einer Ausstellung in der Akademie der Künste in Berlin, Leben und Werk des Architekten in sorgfältiger Aufarbeitung des umfassenden Nachlasses vorzustellen und die historischen Bezüge herauszuarbeiten. Die Schau folgt wie ihr etwas nüchterner Titel «Hugo Häring - Architekt des Neuen Bauens» dem streng klassischen Aufbau einer Werkmonographie. Sie geht aus von den ästhetischen Vorbildern des Architekten, die den dynamisierten Begriff des Raums zum Thema machten: Auguste Rodins Plastik oder Ewald Matarés Biomorphismus. Dabei erschliesst die kritische Aufarbeitung nicht nur die spezifisch romantischen Wurzeln der Moderne in Deutschland. Sie macht auch die Problematik einer Überhöhung von Begriffen wie «organisch», «Volk» und «Rasse» deutlich, mit denen die Kunsttheorie jener Zeit auch arbeitete.

Häring setzte Le Corbusiers und Gropius' «Wohnmaschine» und der weissen Geometrie der klassischen Moderne seine Idee des organischen Bauens entgegen, wobei er erklärtermassen «gegen das Prinzip Le Corbusier», nicht aber «gegen Le Corbusier» war. Das entspricht der heutigen Rezeption, der sich im Vergleich von «organhaftem Bauen» des einen mit der «architecture moderne» des anderen am Ende mehr Gemeinsamkeiten als Gegensätze aufdrängen. So finden beide Richtungen ihren Antrieb im Bestreben, jenseits der historisierenden Architektur des 19. Jahrhunderts ein eigenes Gestaltungsprinzip zu schaffen. Auch bauten sie beide auf die Funktion. Hinsichtlich ihrer ästhetischen Werte lagen sie freilich in unversöhnlichem Wettstreit.

Die beste Form im Stall
Häring suchte einen Weg, wenn man so will, zurück zur Natur: Sie sollte den Bauten ähnlich wie Pflanzen ihre Form zuweisen. Die Kunst musste sich umgekehrt in der Natur ihren Raum schaffen. So mystisch dieses baukünstlerische Bestreben klingt, so funktionalistisch gab es sich in der konkreten Umsetzung. Härings architektonisches Meisterwerk, die Gutsanlage Garkau (1922-1926) in Ostholstein, bettet sich harmonisch in die Landschaft ein und verbindet die Silos in perfekter Automatisierung mit dem Stall, so dass das Futter den Kühen von oben direkt vor die Nase serviert wurde. Wobei das Stallgebäude mit auskragenden Stützen und geschwungenen Decken in seiner Konstruktion tatsächlich organhaft anmutet, wie eine vermutlich El Lissitzky zuzuschreibende Fotomontage (1927) in Nachempfindung der Kuhperspektive zeigt. In einer Hommage an den berühmten Stall hängen in der Akademie der Künste Skizzen und Zeichnungen aufgespannt in schwebenden, im geselligen Gegenüber angeordneten Eisenkonstruktionen.

Häring entzerrte den Grundriss vom traditionellen Achsenraster und liess die Räume wuchern wie die Kartoffeln an einer Staude. Vom strengen Dreieck der Dachkonstruktion hielt er nichts und gestattete ihr ein Eigenleben in der Biegung der Form. Allerdings blieb der Verfechter der fliessenden Gestalt am Ende mehr der Tradition verhaftet als seine Zeitgenossen, die ihn mit kompromissloseren und radikaleren Ausführungen am Ende überflügelten. Das mag ein Grund dafür sein, warum Scharouns Berliner Philharmonie als Inbegriff des organischen Bauens ins allgemeine Bewusstsein eingegangen ist, während Härings Gut Garkau nur Kennern der Architekturgeschichte ein Begriff ist. Die sonst vorbildliche Schau zitiert zwar Scharouns Philharmonie herbei, den eingehenderen Vergleich bleibt sie allerdings schuldig.


[Bis 5. August. Zur Ausstellung erscheint im Juli ein Katalog mit kritischem Werkverzeichnis. Matthias Schirren: Hugo Häring. Architekt des Neuen Bauens. Hatje-Cantz-Verlag, Ostfildern 2001. 352 S. Fr. 133.- (in der Ausstellung DM 65.-).]

Neue Zürcher Zeitung, Di., 2001.07.17



verknüpfte Akteure
Häring Hugo

05. Juni 2001Claudia Schwartz
Neue Zürcher Zeitung

Die Angst des Architekten vor der Bedeutung

Das neue Bundeskanzleramt in Berlin übt die Leichtigkeit der Staatsform

Das neue Bundeskanzleramt in Berlin übt die Leichtigkeit der Staatsform

Das Berliner Bundeskanzleramt wurde in den vergangenen Jahren neben dem Reichstag zum Ausdruck für die politische Identität des wiedervereinigten Deutschland. Den im Spreebogen heranwachsenden Neubau erhob das Land zum Gradmesser für die demokratische Gesinnung der Berliner Republik. Die Architektur von Axel Schultes und Charlotte Frank unterwandert die eigene Symbolkraft, indem sie auf Repräsentation setzt, die staatstragende Geste aber mit südlicher Anmutung unterläuft.

Von welcher Seite man das neue Bundeskanzleramt (vgl. NZZ vom 3. 5. 01) im Berliner Spreebogen auch in den Blick nimmt, es bietet eine neue Ansicht. Der nördliche Verwaltungstrakt dient als Zugangsbereich, verweigert aber den freundlichen Empfang, eine Tür für jene, die wissen, dass sich das Haus - im Gegensatz zu seinem äusseren Erscheinungsbild - drinnen leicht und heiter gibt. Den Eingang für die Angestellten des Kanzleramts oder die schluchtartige Durchfahrt zum Ehrenhof für Staatslimousinen würde man kaum bemerken, stünde da nicht ein Kontrollposten, der die rheinische Betulichkeit des Pförtnerhäuschens mit der preussischen Strenge eines Wachkommandos getauscht hat. Dahinter baut sich der rund zweihundert Meter lange und achtzehn Meter hohe nördliche Büroriegel auf, dessen gläserne Einschnitte die Raumstruktur mit den haushohen Wintergärten offenlegen, seine hermetische Haltung aber nicht wirklich aufbrechen. In Form der beiden Verwaltungsriegel hat man etwas von der Beamtensprache der Bonner Regierungsgebäude nach Berlin herübergerettet. Allerdings nicht mit der Ironie eines Zitates, sondern mit der Anstrengung, die den Konflikt der Baustile zwischen der Bonner und der Berliner Republik hochstemmt.


Unter Ideologieverdacht

In den vergangenen Monaten, in denen der Gebäudekomplex neben seinen vieldiskutierten räumlichen Ausmassen allmählich Gestalt annahm, wurde deutlich, dass die Architektur es darauf anlegt, sich selbst zu unterlaufen. So gesehen mag es kein Zufall sein, dass ausgerechnet Axel Schultes gemeinsam mit Charlotte Frank in Berlin die beiden Wettbewerbe für das städtebauliche Konzept des Spreebogens (1993) und für das Kanzleramt (1995) für sich entschieden hat. Schultes, der gebürtige Dresdner, war mit dem Bonner Kontext vertraut, hatte er doch für die Stadt - ebenfalls im Auftrag des Bundes - das Kunstmuseum entworfen.

Die Baukulturen am Rhein und an der Spree sind einander denkbar fremd, aber sie zeugen beide von Sensibilität, was die politische Symbolgebung vor dem Hintergrund deutscher Geschichte anbelangt. Wo sich in Bonn die bundesdeutsche Nachkriegsgesellschaft mit einem provisorischen Durchgangsquartier in gläserner Transparenz übte, hüllt sich die Berliner Republik in Stein, um ihn zu kneten, zu verformen und seine Tiefenschichten nach aussen zu kehren. Je mehr das neue Bundeskanzleramt in seiner dreijährigen Entstehungszeit in die Höhe wuchs, umso durchlässiger erschien es. Damit entsprach der Bau zunehmend einem Verdikt von Günter Behnisch, dem Architekten des Münchner Olympiastadions und des Bonner Plenargebäudes, wonach demokratisches Bauen «nicht unbedingt recht haben» will und vor allem «für Veränderung in sich selbst» offen sein muss. Das Berliner Architektenteam Axel Schultes und Charlotte Frank hat die Losung beim neuen Kanzleramt vor allem in seinem Inneren bis zur Überspanntheit umgesetzt. Die Baukunst entzieht sich, wo immer man sie zu fassen versucht. Dabei ist Schultes klug genug, die Unvereinbarkeiten seiner «Palme am Nordseestrand» so stimmungsvoll auszumalen, dass man denkt, das müsse alles so sein.

Die heutige Gestalt des Regierungsviertels wird nur verständlich im Kontext des Hauptstadtbeschlusses nach der Wiedervereinigung. Die im Spreebogen entstandene Architektur ist vielleicht wie nichts anderes, was seit der Wende in Berlin gebaut worden ist, ein Ausdruck der damaligen Diskussionen um die zukünftige Gestalt der deutschen Hauptstadt als neuerlichen Sitzes von Parlament und Regierung.

Gegenüber Berlins historischem Baukörper, der an die unliebsame deutsche Geschichte erinnerte, sollte bei den Neubauten eine Staatsarchitektur entstehen, die dem demokratischen Bewusstsein Ausdruck verlieh und gleichzeitig den gemeinsamen nationalen Willen des wiedervereinigten Landes repräsentierte. Damit stand die Architektur von Anfang an unter Ideologieverdacht. Die heranwachsenden Bundesbauten wurden zum Massstab für das Selbstverständnis der Berliner Republik. Staat zeigen, ohne national aufzutrumpfen, lautete die Devise.

Schultes, der um diese Aufgabe nicht zu beneiden war, rüstete sich mit dem Schwärmertum des Romantikers: Der «Bonner Ausdrucksschwäche», so der Architekt, müsse man «republikeigenen Enthusiasmus entgegenstellen». Die Vorbilder für sein westöstliches Staatsgebilde fand er in sicherer Entfernung: Riesige halbkreisförmige Öffnungen am «Leitungsgebäude», im Berliner Volksmund schon in der Projektphase als «Kanzleraugen» beargwöhnt, erinnern an Louis Kahns Parlamentsgebäude in Dhaka, der Hauptstadt von Bangladesh. Denkt der Kanzler an Deutschland in der Nacht, umwehen ihn die Winde wie im Palast der vierzig Säulen von Ali Quapu in Isfahan.


Die Würdeform des Blumentrogs

Berlin bedingte andere Dimensionen als das historisch vergleichsweise unbelastete Bonn. Zwar gibt es auch hier viel Glas, allerdings ist es nicht mehr eingespannt in filigrane Tragkonstruktionen, sondern eingelassen in grossflächigen Naturstein. Deutschland wollte sich nach der Zurückhaltung der Bonner Zeit als normale Macht geben und «dem Volk Staat zeigen». Schultes jedoch schrieb seinem Projekt von Anfang an die Subversion ein. Insofern war Behnischs Bundestag am Rhein charakterstark genug, der nun wieder repräsentationswilligen politischen Architektur an der Spree den Weg zu weisen, zumindest, was den Umgang mit der eigenen Symbolkraft anbelangte. Nirgends wird das so deutlich wie an den beiden Schaufassaden des zentralen Leitungsgebäudes, das die Konferenz- und Kabinettssäle, die Büros des Kanzlers und seiner engsten Mitarbeiter sowie die Kanzlerwohnung aufnimmt. Im sogenannten östlichen Ehrenhof, wo die Staatsgäste vorfahren, bedienen sich die Architekten zwar der Würdeform der Säule, lassen sie aber organisch zerfliessen und versetzen sie durch Bepflanzung mit Felsenbirnen in die profane Funktion eines Blumentrogs. Manche Stelen tanzen aus der Reihe und verweigern die staatstragende Parade, während geschwungene Grasflächen unter der eisernen Sicherheitsabschrankung hindurch in die Umgebung des Spreebogens mäandern.

Das in zwei Teilen horizontal übereinander geschichtete Leitungsgebäude sieht aus wie eine beiläufig hingestellte Kartonschachtel, der man mit der Schere zu Leibe gerückt ist. Als hätte einer testen wollen, wie viel tragende Wände sich entfernen lassen, ohne dass das Ganze in sich zusammenfällt. Durch diese Öffnung entwickelt das Gebäude einen Sog nach innen. Solche Details finden sich bis in die kleinsten Ecken. Schultes versucht überall, Repräsentation zu erreichen, ohne Staat zu machen. Gleichzeitig stellt sich sein Haus den massiven Herausforderungen des Berliner Umfelds mit der benachbarten wilhelminischen Protzarchitektur des Reichstages, dem hochfliegenden Investorenpark am Potsdamer Platz und dem heranwachsenden Lehrter Stadtbahnhof. Die noch unter Helmut Kohl geplante Regierungszentrale musste wiedererkennbar sein, ohne sich in Bedeutung hochzuschrauben. Der Architekt löst das mit einem Haus, in dem alles wallt und wogt, das in Bewegung bleibt und das sich der Festschreibung entzieht.

Staatsgäste betreten das über zweieinhalb Geschosse reichende Foyer des Leitungsgebäudes vom Ehrenhof her und werden von einer weit geschwungenen Treppe emporgeholt zur Ebene des internationalen Konferenzsaals, während ihnen die Decke wellenförmig entgegenkommt. Das verleiht den Verkehrsflächen Schwung, im Kanzlerbüro wiegt es eher schwer. Allerdings bringen die Deckenwellen den weiten Raum, der in atemraubenden Ausblicken mit der darunter liegenden Stadtkulisse zu verschmelzen scheint, auf ein menschliches Mass. Da muss selbst das Haupt einer Kanzlerdemokratie ein Einsehen haben.


Villa am Wasser

Die anmutige Seite des Hauses, wenn man so will, ist nach Nordwesten ausgerichtet, zum Fluss hin, wo höchstens Bootstouristen vorbeikommen. Von hier erscheint das Bundeskanzleramt wie ein grosses, gestrandetes Schiff. Eine Villa am Wasser, Deutschland privat: lauschig gelegen mit Garten, hohen Loggien, luftig auskragenden Gesimsen und perforierten Vordächern. Wie in dem an der östlichen Schaufassade gelegenen Ehrenhof findet man hoch aufschiessende Säulen. Sie staksen in den Kanzlergarten hinein und stehlen sich in Richtung Fluss davon. Vielleicht sollte man das Gebäude überhaupt von dieser Seite her lesen. Der Bau nimmt die Bewegung des Wassers mit ins Innere. Alles fliesst - durch das Gebäude hindurch und über Ausblicke, Terrassen und Loggien ganz selbstverständlich wieder hinaus.

Der Rundgang bringt eine Flut von Eindrücken, sich verengenden oder erweiternden Perspektiven, Blickwechseln, Ausblicken. Man schwebt über Galerien an haushohen Wintergärten mit wechselnden Bepflanzungen vorbei, man erreicht über konvexe und konkave Treppen eine «Sky-Lobby» und ist plötzlich dem Himmel nah. Die Ausstattung liefert in ihrer Beschränkung auf weniges - künstlich orangerot gebeiztes Buchenholz, einige Lampenmodelle, Auslegeware in schäumendem Meergrün - den ruhigen Rahmen, der alles zusammenhält. Die sperrigen Verwaltungstrakte, die dem Komplex von der Seite das Aussehen eines Flugzeugträgers verleihen, ordnen die Büros um riesige Lichthöfe zu überschaubaren Gruppen. Sie lassen sich durch flügelige Lamellentüren grossräumig verbinden.

Der inszenatorische Wille, der auch andere Gebäude von Axel Schultes wie das Bonner Kunstmuseum und das Krematorium in Berlin-Treptow kennzeichnet, die flächigen Wände und Raumlandschaften bleiben beim Kanzleramt merkwürdig unbeseelt. Nur einmal ist der Architekt der eigenen Dialektik abhold und macht die Probe aufs Exempel: Im «Infosaal» tritt der Kanzler nicht einfach an zur Pressekonferenz, sondern schreitet, als käme er von einer rückwärts gelegenen Kommandobrücke her, auf einem Steg über den Köpfen der Journalisten nach vorn, verschwindet hinter einer vorgehängten Wand mit unsichtbarer Treppe und erscheint unmittelbar vor der versammelten Zuhörerschaft wieder. Dieses Staatstheater hat dem Gebäude schon zu dem zweifelhaften Kompliment des ersten «Bauwerks der Mediendemokratie» verholfen. Man sollte es nicht zu ernst nehmen und dem Architekten, dem die «deutsche Krankheit Angst» noch heute im Nacken sitzt, wenn er durchs Gebäude führt, das kleine Schauspiel gönnen.


Mit dem Tiergarten zusammenwachsen

Dem Bundeskanzleramt als zukünftigem Sitz des deutschen Regierungschefs schlug, beim Stadium der Planungen angefangen, ein Misstrauen entgegen, als würde hier ein byzantinisches Machtzentrum entstehen und nicht das Haus einer zivilen, demokratischen Republik auf dem Weg ins 21. Jahrhundert. Kein anderer Bau des Nachwende-Berlin wurde im Laufe seiner Genese so argwöhnisch vermessen: Zentimeter um Zentimeter überprüfte man die heranwachsende Architektur auf ihre Gesinnung. Die Entstehungsgeschichte und die heutige Gestalt des Hauses sind nur zu verstehen vor dem Hintergrund der Bundestagsdebatte zum sogenannten Hauptstadtbeschluss im Sommer 1991. Er bildete das Grundgerüst für den Ausbau der Kapitale, den man mit dem Attribut «Vollendung der Einheit Deutschlands» überhöhte. Die Hauptstadtplanung diente fortan der politischen Identitätsbildung. Mit ihrem Gestaltungskonzept, einer Art Masterplan für das Regierungsviertel, trafen Axel Schultes und Charlotte Frank den damaligen Zeitgeist. Sie reihten die Bauten für Parlament und Regierung als «Band des Bundes» in zweifachem Sprung über die Spree und über den ehemaligen Mauerstreifen hinweg von Westen nach Osten. Das Zeichen der Einheit avancierte mit seltener Einstimmigkeit unter mehr als 800 Teilnehmern zum Favoriten.

Dass die Gebäudekette den einstigen «Germania»-Planungen von Hitlers Architekt Speer in Form einer Nord-Süd-Achse gegen den Strich lief, hatte damals weniger Bedeutung, als mancher heute gerne betont, zumal die Idee der Nord-Süd-Achse schon auf Schinkel und Lenné zurückgeht. Um die städtebauliche Verträglichkeit des eineinhalb Kilometer langen Riegels kümmerte man sich nicht. Das «Band des Bundes» hätte zwar eine Brücke von Ost nach West geschlagen, gleichzeitig aber dem Norden wie dem Süden einen Riegel vorgeschoben, die anmutige Biegung des Flusses zerlegt und das letzte Haus des im Krieg zerstörten Alsenviertels, das von Diener & Diener erweiterte Gebäude der Schweizer Botschaft, ins Abseits gestellt.


Heiterkeit nach Deutschland bringen

Das Bürgerforum zwischen Paul-Löbe-Haus im Osten und Kanzleramt im Westen fiel aus Spargründen weg, und das «Band des Bundes» ist in der Zwischenzeit gottlob zerrissen. Die beiden Grosskomplexe stehen heute jeder für sich, ohne eine übergreifende Einheit zu bilden. Das nimmt den Bauten etwas die kolossale Wirkung. Am auffallendsten wirkt sich das Auseinanderbrechen des städtebaulichen Konzeptes beim Bundeskanzleramt aus. Schultes, von dem beide Entwürfe stammen, hat das «Band des Bundes» und den Entwurf für den Sitz des Kanzlers so aufeinander bezogen, dass die Gestalt des Einzelbaus ohne den Kontext der Gebäudekette seine Plausibilität verliert. Zudem nimmt das Haus eine gewaltige Form an, die es in Nachbarschaft des Bürgerforums nicht gehabt hätte. Das Kanzleramt präsentiert sich heute in drei untereinander schwer zu vereinbarenden Teilen - dem Leitungsgebäude und zwei Büroriegeln, auf denen das Erste geparkt ist wie auf Schienen. Die Leitplankenform der Verwaltungstrakte erklärt sich nur im Wissen um ihre ursprünglich geplante Verlängerung durch das «Band des Bundes». Hier zeigt sich auch die Banalität des damaligen städtebaulichen Entwurfs, der in Einheitsverblendung den einzelnen Gebäuden seine lapidare politische Symbolik überstülpte. Dennoch muss man heute um die Bruchstückhaftigkeit des Ergebnisses froh sein, schwächt sie doch die Wucht des voluminösen Komplexes ab. Am schönsten hat sich die Idee der Ost-West-Bindung in Stephan Braunfels' Parlamentariergebäude erhalten, das von aussen wie ein sparriges Ungetüm wirkt. Im Innern führt eine gläserne Raumlandschaft einfach mitten durch das Gebäude hindurch, die Wandelhalle entfaltet eine Weite vom Bundeskanzleramt bis ans andere Spreeufer nach Mitte.

Heute sind Reichstag, Kanzleramt und das Paul-Löbe-Haus Solitäre ohne städtebaulichen Bezug. Obschon Axel Schultes nicht davon ablässt, das Bruchstückhafte des Ganzen zu beklagen, gereicht dem Regierungsviertel sein fragmentarischer, leicht improvisierter Charakter zum Vorteil. Die Sorge, dass sich hier eine neudeutsche Grossmannssucht zur Darstellung bringt, kann man getrost ablegen.

Städtebaulich ist der Spreebogen immer noch ein zugiges Gelände ohne urbanen Charakter. Ein lebendiges, dichtes Stadtviertel wie einst wird die Gegend nicht mehr werden. Aber sie wird wieder mit dem Tiergarten zusammenwachsen, zu dem die einst bewaldete Gegend in der Biegung des Flusses gehörte. Die Schüler Schinkels, Ludwig Persius und Johann Heinrich Strack, entwarfen gegen Mitte des 19. Jahrhunderts zwei spätklassizistische villenartige Bauten, die weit schwingend und ausgreifend waren und landschaftsgestaltend wirken sollten wie die Architektur in Sanssouci, dem Arkadien Preussens. Damals wie heute wollte die Architektur die Heiterkeit nach Deutschland bringen. Der Tiergarten wächst nun allmählich wieder in den Spreebogen hinein, Strauch um Strauch, wie Lenné es sich einst ausgedacht hat, und heran an die einsamen Riesen, die hier stehen. Ihre jetzt noch unverhältnismässige Erscheinung wird sich mit den Jahren relativieren, und das Regierungsviertel wird sich mit seiner Umgebung verbinden. Ganz demokratisch. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Neue Zürcher Zeitung, Di., 2001.06.05



verknüpfte Bauwerke
Kanzleramt

12. Juli 2000Claudia Schwartz
Neue Zürcher Zeitung

Flying Museum

Berlin ist nicht gerade arm an Kunsttempeln, gleichwohl scheint die oft wegen ihres mangelnden Chics gehänselte Stadt auf ein Design- Museum gewartet zu...

Berlin ist nicht gerade arm an Kunsttempeln, gleichwohl scheint die oft wegen ihres mangelnden Chics gehänselte Stadt auf ein Design- Museum gewartet zu...

Berlin ist nicht gerade arm an Kunsttempeln, gleichwohl scheint die oft wegen ihres mangelnden Chics gehänselte Stadt auf ein Design- Museum gewartet zu haben. Die neu eröffnete Dépendance des Vitra-Design-Museums im Berliner In-Bezirk Prenzlauer Berg jedenfalls erfreute sich vom ersten Tag an eines Publikumsansturms. Das liegt freilich auch am Trendwert des (klug gewählten) Auftaktes mit der bereits im Stammhaus in Weil am Rhein mit Erfolg präsentierten Verner-Panton-Ausstellung (NZZ 12. 2. 00).

Die in psychedelischen Farben eingeplüschten Wohnlandschaften, die seltsame Mischung aus Verführung und Plasticästhetik des «Panton- Stuhls» (1967), die Forderung nach immer neuen Perspektiven bei den «Flying Chairs»: All das scheint den Anhängern der Retrowelle entgegenzukommen. Sie finden im dänischen Designer Verner Panton (1926-98) offenbar eine Kultfigur - den entzückten «Ahs» und «Ohs» nach zu schliessen, die einem in der ästhetisch inszenierten Schau allenthalben begleiten. Gleichwohl begnügt sich die Ausstellung nicht mit dem Effekt, der dem gestalterischen Werk innewohnt. Die umfassende Schau, ergänzt durch eine ausführliche Monographie, illustriert vielmehr in vorbildlicher Dokumentation Panton zwischen «historischer Bedeutung und Aktualität» (Kurator Mathias Remmele). Die Basler Firma Vitra hat mit ihrer ersten Zweigstelle im ehemaligen Abspannwerk «Humboldt» den Berlinern ein Begegnungsort mit Flair eingerichtet. Wenngleich der schmale Grundriss des langen Backsteinbaus durchaus seine Tücken hat, wie die verwinkelte Wohnnischen-Innenarchitektur dieser Ausstellung deutlich macht, indem sie das Aufkommen jeglichen Raumgefühls verhindert.

[ Ausstellung bis 15. Oktober. Katalog: Verner Panton. Das Gesamtwerk. Hrsg. Alexander von Vegesack und Mathias Remmele. Verlag Vitra-Design-Museum, Weil am Rhein 2000. 383 S., inkl. CD-ROM, Fr. 89.- (in der Ausstellung DM 58.-). ]

Neue Zürcher Zeitung, Mi., 2000.07.12

10. Juli 2000Claudia Schwartz
Neue Zürcher Zeitung

Entschieden

In Berlin hat man sich auf Form und Inhalt des «Ortes der Information» geeinigt, der nach einem Beschluss des Deutschen Bundestags das zentrale Denkmal für die ermordeten Juden Europas ergänzen soll. Bundestagspräsident und Stiftungsvorsitzender Wolfgang Thierse sprach vor der Presse von einer «wegweisenden Entscheidung».

In Berlin hat man sich auf Form und Inhalt des «Ortes der Information» geeinigt, der nach einem Beschluss des Deutschen Bundestags das zentrale Denkmal für die ermordeten Juden Europas ergänzen soll. Bundestagspräsident und Stiftungsvorsitzender Wolfgang Thierse sprach vor der Presse von einer «wegweisenden Entscheidung».

Das Kuratorium hat am Ende überraschend schnell und einstimmig die Realisierung des seit einiger Zeit kontrovers debattierten unterirdischen Projektes des Architekten Peter Eisenman beschlossen, das die didaktische Erweiterung zu Eisenmans Mahnmalsentwurf bilden soll (vgl. NZZ, 10. 6. 00). Mit der unterirdischen Variante wählte man jene Lösung, welche die künstlerische Aussage des mit 2700 Betonstelen bestückten Erinnerungsortes nicht relativiert: das Mahnmal als Ort der Kontemplation wird in seiner Erscheinung nicht beeinträchtigt, wie das bei einem oberirdischen Gebäude der Fall gewesen wäre. Damit ist das Informationszentrum klar dem Denkmal untergeordnet, nachdem die geplante Infothek in der Diskussion inzwischen zu einem nationalen Holocaust-Museum angewachsen war.

Das eine Fläche von 800 Quadratmetern umfassende Informationszentrum soll an der südöstlichen Ecke des Mahnmalsgeländes liegen, so dass von Reichstag und Brandenburger Tor her kommende Besucher erst das Stelenfeld durchqueren müssen, um dann über eine Treppe dort hinabzusteigen. Eisenmans Projekt schafft eine Verbindung von Denkmal und Infozentrum, indem einzelne Stelen die Decke der unterirdischen Halle durchbrechen. Noch nicht sehr differenziert präsentiert sich hingegen das inhaltliche Konzept. Zum «Ort der Information» sollen vier Räume gehören: ein «Raum der Stille» mit Grundinformationen über die nationalsozialistischen Verbrechen; weiter sollen ein «Raum der Schicksale», ein «Raum der Namen» und ein «Raum der Orte» einzelne Biographien, alle bisher bekannt gewordenen Namen der Opfer sowie die europäische Topographie der Vernichtung dokumentieren. Zudem will man hier eine Art Portal schaffen zur Berliner Erinnerungslandschaft mit dem Hinweis auf weitere Gedenkstätten und authentische Orte wie die Topographie des Terrors, das Haus der Wannseekonferenz oder das ehemalige Konzentrationslager Sachsenhausen.

Für den Ergänzungsbau sollen maximal 20 Millionen Mark aufgewendet werden, während die Kosten für das ursprünglich auf 15 Millionen Mark veranschlagte Mahnmal weiterhin unklar sind. Der Bund habe dafür die Verantwortung übernommen, und dabei bleibe es, erklärte Thierse. Damit sollte dem für 2001 geplanten Baubeginn nichts im Wege stehen, wenngleich Thierse keine Prognosen bezüglich der zeitlichen Fertigstellung machen wollte.

Neue Zürcher Zeitung, Mo., 2000.07.10



verknüpfte Bauwerke
Holocaust Mahnmal

27. Juni 2000Claudia Schwartz
Neue Zürcher Zeitung

Durch die Zeiten

Es gab im nationalsozialistischen Deutschland auch einen Bilderkanon jenseits von Hakenkreuzen und Allmachtsphantasien: Die Ausstellung «Die nützliche...

Es gab im nationalsozialistischen Deutschland auch einen Bilderkanon jenseits von Hakenkreuzen und Allmachtsphantasien: Die Ausstellung «Die nützliche...

Es gab im nationalsozialistischen Deutschland auch einen Bilderkanon jenseits von Hakenkreuzen und Allmachtsphantasien: Die Ausstellung «Die nützliche Moderne» im Westfälischen Landesmuseum will die Kontinuitäten bei Graphik- und Produktdesign von den dreissiger bis in die fünfziger Jahre illustrieren. Der reiche Fundus vorwiegend an Plakaten macht die Sonderrolle der Gebrauchskünste deutlich, die zum Teil unberührt von den politischen Brüchen blieben. Das ästhetische Fortleben der Moderne im Nationalsozialismus verdankt sich allerdings weniger einer oppositionellen Haltung der Designer. Es rührte vielmehr von einer erstaunlichen Zurückhaltung der Diktatur gegenüber der Produktgestaltung für alltägliche Lebenssphären. Nach 1937 eignete sich das Regime freilich ästhetische Prinzipien des ideologischen Feindes an, wie sich am Beispiel des Bauhauses zeigt, in dessen Tradition Werbung, Graphik und Produktdesign jener Zeit standen.

Das Verdienst der Ausstellung liegt in ihrem umfassenden Überblick von der Weimarer Republik bis in die Nachkriegszeit: Erstmals ist nach der deutschen Wiedervereinigung ein ausführlicher Vergleich des gestalterischen Schaffens von BRD und DDR möglich. Die Macht der Gewohnheit schlug sich in den bunten Bilderwelten der «verbissenen Zwangserben» (Jürgen Krause) noch in den fünfziger Jahren in vielen Gemeinsamkeiten nieder. So reich an Material die Schau auch ist, so wenig macht sie ihre Auswahlkriterien deutlich. Je länger man die dicht gehängten Plakate studiert, umso problematischer erscheint denn die Entscheidung der Ausstellungsmacher, auf erklärenden Text, und damit: Kontext, zu verzichten. Unbefriedigend wirkt das spätestens bei «Karrieren» wie derjenigen des ehemaligen Bauhaus-Meisters Herbert Bayer und der Propagandaarbeit seines Werbestudios für die neuen Herren. Wer wirklich etwas erfahren möchte, dem sei der differenzierte Katalog empfohlen.


[ Die Ausstellung im Westfälischen Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte, Münster, dauert bis zum 16. Juli. Katalog DM 38.-. ]

Neue Zürcher Zeitung, Di., 2000.06.27

10. Juni 2000Claudia Schwartz
Neue Zürcher Zeitung

Erinnerungspolitik einer Hauptstadt

Nach der Wende sah das wiedervereinigte Berlin nach vorn. Zur neuen Perspektive gehörte aber auch der Rückblick auf die nationalsozialistische Vergangenheit....

Nach der Wende sah das wiedervereinigte Berlin nach vorn. Zur neuen Perspektive gehörte aber auch der Rückblick auf die nationalsozialistische Vergangenheit....

Nach der Wende sah das wiedervereinigte Berlin nach vorn. Zur neuen Perspektive gehörte aber auch der Rückblick auf die nationalsozialistische Vergangenheit. Die hatte man im alten West- wie Ostberlin, wo sich die ideologische Energie auf die Bekämpfung des jeweiligen Feindes jenseits der Mauer konzentrierte, gern ausgeblendet. Nach 1989, als alles möglich schien, plante man für die neue Hauptstadt drei zentrale Einrichtungen wider das Vergessen: das Jüdische Museum, das Holocaust-Mahnmal und das Dokumentationszentrum «Topographie des Terrors». Alle drei gehen auf private Initiativen zurück. Die politischen Wege waren mühsam, die Debatten heftig. Man schrieb Wettbewerbe aus und erkor drei Architekten.


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Die neue Hauptstadt ist mittlerweile «in Betrieb», die Regierungsbauten im Spreebogen sind herangewachsen, und am Potsdamer Platz zieht ein gläsernes, historisch unbelastetes Viertel die Blicke auf sich. Nur die Erinnerung gestaltet sich zögerlich. Das Jüdische Museum steht immer noch leer. Auf dem vorgesehenen Gelände für das Mahnmal am Brandenburger Tor verkündet eine Tafel den «Baubeginn im Jahr 2001». Die Arbeit der Stiftung «Topographie des Terrors» verharrt im provisorischen Zustand einer kleinen Open- Air-Ausstellung gegenüber dem Berliner Landtag.

Der Amerikaner James E. Young wies einmal darauf hin, dass das erfolgreichste deutsche Holocaust-Mahnmal wohl die «fortdauernde und unabgeschlossene Diskussion» sei. Der nun durch eine Krise der «Topographie» ausgebrochene Streit dürfte freilich kaum im Sinne des Judaistikwissenschafters sein: Es geht nicht um die Frage nach den «Formen des Erinnerns». Zur Debatte stehen vielmehr die Kosten.

Angefangen hatte es vor eineinhalb Jahren am Tag der Eröffnung von Daniel Libeskinds Bau für das Jüdische Museum in Berlin-Kreuzberg. Zur gleichen Zeit präsentierte in Bonn Kulturstaatssekretär Michael Naumann sein neu um ein «Haus der Information» erweitertes Projekt eines «Mahnmals für die Ermordung der europäischen Juden» («Eisenman III» mit Museum, Bibliothek und Archiv). Der Bundestag stimmte für die kleinere «Eisenman II»-Lösung plus bescheidenen Annex («Ort der Information»). Die damalige leise Irritation über solche Doppelspurigkeit ist mittlerweile in eine peinliche Konkurrenz der drei geographisch unweit voneinander gelegenen Gedächtnisorte umgeschlagen.

Der Stand der Dinge scheint seltsam genug. Libeskinds Gebäude ohne Exponate ist mittlerweile seine Symbolik der Leere unfreiwillig zum Programm geworden: Besucher strömen seit Monaten im Stundentakt durchs expressive Haus, dessen architektonischer Ruhm um die Welt geht, während das inhaltliche Konzept vage bleibt. Die Eröffnung des ersten Teils der Dauerausstellung ist vertagt. Der Grund, so munkelt man, liege nicht nur in den durch den ungeahnten Publikumsandrang notwendigen technischen Umbaumassnahmen, sondern in den Schwierigkeiten beim Aufbau einer Sammlung.

Das für das «Mahnmal für die Ermordung der europäischen Juden» vorgesehene Gelände liegt nach zehnjähriger Diskussion und zwei Wettbewerben immer noch brach. Anfang Juli soll dem Stiftungskuratorium das Konzept einer Expertenrunde für den «Ort der Information» vorliegen. In Anbetracht der Schwierigkeiten des Jüdischen Museums, Exponate für seine 4000 Quadratmeter Ausstellungsfläche zusammenzutragen, stellt sich natürlich die Frage nach der Notwendigkeit des umstrittenen Mahnmal-Annexes. Mit der kürzlich vorgestellten Idee einer unterirdischen Lösung für das Informationszentrum trägt das Kuratorium immerhin jener Kritik Rechnung, die in dem Vorhaben einen Ausdruck des Zweifels an der künstlerischen Wirkung des Denkmals sieht. Damit ist aber auch klar, dass die Träger - Bund und Förderverein - die für das Mahnmal veranschlagten Kosten von 25 Millionen Mark insgeheim längst nach oben korrigieren.

Während der Denkmalskomplex sich zum nationalen politischen Prestigeobjekt zu blähen droht, hat das Berliner Parlament den Neubau der Stiftung «Topographie des Terrors» nach einer Kostenexplosion mit einer Sperre der Baumittel belegt. Vom Dokumentationszentrum nach den Plänen des Schweizer Architekten Peter Zumthor gibt es sieben Jahre nach dem Wettbewerbsentscheid und fünf Jahre nach Baubeginn nichts als drei einsam dastehende Treppenhaustürme aus Beton.

Damit befindet sich nun ausgerechnet jene Gedenkstätte in einer existenziellen Krise, die über die meiste Substanz unter den drei grossen in der Berliner Erinnerungslandschaft verfügt. Seit dreizehn Jahren informiert die «Topographie» am authentischen Ort über die während der NS-Zeit hier befindlichen SS- und Gestapo-Machtzentralen und deren Verbrechen. Der Ort steht für die deutsche Schuld, und es macht innerhalb von vier Jahren zum zweiten Mal den Eindruck, als möchte das Berliner Parlament hier eine unliebsame Mahnstätte verhindern. Es ist beschämend, dass der Leiter der Stiftung «Topographie des Terrors», Reinhard Rürup, im Kulturausschuss den «Sinn» seiner Institution nach dreizehn Jahren erklären muss, wie vor Wochen geschehen. Ebenso seltsam mutet es an, dass der Architekt sieben Jahre nach dem Wettbewerbsentscheid, offenbar von der Politik im Stich gelassen, immer noch öffentlich für sein Projekt werben muss.


Schlampereien

Tatsächlich stellt der anspruchsvolle Stabwerksbau aus Beton und Glas in seiner komplizierten Konstruktion hohe bautechnische Anforderungen. In der Erklärung des Arbeitsausschusses der Stiftung heisst es, die Bauverwaltung habe die Probleme des aufwendigen Projektes «nicht rechtzeitig erkannt». Wahr sein dürfte ein anfängliches Schönrechnen des 120 Meter langen Riegels, welches sich inzwischen potenziert durch Schlampereien in der Bauverwaltung und Überforderung der Baufirma. Während dem Hauptausschuss in vier Wochen eine definitive Kostenschätzung vorliegen soll, hat der Berliner Bausenator schon einmal laut über die Trennung vom Architekten nachgedacht. Dies ist nicht nur in Anbetracht der bereits verbauten Mittel Augenwischerei. Zumthor hat ein Projekt entworfen, das die Verbindung von Geschichte und Topographie des Geländes klug bewerkstelligt. Gebäude und Institution sind in der Wahrnehmung mittlerweile fast untrennbar miteinander verschmolzen. Ein Abbruch wäre über die Blamage einer offensichtlich unfähigen lokalen Bauverwaltung hinaus ein politischer Skandal.

Dass die Gestaltungskraft der Architektur bei Gedenkstätten ein wesentliches Argument ist, zeigt die internationale Anziehungskraft von Daniel Libeskinds Jüdischem Museum. Michael Naumann stellte denn auch schon die Integration des Publikumsmagneten in den Rahmen der durch den Bund zu übernehmenden Berliner «Leuchttürme» in Aussicht. Auch als Vater der Idee des Mahnmal-Annexes tritt er gerne auf. Nur zur dramatischen Krise der «Topographie», die an die Täter mahnend erinnern soll, sagt Naumann nichts - und dies, obgleich der Bund anfangs zur Hälfte an dem ursprünglich auf 36 Millionen veranschlagten Projekt beteiligt war. Das Schweigen des Kulturstaatssekretärs trägt jedenfalls nicht zur Beruhigung des Wettstreits der drei Institutionen um Exponate und Programme bei. Es verhindert im Gegenteil eine Absprache über Berührungs- und Überschneidungspunkte.


Identitätssuche

Gedenkstätten, so sagt man, haben als Konstrukte ihrer Zeit nicht nur mit der Vergangenheit zu tun, sondern mit der Gegenwart. Die Krise der Berliner Gedächtniskultur zeugt vom nachhaltigen Erbe der einst geteilten Stadt, in der man NS-Gedenkstätten als «Störfaktoren» empfand. Sie illustriert zudem das seit dem Regierungsumzug besonders schlechte Verhältnis zwischen Bund und dem Land Berlin. Angesichts des Gegenstandes ist es bedrückend, wie sich die Politik zu Rankünen und faulen Kompromissen hinreissen lässt.

Der Streit um die Gedenkstätten war nicht zuletzt ein Merkmal der Identitätssuche des sogenannten «neuen» Berlin. Dieses hat nun freilich längst begonnen. Wenn sich die Dinge nicht bald ändern, wird man sich den Vorwurf gefallen lassen müssen, dass die nicht endende Debatte über das Gedenken an den Holocaust willkommener Ersatz sei «für jede Art von Handlung auf ein solches Gedenken hin» (Young). Es stimmt, dass Berlin zehn Jahre nach der Zusammenführung beider Stadthälften an seine finanziellen Grenzen gelangt ist und sich weitere 25 Millionen für die «Topographie des Terrors» nur schwer leisten kann. Noch weniger leisten kann es sich jedoch den Vorwurf, ausgerechnet die Vergangenheit der Täter zu verdrängen. Richtig ist darüber hinaus, wie Kultursenator Christoph Stölzl kürzlich einmal bemerkte, dass die neue alte Hauptstadt den Nationalsozialismus nicht alleine geerbt hat.

Neue Zürcher Zeitung, Sa., 2000.06.10

15. März 2000Claudia Schwartz
Neue Zürcher Zeitung

Lesen im Lichtwürfel

Das unter Denkmalschutz stehende Haus 1 Unter den Linden der Staatsbibliothek zu Berlin soll im Rahmen der Sanierungsmassnahmen wieder einen Lesesaal erhalten....

Das unter Denkmalschutz stehende Haus 1 Unter den Linden der Staatsbibliothek zu Berlin soll im Rahmen der Sanierungsmassnahmen wieder einen Lesesaal erhalten....

Das unter Denkmalschutz stehende Haus 1 Unter den Linden der Staatsbibliothek zu Berlin soll im Rahmen der Sanierungsmassnahmen wieder einen Lesesaal erhalten. Der berühmte zentrale Kuppelsaal des wilhelminischen Prunkbaus, der nach den Plänen Ernst von Ihnes 1903-14 gebaut worden war, brannte im Zweiten Weltkrieg aus; die Überreste wurden 1975 abgerissen. Seitdem fehlte der Bibliothek nicht nur das Herzstück, auch ihre Funktionalität war auf Grund fehlender Arbeitsplätze nicht gewährleistet. Den Wettbewerb für die Grundinstandsetzung sowie Erweiterung hat nun das Berliner Büro HG Merz für sich entschieden. Der Entwurf des Architekten, der bereits mit der Restaurierung der Alten Nationalgalerie auf der benachbarten Museumsinsel betraut ist, nimmt die historische Idee des Lesesaals als Zentrum des Gebäudes auf. Der Raum ist als hoher, von Büchergalerien umschlossener Lichtkubus gestaltet. 250 Arbeitsplätze und 350 000 Bände im Freihandbestand sollen in Zukunft dafür sorgen, dass Bücher und Leser schnell zusammenkommen. Die Bauarbeiten sollen voraussichtlich 2002 beginnen. Die Kosten werden auf rund 500 Millionen Mark veranschlagt.

Das Haus Unter den Linden beherbergt Deutschlands grössten Bibliotheksbestand mit Erscheinungsjahr vor 1945. Mit seinen Altbeständen und Sonderabteilungen (u. a. Handschriften und Musikalien) wird es nach den Baumassnahmen ganz auf die historische Forschung ausgerichtet sein (vgl. NZZ 15. 12. 98). - Der zweite Wettbewerbspreis ging an die Berliner Architekten Thomas Müller und Ivan Reimann, den dritten Rang teilen sich das Basler Büro Diener & Diener und der Wiener Architekt Adolf Krischanitz. Die Wettbewerbsentwürfe werden noch bis zum 16. März im Haus unter den Linden anhand von Plänen und Modellen präsentiert.

Neue Zürcher Zeitung, Mi., 2000.03.15

29. Januar 2000Claudia Schwartz
Neue Zürcher Zeitung

Die Botschaft der Botschaften

Schon längere Zeit ragte am südlichen Rand des Tiergartens die fünfzehn Meter hohe Lamellenwand auf. Dahinter, so hörte man, entstünden die Botschaften...

Schon längere Zeit ragte am südlichen Rand des Tiergartens die fünfzehn Meter hohe Lamellenwand auf. Dahinter, so hörte man, entstünden die Botschaften...

Schon längere Zeit ragte am südlichen Rand des Tiergartens die fünfzehn Meter hohe Lamellenwand auf. Dahinter, so hörte man, entstünden die Botschaften der nordischen Länder. Aber nichts war zu sehen: kein Haus, das allmählich in die Höhe wuchs, während Berge von Baumaterial rundherum schrumpften. Die Konstruktion ruhte wie ein Reptil mitten im Betrieb um das verkehrsreiche Klingelhöfer Dreieck und zeigte neugierigen Blicken die kalte Schulter. Irgendwann sträubte sich dem grossen Tier der Nacken, und es fing an zu leuchten, als hätte jemand beim Adventskalender verbotenerweise schon einzelne Fenster aufgeklappt. Als endlich alles fertig war und ausnahmsweise zur Besichtigung offenstand, präsentierte sich, was normalerweise verborgen bleibt: ein diplomatischer Gemeinschaftsauftritt, angelegt als architektonisches Gesamtkunstwerk auf 7200 Quadratmetern mit fünf solitären Gebäuden und einem öffentlichen Zentrum, zusammengehalten nach drei Seiten von einem geschwungenen, grün patinierten Kupferband.

Die Zusammenarbeit der nordischen Staaten geht auf die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg und die Gründung des Nordischen Rates (1952) zurück. Nach der deutschen Wiedervereinigung bekundeten die fünf Länder - im Rahmen der Berliner Neuordnung von Botschaften und Ländervertretungen - den Willen zum diplomatischen Ensemble. Finnland und Schweden schickten sich an, ihren ursprünglichen Botschaftsstandort, wie er vor dem Krieg existiert hatte, wieder einzunehmen. Dänemark, Island und Norwegen kamen dazu und erwarben jeweils ein Teilgrundstück.

Der Masterplan für die Anlage stammt vom österreichisch-finnischen Architektenduo Alfred Berger / Tiina Parkkinen. Ihr grünes Kupferband gibt dem kollektiven Auftritt ein Gesicht und korrespondiert in organischer Form und Farbenkleid mit dem gegenüberliegenden Tiergarten. Gleichzeitig trennt es das exterritoriale Gelände klar vom Berliner Stadtgebiet und legt sich schützend um die dahinterliegenden Einzelgebäude. Den Grundstein bildet das Gemeinschaftshaus an der Rauchstrasse, in dem Berger und Parkkinen den zentralen, öffentlichen Bereich zusammenfassen. Hier befinden sich Ausstellungs- und Konferenzräume, Konsulate oder die Sicherheitsschleuse, durch die Besucher und Angestellte das eigentliche Botschaftsgelände betreten. Das bewusst neutral gehaltene «Felleshus» bleibt in durchscheinendem Weiss und Glas im Vergleich zur auffallenden Aussenhaut unscheinbar. Gleich daneben befindet sich die Staatsbesuchen vorbehaltene gläserne Einfahrt mit weissem Baldachin - der einzige Ort, wo man von der Strasse her einen Blick in das Areal werfen kann.

Dort ordnen sich die Gebäude nach der Geographie: in einem hohen West-Ost-Bogen reihen sich die Botschaften von Dänemark, Island, Norwegen, Schweden und Finnland. Eine nordische Stadt en miniature, wo Wasserarme tief zwischen Dänemark und Island, Schweden und Finnland greifen. Die Materialien beschwören optisch und haptisch die Natur des hohen Nordens: Lärchenwälder, Gletscher, Lava, Kalkstein, Granit - eine Auslegung des Urbanen als landschaftlich kultivierter Raum.

Die Gestaltungshoheit für die Häuser lag bei den einzelnen Ländern, die für Architektur und Innenausstattung Vertreter aus der Heimat beauftragten. Botschaften sind auch Visitenkarten eines Landes, und so hat sich der nach innen gestülpte Fassadenreigen zum spannungsgeladenen Beauty Contest aufgeschwungen. Man durchläuft hier einen Themenpark, der die Kunst der Variation von Material und Form bestechend zur Anschauung bringt. Die Lamelle dient als Leitmotiv und sorgt in vertikaler Gliederung für die Einheit in der Vielfalt: bei den Dänen (Nielsen, Nielsen & Nielsen, Århus) erscheint sie in Gestalt von gelochten, aufklappbaren Edelstahlplatten; der in die Ecke gekuschelte isländische Kubus (Architekt Pálmar Kristmundsson, Reykjavik) leuchtet in rötlichem Ryolith mit Lavaeinschlüssen; die Norweger (Snøhetta, Oslo) übernehmen die Konstruktion des Kupferbandes in der gläsernen Kühle einer Eislandschaft; das junge finnische Team ( VIIVA Arkkitehtuuri, Helsinki) hängt vor die Glasfassade ein Gitterwerk aus Lärchenholz, das den Minimalismus des Gebäudes skulptural überhöht; am Schwedenbau (Wingårdh Arkitektkontor, Göteborg) wechseln Reihen aus Glas mit grob abgeschlagenen Quarzitplatten, was in der Theatralik direkt auf das Interieur verweist, wo sich im Foyer kunstvolle Schreinerarbeit mit künstlich orange gebeiztem Birkenholz beisst.

Das vom Kupferband im Aussenbereich angetönte Spiel von Verhüllung und Enthüllung wird in den Gebäuden aufgelöst in kleinen Landesausstellungen. Beim verwendeten Material dominieren Stein, Glas, Holz, Metall. Während die Isländer den Beton mit dem Sandstrahler aufrauhen, erscheint er bei den Finnen dunkel und glatt. Die Dänen erinnern im Foyer mit einer leicht nach innen gekippten Holzlamellenwand an Alvar Aaltos finnischen Pavillon für die Weltausstellung in New York. Reminiszenzen an den Altmeister findet man auch bei seinen Landsleuten, die den Konferenzraum als Sperrholzgondel über der Eingangshalle schweben lassen, eine Hommage an Aaltos skulpturale Raumkompositionen.

Es lässt sich hier nachvollziehen, wie Architektur und Design dieser Länder zu ihrem Ruf von Kompromisslosigkeit und Eigenwilligkeit kamen. Wenngleich nicht immer alles gut zusammenpasst. Vereinzelt bringt das Bemühen um nationale Differenzierung seltsame Lösungen hervor wie den mit Lavagestein ausgelegten isländischen Lichthof, der, von unten rot angestrahlt, anheimelt wie ein elektrisch betriebenes Kamin-Imitat.

Dass sich in diesem 115-Millionen-Mark teuren Ausstattungswunderland dennoch alles gut zusammenfügt und alles pünktlich fertig wurde, verdankt sich den beiden Berliner Architekten Justus Pysall und Peter Ruge, denen bei den vielen Bauherren und unterschiedlichen Geschmäckern so manches diplomatische Kunststück abverlangt worden sein dürfte. Für Berlin ist das Unternehmen ein Novum, was den gemeinschaftlichen Auftritt anbelangt - und ein architektonischer Glücksfall, der sich erst richtig abzeichnen wird, wenn die benachbarten Um- und Neubauten im Botschaftsviertel vollendet sein werden. Dann wird der Vergleich ins Auge stechen zwischen dem freundlich-zurückhaltenden Schuppentier, das auf Repräsentation achtet, ohne aufzutrumpfen, und den schweren Kolossen des steinernen Berlin. Jedes nordische Land hat hier an seinem Haus gebaut und dabei das Gemeinsame im Auge behalten. Was könnte eine Architektur der Diplomatie mehr sein?

Neue Zürcher Zeitung, Sa., 2000.01.29



verknüpfte Bauwerke
Nordische Botschaften

27. Dezember 1999Claudia Schwartz
Neue Zürcher Zeitung

Die Schau des Architekten

Auf der einführenden Texttafel hält Mario Botta fest, dass es anmassend sei, «im Fall von Architekturen» von Ausstellung zu sprechen, wo man doch in Wirklichkeit...

Auf der einführenden Texttafel hält Mario Botta fest, dass es anmassend sei, «im Fall von Architekturen» von Ausstellung zu sprechen, wo man doch in Wirklichkeit...

Auf der einführenden Texttafel hält Mario Botta fest, dass es anmassend sei, «im Fall von Architekturen» von Ausstellung zu sprechen, wo man doch in Wirklichkeit Zeichnungen, Pläne, Photographien und Modelle präsentiere. Anhand von solchen Objekten stellt Botta im Deutschen Architekturzentrum (DAZ) in Berlin sein Schaffen der vergangenen zehn Jahre unter dem Titel «Licht und Materie» vor. Es ist eine Schau von Botta, dem Architekten: minimalistisch in der Auswahl und rhythmisch in der Inszenierung. Sie gesteht in immergleicher symmetrischer Anordnung jedem Projekt einen Plan, einige Schwarzweissaufnahmen (von Pino Musi) und ein fein gearbeitetes, objekthaftes Modell (aus Birnbaumholz) zu. Ergänzt jeweils durch Kohleskizzen, die vom Meister schwungvoll auf die Stellwände gezeichnet wurden.

Ins Zentrum stellt Botta die Sakralbauten. Als Lichtfiguren in euklidischen Formen und skulpturalen Anordnungen scheinen sie mit der eigenen Gravität zu spielen: die beiden Tessiner Kapellen San Giovanni Battista in Mogno und Santa Maria degli Angeli am Monte Tamaro, die Kathedrale in Evry und die Cymbalista-Synagoge in Tel Aviv. Der zweite Teil zeigt öffentliche Gebäude und ihre unterschiedlichen «Umgangsformen» mit der Umgebung: Den Dialog mit dem Kontext suchen die Dortmunder Landesbibliothek oder das im Bau befindliche Kulturzentrum im italienischen Rovereto, das sich terrassenartig in den Hang einpasst. Beinahe autistisch dagegen wirken die Museen in Tokio und San Francisco, die sich im urbanen Dschungel zu behaupten versuchen, indem sie sich von ihrem Umfeld klar distanzieren.

Die als Architekturpräsentation beispielhafte Schau wartet nicht auf mit den sonst üblichen Mengen an Skizzenmaterial. Sie baut vielmehr auf das sinnlich Erfahrbare, das allgemein Zugängliche. Und lüftet damit nicht nur das Erfolgsgeheimnis von Botta, dem Ausstellungsmacher, der sich in dieser Rolle in der deutschen Hauptstadt eines beachtlichen Medienechos erfreut, sondern auch dasjenige von Botta, dem Architekten, der an der Vernissage den unzähligen Autogrammwünschen freundlich lächelnd nachkam.

Neue Zürcher Zeitung, Mo., 1999.12.27

20. November 1999Claudia Schwartz
Neue Zürcher Zeitung

Das Schloss der Republik

Der Palast der Republik wuchs den DDR-Bürgern ans Herz; das Staatsratsgebäude am ehemaligen Marx-Engels-Platz nicht. Anfang der sechziger Jahre zu nationalen...

Der Palast der Republik wuchs den DDR-Bürgern ans Herz; das Staatsratsgebäude am ehemaligen Marx-Engels-Platz nicht. Anfang der sechziger Jahre zu nationalen...

Der Palast der Republik wuchs den DDR-Bürgern ans Herz; das Staatsratsgebäude am ehemaligen Marx-Engels-Platz nicht. Anfang der sechziger Jahre zu nationalen Repräsentationszwecken gebaut, blieb es Sinnbild des verhassten Regimes und damit ein Stein des Anstosses. Wenngleich der Bau nach Plänen von Roland Korn und Hans-Erich Bogatzky in seiner gestalterischen Qualität die behäbigen stalinistischen Vorbilder in elegantem Wurf weit hinter sich lässt. Eine späte Würdigung erfährt der mittlerweile denkmalgeschützte Kubus, der einst wie ein Hochsicherheitstrakt abgeschirmt war und bisher nur spärlich dokumentiert ist, nun durch eine kleine, feine Publikation. Philipp Meuser zeichnet die Geschichte des Staatsratsgebäudes nach, das gegenwärtig als provisorisches Bundeskanzleramt die Blicke auf sich zieht. Die Gabe genauen Beobachtens im Textteil und die hervorragenden Photographien ergeben ein detailliertes Bild. Selbst Deckenverkleidungen und Beleuchtungskörper wirken hier ornamental zusammen. Sichtbar wird ein Oberflächenkult, der innenarchitektonische Meisterleistungen hervorbrachte und für die gesamte DDR-Architektur «einzigartig» blieb. Der Autor erweist sich als intimer Kenner des Berliner Städtebaudiskurses und bietet über die architekturgeschichtliche Darstellung hinaus eine Erweiterung der Perspektive, indem er das Staatsratsgebäude als einen Teil des historisch gewachsenen Zentrums ins Blickfeld rückt. Die Zukunft des Schlossplatzes wurde in den letzten Jahren immer vom Abriss des Palastes der Republik oder von der Rekonstruktion des Schlosses abhängig gemacht. Meuser sucht im noch Vorhandenen die geschichtliche Kontinuität und findet im Staatsratsgebäude neben dem barocken Eosander-Portal einiges, was die neu-alte königliche Adresse des Hauses am «Schlossplatz 1» hintergründig rechtfertigt.


[ Philipp Meuser: Schlossplatz 1. Vom Staatsratsgebäude zum Bundeskanzleramt. Quintessenz-Verlag, Berlin 1999. 80 S., 62 Abb., Fr. 44.50. ]

Neue Zürcher Zeitung, Sa., 1999.11.20

27. Oktober 1999Claudia Schwartz
Neue Zürcher Zeitung

Leeres Museum, gut besucht

Der amerikanische Architekt Daniel Libeskind erhält für den Entwurf des Jüdischen Museums in Berlin den von der Ruhrgas AG gestifteten, mit 50 000 Mark...

Der amerikanische Architekt Daniel Libeskind erhält für den Entwurf des Jüdischen Museums in Berlin den von der Ruhrgas AG gestifteten, mit 50 000 Mark...

Der amerikanische Architekt Daniel Libeskind erhält für den Entwurf des Jüdischen Museums in Berlin den von der Ruhrgas AG gestifteten, mit 50 000 Mark dotierten Deutschen Architekturpreis 1999. Das Museum wurde Anfang dieses Jahres feierlich übergeben (NZZ 23. 1. 99) und steht seither leer. Über mangelnde Besucher kann sich die Museumsleitung gleichwohl nicht beklagen: bisher haben rund 80 000 Menschen Libeskinds Meisterwerk besichtigt, das unter den seit der Wende entstandenen Bauten des «neuen» Berlin einen seltenen Lichtblick darstellt. Die Eröffnung der Dauerausstellung zur deutsch-jüdischen Geschichte ist für den Herbst 2000 geplant - zum Leidwesen mancher Puristen, die das architektonische Kunstwerk mittlerweile lieber so belassen möchten, wie es ist: ohne Exponate, als Holocaust-Mahnmal gewissermassen. Die Jury des Deutschen Architekturpreises, die den Museumsbau wegen seiner «suggestiven, skulpturalen Präsenz» lobt, betont denn auch, dass der Bau die «Nützlichkeit als Museum» erst noch unter Beweis stellen müsse.

Grosser Erfolg war dem 1946 in Lodz geborenen Libeskind schon im vergangenen Jahr beschieden, als sein Felix-Nussbaum-Museum in Osnabrück eröffnet wurde. Derzeit befinden sich zahlreiche Libeskind-Projekte in Planung: der Erweiterungsbau des Londoner Victoria and Albert Museum, das Imperial War Museum in Manchester, das Jewish Museum in San Francisco, die JVC University in Guadalajara (Mexiko) und eine Galerie für die Künstlerin Barbara Weil in Mallorca. Der deutsche Bundespräsident Johannes Rau wird den Preis am 16. November in Berlin übergeben. Die wichtigste deutsche Auszeichnung für Architektur wird alle zwei Jahre unter Schirmherrschaft der Bundesarchitektenkammer ausgelobt. Vor zwei Jahren wurden die jungen Münchner Architekten Allmann Sattler Wappner für das Samuel-von-Pufendorf-Gymnasium in Flöha ausgezeichnet.

Neue Zürcher Zeitung, Mi., 1999.10.27

22. Oktober 1999Claudia Schwartz
Neue Zürcher Zeitung

Die Abstraktion der Natur

Architektur lässt sich schwer vermitteln anhand von ausgestellten Skizzen, Photographien oder Modellen. Beim Werk von Tadao Ando wird das in besonderem...

Architektur lässt sich schwer vermitteln anhand von ausgestellten Skizzen, Photographien oder Modellen. Beim Werk von Tadao Ando wird das in besonderem...

Architektur lässt sich schwer vermitteln anhand von ausgestellten Skizzen, Photographien oder Modellen. Beim Werk von Tadao Ando wird das in besonderem Masse spürbar, sind doch die Gebäude des japanischen Architekten durch und durch Inszenierungen, in denen dem Menschen eine eigene Rolle zugeschrieben ist. Man muss diese Bauten eigentlich begehen, um sie zu erfahren. Für die erste Ando-Werkschau in Deutschland hat man in der Galerie Aedes East in Berlin in sorgfältiger Recherchierarbeit eine umfangreiche Dokumentation zusammengestellt. Wenngleich Zeichnungen und Entwürfe manchmal den Blick zu verstellen drohen auf diese «Orte der Kontemplation», die weniger nach Konstruktion oder Funktion als nach dem Erscheinungsbild fragen. In der klugen Auswahl der Beispiele präsentiert man einen guten Überblick. Mit Andos Museum für Zeitgenössische Kunst auf Naoshima etwa: Die reine Geometrie der Ausstellungshalle fügt sich in den Bergrücken der südlichen Inselspitze ein, so dass der Bau kaum auffällt. Die Verbindung von Architektur und Natur ist ein charakteristisches Merkmal von Andos Werk. Freilich meint Natur bei ihm immer eine disziplinierte, um nicht zu sagen: abstrahierte Landschaft. In Naoshima stellt er Gebäude und Umgebung in ein Spannungsfeld: einerseits gehen manche Exponate vom Innen- in den Aussenraum über, andrerseits dient die Landschaft manchen Objekten drinnen als Kulisse. Präsentiert werden unter anderem auch der minimalistisch-moderne Rokko-Wohnkomplex an der Steilküste zwischen Osaka und Kobe oder das Projekt für ein Museum der Weltkulturen, ein gläserner Brückenschlag über den Rhein zwischen Karlsruhe und Strassburg. (Bis 11. November)


[ Tadao Ando. Orte der Kontemplation. Hrsg. Galerie Aedes East, Berlin 1999. 48 S., DM 20.-. ]

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 1999.10.22

25. September 1999Claudia Schwartz
Neue Zürcher Zeitung

Bauten einer Ausstellung

Anfang des Jahrhunderts schrieb Le Corbusier, Frankreich bleibe das Land der hohen Kunst, Deutschland aber sei der «Werkplatz des Neuen». Im Auge hatte...

Anfang des Jahrhunderts schrieb Le Corbusier, Frankreich bleibe das Land der hohen Kunst, Deutschland aber sei der «Werkplatz des Neuen». Im Auge hatte...

Anfang des Jahrhunderts schrieb Le Corbusier, Frankreich bleibe das Land der hohen Kunst, Deutschland aber sei der «Werkplatz des Neuen». Im Auge hatte der Baumeister damals Berlin, genauer: das Atelier von Peter Behrens, dessen AEG-Turbinenhalle in Berlin-Moabit gerade fertiggestellt war. Ihre konstruktive Bauweise reduzierte die Formensprache auf wenige Elemente: in sichtbarer Replik auf den industriellen Fertigungsprozess, dem der Bau dienen sollte. Die Turbinenhalle steht heute noch beispielhaft für den architekturgeschichtlichen Aufbruch ins neue Jahrhundert. Es folgten die zwanziger Jahre: Erich Mendelsohns Potsdamer Einsteinturm, der seine Reminiszenz an den Jugendstil in expressionistischer Geste verpackt, oder sein Universum- Kino, ein geschwungener Flachbau, der heute die Schaubühne beherbergt; die Britzer Hufeisensiedlung von Bruno Taut; die von den Brüdern Luckhardt und Alfons Anker entworfene Villa im Berliner Westend, ein hochgestellter Kubus, der als rein weisses Manifest klassischer Moderne gelesen werden kann.

Trotz historischen Brüchen und Kriegszerstörungen sind diese Gebäude alle noch vorhanden - Berlin war eine Hauptstadt der Architektur und ist es immer noch: Der Bogen lässt sich spannen bis in die Gegenwart, wo das wiedervereinigte «neue Berlin», in überstürzter Eile zwar und begleitet von steinernen Diskussionen um Traufhöhen und Blockrandbebauungen, sein architektonisches Gesicht für das nächste Jahrhundert sucht. Wenn es auch noch zu früh ist, Bilanz zu ziehen, so lässt sich an der Spree doch die Geschichte der Baukunst in diesem Jahrhundert nachzeichnen, sagten sich die beiden Kunsthistoriker Andres Lepik und Anne Schmedding. Die Rahmenbedingung für ihren Bildband «Architektur in Berlin» bildet der epochale Rückblick der Staatlichen Museen zu Berlin «Das XX. Jahrhundert - ein Jahrhundert Kunst in Deutschland». Das Buch, so betonen die Herausgeber im Vorwort, möchte sich nicht als Berliner Architekturführer verstanden wissen und erhebt demnach keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Es soll vielmehr dazu einladen, die Stadt selbst als Ausstellung zu «lesen» und die Häuser «als Kunst» im architekturhistorischen Kontext des ausgehenden Jahrhunderts sinnlich zu begreifen: eins zu eins, am Beispiel von fünfzig Objekten. In kurzen, subjektiven (und qualitativ sehr unterschiedlichen Essays) umreissen Kunsthistoriker, Architekturkritiker und Architekten Berliner Gebäude, Siedlungen, Strassen und Plätze.

Die Revue durch ein Jahrhundert gebauter Stadt beginnt (früh) mit Paul Wallots Reichstag und endet hier wieder mit Sir Norman Fosters umgebautem Parlamentsgebäude. Zeitlich dazwischen stehen neben den eingangs erwähnten Beispielen der Frühmoderne für die Architektur des Nationalsozialismus der Flughafen Tempelhof von Ernst Sagebiel oder die Müllverladestation von Paul Baumgarten: letztere als ein - seltenes - Beispiel, wie bei weniger renommierten Projekten auch in Zeiten des Nationalsozialismus der Kanon funktionaler Moderne durchsetzbar war. Den illustren Reigen erweitern Eiermanns Kaiser- Wilhelm-Gedächtniskirche, Scharouns Philharmonie, Mies van der Rohes Neue Nationalgalerie, die Stalinallee (heute: Karl-Marx-Allee), Graffunders Palast der Republik, der Potsdamer Platz, Libeskinds Jüdisches Museum, der erweiterte GSW-Hauptsitz von Sauerbruch und Hutton, Zvi Heckers Heinz-Galinski-Schule oder die Infobox von Schneider & Schumacher.

Obwohl die Herausgeber nach eigenen Worten keine «Bestenliste» aufstellen möchten, nimmt sich die Zusammenschau in ihrem Willen zur architekturgeschichtlichen Repräsentanz am Ende doch aus wie ein Résumé der Highlights. Die subjektive Perspektive der Autoren zu ihrem Gegenstand erlaubt aber dennoch einige überraschende Ansichten, vor allem was die jüngeren Bauten der Nachwendezeit anbelangt. So eignet sich dieses Buch auf Grund seiner Unvollständigkeit und der fehlenden Glossare zwar nicht als Nachschlagewerk. An manchen inspirierenden Text wird man sich aber erinnern beim Gang durchs alte und neue Berlin.

Claudia Schwartz

[ Das XX. Jahrhundert - Ein Jahrhundert Kunst in Deutschland: Architektur in Berlin. Hrsg. Andres Lepik und Anne Schmedding. Mit Texten u. a. von Tilmann Buddensieg, Josef P. Kleihues, Vittorio Magnago Lampugnani, Werner Oechslin, Wolf Jobst Siedler, Peter Weibel. Dumont-Verlag, Köln 1999. 128 S., Fr. 29.80. - Fahrrad- und Busführungen bis 9. Januar 2000. Information: www.jahrhundertausstellung.de ]

Neue Zürcher Zeitung, Sa., 1999.09.25

15. Juni 1999Claudia Schwartz
Neue Zürcher Zeitung

Ensemble mit fünf Solitären

Neun Phasen in zehn Jahren: Masterplan für die Museumsinsel

Neun Phasen in zehn Jahren: Masterplan für die Museumsinsel

Auf der Schlossbrücke in Berlins Mitte verwehrt ein Bauzaun den Eintritt in den Lustgarten, der mit symmetrischem Rasengeviert und frisch gepflanzten, von Holzstäben gestützten Bäumchen vorerst nicht mehr ist als ein Versprechen. In der Anmutung des grossen Wurfs erhebt sich dahinter Schinkels Altes Museum: der Prachtbau des Berliner Klassizismus soll samt Grünanlage einst wieder den repräsentativen Vorraum für die Museumsinsel darstellen. Noch bestimmt hier Lethargie das Bild. Ein Schild vor geschlossenen Türen der Alten Nationalgalerie verweist auf das Ausweichquartier im Alten Museum während der laufenden Sanierung. Friedrich August Stülers Neues Museum gleich nebenan erscheint mit Einschusslöchern und geborstenen Fensterlaibungen immer noch als Kriegsruine. Vor dem Eingang steht einsam eine restaurierte Zinkguss-Schönheit: «die Kunst» bleibt vorläufig ausgesperrt. Ansonsten lädt nichts zum Verweilen in der Museumslandschaft, die auf Friedrich Wilhelms IV. Vision einer «Freistätte für Kunst und Wissenschaft» und in ihrem Kernentwurf auf Stüler zurückgeht. Vereinzelt durchqueren Pärchen mit Schlaghosen und Kunstführer zügig die Anlage Richtung Pergamonmuseum - neben dem Alten Museum derzeit das einzige hier geöffnete Haus.

Historische Substanz

Mit der Wende fiel die Museumsinsel in die Obhut der Stiftung Preussischer Kulturbesitz. Zwanzig Jahre sollte nach einer ersten Konzeption die komplette Sanierung des historischen Geländes dauern. Ein Masterplan verspricht nun die schrittweise Wiederherstellung der Einzelgebäude und ihre bauliche Verbindung in neun Phasen und zehn Jahren. Dem Gesamtkonzept ging ein langwieriger Museumsstreit voraus, der sich an den Fragen nach der Neuverteilung der Sammlungen in den Staatlichen Museen entzündete und sich im Hinblick auf die Sanierung der Museumsinsel zum Flächenbrand ausweitete. Zwischen denkmalschützerischen und funktionalen museumsspezifischen Interessen verglühte der 1994 preisgekrönte Entwurf Giorgio Grassis. Angesichts immer neuer Überarbeitungsforderungen verabschiedete sich der Mailänder Architekt. Nach Überarbeitung der zweit- beziehungsweise viertplacierten Wettbewerbsbeiträge des Engländers David Chipperfield und des Kaliforniers Frank O. Gehry sprachen sich die federführenden Kommissionen schliesslich für Chipperfields Planung aus. Sie greift Gehrys Idee einer Besucherführung auf (NZZ 13. 11. 97), bekundet aber eine gemässigte Form des Gestaltungswillens in Rücksicht auf die vorhandene historische Substanz.

Während der langjährigen Querelen um einen angemessenen Umgang mit der Museumsinsel dämmerte den Parteien allmählich, dass der Kunststätte als einem Ensemble von fünf eigenständigen Ausstellungshäusern nur in einer übergreifenden Fragestellung beizukommen ist. Komplexität und Sensibilität des Geländes resultieren nicht nur aus der über 100jährigen Entstehungsgeschichte (1830-1930) des Areals, das heute ein qualitativ unterschiedliches Stilgemisch vereinigt. Sie sind im Charakter der Einzelgebäude angelegt, die sich in übergreifendem Sinnzusammenhang verbinden, darüber hinaus aber auf ihrer Bestimmung zum Gesamtkunstwerk vom jeweiligen Haus und seiner Sammlung bestehen.

Der Purist David Chipperfield, der mit seinem umsichtigen Vorschlag zur Neuordnung des Geländes und zum Wiederaufbau des Neuen Museums überzeugt hatte, wurde folgerichtig zusammen mit den auch auf der Insel tätigen Architekturbüros Hilmer & Sattler (Sanierung Altes Museum) und Heinz Tesar (Sanierung Bode- Museum) mit dem Masterplan beauftragt. Dieser verzeichnet zwei Änderungen gegenüber den ursprünglichen planerischen Vorhaben: Den einzelnen Gebäuden, die zum Museumskomplex zusammengeschlossen werden, gesteht man weiterhin Solitärrang zu durch Beibehaltung ihrer Eingänge. Verbunden werden sie nicht durch Brücken, sondern durch eine unterirdische «archäologische Promenade» zwischen Altem Museum, Neuem Museum, Pergamonmuseum und Bode- Museum. Die Einrichtung einer solchen Passage entspringt dem 1990 gefassten Beschluss der Stiftung, ihre archäologischen Sammlungen durch einen museenübergreifenden Rundgang in wechselnd hohen Raumfolgen zusammenzuziehen und mit fächer- und sammlungsübergreifenden Themen zu bestücken. Durch die grosszügig ausgebauten Sockelgeschosse, die den einzelnen Häusern bisher als Depots dienten, müssten die vorhandenen Räume dafür nur geringfügig verändert oder durch kürzere Tunnels ergänzt werden.

Abweichungen

Die zweite wesentliche Abweichung zum ursprünglichen Entwurf betrifft den im Neuen Museum vorgesehenen zentralen Eingang. Er wird nun in einem eigens zu errichtenden Neubau auf dem Gelände des ehemaligen Packhofs zwischen Neuem Museum und Kupfergraben untergebracht, um die «Integrität der historischen Bausubstanz» von Stülers Museum zu bewahren. Das Gebäude wird gleichzeitig als Publikumszentrum dienen: für die jährlich erwarteten vier Millionen Besucher sind hier neben einem Wechselausstellungsbereich infrastrukturelle Einrichtungen vorgesehen: Garderoben, Museumsshop, Café.

Weitere Entlastung der einzelnen Museen von Sekundärfunktionen zugunsten der Ausstellungsflächen bringt das neu zur Verfügung stehende Gelände der ehemaligen Friedrich-Engels-Kasernen am gegenüberliegenden Ufer des Kupfergrabens. Hier werden in Ergänzung der vorhandenen Blöcke die «Museumshöfe» entstehen für Restaurierung, Verwaltung, Studiendepots und Zentralarchiv. Für den ebenfalls bevorstehenden Umbau des Pergamonmuseums wird im Wettbewerbsverfahren noch ein viertes Architektenteam gefunden werden müssen. Der vorliegende Masterplan soll in einer zweiten Phase einmünden in ein städtebauliches Konzept, welches das weitere Umfeld der Museumsinsel mit einschliesst. Zu reden wird dann vielleicht auch noch einmal die Tatsache geben müssen, dass die Alte Nationalgalerie, nach dem jetzigen Vorhaben als einziges Gebäude nicht mit den anderen verbunden, in Zukunft reichlich isoliert dastehen wird.

Die Zukunft von Preussens Erbe

Voraussetzung zur Realisierung des Masterplans in der vorgegebenen Frist wäre eine Konzentration der finanziellen Mittel. Die Stiftung beziffert die Kosten mit 1,8 Milliarden Mark. Sowohl Berlins Kultursenator Peter Radunski wie der Bundesbeauftragte für Kultur und Stiftungsratsvorsitzende Michael Naumann haben bereits angekündigt, über die Bereitstellung zusätzlicher Mittel mit Bund und Ländern zu verhandeln.

Auf der gegenüberliegenden Seite der Schlossbrücke, auf dem Dach des ehemaligen DDR- Staatsratsgebäudes und provisorischen Bundeskanzleramtes weht bereits die schwarz-rot-goldene Flagge. Mit dem Regierungsumzug nach Berlin rückt die Museumsinsel ins Blickfeld. Ein Dahindämmern der Museumsinsel, deren Aufnahme in die Liste des Unesco-Weltkulturerbes ansteht, würde nicht nur der Stadt «die Glaubwürdigkeit nehmen» (Radunski), sondern wäre für die repräsentativen Museen «nicht nur Berlins, sondern der Bundesrepublik» (Naumann) unwürdig. Oder anders gesagt: nach gut zehn Jahren vorsichtiger Annäherung von Republik und Hauptstadt darf auch einmal über Zentrumsfunktionen nachgedacht werden. Die historischen Gebäude und ihre Sammlungen haben in der europäischen Architektur- und Kunstgeschichte einen herausragenden Rang. Die Museumsinsel ist keine Berliner Angelegenheit, sie wird das grösste und gewichtigste kulturelle Investitionsprojekt der Bundesrepublik in den kommenden Jahren sein. Für die Rekonstruktion des - kulturhistorisch weit weniger bedeutenden - Berliner Stadtschlosses weiter südlich auf der Spreeinsel haben sich quer durchs Land die Stimmen erhoben, obwohl niemand weiss, welchen Inhalt man der nachgebauten Hülle einverleiben könnte. Auf der Museumsinsel wartet Preussens Erbe in einer Einheit von historischen Gebäuden und Sammlungen. Nur merkwürdig still ist es hier.

Neue Zürcher Zeitung, Di., 1999.06.15



verknüpfte Ensembles
Museumsinsel Berlin

29. Mai 1999Claudia Schwartz
Neue Zürcher Zeitung

Stadtsegmente

Zum wiederholten Mal schickt sich Berlin im ausgehenden Jahrhundert an, Kapitale eines deutschen Staates zu werden. Das im Basler Birkhäuser-Verlag erscheinende...

Zum wiederholten Mal schickt sich Berlin im ausgehenden Jahrhundert an, Kapitale eines deutschen Staates zu werden. Das im Basler Birkhäuser-Verlag erscheinende...

Zum wiederholten Mal schickt sich Berlin im ausgehenden Jahrhundert an, Kapitale eines deutschen Staates zu werden. Das im Basler Birkhäuser-Verlag erscheinende «Bauwelt Berlin Annual» hat sich im Jahresrhythmus eine «Chronik der baulichen Ereignisse» vorgenommen, die mit der aktuellen Ausgabe für das Jahr 1998 nun ihr drittes Kapitel schreibt. Dabei legen die Herausgeber Martina Düttmann und Felix Zwoch im neuen Band ihren Schwerpunkt auf bau- sowie stadtbezogene Entwicklungen und versammeln neben architekturspezifischen Beiträgen Essais zum Berliner Zeitgeschehen.

Auch wenn am Potsdamer Platz die Presslufthämmer noch nicht verstummt sind und sich das Ballett der Kräne weiterdreht, zeichnet sich hier der Übergang vom werdenden in den definitiven Zustand bereits ab. Die diffuse Vision einer «europäischen Stadt» hat sich zum Festzustand gefügt, zum «Nebeneinander unterschiedlichster Formen». Das Zentrum der Projektionen des neuen Berlin, die Schnittstelle zwischen Ost und West, ist mittlerweile bevorzugte Sonntagspromenade der Hauptstädter in spe zwischen Imax- Kino und Luftballonverkäufern. Kaye Gaipel versucht den vom «Ballast grosser Metaphern freigestellten» Blick und findet in Renzo Pianos in Rekordzeit entworfenem Stück Stadt ein urbanes Segment, das die Bindeglieder nach aussen vermissen lässt.

Martina Düttmann zeigt anhand von Nicholas Grimshaws Ludwig-Erhard-Haus für die Berliner Industrie- und Handelskammer, wie die sprichwörtliche baurechtliche Zähmung - im vorliegenden Fall zwischen dem Willen zur Konstruktion und dem Strassenfluchtplan - nicht immer für Berlin spricht: das wegen seiner gebogenen Glasfassade auch «Gürteltier» genannte Gebäude präsentiert sich heute einseitig in die Schranken verwiesen. - Viele reden von Axel Schultes' werdendem Bundeskanzleramt im Spreebogen, aber den meisten ist der Zugang noch verwehrt. Felix Zwoch hat sich deshalb schon einmal umgesehen und dokumentiert minuziös in Bild und Text das allmähliche Hochwachsen des Rohbaus. Währenddessen spricht fast niemand mehr vom Alexanderplatz, weshalb Florian Profitlich bei den Leuten nachgefragt hat, was man vom «Alex» hört, dem einstigen zentralen Dreh- und Angelpunkt der Hauptstadt der DDR, wo sich immer weniger Ostberliner hin verirren und die Hochhäuser dastehen wie Findlinge.

Das «neue Berlin» regt an zur sentimentalischen Betrachtung über die grossen Bilder in ihrer neuen Gemäldegalerie ebenso (Philip Moritz Reiser) wie zur ernüchternden Bestandesaufnahme der feinen Geschäftspaläste zwischen Checkpoint Charlie und Pariser Platz, in denen es an nichts fehlt ausser an Leben (Hildegard Loeb-Ullmann). Und wo auf der einen Seite des Scheunenviertels die autonome Republik im Tacheles «noch aushält», sucht auf der anderen Seite der «Investor des Jahres» die richtige Mischung von Einzelhandel und Wohnen. Die richtige Mischung haben mit ihrem «Nummernvariété» nicht zuletzt die Herausgeber gefunden, denen es in vielfältiger Perspektive aufzuzeigen gelingt, wie Berlin allmählich zu sich selbst kommt.

[Bauwelt Berlin Annual 1998. Hrsg. Martina Düttmann und Felix Zwoch. Birkhäuser-Verlag, Basel 1999. 192 S., Fr. 68.-.]

Neue Zürcher Zeitung, Sa., 1999.05.29

22. Mai 1999Claudia Schwartz
Neue Zürcher Zeitung

Die zwingende Form des Klappstuhls

Eigentlich wollte er Maler werden, die Architektur sollte ihm Broterwerb sein. Man mag hierin einen Grund für die Nüchternheit finden, die Alfred Arndts Bauten auszeichnet. Der Architekt entwarf unspektakuläre Häuser, deren Bauweise sich völlig der Funktion unterordnete; architektonische Überhöhungen, an denen das Auge hängenbleibt, sucht man bei ihm vergebens.

Eigentlich wollte er Maler werden, die Architektur sollte ihm Broterwerb sein. Man mag hierin einen Grund für die Nüchternheit finden, die Alfred Arndts Bauten auszeichnet. Der Architekt entwarf unspektakuläre Häuser, deren Bauweise sich völlig der Funktion unterordnete; architektonische Überhöhungen, an denen das Auge hängenbleibt, sucht man bei ihm vergebens.

Das Bauhaus-Archiv in Berlin widmet unter dem Titel «In der Vollendung liegt die Schönheit» dem letzten zum Bauhaus-Meister Berufenen zu seinem 100. Geburtstag die erste sein vielseitiges Schaffen würdigende Schau. Man präsentiert Pläne und Photographien zum architektonischen Werk, aber auch Möbel, Plakate, Zeichnungen. Arndt verstand sich als Universalkünstler, wie die Auswahl seines malerischen Schaffens zeigt. Er betrieb die Kunst als «Ausgleich». Betrachtet man die Öl- und Temperabilder, scheint es fast, als hätte sich der Architekt ein Privatvergnügen daraus gemacht, die bildnerischen Werte seiner Bauhaus-Kollegen mit zeituntypischen organischen Formen und gedämpften Farben zu umgehen. Die Architektur war es aber, die ihn zeitlebens vorantrieb. Und mit seiner Baukunst blieb er der Philosophie des Bauhauses - im engeren Sinne: des Weimarer Bauhauses - verbunden.

Von seiner Herkunft her war der aus einer Arbeiterfamilie stammende Arndt kein typischer Bauhäusler. Er besuchte die Volksschule, absolvierte eine Maschinenzeichnerlehre und ein Jahr Kunstgewerbeschule, bevor er sich der Jugendbewegung anschloss. Im Jahr 1921 kam er ans Staatliche Bauhaus Weimar, womit eine klassische Bauhaus-Vita ihren Anfang nahm: Arndt durchlief Ittens Vorkurs, nahm Unterricht bei Klee, Kandinsky und Schlemmer. Einige Jahre arbeitete er als Architekt im thüringischen Probstzella, bis ihn Adolf Meyer 1929 wieder ans Bauhaus berief. In der Dessauer Schule lehrte Arndt bis zu deren Ende Ausbaukonstruktion.

Die unter seiner Leitung entstandenen Einrichtungsgegenstände der Möbelwerkstatt, Stühle und Anrichten, lassen die organische Leichtigkeit von Breuers Konstruktionen vermissen. Solide in der Ausführung, wirken sie in ihrer Ästhetik schwer, fast plump. Mit seinen eigenen Entwürfen für das von ihm fertiggestellte Haus des Volkes in Probstzella dagegen verstand es der Architekt, den von ihm propagierten Minimalismus in eine zwingende Form zu bringen. Berühmt etwa sind die Klappstühle aus Stahl und Holz für den Roten Saal: im Seriellen der Bestuhlung erhält die zur Schau getragene Einfachheit etwas Keckes.

Arndts strenger Bauhaus-Handschrift haftet in ihrem Zweckcharakter etwas Unpersönliches an: vor allem bei den Industriebauten. Selten erreichen die Entwürfe eine über sie selbst hinausweisende ästhetische Ausstrahlung wie das Haus Bauer in Probstzella (1927/28), das aus zwei ineinandergeschachtelten stufig versetzten Baukörpern - Kubus und hochgestelltem Quader - besteht. Oder das in Anlehnung an Alvar Aalto entstandene Haus Ströher in Darmstadt (1957), das mit seiner aufgefächerten Fassade zwischen Ein- und Ausblicken Spannung gewinnt. Mit solchen Beispielen illustriert die Ausstellung Arndts Beitrag zum späten Bauhaus und beleuchtet, dass es jenseits von Gropius' Manifest Änderungen und Umformungen des Stils gegeben hat.

Die Schau verzichtet fast gänzlich auf Erklärungen. Im schmalen Katalog finden sich erstmals veröffentlichte Tagebuchauszüge sowie Arndts «Erinnerungen an das Bauhaus», die er 1968 für den Katalog der grossen Bauhaus-Ausstellung in Stuttgart schrieb und die knapp und pointiert den Alltag der Bauhäusler umreissen. Darin findet sich auch eine Episode über die Präsentation seines Farbkonzepts für die von Walter Gropius und Adolf Meyer gebaute Villa Auerbach: «wir sind also hingefahren, ich mit meinem Bilderbogen, den haben wir der frau und dem herrn prof gezeigt. Die fanden das sehr schön, grop bezog gar kein feld. Als wir allein waren, sagte grop zu mir: ‹diesen balkon da vorn mit den stürzen, die wir leider machen mussten, das müssen sie farbig so behandeln, dass sie nicht zu sehen sind.›»


Ausstellung bis 31. Mai. Katalog 120 S., 96 Abb., DM 22.-.

Neue Zürcher Zeitung, Sa., 1999.05.22

20. April 1999Claudia Schwartz
Neue Zürcher Zeitung

Das Haus der Republik

Die Suche nach der korrekten Form gestaltete sich schwierig. Besonders in der Frage nach der richtigen Benennung des neuen Parlamentssitzes im alten Haus...

Die Suche nach der korrekten Form gestaltete sich schwierig. Besonders in der Frage nach der richtigen Benennung des neuen Parlamentssitzes im alten Haus...

Die Suche nach der korrekten Form gestaltete sich schwierig. Besonders in der Frage nach der richtigen Benennung des neuen Parlamentssitzes im alten Haus zu Berlin. Reichstag? Bundestag? Plenarsaal des Bundestages im Reichstagsgebäude? Der Ältestenrat des Bundestages diktierte aus Bonn schliesslich, ein wenig ängstlich noch, die interne Postanschrift «Plenarbereich Reichstagsgebäude». Während Strassenschilder zum «Sitz des Bundestages» weisen, steigen Besucher, fahren sie mit dem Bus zum Bundestag, an der Haltestelle «Reichstag» aus. – Irren ist menschlich, das wusste schon der Architekt Paul Wallot, als er im letzten Jahrhundert die Kuppel seines Reichstags von der westlichen Eingangshalle über den Plenarsaal verschob. Seither ist die Geschichte des Gebäudes gezeichnet von Ambivalenzen und Widersprüchen: als wilhelminischer Prunkbau vom Volk ungeliebt, von Wilhelm II. als «Gipfel der Geschmacklosigkeit» verspottet, von Hitler verschmäht, von den Nationalsozialisten den Flammen überlassen, bei Kriegsende bevorzugtes Ziel der Rotarmisten, wurde die zerschossene Ruine 1945 zum Symbol der totalen Niederlage Deutschlands.

Angemessene Architektur

Eine an der Ostseite in den Platz eingelassene Spur aus Steinplatten erinnert heute daran, dass hier einst die deutsch-deutsche Grenze verlief. Die feierliche Wiedervereinigung im Jahr 1990 fand vor dem Hauptportal an der Westseite statt. Seit gestern betreten hier wieder Abgeordnete und Besucher das sandgestrahlte Gebäude. Sechs korinthische Säulen stemmen mit dem Giebel den Satz «Dem deutschen Volke», auch wenn Wallots geschleifter Koloss es seit seiner Einweihung im Jahr 1894 bisher nie zum Ort ruhmvoller Parlamentsgeschichte brachte. Die dem Reichstag eigene Symbolkraft ist weniger mit seiner Funktion zu erklären als mit der deutschen Historie, welche die schwerfällige Sandsteinburg aushielt. Dass sie nun doch noch den gesamtdeutschen Parlamentssitz darstellt, hat vielleicht gerade darin seinen Sinn.

Die Diskussionen, die den 600 Millionen Mark teuren Reichstagsumbau prägten, sind symptomatisch für die Fragen, mit denen sich die Politik seit dem Umzugsbeschluss des Bundestages angesichts des historisch belasteten Berlins konfrontiert sah. Die Frage nach der Architektur ist zur Frage nach dem Selbstverständnis der zukünftigen «Berliner Republik» und ihrer Gesinnung geworden. Wo man in Bonn in unbelasteten Bauten regierte, fand man sich in Berlin erst einmal mitten in Geschichtsruinen wieder. In den Diskussionen, wie sich die Macht im neuen politischen Zentrum gestalten sollte, in der Frage um Symbole und ihre angemessene Bedeutung, federte man gleichzeitig den Kulturschock ab. Die Visionen der Architektur freilich blieben dabei auf der Strecke. Die formale Übersetzung später Vergangenheitsbewältigung hiess Kompromiss, und so wurden dem Gebäude die Flügel kräftig gestutzt, noch bevor es sie richtig ausgestreckt hatte.

Man erinnert sich: Norman Fosters Pläne ja, sein teures Glasdach lieber nicht, dafür von Calatrava wenigstens die Kuppel, aber bitte etwas dezenter. So versinkt nun Fosters gläserne Würdeform, die er selber eigentlich nie wollte, etwas verschämt zwischen den stattlichen Ecktürmen. Man muss schon auf Distanz gehen oder die Siegessäule am Grossen Stern besteigen, um die begehbare Schüssel mit 40 Metern Durchmesser in voller Grösse betrachten und überhaupt etwas von den sie erschliessenden, spiralförmigen Stegen erkennen zu können.

Für die luzide Klarheit, die Günter Behnischs Bonner Parlamentsgebäude auszeichnet, fehlte in Berlin ganz offensichtlich der Platz. Den mit 1200 Quadratmetern grössten Plenarsaal des Abendlandes musste Foster an der Eingangshalle einsparen, die – 33 Meter hoch – keine räumliche Tiefe entfaltet. Die Kunst am Bau sucht denn hier vergeblich nach der richtigen Dimension: Gerhard Richters monumentale Farbflächen hinter Glas («Schwarz Rot Gold», 1998) sind nicht einmal aus der Distanz der gegenüberliegenden Wand zu überschauen. Eintretende würden förmlich in den Plenarsaal platzen, wäre da nicht noch eine vorgehängte Glaswand, die den öffentlich zugänglichen Bereich vom inneren trennt. Den Abgeordneten kann man gleichwohl schon vom Entrée aus über die Schulter schauen.

Der Sitzungssaal selbst ist Herzstück und Schwachpunkt zugleich. Die kreisrunde Sitzordnung wurde elliptisch gestaucht, die Zuschauer- und Pressetribünen im Saal hängen wie Terrassen weit in den Raum und über die Köpfe der darunter Sitzenden, die sich hier bei Schlechtwetter fühlen dürften wie unter einem Garagenvordach. Die von den Parlamentariern gewünschte violettstichige Farbe der Stühle untermalt in ihrer bemühten Frische die düstere Atmosphäre eher noch. Die ganze Schwere des Wallotschen Gemäuers lastet auf dem Saal. Der von der Kuppel abgehängte, spiegelverkleidete Konus, der Licht hinunterleitet, hellt nur bedingt auf. Einzig die zwölf schlanken Säulen tragen mit Leichtigkeit die in der Mitte offene Decke wie ein Rad.

Kompromisskuppel, beschwingte Geste

Foster setzt auf den Kontrast zwischen den Relikten von Wallots theatralischer Palastarchitektur und seinem eigenen neusachlichen Chic. Der Brite, der am 6. Juni in Berlin den Pritzker- Preis entgegennehmen darf, schuf hinter der historischen Fassade einen kompletten Neubau in distinguiertem Grau und Beige. 45 000 Kubikmeter Innenleben wurden abgeräumt. Der akademische Formenkanon der sechziger Jahre, dessen spröden Charme Paul Baumgarten dem Gebäude beim Wiederaufbau implantierte, ist derart gründlich entfernt worden, als hätte man die Nachkriegszeit mit austreiben wollen. In den Gängen lässt sich anhand von Bildtafeln immerhin theoretisch nachvollziehen, was man beim Gang durchs Gebäude vermutete: dass es in den 100 Jahren zwischen Wallot und Foster auch noch eine andere architektonische Zeit gab. Mit der Entfernung der von Baumgarten eingezogenen Zwischengeschosse hat Foster in den Gängen und Hallen an Höhe gewonnen. Trotz der Bemühung um Offenheit und Licht – beispielsweise durch Verglasungen in den Ecktürmen, in denen sich die Tagungsräume der Fraktionsspitzen befinden – sperrt sich Wallots behäbiger Bau gegen den Lichteinfall.
Man hat das vernarbte Mauerwerk in den Fluren freigelegt, Fehlstellen und Geschosslöcher belassen. Derart nah führen Fosters stählerne Hängetreppen unter Wallots ornamentalen Gewölben im synthetischen Reichsstil vorbei, dass man sie greifen kann. Dennoch bleibt alles kühl- schwebend und unbeteiligt. Altes und Neues ist so säuberlich eingeteilt, dass Fosters Prinzip der Annäherung ohne Berührung in Bezugslosigkeit kippt. Inmitten von Stahl, Glas und geglättetem Stein erscheint das Überlieferte nicht als schon immer Dagewesenes, sondern ausgestellt, erstarrt in Musealisierung. Selbst der rauhe Kohlestrich kyrillischer Graffiti, mit der sowjetische Soldaten sich 1945 an den Wänden verewigten, mutet an wie Dekoration.

Die einzige beschwingte Geste des Gebäudes ist paradoxerweise die Kuppel geworden, die Fosters ursprüngliches Projekt gar nicht vorsah. Über die bienenkorbartige Stahlkonstruktion legen sich schuppenartig Glasscheiben. Der aus dem Plenarsaal aufsteigende Trichter bildet oben die Aussichtsplattform, unter der sich den Besuchern in einzigartigem Panorama die Stadt ausbreitet. Auf dem Weg dahin kann man bei einem Zwischenhalt durch eine Glasdecke ins Parlament hinunterschauen. Foster war die Ikonographie der Macht von Anfang an suspekt. In leichtem Handstreich hat er sie in ein Volksspektakel verwandelt. Nachts, wenn die Kuppel weit über die Stadt leuchtet, sagen die Berliner, unbeirrt von all der Sprachverwirrung und mit der ihnen eigenen Herzlichkeit: «unser Eierbecher». Wohl wissend, dass die Verpackung allein noch nicht das Ei des Kolumbus ausmacht.

Neue Zürcher Zeitung, Di., 1999.04.20



verknüpfte Bauwerke
Reichstag

06. Januar 1999Claudia Schwartz
Neue Zürcher Zeitung

Im Glasturm

Sie kommen aus Wien und stellen sich gern gegen die Traditionen der Architektur: Wolf D. Prix, Helmut Swiczinsky und Partner – oder eben: Coop Himmelb(l)au....

Sie kommen aus Wien und stellen sich gern gegen die Traditionen der Architektur: Wolf D. Prix, Helmut Swiczinsky und Partner – oder eben: Coop Himmelb(l)au....

Sie kommen aus Wien und stellen sich gern gegen die Traditionen der Architektur: Wolf D. Prix, Helmut Swiczinsky und Partner – oder eben: Coop Himmelb(l)au. Wegen ihrer buchstäblich schrägen Entwürfe müssen sie sich des öftern den Vorwurf gefallen lassen, man könne ihre Projekte nicht bauen. Eine Ausstellung in der Galerie Aedes East in Berlin tritt den Gegenbeweis an und präsentiert realisierte und in Entstehung begriffene Projekte des österreichischen Architektenteams wie das im letzten Frühjahr eröffnete Ufa-Kinozentrum in Dresden (NZZ 7. 5. 98). Daneben wird eine «Wiener Trilogie» vorgestellt mit dem im September fertiggestellten SEG-Wohnturm in der Wiener Donau-City und den zwei im Bau befindlichen Projekten SEG- Wohnblock und GPA-Gasometer B. «Geplante Fertigstellung ist in den Jahren 2000 bzw. 2001.» Ihre Entstehung ist dokumentiert anhand von Skizzen, Entwürfen, Auf- und Grundrissen, Modellen und Photographien.

Die objekthaften Körperstudien in Serie lassen die Entwicklung der Form in dekonstruktivistischen Schritten erkennen. Dabei entstehen – ein typisches Merkmal der Konzepte von Coop Himmelb(l)au – spezifische Raumerlebnisse oft in Zwischenbereichen: in den vorgehängten Glasfassaden bei Wohnturm und Gasometer in Wien oder im hohen Foyer des Dresdner Kinokomplexes. Die transparenten Schichten wirken wie Häute, sie scheinen die Berührung mit der Umgebung geradewegs zu provozieren. Monofunktionale Kino- oder Wohnbereiche werden damit in den urbanen öffentlichen Raum zurückgeholt. In diesem Sinn ist der verschachtelte SEG-Wohnblock zu verstehen, als offen-differenzierte Gegenstrategie zur traditionellen und geschlossenen Wiener Blockrandbebauung.

Coop Himmelb(l)au arbeitet nach dem Leitsatz: «Alles, was funktioniert, ist schlecht. – Gut ist, was akzeptiert werden muss.» Wenn dieses Programm mit Solitären ein uniformes Umfeld belebt, mag das gutgehen. In der Konzentration einer monographischen Ausstellung allerdings hat das Postulat der Gegenstrategien auch etwas Angestrengtes.

Neue Zürcher Zeitung, Mi., 1999.01.06

22. Dezember 1998Claudia Schwartz
Neue Zürcher Zeitung

Auf Biegen und Brechen

Anfang der siebziger Jahre war Günter Behnischs Olympiastadion ein geflügelter Bau. Mit seinem weltberühmten transparenten Zeltdach, mit Fernsehturm, Grünflächen...

Anfang der siebziger Jahre war Günter Behnischs Olympiastadion ein geflügelter Bau. Mit seinem weltberühmten transparenten Zeltdach, mit Fernsehturm, Grünflächen...

Anfang der siebziger Jahre war Günter Behnischs Olympiastadion ein geflügelter Bau. Mit seinem weltberühmten transparenten Zeltdach, mit Fernsehturm, Grünflächen und See verkörperte es landschaftsarchitektonisch und stadträumlich die olympische Idee: die Anordnung der Wege, Plätze und Gebäude suchte die offene, weltgewandte Geste. Nicht zuletzt war das sanft in seine Umgebung eingepasste, für die Sommerspiele im Jahr 1972 errichtete Monument ein spätes Zeichen gegen den Nationalsozialismus und Hitlers schwülstige Olympia-Inszenierung im Berlin von 1936. Es stand als Symbol für Frieden und Freiheit, war Ausdruck eines neuen politischen Bewusstseins und wurde – «Wunder von München» – gefeiertes Wahrzeichen. Die Arena dient heute noch sportlichen Veranstaltungen, während andere zu ähnlichem Zweck gebaute, jüngere Hallen längst ausrangiert wurden.

Aber Gott, wie man weiss, ist in Deutschland rund und der FC Bayern Hauptkunde der Olympiapark München GmbH. Vereinspräsident Franz Beckenbauer soll denn schon öffentlich dafür plädiert haben, dass der «ganze Krampf» weggerissen werde für ein «richtig schönes», «fussballgerechtes» Stadion. Auf Druck des Starvereins versucht man die Quadratur des olympischen Kreises. Dem bayrischen Fussballkaiser kann seine Ignoranz in denkmalpflegerischer Hinsicht wohl kaum verübelt werden. Schon eher verwundert, wie leichtfertig die Landeshauptstadt ein architektonisches Kunststück opfert, das einst nicht nur zum internationalen Renommee Münchens beigetragen hat, sondern darüber hinaus den Ruf deutscher Architektur in die Welt brachte.

Das Münchner Kommunalparlament hat sich nun für das Umbauprojekt ausgesprochen und die Bereitstellung von 140 Millionen Mark zugesagt. Den Rest müssten die Fussballvereine aufbringen. Trotzdem ist laut Rathaussprecher Florian Sattler ein Ende der heftigen Diskussionen um das 400-Millionen-Vorhaben noch nicht abzusehen. Er rechnet mit einem Bürgerentscheid, mit dem die Münchner sich gegen den Umbau stellen könnten. Denn auch die geplanten baulichen Veränderungen – darüber sind sich die unterschiedlichen Parteien vom Architekten bis zu den Fussballfans einig – werden aus der Leichtathletik- Arena kein ideales Fussballstadion machen. Das Projekt ist ein Kompromiss, der das Alte nicht mehr will und das Neueste nicht haben kann. Von einer «untauglichen» Lösung, die «alles kaputtmacht», spricht der Architekturprofessor Fritz Auer, der das Stadion einst zusammen mit Günter Behnisch und Frei Otto konzipierte. Die Realisierung der Wunschvorstellungen, wie sie den Fussball-Mächtigen vorschwebt, kommt einer Zerstörung des Kulturdenkmals gleich.

Seit der Präsentation der ersten Umbaupläne vor drei Jahren steht das Projekt im Kreuzfeuer der Kritik. Ökonomische Forderungen nach einem profitablen Zweckbau auf der einen stehen gegen ästhetisch-kulturelle Interessen zur Erhaltung des wichtigen Bauwerks der Nachkriegsmoderne auf der anderen Seite. Eine zwiespältige Rolle spielt dabei nicht zuletzt Günter Behnisch, der nach eigenen Worten sein ursprünglich «bewusst nicht in erster Linie am Profit orientiertes» Werk am liebsten so lassen möchte, wie es ist, gleichwohl aber – sein Urheberrecht geltend machend – die Vorschläge für die baulichen Veränderungen hin zur Kommerzialisierung gleich eigenhändig entworfen hat. Dabei treibt ihn freilich nicht nur der Ehrgeiz des Architekten, sondern auch die Sorge des Schöpfers um sein Werk.

Die Fussballclubs möchten ein «unter Einnahmebedingungen optimales Stadion». Die geplanten Eingriffe – Erweiterung der Sitzplätze auf 70 000, Einbau von Logen und zusätzlichen Flächen für VIP-Bereiche, Presse und Restaurants – stellen denn eine zunehmende Entfremdung vom ursprünglichen Konzept dar. Die Pläne, die Stadt, Architekt und Fussballvereine Anfang September vorstellten, sehen eine Absenkung des Spielfeldes zwecks Gewinnung von 5000 zusätzlichen Sitzplätzen vor, eine Verengung des Ovals und neue, steilere Tribünen an der Ostseite, die näher ans Spielfeld rücken. Vorrangiger Stein des Anstosses sind die Tribünen, die als harter Riegel die Anlage durchschneiden, sowie ein die Sitzplätze überdeckendes Dach. Beides würde die Transparenz des Baus gegen die Grünanlagen und innerhalb des Stadions einschränken. Das berühmte Dach wäre vom Park her kaum mehr zu sehen.

Die Massnahmen stellen einen massiven Eingriff in das «sensible Umfeld» (Behnisch) mit den feinen Kurven und luziden Konstruktionen aus Pylonen und Luftstützen dar. Sicherlich handelt es sich hierbei kaum um die Art von Lösung, die Denkmalschützer als Kunst des minimalen Eingriffs hochhalten würden. Keine Frage, das Olympiastadion ist nicht der Pantheon, und die Anforderungen an einen Zweckbau, wie sie die Sportarena nun einmal ist, ändern sich mit der Zeit und mit den Ansprüchen der Benutzer. Hinzu kommt, dass die Erhaltung im ursprünglichen Zustand eine teure Lösung wäre, die neue Nutzungskonzepten verlangen würde. Tatsache ist aber auch, dass der Olympiapark ein wichtiges Erholungsgebiet ist und die Fussballer nur einen Teil der Benutzer ausmachen. Ob den Sportlern mittelfristig das umgebaute Stadion genügen wird oder ob man am Ende nicht doch lieber ein «richtig schönes» Fussballstadion in Form eines neuen (etwa 100 Millionen Mark teureren) Gebäudes hätte, wird sich weisen. Bis dahin aber werden dem Olympiastadion vermutlich die Flügel schon gebrochen sein.

Neue Zürcher Zeitung, Di., 1998.12.22

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