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16. Dezember 2015Peter Hagmann
Neue Zürcher Zeitung

Musik hören bei Fuchs und Has

Weit muss man suchen, bis man einen akustisch so besonderen Konzertsaal wie den in La Chaux-de-Fonds findet. Inzwischen erstrahlt die Salle de musique in neuem Glanz – und klingt herrlicher denn je.

Weit muss man suchen, bis man einen akustisch so besonderen Konzertsaal wie den in La Chaux-de-Fonds findet. Inzwischen erstrahlt die Salle de musique in neuem Glanz – und klingt herrlicher denn je.

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04. Februar 2015Peter Hagmann
Neue Zürcher Zeitung

Überraschungen und Entdeckungen

Nach gut zweijähriger Bauzeit ist das Stadttheater Solothurn wiedereröffnet worden: modernisiert wie restauriert. Die erste Premiere im neuen Haus galt «King Arthur» von Purcell und Dryden.

Nach gut zweijähriger Bauzeit ist das Stadttheater Solothurn wiedereröffnet worden: modernisiert wie restauriert. Die erste Premiere im neuen Haus galt «King Arthur» von Purcell und Dryden.

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Stadttheater Solothurn - Umbau

30. Januar 2014Peter Hagmann
Neue Zürcher Zeitung

Ein verstecktes Juwel

Weitab von den Zentren des Musiklebens gibt es einen Konzertsaal, der seinesgleichen sucht. Tatsächlich treten in der für ihre Akustik gerühmten Salle de musique von La Chaux-de-Fonds die grossen Interpreten unserer Zeit auf.

Weitab von den Zentren des Musiklebens gibt es einen Konzertsaal, der seinesgleichen sucht. Tatsächlich treten in der für ihre Akustik gerühmten Salle de musique von La Chaux-de-Fonds die grossen Interpreten unserer Zeit auf.

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verknüpfte Bauwerke
Salle de musique La Chaux-de-Fonds

27. Juni 2008Peter Hagmann
Neue Zürcher Zeitung

Ein Nervenzentrum der Musik

Seit drei Jahren verfügt Budapest über einen neuen, vorzüglichen Konzertsaal. Dort gab es jetzt eine halbszenische Aufführung von Richard Wagners Tetralogie «Ring des Nibelungen».

Seit drei Jahren verfügt Budapest über einen neuen, vorzüglichen Konzertsaal. Dort gab es jetzt eine halbszenische Aufführung von Richard Wagners Tetralogie «Ring des Nibelungen».

Reizvoll die Fahrt mit der Strassenbahn, in der Linie 2, die der Donau entlangführt – doch plötzlich ist Schluss, Baustelle, es gilt den richtigen Autobus zu finden, und das ist nicht einfach. Schliesslich gelingt die Weiterfahrt, auch wenn das Gefährt übervoll ist. Nach wenigen Haltestellen erneutes Umsteigen – und dann endlich tauchen, mitten im Niemandsland, zwei grosse Bauten auf. Es sind das Nationaltheater und der Palast der Künste, die am südlichen Rand von Budapest errichtet wurden und hier ein neues kulturelles Nervenzentrum bilden sollen.

Von der Anbindung an den öffentlichen Verkehr könne er wenig Gutes berichten, gesteht András Csonka, stellvertretender Generalintendant am Palast der Künste. Sie seien eben eine nationale Institution, während die öffentlichen Verkehrsmittel unter städtischer Regie verkehrten – da gebe es Probleme. Die Tiefgarage freilich sei gross genug, und die Hälfte der Besucher komme ohnehin mit dem Privatauto.

Möglichst breites Angebot

Das mag als Nebensache erscheinen, trägt aber nicht wenig zum Eindruck bei, dass der Palast der Künste etwas peripher gelegen ist. Budapest verfügt in der zentral gelegenen Musikakademie über einen legendären Konzertsaal. Mit seinen 1200 Plätzen ist er nach den Massstäben des heutigen Musikbetriebs aber zu klein, daher der Neubau. Konkret wurde die Idee im Jahr 2000, als die in Budapest und Wien geplante Weltausstellung nicht zustande kam und das dafür vorgesehene Gelände frei blieb. Im Rahmen einer Zusammenarbeit zwischen privaten und staatlichen Geldgebern wurde der Palast der Künste von einem Team um den Architekten Gábor Zoboki erbaut und im März 2005 eröffnet. Der ungarische Staat hat das Gebäude für dreissig Jahre von den privaten Besitzern gemietet und lässt es von einer staatlichen GmbH betreiben.

Das Herzstück im Palast der Künste bildet der nach Béla Bartók benannte Konzertsaal mit seinen knapp 1700 Plätzen; dazu kommen ein Theater mit 400 Plätzen und das der zeitgenössischen Kunst dienende Museum Ludwig – ein etwas heterogenes Raumprogramm, das nicht zuletzt dadurch auffällt, dass es für Kammermusik keine geeignete Kapazität gibt. 500 Veranstaltungen pro Jahr finden hier statt. Die eine Hälfte wird vom Palast der Künste selbst organisiert, die andere von Aussenstehenden, zum Beispiel der Nationalphilharmonie, die hier ihren neuen Sitz hat. Rund 500 000 Menschen frequentieren das Kulturzentrum übers Jahr, die Auslastung erreicht rund 85 Prozent – und das bei einer Eigenwirtschaftlichkeit von rund 30 Prozent.

Da setzt die Kritik ein. Es sei natürlich wunderbar, dass es diesen neuen Saal gebe, sagt Iván Fischer. Der Dirigent weiss, wovon er spricht. 1993 hat er das Budapest Festival Orchestra gegründet und es zum besten Klangkörper Ungarns gemacht, der zudem intensiv reist; seine Konzerte in Budapest gibt das Orchester inzwischen im Palast der Künste, in den es sich einmietet. So dankbar der Dirigent für diese Möglichkeit ist, so sehr sieht er, dass die neue Institution die Gelder monopolisiert. Nach der Wende ist das ungarische Musikleben förmlich explodiert; zahllos die privaten Initiativen, die sehr viel Bewegung in die Szene gebracht haben. Heute ist davon nur noch wenig übrig. Es fehlt an Geld, nicht zuletzt weil die Mittel eben stark kanalisiert sind.

Und – dies ein zweiter Aspekt, der kritisch gesehen wird – vielleicht nicht optimal kanalisiert sind. Tatsächlich bietet der Palast der Künste ein Programm, das wenig gestaltende Hand erkennen lässt. Die Verantwortung dafür liegt bei der Generalintendanz, die aus den Vorschlägen von Dramaturgen ihre Auswahl trifft. In ihrer gesamten Breite solle die Musik im Palast der Künste vertreten sein, unterstreicht András Csonka, weshalb es hier nicht nur das klassisch-romantische Standardrepertoire gibt, sondern auch Musical, Jazz, Weltmusik und Pop. Doch anders als etwa bei der Cité de la Musique in Paris, die einen ähnlichen Ansatz verfolgt, das aber im Zeichen einer avancierten Ästhetik tut, scheint in Budapest die Quote ausschlaggebend zu sein. Neue Musik, bemerkt Csonka mehrere Male, lasse sich nur schwer verkaufen; mit Stolz weist er dafür auf zwei Abende mit Cecilia Bartoli hin, die er in der kommenden Saison anbieten kann. Manifestiert sich da nicht ein Hauch von Provinzialität? Ja, sagt der Dirigent Iván Fischer, Ungarn liege etwas abseits, schon allein der Sprache wegen.

Doch nun gehen die Türen zum Palast der Künste in Budapest auf, der Besucher aus der Schweiz betritt das helle Foyer, bewundert seine Grosszügigkeit, amüsiert sich über die rein ungarischen Beschriftungen – und stösst gleich auf eine architektonische Auffälligkeit. Wie ein grosser Schiffsrumpf aus Holz wölbt sich da der Konzertsaal ins Foyer hinein, genau gleich wie in dem von Jean Nouvel entworfenen Kultur- und Kongresszentrum Luzern (KKL). Das ist kein Wunder, denn auf Wunsch des Architekten wurde der Akustiker Russell Johnson beigezogen. Der Saal lässt tatsächlich seine Handschrift erkennen: etwas schmal und stark in die Höhe gezogen, zuoberst die dunkelblaue Decke, über dem Podium das «canopy», seitlich die Echokammern und die kleinteiligen, hier farbigen Gipselemente. Der Klang ist ähnlich analytisch und trennscharf wie in Luzern, wenn auch eine Spur heller.

Wagner auf dem Konzertpodium

Hier fanden nun die Budapester Wagner-Tage statt, die dieses Jahr zum ersten Mal Wagners «Ring des Nibelungen» an vier aufeinanderfolgenden Abenden geboten haben. Auf dem Podium, vor dem ein Orchestergraben abgesenkt ist, eine kleine Spielfläche, auf der die Sängerinnen und Sänger unter der Anleitung des Salzburger Bühnenbildners Hartmut Schörghofer in Konzertkleidung sparsam agieren, dahinter eine Leinwand für die Videos von Momme Hinrichs und Torge Møller von FettFilm. Eine Alternative zu Bayreuth solle hier entstehen, so das nicht eben kleine Wort von Adam Fischer, dem Dirigenten des Abends. Und im Zentrum soll die Musik stehen, ungestört von den Zumutungen des Regietheaters.

Tatsächlich handelt es sich, wie «Das Rheingold» gezeigt hat, um eine halbszenische Aufführung, wie sie beim Lucerne Festival schon verschiedentlich im Programm stand. Die Visualisierungen lassen keine deutenden Ansätze erkennen und bleiben so beliebig, dass sie nicht weiter stören. Hervorragend dafür das Sinfonieorchester des Ungarischen Rundfunks, das Adam Fischer am Pult zu leisem und zugleich farbenreichem Spiel anleitete. Die Besetzung orientierte sich an internationalem Standard, wobei Alan Titus (Wotan) und Hartmut Welker (Alberich) mit schwachen, Christian Franz (Loge) und Eszter Wierdl als Woglinde mit ausgesprochen profilierten Leistungen auffielen.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2008.06.27



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Palast der Künste

19. September 2007Peter Hagmann
Neue Zürcher Zeitung

Schaffen neue Räume neue Kunst?

Lucerne Festival – das ist nach wie vor eine Reihe glanzvoller Orchestergastspiele mit mehrheitlich spätromantischer Musik. Stärker denn je ist diesen Sommer aber deutlich geworden, welche Rolle der Moderne zukommt. Nicht zuletzt zeugt davon das Projekt der Salle Modulable.

Lucerne Festival – das ist nach wie vor eine Reihe glanzvoller Orchestergastspiele mit mehrheitlich spätromantischer Musik. Stärker denn je ist diesen Sommer aber deutlich geworden, welche Rolle der Moderne zukommt. Nicht zuletzt zeugt davon das Projekt der Salle Modulable.

Die Sommerausgabe 2007 von Lucerne Festival ist zu Ende. Der Erfolg darf sich sehen lassen – in quantitativer Hinsicht ohnehin, aber auch in qualitativer. Wohl noch nie wie in diesem Jahr wurde deutlich, wie fruchtbar sich hier Kreation und Interpretation begegnen. Zentrum des Angebots bilden nach wie vor die Sinfoniekonzerte, in denen das Podium den wichtigen Orchestern und bedeutenden Dirigenten gehört – wobei hier allerdings zweierlei ins Auge fällt.

Modern, aber gefühllos?

Zum einen gibt es bei den Sinfoniekonzerten immer mehr Abende, die das Motto des Festivals verwirklichen; Beispiel dafür war das Programm der Wiener Philharmoniker, das von Bartók zu Ligeti führte und dabei andeutete, wie sehr die Klangflächen von «Atmosphères» auch in der «Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta» wurzeln – das war «Herkunft» pur. Zum anderen war in der direkten Abfolge der Gastspiele wieder zu erleben, wie sehr sich das Feld des Orchestralen in Bewegung befindet. Besonders gut geht es jenen Orchestern, die sich für einen künstlerisch im Hier und Jetzt lebenden Dirigenten entschieden haben – etwa den Berliner Philharmonikern mit Simon Rattle oder den Bamberger Symphonikern mit Jonathan Nott, die in Luzern einen ähnlich vitalen Eindruck hinterliessen wie vor vier Jahren das Staatsorchester Hamburg mit Ingo Metzmacher.

Dann wäre das ein Weg in die Zukunft? Gerne wird moniert, dass bei den in der Moderne verankerten Dirigenten eine strukturelle Deutlichkeit herrsche, die zulasten des grossen Bogens und der Atmosphäre gehe. Allein, da wird ein Widerspruch konstruiert, der auf überkommenen Vorstellungen von musikalischer Interpretation basiert – das erwiesen die Auftritte der Altmeister Claudio Abbado, Pierre Boulez und Bernard Haitink. Mahlers Dritte mit Abbado und Bruckners Achte mit Haitink waren bis in die letzte Verästelung verständlich und zugleich von zutiefst musikalischem Leben erfüllt. Und die hinreissende Aufführung von Stockhausens «Gruppen» mit Boulez, Peter Eötvös und Jean Deroyer liess zutage treten, dass auch die vermeintlich gefühllose neue Musik erst zu atmen beginnt, wenn sie von Könnern in Schwingung versetzt wird.

Oder umgekehrt: dass neue Musik den Hörer vielleicht auch darum oft nicht direkt anspricht, weil sie zu wenig gut interpretiert wird. Genau daran arbeitet die von Boulez geleitete Lucerne Festival Academy, die mit ihrer gezielt auf die Moderne ausgerichteten Nachwuchsförderung im Rahmen eines prestigeträchtigen Festivals weltweit nicht ihresgleichen hat. Hier kommt es zu Wechselwirkungen, die unmerklich die Horizonte weiten, auch beim grossen Publikum, das heute in Luzern dem Neuen offener gegenübersteht als in früheren Zeiten. Davon zeugt etwa der Erfolg der Serie «Moderne», die dieses Jahr von den in Residenz eingeladenen Künstlern ganz besonders profitierte. Der Pianist Pierre-Laurent Aimard ist ein hinreissender Vermittler neuer Musik, während Peter Eötvös als Komponist so fasslich und eigen schreibt, wie er als Dirigent warmherzig und kompetent nach aussen wirkt.

In diese Richtung soll es nun entschieden weitergehen. Wenn alles klappt, soll Luzern im Jahre 2012 – die nüchterne Nachricht bildete den heimlichen Höhepunkt des Festivals – über die erste voll ausgebaute Salle Modulable der Welt verfügen: einen Raum, der sich den verschiedensten künstlerischen Bedürfnissen anpassen lässt. Oper soll dort ebenso möglich sein wie modernes Musiktheater, Kammermusik, die intimere Säle erfordert, ebenso wie eines der Werke neueren Datums, die den Klang im Raum verteilen. Die Idee ist formuliert, eine architektonische Skizze ausgeführt; vor allem aber liegt von privater Seite eine Zusage in der Höhe von 100 Millionen Franken für die Baukosten vor – wobei es, wie Michael Haefliger als Intendant von Lucerne Festival und Initiant des Projekts unterstreicht, hinsichtlich dieser Summe durchaus Flexibilität gibt. – Drei Wochen sind seit der Ankündigung vergangen, und bereits stehen zwei Grundstücke in Aussicht, eines in nächster Nähe zum Kultur- und Kongresszentrum Luzern (KKL), eines etwas weiter entfernt, aber durch öffentlichen Verkehr gut erschlossen. Nur: Bauen ist das eine, der Betrieb mit seinen regelmässig anfallenden Kosten aber das andere – der Fall des Zürcher Schiffbaus mag dafür als Beispiel dienen. Leitlinien zu einem Betriebskonzept, analog der architektonischen Skizze, gibt es noch nicht. Fest steht aber, so Haefliger, dass Lucerne Festival weder auf einen Ganzjahresbetrieb zielt wie das Baden-Badener Festspielhaus, wo die private Finanzierung auch im Programm sichtbar wird, noch eine beherrschende Stellung in Luzern erringen möchte. Bestimmend ist im Gegenteil der Gedanke der Synergie – und über die Kooperation mit den subventionierten Luzerner Institutionen sollen auch die Betriebskosten im Griff behalten werden.

Angesprochen ist hier, neben dem Luzerner Sinfonieorchester und der Musikhochschule, vor allem das Luzerner Theater – dessen Direktor Dominique Mentha die Salle Modulable nicht als Bedrohung, sondern als Chance sieht. Als Chance, der Enge des Hauses an der Reuss zu entfliehen, der Oper neue Möglichkeiten zu erschliessen und damit dem Schauspiel Raum zu öffnen. Und Haefliger fügt bei, die Salle Modulable könnte für das Luzerner Theater werden, was das KKL für das Luzerner Sinfonieorchester wurde: die Plattform für einen Schritt nach oben. Sind dann aber 1000 Plätze nicht doch zu wenig? Mehr als 1000 Zuschauer, so entgegnet Haefliger, liessen sich auf einer einzigen Ebene nicht sinnvoll placieren und Galerien oder Balkone seien ausgeschlossen; das letzte Wort dazu sei jedoch nicht gesprochen.

Frisch voran

Das Projekt der Luzerner Salle Modulable mag riskant erscheinen. Es hat ästhetische Wurzeln: in der Moderne. Und es ist umgekehrt verankert in der am KKL gewonnenen Erfahrung, dass ein neuer Saal auch neue Kunst hervorbringen kann. Ebenso visionär wie pragmatisch denkt Haefliger vom Raum her – der seine eigene Welt kreieren, zu erhöhtem Erlebnischarakter führen und damit eine besondere Attraktion schaffen solle. Andernorts quält man sich mit Vorentscheidungen; Zürich tut sich schwer mit seinem neuen Kongresshaus, Basel hat den Umbau des Stadtcasinos begraben und eine weitere Stufe der kulturellen Agonie erreicht, das katholische Luzern schreitet dagegen fröhlich zur Tat. Und an Vorstellungen, was sich dereinst in der Salle Modulable ereignen könnte, fehlt es wahrhaft nicht.

Neue Zürcher Zeitung, Mi., 2007.09.19

09. Juni 2005Peter Hagmann
Neue Zürcher Zeitung

Ein neues Haus für neue Musik

Dass sich eine Stadt mit beträchtlichem Aufwand ein Konzerthaus baut, in dem ausschliesslich neue Musik geboten wird - wo gibt es das? In Amsterdam ist es Wirklichkeit geworden: mit dem Muziekgebouw aan 't IJ, das sich neben das Concertgebouw am Museumsplein stellt. Für erste Höhepunkte im Haus sorgt das Holland Festival, das sich mit Pierre Audi an der Spitze etwas anders auszurichten gedenkt.

Dass sich eine Stadt mit beträchtlichem Aufwand ein Konzerthaus baut, in dem ausschliesslich neue Musik geboten wird - wo gibt es das? In Amsterdam ist es Wirklichkeit geworden: mit dem Muziekgebouw aan 't IJ, das sich neben das Concertgebouw am Museumsplein stellt. Für erste Höhepunkte im Haus sorgt das Holland Festival, das sich mit Pierre Audi an der Spitze etwas anders auszurichten gedenkt.

Es liegt nicht gerade an einem der bekannten Wege in Amsterdam, sondern vielmehr an einer brandneuen Tramlinie, von der selbst Ortsansässige noch nicht recht wissen. Man muss unter den Bahngeleisen hindurch zu einem Viertel am linken Ufer des Flusses IJ, das erst am Entstehen ist. Immerhin, der Name der Haltestelle räumt jeden Zweifel aus. Und schon vorher, von weitem, hatte es sich mit grossen Buchstaben zu erkennen gegeben: das Muziekgebouw aan 't IJ, der neueste Konzertsaal der niederländischen Hauptstadt. Nicht dass dem Concertgebouw etwas geschehen wäre; der traditionelle, für seine Akustik berühmte Sitz des Koninklijk Concertgebouworkest ist in Betrieb wie eh und je. Mit dem Muziekgebouw aan 't IJ hat sich Amsterdam vielmehr eine zusätzliche Einrichtung geschaffen: ein neues Haus für neue Musik.

Im Zeichen der Offenheit

Ins Auge fallen zuallererst die Glasfassade mit ihrer riesigen Front und das weit auskragende Flachdach - Jean Nouvel und das Kultur- und Kongresszentrum Luzern lassen grüssen. Aber die Transparenz wirkt fast noch stärker als beim KKL. Wie sich beim abendlichen Flanieren an den Grachten der Innenstadt durch die Fenster in die Wohnungen blicken lässt, sind die im Muziekgebouw versammelten Menschen schon von aussen zu sehen. Das Foyer selbst ist ganz auf Weite hin angelegt; das Restaurant wird durch Glaswände abgetrennt, und die Treppen in die oberen Etagen ragen in bewegtem Spiel in den Raum. Geradezu atemberaubend ist aber der Blick durch die Glasfront hinaus auf die grosszügige Terrasse und die vom Amsterdamer Wind bewegte Wasserfläche des Flusses.

Herrscht im Foyer eine Vielfalt an Materialien, die dem Durcheinander der Stimmen in der Pause entsprechen mag, so gibt sich der Konzertsaal, der wie in Nouvels KKL mit seiner Aussenseite ins Foyer ragt, ruhig und nüchtern. In dem nahezu quadratischen Inneren mit seinem steil ansteigenden Balkon und einer zusätzlichen Seitengalerie dominiert helles Ahornholz in schlichten Formgebungen. Die 735 Sitze, mit rotem Stoff überzogen, bieten bequem Platz. Sie können mit wenigen Handgriffen und den üblichen zwanzig Minuten einer Konzertpause entfernt werden. Da auch Boden und Decke verstellbar sind, können ganz unterschiedliche Raumdispositionen gewählt werden, während der Nachhall zwischen einer und dreieinhalb Sekunden verändert werden kann: eine salle modulable, die auf die Bedürfnisse neuer Musik ausgerichtet ist.

Zu Konzertsaal und Foyer kommt ein kleiner Saal mit 135 Sitzplätzen, kommen Garderoben, Stauraum und Büros - immer grösser werden die Augen beim Rundgang. So etwas gab es bis anhin nur in Paris, wo Pierre Boulez mit der Cité de la Musique einen Sitz für das von ihm gegründete Ensemble Intercontemporain erstritten hat. Das Muziekgebouw aan 't IJ dient nicht einem bestimmten Ensemble, es versteht sich als offene Institution - so sieht es sein Direktor Jan Wolff, auf dessen Idee es zurückgeht. Wolff hat früh als Musiker begonnen: als Hornist im Concertgebouworkest und in verschiedenen Ensembles. 1979 hat er in Amsterdam den IJsbreker gegründet, einen rasch erfolgreichen Konzertsaal mit Café für neue und experimentelle Musik. Seit 1986 hat sich Wolff um ein eigenes Haus für seine Unternehmung bemüht; da steht es jetzt, unter aktiver Teilnahme Wolffs und mit den Mitteln der Stadt Amsterdam erbaut von dem Architekturbüro 3XNielsen aus dem dänischen Århus.

Das Muziekgebouw beherbergt eine Reihe niederländischer Ensembles für neue Musik, das Asko- und das Schönberg-Ensemble etwa, um nur die bekanntesten zu nennen. Die Ensembles haben in dem neuen Haus ihre Büros eingerichtet und finden hier Räumlichkeiten für die Proben - und selbstverständlich treten sie in den diversen Konzertreihen auf, die das Muziekgebouw nach der Eröffnung im Rahmen des Holland Festival von der kommenden Saison an veranstaltet. Ein breites Spektrum an neuer, experimenteller, auch aussereuropäischer Musik wird da geboten, zum Mozart-Jahr 2006 gastiert aber auch das Orchester des 18. Jahrhunderts mit seinem Dirigenten Frans Brüggen - Offenheit ist auch in der Programmgestaltung das zentrale Stichwort. Getragen wird das von Jan Wolff mit 25 Mitarbeitern betriebene Unternehmen durch die Stadt Amsterdam, während für die Veranstaltungen der niederländische Staat Subventionen leistet.

Dem Muziekgebouw angegliedert und in einem eigenen Anbau untergebracht ist das Bimhuis, ein Veranstaltungsort für Jazz und improvisierte Musik. Die Konkurrenz unter den Musikern und unter den Veranstaltern sei natürlich, sagt Jan Wolff; ebenso sehr gelte es aber, Gemeinsamkeiten zu fördern und Synergien zu nutzen. Deshalb hat sich jetzt auch das Holland Festival im Muziekgebouw niedergelassen. Wie zum Beispiel die Berliner Festwochen ist der Amsterdamer Grossanlass, der jeweils zum Ende der Saison durchgeführt wird, etwas in die Jahre gekommen. Seit diesem Sommer wird er von Pierre Audi geleitet, dem künstlerischen Direktor der Niederländischen Oper, der sich vorgenommen hat, der traditionellen Einrichtung einen Energieschub zu verpassen. Dass jetzt das neue Muziekgebouw zur Verfügung steht, kommt ihm dabei sehr gelegen.

Musik und Raum

Im Gegensatz zu den Wiener Festwochen, die unter der Leitung von Luc Bondy ein Festival des Schauspiels geworden sind, möchte Pierre Audi in Amsterdam einen musikalischen Schwerpunkt setzen. Doch nicht um Beethoven und Brahms soll es gehen, sondern um neue und ferne Musik, um den Bezug zwischen Musik und Raum und um die Vernetzung mit anderen Künsten. Zur Eröffnung trat im Muziekgebouw das Reigakusha Gagaku Ensemble auf, eine Gruppierung japanischer Musikerinnen und Musiker, die sich mit der traditionellen Musik des japanischen Kaiserhofs befassen. Die näselnde Mundorgel Shô, das zarte Zupfinstrument Koto und die Flöte Ryuteki wurden vorgeführt - und natürlich auch die ebenso klare wie füllige Akustik des neuen Saals, die das Ingenieurbüro Peutz konzipiert hat. Aber man musste sich auf diese für unsere Ohren einförmige Musik schon einlassen, wollte man sich nicht enttäuscht fühlen. Erst recht gilt das für den zweiten Teil des Abends, der neue Musik für das Gagaku bot: eine eigenartige, wenn nicht befremdliche Konstellation.

Was der Saal im neuen Muziekgebouw bietet, zeigte einen Abend später die von Pierre Audi konzipierte halbszenische Aufführung von «L'Amour de loin», der im Sommer 2000 in Salzburg aus der Taufe gehobenen Oper der Finnin Kaija Saariaho. Das Podium diesmal ganz schwarz ausgekleidet, im Hintergrund eine weisse Leinwand, davor das Orchester der Finnischen Nationaloper Helsinki unter der Leitung der jungen Dirigentin Susanna Mälkki, schliesslich ein Laufsteg, auf dem die tragische Liebesgeschichte zwischen dem Troubadour Jaufré Rudel und der in fernen Landen lebenden Prinzessin Clémence erzählt wurde. Die Darsteller kamen einem erschreckend nah - so nah, dass man die Machart des Make-ups erkennen konnte, wo man doch allein seiner Wirkung erliegen sollte. Da verliert das Theater sein Geheimnis. Andererseits führten die direkte Wirkung des Musikalischen in der auch hier optimalen Akustik, der spannende Einsatz von Licht und Farbe sowie die sparsame Körpersprache zu einer merklichen Intensivierung des Geschehens. Von der herkömmlichen räumlichen Disposition befreit und in engen Kontakt zum Publikum gebracht, kann das musikalische Theater ganz ungewohnte Dimensionen erreichen - das war hier zu erleben. Und zu spüren war, dass von einer Einrichtung wie dem Muziekgebouw aan 't IJ Anregungen ausgehen können, die für die musikalische Kultur insgesamt von Bedeutung sind.

[Informationen im Internet unter muziekgebouw.nl und hollandfestival.nl.]

Neue Zürcher Zeitung, Do., 2005.06.09



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Muziekgebouw aan 't IJ

09. Dezember 2004Peter Hagmann
Neue Zürcher Zeitung

Wiedergewonnen, wiederbelebt

Eröffnung des renovierten Teatro alla Scala di Milano

Eröffnung des renovierten Teatro alla Scala di Milano

Es riecht nach frischer Farbe, aber es ist alles trocken - und, Hand aufs Herz, es ist wunderbar geworden. Eng wie eh und je sind die Seiteneingänge zu dem mächtigen Zuschauerraum mit seinen rund zweitausend Plätzen, doch schon dort fällt das edle, helle Parkett auf, mit dem der Boden jetzt belegt ist. Komfortabel die in schlichtem Weinrot gehaltenen Sitze; sie bieten mehr Beinfreiheit als vorher. Und dann zieht es den Blick nach oben, hin zu den sechs Galerien, für die das Haus bekannt ist; prächtig, in einer genuinen Weise theatralisch das dunkle Rot der Wandbezüge, das Gold der Stuckaturen und die Lichtwirkung der Tausende kleiner Lampen. Und besonders fällt jetzt nicht die majestätische Ehrenloge in der Mitte, sondern die reich vergoldete, stark mit Spiegeln besetzte Seitenloge von Giuseppe Piermarini auf, dem Architekten der Scala.

Neuer Klang

Das alles war am 7. Dezember, dem Tag des Mailänder Stadtheiligen Ambrosius, an dem die Scala jeweils ihre Saison eröffnet, zum ersten Mal zu bestaunen. Seit Anfang 2002 war das Teatro alla Scala in Mailand geschlossen, war der Spielbetrieb ins moderne Teatro degli Arcimboldi verlegt. In zweieinhalb Jahren Bauzeit ist das Haus unter der Federführung des Architekten Mario Botta umfassend renoviert und erweitert worden (vgl. NZZ vom 7. 12. 04). Dabei wurden auch Sünden getilgt, die bei der eiligen Wiedererrichtung des durch Bombentreffer beschädigten Theaters 1945/46 begangen worden waren. Wurde zum Beispiel jener Betonboden ersetzt, der damals kurzerhand über die Trümmer gelegt worden war - so dass der Raum jetzt wieder schwingen kann. Die Akustik, so jedenfalls ein erster Eindruck von einem Sitzplatz am seitlichen Rand des Parketts aus, ist denn auch merklich besser geworden. Geradezu üppig der Nachhall; er verleiht dem Klang ausgesprochen opulente Züge. Zugleich treten die Stimmen klar heraus; stehen die Sänger seitlich an der Rampe, wirken sie gar wie verstärkt.

Grundlegend erneuert und substanziell erweitert wurde auch der Bühnenbereich; die Scala verfügt heute über eine Seitenbühne, einen Schnürboden, eine Untermaschinerie und eine Beleuchtungsanlage modernster Bauweise. Stolz wurde das bei der Eröffnungspremiere von dem Ausstatter Pier-Luigi Pizzi vorgeführt. Ganze Reiterarmeen, undurchdringliche (und zugleich natürlich erlesen konstruierte) Gefängnistürme und steile Treppen wurden auf Podesten von der Seite her auf die Bühne gefahren. Wie von Geisterhand gesteuert, bewegte sich ein schwarzes Schiff auf den Bühnenrand zu, wo es ins Drehen geriet und schliesslich auseinander brach. Der Chor wurde jeweils auf Liften von unten heraufgestemmt, während sich von oben verspiegelte Wände herabsenkten. Nicht immer hatte das seinen Grund, aber Opernregie heisst in Italien - und auch bei Luca Ronconi, der die Eröffnungsproduktion szenisch geleitet hat - ohnehin eher Dekoration als Psychologie. Dem Gepränge, das hier mit dem Musiktheater verbunden wird, dient diese Bühne ohne Zweifel.

Dem Werk, das zur Saisoneröffnung und zur Einweihung des Hauses gegeben wurde, entsprach der technische Aufwand weniger. Aber die Wahl, die Riccardo Muti, der Musikdirektor der Scala, getroffen hatte, war in ihrer Weise stimmig. Er hatte sich für «Europa riconosciuta» entschieden, die «Festa teatrale» von Antonio Salieri, die am 3. August 1778 zur Eröffnung des Teatro alla Scala gespielt worden war, dann jedoch in den Archiven verschwand. Begreiflicherweise. Es handelt sich um ein Gelegenheitswerk eines zweitrangigen Komponisten, dessen Name heute nur noch darum bekannt ist, weil er dank seinen gesellschaftlichen Beziehungen und seiner herausragenden Stellung am Wiener Kaiserhof zum Rivalen Mozarts wurde. Reichlich schematisch berichtet das Libretto von Mattia Verazi von der Königstochter Europa, die entführt und zur Ehe gezwungen wurde und die in dem Moment, da sie den Thron ihres Vaters erben könnte, grossherzig Pflicht vor Neigung stellt. Und wenn man hört, mit welch geringer Imagination diese Geschichte in die musikalische Form der Opera seria für Kastraten gegossen worden ist, kann man auf Anhieb verstehen, warum Salieri auf Mozart so schlecht zu sprechen war.

Immerhin, aufgeführt wurde das Stück in sehr respektabler Weise. Riccardo Muti, der sich seit Jahren mit der vergessenen klassizistischen Musik aus dem späten 18. Jahrhundert beschäftigt, nahm auch die Partitur von Salieri sehr gelassen, fast statisch, und das Orchester der Scala folgte ihm mit leuchtendem, aber etwas breitem, im Inneren der Strukturen nicht sehr belebtem Klang. Untadelig die Besetzung. Die Titelrolle der Europa bewältigte Diana Damrau mit Beweglichkeit und Intonationssicherheit, während Désirée Rancatore in der Partie der Semele etwas Mühe mit den Koloraturen erkennen liess, das aber durch Ausstrahlung und Präsenz wettmachte. In den beiden Hosenrollen des Asterio und des Isseo bewährten sich Genia Kühmeier und Daniela Barcellona. Giuseppe Sabbatini wiederum, der einzige Mann in der Runde, verhalf den Ränkespielen des Egisto wenn nicht zu erfolgreichem Ende, so doch zu blendender vokaler Wirkung. Und wie es sich bei einer «Festa teatrale» gehört, gab es vor der grossen, langen Pause ein Ballett, das von Heinz Spoerli choreografiert worden war.

Ballett der Blaulichter

Am Ende, nach dem doch eher matten Beifall, war die Welt wieder ganz und gar in Ordnung. Verlagerte sich das Theater, wie es an Sant' Ambrogio Sitte ist, von der Bühne auf den Platz vor der Scala. Republikanische Garden mit Federbusch, Offiziere in dunkelblauen Capes mit rotem Innenfutter, das nicht von Heinz Spoerli geleitete Ballett der Begleitfahrzeuge mit Blaulicht, der Bürgermeister Gabriele Albertini in seiner Limousine, stürmisch begrüsst von der Menge hinter den Abschrankungen - das wird Jahr für Jahr mit Inbrunst und Verspieltheit gelebt, wie es nur hier möglich ist. Zweihundert Fotografen sollen den Anlass verfolgt haben, je einen auf zehn Besucher.

Neue Zürcher Zeitung, Do., 2004.12.09



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Teatro alla Scala - Umbau

28. Oktober 2003Peter Hagmann
Neue Zürcher Zeitung

Im Namen der Rose

Mit einem dreitägigen Grossanlass hat das Los Angeles Philharmonic seine neue, von dem Architekten Frank Gehry und dem Akustiker Yasushi Toyota konzipierte Wirkungsstätte bezogen. Der Konzertsaal ist ästhetisch wie akustisch vorbildlich gelungen.

Mit einem dreitägigen Grossanlass hat das Los Angeles Philharmonic seine neue, von dem Architekten Frank Gehry und dem Akustiker Yasushi Toyota konzipierte Wirkungsstätte bezogen. Der Konzertsaal ist ästhetisch wie akustisch vorbildlich gelungen.

I did it. Stellte mich mitten auf die Champs- Elysées, blickte in die Strassenschlucht und liess die Wolkenkratzer wirken. Natürlich nicht auf die wirklichen Champs-Elysées, sondern ihr Abbild in der Neuen Welt, die Grand Avenue in Downtown Los Angeles, die aus gegebenem Anlass gesperrt und autofrei war. Der Anlass: die Eröffnung der neuen Walt Disney Concert Hall des Architekten Frank Gehry und des Akustikers Yasuhisa Toyota, die mit drei Konzerten, einer Ausstellung zum Werk des Architekten, mit Empfängen und Feuerwerk begangen wurde. Das Kulturzentrum auf dem Bunker Hill mit dem Dorothy Chandler Pavilion, in dem die Los Angeles Opera jetzt allein residiert, und den beiden anderen Theatern des Music Center, mit dem Museum of Contemporary Art und der privaten Colburn School of Performing Arts hat durch den Konzertsaal eine kräftige Aufwertung erfahren. Ob die Grand Avenue damit ihrem Vorbild näher kommen und die Riesenstadt in Kalifornien ein Wahrzeichen jenseits von Hollywood erhalten wird, muss die Zukunft weisen.

Der Haupteingang mit seiner Treppe aus Travertin nimmt sich schon einmal vergleichsweise bescheiden aus - aber das hat auch damit zu tun, dass der eigentliche Eingang dort liegt, wo es zu den Parkplätzen geht. In dieser so sehr in die Breite gestreuten Stadt, in der es nur wenig öffentlichen Verkehr gibt, bewegt man sich mit dem Privatauto, und so hat die Regionalverwaltung, die das Grundstück zur Verfügung gestellt hat, eine sechsstöckige Tiefgarage gebaut, die ebenso viele Plätze aufweist wie der Konzertsaal. In den hellen, weiten Foyers, denen sich zahlreiche Nebenräume für Einführungsveranstaltungen und private Versammlungen anschliessen, fallen die gekurvten Holzelemente auf, die wie riesige Rispen in die Höhe streben. Der Weg an den Platz führt an einer Wand aus Filz vorbei, an der die Namen unzähliger Gönner aufgeführt sind; tatsächlich sind die 274 Millionen Dollar für den Bau des neuen Konzertsaals voll und ganz von privater Seite aufgebracht worden - eine Bürgerinitiative der besonderen Art.

Runde Formen dominieren auch den Konzertsaal. Von Anfang an hatte die Berliner Philharmonie von Hans Scharoun als Vorbild gegolten. Der Akustiker Yasuhisa Toyota vom Büro Nagata in Tokio hatte dem entgegengehalten, dass die parallelen Wände der Schuhschachtel, die etwa dem Goldenen Saal im Wiener Musikverein zugrunde liegt, der Klangentfaltung im Saal dienlicher seien. Weshalb Gehry einen Mittelweg gewählt hat. Im Grundriss geht die Disney Hall von einem Rechteck aus, doch präsentiert sie sich nicht in italienischer Anordnung mit dem Podium vorne und den Sitzreihen dahinter; die Plätze sind vielmehr wie in der Berliner Philharmonie in steil ansteigenden Gruppen zusammengefasst, die, den Terrassen eines Weinbergs gleich, um das Podium verteilt sind. Eine Art Arena also - und die weiche Rundung bestimmt auch die durchwegs in Holz gehaltenen Verkleidungen der Wände und der Decke. Selbst bei der Orgel hat Gehry das stramme Nebeneinander der Pfeifen zu vermeiden gesucht - und deshalb den Prospekt als einen etwas durcheinander geratenen Blumenstrauss entworfen, hinter den die deutsche Firma Glatter-Götz das (noch nicht fertig intonierte) Instrument gebaut hat.

Hinter dem Raumkonzept steht die Überzeugung, dass das Konzert seine Attraktion vorab aus dem Live-Charakter und dem gemeinschaftlichen Erleben gewinnt - in einer Medien-Stadt wie Los Angeles mag das besonders ins Gewicht fallen. Trotz der relativ hohen Zahl von 2226 Plätzen sollte das Gefühl der Intimität und der direkten Wirkung erhalten bleiben. Der Blick aufs Podium wie in den Kreis der Zuhörerschaft sollte von allen Plätzen aus gewährleistet sein; und der Klang sollte so unmittelbar aufs Ohr treffen, dass sich der Zuhörer involviert, ja körperlich angesprochen fühlt. Das ist alles eindrücklich gelungen. Der mit floralen Mustern dekorierte, bunte Bezug der Sitze ist gewöhnungsbedürftig, aber optisch wirkt der übrigens durch Tageslicht erhellte Saal in keiner Weise monumental. Und die Akustik, die sich ja nicht bis ins Letzte errechnen lässt, gehört zum Besten in diesem Bereich. Wie im Luzerner Konzertsaal von Jean Nouvel und Russell Johnson sind die musikalischen Abläufe bis in die Einzelheiten zu verfolgen, doch anders als bei diesem eigentlichen Gegenstück strahlt der Klang Fülle, Wärme und direkt einwirkende Kraft aus - wie in dem ebenfalls vom Büro Nagata gestalteten Kitara-Saal im japanischen Sapporo.

Wenn sich die Disney Hall als konventioneller Konzertsaal mit fester Bestuhlung und nur wenig modifizierbarer Akustik versteht, so herrscht hier doch ausgeprägt der Geist der Gegenwart. Das ist dem Los Angeles Philharmonic und Esa-Pekka Salonen, seinem Chefdirigenten, zu verdanken. Seit Jahren liegt in den Programmen der Akzent auf der Musik des 20. und 21. Jahrhunderts - was sich auch in den drei Eröffnungskonzerten niedergeschlagen hat. «Sonic LA» nannte sich das erste, und es führte von der kleinsten Besetzung mit der Sängerin Diane Reeves, welche die amerikanische Nationalhymne solo vortrug, über die Raumwirkungen in «The Unanswered Question» von Charles Ives zur Grossformation von Igor Strawinskys «Sacre du printemps» - der in einem Saal mit dem Namen Walt Disneys natürlich nicht fehlen durfte.

Am zweiten Abend, «Living LA», stellte Salonen mit den «LA Variations» ein eigenes Stück vor und gab es das Cellokonzert von Witold Lutosawski mit dem blendend aufgelegten Yo- Yo Ma sowie eine gewiss anregend ausgedachte, aber für europäische Ohren fragwürdige Uraufführung von John Adams. Bis hin zu der Filmmusik von «Soundstage LA» am dritten Abend bewährte sich das Los Angeles Philharmonic, das anders als die amerikanischen Orchester auf einem gestuften Podium auftritt, als ein Klangkörper von hoher Qualität; jetzt, da es nicht mehr im 3000 Plätze fassenden Opernhaus des Dorothy Chandler Pavilion, sondern im eigenen Saal auftreten kann, eröffnen sich ihm bemerkenswerte Perspektiven.

Wer mochte, konnte in der Pause den erhöhten Park aufsuchen, der, auf zwei Seiten des Gebäudes, über den Büros sowie den grosszügigen Garderoben, Üb- und Aufenthaltsräumen angelegt ist. Auch hier südlich helle Bodenplatten und schon grosse Bäume, die so ausgewählt seien, dass sich je nach Jahreszeit eine andere Blütenpracht einstellt. Da begegnet man dem kleinen Einfamilienhaus, das Gehry für Esa-Pekka Salonen und die Gastdirigenten entworfen hat, und der separaten Lounge für die besonders zahlungskräftigen Donatoren, die nicht mit dem matten Edelstahl des Hauptgebäudes, sondern mit dessen glänzender Ausführung eingefasst ist. Und man kann jenen Brunnen aufsuchen, den Gehry in Form einer grossen Rose gestaltet hat; Liliane Disney, die Witwe von Walt Disney, die zusammen mit ihrer Familie ein gutes Drittel der Baukosten getragen hat, sei eine Liebhaberin von Blumen, insbesondere von Rosen gewesen. Ein Idyll ist das hier - gut abgeschirmt von der Armut, die wenige Schritte weiter, in dem ganz und gar mexikanisch geprägten Teil der Innenstadt herrscht.

Neue Zürcher Zeitung, Di., 2003.10.28



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Walt Disney Concert Hall

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Presseschau 12

16. Dezember 2015Peter Hagmann
Neue Zürcher Zeitung

Musik hören bei Fuchs und Has

Weit muss man suchen, bis man einen akustisch so besonderen Konzertsaal wie den in La Chaux-de-Fonds findet. Inzwischen erstrahlt die Salle de musique in neuem Glanz – und klingt herrlicher denn je.

Weit muss man suchen, bis man einen akustisch so besonderen Konzertsaal wie den in La Chaux-de-Fonds findet. Inzwischen erstrahlt die Salle de musique in neuem Glanz – und klingt herrlicher denn je.

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04. Februar 2015Peter Hagmann
Neue Zürcher Zeitung

Überraschungen und Entdeckungen

Nach gut zweijähriger Bauzeit ist das Stadttheater Solothurn wiedereröffnet worden: modernisiert wie restauriert. Die erste Premiere im neuen Haus galt «King Arthur» von Purcell und Dryden.

Nach gut zweijähriger Bauzeit ist das Stadttheater Solothurn wiedereröffnet worden: modernisiert wie restauriert. Die erste Premiere im neuen Haus galt «King Arthur» von Purcell und Dryden.

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Stadttheater Solothurn - Umbau

30. Januar 2014Peter Hagmann
Neue Zürcher Zeitung

Ein verstecktes Juwel

Weitab von den Zentren des Musiklebens gibt es einen Konzertsaal, der seinesgleichen sucht. Tatsächlich treten in der für ihre Akustik gerühmten Salle de musique von La Chaux-de-Fonds die grossen Interpreten unserer Zeit auf.

Weitab von den Zentren des Musiklebens gibt es einen Konzertsaal, der seinesgleichen sucht. Tatsächlich treten in der für ihre Akustik gerühmten Salle de musique von La Chaux-de-Fonds die grossen Interpreten unserer Zeit auf.

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Salle de musique La Chaux-de-Fonds

27. Juni 2008Peter Hagmann
Neue Zürcher Zeitung

Ein Nervenzentrum der Musik

Seit drei Jahren verfügt Budapest über einen neuen, vorzüglichen Konzertsaal. Dort gab es jetzt eine halbszenische Aufführung von Richard Wagners Tetralogie «Ring des Nibelungen».

Seit drei Jahren verfügt Budapest über einen neuen, vorzüglichen Konzertsaal. Dort gab es jetzt eine halbszenische Aufführung von Richard Wagners Tetralogie «Ring des Nibelungen».

Reizvoll die Fahrt mit der Strassenbahn, in der Linie 2, die der Donau entlangführt – doch plötzlich ist Schluss, Baustelle, es gilt den richtigen Autobus zu finden, und das ist nicht einfach. Schliesslich gelingt die Weiterfahrt, auch wenn das Gefährt übervoll ist. Nach wenigen Haltestellen erneutes Umsteigen – und dann endlich tauchen, mitten im Niemandsland, zwei grosse Bauten auf. Es sind das Nationaltheater und der Palast der Künste, die am südlichen Rand von Budapest errichtet wurden und hier ein neues kulturelles Nervenzentrum bilden sollen.

Von der Anbindung an den öffentlichen Verkehr könne er wenig Gutes berichten, gesteht András Csonka, stellvertretender Generalintendant am Palast der Künste. Sie seien eben eine nationale Institution, während die öffentlichen Verkehrsmittel unter städtischer Regie verkehrten – da gebe es Probleme. Die Tiefgarage freilich sei gross genug, und die Hälfte der Besucher komme ohnehin mit dem Privatauto.

Möglichst breites Angebot

Das mag als Nebensache erscheinen, trägt aber nicht wenig zum Eindruck bei, dass der Palast der Künste etwas peripher gelegen ist. Budapest verfügt in der zentral gelegenen Musikakademie über einen legendären Konzertsaal. Mit seinen 1200 Plätzen ist er nach den Massstäben des heutigen Musikbetriebs aber zu klein, daher der Neubau. Konkret wurde die Idee im Jahr 2000, als die in Budapest und Wien geplante Weltausstellung nicht zustande kam und das dafür vorgesehene Gelände frei blieb. Im Rahmen einer Zusammenarbeit zwischen privaten und staatlichen Geldgebern wurde der Palast der Künste von einem Team um den Architekten Gábor Zoboki erbaut und im März 2005 eröffnet. Der ungarische Staat hat das Gebäude für dreissig Jahre von den privaten Besitzern gemietet und lässt es von einer staatlichen GmbH betreiben.

Das Herzstück im Palast der Künste bildet der nach Béla Bartók benannte Konzertsaal mit seinen knapp 1700 Plätzen; dazu kommen ein Theater mit 400 Plätzen und das der zeitgenössischen Kunst dienende Museum Ludwig – ein etwas heterogenes Raumprogramm, das nicht zuletzt dadurch auffällt, dass es für Kammermusik keine geeignete Kapazität gibt. 500 Veranstaltungen pro Jahr finden hier statt. Die eine Hälfte wird vom Palast der Künste selbst organisiert, die andere von Aussenstehenden, zum Beispiel der Nationalphilharmonie, die hier ihren neuen Sitz hat. Rund 500 000 Menschen frequentieren das Kulturzentrum übers Jahr, die Auslastung erreicht rund 85 Prozent – und das bei einer Eigenwirtschaftlichkeit von rund 30 Prozent.

Da setzt die Kritik ein. Es sei natürlich wunderbar, dass es diesen neuen Saal gebe, sagt Iván Fischer. Der Dirigent weiss, wovon er spricht. 1993 hat er das Budapest Festival Orchestra gegründet und es zum besten Klangkörper Ungarns gemacht, der zudem intensiv reist; seine Konzerte in Budapest gibt das Orchester inzwischen im Palast der Künste, in den es sich einmietet. So dankbar der Dirigent für diese Möglichkeit ist, so sehr sieht er, dass die neue Institution die Gelder monopolisiert. Nach der Wende ist das ungarische Musikleben förmlich explodiert; zahllos die privaten Initiativen, die sehr viel Bewegung in die Szene gebracht haben. Heute ist davon nur noch wenig übrig. Es fehlt an Geld, nicht zuletzt weil die Mittel eben stark kanalisiert sind.

Und – dies ein zweiter Aspekt, der kritisch gesehen wird – vielleicht nicht optimal kanalisiert sind. Tatsächlich bietet der Palast der Künste ein Programm, das wenig gestaltende Hand erkennen lässt. Die Verantwortung dafür liegt bei der Generalintendanz, die aus den Vorschlägen von Dramaturgen ihre Auswahl trifft. In ihrer gesamten Breite solle die Musik im Palast der Künste vertreten sein, unterstreicht András Csonka, weshalb es hier nicht nur das klassisch-romantische Standardrepertoire gibt, sondern auch Musical, Jazz, Weltmusik und Pop. Doch anders als etwa bei der Cité de la Musique in Paris, die einen ähnlichen Ansatz verfolgt, das aber im Zeichen einer avancierten Ästhetik tut, scheint in Budapest die Quote ausschlaggebend zu sein. Neue Musik, bemerkt Csonka mehrere Male, lasse sich nur schwer verkaufen; mit Stolz weist er dafür auf zwei Abende mit Cecilia Bartoli hin, die er in der kommenden Saison anbieten kann. Manifestiert sich da nicht ein Hauch von Provinzialität? Ja, sagt der Dirigent Iván Fischer, Ungarn liege etwas abseits, schon allein der Sprache wegen.

Doch nun gehen die Türen zum Palast der Künste in Budapest auf, der Besucher aus der Schweiz betritt das helle Foyer, bewundert seine Grosszügigkeit, amüsiert sich über die rein ungarischen Beschriftungen – und stösst gleich auf eine architektonische Auffälligkeit. Wie ein grosser Schiffsrumpf aus Holz wölbt sich da der Konzertsaal ins Foyer hinein, genau gleich wie in dem von Jean Nouvel entworfenen Kultur- und Kongresszentrum Luzern (KKL). Das ist kein Wunder, denn auf Wunsch des Architekten wurde der Akustiker Russell Johnson beigezogen. Der Saal lässt tatsächlich seine Handschrift erkennen: etwas schmal und stark in die Höhe gezogen, zuoberst die dunkelblaue Decke, über dem Podium das «canopy», seitlich die Echokammern und die kleinteiligen, hier farbigen Gipselemente. Der Klang ist ähnlich analytisch und trennscharf wie in Luzern, wenn auch eine Spur heller.

Wagner auf dem Konzertpodium

Hier fanden nun die Budapester Wagner-Tage statt, die dieses Jahr zum ersten Mal Wagners «Ring des Nibelungen» an vier aufeinanderfolgenden Abenden geboten haben. Auf dem Podium, vor dem ein Orchestergraben abgesenkt ist, eine kleine Spielfläche, auf der die Sängerinnen und Sänger unter der Anleitung des Salzburger Bühnenbildners Hartmut Schörghofer in Konzertkleidung sparsam agieren, dahinter eine Leinwand für die Videos von Momme Hinrichs und Torge Møller von FettFilm. Eine Alternative zu Bayreuth solle hier entstehen, so das nicht eben kleine Wort von Adam Fischer, dem Dirigenten des Abends. Und im Zentrum soll die Musik stehen, ungestört von den Zumutungen des Regietheaters.

Tatsächlich handelt es sich, wie «Das Rheingold» gezeigt hat, um eine halbszenische Aufführung, wie sie beim Lucerne Festival schon verschiedentlich im Programm stand. Die Visualisierungen lassen keine deutenden Ansätze erkennen und bleiben so beliebig, dass sie nicht weiter stören. Hervorragend dafür das Sinfonieorchester des Ungarischen Rundfunks, das Adam Fischer am Pult zu leisem und zugleich farbenreichem Spiel anleitete. Die Besetzung orientierte sich an internationalem Standard, wobei Alan Titus (Wotan) und Hartmut Welker (Alberich) mit schwachen, Christian Franz (Loge) und Eszter Wierdl als Woglinde mit ausgesprochen profilierten Leistungen auffielen.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2008.06.27



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Palast der Künste

19. September 2007Peter Hagmann
Neue Zürcher Zeitung

Schaffen neue Räume neue Kunst?

Lucerne Festival – das ist nach wie vor eine Reihe glanzvoller Orchestergastspiele mit mehrheitlich spätromantischer Musik. Stärker denn je ist diesen Sommer aber deutlich geworden, welche Rolle der Moderne zukommt. Nicht zuletzt zeugt davon das Projekt der Salle Modulable.

Lucerne Festival – das ist nach wie vor eine Reihe glanzvoller Orchestergastspiele mit mehrheitlich spätromantischer Musik. Stärker denn je ist diesen Sommer aber deutlich geworden, welche Rolle der Moderne zukommt. Nicht zuletzt zeugt davon das Projekt der Salle Modulable.

Die Sommerausgabe 2007 von Lucerne Festival ist zu Ende. Der Erfolg darf sich sehen lassen – in quantitativer Hinsicht ohnehin, aber auch in qualitativer. Wohl noch nie wie in diesem Jahr wurde deutlich, wie fruchtbar sich hier Kreation und Interpretation begegnen. Zentrum des Angebots bilden nach wie vor die Sinfoniekonzerte, in denen das Podium den wichtigen Orchestern und bedeutenden Dirigenten gehört – wobei hier allerdings zweierlei ins Auge fällt.

Modern, aber gefühllos?

Zum einen gibt es bei den Sinfoniekonzerten immer mehr Abende, die das Motto des Festivals verwirklichen; Beispiel dafür war das Programm der Wiener Philharmoniker, das von Bartók zu Ligeti führte und dabei andeutete, wie sehr die Klangflächen von «Atmosphères» auch in der «Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta» wurzeln – das war «Herkunft» pur. Zum anderen war in der direkten Abfolge der Gastspiele wieder zu erleben, wie sehr sich das Feld des Orchestralen in Bewegung befindet. Besonders gut geht es jenen Orchestern, die sich für einen künstlerisch im Hier und Jetzt lebenden Dirigenten entschieden haben – etwa den Berliner Philharmonikern mit Simon Rattle oder den Bamberger Symphonikern mit Jonathan Nott, die in Luzern einen ähnlich vitalen Eindruck hinterliessen wie vor vier Jahren das Staatsorchester Hamburg mit Ingo Metzmacher.

Dann wäre das ein Weg in die Zukunft? Gerne wird moniert, dass bei den in der Moderne verankerten Dirigenten eine strukturelle Deutlichkeit herrsche, die zulasten des grossen Bogens und der Atmosphäre gehe. Allein, da wird ein Widerspruch konstruiert, der auf überkommenen Vorstellungen von musikalischer Interpretation basiert – das erwiesen die Auftritte der Altmeister Claudio Abbado, Pierre Boulez und Bernard Haitink. Mahlers Dritte mit Abbado und Bruckners Achte mit Haitink waren bis in die letzte Verästelung verständlich und zugleich von zutiefst musikalischem Leben erfüllt. Und die hinreissende Aufführung von Stockhausens «Gruppen» mit Boulez, Peter Eötvös und Jean Deroyer liess zutage treten, dass auch die vermeintlich gefühllose neue Musik erst zu atmen beginnt, wenn sie von Könnern in Schwingung versetzt wird.

Oder umgekehrt: dass neue Musik den Hörer vielleicht auch darum oft nicht direkt anspricht, weil sie zu wenig gut interpretiert wird. Genau daran arbeitet die von Boulez geleitete Lucerne Festival Academy, die mit ihrer gezielt auf die Moderne ausgerichteten Nachwuchsförderung im Rahmen eines prestigeträchtigen Festivals weltweit nicht ihresgleichen hat. Hier kommt es zu Wechselwirkungen, die unmerklich die Horizonte weiten, auch beim grossen Publikum, das heute in Luzern dem Neuen offener gegenübersteht als in früheren Zeiten. Davon zeugt etwa der Erfolg der Serie «Moderne», die dieses Jahr von den in Residenz eingeladenen Künstlern ganz besonders profitierte. Der Pianist Pierre-Laurent Aimard ist ein hinreissender Vermittler neuer Musik, während Peter Eötvös als Komponist so fasslich und eigen schreibt, wie er als Dirigent warmherzig und kompetent nach aussen wirkt.

In diese Richtung soll es nun entschieden weitergehen. Wenn alles klappt, soll Luzern im Jahre 2012 – die nüchterne Nachricht bildete den heimlichen Höhepunkt des Festivals – über die erste voll ausgebaute Salle Modulable der Welt verfügen: einen Raum, der sich den verschiedensten künstlerischen Bedürfnissen anpassen lässt. Oper soll dort ebenso möglich sein wie modernes Musiktheater, Kammermusik, die intimere Säle erfordert, ebenso wie eines der Werke neueren Datums, die den Klang im Raum verteilen. Die Idee ist formuliert, eine architektonische Skizze ausgeführt; vor allem aber liegt von privater Seite eine Zusage in der Höhe von 100 Millionen Franken für die Baukosten vor – wobei es, wie Michael Haefliger als Intendant von Lucerne Festival und Initiant des Projekts unterstreicht, hinsichtlich dieser Summe durchaus Flexibilität gibt. – Drei Wochen sind seit der Ankündigung vergangen, und bereits stehen zwei Grundstücke in Aussicht, eines in nächster Nähe zum Kultur- und Kongresszentrum Luzern (KKL), eines etwas weiter entfernt, aber durch öffentlichen Verkehr gut erschlossen. Nur: Bauen ist das eine, der Betrieb mit seinen regelmässig anfallenden Kosten aber das andere – der Fall des Zürcher Schiffbaus mag dafür als Beispiel dienen. Leitlinien zu einem Betriebskonzept, analog der architektonischen Skizze, gibt es noch nicht. Fest steht aber, so Haefliger, dass Lucerne Festival weder auf einen Ganzjahresbetrieb zielt wie das Baden-Badener Festspielhaus, wo die private Finanzierung auch im Programm sichtbar wird, noch eine beherrschende Stellung in Luzern erringen möchte. Bestimmend ist im Gegenteil der Gedanke der Synergie – und über die Kooperation mit den subventionierten Luzerner Institutionen sollen auch die Betriebskosten im Griff behalten werden.

Angesprochen ist hier, neben dem Luzerner Sinfonieorchester und der Musikhochschule, vor allem das Luzerner Theater – dessen Direktor Dominique Mentha die Salle Modulable nicht als Bedrohung, sondern als Chance sieht. Als Chance, der Enge des Hauses an der Reuss zu entfliehen, der Oper neue Möglichkeiten zu erschliessen und damit dem Schauspiel Raum zu öffnen. Und Haefliger fügt bei, die Salle Modulable könnte für das Luzerner Theater werden, was das KKL für das Luzerner Sinfonieorchester wurde: die Plattform für einen Schritt nach oben. Sind dann aber 1000 Plätze nicht doch zu wenig? Mehr als 1000 Zuschauer, so entgegnet Haefliger, liessen sich auf einer einzigen Ebene nicht sinnvoll placieren und Galerien oder Balkone seien ausgeschlossen; das letzte Wort dazu sei jedoch nicht gesprochen.

Frisch voran

Das Projekt der Luzerner Salle Modulable mag riskant erscheinen. Es hat ästhetische Wurzeln: in der Moderne. Und es ist umgekehrt verankert in der am KKL gewonnenen Erfahrung, dass ein neuer Saal auch neue Kunst hervorbringen kann. Ebenso visionär wie pragmatisch denkt Haefliger vom Raum her – der seine eigene Welt kreieren, zu erhöhtem Erlebnischarakter führen und damit eine besondere Attraktion schaffen solle. Andernorts quält man sich mit Vorentscheidungen; Zürich tut sich schwer mit seinem neuen Kongresshaus, Basel hat den Umbau des Stadtcasinos begraben und eine weitere Stufe der kulturellen Agonie erreicht, das katholische Luzern schreitet dagegen fröhlich zur Tat. Und an Vorstellungen, was sich dereinst in der Salle Modulable ereignen könnte, fehlt es wahrhaft nicht.

Neue Zürcher Zeitung, Mi., 2007.09.19

09. Juni 2005Peter Hagmann
Neue Zürcher Zeitung

Ein neues Haus für neue Musik

Dass sich eine Stadt mit beträchtlichem Aufwand ein Konzerthaus baut, in dem ausschliesslich neue Musik geboten wird - wo gibt es das? In Amsterdam ist es Wirklichkeit geworden: mit dem Muziekgebouw aan 't IJ, das sich neben das Concertgebouw am Museumsplein stellt. Für erste Höhepunkte im Haus sorgt das Holland Festival, das sich mit Pierre Audi an der Spitze etwas anders auszurichten gedenkt.

Dass sich eine Stadt mit beträchtlichem Aufwand ein Konzerthaus baut, in dem ausschliesslich neue Musik geboten wird - wo gibt es das? In Amsterdam ist es Wirklichkeit geworden: mit dem Muziekgebouw aan 't IJ, das sich neben das Concertgebouw am Museumsplein stellt. Für erste Höhepunkte im Haus sorgt das Holland Festival, das sich mit Pierre Audi an der Spitze etwas anders auszurichten gedenkt.

Es liegt nicht gerade an einem der bekannten Wege in Amsterdam, sondern vielmehr an einer brandneuen Tramlinie, von der selbst Ortsansässige noch nicht recht wissen. Man muss unter den Bahngeleisen hindurch zu einem Viertel am linken Ufer des Flusses IJ, das erst am Entstehen ist. Immerhin, der Name der Haltestelle räumt jeden Zweifel aus. Und schon vorher, von weitem, hatte es sich mit grossen Buchstaben zu erkennen gegeben: das Muziekgebouw aan 't IJ, der neueste Konzertsaal der niederländischen Hauptstadt. Nicht dass dem Concertgebouw etwas geschehen wäre; der traditionelle, für seine Akustik berühmte Sitz des Koninklijk Concertgebouworkest ist in Betrieb wie eh und je. Mit dem Muziekgebouw aan 't IJ hat sich Amsterdam vielmehr eine zusätzliche Einrichtung geschaffen: ein neues Haus für neue Musik.

Im Zeichen der Offenheit

Ins Auge fallen zuallererst die Glasfassade mit ihrer riesigen Front und das weit auskragende Flachdach - Jean Nouvel und das Kultur- und Kongresszentrum Luzern lassen grüssen. Aber die Transparenz wirkt fast noch stärker als beim KKL. Wie sich beim abendlichen Flanieren an den Grachten der Innenstadt durch die Fenster in die Wohnungen blicken lässt, sind die im Muziekgebouw versammelten Menschen schon von aussen zu sehen. Das Foyer selbst ist ganz auf Weite hin angelegt; das Restaurant wird durch Glaswände abgetrennt, und die Treppen in die oberen Etagen ragen in bewegtem Spiel in den Raum. Geradezu atemberaubend ist aber der Blick durch die Glasfront hinaus auf die grosszügige Terrasse und die vom Amsterdamer Wind bewegte Wasserfläche des Flusses.

Herrscht im Foyer eine Vielfalt an Materialien, die dem Durcheinander der Stimmen in der Pause entsprechen mag, so gibt sich der Konzertsaal, der wie in Nouvels KKL mit seiner Aussenseite ins Foyer ragt, ruhig und nüchtern. In dem nahezu quadratischen Inneren mit seinem steil ansteigenden Balkon und einer zusätzlichen Seitengalerie dominiert helles Ahornholz in schlichten Formgebungen. Die 735 Sitze, mit rotem Stoff überzogen, bieten bequem Platz. Sie können mit wenigen Handgriffen und den üblichen zwanzig Minuten einer Konzertpause entfernt werden. Da auch Boden und Decke verstellbar sind, können ganz unterschiedliche Raumdispositionen gewählt werden, während der Nachhall zwischen einer und dreieinhalb Sekunden verändert werden kann: eine salle modulable, die auf die Bedürfnisse neuer Musik ausgerichtet ist.

Zu Konzertsaal und Foyer kommt ein kleiner Saal mit 135 Sitzplätzen, kommen Garderoben, Stauraum und Büros - immer grösser werden die Augen beim Rundgang. So etwas gab es bis anhin nur in Paris, wo Pierre Boulez mit der Cité de la Musique einen Sitz für das von ihm gegründete Ensemble Intercontemporain erstritten hat. Das Muziekgebouw aan 't IJ dient nicht einem bestimmten Ensemble, es versteht sich als offene Institution - so sieht es sein Direktor Jan Wolff, auf dessen Idee es zurückgeht. Wolff hat früh als Musiker begonnen: als Hornist im Concertgebouworkest und in verschiedenen Ensembles. 1979 hat er in Amsterdam den IJsbreker gegründet, einen rasch erfolgreichen Konzertsaal mit Café für neue und experimentelle Musik. Seit 1986 hat sich Wolff um ein eigenes Haus für seine Unternehmung bemüht; da steht es jetzt, unter aktiver Teilnahme Wolffs und mit den Mitteln der Stadt Amsterdam erbaut von dem Architekturbüro 3XNielsen aus dem dänischen Århus.

Das Muziekgebouw beherbergt eine Reihe niederländischer Ensembles für neue Musik, das Asko- und das Schönberg-Ensemble etwa, um nur die bekanntesten zu nennen. Die Ensembles haben in dem neuen Haus ihre Büros eingerichtet und finden hier Räumlichkeiten für die Proben - und selbstverständlich treten sie in den diversen Konzertreihen auf, die das Muziekgebouw nach der Eröffnung im Rahmen des Holland Festival von der kommenden Saison an veranstaltet. Ein breites Spektrum an neuer, experimenteller, auch aussereuropäischer Musik wird da geboten, zum Mozart-Jahr 2006 gastiert aber auch das Orchester des 18. Jahrhunderts mit seinem Dirigenten Frans Brüggen - Offenheit ist auch in der Programmgestaltung das zentrale Stichwort. Getragen wird das von Jan Wolff mit 25 Mitarbeitern betriebene Unternehmen durch die Stadt Amsterdam, während für die Veranstaltungen der niederländische Staat Subventionen leistet.

Dem Muziekgebouw angegliedert und in einem eigenen Anbau untergebracht ist das Bimhuis, ein Veranstaltungsort für Jazz und improvisierte Musik. Die Konkurrenz unter den Musikern und unter den Veranstaltern sei natürlich, sagt Jan Wolff; ebenso sehr gelte es aber, Gemeinsamkeiten zu fördern und Synergien zu nutzen. Deshalb hat sich jetzt auch das Holland Festival im Muziekgebouw niedergelassen. Wie zum Beispiel die Berliner Festwochen ist der Amsterdamer Grossanlass, der jeweils zum Ende der Saison durchgeführt wird, etwas in die Jahre gekommen. Seit diesem Sommer wird er von Pierre Audi geleitet, dem künstlerischen Direktor der Niederländischen Oper, der sich vorgenommen hat, der traditionellen Einrichtung einen Energieschub zu verpassen. Dass jetzt das neue Muziekgebouw zur Verfügung steht, kommt ihm dabei sehr gelegen.

Musik und Raum

Im Gegensatz zu den Wiener Festwochen, die unter der Leitung von Luc Bondy ein Festival des Schauspiels geworden sind, möchte Pierre Audi in Amsterdam einen musikalischen Schwerpunkt setzen. Doch nicht um Beethoven und Brahms soll es gehen, sondern um neue und ferne Musik, um den Bezug zwischen Musik und Raum und um die Vernetzung mit anderen Künsten. Zur Eröffnung trat im Muziekgebouw das Reigakusha Gagaku Ensemble auf, eine Gruppierung japanischer Musikerinnen und Musiker, die sich mit der traditionellen Musik des japanischen Kaiserhofs befassen. Die näselnde Mundorgel Shô, das zarte Zupfinstrument Koto und die Flöte Ryuteki wurden vorgeführt - und natürlich auch die ebenso klare wie füllige Akustik des neuen Saals, die das Ingenieurbüro Peutz konzipiert hat. Aber man musste sich auf diese für unsere Ohren einförmige Musik schon einlassen, wollte man sich nicht enttäuscht fühlen. Erst recht gilt das für den zweiten Teil des Abends, der neue Musik für das Gagaku bot: eine eigenartige, wenn nicht befremdliche Konstellation.

Was der Saal im neuen Muziekgebouw bietet, zeigte einen Abend später die von Pierre Audi konzipierte halbszenische Aufführung von «L'Amour de loin», der im Sommer 2000 in Salzburg aus der Taufe gehobenen Oper der Finnin Kaija Saariaho. Das Podium diesmal ganz schwarz ausgekleidet, im Hintergrund eine weisse Leinwand, davor das Orchester der Finnischen Nationaloper Helsinki unter der Leitung der jungen Dirigentin Susanna Mälkki, schliesslich ein Laufsteg, auf dem die tragische Liebesgeschichte zwischen dem Troubadour Jaufré Rudel und der in fernen Landen lebenden Prinzessin Clémence erzählt wurde. Die Darsteller kamen einem erschreckend nah - so nah, dass man die Machart des Make-ups erkennen konnte, wo man doch allein seiner Wirkung erliegen sollte. Da verliert das Theater sein Geheimnis. Andererseits führten die direkte Wirkung des Musikalischen in der auch hier optimalen Akustik, der spannende Einsatz von Licht und Farbe sowie die sparsame Körpersprache zu einer merklichen Intensivierung des Geschehens. Von der herkömmlichen räumlichen Disposition befreit und in engen Kontakt zum Publikum gebracht, kann das musikalische Theater ganz ungewohnte Dimensionen erreichen - das war hier zu erleben. Und zu spüren war, dass von einer Einrichtung wie dem Muziekgebouw aan 't IJ Anregungen ausgehen können, die für die musikalische Kultur insgesamt von Bedeutung sind.

[Informationen im Internet unter muziekgebouw.nl und hollandfestival.nl.]

Neue Zürcher Zeitung, Do., 2005.06.09



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Muziekgebouw aan 't IJ

09. Dezember 2004Peter Hagmann
Neue Zürcher Zeitung

Wiedergewonnen, wiederbelebt

Eröffnung des renovierten Teatro alla Scala di Milano

Eröffnung des renovierten Teatro alla Scala di Milano

Es riecht nach frischer Farbe, aber es ist alles trocken - und, Hand aufs Herz, es ist wunderbar geworden. Eng wie eh und je sind die Seiteneingänge zu dem mächtigen Zuschauerraum mit seinen rund zweitausend Plätzen, doch schon dort fällt das edle, helle Parkett auf, mit dem der Boden jetzt belegt ist. Komfortabel die in schlichtem Weinrot gehaltenen Sitze; sie bieten mehr Beinfreiheit als vorher. Und dann zieht es den Blick nach oben, hin zu den sechs Galerien, für die das Haus bekannt ist; prächtig, in einer genuinen Weise theatralisch das dunkle Rot der Wandbezüge, das Gold der Stuckaturen und die Lichtwirkung der Tausende kleiner Lampen. Und besonders fällt jetzt nicht die majestätische Ehrenloge in der Mitte, sondern die reich vergoldete, stark mit Spiegeln besetzte Seitenloge von Giuseppe Piermarini auf, dem Architekten der Scala.

Neuer Klang

Das alles war am 7. Dezember, dem Tag des Mailänder Stadtheiligen Ambrosius, an dem die Scala jeweils ihre Saison eröffnet, zum ersten Mal zu bestaunen. Seit Anfang 2002 war das Teatro alla Scala in Mailand geschlossen, war der Spielbetrieb ins moderne Teatro degli Arcimboldi verlegt. In zweieinhalb Jahren Bauzeit ist das Haus unter der Federführung des Architekten Mario Botta umfassend renoviert und erweitert worden (vgl. NZZ vom 7. 12. 04). Dabei wurden auch Sünden getilgt, die bei der eiligen Wiedererrichtung des durch Bombentreffer beschädigten Theaters 1945/46 begangen worden waren. Wurde zum Beispiel jener Betonboden ersetzt, der damals kurzerhand über die Trümmer gelegt worden war - so dass der Raum jetzt wieder schwingen kann. Die Akustik, so jedenfalls ein erster Eindruck von einem Sitzplatz am seitlichen Rand des Parketts aus, ist denn auch merklich besser geworden. Geradezu üppig der Nachhall; er verleiht dem Klang ausgesprochen opulente Züge. Zugleich treten die Stimmen klar heraus; stehen die Sänger seitlich an der Rampe, wirken sie gar wie verstärkt.

Grundlegend erneuert und substanziell erweitert wurde auch der Bühnenbereich; die Scala verfügt heute über eine Seitenbühne, einen Schnürboden, eine Untermaschinerie und eine Beleuchtungsanlage modernster Bauweise. Stolz wurde das bei der Eröffnungspremiere von dem Ausstatter Pier-Luigi Pizzi vorgeführt. Ganze Reiterarmeen, undurchdringliche (und zugleich natürlich erlesen konstruierte) Gefängnistürme und steile Treppen wurden auf Podesten von der Seite her auf die Bühne gefahren. Wie von Geisterhand gesteuert, bewegte sich ein schwarzes Schiff auf den Bühnenrand zu, wo es ins Drehen geriet und schliesslich auseinander brach. Der Chor wurde jeweils auf Liften von unten heraufgestemmt, während sich von oben verspiegelte Wände herabsenkten. Nicht immer hatte das seinen Grund, aber Opernregie heisst in Italien - und auch bei Luca Ronconi, der die Eröffnungsproduktion szenisch geleitet hat - ohnehin eher Dekoration als Psychologie. Dem Gepränge, das hier mit dem Musiktheater verbunden wird, dient diese Bühne ohne Zweifel.

Dem Werk, das zur Saisoneröffnung und zur Einweihung des Hauses gegeben wurde, entsprach der technische Aufwand weniger. Aber die Wahl, die Riccardo Muti, der Musikdirektor der Scala, getroffen hatte, war in ihrer Weise stimmig. Er hatte sich für «Europa riconosciuta» entschieden, die «Festa teatrale» von Antonio Salieri, die am 3. August 1778 zur Eröffnung des Teatro alla Scala gespielt worden war, dann jedoch in den Archiven verschwand. Begreiflicherweise. Es handelt sich um ein Gelegenheitswerk eines zweitrangigen Komponisten, dessen Name heute nur noch darum bekannt ist, weil er dank seinen gesellschaftlichen Beziehungen und seiner herausragenden Stellung am Wiener Kaiserhof zum Rivalen Mozarts wurde. Reichlich schematisch berichtet das Libretto von Mattia Verazi von der Königstochter Europa, die entführt und zur Ehe gezwungen wurde und die in dem Moment, da sie den Thron ihres Vaters erben könnte, grossherzig Pflicht vor Neigung stellt. Und wenn man hört, mit welch geringer Imagination diese Geschichte in die musikalische Form der Opera seria für Kastraten gegossen worden ist, kann man auf Anhieb verstehen, warum Salieri auf Mozart so schlecht zu sprechen war.

Immerhin, aufgeführt wurde das Stück in sehr respektabler Weise. Riccardo Muti, der sich seit Jahren mit der vergessenen klassizistischen Musik aus dem späten 18. Jahrhundert beschäftigt, nahm auch die Partitur von Salieri sehr gelassen, fast statisch, und das Orchester der Scala folgte ihm mit leuchtendem, aber etwas breitem, im Inneren der Strukturen nicht sehr belebtem Klang. Untadelig die Besetzung. Die Titelrolle der Europa bewältigte Diana Damrau mit Beweglichkeit und Intonationssicherheit, während Désirée Rancatore in der Partie der Semele etwas Mühe mit den Koloraturen erkennen liess, das aber durch Ausstrahlung und Präsenz wettmachte. In den beiden Hosenrollen des Asterio und des Isseo bewährten sich Genia Kühmeier und Daniela Barcellona. Giuseppe Sabbatini wiederum, der einzige Mann in der Runde, verhalf den Ränkespielen des Egisto wenn nicht zu erfolgreichem Ende, so doch zu blendender vokaler Wirkung. Und wie es sich bei einer «Festa teatrale» gehört, gab es vor der grossen, langen Pause ein Ballett, das von Heinz Spoerli choreografiert worden war.

Ballett der Blaulichter

Am Ende, nach dem doch eher matten Beifall, war die Welt wieder ganz und gar in Ordnung. Verlagerte sich das Theater, wie es an Sant' Ambrogio Sitte ist, von der Bühne auf den Platz vor der Scala. Republikanische Garden mit Federbusch, Offiziere in dunkelblauen Capes mit rotem Innenfutter, das nicht von Heinz Spoerli geleitete Ballett der Begleitfahrzeuge mit Blaulicht, der Bürgermeister Gabriele Albertini in seiner Limousine, stürmisch begrüsst von der Menge hinter den Abschrankungen - das wird Jahr für Jahr mit Inbrunst und Verspieltheit gelebt, wie es nur hier möglich ist. Zweihundert Fotografen sollen den Anlass verfolgt haben, je einen auf zehn Besucher.

Neue Zürcher Zeitung, Do., 2004.12.09



verknüpfte Bauwerke
Teatro alla Scala - Umbau

28. Oktober 2003Peter Hagmann
Neue Zürcher Zeitung

Im Namen der Rose

Mit einem dreitägigen Grossanlass hat das Los Angeles Philharmonic seine neue, von dem Architekten Frank Gehry und dem Akustiker Yasushi Toyota konzipierte Wirkungsstätte bezogen. Der Konzertsaal ist ästhetisch wie akustisch vorbildlich gelungen.

Mit einem dreitägigen Grossanlass hat das Los Angeles Philharmonic seine neue, von dem Architekten Frank Gehry und dem Akustiker Yasushi Toyota konzipierte Wirkungsstätte bezogen. Der Konzertsaal ist ästhetisch wie akustisch vorbildlich gelungen.

I did it. Stellte mich mitten auf die Champs- Elysées, blickte in die Strassenschlucht und liess die Wolkenkratzer wirken. Natürlich nicht auf die wirklichen Champs-Elysées, sondern ihr Abbild in der Neuen Welt, die Grand Avenue in Downtown Los Angeles, die aus gegebenem Anlass gesperrt und autofrei war. Der Anlass: die Eröffnung der neuen Walt Disney Concert Hall des Architekten Frank Gehry und des Akustikers Yasuhisa Toyota, die mit drei Konzerten, einer Ausstellung zum Werk des Architekten, mit Empfängen und Feuerwerk begangen wurde. Das Kulturzentrum auf dem Bunker Hill mit dem Dorothy Chandler Pavilion, in dem die Los Angeles Opera jetzt allein residiert, und den beiden anderen Theatern des Music Center, mit dem Museum of Contemporary Art und der privaten Colburn School of Performing Arts hat durch den Konzertsaal eine kräftige Aufwertung erfahren. Ob die Grand Avenue damit ihrem Vorbild näher kommen und die Riesenstadt in Kalifornien ein Wahrzeichen jenseits von Hollywood erhalten wird, muss die Zukunft weisen.

Der Haupteingang mit seiner Treppe aus Travertin nimmt sich schon einmal vergleichsweise bescheiden aus - aber das hat auch damit zu tun, dass der eigentliche Eingang dort liegt, wo es zu den Parkplätzen geht. In dieser so sehr in die Breite gestreuten Stadt, in der es nur wenig öffentlichen Verkehr gibt, bewegt man sich mit dem Privatauto, und so hat die Regionalverwaltung, die das Grundstück zur Verfügung gestellt hat, eine sechsstöckige Tiefgarage gebaut, die ebenso viele Plätze aufweist wie der Konzertsaal. In den hellen, weiten Foyers, denen sich zahlreiche Nebenräume für Einführungsveranstaltungen und private Versammlungen anschliessen, fallen die gekurvten Holzelemente auf, die wie riesige Rispen in die Höhe streben. Der Weg an den Platz führt an einer Wand aus Filz vorbei, an der die Namen unzähliger Gönner aufgeführt sind; tatsächlich sind die 274 Millionen Dollar für den Bau des neuen Konzertsaals voll und ganz von privater Seite aufgebracht worden - eine Bürgerinitiative der besonderen Art.

Runde Formen dominieren auch den Konzertsaal. Von Anfang an hatte die Berliner Philharmonie von Hans Scharoun als Vorbild gegolten. Der Akustiker Yasuhisa Toyota vom Büro Nagata in Tokio hatte dem entgegengehalten, dass die parallelen Wände der Schuhschachtel, die etwa dem Goldenen Saal im Wiener Musikverein zugrunde liegt, der Klangentfaltung im Saal dienlicher seien. Weshalb Gehry einen Mittelweg gewählt hat. Im Grundriss geht die Disney Hall von einem Rechteck aus, doch präsentiert sie sich nicht in italienischer Anordnung mit dem Podium vorne und den Sitzreihen dahinter; die Plätze sind vielmehr wie in der Berliner Philharmonie in steil ansteigenden Gruppen zusammengefasst, die, den Terrassen eines Weinbergs gleich, um das Podium verteilt sind. Eine Art Arena also - und die weiche Rundung bestimmt auch die durchwegs in Holz gehaltenen Verkleidungen der Wände und der Decke. Selbst bei der Orgel hat Gehry das stramme Nebeneinander der Pfeifen zu vermeiden gesucht - und deshalb den Prospekt als einen etwas durcheinander geratenen Blumenstrauss entworfen, hinter den die deutsche Firma Glatter-Götz das (noch nicht fertig intonierte) Instrument gebaut hat.

Hinter dem Raumkonzept steht die Überzeugung, dass das Konzert seine Attraktion vorab aus dem Live-Charakter und dem gemeinschaftlichen Erleben gewinnt - in einer Medien-Stadt wie Los Angeles mag das besonders ins Gewicht fallen. Trotz der relativ hohen Zahl von 2226 Plätzen sollte das Gefühl der Intimität und der direkten Wirkung erhalten bleiben. Der Blick aufs Podium wie in den Kreis der Zuhörerschaft sollte von allen Plätzen aus gewährleistet sein; und der Klang sollte so unmittelbar aufs Ohr treffen, dass sich der Zuhörer involviert, ja körperlich angesprochen fühlt. Das ist alles eindrücklich gelungen. Der mit floralen Mustern dekorierte, bunte Bezug der Sitze ist gewöhnungsbedürftig, aber optisch wirkt der übrigens durch Tageslicht erhellte Saal in keiner Weise monumental. Und die Akustik, die sich ja nicht bis ins Letzte errechnen lässt, gehört zum Besten in diesem Bereich. Wie im Luzerner Konzertsaal von Jean Nouvel und Russell Johnson sind die musikalischen Abläufe bis in die Einzelheiten zu verfolgen, doch anders als bei diesem eigentlichen Gegenstück strahlt der Klang Fülle, Wärme und direkt einwirkende Kraft aus - wie in dem ebenfalls vom Büro Nagata gestalteten Kitara-Saal im japanischen Sapporo.

Wenn sich die Disney Hall als konventioneller Konzertsaal mit fester Bestuhlung und nur wenig modifizierbarer Akustik versteht, so herrscht hier doch ausgeprägt der Geist der Gegenwart. Das ist dem Los Angeles Philharmonic und Esa-Pekka Salonen, seinem Chefdirigenten, zu verdanken. Seit Jahren liegt in den Programmen der Akzent auf der Musik des 20. und 21. Jahrhunderts - was sich auch in den drei Eröffnungskonzerten niedergeschlagen hat. «Sonic LA» nannte sich das erste, und es führte von der kleinsten Besetzung mit der Sängerin Diane Reeves, welche die amerikanische Nationalhymne solo vortrug, über die Raumwirkungen in «The Unanswered Question» von Charles Ives zur Grossformation von Igor Strawinskys «Sacre du printemps» - der in einem Saal mit dem Namen Walt Disneys natürlich nicht fehlen durfte.

Am zweiten Abend, «Living LA», stellte Salonen mit den «LA Variations» ein eigenes Stück vor und gab es das Cellokonzert von Witold Lutosawski mit dem blendend aufgelegten Yo- Yo Ma sowie eine gewiss anregend ausgedachte, aber für europäische Ohren fragwürdige Uraufführung von John Adams. Bis hin zu der Filmmusik von «Soundstage LA» am dritten Abend bewährte sich das Los Angeles Philharmonic, das anders als die amerikanischen Orchester auf einem gestuften Podium auftritt, als ein Klangkörper von hoher Qualität; jetzt, da es nicht mehr im 3000 Plätze fassenden Opernhaus des Dorothy Chandler Pavilion, sondern im eigenen Saal auftreten kann, eröffnen sich ihm bemerkenswerte Perspektiven.

Wer mochte, konnte in der Pause den erhöhten Park aufsuchen, der, auf zwei Seiten des Gebäudes, über den Büros sowie den grosszügigen Garderoben, Üb- und Aufenthaltsräumen angelegt ist. Auch hier südlich helle Bodenplatten und schon grosse Bäume, die so ausgewählt seien, dass sich je nach Jahreszeit eine andere Blütenpracht einstellt. Da begegnet man dem kleinen Einfamilienhaus, das Gehry für Esa-Pekka Salonen und die Gastdirigenten entworfen hat, und der separaten Lounge für die besonders zahlungskräftigen Donatoren, die nicht mit dem matten Edelstahl des Hauptgebäudes, sondern mit dessen glänzender Ausführung eingefasst ist. Und man kann jenen Brunnen aufsuchen, den Gehry in Form einer grossen Rose gestaltet hat; Liliane Disney, die Witwe von Walt Disney, die zusammen mit ihrer Familie ein gutes Drittel der Baukosten getragen hat, sei eine Liebhaberin von Blumen, insbesondere von Rosen gewesen. Ein Idyll ist das hier - gut abgeschirmt von der Armut, die wenige Schritte weiter, in dem ganz und gar mexikanisch geprägten Teil der Innenstadt herrscht.

Neue Zürcher Zeitung, Di., 2003.10.28



verknüpfte Bauwerke
Walt Disney Concert Hall

19. Februar 2003Peter Hagmann
Neue Zürcher Zeitung

Die drei Musiktiere

Nach einer Bauzeit von einem knappen Jahrzehnt ist Ende letzten Jahres in Rom der von Renzo Piano gestaltete «Parco della musica» vollendet und eröffnet worden. Damit verfügt die italienische Hauptstadt, deren Sinfonieorchester ohne geeigneten Sitz war, über einen modernen Komplex für Konzerte aller Art.

Nach einer Bauzeit von einem knappen Jahrzehnt ist Ende letzten Jahres in Rom der von Renzo Piano gestaltete «Parco della musica» vollendet und eröffnet worden. Damit verfügt die italienische Hauptstadt, deren Sinfonieorchester ohne geeigneten Sitz war, über einen modernen Komplex für Konzerte aller Art.

Mahlers Achte in Rom - das ist ein Widerspruch in sich selbst. Die Ewige Stadt als einer jener Orte, an die im Zusammenhang mit einer Aufführung der «Sinfonie der Tausend» zu denken wäre? Nicht doch. Rom, das ist die Stadt der Kirchenmusik, die Stadt Palestrinas und des vierstimmigen A-cappella-Satzes. Und Rom ist die Stadt der Kastraten, Zentralort jener, was Virtuosität und Artifizialität betrifft, extremen Gesangskunst, die sich daraus ergeben hat, dass Frauen einem päpstlichen Dekret zufolge die Mitwirkung an musikalischen Veranstaltungen untersagt war. Natürlich, es gibt die Accademia Nazionale di Santa Cecilia, eine würdige, über vierhundert Jahre alte Institution - aber auch da assoziiert man zuerst Palestrina und das Pantheon, wo sie in frühen Jahren ihren Sitz hatte. Indessen führt die Santa Cecilia auch ein Sinfonieorchester - das jetzt eben Mahlers Achte aufgeführt hat.

Bis vor kurzem wäre das noch undenkbar gewesen. Nur knappe drei Jahrzehnte lang verfügte Rom über einen Konzertsaal, der dieser Bezeichnung entsprochen hätte - darin hebt sich diese Stadt von manchem weitaus kleineren Gemeinwesen nördlich der Alpen ab. 1908 wurde das Augusteo eröffnet, ein etwas seltsamer, aber mit offenbar geeigneter Akustik versehener Bau an der Stelle, an der das Mausoleum des Augustus gestanden hatte. Doch schon 1936 liess Mussolini die Spitzhacke anfahren; die faschistische Regierung wollte zum Zwecke ihrer eigenen Glorifizierung die Reste eben dieses Mausoleums freilegen. In der Folge wanderte die Accademia Nazionale di Santa Cecilia erst ins Teatro Adriano, später ins Teatro Argentina und schliesslich in einen aus den fünfziger Jahren stammenden, dem Vatikan gehörenden Saal an der Via Conciliazione. Nun hat es aber ein Ende mit dem Provisorium, nun hat auch Rom eine «Cité de la musique».


Mehr als ein Konzertsaal

1993 wurde der Beschluss gefasst, einen neuen Konzertsaal zu errichten; als Standort wurde ein brachliegendes Gelände am nordwestlichen Stadtrand gewählt. Ein Jahr später - die Macht in der Stadt war inzwischen von Franco Carrara an Francesco Rutelli übergegangen - wurde ein Wettbewerb unter eingeladenen Architekten durchgeführt; den Sieg trug Renzo Piano davon. 1995 begann tatsächlich der Aushub - doch bald kam es zu einem Unterbruch; die Erdarbeiten hatten die Reste eines römischen Anwesens ans Licht gebracht. Es folgten Jahre der archäologischen Forschung und der Modifikationen im Baukonzept, bis das auf 150 Millionen Euro angelegte Projekt - nicht ohne die üblichen Kostensteigerungen und Differenzen mit Baufirmen - zwischen 1998 und 2002 verwirklicht werden konnte.

Jetzt ist der «Parco della musica» Realität; kurz vor Weihnachten 2002 wurde der letzte Teil eröffnet. Da stehen sie nun, die drei Skarabäen, wie die Konzertsäle im Römer Volksmund bereits getauft sind. Tatsächlich gleichen sie drei überdimensionierten Käfern; im Halbkreis kauern sie, um neunzig Grad voneinander abgedreht, um ein zentrales Amphitheater - links, sozusagen auf Position neun des Zifferblattes, der grosse Saal, im Mittag der mittlere, rechts der kleine, dazwischen die archäologischen Reste und eine kleine (auch etwas belanglose) Präsentation wertvoller Musikinstrumente aus der Sammlung der Santa Cecilia. Verbunden sind die drei Gebäude durch ein an ihren Stirnseiten umlaufendes, durchgehendes Foyer. Man betritt es, um beim Bild des Zifferblattes zu bleiben, auf Position vier, wo sich ein grosses Dienstgebäude befindet: mit der Verwaltung und dem Archiv der Santa Cecilia, ihrer reichen Bibliothek und einer noch aufzubauenden Mediathek, mit Restaurant und Café, Billettkasse und Buchhandlung. Einen äusseren Ring um die Anlage bilden zwei in den Boden versenkte Stockwerke, welche die Garderoben und nicht weniger als fünf Probesäle verschiedener Grösse enthalten.

Hell ist es hier, freundlich und ruhig - ja, eine Oase der Stille und des bewusst gestalteten Klangs in dieser lauten Stadt. Die Anlage liegt in einem Garten, der noch fertiggestellt werden und dann wachsen muss. Bestimmend der helle Travertin der Böden, die Mauern aus Backstein und die Dächer, die sich dank einer speziellen Holzkonstruktion über die einzelnen Gebäude wölben; geht man aussen herum, fühlt man sich von ferne an das Bayreuther Festspielhaus erinnert. Die Dächer übrigens sind aus Blei: Anklang an die vielen, aus ebendiesem Material gefertigten Kuppeln der Ewigen Stadt und zugleich Abschirmung gegen die unerwünschten Handy-Strahlen - tatsächlich steht das Mobiltelefon im Innern der Säle auf null. Wer durch das Foyer wandelt, und hier wandelt zu jeder Tageszeit jemand durchs Foyer, sieht durch grosse Fenster ins Freie, auf der einen Seite in den Park, auf der anderen in die «cavea», das im Vergleich zu den Konzertsälen etwas vertieft angelegte (halbe) Amphitheater für maximal 3000 Personen, das im Sommer Freiluftveranstaltungen bis hin zu Rockkonzerten aufnehmen soll.

Vom Foyer aus gelangt man über Treppen oder Lifte in die drei Säle, die, was die verwendeten Materialien betrifft, gleich gehalten sind, die sich hinsichtlich ihrer Grösse und ihrer Ausstattung aber voneinander abheben. Spektakulär die «Sala Santa Cecilia» mit ihren 2756 Plätzen. In seiner Anlage lehnt sich der Raum klar an die Berliner Philharmonie von Hans Scharoun an. Über dem Parkett sind Balkone verschiedener Dimensionen angeordnet; sie ziehen sich rund um den Saal, also auch bis hinters Orchesterpodium - und von allen Plätzen aus soll der klangliche Eindruck der gleiche, mindestens der gleich gute sein. Bestimmend das leuchtende Rot der Sitze und das warme Braun der mit dem Holz des amerikanischen Kirschbaums verkleideten, wabenförmigen Decke. Die Wände sind mit gewölbten Elementen aus Gips gefertigt, wie sie der deutsche Akustiker Helmut A. Müller vorgesehen hat. Sie sind in pompejanischem Rot gehalten - und da ist denn zu erleben, was ein auf Logik und Ruhe bauendes Farbkonzept bewirken kann. Auffällig, dass die Orgel fehlt; der junge Architekt, der durch die Gebäude führt, erklärt dazu, Orgeln gebe es in den vielen Kirchen Roms genügend.

Der Zweckbestimmung des «Parco della musica» entsprechend gibt es noch zwei weitere, kleinere Säle. Die «Sala Giuseppe Sinopoli» mit ihren 1273 Sitzen präsentiert sich als ein funktionales Rechteck. Die Besonderheit besteht hier darin, dass die Bestuhlung vollkommen mobil ist - eine «salle modulable» also, wie sie Pierre Boulez für das IRCAM und die «Cité de la musique» in Paris durchgesetzt hat, nur ist im Gegensatz zu jenen Räumen die Akustik der «Sala Sinopoli» festgelegt. Variable Akustik bietet dafür der kleine Saal, wo aber die 750 Sitze wiederum fest montiert sind. Für Kammermusik ist dieser ebenfalls nüchterne, ja strenge Raum gedacht, für Konferenzen eventuell, vor allem aber für experimentelles Musiktheater, denn als einziger verfügt dieser Saal über eine vielfach modifizierbare Bühne mit einem Vorhang sowie über die Möglichkeit, einen Orchestergraben zu öffnen.

Inzwischen ist deutlich mehr Leben ins Haus gekommen. Noch ist das Auditorium zwar nicht sehr bekannt; die Taxichauffeure wissen sich kaum zu orientieren, obwohl im Stadtzentrum zahlreiche Wegweiser angebracht sind, und dass es sogar eine ganz bequeme Tramlinie gibt, wird dem fragenden Besucher nicht verraten. Dennoch strömen die Menschen in Scharen an den neuen Ort. Jede halbe Stunde wird übers Wochenende eine Gruppe von etwa zwanzig Personen durch die (übrigens streng bewachten) Räumlichkeiten geführt. An der Kasse lange Schlangen, obwohl viele der Konzerte rasch ausverkauft sind. Ein Gedränge sondergleichen im Laden, wo es Literatur, Notentexte und Tonträger gibt. Viel Betrieb auch im Café und im etwas klein geratenen, dafür total durchgestylten Restaurant, in dem man nicht nur essen, sondern die Teller und so weiter auch gleich kaufen kann.


Eine Akustik von gestern

Der «Parco della musica» ist ein Projekt, eine Ambition, auf die viele der Gesprächspartner mit Stolz hinweisen. Nicht nur soll er Rom den lange erwarteten Konzertsaal bringen und die Stadt diesbezüglich dem europäischen Niveau angleichen. Er soll auch Ausdruck sein einer gross angelegten Initiative für die Kunstmusik, insbesondere die Instrumentalmusik. Zu siebzig Prozent soll die Infrastruktur durch die von Luciano Berio präsidierte Accademia Nazionale di Santa Cecilia und ihr Orchester genutzt werden - und bereits hat es dort angezogen: Um zehn Prozent habe sich die Zahl der bisher 6000 Abonnemente in den wenigen Wochen seit der Eröffnung des Auditoriums schon erhöht. Für den Teil, der nicht von Santa Cecilia belegt ist, sorgt die von der Stadt getragene Gesellschaft «Musica per Roma». Bunt ist das Angebot; es reicht vom traditionellen Sinfoniekonzert über das «Progetto Pollini», in dem sich nach den Ideen des Pianisten alte und neue Musik verbinden, bis hin zu einer Reihe pädagogischer Aktivitäten. Berio, Pollini, Rutelli - der «Parco della musica» gilt als eine Sache der Linken. Kein Wunder, liess sich der Ministerpräsident - er soll es mehr mit dem Fussball haben - an der Eröffnung nicht sehen, was zum üblichen Sturm im Wasserglas geführt hat; gekommen ist dafür Staatspräsident Ciampi.

Und nun hat das Orchester für seinen ersten regulären Auftritt im neuen Saal Platz genommen. Mahlers Achte, wie gesagt: ein Findling in dieser Stadt. In ohrenbetäubender Lautstärke lässt Myung-Whun Chung, seit 1997 (und noch bis 2005) Chefdirigent der Santa Cecilia, den ersten Teil aufrauschen. Umso lauter wird kommentiert (in Italien darf gesprochen werden, wenn bloss gespielt und nicht gesungen wird), und der extra- leise Anfang des zweiten Teils geht im Geräuschpegel unter. Die Chöre und das Orchester ordentlich, nicht mehr; die elektronische Orgel dagegen klingt wie aus einem Blechtopf, und die acht Vokalsolisten zeigen sehr unterschiedliche Kompetenz. Myung-Whun Chung, der mit beachtlichen Messiaen-Aufnahmen von sich reden gemacht hat, ist nicht der Mann für dieses Repertoire; er hat kein Gespür für den unglaublich sehnsüchtigen Zug des zweiten Teils und seine Ekstase. Spielt keine Rolle, denn in erster Linie richtet sich das Interesse auf den Raum und seine Akustik - und da ist von einer Enttäuschung zu berichten. Das neue Auditorium setzt, ganz anders als die Berliner Philharmonie und erst recht als der Luzerner Saal von Jean Nouvel und Russell Johnson, nicht auf die Trennung der Stimmen, sondern auf den alten Mischklang. Das klingt im Piano so herrlich, dass man sich Kammermusik wünschte, kommt im Forte aber rasch an die Grenzen der Wahrnehmbarkeit. Vielleicht ist es eine Frage der akustischen Feineinstellung - der Saal ist gebaut, aber noch durchaus Projekt.

Neue Zürcher Zeitung, Mi., 2003.02.19



verknüpfte Bauwerke
Auditorium Parco della Musica

Profil

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