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05. September 2019Lilo Weber
Neue Zürcher Zeitung

«Wir wollen Zürich zum Tanzen bringen»

Mit einem dreitägigen Fest wird dieses Wochenende der Ersatzneubau des Tanzhauses Zürich eröffnet. Dessen Leiterin Catja Loepfe erzählt, was dort künftig im Alltag passiert.

Mit einem dreitägigen Fest wird dieses Wochenende der Ersatzneubau des Tanzhauses Zürich eröffnet. Dessen Leiterin Catja Loepfe erzählt, was dort künftig im Alltag passiert.

Frau Loepfe, am kommenden Wochenende wird das wunderschöne neue Tanzhaus eröffnet. Es ist dies ein kostbarer Ersatz für das 2012 abgebrannte Gebäude an der Wasserwerkstrasse 127a. Wozu braucht die Stadt ein Tanzhaus?

Der zeitgenössische Tanz hat seit Jahrzehnten an Relevanz gewonnen und braucht ein Haus, in dem Tanzstücke erarbeitet werden können. Das Tanzhaus Zürich ist das einzige Produktionshaus in der Deutschschweiz, das sich ausschliesslich dem Tanz widmet. Es richtet sich insbesondere an junge Künstlerinnen und Künstler und ist der Ort für die ersten Schritte nach der Berufsausbildung. Hier kriegen sie alle Unterstützung, die wir einer Kompanie oder einzelnen Tanzschaffenden geben können. Darüber hinaus bieten wir Tanzkurse für eine interessierte Öffentlichkeit an.

Was geschieht hier genau?

Tänzerinnen und Tänzer sind keine Einzelkünstler, sie trainieren jeden Tag im Studio und formieren sich in künstlerischen Kollektiven. Wir bieten tägliches Profitraining an. Wir helfen bei der Erarbeitung von Bühnenwerken, und zwar von den ersten Dossierentwürfen, der Geldersuche über dramaturgische Unterstützung, Medienarbeit bis zur Uraufführung.

Was ändert sich mit dem Neubau?

Er gibt dem Tanzhaus Einheit und grössere Sichtbarkeit. Wir hatten bis anhin Ersatzräume im Mediacampus, und das war zu weit weg. Durch die Räume an einer Adresse sind wir flexibler. Davor mussten wir uns in allem teilen. Der Saal und das eine Studio im Gebäude an der Wasserwerkstrasse 129 mussten Profitraining, Proben, Kinderkurse, Aufführungen und Residenzen beherbergen.

Neu arbeitet im Tanzhaus eine kleine ständige Kompanie, The Field – was steckt dahinter?

Das Kollektiv hat eine eigene Trägerschaft, aber sein Zuhause ist zurzeit im Tanzhaus Zürich. Bei der Bestandesaufnahme zur Tanz- und Theaterlandschaft Zürich fiel auf, dass es in der freien Tanzszene keine grössere Kompanie mehr gibt, die regelmässig arbeitet, wie in den 1980er und 1990er Jahren. Uns war es wichtig, eine Kompanie zu alimentieren, die Bewegungsforschung betreibt und über das ganze Jahr unterstützt wird. Wir hatten das Glück, in der Fondation BNP Paribas einen Startsponsor gefunden zu haben. Die Kompanie wird mit hiesigen oder internationalen Choreografen arbeiten, aber auch in die Stadt hinausgehen. Wir wollen verschiedene Projekte mit Communitys lancieren und den zeitgenössischen Tanz in Winkel der Gesellschaft bringen, wo er noch nicht angekommen ist.

Das Publikum für den Tanz wächst international, die Kompanien am Zürcher Opernhaus, in den Stadttheatern von Luzern, Bern und Basel haben hervorragende Auslastungen. Nicht aber der Tanz in der freien Szene. Woran liegt das?

Am Zürcher Theaterspektakel sind die Tanzvorstellungen sehr gut besucht. Ich glaube, das hat zum Teil mit der Tradition von Institutionen und Festivals zu tun. Das Theaterspektakel ist vierzig Jahre alt und hat eine riesige Ausstrahlung – über Zürich hinaus. Das Gleiche gilt für die Oper und die Kompanien an den Schauspielhäusern. Die haben eine lange Tradition und viele Mittel für Medienarbeit. Die Aufmerksamkeit für das Tanzhaus hat dagegen in den letzten Jahren gelitten. Nach dem Brand hatte die Szene ihre Heimat verloren.

Erhoffen Sie sich vom Neubau auch mehr Ausstrahlung?

Ich bin sicher, dass das Tanzhaus mehr Aufmerksamkeit erhalten wird, nicht zuletzt wegen der Architektur des Büros Barozzi Veiga. Ich habe mich bei der Planung sehr für die Cafébar im Foyer eingesetzt. Sie wird nun täglich für die Quartierbevölkerung und die Tanzschaffenden offen sein. Allem voran setzen wir uns aber für eine hohe Qualität der Kunst ein.

Hier aber liegt das Problem – in der Einseitigkeit der in Zürich geförderten Szene: Sie ist stark auf Performance ausgerichtet, und das ist nicht so wahnsinnig spannend anzuschauen. Sie gleicht darin etwa der Szene in Berlin, nicht aber jener in Brüssel, den Niederlanden oder Grossbritannien. Wie kommt das?

Der zeitgenössische Tanz ist in den letzten Jahren auf internationaler Ebene stark gewachsen und damit auch die Performance. Es gibt mehr Tanzschaffende, mehr europäische Netzwerke, gerade weil die Künstlerinnen und Künstler angefangen haben, sich bei anderen Kunstformen zu bedienen – bis hin zum virtuellen Raum, wie es nun zur Eröffnung des Neubaus mit Gilles Jobins «VR_I» zu sehen ist. Die Entwicklung hat über die reine Bewegung hinausgeführt, hat Text auf die Bühne gebracht, Video und so weiter. Die Möglichkeiten werden grösser, aber auch die Möglichkeiten zu scheitern. Performances sind häufig textlastig. Ich glaube, wir sind eine textbasierte Kultur, und die Menschen haben das Bedürfnis, etwas sprachlich auszudrücken.

Wir reden von der deutschsprachigen Kultur. . .

Im Tanzhaus Zürich ist uns wichtig, dass die Arbeiten, die wir begleiten, eine inhaltliche Dringlichkeit haben. Die Künstlerinnen und Künstler greifen Themen aus Politik und Gesellschaft auf, bringen sie in geeigneter Form auf die Bühne, wollen das aber häufig mit Bewegung allein nicht lösen. Wir versuchen, das ästhetische Spektrum breiter zu halten, und möchten in Zukunft gerne noch mehr Kompanien ein Dach geben. Denn mit sechs Gruppen pro Jahr ist Diversität nur bedingt zu garantieren. Doch auch für reine Bewegungskompanien gilt: Die Arbeit muss inhaltlich Sinn ergeben und für andere nachvollziehbar sein.

Wo soll der Tanz im Tanzhaus Zürich hingehen?

Ich glaube fest daran, dass das, was hier entsteht, zukunftsweisend ist. Man darf nicht vergessen, dass das die ersten Schritte sind; die Künstler dürfen auch stolpern. Ich möchte gerne, dass das, wofür hier wochenlang im Probenraum geschwitzt wurde, von vielen Leuten gesehen wird. Ich glaube an neue Synergien, wenn verschiedene Kunstschaffende nebeneinander proben. Und ich wünsche mir, dass mehr Leute in der Stadt Zürich selbst zu tanzen anfangen.

Neue Zürcher Zeitung, Do., 2019.09.05



verknüpfte Bauwerke
Tanzhaus Zürich

23. Juli 2009Lilo Weber
Neue Zürcher Zeitung

Zart wie eine Ballerina

Bekannte Architekten können seit zehn Jahren vor der Londoner Serpentine Gallery jeweils im Sommer einen temporären Pavillon errichten. Das diesjährige Bauwerk stammt vom japanischen Büro Sanaa.

Bekannte Architekten können seit zehn Jahren vor der Londoner Serpentine Gallery jeweils im Sommer einen temporären Pavillon errichten. Das diesjährige Bauwerk stammt vom japanischen Büro Sanaa.

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Serpentine Pavilion 2009

07. März 2008Lilo Weber
Neue Zürcher Zeitung

Tropenhaus an der Themse

Sie erhebt sich an einer Traumlage mitten in London an der Themse, die legendäre «Maison tropicale» von Jean Prouvé (1901–1984). Durch die kleinen, runden,...

Sie erhebt sich an einer Traumlage mitten in London an der Themse, die legendäre «Maison tropicale» von Jean Prouvé (1901–1984). Durch die kleinen, runden,...

Sie erhebt sich an einer Traumlage mitten in London an der Themse, die legendäre «Maison tropicale» von Jean Prouvé (1901–1984). Durch die kleinen, runden, blau gefärbten Fenster blickt man direkt auf St. Paul's Cathedral. Die Umgebung könnte kunstreicher kaum sein, und sogar ein kleines Wäldchen ist vorhanden, der von den Zürcher Landschaftsarchitekten Kienast & Vogt angelegte Birkenhain vor der Tate Modern. Hier verkörpert es den Traum eines ökonomischen Designs, den der französische Konstrukteur, Designer und Architekt Prouvé in die Tat umsetzte, wie dies derzeit die vom Vitra-Museum in Weil am Rhein übernommene Ausstellung «Jean Prouvé – The Poetics of the Technical Object» im Londoner Design Museum dokumentiert. Aus diesem Anlass haben die Tate Modern und das Design Museum Prouvés Fertighaus aus Leichtmetall nach London geholt. Es ist dies eines von drei Prototypen, die Prouvé zwischen 1949 und 1951 für die französischen Kolonien in Afrika herstellte. Die blauen Fenster schützten vor UV-Strahlen, und die doppelte Dachkonstruktion sorgte für natürliche Ventilation. Die Bestandteile sollten so leicht sein, dass sie von zwei Männern getragen und im Frachtflugzeug versandt werden konnten. Die Fertighäuser gingen indes nie in Serienproduktion. Das nun in London zu begehende Haus stand bis zum Jahr 2000 in Brazzaville, von wo es der Antiquitätenhändler Eric Touchaleaume nach Frankreich brachte und restaurierte. Im Juni 2007 wurde es bei Christie's in New York an den Hotelier André Balazs versteigert und gelangte nun mit dessen Unterstützung nach London. Es soll bis zum Frühling bei der Tate Modern bleiben und dann wieder in den Tropen aufgestellt werden.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2008.03.07

21. August 2006Lilo Weber
Neue Zürcher Zeitung

Wo Ideen-Märkte leuchten

Der Strasse fehlt es nicht an Farbe. Blauweiss und grünweiss gestreiftes Tuch bedeckt die Marktstände. Darunter hängen bunte Textilien, Saris mit Goldstickereien,...

Der Strasse fehlt es nicht an Farbe. Blauweiss und grünweiss gestreiftes Tuch bedeckt die Marktstände. Darunter hängen bunte Textilien, Saris mit Goldstickereien,...

Der Strasse fehlt es nicht an Farbe. Blauweiss und grünweiss gestreiftes Tuch bedeckt die Marktstände. Darunter hängen bunte Textilien, Saris mit Goldstickereien, auch schwarze Strickjacken. Hier werden die Mangos schachtelweise verkauft und die Bananen aus Blechschüsseln. An der Whitechapel Road im Londoner East End wähnt man sich tagsüber in Südasien. Männer schwatzen an den Ständen, Frauen huschen verschleiert vorbei, dann wieder ruft der Muezzin von der East- London-Moschee, und sein Gesang mischt sich mit dem Sirenengeheul der Ambulanz vom Royal London Hospital. Nein, einen Farbtupfer braucht diese Strasse nicht. Dennoch hat ihn David Adjaye hingesetzt. Ein Zugewanderter auch er. Die neue Bibliothek des aus Ghana stammenden Architekten strahlt nun in dem Quartier, das schon immer Auffangbecken war für Einwanderer aus den verschiedensten Ländern und Kontinenten. Gerade darum soll der Idea Store - so nennt der Borough Tower Hamlets die neuen Bibliotheken - transparent sein, auf dass sich die Menschen aller Kulturen und sozialen Schichten willkommen fühlen.

Buntes Haus im Schmelztiegel

Das fünfstöckige Haus ist vornehmlich aus Glas, gestreift in Grün und Weiss, Blau und Weiss wie die Marktstände davor. Die südwestliche Ecke ist um 3 Meter 30 nach vorn gezogen. Die Front verläuft schräg zur Strasse, was dem Gebäude eine wechselnde Perspektive verleiht, je nachdem, ob man sich von Westen oder Osten her nähert. Die vordere Fassade zieht sich nicht bis zum Boden, sondern deckt nur die oberen vier Stockwerke und bietet so Schutz für den Eingangsbereich und die Rolltreppe, die der Innenfassade entlang in den ersten und zweiten Stock führt. Die Verdoppelung der Fassade lässt den Eingang weit offen und das Glashaus noch leichter erscheinen. Im hintern Teil ist es nur zweistöckig. Dort befinden sich ein Tanzstudio, die Schulungsräume für Komplementärtherapie und eine Terrasse. Den Supermarkt Sainsbury's im Rücken und den bengalischen Markt vor der Tür, hält der Idea Store Gedanken feil: Bücher, CD, DVD, Internetzugang, Kurse jeglicher Art - und er leuchtet selbst wie eine Idee.

Das Projekt war nicht unumstritten. Die Bewohner von Tower Hamlets mögen zwar Adjayes Bau, doch hat man ihm das geopfert, was als «Universität des Ghettos» Geschichte schrieb: die Whitechapel Public Library. Sie wurde im Frühling 1892 an der Whitechapel High Street eröffnet, und sofort strömten die Leute von der Strasse und aus ihren schäbigen Behausungen in das warme Lesezimmer - am Ende des Jahres verzeichnete die Bibliothek bereits 2500 Mitglieder. Damals wohnten in der Gegend mehrheitlich Juden, die vor Verfolgungen in Russland und Osteuropa geflüchtet waren, und die Whitechapel Library baute schnell eine der grössten Sammlungen jüdischer Literatur des Landes auf. Nach dem Zweiten Weltkrieg verliessen die jüdischen Bewohner das zerbombte East End in Richtung Nordlondon und Essex - oder Israel. Die Synagogen verschwanden bis auf ganz wenige, einige wurden in Moscheen umgewandelt oder - als das East End in den 1990er Jahren zum Trendviertel avancierte - auch in schicke Wohnungen.

Heute sind 58 Prozent der Bewohner von Tower Hamlets nichteuropäischer Herkunft, ein Drittel stammt aus Bangladesh. Der durchschnittliche Preis für eine Wohnung hat sich in den letzten zehn Jahren fast verfünffacht, die ehemaligen Weberhäuschen kosten heute rund 400 000 Pfund, denn zu Tower Hamlets gehören auch die Docklands mit ihren Luxuswohnungen und Geschäften. Trotzdem ist der Borough die zweitärmste Gemeinde Englands mit der vierttiefsten Lebenserwartung für Männer.

Die traditionsreiche Whitechapel Library konnte mit einer Liste von namhaften Intellektuellen aufwarten, die hier ihre ersten Werke schrieben und die Geschichte des East End erforschten. Allein, die lokale Behörde wollte ihre Bibliotheken näher ans Volk bringen, und dieses geht nun einmal zum Supermarkt. Um dem Besucherschwund entgegenzuwirken, wurde 1998 das Konzept der Idea Stores geboren, als Lern- und Begegnungszentren für Erwachsene und Kinder. Insgesamt sieben Stores sind vorgesehen, und sie sollen in unmittelbarer Nachbarschaft von Einkaufszentren stehen. Der erste - von der Designer-Gemeinschaft Bisset Adams - wurde 2002 in Bow eröffnet, und er hat im ersten Jahr dreimal so viele Besucher angelockt wie die beiden Bibliotheken, die er ersetzte. Der zweite, nun von David Adjaye entworfen, folgte 2004 beim Chrisp Street Market in Poplar, einem Einkaufszentrum aus den fünfziger Jahren mit altem Markt, umgeben von grossen Wohnblöcken der Nachkriegszeit.

Damals gab es in Poplar noch Jobs, der Hafen war nah und in Betrieb. Heute dienen die Docks als eine Art Seeanstoss für Gutverdienende und laden zum Flanieren und Kaffeetrinken. Doch die zahlreichen neuen Arbeitsplätze rund um Canary Wharf sind unerreichbar geblieben für jene Menschen, die nördlich davon - nur einen Steinwurf entfernt - in den Sozialwohnungen leben. Zwischen den beiden Welten fährt die Docklands Light Railway über Wasser und Häuser hinweg neuerdings bis zum City Airport.

Hier, in einer Gegend, die an Trostlosigkeit kaum zu übertreffen ist, leuchtet Adjayes älterer Idea Store, ein Glashaus in Grün, Blau und Weiss. Er gleicht jenem in Whitechapel, ist aber bedeutend kleiner. Als Keil auf die Läden der Chrisp Street gesetzt, grenzt er diese nach vorne gegen den Platz an der East India Dock Road ab. Eine Rolltreppe führt in den ersten Stock, wo die Bücher in schlangenförmigen Regalen stehen: Belletristik und Sachbücher auf Englisch und Bengalisch, aber auch auf Chinesisch - Poplar war die erste Chinatown Londons, bevor die Chinesen Mitte des 20. Jahrhunderts nach Soho zogen. An den Fenstern sind Arbeitsplätze untergebracht. Von hier erscheint die Welt draussen in langen Streifen: blau oder grün gefärbte Tristesse im Osten, der Balkon einer Familie im Norden und im Süden ein riesiges öffentliches Badehaus, dessen Tage längst vorbei sind - dahinter streben Canary Wharf, HSBC und Barclays Bank strahlend gen Himmel.

Idea Store mit Aussicht

Die schlangenförmigen Büchergestelle sind für Adjaye ein Markenzeichen, auch im Idea Store Whitechapel. Nur nicht den Anschein einer Bibliothek erwecken. Die Besucherzahlen geben dem Konzept Recht. Während die Bibliotheken im ganzen Land über Besucherschwund klagen, haben die Ideen-Läden Konjunktur: Zum kleineren an der Chrisp Street kommen gemäss Sergio Dogliani, dem Leiter der Idea Stores, täglich durchschnittlich 1400 und zum grossen in Whitechapel sogar 1800 Interessierte. Hier lohnt sich der Besuch allein der Aussicht wegen. Vom Café im vierten Stock hat man nämlich einen unvergleichlichen Blick auf die City mit dem Swiss Re Tower im Westen, auf den Supermarkt mit den Sozialwohnungen im Norden oder auf das chaotische Gemisch aus Lagerhallen und Dienstleistungsbetrieben im Süden - und auf den quirligen asiatischen Markt unten auf dem Trottoir. Ostlondon in Streifen, grün, blau und weiss.

Neue Zürcher Zeitung, Mo., 2006.08.21

16. Mai 2003Lilo Weber
Neue Zürcher Zeitung

Terrakotta und Rosarot für Modefreaks

Für die Modedesignerin Zandra Rhodes hat der mexikanische Architekt Ricardo Legorreta an der Londoner Bermondsey Street ein Lagerhaus zum „Fashion and Textile Museum“ umgebaut und ihm Fassaden von mexikanischer Farbigkeit verliehen. Die Eröffnungsausstellung zeigt die Lieblingsentwürfe von 70 Modeschöpfern.

Für die Modedesignerin Zandra Rhodes hat der mexikanische Architekt Ricardo Legorreta an der Londoner Bermondsey Street ein Lagerhaus zum „Fashion and Textile Museum“ umgebaut und ihm Fassaden von mexikanischer Farbigkeit verliehen. Die Eröffnungsausstellung zeigt die Lieblingsentwürfe von 70 Modeschöpfern.

So viel Farbe blendet im grauen London. An der Bermondsey Street hinter dem Bahnhof London Bridge stehen die schick umgebauten Lagerhäuser reihenweise: die Fassaden aus Backstein, wie im 19. Jahrhundert üblich, im obersten Stock die Kranarme, die immer ein bisschen unbeholfen, da unbeschäftigt, auf die Strasse schauen; Farbe, wenn überhaupt, kommt auf die Fensterrahmen, Dunkelblau mit Vorliebe, Grün oder Rot. Und nun das: ein Gebäude in Terrakotta und Shocking Pink. Das soeben eröffnete «Fashion and Textile Museum» (FTM) der Modedesignerin Zandra Rhodes, das Meisterwerke aus der Modewelt zelebriert, ist schon allein seiner Farben wegen ein Wahrzeichen in Bermondsey. Der mexikanische Architekt Ricardo Legorreta, der erstmals in Europa wirkte, hat ein Stück Lateinamerika in die Themsestadt gebracht. Das von ihm umgebaute Lagerhaus aus den fünfziger Jahren mit der wenig durchbrochenen Fassade und der vorstehenden rosaroten Eingangstüre könnte man sich auch in Mexico City vorstellen. Aber es passt durchaus auch zu seiner Besitzerin. Rhodes liebt wie er die Farben, auch an sich selbst. Sie, die seit 35 Jahren mit bunt bedruckten Stoffen arbeitet und Leute wie Freddie Mercury, Shirley Bassey oder Prinzessin Diana eingekleidet hat, liebt wie er Pink - auch als Haarfarbe. Und Farbe kann London durchaus vertragen.


Durchdringung von Farbe und Form

Terrakotta und Rosarot, dazu Briefkastengelb. Dieses leuchtet von einem Wohnungsbalkon, der die Frontfassade durchbricht - als Quadrat, das seinerseits wiederum durchbrochen wird von einem Kamin in Rosa. Im Übrigen öffnen sich wenige kleine Fenster zur Strasse hin: fast schiessschartenartige im ersten und rechteckige im zweiten Stock. Drei schmale Türen führen im Erdgeschoss vom Café auf das Trottoir, wo dereinst Tische und Stühle stehen sollen. Etwas mehr als zwei Millionen Pfund hat der Bau gekostet. Das schmale Budget hätte nicht für alles gereicht, was sich die grosse Dame des Hippie-Chic gewünscht hatte: vom Museum für ihre 3000 Kleidungsstücke umfassende Sammlung bis hin zu den Räumen für sie selbst und ihre Arbeit. Da es keine Subventionen von der National Lottery gab, musste Rhodes zu andern Formen der Finanzierung greifen: Sie liess durch den Londoner Architekten Alan Camp in enger Zusammenarbeit mit Legorreta einen Aufbau mit Luxuswohnungen schaffen, aus deren Verkauf dann die fehlenden Mittel kamen. Das etwas zurückversetzte zusätzliche Geschoss leuchtet ebenfalls in Pink auf dem quaderförmigen terrakottafarbenen Block.

Legorretas Gebäude umfasst den Ausstellungsraum mit Galerie, einen Museumsshop und das bereits erwähnte Café. Dazu kommen Schulungsräume, in denen Jugendliche aus der Nachbarschaft Erfahrungen mit Textildesign sammeln können, das Studio von Zandra Rhodes, das Penthouse der Modemacherin sowie acht weitere Wohnungen. Das Museum betritt man durch die pinkfarbene Eingangshalle und einen hohen Bogengang in Königsblau, der durch einen Vorhang mit den glitzernden Buchstaben FTM verhangen ist. Dieser stört zwar die klaren Formen und die leuchtenden Farben, passt aber zum Haus und zu seiner Herrin: Glamour muss sein in der Modewelt, und ein bisschen Chichi gehört ebenfalls dazu.


Tanzende Kleider

Das Foyer hat der Australier David Humphries mit einem Terrazzoboden mit gläsernen Sternen geschmückt, auf den Treppenstufen leuchten rosa Lichter. An der Wand wird die Ausstellung in changierenden Lettern angekündigt: «My Favourite Dress». Schliesslich hängt Glamour im Ausstellungsraum: 70 Designer von Giorgio Armani bis Matthew Williamson haben ihr liebstes Kleid, zumeist ein Abendkleid, geschickt, dazu eine Begründung. Und so tanzen die Roben wie Marionetten an Fäden auf und ab, unter ihnen schillert in dreidimensionalen orangefarbenen Lettern die Message ihrer Schöpfer: «Das Kleid veranschaulicht, was ich in Frauen sehen will: die Dichotomie zwischen ihrer Sanftheit und ihrer Stärke», schreibt etwa Zac Posen zu einem wunderbar fallenden, über und über mit goldenen Ösen bestückten schwarzen Kleid. Donatella Versaces dem Stilmix verpflichtete Kreation glänzt unglaublich sexy und kostbar zugleich, während von Vivienne Westwood ein Strickkleid mit Blumen zu sehen ist, das sie zuletzt an Jerry Halls Party getragen habe. Rhodes selbst wählte das bedruckte moosgrüne einschultrige Chiffonkleid «Ayers Rock» von 1973, zu dem sie auf einer Australienreise inspiriert worden war - Jackie Kennedy Onassis hatte eins davon.

Eine gelbe, pink illuminierte Rampe führt zur Galerie, wo weitere Kleider hängen. Ebenfalls in Rosa sind jene Kästen ausgestattet, die Kleider hinter Glas zeigen. Das Museum soll den kulturellen Beitrag der Mode beleuchten - eine Aufgabe, die das nur wenige Minuten themseabwärts gelegene Design Museum allerdings schon seit einigen Jahren erfüllt. Zandra Rhodes will ihr Haus nicht als Konkurrenz verstanden wissen, sondern eher als Ergänzung. Vor allem will sie in Zukunft den Einfluss britischer Designer auf die Modewelt dokumentieren, strömen doch von den hiesigen Kunstakademien Jahr für Jahr neue Talente in die Studios der Metropolen.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2003.05.16



verknüpfte Bauwerke
Fashion and Textile Museum

05. Februar 2003Lilo Weber
Neue Zürcher Zeitung

Dem Tanz ein Regenbogen-Haus

Das Laban Centre in London von Herzog & de Meuron

Das Laban Centre in London von Herzog & de Meuron

Arm und Reich - der Gegensatz ist allgegenwärtig in London. Doch so eklatant zeigt sich der Wechsel selten wie auf dem Spaziergang der Themse entlang nach Greenwich: Essen mit Stil in den Conran-Tempeln von Butler's Wharf, Wohnen mit Gewürzgeruch in ehemaligen Lagerhäusern, Glaspaläste, Blocks, den Schiffen nachempfunden, die hier nicht mehr fahren, schmucke Reihenhäuschen - der Reichtum will nimmermehr aufhören. Plötzlich tauchen drei Hochhäuser auf, schwarz das eine, weiss die beiden andern, düster alle drei. Deptford, South East London. Hier ist die Arbeitslosigkeit mehr als doppelt so hoch wie im Londoner Mittel, und die Durchschnittseinkommen sind tiefer als fast überall sonst im Vereinigten Königreich. Nahezu die Hälfte der Kinder erhalten Schulmahlzeiten, über ein Drittel der Haushalte werden von allein erziehenden Eltern organisiert. Das Viertel hat einen hohen Flüchtlingsanteil, ein Drittel der Einwohner gehört ethnischen Minoritäten an. Hierhin, in eine Gegend, welche zu den ärmsten Grossbritanniens gehört, haben Herzog & de Meuron ihr zweites Londoner Werk gesetzt: das Laban Dance Centre. Der 22 Millionen Pfund teure Neubau, der heute Mittwoch offiziell eröffnet wird, umfasst eine Ausbildungsstätte für Tänzer, Choreographen, Tanzlehrer und Community-Arbeiter sowie ein Theater mit 300 Plätzen.

Leuchtende Architektur

Diese Laterna magica ist ein weiteres Gebäude der Basler Architekten, das durch Einfachheit strahlt - leuchtend in der Nacht, reflektierend bei Tage. Geschaffen wurde es in Zusammenarbeit mit dem Künstler Michael Craig-Martin, der mit Herzog & de Meuron bereits an der Leucht-Box der Tate Modern wirkte. Nun wurden die gerundeten Fassaden mit halbtransparentem Polykarbonat - farblos, grün, türkis und magentarot - eingekleidet, was das Haus leicht und transluzid erscheinen lässt. Wie die Tate Modern steht auch Laban in Kommunikation mit einem Barockbau, auch hier St. Paul's genannt, wenngleich viel kleiner als Wrens Meisterwerk. Während die Tate Modern durch die neue Fussgängerbrücke mit der mächtigen St. Paul's Cathedral in eine Achse gebracht wird, blickt man vom Eingangstor des Laban in gerader Linie auf St. Paul's Deptford und umgekehrt. Dazwischen liegt eine stark befahrene Strasse, die den schnurgeraden Zugang fast so schwierig macht wie die Themse und recht eigentlich nach einer Fussgängerpassage ruft.

Nähert man sich dem im Volksmund bereits «Rainbow Building» genannten Bau aber von der Themse her, ist er leicht zu übersehen. Aus dem Schmutz steigt er empor, hinter Lagerschuppen, Reifendepots, Schutt und Stacheldraht. Ein Kubus, lang und flach, der die Stimmungen der Umgebung aufnimmt, den Himmel spiegelt und die Erde ein bisschen versöhnlicher stimmt. Der Geruch ist nicht zu ignorieren, die Trostlosigkeit nicht zu übersehen: Der Deptford Creek liegt stinkend, dreckig, und triebe die Flut einen toten Hund an den vor sich hin rostenden Kähnen vorbei - man würde ihn nicht zur Kenntnis nehmen. Noch sind hier die Erinnerungen an Schutt und Asche wach, in welche der Osten Londons unter dem Bombenhagel des Zweiten Weltkriegs versank. Aufgeräumt wurde lange nicht, weshalb der auf der Insel seltene Gartenrotschwanz hier nistet - er soll sich in Bombenlandschaften heimisch fühlen. Herzog & de Meuron haben das Dach ihres Gebäudes mit der Erde des Creek bedeckt, auf dass der Vogel sich weiterhin wohl fühle, und ihren Bau unterteilt mit kleinen Innenhöfen, in denen Mooslandschaften auf Vulkangestein wachsen sollen, als Ruhepole in diesem quirligen Tanzhaus.

Vom Monte Verità an die Themse

Aussenleben - Innenleben: Die Laban-Schule hat sich schon immer der Gemeinschaft verpflichtet gefühlt. Jeder Mensch ist ein Tänzer - davon war der ungarische Tänzer, Choreograph, Pädagoge und Theoretiker des modernen Tanzes, Rudolf von Laban (1879-1958), überzeugt. Auf dem Monte Verità wurde jener Tanz, der aus der Körpermitte heraus in die Extremitäten strömt und Körper, Geist und Seele vereint, erprobt. In riesigen Bewegungschören wurde alsdann der tanzende Mensch gefeiert, auch an der Eröffnungsfeier der Berliner Olympischen Spiele von 1936, bevor Laban von den Nazis zum Staatsfeind deklariert wurde und nach England auswanderte. Hier gründete er in den späten vierziger Jahren das Art of Movement Studio in Manchester, das später nach Addlestone in Surrey verlegt wurde und 1974 unter der Leitung von Marion North und dem Namen Laban Centre for Movement and Dance nach New Cross London. 350 Studierende aus 35 Ländern erwerben sich hier derzeit einen BA in Tanztheater, einen MA in Tanz-Performance, Choreographie, Szenographie oder einen MSc in Dance Science, einer neuen Ausbildung, die sich stärker mit Anatomie und Physiologie des Körpers befasst. Daneben werden Pilates-Lehrer ausgebildet, insbesondere auch Community-Dance-Pädagogen, legt man doch immer noch viel Gewicht auf die Arbeit mit Amateuren. Deshalb versteht sich Laban auch als Sammelbecken für die Bewegungen im Quartier und bietet Tanzkurse für Kinder und Erwachsene an.

Herzog & de Meuron haben nicht nur Ziel und Zweck dieser Institution, sondern auch ihre Geisteshaltung in die Architektur aufgenommen. Das Innere des Tanzhauses folgt klar der Funktion: 13 Studios, ein Theater mit tiefer Bühne und guter Aufsicht, viel Platz für die umfangreiche Bibliothek, Physiotherapieräume, Pilates-Studio, Cafeteria, verbunden durch Gänge, Strassen genannt, welche die Farben der Fassade tragen: Türkis, Grün und Pink. Diese Räume treten mit der Aussenwelt in ein Zwiegespräch, wechselhaft, irisierend, da - wie dies der Tanzkunst immanent ist - ganz und gar dem Auge verpflichtet, dem, je nach Lichtverhältnissen und Standort, mal mehr, mal weniger von dieser Kunst preisgegeben wird. Verspiegelte Fenster lenken den Blick. Wer bei Tag ums Haus geht, mag in den Fenstern den Turm von St. Paul's oder die Wolken, den Creek und die ganze Trostlosigkeit sehen, und irgendwo wird darin eine Conga aufscheinen, ein Tänzerbein sich strecken. Des Nachts aber werden die Fenster zu einzelnen Steinen des Tanzhaus- Puzzles: Tänzer an der Stange, gebeugte Rücken am Computer, die Nähmaschinen der Schneiderei, die Anlagen der Technik, während im Übrigen die Körper zu Silhouetten verschwimmen hinter den schillernden Kunststoffscheiben. Es ist dies ein leuchtendes Zeichen an die Umgebung: Seht her, was wir machen! Gleichzeitig schützt die Fassade die Privatsphäre der Tanzenden.

Nähert man sich dem Bau von St. Paul's Deptford her und somit wohl auf dem rechten Weg, wird der Turm, der barocke, zusehends verschwinden auf der Fassade. Der Bau präsentiert sich als schlichte, homogene Form, aufgelöst nur durch die sich ablösenden Bilder in den Fenstern. Im Innern aber darf auch ein bisschen Spiel und Chaos sein. Zwei an eine Muschel erinnernde massive schwarze Wendeltreppen verbinden die beiden Stockwerke, die eine trennt gleichzeitig die beiden Strassen, die vom Eingang herführen, nach unten zu Pilates, nach oben ins Theater. Über das schwarze Material zieht ein hölzerner Handlauf, gebogen, organisch anmutend und ein merkwürdiges Zeichen in dieser streng formalen Landschaft. Und doch der Tradition, die hier gepflegt wird, wahlverwandt.

Sie sollen damals nackt getanzt haben auf dem Monte Verità, den freien Tanz gepflegt, was immer das heissen mag. Indes war Rudolf von Laban ein sehr formbewusster Mensch, der die Tanzkunst zu systematisieren und sie in eine Schrift zu binden trachtete, die Labanotation. Seine Theorien werden hier selbstredend gelehrt, und selbstredend wird hier Technik trainiert. Schwerpunkt bildet indes der kreative Akt, und es ist kaum Zufall, dass in der Londoner Tanzszene viele Choreographen vom Laban Centre kommen. Nun haben Herzog & de Meuron der Kreativität ein Haus geschaffen, dem Chaos Deptford eine klare Form gegenübergestellt, in der Labans Vision vom Tanz als lebendiger Architektonik sich entfalten kann.

Neue Zürcher Zeitung, Mi., 2003.02.05



verknüpfte Bauwerke
Laban Dance Centre

Presseschau 12

05. September 2019Lilo Weber
Neue Zürcher Zeitung

«Wir wollen Zürich zum Tanzen bringen»

Mit einem dreitägigen Fest wird dieses Wochenende der Ersatzneubau des Tanzhauses Zürich eröffnet. Dessen Leiterin Catja Loepfe erzählt, was dort künftig im Alltag passiert.

Mit einem dreitägigen Fest wird dieses Wochenende der Ersatzneubau des Tanzhauses Zürich eröffnet. Dessen Leiterin Catja Loepfe erzählt, was dort künftig im Alltag passiert.

Frau Loepfe, am kommenden Wochenende wird das wunderschöne neue Tanzhaus eröffnet. Es ist dies ein kostbarer Ersatz für das 2012 abgebrannte Gebäude an der Wasserwerkstrasse 127a. Wozu braucht die Stadt ein Tanzhaus?

Der zeitgenössische Tanz hat seit Jahrzehnten an Relevanz gewonnen und braucht ein Haus, in dem Tanzstücke erarbeitet werden können. Das Tanzhaus Zürich ist das einzige Produktionshaus in der Deutschschweiz, das sich ausschliesslich dem Tanz widmet. Es richtet sich insbesondere an junge Künstlerinnen und Künstler und ist der Ort für die ersten Schritte nach der Berufsausbildung. Hier kriegen sie alle Unterstützung, die wir einer Kompanie oder einzelnen Tanzschaffenden geben können. Darüber hinaus bieten wir Tanzkurse für eine interessierte Öffentlichkeit an.

Was geschieht hier genau?

Tänzerinnen und Tänzer sind keine Einzelkünstler, sie trainieren jeden Tag im Studio und formieren sich in künstlerischen Kollektiven. Wir bieten tägliches Profitraining an. Wir helfen bei der Erarbeitung von Bühnenwerken, und zwar von den ersten Dossierentwürfen, der Geldersuche über dramaturgische Unterstützung, Medienarbeit bis zur Uraufführung.

Was ändert sich mit dem Neubau?

Er gibt dem Tanzhaus Einheit und grössere Sichtbarkeit. Wir hatten bis anhin Ersatzräume im Mediacampus, und das war zu weit weg. Durch die Räume an einer Adresse sind wir flexibler. Davor mussten wir uns in allem teilen. Der Saal und das eine Studio im Gebäude an der Wasserwerkstrasse 129 mussten Profitraining, Proben, Kinderkurse, Aufführungen und Residenzen beherbergen.

Neu arbeitet im Tanzhaus eine kleine ständige Kompanie, The Field – was steckt dahinter?

Das Kollektiv hat eine eigene Trägerschaft, aber sein Zuhause ist zurzeit im Tanzhaus Zürich. Bei der Bestandesaufnahme zur Tanz- und Theaterlandschaft Zürich fiel auf, dass es in der freien Tanzszene keine grössere Kompanie mehr gibt, die regelmässig arbeitet, wie in den 1980er und 1990er Jahren. Uns war es wichtig, eine Kompanie zu alimentieren, die Bewegungsforschung betreibt und über das ganze Jahr unterstützt wird. Wir hatten das Glück, in der Fondation BNP Paribas einen Startsponsor gefunden zu haben. Die Kompanie wird mit hiesigen oder internationalen Choreografen arbeiten, aber auch in die Stadt hinausgehen. Wir wollen verschiedene Projekte mit Communitys lancieren und den zeitgenössischen Tanz in Winkel der Gesellschaft bringen, wo er noch nicht angekommen ist.

Das Publikum für den Tanz wächst international, die Kompanien am Zürcher Opernhaus, in den Stadttheatern von Luzern, Bern und Basel haben hervorragende Auslastungen. Nicht aber der Tanz in der freien Szene. Woran liegt das?

Am Zürcher Theaterspektakel sind die Tanzvorstellungen sehr gut besucht. Ich glaube, das hat zum Teil mit der Tradition von Institutionen und Festivals zu tun. Das Theaterspektakel ist vierzig Jahre alt und hat eine riesige Ausstrahlung – über Zürich hinaus. Das Gleiche gilt für die Oper und die Kompanien an den Schauspielhäusern. Die haben eine lange Tradition und viele Mittel für Medienarbeit. Die Aufmerksamkeit für das Tanzhaus hat dagegen in den letzten Jahren gelitten. Nach dem Brand hatte die Szene ihre Heimat verloren.

Erhoffen Sie sich vom Neubau auch mehr Ausstrahlung?

Ich bin sicher, dass das Tanzhaus mehr Aufmerksamkeit erhalten wird, nicht zuletzt wegen der Architektur des Büros Barozzi Veiga. Ich habe mich bei der Planung sehr für die Cafébar im Foyer eingesetzt. Sie wird nun täglich für die Quartierbevölkerung und die Tanzschaffenden offen sein. Allem voran setzen wir uns aber für eine hohe Qualität der Kunst ein.

Hier aber liegt das Problem – in der Einseitigkeit der in Zürich geförderten Szene: Sie ist stark auf Performance ausgerichtet, und das ist nicht so wahnsinnig spannend anzuschauen. Sie gleicht darin etwa der Szene in Berlin, nicht aber jener in Brüssel, den Niederlanden oder Grossbritannien. Wie kommt das?

Der zeitgenössische Tanz ist in den letzten Jahren auf internationaler Ebene stark gewachsen und damit auch die Performance. Es gibt mehr Tanzschaffende, mehr europäische Netzwerke, gerade weil die Künstlerinnen und Künstler angefangen haben, sich bei anderen Kunstformen zu bedienen – bis hin zum virtuellen Raum, wie es nun zur Eröffnung des Neubaus mit Gilles Jobins «VR_I» zu sehen ist. Die Entwicklung hat über die reine Bewegung hinausgeführt, hat Text auf die Bühne gebracht, Video und so weiter. Die Möglichkeiten werden grösser, aber auch die Möglichkeiten zu scheitern. Performances sind häufig textlastig. Ich glaube, wir sind eine textbasierte Kultur, und die Menschen haben das Bedürfnis, etwas sprachlich auszudrücken.

Wir reden von der deutschsprachigen Kultur. . .

Im Tanzhaus Zürich ist uns wichtig, dass die Arbeiten, die wir begleiten, eine inhaltliche Dringlichkeit haben. Die Künstlerinnen und Künstler greifen Themen aus Politik und Gesellschaft auf, bringen sie in geeigneter Form auf die Bühne, wollen das aber häufig mit Bewegung allein nicht lösen. Wir versuchen, das ästhetische Spektrum breiter zu halten, und möchten in Zukunft gerne noch mehr Kompanien ein Dach geben. Denn mit sechs Gruppen pro Jahr ist Diversität nur bedingt zu garantieren. Doch auch für reine Bewegungskompanien gilt: Die Arbeit muss inhaltlich Sinn ergeben und für andere nachvollziehbar sein.

Wo soll der Tanz im Tanzhaus Zürich hingehen?

Ich glaube fest daran, dass das, was hier entsteht, zukunftsweisend ist. Man darf nicht vergessen, dass das die ersten Schritte sind; die Künstler dürfen auch stolpern. Ich möchte gerne, dass das, wofür hier wochenlang im Probenraum geschwitzt wurde, von vielen Leuten gesehen wird. Ich glaube an neue Synergien, wenn verschiedene Kunstschaffende nebeneinander proben. Und ich wünsche mir, dass mehr Leute in der Stadt Zürich selbst zu tanzen anfangen.

Neue Zürcher Zeitung, Do., 2019.09.05



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Tanzhaus Zürich

23. Juli 2009Lilo Weber
Neue Zürcher Zeitung

Zart wie eine Ballerina

Bekannte Architekten können seit zehn Jahren vor der Londoner Serpentine Gallery jeweils im Sommer einen temporären Pavillon errichten. Das diesjährige Bauwerk stammt vom japanischen Büro Sanaa.

Bekannte Architekten können seit zehn Jahren vor der Londoner Serpentine Gallery jeweils im Sommer einen temporären Pavillon errichten. Das diesjährige Bauwerk stammt vom japanischen Büro Sanaa.

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Serpentine Pavilion 2009

07. März 2008Lilo Weber
Neue Zürcher Zeitung

Tropenhaus an der Themse

Sie erhebt sich an einer Traumlage mitten in London an der Themse, die legendäre «Maison tropicale» von Jean Prouvé (1901–1984). Durch die kleinen, runden,...

Sie erhebt sich an einer Traumlage mitten in London an der Themse, die legendäre «Maison tropicale» von Jean Prouvé (1901–1984). Durch die kleinen, runden,...

Sie erhebt sich an einer Traumlage mitten in London an der Themse, die legendäre «Maison tropicale» von Jean Prouvé (1901–1984). Durch die kleinen, runden, blau gefärbten Fenster blickt man direkt auf St. Paul's Cathedral. Die Umgebung könnte kunstreicher kaum sein, und sogar ein kleines Wäldchen ist vorhanden, der von den Zürcher Landschaftsarchitekten Kienast & Vogt angelegte Birkenhain vor der Tate Modern. Hier verkörpert es den Traum eines ökonomischen Designs, den der französische Konstrukteur, Designer und Architekt Prouvé in die Tat umsetzte, wie dies derzeit die vom Vitra-Museum in Weil am Rhein übernommene Ausstellung «Jean Prouvé – The Poetics of the Technical Object» im Londoner Design Museum dokumentiert. Aus diesem Anlass haben die Tate Modern und das Design Museum Prouvés Fertighaus aus Leichtmetall nach London geholt. Es ist dies eines von drei Prototypen, die Prouvé zwischen 1949 und 1951 für die französischen Kolonien in Afrika herstellte. Die blauen Fenster schützten vor UV-Strahlen, und die doppelte Dachkonstruktion sorgte für natürliche Ventilation. Die Bestandteile sollten so leicht sein, dass sie von zwei Männern getragen und im Frachtflugzeug versandt werden konnten. Die Fertighäuser gingen indes nie in Serienproduktion. Das nun in London zu begehende Haus stand bis zum Jahr 2000 in Brazzaville, von wo es der Antiquitätenhändler Eric Touchaleaume nach Frankreich brachte und restaurierte. Im Juni 2007 wurde es bei Christie's in New York an den Hotelier André Balazs versteigert und gelangte nun mit dessen Unterstützung nach London. Es soll bis zum Frühling bei der Tate Modern bleiben und dann wieder in den Tropen aufgestellt werden.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2008.03.07

21. August 2006Lilo Weber
Neue Zürcher Zeitung

Wo Ideen-Märkte leuchten

Der Strasse fehlt es nicht an Farbe. Blauweiss und grünweiss gestreiftes Tuch bedeckt die Marktstände. Darunter hängen bunte Textilien, Saris mit Goldstickereien,...

Der Strasse fehlt es nicht an Farbe. Blauweiss und grünweiss gestreiftes Tuch bedeckt die Marktstände. Darunter hängen bunte Textilien, Saris mit Goldstickereien,...

Der Strasse fehlt es nicht an Farbe. Blauweiss und grünweiss gestreiftes Tuch bedeckt die Marktstände. Darunter hängen bunte Textilien, Saris mit Goldstickereien, auch schwarze Strickjacken. Hier werden die Mangos schachtelweise verkauft und die Bananen aus Blechschüsseln. An der Whitechapel Road im Londoner East End wähnt man sich tagsüber in Südasien. Männer schwatzen an den Ständen, Frauen huschen verschleiert vorbei, dann wieder ruft der Muezzin von der East- London-Moschee, und sein Gesang mischt sich mit dem Sirenengeheul der Ambulanz vom Royal London Hospital. Nein, einen Farbtupfer braucht diese Strasse nicht. Dennoch hat ihn David Adjaye hingesetzt. Ein Zugewanderter auch er. Die neue Bibliothek des aus Ghana stammenden Architekten strahlt nun in dem Quartier, das schon immer Auffangbecken war für Einwanderer aus den verschiedensten Ländern und Kontinenten. Gerade darum soll der Idea Store - so nennt der Borough Tower Hamlets die neuen Bibliotheken - transparent sein, auf dass sich die Menschen aller Kulturen und sozialen Schichten willkommen fühlen.

Buntes Haus im Schmelztiegel

Das fünfstöckige Haus ist vornehmlich aus Glas, gestreift in Grün und Weiss, Blau und Weiss wie die Marktstände davor. Die südwestliche Ecke ist um 3 Meter 30 nach vorn gezogen. Die Front verläuft schräg zur Strasse, was dem Gebäude eine wechselnde Perspektive verleiht, je nachdem, ob man sich von Westen oder Osten her nähert. Die vordere Fassade zieht sich nicht bis zum Boden, sondern deckt nur die oberen vier Stockwerke und bietet so Schutz für den Eingangsbereich und die Rolltreppe, die der Innenfassade entlang in den ersten und zweiten Stock führt. Die Verdoppelung der Fassade lässt den Eingang weit offen und das Glashaus noch leichter erscheinen. Im hintern Teil ist es nur zweistöckig. Dort befinden sich ein Tanzstudio, die Schulungsräume für Komplementärtherapie und eine Terrasse. Den Supermarkt Sainsbury's im Rücken und den bengalischen Markt vor der Tür, hält der Idea Store Gedanken feil: Bücher, CD, DVD, Internetzugang, Kurse jeglicher Art - und er leuchtet selbst wie eine Idee.

Das Projekt war nicht unumstritten. Die Bewohner von Tower Hamlets mögen zwar Adjayes Bau, doch hat man ihm das geopfert, was als «Universität des Ghettos» Geschichte schrieb: die Whitechapel Public Library. Sie wurde im Frühling 1892 an der Whitechapel High Street eröffnet, und sofort strömten die Leute von der Strasse und aus ihren schäbigen Behausungen in das warme Lesezimmer - am Ende des Jahres verzeichnete die Bibliothek bereits 2500 Mitglieder. Damals wohnten in der Gegend mehrheitlich Juden, die vor Verfolgungen in Russland und Osteuropa geflüchtet waren, und die Whitechapel Library baute schnell eine der grössten Sammlungen jüdischer Literatur des Landes auf. Nach dem Zweiten Weltkrieg verliessen die jüdischen Bewohner das zerbombte East End in Richtung Nordlondon und Essex - oder Israel. Die Synagogen verschwanden bis auf ganz wenige, einige wurden in Moscheen umgewandelt oder - als das East End in den 1990er Jahren zum Trendviertel avancierte - auch in schicke Wohnungen.

Heute sind 58 Prozent der Bewohner von Tower Hamlets nichteuropäischer Herkunft, ein Drittel stammt aus Bangladesh. Der durchschnittliche Preis für eine Wohnung hat sich in den letzten zehn Jahren fast verfünffacht, die ehemaligen Weberhäuschen kosten heute rund 400 000 Pfund, denn zu Tower Hamlets gehören auch die Docklands mit ihren Luxuswohnungen und Geschäften. Trotzdem ist der Borough die zweitärmste Gemeinde Englands mit der vierttiefsten Lebenserwartung für Männer.

Die traditionsreiche Whitechapel Library konnte mit einer Liste von namhaften Intellektuellen aufwarten, die hier ihre ersten Werke schrieben und die Geschichte des East End erforschten. Allein, die lokale Behörde wollte ihre Bibliotheken näher ans Volk bringen, und dieses geht nun einmal zum Supermarkt. Um dem Besucherschwund entgegenzuwirken, wurde 1998 das Konzept der Idea Stores geboren, als Lern- und Begegnungszentren für Erwachsene und Kinder. Insgesamt sieben Stores sind vorgesehen, und sie sollen in unmittelbarer Nachbarschaft von Einkaufszentren stehen. Der erste - von der Designer-Gemeinschaft Bisset Adams - wurde 2002 in Bow eröffnet, und er hat im ersten Jahr dreimal so viele Besucher angelockt wie die beiden Bibliotheken, die er ersetzte. Der zweite, nun von David Adjaye entworfen, folgte 2004 beim Chrisp Street Market in Poplar, einem Einkaufszentrum aus den fünfziger Jahren mit altem Markt, umgeben von grossen Wohnblöcken der Nachkriegszeit.

Damals gab es in Poplar noch Jobs, der Hafen war nah und in Betrieb. Heute dienen die Docks als eine Art Seeanstoss für Gutverdienende und laden zum Flanieren und Kaffeetrinken. Doch die zahlreichen neuen Arbeitsplätze rund um Canary Wharf sind unerreichbar geblieben für jene Menschen, die nördlich davon - nur einen Steinwurf entfernt - in den Sozialwohnungen leben. Zwischen den beiden Welten fährt die Docklands Light Railway über Wasser und Häuser hinweg neuerdings bis zum City Airport.

Hier, in einer Gegend, die an Trostlosigkeit kaum zu übertreffen ist, leuchtet Adjayes älterer Idea Store, ein Glashaus in Grün, Blau und Weiss. Er gleicht jenem in Whitechapel, ist aber bedeutend kleiner. Als Keil auf die Läden der Chrisp Street gesetzt, grenzt er diese nach vorne gegen den Platz an der East India Dock Road ab. Eine Rolltreppe führt in den ersten Stock, wo die Bücher in schlangenförmigen Regalen stehen: Belletristik und Sachbücher auf Englisch und Bengalisch, aber auch auf Chinesisch - Poplar war die erste Chinatown Londons, bevor die Chinesen Mitte des 20. Jahrhunderts nach Soho zogen. An den Fenstern sind Arbeitsplätze untergebracht. Von hier erscheint die Welt draussen in langen Streifen: blau oder grün gefärbte Tristesse im Osten, der Balkon einer Familie im Norden und im Süden ein riesiges öffentliches Badehaus, dessen Tage längst vorbei sind - dahinter streben Canary Wharf, HSBC und Barclays Bank strahlend gen Himmel.

Idea Store mit Aussicht

Die schlangenförmigen Büchergestelle sind für Adjaye ein Markenzeichen, auch im Idea Store Whitechapel. Nur nicht den Anschein einer Bibliothek erwecken. Die Besucherzahlen geben dem Konzept Recht. Während die Bibliotheken im ganzen Land über Besucherschwund klagen, haben die Ideen-Läden Konjunktur: Zum kleineren an der Chrisp Street kommen gemäss Sergio Dogliani, dem Leiter der Idea Stores, täglich durchschnittlich 1400 und zum grossen in Whitechapel sogar 1800 Interessierte. Hier lohnt sich der Besuch allein der Aussicht wegen. Vom Café im vierten Stock hat man nämlich einen unvergleichlichen Blick auf die City mit dem Swiss Re Tower im Westen, auf den Supermarkt mit den Sozialwohnungen im Norden oder auf das chaotische Gemisch aus Lagerhallen und Dienstleistungsbetrieben im Süden - und auf den quirligen asiatischen Markt unten auf dem Trottoir. Ostlondon in Streifen, grün, blau und weiss.

Neue Zürcher Zeitung, Mo., 2006.08.21

16. Mai 2003Lilo Weber
Neue Zürcher Zeitung

Terrakotta und Rosarot für Modefreaks

Für die Modedesignerin Zandra Rhodes hat der mexikanische Architekt Ricardo Legorreta an der Londoner Bermondsey Street ein Lagerhaus zum „Fashion and Textile Museum“ umgebaut und ihm Fassaden von mexikanischer Farbigkeit verliehen. Die Eröffnungsausstellung zeigt die Lieblingsentwürfe von 70 Modeschöpfern.

Für die Modedesignerin Zandra Rhodes hat der mexikanische Architekt Ricardo Legorreta an der Londoner Bermondsey Street ein Lagerhaus zum „Fashion and Textile Museum“ umgebaut und ihm Fassaden von mexikanischer Farbigkeit verliehen. Die Eröffnungsausstellung zeigt die Lieblingsentwürfe von 70 Modeschöpfern.

So viel Farbe blendet im grauen London. An der Bermondsey Street hinter dem Bahnhof London Bridge stehen die schick umgebauten Lagerhäuser reihenweise: die Fassaden aus Backstein, wie im 19. Jahrhundert üblich, im obersten Stock die Kranarme, die immer ein bisschen unbeholfen, da unbeschäftigt, auf die Strasse schauen; Farbe, wenn überhaupt, kommt auf die Fensterrahmen, Dunkelblau mit Vorliebe, Grün oder Rot. Und nun das: ein Gebäude in Terrakotta und Shocking Pink. Das soeben eröffnete «Fashion and Textile Museum» (FTM) der Modedesignerin Zandra Rhodes, das Meisterwerke aus der Modewelt zelebriert, ist schon allein seiner Farben wegen ein Wahrzeichen in Bermondsey. Der mexikanische Architekt Ricardo Legorreta, der erstmals in Europa wirkte, hat ein Stück Lateinamerika in die Themsestadt gebracht. Das von ihm umgebaute Lagerhaus aus den fünfziger Jahren mit der wenig durchbrochenen Fassade und der vorstehenden rosaroten Eingangstüre könnte man sich auch in Mexico City vorstellen. Aber es passt durchaus auch zu seiner Besitzerin. Rhodes liebt wie er die Farben, auch an sich selbst. Sie, die seit 35 Jahren mit bunt bedruckten Stoffen arbeitet und Leute wie Freddie Mercury, Shirley Bassey oder Prinzessin Diana eingekleidet hat, liebt wie er Pink - auch als Haarfarbe. Und Farbe kann London durchaus vertragen.


Durchdringung von Farbe und Form

Terrakotta und Rosarot, dazu Briefkastengelb. Dieses leuchtet von einem Wohnungsbalkon, der die Frontfassade durchbricht - als Quadrat, das seinerseits wiederum durchbrochen wird von einem Kamin in Rosa. Im Übrigen öffnen sich wenige kleine Fenster zur Strasse hin: fast schiessschartenartige im ersten und rechteckige im zweiten Stock. Drei schmale Türen führen im Erdgeschoss vom Café auf das Trottoir, wo dereinst Tische und Stühle stehen sollen. Etwas mehr als zwei Millionen Pfund hat der Bau gekostet. Das schmale Budget hätte nicht für alles gereicht, was sich die grosse Dame des Hippie-Chic gewünscht hatte: vom Museum für ihre 3000 Kleidungsstücke umfassende Sammlung bis hin zu den Räumen für sie selbst und ihre Arbeit. Da es keine Subventionen von der National Lottery gab, musste Rhodes zu andern Formen der Finanzierung greifen: Sie liess durch den Londoner Architekten Alan Camp in enger Zusammenarbeit mit Legorreta einen Aufbau mit Luxuswohnungen schaffen, aus deren Verkauf dann die fehlenden Mittel kamen. Das etwas zurückversetzte zusätzliche Geschoss leuchtet ebenfalls in Pink auf dem quaderförmigen terrakottafarbenen Block.

Legorretas Gebäude umfasst den Ausstellungsraum mit Galerie, einen Museumsshop und das bereits erwähnte Café. Dazu kommen Schulungsräume, in denen Jugendliche aus der Nachbarschaft Erfahrungen mit Textildesign sammeln können, das Studio von Zandra Rhodes, das Penthouse der Modemacherin sowie acht weitere Wohnungen. Das Museum betritt man durch die pinkfarbene Eingangshalle und einen hohen Bogengang in Königsblau, der durch einen Vorhang mit den glitzernden Buchstaben FTM verhangen ist. Dieser stört zwar die klaren Formen und die leuchtenden Farben, passt aber zum Haus und zu seiner Herrin: Glamour muss sein in der Modewelt, und ein bisschen Chichi gehört ebenfalls dazu.


Tanzende Kleider

Das Foyer hat der Australier David Humphries mit einem Terrazzoboden mit gläsernen Sternen geschmückt, auf den Treppenstufen leuchten rosa Lichter. An der Wand wird die Ausstellung in changierenden Lettern angekündigt: «My Favourite Dress». Schliesslich hängt Glamour im Ausstellungsraum: 70 Designer von Giorgio Armani bis Matthew Williamson haben ihr liebstes Kleid, zumeist ein Abendkleid, geschickt, dazu eine Begründung. Und so tanzen die Roben wie Marionetten an Fäden auf und ab, unter ihnen schillert in dreidimensionalen orangefarbenen Lettern die Message ihrer Schöpfer: «Das Kleid veranschaulicht, was ich in Frauen sehen will: die Dichotomie zwischen ihrer Sanftheit und ihrer Stärke», schreibt etwa Zac Posen zu einem wunderbar fallenden, über und über mit goldenen Ösen bestückten schwarzen Kleid. Donatella Versaces dem Stilmix verpflichtete Kreation glänzt unglaublich sexy und kostbar zugleich, während von Vivienne Westwood ein Strickkleid mit Blumen zu sehen ist, das sie zuletzt an Jerry Halls Party getragen habe. Rhodes selbst wählte das bedruckte moosgrüne einschultrige Chiffonkleid «Ayers Rock» von 1973, zu dem sie auf einer Australienreise inspiriert worden war - Jackie Kennedy Onassis hatte eins davon.

Eine gelbe, pink illuminierte Rampe führt zur Galerie, wo weitere Kleider hängen. Ebenfalls in Rosa sind jene Kästen ausgestattet, die Kleider hinter Glas zeigen. Das Museum soll den kulturellen Beitrag der Mode beleuchten - eine Aufgabe, die das nur wenige Minuten themseabwärts gelegene Design Museum allerdings schon seit einigen Jahren erfüllt. Zandra Rhodes will ihr Haus nicht als Konkurrenz verstanden wissen, sondern eher als Ergänzung. Vor allem will sie in Zukunft den Einfluss britischer Designer auf die Modewelt dokumentieren, strömen doch von den hiesigen Kunstakademien Jahr für Jahr neue Talente in die Studios der Metropolen.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2003.05.16



verknüpfte Bauwerke
Fashion and Textile Museum

05. Februar 2003Lilo Weber
Neue Zürcher Zeitung

Dem Tanz ein Regenbogen-Haus

Das Laban Centre in London von Herzog & de Meuron

Das Laban Centre in London von Herzog & de Meuron

Arm und Reich - der Gegensatz ist allgegenwärtig in London. Doch so eklatant zeigt sich der Wechsel selten wie auf dem Spaziergang der Themse entlang nach Greenwich: Essen mit Stil in den Conran-Tempeln von Butler's Wharf, Wohnen mit Gewürzgeruch in ehemaligen Lagerhäusern, Glaspaläste, Blocks, den Schiffen nachempfunden, die hier nicht mehr fahren, schmucke Reihenhäuschen - der Reichtum will nimmermehr aufhören. Plötzlich tauchen drei Hochhäuser auf, schwarz das eine, weiss die beiden andern, düster alle drei. Deptford, South East London. Hier ist die Arbeitslosigkeit mehr als doppelt so hoch wie im Londoner Mittel, und die Durchschnittseinkommen sind tiefer als fast überall sonst im Vereinigten Königreich. Nahezu die Hälfte der Kinder erhalten Schulmahlzeiten, über ein Drittel der Haushalte werden von allein erziehenden Eltern organisiert. Das Viertel hat einen hohen Flüchtlingsanteil, ein Drittel der Einwohner gehört ethnischen Minoritäten an. Hierhin, in eine Gegend, welche zu den ärmsten Grossbritanniens gehört, haben Herzog & de Meuron ihr zweites Londoner Werk gesetzt: das Laban Dance Centre. Der 22 Millionen Pfund teure Neubau, der heute Mittwoch offiziell eröffnet wird, umfasst eine Ausbildungsstätte für Tänzer, Choreographen, Tanzlehrer und Community-Arbeiter sowie ein Theater mit 300 Plätzen.

Leuchtende Architektur

Diese Laterna magica ist ein weiteres Gebäude der Basler Architekten, das durch Einfachheit strahlt - leuchtend in der Nacht, reflektierend bei Tage. Geschaffen wurde es in Zusammenarbeit mit dem Künstler Michael Craig-Martin, der mit Herzog & de Meuron bereits an der Leucht-Box der Tate Modern wirkte. Nun wurden die gerundeten Fassaden mit halbtransparentem Polykarbonat - farblos, grün, türkis und magentarot - eingekleidet, was das Haus leicht und transluzid erscheinen lässt. Wie die Tate Modern steht auch Laban in Kommunikation mit einem Barockbau, auch hier St. Paul's genannt, wenngleich viel kleiner als Wrens Meisterwerk. Während die Tate Modern durch die neue Fussgängerbrücke mit der mächtigen St. Paul's Cathedral in eine Achse gebracht wird, blickt man vom Eingangstor des Laban in gerader Linie auf St. Paul's Deptford und umgekehrt. Dazwischen liegt eine stark befahrene Strasse, die den schnurgeraden Zugang fast so schwierig macht wie die Themse und recht eigentlich nach einer Fussgängerpassage ruft.

Nähert man sich dem im Volksmund bereits «Rainbow Building» genannten Bau aber von der Themse her, ist er leicht zu übersehen. Aus dem Schmutz steigt er empor, hinter Lagerschuppen, Reifendepots, Schutt und Stacheldraht. Ein Kubus, lang und flach, der die Stimmungen der Umgebung aufnimmt, den Himmel spiegelt und die Erde ein bisschen versöhnlicher stimmt. Der Geruch ist nicht zu ignorieren, die Trostlosigkeit nicht zu übersehen: Der Deptford Creek liegt stinkend, dreckig, und triebe die Flut einen toten Hund an den vor sich hin rostenden Kähnen vorbei - man würde ihn nicht zur Kenntnis nehmen. Noch sind hier die Erinnerungen an Schutt und Asche wach, in welche der Osten Londons unter dem Bombenhagel des Zweiten Weltkriegs versank. Aufgeräumt wurde lange nicht, weshalb der auf der Insel seltene Gartenrotschwanz hier nistet - er soll sich in Bombenlandschaften heimisch fühlen. Herzog & de Meuron haben das Dach ihres Gebäudes mit der Erde des Creek bedeckt, auf dass der Vogel sich weiterhin wohl fühle, und ihren Bau unterteilt mit kleinen Innenhöfen, in denen Mooslandschaften auf Vulkangestein wachsen sollen, als Ruhepole in diesem quirligen Tanzhaus.

Vom Monte Verità an die Themse

Aussenleben - Innenleben: Die Laban-Schule hat sich schon immer der Gemeinschaft verpflichtet gefühlt. Jeder Mensch ist ein Tänzer - davon war der ungarische Tänzer, Choreograph, Pädagoge und Theoretiker des modernen Tanzes, Rudolf von Laban (1879-1958), überzeugt. Auf dem Monte Verità wurde jener Tanz, der aus der Körpermitte heraus in die Extremitäten strömt und Körper, Geist und Seele vereint, erprobt. In riesigen Bewegungschören wurde alsdann der tanzende Mensch gefeiert, auch an der Eröffnungsfeier der Berliner Olympischen Spiele von 1936, bevor Laban von den Nazis zum Staatsfeind deklariert wurde und nach England auswanderte. Hier gründete er in den späten vierziger Jahren das Art of Movement Studio in Manchester, das später nach Addlestone in Surrey verlegt wurde und 1974 unter der Leitung von Marion North und dem Namen Laban Centre for Movement and Dance nach New Cross London. 350 Studierende aus 35 Ländern erwerben sich hier derzeit einen BA in Tanztheater, einen MA in Tanz-Performance, Choreographie, Szenographie oder einen MSc in Dance Science, einer neuen Ausbildung, die sich stärker mit Anatomie und Physiologie des Körpers befasst. Daneben werden Pilates-Lehrer ausgebildet, insbesondere auch Community-Dance-Pädagogen, legt man doch immer noch viel Gewicht auf die Arbeit mit Amateuren. Deshalb versteht sich Laban auch als Sammelbecken für die Bewegungen im Quartier und bietet Tanzkurse für Kinder und Erwachsene an.

Herzog & de Meuron haben nicht nur Ziel und Zweck dieser Institution, sondern auch ihre Geisteshaltung in die Architektur aufgenommen. Das Innere des Tanzhauses folgt klar der Funktion: 13 Studios, ein Theater mit tiefer Bühne und guter Aufsicht, viel Platz für die umfangreiche Bibliothek, Physiotherapieräume, Pilates-Studio, Cafeteria, verbunden durch Gänge, Strassen genannt, welche die Farben der Fassade tragen: Türkis, Grün und Pink. Diese Räume treten mit der Aussenwelt in ein Zwiegespräch, wechselhaft, irisierend, da - wie dies der Tanzkunst immanent ist - ganz und gar dem Auge verpflichtet, dem, je nach Lichtverhältnissen und Standort, mal mehr, mal weniger von dieser Kunst preisgegeben wird. Verspiegelte Fenster lenken den Blick. Wer bei Tag ums Haus geht, mag in den Fenstern den Turm von St. Paul's oder die Wolken, den Creek und die ganze Trostlosigkeit sehen, und irgendwo wird darin eine Conga aufscheinen, ein Tänzerbein sich strecken. Des Nachts aber werden die Fenster zu einzelnen Steinen des Tanzhaus- Puzzles: Tänzer an der Stange, gebeugte Rücken am Computer, die Nähmaschinen der Schneiderei, die Anlagen der Technik, während im Übrigen die Körper zu Silhouetten verschwimmen hinter den schillernden Kunststoffscheiben. Es ist dies ein leuchtendes Zeichen an die Umgebung: Seht her, was wir machen! Gleichzeitig schützt die Fassade die Privatsphäre der Tanzenden.

Nähert man sich dem Bau von St. Paul's Deptford her und somit wohl auf dem rechten Weg, wird der Turm, der barocke, zusehends verschwinden auf der Fassade. Der Bau präsentiert sich als schlichte, homogene Form, aufgelöst nur durch die sich ablösenden Bilder in den Fenstern. Im Innern aber darf auch ein bisschen Spiel und Chaos sein. Zwei an eine Muschel erinnernde massive schwarze Wendeltreppen verbinden die beiden Stockwerke, die eine trennt gleichzeitig die beiden Strassen, die vom Eingang herführen, nach unten zu Pilates, nach oben ins Theater. Über das schwarze Material zieht ein hölzerner Handlauf, gebogen, organisch anmutend und ein merkwürdiges Zeichen in dieser streng formalen Landschaft. Und doch der Tradition, die hier gepflegt wird, wahlverwandt.

Sie sollen damals nackt getanzt haben auf dem Monte Verità, den freien Tanz gepflegt, was immer das heissen mag. Indes war Rudolf von Laban ein sehr formbewusster Mensch, der die Tanzkunst zu systematisieren und sie in eine Schrift zu binden trachtete, die Labanotation. Seine Theorien werden hier selbstredend gelehrt, und selbstredend wird hier Technik trainiert. Schwerpunkt bildet indes der kreative Akt, und es ist kaum Zufall, dass in der Londoner Tanzszene viele Choreographen vom Laban Centre kommen. Nun haben Herzog & de Meuron der Kreativität ein Haus geschaffen, dem Chaos Deptford eine klare Form gegenübergestellt, in der Labans Vision vom Tanz als lebendiger Architektonik sich entfalten kann.

Neue Zürcher Zeitung, Mi., 2003.02.05



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Laban Dance Centre

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