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12. Juni 2019Rosa Grewe
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Grabenkampf im wilden Westen

Alnatura und haascookzemmrich STUDIO2050 wagen sich mit einem hybriden Ökogebäude auf schwieriges Terrain, probieren mutig alternative Bautechniken aus und bringen dabei Atmosphäre, Licht und Luft ins Unternehmen. Architektonisch und ökologisch bleibt das ­Gebäude ­jedoch hinter den hohen Erwartungen zurück.

Alnatura und haascookzemmrich STUDIO2050 wagen sich mit einem hybriden Ökogebäude auf schwieriges Terrain, probieren mutig alternative Bautechniken aus und bringen dabei Atmosphäre, Licht und Luft ins Unternehmen. Architektonisch und ökologisch bleibt das ­Gebäude ­jedoch hinter den hohen Erwartungen zurück.

Es fühlt sich an wie das Ende der Welt mit Windgeflüster und staubigen Schuhen. Ist es aber nicht. Die weite Brache liegt in Darmstadts Westen, nah am Hauptbahnhof. Hier sollen auf 55 000 m² Fläche die »großen Fragen der Nachhaltigkeit und des menschlichen Lebensraums« in einem Gebäude samt Garten beantwortet werden. Nichts Geringeres versprechen die Architekten haascookzemmrich STUDIO2050. Man habe dabei die Ideale von Schönheit, Offenheit, Funktionalität, Kollegialität, Ökologie und Ökonomie vor Augen, ergänzt der Bauherr Götz Rehn. Und so planten sie hier die neue Alnatura-Zentrale für 500 Mitarbeiter, mit Biorestaurant, Kindertagesstätte und Außengelände. Ein Garten Eden im wilden Westen, dazu viel Renommee: Die Architekten, ehemals Partner bei Behnisch Architekten, akquirierten die Stuttgarter Ingenieure von Transsolar für die Klima- und Energieplanung, Kippers & Helbig für die Tragwerksplanung, den Stampflehmpionier Martin Rauch, und Prüfingenieur war Christoph Ziegert, einziger Professor für Lehmbau in Deutschland. Was kann da noch schief gehen?

Licht im Kuhstall

Viel, wie Haas sagt: »Dass wir nicht gescheitert sind, ist auch Glück.« Beim Bauplatz fing es an. Die 47,7 ha große, ehemalige US-Kaserne war in Bundesbesitz und ihre Nachnutzung lange umstritten. Der sandige Boden, von Altlasten verseucht, musste erst abgetragen werden, bevor Alnatura einen Teil der Fläche nutzen konnte. Darüber hinaus liegt das Areal in Erdbebenzone Eins. »Das Grundstück hätte schwieriger nicht sein können,« sagt der Architekt Martin Haas. Das finden andere wohl auch, denn elf Jahre nach dem Truppenabzug ist das Alnatura-Grundstück das einzig neu bebaute auf dem Areal. Wer ob der hohen Ideale eine spektakuläre Architektur erwartet, den wird die Einfachheit der Kubatur, die eher monotonen Längsfassaden und die städtebaulich weit zurückgesetzte Position des Gebäudes enttäuschen. Das Gebäude pflegt ein Image von Bodenständigkeit und Naturverbundenheit. »Kuhstall« ist der selbstgewählte Name für die Architekturidee. Zur Kubatur fanden die Architekten zusammen mit Transsolar. Sie wollten viel Licht ins Gebäude bringen, solare Einträge in den kalten Monaten nutzen und im Sommer vermeiden. Über Tageslichtsimulationen am Modell kamen sie zu einer Ost-West-Ausrichtung mit verglasten Stirnseiten und einer Abfolge von geschlossenen und offenen Elementen nach Süden und Norden. Ein durchlaufendes Fensterband auf der nördlichen Dachseite bringt Licht in die Tiefe und bestimmt die Atmosphäre im Innern. Der Bauherr wünschte sich einen weitläufigen Innenraum ohne Trennwände zwischen Abteilungen und Hierarchien. Die Arbeitsplätze verteilen sich auf vier geschwungenen Galerien um ein Atrium.

Treppen und Brücken verbinden die Flächen miteinander. Ganz ohne trennende Bauteile geht es nicht. Mehrere Gebäudekerne zonieren den offenen Hallenraum, und der Eingangsbereich ist nach Norden von Besprechungsräumen, nach Süden von einem öffentlichen Restaurant und geradeaus durch eine Zugangsschranke baulich begrenzt.

Herausforderungen: Akustik und Statik

Unten in der Halle stehend geht der Blick durch die verglaste Stirnseite hinaus bis in den Westwald. Über dem Dachfenster zieht fern oben ein Flugzeug seine weiße Linie durchs Blau. Die Höhe der Halle und die diffuse, kontrastarme Helligkeit erzeugen im Innern ein Gefühl von Weltentrückung. Dass es nicht hallt wie in einer Kirche liegt an den Materialien auf den Galerien: Die Lehmflächen und Teppichböden dämpfen die Akustik. Perforierte Holzplatten bekleiden die Gebäudekerne, akustisch wirksame Nadelholzlamellen die Dachunterseiten und Fensterumrandungen. Auf den Unterseiten der Betondecken kleben Absorberstreifen aus Schaumbeton, die zusätzlich den Nachhall dämpfen. Auch die Ausstattung mit hohen Sofas, Regalen und siebenlagigen Akustikvorhängen sorgt für ruhige Arbeits- und Konferenzbereiche.

Der offene Hallenraum forderte besondere Lösungen. Mit einer Hybridkonstruktion konnten die Architekten verschiedene bautechnische Anforderungen, die Architekturidee und ein Budget von 1 800 €/m² erfüllen: Das Gebäude ist in der Grundstruktur ein Stahlbetonskelettbau mit einem nicht hinterlüfteten Dachtragwerk aus Holzbindern. Die Fassaden bilden längsseitig Stampflehmwände und stirnseitig zwei Pfosten-Riegel-Glasfassaden. Es gab zwei statische Besonderheiten: Das durchlaufende Dachfenster verhindert, dass sich die gegenüberliegenden Dachträger kraftschlüssig miteinander verbinden. So entstehen zwei voneinander entkoppelte Systeme aus Holzbindern auf filigranen Stahlbetonstützen, eines davon mit einer weiten Auskragung über das Atrium. Die zweite Herausforderung waren die 12,5 m Höhe der Stampflehmwände. Dafür brauchten die Architekten bei der Genehmigung eine Zustimmung im Einzelfall, das erforderte hier auch wegen der Erdbebensicherheit viel Beratung mit den zuständigen Behörden. Dazu kommt das Kriech- und Schwindverhalten von Lehm. Haas sagt: »Wir haben hier Lehmbautoleranzen von 6 cm.« So erreichen die Lehmaußenwände mit Sicherheitszuschlägen eine Wanddicke von 69 cm, nur, um sich selbst zu tragen; sie nehmen dabei kaum fremde Lasten auf.

Schöner Stampflehm

Lehm als klimaneutraler und raumklimaregulierender Baustoff ist ökologisch vernünftig, entpuppte sich hier aber wegen der Stampflehmtechnik als sehr aufwendig. Zuerst sollten die Mitarbeiter selbst Lehmstampfen für den Teamgeist. Doch Haas sagt: »Die gute Qualität der Lehmblöcke konnten wir nur mit einer industriellen Herstellung erreichen.« Deshalb brachte der Stampflehmbauer Martin Rauch nicht nur erfahrene Handwerker aus Österreich mit, sondern auch eine Stampflehmmaschine. In der wurde der nasse Lehm und eine 17 cm schmale Dämmschicht aus recycelten Schaumglasschotter zu Blöcken gepresst und geschnitten. In einem benachbarten Schuppen fertigten die Handwerker 384 Lehmblöcke, von je 1 m x 3,5 m. Nach einer Trocknungsphase stapelten sie diese auf den Betonsockel des Gebäudes, füllten die Fugen mit Ton und Trasskalk zum Schutz gegen Erosion und stabilisierten das Ganze mit einem Geogitter. In der Bauweise steckt viel Experimentierlust, auch seitens der Bauherren. Der Stampflehmbau ist nicht normiert, bringt daher viel Aufwand bei der Fertigung, bei der Genehmigung sowie ein Risiko der Nachbesserung mit sich. Das ruft Kritiker auf den Plan: Der renommierte Lehmbauarchitekt Franz Volhard, Autor der Lehmbau Regeln, kritisiert u. a. den ­logistischen Aufwand. Eine enorme Masse Lehm wurde aus der Eifel und aus dem Aushub von Stuttgart 21 herbeigefahren. Außerdem verletzte der eingepresste Schaumglasschotter das Reinheitsgebot beim Lehmbau, dem Lehm keine Zusätze beizumischen für eine bessere Trennbarkeit und klimaneutrale Wiederverwertung. Dem bauphysikalischen Nutzen der Wand stehen planerische, statische, genehmigungsrechtliche, handwerkliche und logistische Schwierigkeiten gegenüber. Aber die Stampflehmwand hat eine hohe imageprägende und ästhetische Wirkung. Weil sie zudem die erste ihrer Art und Höhe in Deutschland ist, ist die mediale Wirkung hoch, nicht nur für ­Alnatura, sondern auch für den Lehmbau.

Mal Richtig durchlüften

Bei der Klimaplanung verzichten die Architekten weitgehend auf aktive Technikanlagen. Haas sagt: »Technik ist im Augenblick des Einbaus oft schon veraltet.« Die Belüftung des Alnatura-Gebäudes erfolgt über natürliche Thermik: Zwei Ansaugtürme ziehen Frischluft aus dem benachbarten Wald. Erdkanäle wärmen bzw. kühlen die angesaugte Luft und leiten sie zum Gebäude, wo ­sie langsam bis zum Dach strömt und austritt. Bei der Temperierung des Gebäudes setzen die Architekten auch auf die Lehmwand als passiver, latenter Temperaturspeicher, aber auch als aktivierte, abstrahlende Fläche: In den Lehm eingelassene Heizschlangen mit geothermisch temperiertem Wasser erwärmen oder kühlen die Wandflächen. Eine weitere Abwägung war die 478 m² große Photovoltaikanlage auf dem Dach mit einer Nennleistung von 90 kWp. Weil der Stromverbrauch des Gebäudes sehr gering ist, ist die Anlage, laut Haas, weniger relevant für die Strombilanz als für die Außenwirkung. Und sehr relevant für eine Zertifizierung durch die DGNB: Das Gebäude erreicht 100 % für die Ökologische Qualität, 83 % beim Gesamterfüllungsgrad und ­eine Platin-Plakette. Wie immer, wenn Überzeugungen aufeinandertreffen, werden die einen jetzt verächtlich die Nase rümpfen und die anderen anerkennend mit dem Kopf nicken. Mit seiner Unternehmenszentrale landet ­Alnatura mittendrin im wüsten Grabenkampf im wilden Westen.

db, Mi., 2019.06.12



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db 2019|06 Anders bauen!

03. April 2012Rosa Grewe
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Salzberg an der Orangenküste

Die einer Hügelkette nachempfundene Form verleiht dem Verwaltungsgebäude in der Nähe von Valencia Halt im Durcheinander der suburbanen Peripherie. Bedauerlicherweise von Leerstand bedroht, überzeugt der Bau durch seine außergewöhnliche Gestalt und die intelligente Nutzung der Ressourcen.

Die einer Hügelkette nachempfundene Form verleiht dem Verwaltungsgebäude in der Nähe von Valencia Halt im Durcheinander der suburbanen Peripherie. Bedauerlicherweise von Leerstand bedroht, überzeugt der Bau durch seine außergewöhnliche Gestalt und die intelligente Nutzung der Ressourcen.

Wie die Spitzen eines Salzbergs ragt das Dach der Grupo Azahar wenige Meter über die Baumwipfel, ein flüchtiges Bild von der Autobahn. Die Zufahrt zum Gebäude erfolgt über einen holprigen Seitenweg im Schatten der Schnellstraße vorbei an Orangenbäumen und Industriearealen. In der Peripherie zwischen felsiger Berglandschaft und der Betonskyline der spanischen Hafenstadt Castellón baute sich die Grupo Azahar, deren Betätigungsfeld vom Garten- und Landschaftsbau bis hin zur Recyclingtechnik reicht, ihren Haupsitz, eine Enklave mit Obsthainen, Pflanzhäusern und einem mit Gras umwachsenen Teich. Hier entstanden Arbeitsplätze für Ingenieure, die sich mit der Entwicklung nachhaltiger Technologien beschäftigen, und Gärtner, die Pflanzen für den Landschaftsbau züchten. Auf der Suche nach der passenden Architektur lud die Firma einige ausgesuchte Architekten zum Wettbewerb, aus dem der Entwurf des Office of Arquitecture Barcelona/Carlos Ferrater als Sieger hervorging: Ferrater versteht es, die Landschaft und die Ansprüche der Firma an Funktion und Nachhaltigkeit des Gebäudes gleichermaßen zu berücksichtigen und dabei eine besondere Atmosphäre durch Licht und Raumproportionen zu schaffen.

Landmarke und Enklave

Das Gebäude bilden zwei Baukörper, die sich parallel in Ost-West-Richtung erstrecken. Ihre nach außen gewandten Seiten sind jeweils geschlossen – zwei lange Wände, gefaltet wie Papier. Sie gehen fast nahtlos in die geneigten, weißverputzten Flächen des Dachs über. Dessen bewegte Kontur wiederum zeichnet die Berge im Norden nach. Nur das reflektierte Tageslicht profiliert die Kubatur je nach Sonnenstand unterschiedlich. So entsteht für den Betrachter aus Süden und Norden aus einiger Entfernung und von Nahem ein monolithischer und auf sich bezogener Eindruck. Projektarchitektin, Núria Ayala, erläutert – die architektonische Idee nachvollziehbar: »Der Umgebung fehlt das Urbane, also haben wir einen intimen, abgeschlossenen Ort geschaffen, angenehm zum Arbeiten.« Ferrater betont zudem die tektonische Idee zum Gebäude, dessen Flächen sich wie eine Landschaft fügen und so unterschiedliche Raumerlebnisse ermöglichen: »Die Form erzeugt nicht nur verschiedene Höhen in der Kubatur, sondern auch verschiedene Ausblicke und Atmosphären im Innern des Gebäudes.«

Wer das Areal von seiner Eingangsseite im Westen betritt, dem zeigt sich das Gebäude offener und weniger massiv. Der Weg führt zwischen den Gebäudespangen in einen der beiden Höfe. Eine Holzpergola über der umlaufenden, geschosshohen Verglasung spendet Schatten. Zur Rechten und zur Linken arbeiten die Angestellten mit Blick auf den Besucher, der über den Hof zum Foyer gelangt, dem zentralen Knotenpunkt zwischen den Bürospangen.

Fliessende Räume

Im Foyer wird klar, was Ferrater mit Raumerlebnis meint: Der gläserne Eingang ist niedrig, mit dem ausgestreckten Arm lässt sich fast der Türrahmen fassen. Während im EG die Glasfassaden die angrenzenden Höfe wie Bilder rahmen, staffelt sich der Luftraum darüber in die Höhe. Nach Norden ausgerichtete Dachöffnungen erhellen das Foyer mit einem diffusen Licht, das weit auf die Deckenunterseiten streut, und geben gleichzeitig den Blick auf die Berge frei: ein sakral wirkender Raum, das Herz des Gebäudes, architektonisch wie funktional.

In den beiden Bürospangen ergeben sich von hier aus vier unabhängig voneinander bespielbare Gebäudetrakte, in denen sich jeweils ca. 10 bis 15 Arbeitsplätze befinden. Die Organisation des Grundrisses spiegelt so die der Firma mit ihren vier unabhängigen Abteilungen wider. Die gemeinschaftliche Infrastruktur, wie Besprechungsräume, Teeküche und Waschräume ist vom Foyer aus erschlossen. Darüber findet sich ein zweites Geschoss mit den Räumen der Geschäftsleitung.

Die Übergänge der Räume sind fließend und transparent: Glasinnenwände und Schwingtüren verbinden Büros, Flure und Sonderräume optisch miteinander. Panoramafenster mit fast bodenbündigen Profilen lassen den Blick ungehindert in den Hof schweifen. Auch der einheitliche Bodenbelag für Innen und Außen, ein italienischer Naturstein, wirkt schwellenlos. Dort, wo Innenwände keinen Durchblick ermöglichen, erweitern Glasoberlichter die Dachuntersicht, so bleibt die großzügige Aufweitung der Büros in der Höhe auch in den Einzelbüros erlebbar. Die Installationen liegen versteckt hinter Schrankeinbauten vor den geschlossenen Außenwänden; der Innenraum bleibt dadurch frei von sichtbarer Technik, ein klarer, luftiger Eindruck entsteht. Die Einfachheit aller Details und der nahtlose Übergang zum Freiraum veranschaulichen das Selbstverständnis der Firma, das sich auf die Nähe zur Natur und Landschaft gründet. Die auffällige Kubatur ist also kein Selbstzweck: Sie ist nicht nur Landschaftszitat, sondern schafft im Innern eine luftige Atmosphäre trotz geringer Gebäudetiefen. Die geschlossenen Wände ziehen nicht nur notwendige Grenzen im suburbanen Durcheinander, sondern sind auch klimatisch sinnvoll, die Gliederung des Gebäudes in verschiedene Trakte schafft nicht nur einen Bezug zur Landschaft, sondern unterstützt v. a. die Firmenorganisation. Mit einfacher aber unverwechselbarer Architektur schafft Ferrater eine enorme funktionale und atmosphärische Vielschichtigkeit.

WDVS am Mittelmeer

Schnörkellos, kostengünstig und pflegeleicht, so wünschte sich der Bauherr das Gebäude. Die Betonkonstruktion hat daher eine für Spanien ungewöhnliche thermische Hülle. Ein Wärmedämmverbundsystem wurde auf den Betonaußenwänden verschraubt und mit einem speziellen Putz versiegelt. Dieser ist fugenlos verarbeitet, wasserabweisend, sehr hart und durch seine glatte Oberfläche wenig schmutzanfällig. So können Fassaden und Dach einfach mit einem Hochdruckreiniger gesäubert werden. Eine hochgedämmte Fassade statt aufwendiger Klimatechnik, in Spanien ist das bei modernen Bauten keine Selbstverständlichkeit. Die thermische Hülle und die Ausrichtung des Gebäudes alleine wirken sich schon positiv auf das Raumklima aus. Dazu kommt, dass der solare Wärmeeintrag durch die Orientierung der Gebäudeöffnungen nach Innen und durch die Pergola stark verringert und gleichzeitig eine Querlüftung über die Höfe und Oberlichter möglich ist. Fensterhohe, manuell schaltbare Ventilationsöffnungen in der Glasfassade unterstützen die natürliche Lüftung. Zusätzlich planten die Architekten eine Zulufttemperierung, die in den heißen Monaten Juli und August die Räume kühlt und in den kälteren Monaten Dezember und Januar das Gebäude erwärmt. Auch bei der Tageslichtausbeute wirkt die bauliche Gestaltung unterstützend: An diesem eher bedeckten Wintertag sind nur einzelne Schreibtischleuchten notwendig, um für genügend Helligkeit in den Büros zu sorgen – dank der geringen Gebäudetiefen und der zahlreichen Glaseinbauten. Weil Wasser an der Orangenküste ein seltenes, dennoch oft verschwendetes Gut ist, planten die Ingenieure einen Teich, der Regenwasser vom Gebäude und aus dem Hof sammelt und den Toiletten und dem Garten zuführt.

Konsequente Planung als Chance

Die Grupo Azahar arbeitet viel für öffentliche Auftraggeber und ist nun schwer von der spanischen Wirtschaftskrise getroffen. 2011 musste sie bereits das Gebäude an die Bank übergeben. Nur noch wenige Angestellte arbeiten heute vor Ort. Derweil nun die Pflanzenschätze verkümmern, der Garten verwildert und vertrocknet, plant die Bank die Nachnutzung des Gebäudes. Die Stärke des Baus sollte sich in diesem Augenblick beweisen: Im Gespräch ist ein Zentrum für kleine Firmen. Prägnante Architektur, geringer Wartungsaufwand und ein Grundriss mit separierbaren Gebäudetrakten machen die Umnutzung möglich. Gute Aussichten also, dass im Salzberg an der Orangenküste die Arbeit weitergeht.

db, Di., 2012.04.03



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db 2012|04 Monolithisch

08. Februar 2011Rosa Grewe
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Abgang mit Glanz

Idyllisches, vom Mittelalter geprägtes Pamplona. Immer mehr Menschen möchten hier wohnen, wo die Lebensqualität hoch und der Weinberg vor der Haustür ist. Doch mit den Einwohnern vermehrt sich der Müll. Die Architekten fanden, ein Bauwerk, das Wertstoffe sammelt und weiterverarbeitet, müsse sich nicht verstecken. Durch verwinkelte Geometrie und kräftige Farben macht der Bau auf sich aufmerksam. Ironisch verweisen die verbeulten Fassadenpaneele auf unsere Wegwerfgesellschaft und die Vorgänge im Innern.

Idyllisches, vom Mittelalter geprägtes Pamplona. Immer mehr Menschen möchten hier wohnen, wo die Lebensqualität hoch und der Weinberg vor der Haustür ist. Doch mit den Einwohnern vermehrt sich der Müll. Die Architekten fanden, ein Bauwerk, das Wertstoffe sammelt und weiterverarbeitet, müsse sich nicht verstecken. Durch verwinkelte Geometrie und kräftige Farben macht der Bau auf sich aufmerksam. Ironisch verweisen die verbeulten Fassadenpaneele auf unsere Wegwerfgesellschaft und die Vorgänge im Innern.

Am Ende wird es meist trostlos. Dabei fängt es so schön an: In sorgsam gestalteter Innenarchitektur kaufen wir Produkte in sorgsam gestalteten Verpackungen, deren Investoren, Entwickler und Werber in sorgsam gestalteter Architektur sitzen. Das Produkt wird rundum mit Design umschmeichelt: Es soll sich verkaufen. Doch am Ende landet es im Müll, und von da an ist es vorbei mit der Schmeichelei. Müll und Architektur, die Bilder im Kopf verbinden sich nur schwer. Das Ende sollte nicht trostlos sein, und so planten die Architekten des Büros Vaillo + Irigaray eine Müllsammelstation, die mit einer Portion Selbstironie den Abgang mit Glanz ermöglicht.

Wachsende Stadt, wachsender Müllberg

Die Architekten leben und arbeiten in Pamplona in der nordspanischen Region Navarra und prägen bereits das Bild dieser Stadt mit einigen Neubauten. Seit den 60er Jahren verdoppelte sich die Einwohnerzahl auf fast 200 000. Besonders der letzte Bauboom seit 2000 brachte der Stadt zahlreiche Neubaugebiete, die ringförmig um den historischen Stadtkern wachsen.

Für Architekten gibt es daher viel zu tun: Im Osten der Stadt wartet ein fertiges Straßenraster in der Größe mehrerer Fußballfelder auf seine Bebauung mit Wohnkomplexen und Infrastruktur. Das Büro Vaillo + Irigaray erarbeitete dazu die Masterpläne. Trotz Krise und noch leerer Baufelder sind die Architekten optimistisch, wie Antonio Vaillo erklärt: »Vor der Krise wäre das in fünf Jahren komplett bebaut gewesen, jetzt verzögert sich das ein wenig, aber auch danach wird es schnell weitergehen.« Die Krise, in Pamplona scheinbar ein vorübergehendes Problem. Ein dauerndes dagegen ist der Müll, der zusammen mit den Wohnvierteln der Stadt rasant wächst. Besonders die Sammlung und der Abtransport von Müll sind teuer und verbrauchen Energie und Fläche. Hier, in diesem Neubaugebiet, setzt die Stadt Pamplona daher auf eine neue Müllsortierung mit Vakuumtechnik, für die eine schwedische Firma die Technik und Vaillo + Irigaray Architekten das Gebäude planen sollten, »den Magen des Stadtviertels«, wie Vaillo erklärt. »Der Müll kommt hier an, wird umgewandelt und weitertransportiert.«

Form follows process

So funktioniert das System: Die Bewohner trennen ihren Müll nach Plastik, Glas, Papier und Restmüll und entsorgen ihn in öffentlichen Sammelcontainern. Diese schließen über Klappen auf ihrer Unterseite an ein unterirdisches Kanalsystem an, das mit einer zentralen Sammelstelle verbunden ist. Luft saugt den Müll durch die Kanäle bis an die Sammelstelle. Dort wird dem Müll Luft entzogen und Pressen formen ihn zu einem kompakten Paket. An vier LKW-Ladestationen »wartet« der Müll auf seinen Abtransport in die Recyclinganlage. Der Prozess ist vollautomatisiert, nur ein einzelner Mitarbeiter muss die Vorgänge kontrollieren, von einem gläsernen Kontrollraum aus. Rohre, Filter, Pressen und Turbinen bilden die Maschinerie. Vaillo erklärt: »Unsere einzige Bauvorgabe waren die Ausmaße der Vakuum-Anlage.« Die Prozesse im Innern bestimmen die Form des Gebäudes: Die Knicke in der Kubatur und die abgewinkelten Grundrisse folgen dem Rohrverlauf der Maschine. Schalldichte Raumabtrennungen schirmen den Lärm der Turbinen nach außen ab. Die Fensterflächen belichten den oberen Maschinen- und Kontrollraum, Lamellen verdecken die Abluftöffnung des Filters und leiten die Luft nach oben, große Tore im EG ermöglichen die LKW-Beladung. Durch ein kleines Bullauge lässt sich aus dem Kontrollraum die Zufahrt zur LKW-Beladung beobachten. Es ist ein funktionales, ökonomisches Gebäude aus Beton, mit einfachen, stählernen Einbauten und einem grauen Industrieboden, insgesamt lag das Baubudget unter 1 000 Euro/m². Funktional und finanziell war wenig Luft für Gestaltung, selbst die Farbe der Innenwände war vom Betreiber vorgegeben. Die Gestaltung konzentriert sich daher auf die Fassade, die als Imageträger für die Stadt, die Betreiber der Anlage und auch die Architekten selbst wichtig ist.
Müll ummantelt Müll

Für die Fassade hatten die Architekten die Idee, Altmaterial mit Altmaterial zu umhüllen. Sie wählten recycelte Aluminiumpaneele, die Dach und Fassade im Patchwork bekleiden. Ideengeber für Farbe und Form war aber ein anderes Material: Ursprünglich wollten sie bunte Paneele aus gepresstem Altkunststoff einsetzen, die ein Zwischenprodukt auf dem Weg zur Weiterverarbeitung sind. »Die bunte und unebene Beschaffenheit der Platten gefiel uns, dazu waren sie sehr ökonomisch. Weil sie aber aus unterschiedlichen Kunststoffen zusammengemischt waren, erfüllten sie die Brandschutzauflagen nicht.« So versuchten die Architekten mit Aluminium in grünen und gelben Lackierungen und mit einer Wölbung der Platten, eine ähnliche Wirkung zu erzielen: Aus der Ferne wirkt die Fassade homogen, ikonenhaft, das Gebäude erscheint größer als es ist. Aus der Nähe erkennt man die großen Maße der Fassadenpaneele von jeweils 1,5 x 2,5 m, ihre Tiefe und unterschiedliche Farbigkeit, das Gebäude verliert seine Zeichenhaftigkeit und Größe und gewinnt an Profil. Und erst der nahe Blick auf das Gebäude verrät dessen Funktion.

Die Umsetzung der Konstruktion mit Aluminium war einfach, wie Vaillo erklärt: »Die Paneele lassen sich wie Papier formen, die Wölbungen entstehen dabei durch die Einspannung des Paneels.« Mit Schrauben werden Spannung und Abstand der Paneele zur Unterkonstruktion justiert und somit das Paneel in die Wölbung gebracht. Der Glanz der gebogenen Paneele überzieht den Bau wie eine Lackschicht und verändert die Ansichten je nach Wetterlage. Bei bedecktem Himmel wirkt das Gebäude naturnah, zwischen gelb-braunen Feldern und grünen Wäldern, bei Sonnenlicht blitzen die Paneele der Fassade so grell, dass die Augen blinzeln müssen – ein blitzblankes Meister-Proper-Strahlen. »Die Idee ist, das negative Image von Müllanlagen zu verbessern« erklärt Vaillo und schwärmt dann, »das Vakuumsystem ist ein solch sauberer Prozess. Nichts stinkt, nichts ist verdreckt.«

Immer wieder Recycling

Die Strukturfassade aus Recyclingmaterial ist ein wiederkehrendes Element in der Architektur von Vaillo + Irigaray. Ironie ist oft dabei. Für eine Straßenwachtstation füllten sie Drahtkörbe mit geplatzten Autoreifen und bildeten daraus die Fassade. Für ein Restaurant sammelten sie leere Weinflaschen und verkleideten damit die Rückwand des Gastraums. Bei einer Lounge führten sie eine Hecke optisch mit grünen Röhren aus Recyclingplastik fort, »Aufforstung« nannten die Architekten das. Diesmal also sauber automatisierter Recyclingglanz, dem man fast glauben könnte, dass Müll nicht trostlos sei und dass Recycling die Endlichkeit beende. Kein Ende, keine Trostlosigkeit? Schöne, saubere Welt.

db, Di., 2011.02.08



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db 2011|02 Pumpen, heizen und entsorgen

17. Januar 2011Rosa Grewe
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Gefaltet und versteckt

Aus der Topographie der Landschaft entwickelten die Architekten Carlos Ferrater und Joan Guibernau ein Wohnhaus in Katalonien – mit felsiger Kubatur, weißer Keramik und minimalistischen Details. Es entfaltet sich aus dem Berg und bleibt im Grunde doch darin versteckt.

Aus der Topographie der Landschaft entwickelten die Architekten Carlos Ferrater und Joan Guibernau ein Wohnhaus in Katalonien – mit felsiger Kubatur, weißer Keramik und minimalistischen Details. Es entfaltet sich aus dem Berg und bleibt im Grunde doch darin versteckt.

Die Straße windet sich durch den Naturpark Collserola, der Barcelona wie eine grüne Wand nach Westen begrenzt. Der rückseitige Berghang entfaltet sich in schief-steilen Geometrien von seinem Kamm bis in die weite Ebene von San Cugat. Hier beginnt die Landschaft Kataloniens und hier steht ein Haus, das in gebrochenem Weiß die Kubatur der Umgebung nachzeichnet.

Origami mit Beton

Es ist das Wohnhaus einer Unternehmerfamilie in einer kleinen Siedlung zwischen Wald, Wiesen und Golfplatz. Fast frei von städtebaulichen Zwängen kam das initiierende Entwurfskriterium von den Bauherren, wie Joan Guibernau erklärt: »Sie wünschten sich alle Wohnräume auf einer Ebene, das war Grundlage für unseren Entwurf.« Rund 600 m² Wohnraumprogramm auf einem Geschoss zu bündeln, das bewirkt zwangsläufig ein flächiges Volumen und gewisse Schwierigkeiten bei der Belichtung und Erschließung. Guibernau sagt: »Daher teilten wir das Volumen mit zwei Schnitten in drei Bauvolumen – drei Bänder aus Beton, die über niedrige Baukörper ebenfalls aus Beton miteinander verbunden sind.« Oberlichter, seitliche Verglasungen und ein Hof leiten Tageslicht ins Innere des Hauses. Mit den Bändern organisiert sich der Grundriss: Die Kinder- und Gästeschlafräume sowie ein Arbeitszimmer liegen im Osten, zur Straße hin; im Zentrum befinden sich das Hauptschlafzimmer, die dazugehörigen Nebenräume, ein Innenhof und die Küche; im Westen, zum Garten hin, liegen zwei Wohnzimmer und eine Hofterrasse. Im unteren Geschoss, halb in den Berg gegraben, liegen Nebenräume wie der Fitnessraum, ein Schwimmbad und die Garage.

Das Grundstück fällt nach Norden steil ab. Ursprünglich waren auf dieser Fläche zwei kleinere Bauparzellen mit einer Ost-West-Ausrichtung vorgesehen. Auf das nun zusammengelegte, trapezförmige Grundstück setzten die Architekten das Gebäude in Nord-Süd-Ausrichtung. So orientieren sich die Wohnzimmerbereiche über ihre Längsseite nach Westen zu einer Terrassenplattform hin. Die Ausrichtung ermöglicht im UG lediglich eine Belichtung über die kurzen Fassadenseiten. Lichthöfe bringen daher auf der bergseitigen Fassade zusätzlich Tageslicht hinein. Derart eingegraben soll das Haus mit seiner obersten Kante, der Dachlinie, die Landschaft des Berges fortführen – so die Idee der Architekten, die der fünften Fassade eine eigene Topographie geben. »Die Hochpunkte entwickeln sich dabei aus dem Negativraum im Innern,« sagt Guibernau. »Mit den variierenden Raumhöhen und geneigten Deckenplatten lassen sich spannende Raumeindrücke gestalten. Das gebaute Positiv findet sich dann in der Kubatur des Dachs.« So bilden sich im Innern luftige Räume. Sie wirken noch spannender durch den Kontrast zur niedrigeren Raumhöhe der Korridore, die die Fugen im Grundriss bilden.

Schon in anderen Projekten erprobten die Architekten gefaltete Hüllflächen, die im Innern Atmosphäre und außen den Bezug zur Landschaft aufbauen sollen. »Ferrater arbeitet dabei vor allem mit hellem, fast weißem Naturstein, weil es in Material und Farbe das Mediterrane widerspiegelt, und weil es das Licht dieser Regionen interessant bricht und reflektiert.« Auf diesem Baugrundstück aber sahen die Bauvorschriften keramische Oberflächen für das Dach vor, in Anlehnung an die typisch roten Ziegeldächer der Region. Weil aber Dach und Fassade in gleichem Material gehüllt sein und zudem auch in der Ausgestaltung eher minimalistisch als rustikal erscheinen sollten, ersannen die Architekten eine Alternative: Sie wählten weiß eingefärbte, großformatige Feinsteinzeugfliesen für die Hüllflächen. Damit erfüllten sie formal die Bauvorschriften.

Fassade mit Feinkeramik

Gleichzeitig profitiert die Konstruktion von der Materialwahl: Die Feinsteinzeugfliesen sind sehr bruchfest und biegesteif, so dass der Einsatz großer Platten möglich ist. Die Architekten wählten als Grundformat 45 x 90 cm; einzelne Fliesen variieren in der Breite um einen Zentimeter, um ein gleichmäßiges Fassadenbild ohne größere Fliesenanschnitte zu ermöglichen. Ein Vorteil der Platten liegt in ihrer geringen Porösität und in ihrer hohen Dichte. So nehmen sie fast kein Wasser auf und sind auch auf den nur gering geneigten Dachflächen regen- und frostbeständig. Für die Architekten lag der Hauptvorteil jedoch in der Ästhetik: Sie ließen die Fliesen eigens herstellen und mit einem abgemischten Weiß einfärben. Mittlerweile gibt es die Platten im Standardprogramm des Herstellers.

Um den monolithischen Gebäudeeindruck zu stärken, reduzierten Guibernau und Ferrater die Fugengröße zwischen den Fliesen auf unter einen Zentimeter, versetzten die horizontalen Stoßfugen gegeneinander und betonten dadurch die vertikale Fuge und die Verlegerichtung. Das Befestigungssystem ist dabei unsichtbar und dennoch relativ einfach gelöst: Aluminiumschienen sind an die Rückseiten der Platten geklebt, jeweils oben und unten. So konnten die Handwerker die Fliesen einfach auf eine an die Betonaußenwand geschraubte Aluminiumkonstruktion stecken. Wenn eine Fliese doch einmal beschädigt würde, wäre ihre Austausch durch das Stecksystem sehr einfach. Aber auch sonst hat das System Vorteile: Mit der Unterkonstruktion ergibt sich eine hinterlüftete Fassade, mit einer Styrodurdämmung im Zwischenraum, außen vor der Betonwand. Guibernau weiß: »Die hinterlüftete Fassade brachte besonders in den warmen Sommermonaten eine deutliche Abkühlung der Wand und eine Verbesserung des Raumklimas.« Zudem führen die hohe Dichte der Feinsteinzeugfliesen, die nur sehr schmalen Fugen und die Konstruktion als Vorhangfassade zu einem erhöhten Schallschutz. Damit durch die engen Fugen in der Fassade kein Metall im Sonnenlicht hervorblitzt, sind die Aluminiumprofile schwarz gestrichen.

Die Schichtung von Betonwand, Dämmung und Luftzirkulationsschicht und Fliesen ergeben eine Wanddicke von fast 50 cm. Die Fensterebene liegt daher deutlich hinter der äußersten Fassadenkante, so dass die Hülle massiver wirkt als sie tatsächlich ist. Eckfenster auf der Nordseite des Hauses schneiden Teile des weißen Volumens heraus und verstärken den Eindruck von Massivität. Auch im Detail betonen die Architekten dieses monolithische Gesamtbild geschickt, mit dünnen, anthrazitfarbenen Metallfensterprofilen und -laibungen sowie profillosen Glasbrüstungen vor den schmalen Loggien auf der Nordseite. Auch der Dachabschluss, ohne Blechkante und Überstand, passt perfekt in die minimalistische Gebäudekubatur.

Detailliert durchdacht

»Schwierig war die Konstruktion des Dachs,« erzählt der Architekt. »Die Bauteile mussten die Geometrie nachzeichnen und gleichzeitig das Regenwasser ordentlich abführen.« So ist das Dach nicht hinterlüftet wie die Fassade, sondern als Umkehrdach ausgebildet. Das hat thermisch Nachteile, eine skelettartige Unterkonstruktion könnte jedoch die komplizierte Geometrie des Dachs nicht so einfach nachbilden wie ein massiver Unterbau. Daher sind die Feinsteinzeugfliesen auf Betonplatten geklebt, die wiederum auf Dämmplatten aus Styrodur aufliegen. Die Abdichtungsfolien befinden sich zwischen Wärmedämmung und der tragenden Betondecke darunter. Eine umlaufende, hinter der Attika versenkte Regenrinne mit mehreren versteckten Abläufen sichert, dass sich keine Pfützen auf den Faltungen des Dachs bilden.

Wer nun hofft, von der Straße einen Blick auf das Haus am Hang zu erhaschen, wird enttäuscht. Hinter einem dunklen Stahlzaun und einer Mauer samt hoher Hecke bleibt der Dialog außen-innen, Haus-Hang Sache der Sicherheitskameras. Das Haus, aus der Landschaft und für die Landschaft entwickelt, bleibt am Ende ohne Landschaft.

db, Mo., 2011.01.17



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db 2011|01 Fliesen

07. September 2010Rosa Grewe
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Glänzender Platzhalter

Sechs Pavillons, schlicht und milchig-weiß gehalten, dienen auf einem innerstädtischen Platz in Madrid für zwei Jahre als temporäre Markthallen. Sie »begleiten« die benachbarte Baustelle, auf der u. a. wieder ein dauerhafter Markt errichtet wird. Dennoch wirken sie nicht wie ein unausgegorenes Provisorium – im Gegenteil. Allenfalls das leichte, kostengünstige und lichtdurchlässige Fassadenmaterial aus Polycarbonat verweist auf den temporären Charakter, im heißen Sommer Spaniens fordert es gewaltig die Klimatisierung.

Sechs Pavillons, schlicht und milchig-weiß gehalten, dienen auf einem innerstädtischen Platz in Madrid für zwei Jahre als temporäre Markthallen. Sie »begleiten« die benachbarte Baustelle, auf der u. a. wieder ein dauerhafter Markt errichtet wird. Dennoch wirken sie nicht wie ein unausgegorenes Provisorium – im Gegenteil. Allenfalls das leichte, kostengünstige und lichtdurchlässige Fassadenmaterial aus Polycarbonat verweist auf den temporären Charakter, im heißen Sommer Spaniens fordert es gewaltig die Klimatisierung.

Ein Linienbus donnert vorbei, im Hintergrund das warnende Piepen von Kippladern, die Luft ist staubig, die Sonne treibt einem Schweißtropfen ins Gesicht. Eine Großbaustelle lärmt in Madrids Studentenviertel, dort wo einst die marode Markthalle Barceló lag. Hier entstehen nach Plänen der Architekten Fuensanta Nieto und Enrique Sobejano drei neue Bauwerke auf einem Grundstück: ein neuer Markt, eine Bibliothek und ein Sportzentrum. Die Projektarchitektin Alexandra Sobral schwärmt: »Die Bauaufgabe ist besonders, eine einmalige Chance, etwas Neues mitten im historischen Stadtkern Madrids zu platzieren«. 2007 hatten die Architekten den Wettbewerb dazu gewonnen. Zwei Jahre dauerte die Planung, weitere zwei sollen die Bauarbeiten dauern, bis 2011. Zu lang für die Anwohner und Händler, um auf einen Markt in ihrem Stadtteil zu verzichten. Teil des Wettbewerbs war deshalb der Entwurf für einen temporären Markt auf dem Quartiersplatz hinter der Baustelle, den »Jardines del Arquitecto Ribera« direkt neben dem Barockbau des historischen Museums, am Rand des Stadtteils Chueca.

Seit Dezember 2009 ist dieser nun in Betrieb und verlagert den Mittelpunkt des Viertels um etwa 200 m weiter westlich. Sechs einzelne Pavillons aus Polycarbonat und einem weiß gestrichenen Stahltragwerk locken Passanten und Nachbarn zum Markthandel. Klein und farblos, wie zufällig abgestellte Tupperdosen, stehen sie im Kontrast zur bunten, hohen Wohnbebauung, die den Platz umfasst. So fremd sie hier auch wirken, ihre Gestalt lässt angenehm Luft auf dem Platz, der sonst mit Bäumen und Brunnen der Erholung dient. Die niedrige Höhe der Pavillons orientiert sich am benachbarten Museum, ihre Anordnung an Bestandselementen wie Bäumen, einem Spielplatz und zwei Tiefgaragenzufahrten. Eine überdachte offene Passage verbindet die Einzelbauten zu einem Markt. Der Hauptzugang liegt an der nördlichen, belebteren Platzkante, die Anlieferzonen der Händler liegen im Süden.

Profitabler für die Händler …

Schon vorab schlossen sich die Händler des alten Markts zu Gremien zusammen, jeweils nach Warensortiment, um sich auf kleinerer Fläche besser zu organisieren. Die Idee, einzelne Pavillons zu errichten, ergab sich aus der sinnvollen Bündelung von Nutzungen und der dafür notwendigen Infrastruktur. Jedem Pavillon ist ein Warensortiment zugeordnet: Brot und Feinkost, Fleisch, Fisch, Obst und Gemüse, Haushaltswaren und Kleidung. Die temporäre Fläche ist um 50 % kleiner als der alte Markt, das Warenangebot und die Zahl der Händler konnten aber fast vollständig erhalten bleiben. Nicht für alle Händler war es einfach, ihre Standplätze im alten Markt aufzugeben und sich auf konzentrischem, kleinem Grundriss zurechtzufinden. »Aber dann merkten viele von ihnen nach den ersten Monaten, dass sie auf konzentrierter Fläche den gleichen oder sogar mehr Gewinn gemacht hatten«, erklärt Alexandra Sobral. Das liegt auch an einem effizienteren Grundriss und Mieteinsparungen. Die Stände im Pavillon reihen sich im Kreis an der Außenwand entlang und, bei den großen Pavillons, um einen mittig gelegenen Kühl- und Lagerraum. In den kleinen Pavillons bleibt in der Mitte Platz für Stühle und Tische.

… praktischer für die Kunden

Zur besseren Orientierung ist jedem Pavillon eine andere Farbe zugeordnet, erkennbar am stählernen Eingang und an den farbigen Anzeigetafeln mit den Standnummern. Ansonsten sind die Bauteile des Markts in Weiß gehalten – ein Zugeständnis an die Händler, wie die Projektleiterin sagt: »So bleibt ihnen Gestaltungsraum, und die Adaption des Temporären fällt leichter«. Werbelogos und Schriftzüge verzieren nun die Köpfe der Stände. Ein weiteres Zugeständnis ist die Umzäunung des Geländes mit Stahlstelen. Die Architekten planten eigentlich einen offen zugänglichen Marktaußenraum, doch die Händler hatten Angst vor Vandalismus – völlig berechtigt, denn die sauber-glatte Polycarbonatfassade wäre eine Reizfläche für die im Viertel umtriebigen Graffiti-Sprayer, die sich bereits an sämtlichen Erdgeschossfassaden in der Umgebung verewigten.

Skeptisch waren anfänglich auch die Anwohner, wie Sobral erzählt: »Die fensterlosen Fassaden mit Polycarbonat, die amorphe Form, das kannte man hier so nicht. Aber die Raumatmosphäre im Innern überzeugte sie«. Das Tageslicht fällt so hell durch die transluzente Fassade, dass sich die Innenräume nach oben hin im weißen Gegenlicht aufzulösen scheinen. Kunstlicht dient hier nur zur nächtlichen Illumination, tagsüber wird es nicht benötigt.

Hell, licht – und auch ein bisschen heiss?

Die Entscheidung für die Fassade aus Polycarbonat ist aber nicht nur eine raumgestalterische. »Ein Markt, egal ob temporär oder dauerhaft, braucht eine aufwendige Infrastruktur, Wasser und Strom, Hygienemaßnahmen und Kochmöglichkeiten. Sparen konnten wir v. a. durch das Material: Die Polycarbonat-Paneele leiten Licht, dämmen, sind modular anzubringen, leicht transportabel und einfach montierbar, und zusätzlich kosten sie weniger als andere Materialien«. Dass es aber auch zu einem erheblichen Solar- und damit zu einem Wärmeeintrag führt, lässt die Architektin so nicht gelten. »Für die Frischwaren brauchen wir ohnehin eine Klimakühlung, sie funktioniert hier über die Rückgewinnung der Ablufttemperatur.« Damit wird die heiße Zuluft von außen bereits etwas vorgekühlt und Energie gespart. Die Temperatur der Pavillons kann jeweils einzeln gesteuert werden, dennoch ist die Raumtemperatur, wie in Spanien üblich, in allen Pavillons stark heruntergekühlt. Doch verbraucht die Bauweise nicht sehr viel Strom? »Das Fassadenmaterial spart sogar eher Strom, weil es eine Beleuchtung unnötig macht und zudem wiederverwendbar ist«, entgegnet Sobral.

Die Wiederverwendbarkeit des gesamten Komplexes war Wunsch der Stadtverwaltung Madrid, der Bauherrin. Die Nachnutzung ist zwar noch nicht geklärt, doch die Stahlkonstruktion ist nur verschraubt, lässt sich leicht abbauen und transportieren. Ca. 2 m hohe Fachwerkträger überspannen die einzelnen Hallen, die Dachhaut besteht aus Stahltrapezblech. An den Seiten steifen doppelte Ringträger aus quadratischen Stahlrohrprofilen die Fassade aus und tragen die niedrige Überdachung der Passage zwischen den Pavillons. Beide Trägersysteme leiten die Last weiter an Stahlstützen, die direkt hinter der Fassadenebene im Innenraum stehen. So bleiben die genutzten Flächen in der Mitte der Pavillons sowie die Passage stützenfrei. Die Stände lassen sich unabhängig von der Gebäudekonstruktion ausbauen, dann wird der Markt zur Halle – perfekt für Kulturveranstaltungen und die spanischen »ferias«.

Doch wo lagert die gesamte Konstruktion eigentlich auf? Alexandra Sobral führt in die bestehende Tiefgarage unter dem Platz. Deren Betontragwerk wurde für die Zeit der Umnutzung des darüber gelegenen Platzes um Stahlstützen ergänzt, um die zusätzliche Last der Pavillons abzutragen. Für dieses temporäre Fundament mussten allerdings Stellplätze weichen.

Sieben Monate dauerte die Errichtung des Markts. Der gesamte Boden des Platzes musste abgetragen und eine ca. 70 cm hohe Zwischenebene eingezogen werden, über die jetzt die Pavillons mit einer gemeinsamen Infrastruktur verbunden sind. Diese läuft in einer Hauptzentrale, einer Stahl-Aluminium-Konstruktion, an der nördlichen Platzbegrenzung zusammen. »Der doppelte Boden kann auch nach dem Abbau des Markts weiter bestehen und z. B. bei späteren Stadtfesten die Stände andienen«, erklärt die Projektleiterin.

Experimentieren mit Fragmenten

Der Platz selbst wird nach der Marktnutzung wieder als Freifläche dienen. Für den zukünftigen Markt Barceló werden sich die Anwohner wieder umgewöhnen müssen, der Gebäudekomplex im Bau ist stringent, gradlinig und fast dreimal so groß. Die temporären Pavillons sind ein Experiment: Was kann man an diesem streng gefassten, historischen Ort machen und wie findet sich dort eine Ordnung von Fragmenten und Funktionen? Das Thema der Fragmentierung von Einheiten und ihrem konstruktiven und funktionalen Zusammenhalt, die Ordnung im scheinbar Ungeordneten oder Kleinteiligen und ihre Einpassung in den Bestand, die Stadt oder die Landschaft, diese Fragen beschäftigen das Büro seit einiger Zeit. Zwischen meist sehr stringente, gradlinige Projekte mischen sich nun vermehrt Zell- und Fragmentstrukturen, die zu einem Ganzen wachsen.

Zum Abschluss bedauert Alexandra Sobral noch: »Schade, dass wir den Markt nicht abends besichtigen. Er ist von innen mit Leuchtstoffröhren illuminiert und die Pavillons strahlen laternenartig in den Stadtteil. Sie verdeutlichen: Hier passiert etwas Neues«. Den Anwohnern, da ist sie sich sicher, wird der temporäre Markt fehlen. Aber vielleicht gehen die Pavillons danach auf Reisen und leuchten so zumindest in anderen Städten und Stadtteilen weiter.

db, Di., 2010.09.07



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Presseschau 12

12. Juni 2019Rosa Grewe
db

Grabenkampf im wilden Westen

Alnatura und haascookzemmrich STUDIO2050 wagen sich mit einem hybriden Ökogebäude auf schwieriges Terrain, probieren mutig alternative Bautechniken aus und bringen dabei Atmosphäre, Licht und Luft ins Unternehmen. Architektonisch und ökologisch bleibt das ­Gebäude ­jedoch hinter den hohen Erwartungen zurück.

Alnatura und haascookzemmrich STUDIO2050 wagen sich mit einem hybriden Ökogebäude auf schwieriges Terrain, probieren mutig alternative Bautechniken aus und bringen dabei Atmosphäre, Licht und Luft ins Unternehmen. Architektonisch und ökologisch bleibt das ­Gebäude ­jedoch hinter den hohen Erwartungen zurück.

Es fühlt sich an wie das Ende der Welt mit Windgeflüster und staubigen Schuhen. Ist es aber nicht. Die weite Brache liegt in Darmstadts Westen, nah am Hauptbahnhof. Hier sollen auf 55 000 m² Fläche die »großen Fragen der Nachhaltigkeit und des menschlichen Lebensraums« in einem Gebäude samt Garten beantwortet werden. Nichts Geringeres versprechen die Architekten haascookzemmrich STUDIO2050. Man habe dabei die Ideale von Schönheit, Offenheit, Funktionalität, Kollegialität, Ökologie und Ökonomie vor Augen, ergänzt der Bauherr Götz Rehn. Und so planten sie hier die neue Alnatura-Zentrale für 500 Mitarbeiter, mit Biorestaurant, Kindertagesstätte und Außengelände. Ein Garten Eden im wilden Westen, dazu viel Renommee: Die Architekten, ehemals Partner bei Behnisch Architekten, akquirierten die Stuttgarter Ingenieure von Transsolar für die Klima- und Energieplanung, Kippers & Helbig für die Tragwerksplanung, den Stampflehmpionier Martin Rauch, und Prüfingenieur war Christoph Ziegert, einziger Professor für Lehmbau in Deutschland. Was kann da noch schief gehen?

Licht im Kuhstall

Viel, wie Haas sagt: »Dass wir nicht gescheitert sind, ist auch Glück.« Beim Bauplatz fing es an. Die 47,7 ha große, ehemalige US-Kaserne war in Bundesbesitz und ihre Nachnutzung lange umstritten. Der sandige Boden, von Altlasten verseucht, musste erst abgetragen werden, bevor Alnatura einen Teil der Fläche nutzen konnte. Darüber hinaus liegt das Areal in Erdbebenzone Eins. »Das Grundstück hätte schwieriger nicht sein können,« sagt der Architekt Martin Haas. Das finden andere wohl auch, denn elf Jahre nach dem Truppenabzug ist das Alnatura-Grundstück das einzig neu bebaute auf dem Areal. Wer ob der hohen Ideale eine spektakuläre Architektur erwartet, den wird die Einfachheit der Kubatur, die eher monotonen Längsfassaden und die städtebaulich weit zurückgesetzte Position des Gebäudes enttäuschen. Das Gebäude pflegt ein Image von Bodenständigkeit und Naturverbundenheit. »Kuhstall« ist der selbstgewählte Name für die Architekturidee. Zur Kubatur fanden die Architekten zusammen mit Transsolar. Sie wollten viel Licht ins Gebäude bringen, solare Einträge in den kalten Monaten nutzen und im Sommer vermeiden. Über Tageslichtsimulationen am Modell kamen sie zu einer Ost-West-Ausrichtung mit verglasten Stirnseiten und einer Abfolge von geschlossenen und offenen Elementen nach Süden und Norden. Ein durchlaufendes Fensterband auf der nördlichen Dachseite bringt Licht in die Tiefe und bestimmt die Atmosphäre im Innern. Der Bauherr wünschte sich einen weitläufigen Innenraum ohne Trennwände zwischen Abteilungen und Hierarchien. Die Arbeitsplätze verteilen sich auf vier geschwungenen Galerien um ein Atrium.

Treppen und Brücken verbinden die Flächen miteinander. Ganz ohne trennende Bauteile geht es nicht. Mehrere Gebäudekerne zonieren den offenen Hallenraum, und der Eingangsbereich ist nach Norden von Besprechungsräumen, nach Süden von einem öffentlichen Restaurant und geradeaus durch eine Zugangsschranke baulich begrenzt.

Herausforderungen: Akustik und Statik

Unten in der Halle stehend geht der Blick durch die verglaste Stirnseite hinaus bis in den Westwald. Über dem Dachfenster zieht fern oben ein Flugzeug seine weiße Linie durchs Blau. Die Höhe der Halle und die diffuse, kontrastarme Helligkeit erzeugen im Innern ein Gefühl von Weltentrückung. Dass es nicht hallt wie in einer Kirche liegt an den Materialien auf den Galerien: Die Lehmflächen und Teppichböden dämpfen die Akustik. Perforierte Holzplatten bekleiden die Gebäudekerne, akustisch wirksame Nadelholzlamellen die Dachunterseiten und Fensterumrandungen. Auf den Unterseiten der Betondecken kleben Absorberstreifen aus Schaumbeton, die zusätzlich den Nachhall dämpfen. Auch die Ausstattung mit hohen Sofas, Regalen und siebenlagigen Akustikvorhängen sorgt für ruhige Arbeits- und Konferenzbereiche.

Der offene Hallenraum forderte besondere Lösungen. Mit einer Hybridkonstruktion konnten die Architekten verschiedene bautechnische Anforderungen, die Architekturidee und ein Budget von 1 800 €/m² erfüllen: Das Gebäude ist in der Grundstruktur ein Stahlbetonskelettbau mit einem nicht hinterlüfteten Dachtragwerk aus Holzbindern. Die Fassaden bilden längsseitig Stampflehmwände und stirnseitig zwei Pfosten-Riegel-Glasfassaden. Es gab zwei statische Besonderheiten: Das durchlaufende Dachfenster verhindert, dass sich die gegenüberliegenden Dachträger kraftschlüssig miteinander verbinden. So entstehen zwei voneinander entkoppelte Systeme aus Holzbindern auf filigranen Stahlbetonstützen, eines davon mit einer weiten Auskragung über das Atrium. Die zweite Herausforderung waren die 12,5 m Höhe der Stampflehmwände. Dafür brauchten die Architekten bei der Genehmigung eine Zustimmung im Einzelfall, das erforderte hier auch wegen der Erdbebensicherheit viel Beratung mit den zuständigen Behörden. Dazu kommt das Kriech- und Schwindverhalten von Lehm. Haas sagt: »Wir haben hier Lehmbautoleranzen von 6 cm.« So erreichen die Lehmaußenwände mit Sicherheitszuschlägen eine Wanddicke von 69 cm, nur, um sich selbst zu tragen; sie nehmen dabei kaum fremde Lasten auf.

Schöner Stampflehm

Lehm als klimaneutraler und raumklimaregulierender Baustoff ist ökologisch vernünftig, entpuppte sich hier aber wegen der Stampflehmtechnik als sehr aufwendig. Zuerst sollten die Mitarbeiter selbst Lehmstampfen für den Teamgeist. Doch Haas sagt: »Die gute Qualität der Lehmblöcke konnten wir nur mit einer industriellen Herstellung erreichen.« Deshalb brachte der Stampflehmbauer Martin Rauch nicht nur erfahrene Handwerker aus Österreich mit, sondern auch eine Stampflehmmaschine. In der wurde der nasse Lehm und eine 17 cm schmale Dämmschicht aus recycelten Schaumglasschotter zu Blöcken gepresst und geschnitten. In einem benachbarten Schuppen fertigten die Handwerker 384 Lehmblöcke, von je 1 m x 3,5 m. Nach einer Trocknungsphase stapelten sie diese auf den Betonsockel des Gebäudes, füllten die Fugen mit Ton und Trasskalk zum Schutz gegen Erosion und stabilisierten das Ganze mit einem Geogitter. In der Bauweise steckt viel Experimentierlust, auch seitens der Bauherren. Der Stampflehmbau ist nicht normiert, bringt daher viel Aufwand bei der Fertigung, bei der Genehmigung sowie ein Risiko der Nachbesserung mit sich. Das ruft Kritiker auf den Plan: Der renommierte Lehmbauarchitekt Franz Volhard, Autor der Lehmbau Regeln, kritisiert u. a. den ­logistischen Aufwand. Eine enorme Masse Lehm wurde aus der Eifel und aus dem Aushub von Stuttgart 21 herbeigefahren. Außerdem verletzte der eingepresste Schaumglasschotter das Reinheitsgebot beim Lehmbau, dem Lehm keine Zusätze beizumischen für eine bessere Trennbarkeit und klimaneutrale Wiederverwertung. Dem bauphysikalischen Nutzen der Wand stehen planerische, statische, genehmigungsrechtliche, handwerkliche und logistische Schwierigkeiten gegenüber. Aber die Stampflehmwand hat eine hohe imageprägende und ästhetische Wirkung. Weil sie zudem die erste ihrer Art und Höhe in Deutschland ist, ist die mediale Wirkung hoch, nicht nur für ­Alnatura, sondern auch für den Lehmbau.

Mal Richtig durchlüften

Bei der Klimaplanung verzichten die Architekten weitgehend auf aktive Technikanlagen. Haas sagt: »Technik ist im Augenblick des Einbaus oft schon veraltet.« Die Belüftung des Alnatura-Gebäudes erfolgt über natürliche Thermik: Zwei Ansaugtürme ziehen Frischluft aus dem benachbarten Wald. Erdkanäle wärmen bzw. kühlen die angesaugte Luft und leiten sie zum Gebäude, wo ­sie langsam bis zum Dach strömt und austritt. Bei der Temperierung des Gebäudes setzen die Architekten auch auf die Lehmwand als passiver, latenter Temperaturspeicher, aber auch als aktivierte, abstrahlende Fläche: In den Lehm eingelassene Heizschlangen mit geothermisch temperiertem Wasser erwärmen oder kühlen die Wandflächen. Eine weitere Abwägung war die 478 m² große Photovoltaikanlage auf dem Dach mit einer Nennleistung von 90 kWp. Weil der Stromverbrauch des Gebäudes sehr gering ist, ist die Anlage, laut Haas, weniger relevant für die Strombilanz als für die Außenwirkung. Und sehr relevant für eine Zertifizierung durch die DGNB: Das Gebäude erreicht 100 % für die Ökologische Qualität, 83 % beim Gesamterfüllungsgrad und ­eine Platin-Plakette. Wie immer, wenn Überzeugungen aufeinandertreffen, werden die einen jetzt verächtlich die Nase rümpfen und die anderen anerkennend mit dem Kopf nicken. Mit seiner Unternehmenszentrale landet ­Alnatura mittendrin im wüsten Grabenkampf im wilden Westen.

db, Mi., 2019.06.12



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db 2019|06 Anders bauen!

03. April 2012Rosa Grewe
db

Salzberg an der Orangenküste

Die einer Hügelkette nachempfundene Form verleiht dem Verwaltungsgebäude in der Nähe von Valencia Halt im Durcheinander der suburbanen Peripherie. Bedauerlicherweise von Leerstand bedroht, überzeugt der Bau durch seine außergewöhnliche Gestalt und die intelligente Nutzung der Ressourcen.

Die einer Hügelkette nachempfundene Form verleiht dem Verwaltungsgebäude in der Nähe von Valencia Halt im Durcheinander der suburbanen Peripherie. Bedauerlicherweise von Leerstand bedroht, überzeugt der Bau durch seine außergewöhnliche Gestalt und die intelligente Nutzung der Ressourcen.

Wie die Spitzen eines Salzbergs ragt das Dach der Grupo Azahar wenige Meter über die Baumwipfel, ein flüchtiges Bild von der Autobahn. Die Zufahrt zum Gebäude erfolgt über einen holprigen Seitenweg im Schatten der Schnellstraße vorbei an Orangenbäumen und Industriearealen. In der Peripherie zwischen felsiger Berglandschaft und der Betonskyline der spanischen Hafenstadt Castellón baute sich die Grupo Azahar, deren Betätigungsfeld vom Garten- und Landschaftsbau bis hin zur Recyclingtechnik reicht, ihren Haupsitz, eine Enklave mit Obsthainen, Pflanzhäusern und einem mit Gras umwachsenen Teich. Hier entstanden Arbeitsplätze für Ingenieure, die sich mit der Entwicklung nachhaltiger Technologien beschäftigen, und Gärtner, die Pflanzen für den Landschaftsbau züchten. Auf der Suche nach der passenden Architektur lud die Firma einige ausgesuchte Architekten zum Wettbewerb, aus dem der Entwurf des Office of Arquitecture Barcelona/Carlos Ferrater als Sieger hervorging: Ferrater versteht es, die Landschaft und die Ansprüche der Firma an Funktion und Nachhaltigkeit des Gebäudes gleichermaßen zu berücksichtigen und dabei eine besondere Atmosphäre durch Licht und Raumproportionen zu schaffen.

Landmarke und Enklave

Das Gebäude bilden zwei Baukörper, die sich parallel in Ost-West-Richtung erstrecken. Ihre nach außen gewandten Seiten sind jeweils geschlossen – zwei lange Wände, gefaltet wie Papier. Sie gehen fast nahtlos in die geneigten, weißverputzten Flächen des Dachs über. Dessen bewegte Kontur wiederum zeichnet die Berge im Norden nach. Nur das reflektierte Tageslicht profiliert die Kubatur je nach Sonnenstand unterschiedlich. So entsteht für den Betrachter aus Süden und Norden aus einiger Entfernung und von Nahem ein monolithischer und auf sich bezogener Eindruck. Projektarchitektin, Núria Ayala, erläutert – die architektonische Idee nachvollziehbar: »Der Umgebung fehlt das Urbane, also haben wir einen intimen, abgeschlossenen Ort geschaffen, angenehm zum Arbeiten.« Ferrater betont zudem die tektonische Idee zum Gebäude, dessen Flächen sich wie eine Landschaft fügen und so unterschiedliche Raumerlebnisse ermöglichen: »Die Form erzeugt nicht nur verschiedene Höhen in der Kubatur, sondern auch verschiedene Ausblicke und Atmosphären im Innern des Gebäudes.«

Wer das Areal von seiner Eingangsseite im Westen betritt, dem zeigt sich das Gebäude offener und weniger massiv. Der Weg führt zwischen den Gebäudespangen in einen der beiden Höfe. Eine Holzpergola über der umlaufenden, geschosshohen Verglasung spendet Schatten. Zur Rechten und zur Linken arbeiten die Angestellten mit Blick auf den Besucher, der über den Hof zum Foyer gelangt, dem zentralen Knotenpunkt zwischen den Bürospangen.

Fliessende Räume

Im Foyer wird klar, was Ferrater mit Raumerlebnis meint: Der gläserne Eingang ist niedrig, mit dem ausgestreckten Arm lässt sich fast der Türrahmen fassen. Während im EG die Glasfassaden die angrenzenden Höfe wie Bilder rahmen, staffelt sich der Luftraum darüber in die Höhe. Nach Norden ausgerichtete Dachöffnungen erhellen das Foyer mit einem diffusen Licht, das weit auf die Deckenunterseiten streut, und geben gleichzeitig den Blick auf die Berge frei: ein sakral wirkender Raum, das Herz des Gebäudes, architektonisch wie funktional.

In den beiden Bürospangen ergeben sich von hier aus vier unabhängig voneinander bespielbare Gebäudetrakte, in denen sich jeweils ca. 10 bis 15 Arbeitsplätze befinden. Die Organisation des Grundrisses spiegelt so die der Firma mit ihren vier unabhängigen Abteilungen wider. Die gemeinschaftliche Infrastruktur, wie Besprechungsräume, Teeküche und Waschräume ist vom Foyer aus erschlossen. Darüber findet sich ein zweites Geschoss mit den Räumen der Geschäftsleitung.

Die Übergänge der Räume sind fließend und transparent: Glasinnenwände und Schwingtüren verbinden Büros, Flure und Sonderräume optisch miteinander. Panoramafenster mit fast bodenbündigen Profilen lassen den Blick ungehindert in den Hof schweifen. Auch der einheitliche Bodenbelag für Innen und Außen, ein italienischer Naturstein, wirkt schwellenlos. Dort, wo Innenwände keinen Durchblick ermöglichen, erweitern Glasoberlichter die Dachuntersicht, so bleibt die großzügige Aufweitung der Büros in der Höhe auch in den Einzelbüros erlebbar. Die Installationen liegen versteckt hinter Schrankeinbauten vor den geschlossenen Außenwänden; der Innenraum bleibt dadurch frei von sichtbarer Technik, ein klarer, luftiger Eindruck entsteht. Die Einfachheit aller Details und der nahtlose Übergang zum Freiraum veranschaulichen das Selbstverständnis der Firma, das sich auf die Nähe zur Natur und Landschaft gründet. Die auffällige Kubatur ist also kein Selbstzweck: Sie ist nicht nur Landschaftszitat, sondern schafft im Innern eine luftige Atmosphäre trotz geringer Gebäudetiefen. Die geschlossenen Wände ziehen nicht nur notwendige Grenzen im suburbanen Durcheinander, sondern sind auch klimatisch sinnvoll, die Gliederung des Gebäudes in verschiedene Trakte schafft nicht nur einen Bezug zur Landschaft, sondern unterstützt v. a. die Firmenorganisation. Mit einfacher aber unverwechselbarer Architektur schafft Ferrater eine enorme funktionale und atmosphärische Vielschichtigkeit.

WDVS am Mittelmeer

Schnörkellos, kostengünstig und pflegeleicht, so wünschte sich der Bauherr das Gebäude. Die Betonkonstruktion hat daher eine für Spanien ungewöhnliche thermische Hülle. Ein Wärmedämmverbundsystem wurde auf den Betonaußenwänden verschraubt und mit einem speziellen Putz versiegelt. Dieser ist fugenlos verarbeitet, wasserabweisend, sehr hart und durch seine glatte Oberfläche wenig schmutzanfällig. So können Fassaden und Dach einfach mit einem Hochdruckreiniger gesäubert werden. Eine hochgedämmte Fassade statt aufwendiger Klimatechnik, in Spanien ist das bei modernen Bauten keine Selbstverständlichkeit. Die thermische Hülle und die Ausrichtung des Gebäudes alleine wirken sich schon positiv auf das Raumklima aus. Dazu kommt, dass der solare Wärmeeintrag durch die Orientierung der Gebäudeöffnungen nach Innen und durch die Pergola stark verringert und gleichzeitig eine Querlüftung über die Höfe und Oberlichter möglich ist. Fensterhohe, manuell schaltbare Ventilationsöffnungen in der Glasfassade unterstützen die natürliche Lüftung. Zusätzlich planten die Architekten eine Zulufttemperierung, die in den heißen Monaten Juli und August die Räume kühlt und in den kälteren Monaten Dezember und Januar das Gebäude erwärmt. Auch bei der Tageslichtausbeute wirkt die bauliche Gestaltung unterstützend: An diesem eher bedeckten Wintertag sind nur einzelne Schreibtischleuchten notwendig, um für genügend Helligkeit in den Büros zu sorgen – dank der geringen Gebäudetiefen und der zahlreichen Glaseinbauten. Weil Wasser an der Orangenküste ein seltenes, dennoch oft verschwendetes Gut ist, planten die Ingenieure einen Teich, der Regenwasser vom Gebäude und aus dem Hof sammelt und den Toiletten und dem Garten zuführt.

Konsequente Planung als Chance

Die Grupo Azahar arbeitet viel für öffentliche Auftraggeber und ist nun schwer von der spanischen Wirtschaftskrise getroffen. 2011 musste sie bereits das Gebäude an die Bank übergeben. Nur noch wenige Angestellte arbeiten heute vor Ort. Derweil nun die Pflanzenschätze verkümmern, der Garten verwildert und vertrocknet, plant die Bank die Nachnutzung des Gebäudes. Die Stärke des Baus sollte sich in diesem Augenblick beweisen: Im Gespräch ist ein Zentrum für kleine Firmen. Prägnante Architektur, geringer Wartungsaufwand und ein Grundriss mit separierbaren Gebäudetrakten machen die Umnutzung möglich. Gute Aussichten also, dass im Salzberg an der Orangenküste die Arbeit weitergeht.

db, Di., 2012.04.03



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db 2012|04 Monolithisch

08. Februar 2011Rosa Grewe
db

Abgang mit Glanz

Idyllisches, vom Mittelalter geprägtes Pamplona. Immer mehr Menschen möchten hier wohnen, wo die Lebensqualität hoch und der Weinberg vor der Haustür ist. Doch mit den Einwohnern vermehrt sich der Müll. Die Architekten fanden, ein Bauwerk, das Wertstoffe sammelt und weiterverarbeitet, müsse sich nicht verstecken. Durch verwinkelte Geometrie und kräftige Farben macht der Bau auf sich aufmerksam. Ironisch verweisen die verbeulten Fassadenpaneele auf unsere Wegwerfgesellschaft und die Vorgänge im Innern.

Idyllisches, vom Mittelalter geprägtes Pamplona. Immer mehr Menschen möchten hier wohnen, wo die Lebensqualität hoch und der Weinberg vor der Haustür ist. Doch mit den Einwohnern vermehrt sich der Müll. Die Architekten fanden, ein Bauwerk, das Wertstoffe sammelt und weiterverarbeitet, müsse sich nicht verstecken. Durch verwinkelte Geometrie und kräftige Farben macht der Bau auf sich aufmerksam. Ironisch verweisen die verbeulten Fassadenpaneele auf unsere Wegwerfgesellschaft und die Vorgänge im Innern.

Am Ende wird es meist trostlos. Dabei fängt es so schön an: In sorgsam gestalteter Innenarchitektur kaufen wir Produkte in sorgsam gestalteten Verpackungen, deren Investoren, Entwickler und Werber in sorgsam gestalteter Architektur sitzen. Das Produkt wird rundum mit Design umschmeichelt: Es soll sich verkaufen. Doch am Ende landet es im Müll, und von da an ist es vorbei mit der Schmeichelei. Müll und Architektur, die Bilder im Kopf verbinden sich nur schwer. Das Ende sollte nicht trostlos sein, und so planten die Architekten des Büros Vaillo + Irigaray eine Müllsammelstation, die mit einer Portion Selbstironie den Abgang mit Glanz ermöglicht.

Wachsende Stadt, wachsender Müllberg

Die Architekten leben und arbeiten in Pamplona in der nordspanischen Region Navarra und prägen bereits das Bild dieser Stadt mit einigen Neubauten. Seit den 60er Jahren verdoppelte sich die Einwohnerzahl auf fast 200 000. Besonders der letzte Bauboom seit 2000 brachte der Stadt zahlreiche Neubaugebiete, die ringförmig um den historischen Stadtkern wachsen.

Für Architekten gibt es daher viel zu tun: Im Osten der Stadt wartet ein fertiges Straßenraster in der Größe mehrerer Fußballfelder auf seine Bebauung mit Wohnkomplexen und Infrastruktur. Das Büro Vaillo + Irigaray erarbeitete dazu die Masterpläne. Trotz Krise und noch leerer Baufelder sind die Architekten optimistisch, wie Antonio Vaillo erklärt: »Vor der Krise wäre das in fünf Jahren komplett bebaut gewesen, jetzt verzögert sich das ein wenig, aber auch danach wird es schnell weitergehen.« Die Krise, in Pamplona scheinbar ein vorübergehendes Problem. Ein dauerndes dagegen ist der Müll, der zusammen mit den Wohnvierteln der Stadt rasant wächst. Besonders die Sammlung und der Abtransport von Müll sind teuer und verbrauchen Energie und Fläche. Hier, in diesem Neubaugebiet, setzt die Stadt Pamplona daher auf eine neue Müllsortierung mit Vakuumtechnik, für die eine schwedische Firma die Technik und Vaillo + Irigaray Architekten das Gebäude planen sollten, »den Magen des Stadtviertels«, wie Vaillo erklärt. »Der Müll kommt hier an, wird umgewandelt und weitertransportiert.«

Form follows process

So funktioniert das System: Die Bewohner trennen ihren Müll nach Plastik, Glas, Papier und Restmüll und entsorgen ihn in öffentlichen Sammelcontainern. Diese schließen über Klappen auf ihrer Unterseite an ein unterirdisches Kanalsystem an, das mit einer zentralen Sammelstelle verbunden ist. Luft saugt den Müll durch die Kanäle bis an die Sammelstelle. Dort wird dem Müll Luft entzogen und Pressen formen ihn zu einem kompakten Paket. An vier LKW-Ladestationen »wartet« der Müll auf seinen Abtransport in die Recyclinganlage. Der Prozess ist vollautomatisiert, nur ein einzelner Mitarbeiter muss die Vorgänge kontrollieren, von einem gläsernen Kontrollraum aus. Rohre, Filter, Pressen und Turbinen bilden die Maschinerie. Vaillo erklärt: »Unsere einzige Bauvorgabe waren die Ausmaße der Vakuum-Anlage.« Die Prozesse im Innern bestimmen die Form des Gebäudes: Die Knicke in der Kubatur und die abgewinkelten Grundrisse folgen dem Rohrverlauf der Maschine. Schalldichte Raumabtrennungen schirmen den Lärm der Turbinen nach außen ab. Die Fensterflächen belichten den oberen Maschinen- und Kontrollraum, Lamellen verdecken die Abluftöffnung des Filters und leiten die Luft nach oben, große Tore im EG ermöglichen die LKW-Beladung. Durch ein kleines Bullauge lässt sich aus dem Kontrollraum die Zufahrt zur LKW-Beladung beobachten. Es ist ein funktionales, ökonomisches Gebäude aus Beton, mit einfachen, stählernen Einbauten und einem grauen Industrieboden, insgesamt lag das Baubudget unter 1 000 Euro/m². Funktional und finanziell war wenig Luft für Gestaltung, selbst die Farbe der Innenwände war vom Betreiber vorgegeben. Die Gestaltung konzentriert sich daher auf die Fassade, die als Imageträger für die Stadt, die Betreiber der Anlage und auch die Architekten selbst wichtig ist.
Müll ummantelt Müll

Für die Fassade hatten die Architekten die Idee, Altmaterial mit Altmaterial zu umhüllen. Sie wählten recycelte Aluminiumpaneele, die Dach und Fassade im Patchwork bekleiden. Ideengeber für Farbe und Form war aber ein anderes Material: Ursprünglich wollten sie bunte Paneele aus gepresstem Altkunststoff einsetzen, die ein Zwischenprodukt auf dem Weg zur Weiterverarbeitung sind. »Die bunte und unebene Beschaffenheit der Platten gefiel uns, dazu waren sie sehr ökonomisch. Weil sie aber aus unterschiedlichen Kunststoffen zusammengemischt waren, erfüllten sie die Brandschutzauflagen nicht.« So versuchten die Architekten mit Aluminium in grünen und gelben Lackierungen und mit einer Wölbung der Platten, eine ähnliche Wirkung zu erzielen: Aus der Ferne wirkt die Fassade homogen, ikonenhaft, das Gebäude erscheint größer als es ist. Aus der Nähe erkennt man die großen Maße der Fassadenpaneele von jeweils 1,5 x 2,5 m, ihre Tiefe und unterschiedliche Farbigkeit, das Gebäude verliert seine Zeichenhaftigkeit und Größe und gewinnt an Profil. Und erst der nahe Blick auf das Gebäude verrät dessen Funktion.

Die Umsetzung der Konstruktion mit Aluminium war einfach, wie Vaillo erklärt: »Die Paneele lassen sich wie Papier formen, die Wölbungen entstehen dabei durch die Einspannung des Paneels.« Mit Schrauben werden Spannung und Abstand der Paneele zur Unterkonstruktion justiert und somit das Paneel in die Wölbung gebracht. Der Glanz der gebogenen Paneele überzieht den Bau wie eine Lackschicht und verändert die Ansichten je nach Wetterlage. Bei bedecktem Himmel wirkt das Gebäude naturnah, zwischen gelb-braunen Feldern und grünen Wäldern, bei Sonnenlicht blitzen die Paneele der Fassade so grell, dass die Augen blinzeln müssen – ein blitzblankes Meister-Proper-Strahlen. »Die Idee ist, das negative Image von Müllanlagen zu verbessern« erklärt Vaillo und schwärmt dann, »das Vakuumsystem ist ein solch sauberer Prozess. Nichts stinkt, nichts ist verdreckt.«

Immer wieder Recycling

Die Strukturfassade aus Recyclingmaterial ist ein wiederkehrendes Element in der Architektur von Vaillo + Irigaray. Ironie ist oft dabei. Für eine Straßenwachtstation füllten sie Drahtkörbe mit geplatzten Autoreifen und bildeten daraus die Fassade. Für ein Restaurant sammelten sie leere Weinflaschen und verkleideten damit die Rückwand des Gastraums. Bei einer Lounge führten sie eine Hecke optisch mit grünen Röhren aus Recyclingplastik fort, »Aufforstung« nannten die Architekten das. Diesmal also sauber automatisierter Recyclingglanz, dem man fast glauben könnte, dass Müll nicht trostlos sei und dass Recycling die Endlichkeit beende. Kein Ende, keine Trostlosigkeit? Schöne, saubere Welt.

db, Di., 2011.02.08



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17. Januar 2011Rosa Grewe
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Gefaltet und versteckt

Aus der Topographie der Landschaft entwickelten die Architekten Carlos Ferrater und Joan Guibernau ein Wohnhaus in Katalonien – mit felsiger Kubatur, weißer Keramik und minimalistischen Details. Es entfaltet sich aus dem Berg und bleibt im Grunde doch darin versteckt.

Aus der Topographie der Landschaft entwickelten die Architekten Carlos Ferrater und Joan Guibernau ein Wohnhaus in Katalonien – mit felsiger Kubatur, weißer Keramik und minimalistischen Details. Es entfaltet sich aus dem Berg und bleibt im Grunde doch darin versteckt.

Die Straße windet sich durch den Naturpark Collserola, der Barcelona wie eine grüne Wand nach Westen begrenzt. Der rückseitige Berghang entfaltet sich in schief-steilen Geometrien von seinem Kamm bis in die weite Ebene von San Cugat. Hier beginnt die Landschaft Kataloniens und hier steht ein Haus, das in gebrochenem Weiß die Kubatur der Umgebung nachzeichnet.

Origami mit Beton

Es ist das Wohnhaus einer Unternehmerfamilie in einer kleinen Siedlung zwischen Wald, Wiesen und Golfplatz. Fast frei von städtebaulichen Zwängen kam das initiierende Entwurfskriterium von den Bauherren, wie Joan Guibernau erklärt: »Sie wünschten sich alle Wohnräume auf einer Ebene, das war Grundlage für unseren Entwurf.« Rund 600 m² Wohnraumprogramm auf einem Geschoss zu bündeln, das bewirkt zwangsläufig ein flächiges Volumen und gewisse Schwierigkeiten bei der Belichtung und Erschließung. Guibernau sagt: »Daher teilten wir das Volumen mit zwei Schnitten in drei Bauvolumen – drei Bänder aus Beton, die über niedrige Baukörper ebenfalls aus Beton miteinander verbunden sind.« Oberlichter, seitliche Verglasungen und ein Hof leiten Tageslicht ins Innere des Hauses. Mit den Bändern organisiert sich der Grundriss: Die Kinder- und Gästeschlafräume sowie ein Arbeitszimmer liegen im Osten, zur Straße hin; im Zentrum befinden sich das Hauptschlafzimmer, die dazugehörigen Nebenräume, ein Innenhof und die Küche; im Westen, zum Garten hin, liegen zwei Wohnzimmer und eine Hofterrasse. Im unteren Geschoss, halb in den Berg gegraben, liegen Nebenräume wie der Fitnessraum, ein Schwimmbad und die Garage.

Das Grundstück fällt nach Norden steil ab. Ursprünglich waren auf dieser Fläche zwei kleinere Bauparzellen mit einer Ost-West-Ausrichtung vorgesehen. Auf das nun zusammengelegte, trapezförmige Grundstück setzten die Architekten das Gebäude in Nord-Süd-Ausrichtung. So orientieren sich die Wohnzimmerbereiche über ihre Längsseite nach Westen zu einer Terrassenplattform hin. Die Ausrichtung ermöglicht im UG lediglich eine Belichtung über die kurzen Fassadenseiten. Lichthöfe bringen daher auf der bergseitigen Fassade zusätzlich Tageslicht hinein. Derart eingegraben soll das Haus mit seiner obersten Kante, der Dachlinie, die Landschaft des Berges fortführen – so die Idee der Architekten, die der fünften Fassade eine eigene Topographie geben. »Die Hochpunkte entwickeln sich dabei aus dem Negativraum im Innern,« sagt Guibernau. »Mit den variierenden Raumhöhen und geneigten Deckenplatten lassen sich spannende Raumeindrücke gestalten. Das gebaute Positiv findet sich dann in der Kubatur des Dachs.« So bilden sich im Innern luftige Räume. Sie wirken noch spannender durch den Kontrast zur niedrigeren Raumhöhe der Korridore, die die Fugen im Grundriss bilden.

Schon in anderen Projekten erprobten die Architekten gefaltete Hüllflächen, die im Innern Atmosphäre und außen den Bezug zur Landschaft aufbauen sollen. »Ferrater arbeitet dabei vor allem mit hellem, fast weißem Naturstein, weil es in Material und Farbe das Mediterrane widerspiegelt, und weil es das Licht dieser Regionen interessant bricht und reflektiert.« Auf diesem Baugrundstück aber sahen die Bauvorschriften keramische Oberflächen für das Dach vor, in Anlehnung an die typisch roten Ziegeldächer der Region. Weil aber Dach und Fassade in gleichem Material gehüllt sein und zudem auch in der Ausgestaltung eher minimalistisch als rustikal erscheinen sollten, ersannen die Architekten eine Alternative: Sie wählten weiß eingefärbte, großformatige Feinsteinzeugfliesen für die Hüllflächen. Damit erfüllten sie formal die Bauvorschriften.

Fassade mit Feinkeramik

Gleichzeitig profitiert die Konstruktion von der Materialwahl: Die Feinsteinzeugfliesen sind sehr bruchfest und biegesteif, so dass der Einsatz großer Platten möglich ist. Die Architekten wählten als Grundformat 45 x 90 cm; einzelne Fliesen variieren in der Breite um einen Zentimeter, um ein gleichmäßiges Fassadenbild ohne größere Fliesenanschnitte zu ermöglichen. Ein Vorteil der Platten liegt in ihrer geringen Porösität und in ihrer hohen Dichte. So nehmen sie fast kein Wasser auf und sind auch auf den nur gering geneigten Dachflächen regen- und frostbeständig. Für die Architekten lag der Hauptvorteil jedoch in der Ästhetik: Sie ließen die Fliesen eigens herstellen und mit einem abgemischten Weiß einfärben. Mittlerweile gibt es die Platten im Standardprogramm des Herstellers.

Um den monolithischen Gebäudeeindruck zu stärken, reduzierten Guibernau und Ferrater die Fugengröße zwischen den Fliesen auf unter einen Zentimeter, versetzten die horizontalen Stoßfugen gegeneinander und betonten dadurch die vertikale Fuge und die Verlegerichtung. Das Befestigungssystem ist dabei unsichtbar und dennoch relativ einfach gelöst: Aluminiumschienen sind an die Rückseiten der Platten geklebt, jeweils oben und unten. So konnten die Handwerker die Fliesen einfach auf eine an die Betonaußenwand geschraubte Aluminiumkonstruktion stecken. Wenn eine Fliese doch einmal beschädigt würde, wäre ihre Austausch durch das Stecksystem sehr einfach. Aber auch sonst hat das System Vorteile: Mit der Unterkonstruktion ergibt sich eine hinterlüftete Fassade, mit einer Styrodurdämmung im Zwischenraum, außen vor der Betonwand. Guibernau weiß: »Die hinterlüftete Fassade brachte besonders in den warmen Sommermonaten eine deutliche Abkühlung der Wand und eine Verbesserung des Raumklimas.« Zudem führen die hohe Dichte der Feinsteinzeugfliesen, die nur sehr schmalen Fugen und die Konstruktion als Vorhangfassade zu einem erhöhten Schallschutz. Damit durch die engen Fugen in der Fassade kein Metall im Sonnenlicht hervorblitzt, sind die Aluminiumprofile schwarz gestrichen.

Die Schichtung von Betonwand, Dämmung und Luftzirkulationsschicht und Fliesen ergeben eine Wanddicke von fast 50 cm. Die Fensterebene liegt daher deutlich hinter der äußersten Fassadenkante, so dass die Hülle massiver wirkt als sie tatsächlich ist. Eckfenster auf der Nordseite des Hauses schneiden Teile des weißen Volumens heraus und verstärken den Eindruck von Massivität. Auch im Detail betonen die Architekten dieses monolithische Gesamtbild geschickt, mit dünnen, anthrazitfarbenen Metallfensterprofilen und -laibungen sowie profillosen Glasbrüstungen vor den schmalen Loggien auf der Nordseite. Auch der Dachabschluss, ohne Blechkante und Überstand, passt perfekt in die minimalistische Gebäudekubatur.

Detailliert durchdacht

»Schwierig war die Konstruktion des Dachs,« erzählt der Architekt. »Die Bauteile mussten die Geometrie nachzeichnen und gleichzeitig das Regenwasser ordentlich abführen.« So ist das Dach nicht hinterlüftet wie die Fassade, sondern als Umkehrdach ausgebildet. Das hat thermisch Nachteile, eine skelettartige Unterkonstruktion könnte jedoch die komplizierte Geometrie des Dachs nicht so einfach nachbilden wie ein massiver Unterbau. Daher sind die Feinsteinzeugfliesen auf Betonplatten geklebt, die wiederum auf Dämmplatten aus Styrodur aufliegen. Die Abdichtungsfolien befinden sich zwischen Wärmedämmung und der tragenden Betondecke darunter. Eine umlaufende, hinter der Attika versenkte Regenrinne mit mehreren versteckten Abläufen sichert, dass sich keine Pfützen auf den Faltungen des Dachs bilden.

Wer nun hofft, von der Straße einen Blick auf das Haus am Hang zu erhaschen, wird enttäuscht. Hinter einem dunklen Stahlzaun und einer Mauer samt hoher Hecke bleibt der Dialog außen-innen, Haus-Hang Sache der Sicherheitskameras. Das Haus, aus der Landschaft und für die Landschaft entwickelt, bleibt am Ende ohne Landschaft.

db, Mo., 2011.01.17



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07. September 2010Rosa Grewe
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Glänzender Platzhalter

Sechs Pavillons, schlicht und milchig-weiß gehalten, dienen auf einem innerstädtischen Platz in Madrid für zwei Jahre als temporäre Markthallen. Sie »begleiten« die benachbarte Baustelle, auf der u. a. wieder ein dauerhafter Markt errichtet wird. Dennoch wirken sie nicht wie ein unausgegorenes Provisorium – im Gegenteil. Allenfalls das leichte, kostengünstige und lichtdurchlässige Fassadenmaterial aus Polycarbonat verweist auf den temporären Charakter, im heißen Sommer Spaniens fordert es gewaltig die Klimatisierung.

Sechs Pavillons, schlicht und milchig-weiß gehalten, dienen auf einem innerstädtischen Platz in Madrid für zwei Jahre als temporäre Markthallen. Sie »begleiten« die benachbarte Baustelle, auf der u. a. wieder ein dauerhafter Markt errichtet wird. Dennoch wirken sie nicht wie ein unausgegorenes Provisorium – im Gegenteil. Allenfalls das leichte, kostengünstige und lichtdurchlässige Fassadenmaterial aus Polycarbonat verweist auf den temporären Charakter, im heißen Sommer Spaniens fordert es gewaltig die Klimatisierung.

Ein Linienbus donnert vorbei, im Hintergrund das warnende Piepen von Kippladern, die Luft ist staubig, die Sonne treibt einem Schweißtropfen ins Gesicht. Eine Großbaustelle lärmt in Madrids Studentenviertel, dort wo einst die marode Markthalle Barceló lag. Hier entstehen nach Plänen der Architekten Fuensanta Nieto und Enrique Sobejano drei neue Bauwerke auf einem Grundstück: ein neuer Markt, eine Bibliothek und ein Sportzentrum. Die Projektarchitektin Alexandra Sobral schwärmt: »Die Bauaufgabe ist besonders, eine einmalige Chance, etwas Neues mitten im historischen Stadtkern Madrids zu platzieren«. 2007 hatten die Architekten den Wettbewerb dazu gewonnen. Zwei Jahre dauerte die Planung, weitere zwei sollen die Bauarbeiten dauern, bis 2011. Zu lang für die Anwohner und Händler, um auf einen Markt in ihrem Stadtteil zu verzichten. Teil des Wettbewerbs war deshalb der Entwurf für einen temporären Markt auf dem Quartiersplatz hinter der Baustelle, den »Jardines del Arquitecto Ribera« direkt neben dem Barockbau des historischen Museums, am Rand des Stadtteils Chueca.

Seit Dezember 2009 ist dieser nun in Betrieb und verlagert den Mittelpunkt des Viertels um etwa 200 m weiter westlich. Sechs einzelne Pavillons aus Polycarbonat und einem weiß gestrichenen Stahltragwerk locken Passanten und Nachbarn zum Markthandel. Klein und farblos, wie zufällig abgestellte Tupperdosen, stehen sie im Kontrast zur bunten, hohen Wohnbebauung, die den Platz umfasst. So fremd sie hier auch wirken, ihre Gestalt lässt angenehm Luft auf dem Platz, der sonst mit Bäumen und Brunnen der Erholung dient. Die niedrige Höhe der Pavillons orientiert sich am benachbarten Museum, ihre Anordnung an Bestandselementen wie Bäumen, einem Spielplatz und zwei Tiefgaragenzufahrten. Eine überdachte offene Passage verbindet die Einzelbauten zu einem Markt. Der Hauptzugang liegt an der nördlichen, belebteren Platzkante, die Anlieferzonen der Händler liegen im Süden.

Profitabler für die Händler …

Schon vorab schlossen sich die Händler des alten Markts zu Gremien zusammen, jeweils nach Warensortiment, um sich auf kleinerer Fläche besser zu organisieren. Die Idee, einzelne Pavillons zu errichten, ergab sich aus der sinnvollen Bündelung von Nutzungen und der dafür notwendigen Infrastruktur. Jedem Pavillon ist ein Warensortiment zugeordnet: Brot und Feinkost, Fleisch, Fisch, Obst und Gemüse, Haushaltswaren und Kleidung. Die temporäre Fläche ist um 50 % kleiner als der alte Markt, das Warenangebot und die Zahl der Händler konnten aber fast vollständig erhalten bleiben. Nicht für alle Händler war es einfach, ihre Standplätze im alten Markt aufzugeben und sich auf konzentrischem, kleinem Grundriss zurechtzufinden. »Aber dann merkten viele von ihnen nach den ersten Monaten, dass sie auf konzentrierter Fläche den gleichen oder sogar mehr Gewinn gemacht hatten«, erklärt Alexandra Sobral. Das liegt auch an einem effizienteren Grundriss und Mieteinsparungen. Die Stände im Pavillon reihen sich im Kreis an der Außenwand entlang und, bei den großen Pavillons, um einen mittig gelegenen Kühl- und Lagerraum. In den kleinen Pavillons bleibt in der Mitte Platz für Stühle und Tische.

… praktischer für die Kunden

Zur besseren Orientierung ist jedem Pavillon eine andere Farbe zugeordnet, erkennbar am stählernen Eingang und an den farbigen Anzeigetafeln mit den Standnummern. Ansonsten sind die Bauteile des Markts in Weiß gehalten – ein Zugeständnis an die Händler, wie die Projektleiterin sagt: »So bleibt ihnen Gestaltungsraum, und die Adaption des Temporären fällt leichter«. Werbelogos und Schriftzüge verzieren nun die Köpfe der Stände. Ein weiteres Zugeständnis ist die Umzäunung des Geländes mit Stahlstelen. Die Architekten planten eigentlich einen offen zugänglichen Marktaußenraum, doch die Händler hatten Angst vor Vandalismus – völlig berechtigt, denn die sauber-glatte Polycarbonatfassade wäre eine Reizfläche für die im Viertel umtriebigen Graffiti-Sprayer, die sich bereits an sämtlichen Erdgeschossfassaden in der Umgebung verewigten.

Skeptisch waren anfänglich auch die Anwohner, wie Sobral erzählt: »Die fensterlosen Fassaden mit Polycarbonat, die amorphe Form, das kannte man hier so nicht. Aber die Raumatmosphäre im Innern überzeugte sie«. Das Tageslicht fällt so hell durch die transluzente Fassade, dass sich die Innenräume nach oben hin im weißen Gegenlicht aufzulösen scheinen. Kunstlicht dient hier nur zur nächtlichen Illumination, tagsüber wird es nicht benötigt.

Hell, licht – und auch ein bisschen heiss?

Die Entscheidung für die Fassade aus Polycarbonat ist aber nicht nur eine raumgestalterische. »Ein Markt, egal ob temporär oder dauerhaft, braucht eine aufwendige Infrastruktur, Wasser und Strom, Hygienemaßnahmen und Kochmöglichkeiten. Sparen konnten wir v. a. durch das Material: Die Polycarbonat-Paneele leiten Licht, dämmen, sind modular anzubringen, leicht transportabel und einfach montierbar, und zusätzlich kosten sie weniger als andere Materialien«. Dass es aber auch zu einem erheblichen Solar- und damit zu einem Wärmeeintrag führt, lässt die Architektin so nicht gelten. »Für die Frischwaren brauchen wir ohnehin eine Klimakühlung, sie funktioniert hier über die Rückgewinnung der Ablufttemperatur.« Damit wird die heiße Zuluft von außen bereits etwas vorgekühlt und Energie gespart. Die Temperatur der Pavillons kann jeweils einzeln gesteuert werden, dennoch ist die Raumtemperatur, wie in Spanien üblich, in allen Pavillons stark heruntergekühlt. Doch verbraucht die Bauweise nicht sehr viel Strom? »Das Fassadenmaterial spart sogar eher Strom, weil es eine Beleuchtung unnötig macht und zudem wiederverwendbar ist«, entgegnet Sobral.

Die Wiederverwendbarkeit des gesamten Komplexes war Wunsch der Stadtverwaltung Madrid, der Bauherrin. Die Nachnutzung ist zwar noch nicht geklärt, doch die Stahlkonstruktion ist nur verschraubt, lässt sich leicht abbauen und transportieren. Ca. 2 m hohe Fachwerkträger überspannen die einzelnen Hallen, die Dachhaut besteht aus Stahltrapezblech. An den Seiten steifen doppelte Ringträger aus quadratischen Stahlrohrprofilen die Fassade aus und tragen die niedrige Überdachung der Passage zwischen den Pavillons. Beide Trägersysteme leiten die Last weiter an Stahlstützen, die direkt hinter der Fassadenebene im Innenraum stehen. So bleiben die genutzten Flächen in der Mitte der Pavillons sowie die Passage stützenfrei. Die Stände lassen sich unabhängig von der Gebäudekonstruktion ausbauen, dann wird der Markt zur Halle – perfekt für Kulturveranstaltungen und die spanischen »ferias«.

Doch wo lagert die gesamte Konstruktion eigentlich auf? Alexandra Sobral führt in die bestehende Tiefgarage unter dem Platz. Deren Betontragwerk wurde für die Zeit der Umnutzung des darüber gelegenen Platzes um Stahlstützen ergänzt, um die zusätzliche Last der Pavillons abzutragen. Für dieses temporäre Fundament mussten allerdings Stellplätze weichen.

Sieben Monate dauerte die Errichtung des Markts. Der gesamte Boden des Platzes musste abgetragen und eine ca. 70 cm hohe Zwischenebene eingezogen werden, über die jetzt die Pavillons mit einer gemeinsamen Infrastruktur verbunden sind. Diese läuft in einer Hauptzentrale, einer Stahl-Aluminium-Konstruktion, an der nördlichen Platzbegrenzung zusammen. »Der doppelte Boden kann auch nach dem Abbau des Markts weiter bestehen und z. B. bei späteren Stadtfesten die Stände andienen«, erklärt die Projektleiterin.

Experimentieren mit Fragmenten

Der Platz selbst wird nach der Marktnutzung wieder als Freifläche dienen. Für den zukünftigen Markt Barceló werden sich die Anwohner wieder umgewöhnen müssen, der Gebäudekomplex im Bau ist stringent, gradlinig und fast dreimal so groß. Die temporären Pavillons sind ein Experiment: Was kann man an diesem streng gefassten, historischen Ort machen und wie findet sich dort eine Ordnung von Fragmenten und Funktionen? Das Thema der Fragmentierung von Einheiten und ihrem konstruktiven und funktionalen Zusammenhalt, die Ordnung im scheinbar Ungeordneten oder Kleinteiligen und ihre Einpassung in den Bestand, die Stadt oder die Landschaft, diese Fragen beschäftigen das Büro seit einiger Zeit. Zwischen meist sehr stringente, gradlinige Projekte mischen sich nun vermehrt Zell- und Fragmentstrukturen, die zu einem Ganzen wachsen.

Zum Abschluss bedauert Alexandra Sobral noch: »Schade, dass wir den Markt nicht abends besichtigen. Er ist von innen mit Leuchtstoffröhren illuminiert und die Pavillons strahlen laternenartig in den Stadtteil. Sie verdeutlichen: Hier passiert etwas Neues«. Den Anwohnern, da ist sie sich sicher, wird der temporäre Markt fehlen. Aber vielleicht gehen die Pavillons danach auf Reisen und leuchten so zumindest in anderen Städten und Stadtteilen weiter.

db, Di., 2010.09.07



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db 2010|09 Temporär

Profil

Bis 2005 Mitarbeit in verschiedenen Architekturbüros
2005 Diplom Architektur an der TU Darmstadt
2006/2007 Volontariat bei der Deutschen Bauzeitschrift, Gütersloh
2007 Weiterbildung in der Akademie für Publizistik, Hamburg
2008 Diplom Deutsche Fachjournalistenschule, Berlin
2008 Gründung von quer-streifen, Darmstadt
2009 Weiterbildung Verbraucherjournalismus am Journalistischen Seminar der Universität Mainz
2011 Auslandsjahr in Barcelona
2014 Weiterbildung Datenjournalismus am European Journalism Centre in Maastricht
2018 Weiterbildung Videojournalismus Medienhaus EKHN/Hörfunkschule Frankfurt
2019 Weiterbildung Multimedia Storytelling an der Akademie der Bayerischen Presse, München
2019 Weiterbildung Content Marketing Manager (IHK)

Mitgliedschaften

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