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04. Juli 2017Carsten Sauerbrei
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Weimar, Finsterwalde, Berlin

Lukas Bartke und Clemens Habermann begannen die Arbeit an ihrem Erstlingswerk noch während ihres Studiums. Konzeptionelle Strenge, hoher persönlicher Einsatz und intensive Überzeugungsarbeit ließen es schließlich Realität werden. Dem bestehenden Backsteinhaus nebenan steht nun ein ebenso starkes wie feines Gebäude zur Seite, das innen wie außen Atmosphäre schafft.

Lukas Bartke und Clemens Habermann begannen die Arbeit an ihrem Erstlingswerk noch während ihres Studiums. Konzeptionelle Strenge, hoher persönlicher Einsatz und intensive Überzeugungsarbeit ließen es schließlich Realität werden. Dem bestehenden Backsteinhaus nebenan steht nun ein ebenso starkes wie feines Gebäude zur Seite, das innen wie außen Atmosphäre schafft.

Die gemeinsame Reise zum Erstlingswerk der beiden jungen Architekten ­Clemens Habermann und Lukas Bartke beginnt Ende Mai in Berlin. Dort ­leben sie mittlerweile die meiste Zeit und setzen ihre gemeinsame Arbeit fort, die bereits 2012 mit ihrem Kennenlernen an der Bauhaus-Universität in ­Weimar begann. »Nach zehn Jahren in Weimar war es Zeit für einen Tapetenwechsel. Außerdem sind wir in einer Stunde in Finsterwalde, wo gerade unser neues Projekt, der Neubau der Stadthalle startet«, so begründet Habermann die Entscheidung für Berlin als Arbeitsort.

Als projektbasierte Zusammenarbeit bezeichnet Lukas Bartke ihre, ganz ­eigene Art der Kooperation. Sie hätten dabei den Status freier Mitarbeiter im ­Architekturbüro von Clemens’ Vater, Jürgen Habermann, und nutzten dessen langjährige Erfahrungen und Ressourcen wie auch die Ingenieurleistungen, die das Büro anbietet. Nach ihren Studienabschlüssen im Herbst 2014 und Frühling 2015 hätten sie ja auch noch gar kein eigenes Büro gründen können, fügt er lächelnd hinzu.

Stringenz und Kommunikation

Es war sicherlich eine glückliche Fügung, dass nahezu gleichzeitig mit ihrem Zusammentreffen im Weimarer Entwurfsseminar des deutsch-argentinischen Architekten José Gutierrez Marquez das Architekturbüro von Jürgen Habermann ob seiner Größe als lokaler Vertreter zum Gutachterverfahren für ein neues Gemeindehaus der Evangelischen Kirchengemeinde im südbrandenburgischen Finsterwalde eingeladen wurde. Als Clemens bei seinem Vater nach einer Tätigkeit für die Semesterferien anfragte, hat dieser ihm die Wettbewerbsbearbeitung angeboten. Die von Marquez im Seminar vermit­telte, konzeptionelle Strenge habe ihn und den mit ins Boot geholten Lukas Bartke bei der Wettbewerbsbearbeitung stark beeinflusst, fügt er hinzu. Auch das ­Seminarthema »Rote Spitzen« (die romanischen Ziegeltürme der Altenburger Marienkirche) passte perfekt zum Finsterwalder Entwurfsort. Dieser ist von zwei benachbarten, historischen Backsteinbauten, dem Pfarramt und dem alten Gemeindehaus sowie dem unmittelbar angrenzenden, ­ältesten Gebäude Finsterwaldes, der »Curdsburg«, geprägt. Es verwundert ­daher nicht, dass die beiden Studenten den Neubau des Gemeindehauses ebenfalls als Ziegelgebäude planten. »Der Backstein fügt sich einfach wunderbar in die Brandenburger Landschaft ein«, so beschreibt Bartke seine Ein­drücke von den Ortsbesichtigungen. Clemens Habermann stimmt zu und fährt fort: »Außerdem wollten wir die Baugeschichte fortschreiben.« Erwartet habe die Kirchengemeinde allerdings etwas anderes, einen »modernen« Entwurf, der einen Kontrast zum Bestand bilde, schildert Bartke die Reaktionen bei ihrer Entwurfsvorstellung. Sie dagegen hätten den zeitgenössischen Zwilling zum Pfarramt bauen wollen. Habermann vermutet, dass sie ihren, mit ­einer Stimme Mehrheit denkbar knappen Sieg letztlich ihrem Enthusiasmus und dem anschaulichen Präsentations­modell zu verdanken haben.

Einsatz und Kreativität

»Mit dem Ziegel konnten wir mehrere Entwurfsthemen auf einmal lösen«, so begründet Lukas Bartke ihre Entscheidung für die Konstruktion aus Opus Caementitium, massivem Gussmauerwerk, das sie nicht nur außen, sondern auch innen ziegelsichtig beließen.

Man habe dem Neubau mit dem sehr heterogenen Raumprogramm dadurch eine klare Identität und Struktur geben können. Außerdem garantiert die raue Ziegeloberfläche eine gute Akustik und die enorme Trägheit der Baumasse ein stabiles Raumklima.

»Durch die Verwendung des Ziegels als Basis für den gesamten Entwurf konnte an un­serem Konzept im Nachhinein auch nichts groß verändert werden«, fügt er augenzwinkernd hinzu. Dennoch wäre die Ausführung fast an den hohen Kosten für den gewünschten, historischen Stein aus dem Ringbrandofen ­gescheitert. In Polen fand Habermann nach ­einiger Suche schließlich die ­Lösung mit einer Ziegelei, die die Steine zu ­einem Viertel des Preises in Deutschland anbot.

Auch danach mussten die beiden Berufsanfänger verschiedene Herausforderungen bei der Realisierung ihres Entwurfs bewältigen, u. a. eine sehr aufwendige Ausführungsplanung. »Als Arbeitsgrundlage für die Maurer habe ich Grundrisse für die Binder- und Läuferschichten sowie Wandabwicklungen ­aller Räume gezeichnet, weil die Ziegel Toleranzen von bis zu 1,5 cm aufwiesen und teilweise komplizierte Details gemauert werden mussten«, beschreibt Bartke den durch das Honorar nicht abgedeckten Aufwand, den man sich für das erste Haus aber leisten wollte. »Wir hätten es auch selbst mauern können, so gut kannten wir jedes Detail«, merkt Habermann lachend an.

Vermutlich war es dieser intensive, persönliche Einsatz, der zu ihrem »guten Draht« zu den Handwerkern führte. Geholfen hätte ihnen aber auch, dass ­Jürgen Habermann als offizieller Ansprechpartner vor Ort, ihnen den Rücken freigehalten hat. Außerdem konnten sie bei Fragen des Bauablaufs von seiner Erfahrung profitieren, auch wenn er oft mit dem Kopf geschüttelt habe, ob des immensen Planungsaufwands.

»Es war eine große Herausforderung, alle Beteiligten von unseren Ideen und Ansprüchen zu überzeugen«, so Bartke weiter. »Um die Menschen vor Ort mitzunehmen, sind wir behutsam vorgegangen«, ergänzt Habermann. So hat man z. B. für den nicht mehr zu rettenden Vorgängerbau einen Ausstand vor dem Abriss gegeben.

Klarheit und Vielfalt

Angekommen in Finsterwalde empfängt uns Jürgen Habermann, der weiterhin den beiden Entwurfsverfassern die Bühne überlässt. Auch ihm ist der Stolz auf das Geleistete anzumerken. »Anfangs sei ja viel Skepsis und Ungeduld bei der Kirchengemeinde da gewesen«, merkt er an. Doch spätestens jetzt, mehr als ein halbes Jahr später, seien alle froh, etwas Besonderes zu ­haben, alle nähmen die Kraft des Gebäudes wahr.

Zunächst besichtigen wir den mit viel Glas und Holz gestalteten und dennoch sehr konventionell wirkenden Gemeindesaal »Arche« aus den 2000er-Jahren. Dieser erhielt mit der Raumfolge Eingang, glasüberdecktes Atrium und Foyer im neuen Gemeindehaus einen barrierefreien Zugang sowie zusätzliche ­Nebenräume. Diese neuen Räume beeindrucken mit der kraftvollen, nahezu sakralen Präsenz der massiven Ziegelkonstruktion in Schottenbauweise und mit ihrer klaren Gliederung und Formensprache, bei der alle Installationen innerhalb der Wände verlegt sowie Nebenfunktionen, wie Garderoben und Lagerflächen, unsichtbar, in mit Holztüren abgeschlossenen Wandnischen ­integriert wurden. Außerdem gelang mit den wenigen, verwendeten Materialien Ziegel, Eichenholz, Beton, Estrich und Bronze eine Kombination von ­optisch wie haptisch großem Reiz.

Das neue Gemeindehaus überzeugt jedoch nicht nur durch Klarheit, sondern auch mit einer räumlichen Komplexität, die man ihm ob seiner geringen Ausmaße nicht zu­getraut hätte. So besitzt es einen attraktiven, in das Gebäudevolumen ­hineingeschnittenen und von Oberlichtern erhellten Treppenraum, über den man vorbei am doppelgeschossigen Gemeindebüro, über das Zwischen­geschoss mit Archiv und Besprechungszimmer in das OG gelangt. Dort rhythmisieren und gliedern die Ziegelschotten den Raum über die gesamte Hauslänge. Räumliche Vielfalt entsteht u. a. durch den sich in den verschiedenen Raumhöhen abzeichnenden Staffelgiebel. Der von oben belichtete, hohe Mittelgang verbindet Sitzungsraum und Musikzimmer, die zusammen oder auch, durch eine zweiflügelige Glastür mit Holzrahmen geteilt, separat genutzt werden können. Die Schotten links und rechts des Gangs teilen kleinere Sitz- und Arbeitsbereiche ab.
Details wie die in die Binderschicht integrierten Lichtschalter, die genau in das Ziegelraster eingepasste Möblierung oder das handgeschmiedete Bronzegeländer auf dem kleinen Straßenbalkon lassen staunen, ob der Qualität eines Projekts mit noch nicht einmal 1 Mio. Euro Baukosten.

Am Ende des Rundgangs, auf dem kleinen Straßenbalkon blicken wir dorthin, wo die Zukunft der beiden jungen Architekten liegt. Gegenüber, auf dem Gelände einer ehemaligen Tuchfabrik wird in den kommenden Jahren die neue Stadthalle von ihnen geplant und gebaut werden. Den Wettbewerb, zu dem das Büro Jürgen Habermanns abermals als wichtigster lokaler Vertreter eingeladen wurde, haben sie ebenfalls schon im Jahre 2012 im Namen des ­Büros gewonnen. Allerdings habe es erst im vergangenen Herbst die endgül­tige Zustimmung zum Projekt per Bürgerentscheid gegeben, erzählt Clemens ­Habermann. Bei ihrem neuen Projekt gingen sie zwar auch auf den Bestand ein, indem sie dessen additive Entwicklung aufgriffen, dennoch wollten sie mit einer stärker kontrastierenden Ästhetik die Neunutzung des Geländes ausdrücken, beschreibt Lukas Bartke ihr Entwurfskonzept. Wichtig seien ­ihnen dabei nicht schöne Bilder, sondern v. a. kraftvolle Räume, die von den Benutzern angenommen werden und funktionieren.

Das glaubt man ihnen sofort. Denn mit ihrem ersten, Maßstäbe setzenden Projekt ist ihnen das ­bereits überzeugend gelungen.

Ein eigenes Büro zu gründen oder PR zu betreiben, habe dagegen für sie im Moment keine Priorität, ergänzt Bartke. Lieber setzten sie sich weiterhin mit aller Kraft für ihre Architekturvorstellungen ein.

db, Di., 2017.07.04



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Evangelisches Gemeindehaus in Finsterwalde



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01. Juni 2015Carsten Sauerbrei
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Einfach mehr

Effiziente Architektur und kostengünstiges Bauen zeichnen das Wohngebäude in der Berliner Ritterstraße 50 aus. Aber reicht ein niedriger Ausbaustandard und ein Mehr an Gemeinschaftsflächen, um einen Beitrag zur Suffizienz-Debatte zu leisten?

Effiziente Architektur und kostengünstiges Bauen zeichnen das Wohngebäude in der Berliner Ritterstraße 50 aus. Aber reicht ein niedriger Ausbaustandard und ein Mehr an Gemeinschaftsflächen, um einen Beitrag zur Suffizienz-Debatte zu leisten?

Ein kompakter, frei stehender Baukörper auf einem niedrigen Sockel und insgesamt sieben Geschosse gegliedert durch stählerne, umlaufende Balkonzonen vor einer hellen Holzfassade – das ist der erste Eindruck vor Ort. So ungewöhnlich wirkt das Projekt der Berliner Büros ifau und Jesko Fezer | HEIDE & VON BECKERATH nicht, als dass der Besucher hier neue Antworten auf Fragen nach der Zukunft des ressourcenschonenden Wohnungsbaus vermuten würde. Auf den zweiten Blick fällt jedoch auf, dass weder das Grundstück noch der Balkonumgang vor den Wohnungen fest markierte Grenzen haben. Privatheit scheint also weniger wichtig als Gemeinschaft und Begegnung. Außerdem fehlt die bei Neubauten immer noch übliche Tiefgarage und auch Materialwahl und Detaillierung erscheinen weniger prätentiös als bei anderen Neubauten in der Berliner Innenstadt.

Rohbau gleich Ausbau

»Robust angelegt und präzise detailliert«, so beschreibt Architekt Tim Heide beim Rundgang durch das Haus eine Idee des Entwurfskonzepts. Damit sollte zunächst kostengünstiger Wohnungsbau mit attraktiver Gestaltung verbunden werden. So legten die Planer gemeinsam mit den Bewohnern einen einheitlichen, niedrigen Ausbaustandard für das Gebäude fest. »Wir haben im Grunde überall die letzte Schicht weggelassen«, fasst Heide zusammen. Die Ästhetik der Wohnräume wird daher bestimmt von den rau wirkenden Oberflächen der Betondecken, des Kalksandsteinmauerwerks und des Heizestrichs im Kontrast zur warm wirkenden Kiefernholzfassade, die sowohl außen als auch innen Verwendung fand. Trotz des Verzichts auf den Glanz der Oberfläche wirken die Räume keineswegs »billig«. Einfach oder low tech, wie es Heide formuliert, trifft es tatsächlich ziemlich genau. Die Baukosten waren mit 2 150 Euro/m² tatsächlich sehr niedrig und senkten damit die Schwelle zum Eigentumserwerb deutlich. Aber bewirkt finanzielle auch ökologische Entlastung?

Geringere Wohnfläche effizient organisiert

Weniger Materialeinsatz, der auch mit einem schlanken Stahlbetonskelett und einer minimierten Stützenanzahl erreicht wurde, ist sicherlich ein wesentlicher Beitrag zur Ressourcenschonung, wenn auch nur schwer zu quantifizieren. Leichter zu bestimmen ist dagegen der Effekt, den die Größe der pro Kopf in Anspruch genommenen Wohnfläche auf den Ressourcenverbrauch hat. Eine Verringerung dieser Fläche ist tatsächlich einer der »Big Points« der Suffizienz im Haushalt, so das Freiburger Öko-Institut im Jahr 2013. In der Ritterstraße 50 sind im Verlauf der Planung 19 Wohnungen mit einer Größe von 80 bis 130 m² sowie ein kleineres Studio aus den zunächst drei Regelgrundrissen und einem optionalen Gemeinschaftsraum pro Etage entstanden, insgesamt 2 130 m² Wohnfläche für 62 Bewohner. Damit liegt die pro Kopf in Anspruch genommene Wohnfläche mit 34 m² ca. 20 % unter dem Berliner Durchschnitt – ein deutlicher Beitrag des Projekts zur dauerhaften Umweltentlastung und eine seltene Ausnahme vom immer noch anhaltenden Trend zu mehr Flächenverbrauch.

Eine der Voraussetzungen, um mit weniger Raum auszukommen – eine effiziente Nutzung der Wohnungen – ist hier im aufwendigen Planungsverfahren von Architekten und Nutzern gemeinsam erarbeitet worden. Dazu befragten die Architekten die zukünftigen Bewohner detailliert zu ihren Wohnbedürfnissen, diskutierten diese mit ihnen und entwickelten anschließend individuell maßgeschneiderte Grundrisse. Aufgrund der nicht-tragenden Innenwände können die Räume sich auch zukünftig wandelnden Lebensumständen anpassen und selbst Teilungen in zwei kleinere Apartments sind bei den Wohnungen auf der Nordseite möglich.

Temporär und gemeinsam genutzt

»Eine zweite Voraussetzung für ein Weniger an privater Wohnfläche wäre ein Mehr an gemeinsam genutzten Räumen«, führt Susanne Heiß, Architektin und selbst Bewohnerin, im Gespräch über das Gebäude aus. Anders als zunächst konzipiert, fielen zwar nach Diskussion in der Baugruppe die optionalen Gemeinschaftsräume auf den Etagen weg. Diese Flächen werden jedoch fast vollständig durch den 130 m² großen Gemeinschaftsraum im EG kompensiert, für den wiederum eine Wohnung aufgegeben wurde. Damit gibt es bei diesem Projekt deutlich mehr gemeinschaftlich genutzte Flächen als bei vergleichbaren Baugruppen, insgesamt ungefähr 20 m² pro Wohnung. Dazu zählt nicht nur der 70 cm breite, durchlaufende Umgang vor den Wohnungen, sondern auch eine Dachterrasse, Waschküche und Holzwerkstatt, der doppelgeschossige Raum im EG und nicht zuletzt der große Garten. »Das sei schon ein gewisser Luxus«, so Susanne Heiß weiter. V. a. die Kinder nutzen Umgang und Garten intensiv zum gemeinsamen Spielen und man könne sich leichter treffen, schneller seine Nachbarn besuchen. Außerdem wäre gerade der große Gemeinschaftsraum für verschiedene flexible Nutzungen gut geeignet – als temporäres Gästezimmer, zum gemeinsamen Kochen, Feiern oder Spielen. »Key Points« der Suffizienz nennt das Öko-Institut solche Änderungen des Lebensstils, die eine möglichst große gesellschaftliche Umgestaltung in Richtung Nachhaltigkeit anstoßen können. Einen Einstellungswandel hin zu mehr gemeinschaftlich genutzten Flächen kann die Baugruppe in der Ritterstraße 50 tatsächlich befördern, auch wenn längst nicht alle Ideen der Planer dahingehend aufgingen. So verzichten nur acht der zwanzig Eigentümer auf die Waschmaschine in der Wohnung und bevorzugen die gemeinsame Waschküche.

Vernetzung mit der Nachbarschaft

Auch in größerem Rahmen zeigt dieses Projekt Möglichkeiten, aber auch Grenzen gemeinsamer Nutzungen auf. So wird der Gemeinschaftsraum im EG neben den Bewohnern auch sozialen Initiativen zur Verfügung gestellt. Zweimal wöchentlich findet dort zurzeit eine Hausaufgabenhilfe statt. Das Gebäude leistet somit einen aktiven, kommunikativen Beitrag im Quartier. Der Garten, dessen Grenzen nur teilweise und auch nur weich durch Heckenpflanzungen markiert sind, soll den Nachbarn offen stehen und ist dennoch Teil des gemeinschaftlichen Raums der Baugruppe. Im Moment nutzen dieses Angebot v. a. Nachbarskinder zum Spielen und zwar so gut, dass die Kinder der Baugruppe sich schon beschwert haben, wie Susanne Heiß lachend anmerkt. Auch die Erdgeschosswohnungen wünschten sich mittlerweile ein wenig mehr Privatheit. Daher überlege man jetzt, den Freiraum durch Pflanzungen stärker in privatere und öffentlichere Flächen zu gliedern.

Auch städtebaulich ist Vernetzung das Freiraumthema. Die heterogene Bebauung der Umgebung – vom aufgelockerten Siedlungsbau der 50er Jahre bis hin zur Rekonstruktion des Berliner Blockrands in den späten 80er Jahren – wird über das neue Gebäude und den großen umgebenden Garten locker miteinander verknüpft. Einen Entlastungseffekt für die Umwelt bewirkt dabei die reduzierte Grundfläche des Gebäudes. Die Anlage einer großen Fahrradabstellfläche anstelle von Pkw-Stellplätzen ist dagegen ein fast schon selbstverständlicher Ausdruck eines bereits erfolgten Einstellungswandels.

Welche Maßnahmen suffizientes Bauen ermöglichen, wird bei R50 insgesamt sehr deutlich. Mit der intensiven Nutzerbeteiligung wurde eine optimierte, nutzerspezifische Grundrissplanung und ein großer Konsens über Gemeinschaftsnutzungen möglich. Dieser Umstand und die überdurchschnittlich großen Gemeinschaftsflächen ermöglichten hier tatsächlich geringere Wohnflächen ohne Qualitätseinbußen bei der Nutzung.

Andere Entscheidungen wie die für Eigentumswohnungen oder für die Ausführung des großen Gemeinschaftsraums außerhalb der energieeffizienten Gebäudehülle erscheinen in Hinblick auf Suffizienz ambivalent. Formen des gemeinschaftlichen Eigentums wie Genossenschaften oder das Modell des Mietshäuser-Syndikats wären vermutlich noch besser geeignet, um auch in Zukunft einen Konsens in der Hausgemeinschaft über umweltentlastende Veränderungen in Nutzung und Architektur zu finden. Das Genossenschaftsmodell wurde anfangs auch favorisiert, scheiterte jedoch an der zu geringen Größe des Projekts und der fehlenden öffentlichen Förderung. Und die weniger aufwendige Ausführung der Glasfassaden des Gemeinschaftsraums half zwar Baukosten zu sparen, erfordert jedoch ein dauerhaft diszipliniertes Heizverhalten, um nicht überdurchschnittlich viel Heizenergie zu verbrauchen. Bei allen Optimierungsmöglichkeiten ist das Baugruppenprojekt R50 dennoch ein sehr gutes Beispiel für einen nachhaltigeren Lebensstil und mehr Suffizienz in der Architektur.

db, Mo., 2015.06.01



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db 2015|06 Suffizienz

01. September 2014Carsten Sauerbrei
db

Hoch über den Gleisen

Für den Entwurf des städtebaulich hoch interessanten Gebäudeensembles »Am Lokdepot« in Berlin-Kreuzberg setzten die Architekten von ROBERTNEUN auf ein variantenreiches Spiel mit Balkonen, Loggien und Erkern. Doch leider werden nach diesem Planungsansatz nur sieben von 17 Gebäuden realisiert. Der Rest wird vereinfacht geplant.

Für den Entwurf des städtebaulich hoch interessanten Gebäudeensembles »Am Lokdepot« in Berlin-Kreuzberg setzten die Architekten von ROBERTNEUN auf ein variantenreiches Spiel mit Balkonen, Loggien und Erkern. Doch leider werden nach diesem Planungsansatz nur sieben von 17 Gebäuden realisiert. Der Rest wird vereinfacht geplant.

Für Liebhaber des etwas skurril anmutenden Hobbys, Züge zu beobachten und zu fotografieren, wären die Wohnungen in den auffallend roten, siebengeschossigen Häusern perfekt geeignet. Schließlich befinden sie sich direkt am Rand eines freie Sicht garantierenden, bis zu 7 m tiefen Geländeeinschnitts, der die in Nord-Süd-Richtung verlaufenden Berliner S- und Fernbahngleise aufnimmt und ihre Farbgebung ist eine Reminiszenz an die benachbarten Backsteinhallen des namensgebenden Lokdepots.

Im Jahr 2006, als das ortsansässige Büro ROBERTNEUN mit einer ersten Bebauungsstudie für das insgesamt 28 000 m² große, ehemalige Bahngrundstück beauftragt wurde, sollten hier zunächst Gewerbeflächen für Discounter o. ä. entstehen. Gebäude und Nutzungen also, die keinen konstruktiven Beitrag zum Wohnen und Leben in der Berliner Innenstadt geleistet hätten. Der Vorschlag, anstelle flacher Hallen bis zu sechs Wohngeschosse mit maximal 220 Wohnungen auf einem ein- bis zweistöckigen Gewerbesockel zu bauen und damit einen bisher fragmentarischen Blockrand auf 250 m Länge zu vervollständigen, erscheint heute fast selbstverständlich. Er musste aber mühsam gegen Widerstände in Nachbarschaft und Bauverwaltung durchgesetzt werden.

Weder sollte eine monotone Großform, noch eine individualisierte Bauausstellung entstehen, so Tom Friedrich, einer der Geschäftsführer von ROBERTNEUN, bei der Besichtigung der ersten drei, kürzlich fertiggestellten Gebäude. Daher und um vielfältige Wohnformen für individuelle Lebensentwürfe anbieten zu können, entwickelten er und sein Partner Nils Buschmann drei verschiedene Haustypen: »S«, »M« und »L«, auf Parzellenbreiten von 7, 14 und 21 m, die sich durch eine jeweils ganz eigene Verbindung zum Außenraum auszeichnen sollten. So besitzen Gebäude des langen L-Typs ein punktuell betontes Fassadenbild mit einzelnen, geschossweise versetzt angeordneten Balkonen. Der mittelbreite M-Typ ist horizontal strukturiert mit gebäudebreiten Loggien. Beim schmalen S-Typ dominiert durch einen geschossübergreifenden Glaserker dagegen die Vertikale. In abwechslungsreicher Reihung dieser Haustypen entstand schließlich der Entwurf einer städtebaulich vielfältigen und damit sehr interessanten Ensemblestruktur aus insgesamt 17 Einzelhäusern, die durch den gemeinsamen ziegelsteinverkleideten Sockel, der die Gewerbeflächen aufnimmt, optisch zusammengehalten wird.

Fabrikästhetik und Gewächshausathmosphäre

Das gute Zusammenspiel von individueller und gemeinsamer Gestaltung ist vor Ort dann auch deutlich wahrnehmbar. Zwei Gebäude des L-Typs fassen ein Haus des M-Typs ein. Alle stehen auf dem gemeinsamen, robust wirkenden Sockel und werden zudem über das matte Rot der Sichtbetonoberflächen und Fassadenfelder des L-Typs zusammengehalten. Einen belebenden Akzent setzt die feuerwehrrote Farbgestaltung des M-Typs, womit ebenfalls die eineinhalbgeschossigen Wohnräume des L-Typs, die sogenannten Gewächshäuser hervorgehoben werden. Das Bild dominieren jedoch die weit auskragenden Balkone des L-Typs, die reizvoll, aber auch etwas ungewohnt von Geschoss zu Geschoss verspringen. Das hat für die Bewohner zur Folge, dass sie nahezu uneingeschränkt nach allen Seiten den Ausblick genießen können, aber auch fast ungeschützt Wind und Wetter ausgesetzt sind. Der Befürchtung, die Nutzbarkeit könnte daher zu stark eingeschränkt sein, widersprechen sie jedoch auf Nachfrage. Sie schätzen das Gefühl der Weite und den unverbaubaren Ausblick, betonen sie und zur Not könne man ja auf den zweiten zur Wohnung gehörenden Balkon auf einer der anderen Gebäudeseiten ausweichen.

Tatsächlich besitzt fast jede der 52-162 m² großen Wohnungen zwei 3 m breite und 2,5 m tiefe Balkone. Einen vor eingeschossigen Wohnräumen auf der Ost- oder Nordseite und einen weiteren vor den eineinhalbgeschossigen Bereichen mit einer Höhe von rund 4,30 m auf der West- oder Südseite. Dank der resultierenden Split-Level-Anordnung sollte räumliche Vielfalt entstehen und durch größtmögliche Transparenz und die Öffnung der »Gewächshäuser «nach außen ein Innenraum, der fast wie ein Freibereich wirkt. Vor Ort muten die halbhohen Öffnungsflügel, die den Austritt auf den Balkon ermöglichen, jedoch als zu kleinteilig an, um dieses ehrgeizige Ziel tatsächlich zu erreichen.

Klarer und großzügiger erscheinen dagegen die anderen Fassadenelemente: Aluminiumfenster, Festverglasungen und aluminiumverkleidete Wandfelder, die modular in das mit durchgefärbten Ortbetonoberflächen versehene Rohbauskelett eingesetzt wurden. Als außenliegender Sonnenschutz dienen Raffstore, ebenfalls aus Aluminium. Die Balkone, die so stark das Erscheinungsbild des L-Typs prägen, scheinen auf den ersten Blick etwas grob detailliert zu sein. Sie sind jedoch – wie das gesamte Projekt – einer Ästhetik verpflichtet, die an die einstige industrielle Nutzung des Bahngeländes erinnert. Dazu passt die Ausführung mit Brüstungen aus Stahlblech bzw. Stabgitterrosten dann doch sehr gut. ›

Loftloggien und Glaserker

Auch der mittelbreite M-Typ, mit seinen loftartigen Wohnflächen und der Verwendung von Stahl bzw. Aluminium für Fenster, Loggien und das Fluchttreppenhaus, ist einer industriell anmutenden Ästhetik verpflichtet. Im Gegensatz zum L-Typ ist er horizontal gegliedert, auf beiden Hausseiten mit 14 m langen, gebäudebreiten Loggien vor den 160 m² großen Wohnräumen. Auch hier sahen die Architekten eine enge Beziehung zwischen Innen und Außen vor. Vier der insgesamt acht raumhohen Glasfelder der Fassade lassen sich aufschieben, sodass die Loggia zum erweiterten Innenraum wird. Beeinträchtigt wird diese Verbindung durch eine ca. 5 cm hohe Schwelle im Übergang. Leider wurde auf eine barrierefreie Gestaltung verzichtet, die sich bei den auf einem Geschoss liegenden Wohnungen und der Erreichbarkeit per Aufzug angeboten hätte. Kinderlachen von einer der Loggien deutet jedoch darauf hin, dass sie sich trotz der kleinen Einschränkungen scheinbar auch gut als Spielzimmer im Freien eignen.

Weniger für Familien mit Kindern, eher für Alleinlebende oder Paare ohne Kinder ist dagegen der schmale S-Typ geeignet, dessen Erscheinungsbild der alle Geschosse verbindende Glaserker prägt. Sechs 86 m² große Wohnungen – eine pro Etage – sind gerade im Bau. Um das bei diesem Typ ohnehin ungünstige Verhältnis zwischen Erschließungs- und Nutzfläche nicht noch weiter zu verschlechtern, entschieden sich die Architekten für ein vollwertiges Erkerzimmer anstelle eines Balkons auf der Westseite und haben einen solchen nur auf der Ostseite vorgesehen. Städtebaulich wirkt die dadurch entstehende Vertikale sehr belebend. Der Verzicht auf einen echten privaten Außenraum auf dieser Gebäudeseite erscheint dennoch etwas schade.

Vielfalt versus Wirtschaftlichkeit?

So städtebaulich reizvoll sich der vielfältige Einsatz von Balkonen, Loggien und Erkern bei den bisher realisierten Gebäuden auch zeigt, gebaut werden leider nur insgesamt sieben Häuser nach dem ursprünglichen Entwurf und unter der Leitung von ROBERTNEUN. Nur noch ein weiteres Haus wird als leicht veränderter S-Typ mit Balkonen statt Erkern entstehen und der M-Typ nur noch dreimal. Die übrigen Gebäude werden vom Bauherrn, der Berliner UTB, in Zusammenarbeit mit einem Generalplaner als L-Typ unter teilweisem Verzicht auf Gewächshäuser und Split-Level realisiert. Über die Gründe dafür lassen sich leider nur Mutmaßungen anstellen. Erschwert das nicht-barrierefreie Split-Level-Konzept des L-Typs den Verkauf? Ist das Verhältnis von Erschließungsfläche zu Wohnraum beim S-Typ zu ungünstig? War der Brandschutz für das außenliegende Treppenhaus des M-Typs zu aufwendig? Oder sind es schlicht Kostengründe, die zur Vereinfachung der ursprünglichen Planung führten?

Bedauerlicherweise wird das Ensemble dadurch deutlich an städtebaulichem und architektonischem Reiz verlieren, der gerade in der variantenreichen Verknüpfung von Innen und Außen besteht. Immerhin sollen jedoch andere hochwertige Gestaltungsmerkmale wie die Farbgebung, der durchlaufende Sockel und die Sichtbetonoberflächen erhalten bleiben. Hohe Architektur- und Wohnqualität auch in der Zukunft verspricht darüber hinaus auch der direkte Zugang zu den Parks rund um das Gleisdreieck (s. db 03/12, S. 24 und db 04/14, S. 32), für die das Berliner Atelier Loidl verantwortlich zeichnet und deren Formensprache bei den Freiräumen des Ensembles fortgeführt wird.

db, Mo., 2014.09.01



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db 2014|09 Balkone und Loggien

19. November 2012Carsten Sauerbrei
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Grossmassstäbliche Wohnwertsteigerung

Energieeinsparung, Kosteneffizienz und Gestaltungsqualität müssen keine Gegensätze sein. Das zeigt beispielhaft die behutsame Erneuerung des Märkischen Viertels mit seinen rund 17 000, im Norden Berlins gelegenen Wohnungen. Jahrelang als Ghetto verpönt, entwickelt sich die Siedlung, die zu 90 % aus Hochhäusern besteht, nun mit jedem neuen Sanierungsabschnitt weiter in ein optisch ansprechenderes Quartier. Dass die energetische Sanierung dabei nur mit WDVS geschehen kann, verwundert angesichts der Dimensionen kaum.

Energieeinsparung, Kosteneffizienz und Gestaltungsqualität müssen keine Gegensätze sein. Das zeigt beispielhaft die behutsame Erneuerung des Märkischen Viertels mit seinen rund 17 000, im Norden Berlins gelegenen Wohnungen. Jahrelang als Ghetto verpönt, entwickelt sich die Siedlung, die zu 90 % aus Hochhäusern besteht, nun mit jedem neuen Sanierungsabschnitt weiter in ein optisch ansprechenderes Quartier. Dass die energetische Sanierung dabei nur mit WDVS geschehen kann, verwundert angesichts der Dimensionen kaum.

Das Image des Märkischen Viertels war lange denkbar schlecht. Errichtet als eine von drei West-Berliner Großwohnsiedlungen zwischen 1963 und 1974 nach dem städtebaulichen Konzept von Werner Düttmann, Hans C. Müller und Georg Heinrichs, offenbarte sich schon kurz nach Fertigstellung der rund 17 000 Wohnungen ein Mangel an sozialer Infrastruktur, der bis Ende der 70er Jahre behoben wurde. Mitte der 80er Jahre begannen erste Umgestaltungen und Sanierungen von Einzelgebäuden. 2006 entschied sich schließlich die kommunale Gesobau als Haupteigentümerin, die Grundsanierung ihrer 15 000 Wohnungen und deren energetische Modernisierung miteinander zu verknüpfen, um den großen baukonstruktiven und technischen Mängeln, den steigenden Instandhaltungs- und Betriebskosten und dem daraus resultierenden Wegzug von Mietern wirksam entgegenzutreten. Allerdings sei »kein Leuchtturmprojekt unter Umsetzung aller denkbaren technischen Maßnahmen vorgesehen, sondern ein wirtschaftlicher Umbau verbunden mit einem hohen Gestaltungsanspruch«, erläutert Jochen Kellermann, Projektleiter der Gesobau.

Warmmietenneutral

Innerhalb von acht Jahren, bis 2015, wird die Gesobau in die Erneuerung von 13 000 Wohnungen insgesamt 480 Mio. Euro investieren, die sie bis auf Tilgungszuschüsse aus KfW-Förderprogrammen selbst finanziert. Die energetische Modernisierung sieht als wichtigste Maßnahmen die Dämmung der Gebäudeoberflächen mit WDVS der Wärmeleitgruppe 035 in einer Dicke von 80 bis 140 mm, den Einbau doppelt verglaster Isolierglas-Kunststofffenster und die Umstellung der Heizungsanlagen auf ein energieeffizientes Zweirohrsystem vor. Der Endenergieverbrauch soll damit von durchschnittlich 174 kWh/m²a auf 70 bis 80 kWh/m²a sinken, die Höchstwerte der Energieeinsparverordnung 2007 um mindestens 30 % unterschritten werden. Alternativen zur viel diskutierten Dämmung der Gebäudeoberflächen mit WDVS, die rund 50 % der gewünschten Energieeinsparung erbringen soll, wurden geprüft, aber entweder als zu teuer verworfen, so z. B. Plattenbekleidungen, oder von Anfang an wegen bauphysikalischer Nachteile ausgeschlossen, wie etwa eine Innendämmung. Als Dämmmaterial werden nun Mineralwolle und expandiertes Polystyrol verwendet. Ersteres kommt überall dort zum Einsatz, wo es gilt, einer möglichen, höheren Brandgefahr durch Polystyrol entgegenzuwirken – also zum einen für alle Hochhäuser, die im Märkischen Viertel 90 % des Gebäudebestands ausmachen, und zum anderen als Brandriegel über jedem zweiten Geschoss bei allen übrigen Gebäuden. Da die Außenwände aus den unterschiedlichen Materialien und Konstruktionen bestanden, musste für das WDVS teilweise sogar eine Zulassung im Einzelfall eingeholt werden.

Mit dem Einbau von funkablesbaren Heizkostenverteilern wird erstmals eine individuelle Abrechnung und Kontrolle des Verbrauchs möglich, die den Mietern das Energiesparen erleichtern wird. Denn nur so sei laut Kellermann das Ziel einer insgesamt warmmietenneutralen Sanierung zu erreichen. Durch die angestrebte Halbierung der warmen Betriebskosten soll die Gesamtmiete im Durchschnitt um nicht mehr als 4 % steigen, wodurch auch für sozial schwächere Bewohner die Mietbelastung moderat bleibt. Mit einer umfassenderen Sanierung leer stehender Wohnungen sollen zudem zahlungskräftigere Neumieter angesprochen werden. Darüber hinaus werden mit der Modernisierung strukturelle Gebäudemängel beseitigt, so die Eingangsbereiche für eine bessere Orientierung neu gestaltet und rund 1 000 Wohnungen für ältere Mieter »barrierearm« umgebaut. Nach der Sanierung der Hälfte der Wohnungen bestätigen die ersten Ergebnisse den Erfolg des Gesamtkonzepts: Die Einsparziele werden laut Bauherr erreicht und sogar übertroffen und Zeit- und Kostenplan eingehalten, der Leerstand sinkt. Und auch den Anspruch einer qualitätsvollen Neugestaltung können die bisher fertiggestellten Bauten weitgehend einlösen.

Übergreifendes Farbkonzept

Eigene Akzente konnten die für jede Gebäudegruppe, die sogenannte Wohnhausgruppe (WHG) einzeln beauftragten Architekten v. a. durch eine neue Farbgestaltung und den Umbau der Eingangsbereiche setzen. Für ein stimmiges Gesamtbild entwickelten die Gesobau und der Farbdesigner Markus Schlegel von der Hochschule für Gestaltung in Hildesheim einen gebäudeübergreifenden Masterplan, der auf Grundlage der ursprünglichen, kontrastreichen Farbgestaltung des Künstlers Utz Kampmann eine Auswahl an möglichen, neuen Farbtönen für jedes Bauteil definiert. Die Basis bilden dabei Weißtöne, die durch Akzentfarben ergänzt werden.

Diesen Gestaltungsspielraum nutzten Dahm Architekten + Ingenieure bei der für das Pilotprojekt ausgewählten, einst von Oswald Mathias Ungers entworfenen Wohnhausgruppe 908, um an der Fassade neue belebende, lindgrüne Akzente zu setzen. Geprägt werden die Baukörper damals wie heute durch die weißen Wohn-/Treppenhaustürme und die jeweils dazwischen liegenden, früher dunkelblau, heute grau abgesetzten Balkonzonen. Eine bessere Orientierung ermöglichen die großflächig verglasten, neuen Eingangspavillons, die mit ihrer Bekleidung durch Schichtstoffplatten überdies einen sehr angenehmen Material- und Farbkontrast zu Fassade und Fenstern bewirken.

Weniger gelungen erscheint dagegen die Neugestaltung der von Herbert Stranz entworfenen Wohnhausgruppe 905 durch SPP Property-Projekt-Consult. Der einst kräftige Kontrast zwischen weißen Wandflächen und dunkelblauen Fensterbändern blieb zwar weitgehend erhalten, wurde jedoch durch die Verwendung von Hellblau für einen Gebäudeteil verunklart. Mit Ausnahme der heute angenehm hellblau abgesetzten Balkone und der leider allzu plakativ roten, neuen Hauseingänge nutzten die Planer zu wenig neue Farben, um Akzente zu setzen und die Baukörper so zu beleben.

Betont farbig gegliedert zeigen sich dagegen die von Hans C. Müller und Georg Heinrichs errichteten und durch Stefan Ludes Architekten und SPP Property-Projekt-Consult sanierten Wohnhausgruppen 911, 912 und 922. Der ursprünglich starke Farbkontrast zwischen den weißen Wohnscheiben und den Erschließungs- bzw. Wohntürmen in Blau-, Gelb- und Rottönen wurde durch die Neugestaltung in gedeckteren Farbtönen wohltuend abgemildert. Unnötige Unruhe in das ohnehin stark bewegte Fassadenbild der vertikalen Bauteile bringen jedoch die zwischen den blauen Fensterbändern liegenden, heute im Gegensatz zu früher nicht mehr blau, sondern grau abgesetzten Fassadenflächen. Die neuen Hauseingänge, transparente bzw. farbig hinterlegte Glaswände in Stahlrahmen, präsentieren sich dagegen sehr gelungen.

Nochmal getoppt

Bei dem von René Gagès und Volker Theißen errichteten und ebenfalls von Dahm Architekten + Ingenieure sanierten Wohnhausgruppe 907, dem sogenannten langen Jammer, gelingt die Verknüpfung von Farbgestaltung, Energieeinsparung und pragmatischen Umgang mit dem Bestand beispielhaft. Aufgrund des kompakten Baukörpers und eines höheren Modernisierungsstandards, der durch den Erhalt der 80er-Jahre-Eingangspavillons des Gebäudes möglich wurde, konnte hier der Endenergieverbrauch sogar um 75 % auf 48 kWh/m²a gesenkt werden. Dabei wurde im Vergleich zu anderen Wohnhausgruppen stärker gedämmt, wurden dreifach verglaste Fenster eingesetzt und wird die Wärme aus der Abluft von Bädern und Küchen zurückgewonnen.

Außerdem wurde in die vorhandenen Eingangspavillons eine zusätzliche Tür eingebaut, um echte Windfänge herzustellen und damit eine klare thermische Trennung zu erreichen. Mit der Neugestaltung erhielten die Treppenhaustürme ihre zwischenzeitlich verschwundenen Farbbänder zurück, jedoch nicht mehr in konstrastreichem Blau und Rot, sondern ebenso attraktiv in Grau-, Gelb- und Rottönen, die erstmals, gemeinsam mit weiteren roten Farbakzenten auch die Rückseite des Gebäudes beleben.

In der Sanierung befinden sich zurzeit zwei weitere Wohnhausgruppen, die den überwiegend positiven Gesamteindruck noch verstärken. Kosteneffizienz, große Energieeinsparungen und hohe Gestaltungsqualität miteinander zu verbinden, gelingt im Märkischen Viertel ganz überwiegend. Voraussetzungen dafür sind jedoch ein ohnehin vorhandener, hoher Sanierungsbedarf, klar strukturierte Baukörper und Oberflächen, die den Einsatz von WDVS ohne großen Verlust an Gestaltungsqualität ermöglichen, und Bauherren sowie Planer, die energetische Sanierung als reizvolle Gestaltungsaufgabe begreifen.

db, Mo., 2012.11.19



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db 2012|11 Energetisch sanieren …

29. Februar 2012Carsten Sauerbrei
db

Grün statt Gleis

Ein »Park neuen Typs« sollte mit dem kürzlich eröffneten, ersten Teil des Berliner »Parks am Gleisdreieck« entstehen. Auch wenn seine Gestaltung als inszenierter Kontrast zwischen Weite und Dichte, historischen Spuren und zeitgenössischem Design nicht gänzlich neu ist, fügen sich diese Gegensätze hier doch außergewöhnlich gut zu einem abwechslungsreichen und dennoch harmonischen Landschaftsbild zusammen.

Ein »Park neuen Typs« sollte mit dem kürzlich eröffneten, ersten Teil des Berliner »Parks am Gleisdreieck« entstehen. Auch wenn seine Gestaltung als inszenierter Kontrast zwischen Weite und Dichte, historischen Spuren und zeitgenössischem Design nicht gänzlich neu ist, fügen sich diese Gegensätze hier doch außergewöhnlich gut zu einem abwechslungsreichen und dennoch harmonischen Landschaftsbild zusammen.

Wo früher Eisenbahnzüge zur Versorgung der Reichshauptstadt rollten, wird heute Fahrrad gefahren, spazieren gegangen und geskatet. Im September 2011 wurde in der Berliner Innenstadt der 18 ha große Ostteil des »Parks am Gleisdreieck« eröffnet. Der genauso große Westteil soll im kommenden Jahr fertiggestellt werden. Die einst unzugängliche Gleisinsel wird damit öffentlich, dennoch prägen bis heute der Hochbahnhof Gleisdreieck und die ICE-Trasse mit Tunneleinfahrt das Bild des Geländes. Hier sollte nach den städtebaulichen Planungen des 19. Jahrhunderts ein zentraler Schmuckplatz des »Generalzugs«, der markanten Ost-West-Straßenverbindung entstehen. Stattdessen wurde das Gelände zunächst Teil des Berliner Eisenbahnnetzes. Nach dem Zweiten Weltkrieg und der Einstellung des Bahnverkehrs an dieser Stelle breitete sich über Jahrzehnte urbane Wildnis aus. In den 60er Jahren wurde dort die Westtangente als Teil der Berliner Stadtautobahn geplant, später, nach Bürgerprotesten, eine Grüntangente als Nord-Süd-Verbindung von Tiergarten und Stadtrand. Nach der Wiedervereinigung nutzte zunächst die Baulogistik der Bauvorhaben am Potsdamer und Leipziger Platz das Gelände. Und schließlich standen 24 Mio. Euro aus Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen aus diesen Bauprojekten für Grunderwerb, Planung und Bau eines neuen Parks zur Verfügung.

Grundlage für den 2005 durchgeführten, zweistufigen, landschaftsplanerischen Wettbewerb waren umfangreiche Bürgerbefragungen. Die Anwohner der umliegenden, stark verdichteten Altbauquartiere wünschten sich attraktive Freiräume mit vielfältigen Nutzungsangeboten. Gleichzeitig sollten die wertvollen Spuren der Eisenbahngeschichte und die geschützten Biotopflächen erhalten bleiben sowie darüber hinaus der Park mit neuen Nord-Süd- und Ost-West-Verbindungen an das umgebende Stadtgebiet angebunden werden. Außerdem sollte ein Bürgerpark mit Flächen für eine selbstständige Nutzung durch die Anwohner entstehen. Die z. T. sehr divergierenden Wünsche – Ruhe und Erholung, Sport und Aktivität – hatten eines der wichtigsten Wettbewerbsziele zur Folge – den Entwurf eines Parks mit einem klaren Gestaltungsrahmen, der Orientierung bietet und dennoch vielfältige Nutzungsmöglichkeiten offen hält.

Dichter Rahmen und »grüne Pause«

Die Wettbewerbsgewinner vom Berliner Atelier LOIDL erreichen dieses Ziel, indem sie das Gelände klar in Dichte und Weite, intensiv genutzte und ruhige Bereiche gliedern. Baumbestandene Promenaden als Rahmen laden zum Flanieren und Verweilen ein und nehmen außerdem die verschiedenen »Aktionsflächen« auf – anwohnernah im Osten Kinderspielplätze, Naturerfahrungsraum und interkulturelle Gemeinschaftsgärten; abgeschieden im Westen das Sportgleis mit Skatepark, Ballfeldern und Radfahrfernweg. Das Parkinnere bilden ein Wäldchen, geheimnisvolle Wildnis aus Spontanvegetation, und die »Kreuzberger Wiese« als großzügige Lichtung, die »grüne Pause«. Kontrastreich wechseln sich auch die verschiedenen Vegetationsflächen ab – intensiv genutzter Rasen in den Randbereichen der Lichtung, extensive Salbeiwiese im Innern, Schotterflächen mit Trockenvegetation entlang der Bahntrasse.

Nach eigener Aussage räumt das Atelier LOIDL »dem Neuen mehr Wichtigkeit« ein »als der Eisenbahngeschichte oder dem Naturmythos«. Trotzdem sind es die erhaltenen Zeugnisse der Vergangenheit, Prellböcke, Gleiswaagen, Laderampen, Kopfsteinpflasterbeläge, Stellwerke, Spontanvegetation, die dem Park seinen eigenen, individuellen Charakter geben. Zur Bahngeschichte gehören auch die denkmalgeschützten Brücken am Südende des Parks, die Yorkbrücken, die zukünftig zum sich anschließenden Erweiterungsteil, dem »Flaschenhals«, führen sollen.

Dort kann man gut erkennen, dass der Park auf einem ca. 5 m hohen, einst aufgeschütteten Plateau liegt. Die hier verlaufende, das Plateau durchschneidende Yorkstraße ist am Parkeingang zu einem kleinen Platz aufgeweitet worden. Auch für den Eingang zum Flaschenhals ist diese wohltuende Weitung des engen Straßenraums geplant. Die Zukunft der Brücken und damit der niveaugleichen Verbindung der beiden Parkteile ist dagegen leider noch ungeklärt.

Sie gehören der Deutschen Bahn, die bisher kein Geld für eine Sanierung zur Verfügung stellen will.

Park der zwei Geschwindigkeiten

Erschlossen wird der Park mit einem System von geradlinig verlaufenden Wegen unterschiedlicher Materialien und Nutzungscharakteristik. Blass-rot gefärbte, großformatige Betonplatten umlaufen die weite »Rasenfreiheit«, höhengleich mit dem Rasen oder als Sitzkante ausgebildet. An besonderen Stellen weiten sie sich zu Terrassen aus geschliffenem, roten Gussasphalt.

Einen zweiten großen Rahmen, der die unterschiedlichen Parkteile zusammenbindet, bilden die bis zu 6 m breiten Ortbetonwege mit ihrer von der Schalung gezeichneten, hellen Oberfläche als Hauptwegeverbindungen in Ost-West- bzw. Nord-Süd-Richtung.

Ergänzt wird dieses Hauptwegesystem durch 3 m breite Asphaltwege für die direkte, schnelle Querung und sportliche Nutzung des Parkraums. Ein »Park der zwei Geschwindigkeiten« sollte so entstehen. Durch die verschiedenen Materialien und Oberflächen ist tatsächlich ein an sinnlichen Erfahrungsmöglichkeiten reiches Wegesystem entstanden, auf dem man sich als Besucher sinnvoll und klar geleitet fühlt. Die verschiedenen Fortbewegungsarten und -geschwindigkeiten finden in der Regel genug Platz. Nur an einigen wenigen Stellen brechen die Wege ab und zwingen zu Umwegen. Gelegenheit zum Ausruhen bieten die Sitzkanten entlang der Wiesen, einzeln stehende Betonbänke und die bis zu 80 m langen Bankskulpturen aus Accoya-Schichtholz. Robust und einfach, aber dennoch einladend wirken diese. Für nächtliche Beleuchtung sorgen die linear entlang der Hauptwege angeordneten, abknickenden Lichtmasten, die ebenfalls vom Atelier LOIDL gestaltet wurden. Die robuste und dennoch abwechslungsreiche Gestaltung ist die Stärke dieses Parks, die auch den hohen Besucherzahlen seit Eröffnung standhielt. Intensiv diskutiert wurde seither über Probleme mit Müll und Graffiti. Zurückzuführen sind diese jedoch mehr auf die hohen Nutzerzahlen und damit die Beliebtheit, denn auf Verwahrlosung.

Auch Nutzungskonflikte sind bisher weitgehend ausgeblieben. Ob das auch in der kommenden Saison, der ersten kompletten, so bleibt, ist abzuwarten – Hundeauslauf- oder Grillplätze z. B. sind nicht vorgesehen. Und spätestens 2013 wird es eng am schmalen Übergang zum Westteil, wenn sich alle Besucher – Spaziergänger, Skater und die Benutzer des Fernradwegs – diesen teilen müssen.

Ausgerechnet die Brücke in Verlängerung des »Generalzugs«, die die verschiedenen Stadtgebiete zusammenführen und beide Parkteile direkt verbinden sollte, ist den Sparzwängen zum Opfer gefallen. Dennoch ist schon heute aus der vormals einsamen, eine belebte und beliebte grüne Insel geworden, die urbane Wildnis und gebaute Natur, zeitgenössische Gestaltung und historische Spuren, Dichte und Weite gelungen und anregend miteinander verbindet.

db, Mi., 2012.02.29



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db 2012|03 Freiräume

11. Mai 2010Carsten Sauerbrei
db

Transparent Tagen

Das Café Moskau, ein herausragendes Beispiel der DDR-Moderne, wurde zum Veranstaltungszentrum umgebaut. Dabei stellten die Architekten die ursprünglichen Sichtbeziehungen und die Materialästhetik des Gebäudes wieder her. Mit einer Strategie des behutsamen Weiterbauens fanden sie vielfach, aber nicht überall überzeugende Lösungen für die neuen Anforderungen.

Das Café Moskau, ein herausragendes Beispiel der DDR-Moderne, wurde zum Veranstaltungszentrum umgebaut. Dabei stellten die Architekten die ursprünglichen Sichtbeziehungen und die Materialästhetik des Gebäudes wieder her. Mit einer Strategie des behutsamen Weiterbauens fanden sie vielfach, aber nicht überall überzeugende Lösungen für die neuen Anforderungen.

Laut tost der Verkehr auf der vielbefahrenen Berliner Karl-Marx-Allee am sanierten Café Moskau vorbei. Der Architekt Josef Kaiser errichtete es 1960–64 an der Vorzeige- und Paradestraße der DDR. Es bildet zusammen mit den gegenüberliegenden Gebäuden des Kino International, der einstigen Mokka-Milch-Eisbar und dem Neubau des Rathauses Berlin-Mitte – einer Referenz an das Hotel Berolina von 1963 – ein spannungsreiches städtebauliches Ensemble. Dies ist das Kernstück des zweiten Bauabschnitts der Straße, die als Stalinallee eher mit dem DDR-Neoklassizismus der 50er Jahre in Verbindung gebracht wird.

Die Kultur sollte hier zeigen, wie gut es sich im Sozialismus leben lässt: Filmpremieren im Kino International, sowjetische Kochkunst im Café Moskau. Im Gebäude befanden sich neben dem großen Restaurant eine Wein- und Teestube sowie ein Konzertcafé und eine Nachtbar. Letztere blieb auch in Betrieb, als das Haus in den 90er Jahren zum Technoclub und Ziel der Berliner Musikszene wurde. Das neue Nutzungskonzept sieht vor, die Räume in Zukunft für Veranstaltungen zu vermieten – Tanzen und Speisen nicht ausgeschlossen.

Zurück zu den Sechzigern

Das zweigeschossige Café Moskau wirkt transparent mit der umlaufenden Glasfassade im OG. Das EG allerdings präsentiert sich von außen eher verschlossen, wenngleich große Glasfenster die Wandfelder regelmäßig durchbrechen. Nach dem Betreten des Gebäudes hingegen eröffnet sich dem Besucher ein weites Blickfeld vom Eingangsfoyer über das zentrale Atrium bis hin zum rückwärtigen Außenbereich, dem Rosengarten. Diese vielfältigen Sichtbeziehungen und die durchdachte Materialästhetik von 1964 – ein Zusammenspiel von hellen Holzdecken, rotem Marmor, grauem Schiefer, Buntsteinputz und matt schimmernden Aluminiumprofilen – wiederherzustellen, war eines der Ziele des Umbaus durch das Berliner Büro Hoyer Schindele Hirschmüller (HSH). Wurden doch beim letzten Umbau 1981-83 Glaswände mit dunklem Holz verkleidet, großzügige Räume durch eine Vielzahl von Einbauten geteilt und die Leichtigkeit der 60er Jahre durch eine schwere, dunkle Innenausstattung aufgehoben. Dennoch stellten die Denkmalpfleger das Gebäude mitsamt den Einbauten nach 1989 unter Schutz. Sie stimmten der Entscheidung, diese Schicht des Gebäudes bis auf wenige Reste aufzugeben, nur unter der Bedingung zu, dass dafür die ursprüngliche Architektursprache soweit wie möglich wiederhergestellt würde. Die Architekten entfernten dazu zunächst diverse Einbauten und befreiten die Oberflächen von Übermalungen. Die ursprünglichen Materialien lassen sich heute wieder erleben. Einzelne Wandverkleidungen und Motive der 80er Jahre wurden an Ort und Stelle erhalten oder an anderer Stelle in neue Räume eingebaut. Mit dem Umbau konnten die Architekten das Raumerlebnis z. T. sogar noch steigern: Die Heizkörper, die ehemals vor der raumhohen Verglasung den Blick störten, ersetzten sie durch Bodenkonvektoren. Flexibel veranstalten

Das zweite, wichtige Ziel des Umbaus war es, möglichst viele, flexibel nutzbare Veranstaltungsflächen zu erhalten. Dafür reduzierten die Architekten den Anteil der Nebenräume entscheidend – für die zukünftige, temporäre Nutzung reicht z. B. eine Vorbereitungsküche aus. Mit neuem, zusätzlichem Eingang und Foyer an der Westseite bekam das Gebäude außerdem eine zweite, unabhängige Erschließung. Der Betreiber erhält mit dieser Maßnahme, den zusätzlichen Sanitärräumen und mehrfach teilbaren Veranstaltungsflächen, große Flexibilität in der Nutzung des Gebäudes. Durch eine der Umbaumaßnahmen ist jedoch der große Saal im EG in seiner Raumqualität deutlich gemindert worden. Um einen größeren, ungeteilten Innenraum zu erhalten, wurde die ursprüngliche, mittlere Stützenreihe entfernt. Zwei neue Reihen entlang der Längsseiten des Raums nehmen jetzt die Deckenlast auf. Der Blick durch die großen Glasfenster wird dadurch beeinträchtigt; der Raum vor den Fenstern wirkt beengt.

An vielen anderen Stellen gelang dagegen die Verbindung von Alt und Neu. So reflektiert die anthrazitfarbene Glaswand, die den neuen Eingang markiert, die historische Fassade des Café Moskau und setzt damit das schon 1964 angelegte Verwirrspiel mit Durchsichten und Spiegelungen fort. Ihre minimalistische Ästhetik – Profile fehlen außen völlig, lediglich Türgriffe unterbrechen die Glasfläche – zeigt außerdem deutlich die eigene, zeitgenössische Handschrift der Architekten. Tagsüber tritt die Wand zurück, nachts wird sie zum Leuchtzeichen und in Zukunft mit Hilfe einer LED-Wand zur bewegten Antwort auf das realsozialistische Mosaik an der Ostseite. Hinter der Glaswand weitet sich der Raum. Dort befindet sich das neue Treppenhaus. Die Architekten nehmen auch hier Motive des alten Gebäudes auf – die Oberlichter als Referenz an den ehemaligen Wirtschaftshof zum Beispiel – und finden ihren eigenen Materialausdruck: Helles Parkett für die Treppen, ein dunkler Magnesitestrich für die anderen Laufflächen, Glas und Edelstahl für Geländer und Brüstungen. Die Suche nach der zurückgenommenen Ästhetik des Eingangs bleibt an dieser Stelle jedoch vergebens.

Alte Fassung, neue Technik

Subtiler und gelungener ergänzen HSH Architekten die alte Fassade durch notwendige neue Öffnungen wie Lüftungsflügel oder Fluchttüren. Als Fassung dieser Elemente wählten sie schwarze Profile, ähnlich denen, die bereits 1964 verwendet worden waren, um die großen Glasflächen zu teilen. Damit fügen sich die neuen Bauteile wie selbstverständlich in die alte Fassade ein und beleben sie zusätzlich. Auch der neue Windfang am alten Eingang ist dafür ein überzeugendes Beispiel. Um eine bessere Wärmedämmung und einen besseren Sonnenschutz zu erreichen, wurde außerdem Isolier- und Sonnenschutzglas in die alten Profile eingesetzt. Da deren Anteil an der Fassadenfläche nur rund zehn Prozent beträgt, konnten gute Wärmewerte erreicht werden.

Die Architekten überzeugen mit ihrer Strategie des Weiterbauens jedoch nicht überall. Die neuen Decken in den großen Veranstaltungsräumen wurden als Referenz an die ursprüngliche Gestaltung als Holzdecken aus Esche entworfen. Damit sollte der alte Raumeindruck wiederentstehen. Im Gegensatz zur homogenen Oberfläche von 1964 ist die Decke heute aber durch eine Vielzahl von Technikelementen perforiert. Der historische Raumeindruck kann sich so nicht einstellen, ein neuer, eigenständiger nur schwer. In diesem Punkt verharrt die Architektursprache in einer unentschiedenen Haltung dem Bestand gegenüber. Das zeigt auch die Verwendung der gleichen Decke im 1964 noch nicht bestehenden, neuen Veranstaltungsraum. Von diesem fällt der Blick auf den Rosengarten, dem im Vergleich zum Atrium kleineren der beiden Freiräume. Die Rosen werden sich sicher noch entwickeln; derzeit lockert lediglich eine ebenerdige Wasserfläche den Bereich auf. Hier, wie auch beim Atrium und den Flächen um das Gebäude herum, lassen sich kaum Gestaltungsabsichten erkennen. Dennoch wird beim Blick auf die andere Seite der Karl-Marx-Allee deutlich, dass es das Café Moskau mit seiner behutsamen Sanierung und der ganz überwiegend gelungenen Neugestaltung gegenüber seiner Nachbarn wirklich sehr gut getroffen hat.

db, Di., 2010.05.11



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db 2010|05 Umnutzung

Presseschau 12

04. Juli 2017Carsten Sauerbrei
db

Weimar, Finsterwalde, Berlin

Lukas Bartke und Clemens Habermann begannen die Arbeit an ihrem Erstlingswerk noch während ihres Studiums. Konzeptionelle Strenge, hoher persönlicher Einsatz und intensive Überzeugungsarbeit ließen es schließlich Realität werden. Dem bestehenden Backsteinhaus nebenan steht nun ein ebenso starkes wie feines Gebäude zur Seite, das innen wie außen Atmosphäre schafft.

Lukas Bartke und Clemens Habermann begannen die Arbeit an ihrem Erstlingswerk noch während ihres Studiums. Konzeptionelle Strenge, hoher persönlicher Einsatz und intensive Überzeugungsarbeit ließen es schließlich Realität werden. Dem bestehenden Backsteinhaus nebenan steht nun ein ebenso starkes wie feines Gebäude zur Seite, das innen wie außen Atmosphäre schafft.

Die gemeinsame Reise zum Erstlingswerk der beiden jungen Architekten ­Clemens Habermann und Lukas Bartke beginnt Ende Mai in Berlin. Dort ­leben sie mittlerweile die meiste Zeit und setzen ihre gemeinsame Arbeit fort, die bereits 2012 mit ihrem Kennenlernen an der Bauhaus-Universität in ­Weimar begann. »Nach zehn Jahren in Weimar war es Zeit für einen Tapetenwechsel. Außerdem sind wir in einer Stunde in Finsterwalde, wo gerade unser neues Projekt, der Neubau der Stadthalle startet«, so begründet Habermann die Entscheidung für Berlin als Arbeitsort.

Als projektbasierte Zusammenarbeit bezeichnet Lukas Bartke ihre, ganz ­eigene Art der Kooperation. Sie hätten dabei den Status freier Mitarbeiter im ­Architekturbüro von Clemens’ Vater, Jürgen Habermann, und nutzten dessen langjährige Erfahrungen und Ressourcen wie auch die Ingenieurleistungen, die das Büro anbietet. Nach ihren Studienabschlüssen im Herbst 2014 und Frühling 2015 hätten sie ja auch noch gar kein eigenes Büro gründen können, fügt er lächelnd hinzu.

Stringenz und Kommunikation

Es war sicherlich eine glückliche Fügung, dass nahezu gleichzeitig mit ihrem Zusammentreffen im Weimarer Entwurfsseminar des deutsch-argentinischen Architekten José Gutierrez Marquez das Architekturbüro von Jürgen Habermann ob seiner Größe als lokaler Vertreter zum Gutachterverfahren für ein neues Gemeindehaus der Evangelischen Kirchengemeinde im südbrandenburgischen Finsterwalde eingeladen wurde. Als Clemens bei seinem Vater nach einer Tätigkeit für die Semesterferien anfragte, hat dieser ihm die Wettbewerbsbearbeitung angeboten. Die von Marquez im Seminar vermit­telte, konzeptionelle Strenge habe ihn und den mit ins Boot geholten Lukas Bartke bei der Wettbewerbsbearbeitung stark beeinflusst, fügt er hinzu. Auch das ­Seminarthema »Rote Spitzen« (die romanischen Ziegeltürme der Altenburger Marienkirche) passte perfekt zum Finsterwalder Entwurfsort. Dieser ist von zwei benachbarten, historischen Backsteinbauten, dem Pfarramt und dem alten Gemeindehaus sowie dem unmittelbar angrenzenden, ­ältesten Gebäude Finsterwaldes, der »Curdsburg«, geprägt. Es verwundert ­daher nicht, dass die beiden Studenten den Neubau des Gemeindehauses ebenfalls als Ziegelgebäude planten. »Der Backstein fügt sich einfach wunderbar in die Brandenburger Landschaft ein«, so beschreibt Bartke seine Ein­drücke von den Ortsbesichtigungen. Clemens Habermann stimmt zu und fährt fort: »Außerdem wollten wir die Baugeschichte fortschreiben.« Erwartet habe die Kirchengemeinde allerdings etwas anderes, einen »modernen« Entwurf, der einen Kontrast zum Bestand bilde, schildert Bartke die Reaktionen bei ihrer Entwurfsvorstellung. Sie dagegen hätten den zeitgenössischen Zwilling zum Pfarramt bauen wollen. Habermann vermutet, dass sie ihren, mit ­einer Stimme Mehrheit denkbar knappen Sieg letztlich ihrem Enthusiasmus und dem anschaulichen Präsentations­modell zu verdanken haben.

Einsatz und Kreativität

»Mit dem Ziegel konnten wir mehrere Entwurfsthemen auf einmal lösen«, so begründet Lukas Bartke ihre Entscheidung für die Konstruktion aus Opus Caementitium, massivem Gussmauerwerk, das sie nicht nur außen, sondern auch innen ziegelsichtig beließen.

Man habe dem Neubau mit dem sehr heterogenen Raumprogramm dadurch eine klare Identität und Struktur geben können. Außerdem garantiert die raue Ziegeloberfläche eine gute Akustik und die enorme Trägheit der Baumasse ein stabiles Raumklima.

»Durch die Verwendung des Ziegels als Basis für den gesamten Entwurf konnte an un­serem Konzept im Nachhinein auch nichts groß verändert werden«, fügt er augenzwinkernd hinzu. Dennoch wäre die Ausführung fast an den hohen Kosten für den gewünschten, historischen Stein aus dem Ringbrandofen ­gescheitert. In Polen fand Habermann nach ­einiger Suche schließlich die ­Lösung mit einer Ziegelei, die die Steine zu ­einem Viertel des Preises in Deutschland anbot.

Auch danach mussten die beiden Berufsanfänger verschiedene Herausforderungen bei der Realisierung ihres Entwurfs bewältigen, u. a. eine sehr aufwendige Ausführungsplanung. »Als Arbeitsgrundlage für die Maurer habe ich Grundrisse für die Binder- und Läuferschichten sowie Wandabwicklungen ­aller Räume gezeichnet, weil die Ziegel Toleranzen von bis zu 1,5 cm aufwiesen und teilweise komplizierte Details gemauert werden mussten«, beschreibt Bartke den durch das Honorar nicht abgedeckten Aufwand, den man sich für das erste Haus aber leisten wollte. »Wir hätten es auch selbst mauern können, so gut kannten wir jedes Detail«, merkt Habermann lachend an.

Vermutlich war es dieser intensive, persönliche Einsatz, der zu ihrem »guten Draht« zu den Handwerkern führte. Geholfen hätte ihnen aber auch, dass ­Jürgen Habermann als offizieller Ansprechpartner vor Ort, ihnen den Rücken freigehalten hat. Außerdem konnten sie bei Fragen des Bauablaufs von seiner Erfahrung profitieren, auch wenn er oft mit dem Kopf geschüttelt habe, ob des immensen Planungsaufwands.

»Es war eine große Herausforderung, alle Beteiligten von unseren Ideen und Ansprüchen zu überzeugen«, so Bartke weiter. »Um die Menschen vor Ort mitzunehmen, sind wir behutsam vorgegangen«, ergänzt Habermann. So hat man z. B. für den nicht mehr zu rettenden Vorgängerbau einen Ausstand vor dem Abriss gegeben.

Klarheit und Vielfalt

Angekommen in Finsterwalde empfängt uns Jürgen Habermann, der weiterhin den beiden Entwurfsverfassern die Bühne überlässt. Auch ihm ist der Stolz auf das Geleistete anzumerken. »Anfangs sei ja viel Skepsis und Ungeduld bei der Kirchengemeinde da gewesen«, merkt er an. Doch spätestens jetzt, mehr als ein halbes Jahr später, seien alle froh, etwas Besonderes zu ­haben, alle nähmen die Kraft des Gebäudes wahr.

Zunächst besichtigen wir den mit viel Glas und Holz gestalteten und dennoch sehr konventionell wirkenden Gemeindesaal »Arche« aus den 2000er-Jahren. Dieser erhielt mit der Raumfolge Eingang, glasüberdecktes Atrium und Foyer im neuen Gemeindehaus einen barrierefreien Zugang sowie zusätzliche ­Nebenräume. Diese neuen Räume beeindrucken mit der kraftvollen, nahezu sakralen Präsenz der massiven Ziegelkonstruktion in Schottenbauweise und mit ihrer klaren Gliederung und Formensprache, bei der alle Installationen innerhalb der Wände verlegt sowie Nebenfunktionen, wie Garderoben und Lagerflächen, unsichtbar, in mit Holztüren abgeschlossenen Wandnischen ­integriert wurden. Außerdem gelang mit den wenigen, verwendeten Materialien Ziegel, Eichenholz, Beton, Estrich und Bronze eine Kombination von ­optisch wie haptisch großem Reiz.

Das neue Gemeindehaus überzeugt jedoch nicht nur durch Klarheit, sondern auch mit einer räumlichen Komplexität, die man ihm ob seiner geringen Ausmaße nicht zu­getraut hätte. So besitzt es einen attraktiven, in das Gebäudevolumen ­hineingeschnittenen und von Oberlichtern erhellten Treppenraum, über den man vorbei am doppelgeschossigen Gemeindebüro, über das Zwischen­geschoss mit Archiv und Besprechungszimmer in das OG gelangt. Dort rhythmisieren und gliedern die Ziegelschotten den Raum über die gesamte Hauslänge. Räumliche Vielfalt entsteht u. a. durch den sich in den verschiedenen Raumhöhen abzeichnenden Staffelgiebel. Der von oben belichtete, hohe Mittelgang verbindet Sitzungsraum und Musikzimmer, die zusammen oder auch, durch eine zweiflügelige Glastür mit Holzrahmen geteilt, separat genutzt werden können. Die Schotten links und rechts des Gangs teilen kleinere Sitz- und Arbeitsbereiche ab.
Details wie die in die Binderschicht integrierten Lichtschalter, die genau in das Ziegelraster eingepasste Möblierung oder das handgeschmiedete Bronzegeländer auf dem kleinen Straßenbalkon lassen staunen, ob der Qualität eines Projekts mit noch nicht einmal 1 Mio. Euro Baukosten.

Am Ende des Rundgangs, auf dem kleinen Straßenbalkon blicken wir dorthin, wo die Zukunft der beiden jungen Architekten liegt. Gegenüber, auf dem Gelände einer ehemaligen Tuchfabrik wird in den kommenden Jahren die neue Stadthalle von ihnen geplant und gebaut werden. Den Wettbewerb, zu dem das Büro Jürgen Habermanns abermals als wichtigster lokaler Vertreter eingeladen wurde, haben sie ebenfalls schon im Jahre 2012 im Namen des ­Büros gewonnen. Allerdings habe es erst im vergangenen Herbst die endgül­tige Zustimmung zum Projekt per Bürgerentscheid gegeben, erzählt Clemens ­Habermann. Bei ihrem neuen Projekt gingen sie zwar auch auf den Bestand ein, indem sie dessen additive Entwicklung aufgriffen, dennoch wollten sie mit einer stärker kontrastierenden Ästhetik die Neunutzung des Geländes ausdrücken, beschreibt Lukas Bartke ihr Entwurfskonzept. Wichtig seien ­ihnen dabei nicht schöne Bilder, sondern v. a. kraftvolle Räume, die von den Benutzern angenommen werden und funktionieren.

Das glaubt man ihnen sofort. Denn mit ihrem ersten, Maßstäbe setzenden Projekt ist ihnen das ­bereits überzeugend gelungen.

Ein eigenes Büro zu gründen oder PR zu betreiben, habe dagegen für sie im Moment keine Priorität, ergänzt Bartke. Lieber setzten sie sich weiterhin mit aller Kraft für ihre Architekturvorstellungen ein.

db, Di., 2017.07.04



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Evangelisches Gemeindehaus in Finsterwalde



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db 2017|07-08 Erstlingswerke

01. Juni 2015Carsten Sauerbrei
db

Einfach mehr

Effiziente Architektur und kostengünstiges Bauen zeichnen das Wohngebäude in der Berliner Ritterstraße 50 aus. Aber reicht ein niedriger Ausbaustandard und ein Mehr an Gemeinschaftsflächen, um einen Beitrag zur Suffizienz-Debatte zu leisten?

Effiziente Architektur und kostengünstiges Bauen zeichnen das Wohngebäude in der Berliner Ritterstraße 50 aus. Aber reicht ein niedriger Ausbaustandard und ein Mehr an Gemeinschaftsflächen, um einen Beitrag zur Suffizienz-Debatte zu leisten?

Ein kompakter, frei stehender Baukörper auf einem niedrigen Sockel und insgesamt sieben Geschosse gegliedert durch stählerne, umlaufende Balkonzonen vor einer hellen Holzfassade – das ist der erste Eindruck vor Ort. So ungewöhnlich wirkt das Projekt der Berliner Büros ifau und Jesko Fezer | HEIDE & VON BECKERATH nicht, als dass der Besucher hier neue Antworten auf Fragen nach der Zukunft des ressourcenschonenden Wohnungsbaus vermuten würde. Auf den zweiten Blick fällt jedoch auf, dass weder das Grundstück noch der Balkonumgang vor den Wohnungen fest markierte Grenzen haben. Privatheit scheint also weniger wichtig als Gemeinschaft und Begegnung. Außerdem fehlt die bei Neubauten immer noch übliche Tiefgarage und auch Materialwahl und Detaillierung erscheinen weniger prätentiös als bei anderen Neubauten in der Berliner Innenstadt.

Rohbau gleich Ausbau

»Robust angelegt und präzise detailliert«, so beschreibt Architekt Tim Heide beim Rundgang durch das Haus eine Idee des Entwurfskonzepts. Damit sollte zunächst kostengünstiger Wohnungsbau mit attraktiver Gestaltung verbunden werden. So legten die Planer gemeinsam mit den Bewohnern einen einheitlichen, niedrigen Ausbaustandard für das Gebäude fest. »Wir haben im Grunde überall die letzte Schicht weggelassen«, fasst Heide zusammen. Die Ästhetik der Wohnräume wird daher bestimmt von den rau wirkenden Oberflächen der Betondecken, des Kalksandsteinmauerwerks und des Heizestrichs im Kontrast zur warm wirkenden Kiefernholzfassade, die sowohl außen als auch innen Verwendung fand. Trotz des Verzichts auf den Glanz der Oberfläche wirken die Räume keineswegs »billig«. Einfach oder low tech, wie es Heide formuliert, trifft es tatsächlich ziemlich genau. Die Baukosten waren mit 2 150 Euro/m² tatsächlich sehr niedrig und senkten damit die Schwelle zum Eigentumserwerb deutlich. Aber bewirkt finanzielle auch ökologische Entlastung?

Geringere Wohnfläche effizient organisiert

Weniger Materialeinsatz, der auch mit einem schlanken Stahlbetonskelett und einer minimierten Stützenanzahl erreicht wurde, ist sicherlich ein wesentlicher Beitrag zur Ressourcenschonung, wenn auch nur schwer zu quantifizieren. Leichter zu bestimmen ist dagegen der Effekt, den die Größe der pro Kopf in Anspruch genommenen Wohnfläche auf den Ressourcenverbrauch hat. Eine Verringerung dieser Fläche ist tatsächlich einer der »Big Points« der Suffizienz im Haushalt, so das Freiburger Öko-Institut im Jahr 2013. In der Ritterstraße 50 sind im Verlauf der Planung 19 Wohnungen mit einer Größe von 80 bis 130 m² sowie ein kleineres Studio aus den zunächst drei Regelgrundrissen und einem optionalen Gemeinschaftsraum pro Etage entstanden, insgesamt 2 130 m² Wohnfläche für 62 Bewohner. Damit liegt die pro Kopf in Anspruch genommene Wohnfläche mit 34 m² ca. 20 % unter dem Berliner Durchschnitt – ein deutlicher Beitrag des Projekts zur dauerhaften Umweltentlastung und eine seltene Ausnahme vom immer noch anhaltenden Trend zu mehr Flächenverbrauch.

Eine der Voraussetzungen, um mit weniger Raum auszukommen – eine effiziente Nutzung der Wohnungen – ist hier im aufwendigen Planungsverfahren von Architekten und Nutzern gemeinsam erarbeitet worden. Dazu befragten die Architekten die zukünftigen Bewohner detailliert zu ihren Wohnbedürfnissen, diskutierten diese mit ihnen und entwickelten anschließend individuell maßgeschneiderte Grundrisse. Aufgrund der nicht-tragenden Innenwände können die Räume sich auch zukünftig wandelnden Lebensumständen anpassen und selbst Teilungen in zwei kleinere Apartments sind bei den Wohnungen auf der Nordseite möglich.

Temporär und gemeinsam genutzt

»Eine zweite Voraussetzung für ein Weniger an privater Wohnfläche wäre ein Mehr an gemeinsam genutzten Räumen«, führt Susanne Heiß, Architektin und selbst Bewohnerin, im Gespräch über das Gebäude aus. Anders als zunächst konzipiert, fielen zwar nach Diskussion in der Baugruppe die optionalen Gemeinschaftsräume auf den Etagen weg. Diese Flächen werden jedoch fast vollständig durch den 130 m² großen Gemeinschaftsraum im EG kompensiert, für den wiederum eine Wohnung aufgegeben wurde. Damit gibt es bei diesem Projekt deutlich mehr gemeinschaftlich genutzte Flächen als bei vergleichbaren Baugruppen, insgesamt ungefähr 20 m² pro Wohnung. Dazu zählt nicht nur der 70 cm breite, durchlaufende Umgang vor den Wohnungen, sondern auch eine Dachterrasse, Waschküche und Holzwerkstatt, der doppelgeschossige Raum im EG und nicht zuletzt der große Garten. »Das sei schon ein gewisser Luxus«, so Susanne Heiß weiter. V. a. die Kinder nutzen Umgang und Garten intensiv zum gemeinsamen Spielen und man könne sich leichter treffen, schneller seine Nachbarn besuchen. Außerdem wäre gerade der große Gemeinschaftsraum für verschiedene flexible Nutzungen gut geeignet – als temporäres Gästezimmer, zum gemeinsamen Kochen, Feiern oder Spielen. »Key Points« der Suffizienz nennt das Öko-Institut solche Änderungen des Lebensstils, die eine möglichst große gesellschaftliche Umgestaltung in Richtung Nachhaltigkeit anstoßen können. Einen Einstellungswandel hin zu mehr gemeinschaftlich genutzten Flächen kann die Baugruppe in der Ritterstraße 50 tatsächlich befördern, auch wenn längst nicht alle Ideen der Planer dahingehend aufgingen. So verzichten nur acht der zwanzig Eigentümer auf die Waschmaschine in der Wohnung und bevorzugen die gemeinsame Waschküche.

Vernetzung mit der Nachbarschaft

Auch in größerem Rahmen zeigt dieses Projekt Möglichkeiten, aber auch Grenzen gemeinsamer Nutzungen auf. So wird der Gemeinschaftsraum im EG neben den Bewohnern auch sozialen Initiativen zur Verfügung gestellt. Zweimal wöchentlich findet dort zurzeit eine Hausaufgabenhilfe statt. Das Gebäude leistet somit einen aktiven, kommunikativen Beitrag im Quartier. Der Garten, dessen Grenzen nur teilweise und auch nur weich durch Heckenpflanzungen markiert sind, soll den Nachbarn offen stehen und ist dennoch Teil des gemeinschaftlichen Raums der Baugruppe. Im Moment nutzen dieses Angebot v. a. Nachbarskinder zum Spielen und zwar so gut, dass die Kinder der Baugruppe sich schon beschwert haben, wie Susanne Heiß lachend anmerkt. Auch die Erdgeschosswohnungen wünschten sich mittlerweile ein wenig mehr Privatheit. Daher überlege man jetzt, den Freiraum durch Pflanzungen stärker in privatere und öffentlichere Flächen zu gliedern.

Auch städtebaulich ist Vernetzung das Freiraumthema. Die heterogene Bebauung der Umgebung – vom aufgelockerten Siedlungsbau der 50er Jahre bis hin zur Rekonstruktion des Berliner Blockrands in den späten 80er Jahren – wird über das neue Gebäude und den großen umgebenden Garten locker miteinander verknüpft. Einen Entlastungseffekt für die Umwelt bewirkt dabei die reduzierte Grundfläche des Gebäudes. Die Anlage einer großen Fahrradabstellfläche anstelle von Pkw-Stellplätzen ist dagegen ein fast schon selbstverständlicher Ausdruck eines bereits erfolgten Einstellungswandels.

Welche Maßnahmen suffizientes Bauen ermöglichen, wird bei R50 insgesamt sehr deutlich. Mit der intensiven Nutzerbeteiligung wurde eine optimierte, nutzerspezifische Grundrissplanung und ein großer Konsens über Gemeinschaftsnutzungen möglich. Dieser Umstand und die überdurchschnittlich großen Gemeinschaftsflächen ermöglichten hier tatsächlich geringere Wohnflächen ohne Qualitätseinbußen bei der Nutzung.

Andere Entscheidungen wie die für Eigentumswohnungen oder für die Ausführung des großen Gemeinschaftsraums außerhalb der energieeffizienten Gebäudehülle erscheinen in Hinblick auf Suffizienz ambivalent. Formen des gemeinschaftlichen Eigentums wie Genossenschaften oder das Modell des Mietshäuser-Syndikats wären vermutlich noch besser geeignet, um auch in Zukunft einen Konsens in der Hausgemeinschaft über umweltentlastende Veränderungen in Nutzung und Architektur zu finden. Das Genossenschaftsmodell wurde anfangs auch favorisiert, scheiterte jedoch an der zu geringen Größe des Projekts und der fehlenden öffentlichen Förderung. Und die weniger aufwendige Ausführung der Glasfassaden des Gemeinschaftsraums half zwar Baukosten zu sparen, erfordert jedoch ein dauerhaft diszipliniertes Heizverhalten, um nicht überdurchschnittlich viel Heizenergie zu verbrauchen. Bei allen Optimierungsmöglichkeiten ist das Baugruppenprojekt R50 dennoch ein sehr gutes Beispiel für einen nachhaltigeren Lebensstil und mehr Suffizienz in der Architektur.

db, Mo., 2015.06.01



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db 2015|06 Suffizienz

01. September 2014Carsten Sauerbrei
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Hoch über den Gleisen

Für den Entwurf des städtebaulich hoch interessanten Gebäudeensembles »Am Lokdepot« in Berlin-Kreuzberg setzten die Architekten von ROBERTNEUN auf ein variantenreiches Spiel mit Balkonen, Loggien und Erkern. Doch leider werden nach diesem Planungsansatz nur sieben von 17 Gebäuden realisiert. Der Rest wird vereinfacht geplant.

Für den Entwurf des städtebaulich hoch interessanten Gebäudeensembles »Am Lokdepot« in Berlin-Kreuzberg setzten die Architekten von ROBERTNEUN auf ein variantenreiches Spiel mit Balkonen, Loggien und Erkern. Doch leider werden nach diesem Planungsansatz nur sieben von 17 Gebäuden realisiert. Der Rest wird vereinfacht geplant.

Für Liebhaber des etwas skurril anmutenden Hobbys, Züge zu beobachten und zu fotografieren, wären die Wohnungen in den auffallend roten, siebengeschossigen Häusern perfekt geeignet. Schließlich befinden sie sich direkt am Rand eines freie Sicht garantierenden, bis zu 7 m tiefen Geländeeinschnitts, der die in Nord-Süd-Richtung verlaufenden Berliner S- und Fernbahngleise aufnimmt und ihre Farbgebung ist eine Reminiszenz an die benachbarten Backsteinhallen des namensgebenden Lokdepots.

Im Jahr 2006, als das ortsansässige Büro ROBERTNEUN mit einer ersten Bebauungsstudie für das insgesamt 28 000 m² große, ehemalige Bahngrundstück beauftragt wurde, sollten hier zunächst Gewerbeflächen für Discounter o. ä. entstehen. Gebäude und Nutzungen also, die keinen konstruktiven Beitrag zum Wohnen und Leben in der Berliner Innenstadt geleistet hätten. Der Vorschlag, anstelle flacher Hallen bis zu sechs Wohngeschosse mit maximal 220 Wohnungen auf einem ein- bis zweistöckigen Gewerbesockel zu bauen und damit einen bisher fragmentarischen Blockrand auf 250 m Länge zu vervollständigen, erscheint heute fast selbstverständlich. Er musste aber mühsam gegen Widerstände in Nachbarschaft und Bauverwaltung durchgesetzt werden.

Weder sollte eine monotone Großform, noch eine individualisierte Bauausstellung entstehen, so Tom Friedrich, einer der Geschäftsführer von ROBERTNEUN, bei der Besichtigung der ersten drei, kürzlich fertiggestellten Gebäude. Daher und um vielfältige Wohnformen für individuelle Lebensentwürfe anbieten zu können, entwickelten er und sein Partner Nils Buschmann drei verschiedene Haustypen: »S«, »M« und »L«, auf Parzellenbreiten von 7, 14 und 21 m, die sich durch eine jeweils ganz eigene Verbindung zum Außenraum auszeichnen sollten. So besitzen Gebäude des langen L-Typs ein punktuell betontes Fassadenbild mit einzelnen, geschossweise versetzt angeordneten Balkonen. Der mittelbreite M-Typ ist horizontal strukturiert mit gebäudebreiten Loggien. Beim schmalen S-Typ dominiert durch einen geschossübergreifenden Glaserker dagegen die Vertikale. In abwechslungsreicher Reihung dieser Haustypen entstand schließlich der Entwurf einer städtebaulich vielfältigen und damit sehr interessanten Ensemblestruktur aus insgesamt 17 Einzelhäusern, die durch den gemeinsamen ziegelsteinverkleideten Sockel, der die Gewerbeflächen aufnimmt, optisch zusammengehalten wird.

Fabrikästhetik und Gewächshausathmosphäre

Das gute Zusammenspiel von individueller und gemeinsamer Gestaltung ist vor Ort dann auch deutlich wahrnehmbar. Zwei Gebäude des L-Typs fassen ein Haus des M-Typs ein. Alle stehen auf dem gemeinsamen, robust wirkenden Sockel und werden zudem über das matte Rot der Sichtbetonoberflächen und Fassadenfelder des L-Typs zusammengehalten. Einen belebenden Akzent setzt die feuerwehrrote Farbgestaltung des M-Typs, womit ebenfalls die eineinhalbgeschossigen Wohnräume des L-Typs, die sogenannten Gewächshäuser hervorgehoben werden. Das Bild dominieren jedoch die weit auskragenden Balkone des L-Typs, die reizvoll, aber auch etwas ungewohnt von Geschoss zu Geschoss verspringen. Das hat für die Bewohner zur Folge, dass sie nahezu uneingeschränkt nach allen Seiten den Ausblick genießen können, aber auch fast ungeschützt Wind und Wetter ausgesetzt sind. Der Befürchtung, die Nutzbarkeit könnte daher zu stark eingeschränkt sein, widersprechen sie jedoch auf Nachfrage. Sie schätzen das Gefühl der Weite und den unverbaubaren Ausblick, betonen sie und zur Not könne man ja auf den zweiten zur Wohnung gehörenden Balkon auf einer der anderen Gebäudeseiten ausweichen.

Tatsächlich besitzt fast jede der 52-162 m² großen Wohnungen zwei 3 m breite und 2,5 m tiefe Balkone. Einen vor eingeschossigen Wohnräumen auf der Ost- oder Nordseite und einen weiteren vor den eineinhalbgeschossigen Bereichen mit einer Höhe von rund 4,30 m auf der West- oder Südseite. Dank der resultierenden Split-Level-Anordnung sollte räumliche Vielfalt entstehen und durch größtmögliche Transparenz und die Öffnung der »Gewächshäuser «nach außen ein Innenraum, der fast wie ein Freibereich wirkt. Vor Ort muten die halbhohen Öffnungsflügel, die den Austritt auf den Balkon ermöglichen, jedoch als zu kleinteilig an, um dieses ehrgeizige Ziel tatsächlich zu erreichen.

Klarer und großzügiger erscheinen dagegen die anderen Fassadenelemente: Aluminiumfenster, Festverglasungen und aluminiumverkleidete Wandfelder, die modular in das mit durchgefärbten Ortbetonoberflächen versehene Rohbauskelett eingesetzt wurden. Als außenliegender Sonnenschutz dienen Raffstore, ebenfalls aus Aluminium. Die Balkone, die so stark das Erscheinungsbild des L-Typs prägen, scheinen auf den ersten Blick etwas grob detailliert zu sein. Sie sind jedoch – wie das gesamte Projekt – einer Ästhetik verpflichtet, die an die einstige industrielle Nutzung des Bahngeländes erinnert. Dazu passt die Ausführung mit Brüstungen aus Stahlblech bzw. Stabgitterrosten dann doch sehr gut. ›

Loftloggien und Glaserker

Auch der mittelbreite M-Typ, mit seinen loftartigen Wohnflächen und der Verwendung von Stahl bzw. Aluminium für Fenster, Loggien und das Fluchttreppenhaus, ist einer industriell anmutenden Ästhetik verpflichtet. Im Gegensatz zum L-Typ ist er horizontal gegliedert, auf beiden Hausseiten mit 14 m langen, gebäudebreiten Loggien vor den 160 m² großen Wohnräumen. Auch hier sahen die Architekten eine enge Beziehung zwischen Innen und Außen vor. Vier der insgesamt acht raumhohen Glasfelder der Fassade lassen sich aufschieben, sodass die Loggia zum erweiterten Innenraum wird. Beeinträchtigt wird diese Verbindung durch eine ca. 5 cm hohe Schwelle im Übergang. Leider wurde auf eine barrierefreie Gestaltung verzichtet, die sich bei den auf einem Geschoss liegenden Wohnungen und der Erreichbarkeit per Aufzug angeboten hätte. Kinderlachen von einer der Loggien deutet jedoch darauf hin, dass sie sich trotz der kleinen Einschränkungen scheinbar auch gut als Spielzimmer im Freien eignen.

Weniger für Familien mit Kindern, eher für Alleinlebende oder Paare ohne Kinder ist dagegen der schmale S-Typ geeignet, dessen Erscheinungsbild der alle Geschosse verbindende Glaserker prägt. Sechs 86 m² große Wohnungen – eine pro Etage – sind gerade im Bau. Um das bei diesem Typ ohnehin ungünstige Verhältnis zwischen Erschließungs- und Nutzfläche nicht noch weiter zu verschlechtern, entschieden sich die Architekten für ein vollwertiges Erkerzimmer anstelle eines Balkons auf der Westseite und haben einen solchen nur auf der Ostseite vorgesehen. Städtebaulich wirkt die dadurch entstehende Vertikale sehr belebend. Der Verzicht auf einen echten privaten Außenraum auf dieser Gebäudeseite erscheint dennoch etwas schade.

Vielfalt versus Wirtschaftlichkeit?

So städtebaulich reizvoll sich der vielfältige Einsatz von Balkonen, Loggien und Erkern bei den bisher realisierten Gebäuden auch zeigt, gebaut werden leider nur insgesamt sieben Häuser nach dem ursprünglichen Entwurf und unter der Leitung von ROBERTNEUN. Nur noch ein weiteres Haus wird als leicht veränderter S-Typ mit Balkonen statt Erkern entstehen und der M-Typ nur noch dreimal. Die übrigen Gebäude werden vom Bauherrn, der Berliner UTB, in Zusammenarbeit mit einem Generalplaner als L-Typ unter teilweisem Verzicht auf Gewächshäuser und Split-Level realisiert. Über die Gründe dafür lassen sich leider nur Mutmaßungen anstellen. Erschwert das nicht-barrierefreie Split-Level-Konzept des L-Typs den Verkauf? Ist das Verhältnis von Erschließungsfläche zu Wohnraum beim S-Typ zu ungünstig? War der Brandschutz für das außenliegende Treppenhaus des M-Typs zu aufwendig? Oder sind es schlicht Kostengründe, die zur Vereinfachung der ursprünglichen Planung führten?

Bedauerlicherweise wird das Ensemble dadurch deutlich an städtebaulichem und architektonischem Reiz verlieren, der gerade in der variantenreichen Verknüpfung von Innen und Außen besteht. Immerhin sollen jedoch andere hochwertige Gestaltungsmerkmale wie die Farbgebung, der durchlaufende Sockel und die Sichtbetonoberflächen erhalten bleiben. Hohe Architektur- und Wohnqualität auch in der Zukunft verspricht darüber hinaus auch der direkte Zugang zu den Parks rund um das Gleisdreieck (s. db 03/12, S. 24 und db 04/14, S. 32), für die das Berliner Atelier Loidl verantwortlich zeichnet und deren Formensprache bei den Freiräumen des Ensembles fortgeführt wird.

db, Mo., 2014.09.01



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db 2014|09 Balkone und Loggien

19. November 2012Carsten Sauerbrei
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Grossmassstäbliche Wohnwertsteigerung

Energieeinsparung, Kosteneffizienz und Gestaltungsqualität müssen keine Gegensätze sein. Das zeigt beispielhaft die behutsame Erneuerung des Märkischen Viertels mit seinen rund 17 000, im Norden Berlins gelegenen Wohnungen. Jahrelang als Ghetto verpönt, entwickelt sich die Siedlung, die zu 90 % aus Hochhäusern besteht, nun mit jedem neuen Sanierungsabschnitt weiter in ein optisch ansprechenderes Quartier. Dass die energetische Sanierung dabei nur mit WDVS geschehen kann, verwundert angesichts der Dimensionen kaum.

Energieeinsparung, Kosteneffizienz und Gestaltungsqualität müssen keine Gegensätze sein. Das zeigt beispielhaft die behutsame Erneuerung des Märkischen Viertels mit seinen rund 17 000, im Norden Berlins gelegenen Wohnungen. Jahrelang als Ghetto verpönt, entwickelt sich die Siedlung, die zu 90 % aus Hochhäusern besteht, nun mit jedem neuen Sanierungsabschnitt weiter in ein optisch ansprechenderes Quartier. Dass die energetische Sanierung dabei nur mit WDVS geschehen kann, verwundert angesichts der Dimensionen kaum.

Das Image des Märkischen Viertels war lange denkbar schlecht. Errichtet als eine von drei West-Berliner Großwohnsiedlungen zwischen 1963 und 1974 nach dem städtebaulichen Konzept von Werner Düttmann, Hans C. Müller und Georg Heinrichs, offenbarte sich schon kurz nach Fertigstellung der rund 17 000 Wohnungen ein Mangel an sozialer Infrastruktur, der bis Ende der 70er Jahre behoben wurde. Mitte der 80er Jahre begannen erste Umgestaltungen und Sanierungen von Einzelgebäuden. 2006 entschied sich schließlich die kommunale Gesobau als Haupteigentümerin, die Grundsanierung ihrer 15 000 Wohnungen und deren energetische Modernisierung miteinander zu verknüpfen, um den großen baukonstruktiven und technischen Mängeln, den steigenden Instandhaltungs- und Betriebskosten und dem daraus resultierenden Wegzug von Mietern wirksam entgegenzutreten. Allerdings sei »kein Leuchtturmprojekt unter Umsetzung aller denkbaren technischen Maßnahmen vorgesehen, sondern ein wirtschaftlicher Umbau verbunden mit einem hohen Gestaltungsanspruch«, erläutert Jochen Kellermann, Projektleiter der Gesobau.

Warmmietenneutral

Innerhalb von acht Jahren, bis 2015, wird die Gesobau in die Erneuerung von 13 000 Wohnungen insgesamt 480 Mio. Euro investieren, die sie bis auf Tilgungszuschüsse aus KfW-Förderprogrammen selbst finanziert. Die energetische Modernisierung sieht als wichtigste Maßnahmen die Dämmung der Gebäudeoberflächen mit WDVS der Wärmeleitgruppe 035 in einer Dicke von 80 bis 140 mm, den Einbau doppelt verglaster Isolierglas-Kunststofffenster und die Umstellung der Heizungsanlagen auf ein energieeffizientes Zweirohrsystem vor. Der Endenergieverbrauch soll damit von durchschnittlich 174 kWh/m²a auf 70 bis 80 kWh/m²a sinken, die Höchstwerte der Energieeinsparverordnung 2007 um mindestens 30 % unterschritten werden. Alternativen zur viel diskutierten Dämmung der Gebäudeoberflächen mit WDVS, die rund 50 % der gewünschten Energieeinsparung erbringen soll, wurden geprüft, aber entweder als zu teuer verworfen, so z. B. Plattenbekleidungen, oder von Anfang an wegen bauphysikalischer Nachteile ausgeschlossen, wie etwa eine Innendämmung. Als Dämmmaterial werden nun Mineralwolle und expandiertes Polystyrol verwendet. Ersteres kommt überall dort zum Einsatz, wo es gilt, einer möglichen, höheren Brandgefahr durch Polystyrol entgegenzuwirken – also zum einen für alle Hochhäuser, die im Märkischen Viertel 90 % des Gebäudebestands ausmachen, und zum anderen als Brandriegel über jedem zweiten Geschoss bei allen übrigen Gebäuden. Da die Außenwände aus den unterschiedlichen Materialien und Konstruktionen bestanden, musste für das WDVS teilweise sogar eine Zulassung im Einzelfall eingeholt werden.

Mit dem Einbau von funkablesbaren Heizkostenverteilern wird erstmals eine individuelle Abrechnung und Kontrolle des Verbrauchs möglich, die den Mietern das Energiesparen erleichtern wird. Denn nur so sei laut Kellermann das Ziel einer insgesamt warmmietenneutralen Sanierung zu erreichen. Durch die angestrebte Halbierung der warmen Betriebskosten soll die Gesamtmiete im Durchschnitt um nicht mehr als 4 % steigen, wodurch auch für sozial schwächere Bewohner die Mietbelastung moderat bleibt. Mit einer umfassenderen Sanierung leer stehender Wohnungen sollen zudem zahlungskräftigere Neumieter angesprochen werden. Darüber hinaus werden mit der Modernisierung strukturelle Gebäudemängel beseitigt, so die Eingangsbereiche für eine bessere Orientierung neu gestaltet und rund 1 000 Wohnungen für ältere Mieter »barrierearm« umgebaut. Nach der Sanierung der Hälfte der Wohnungen bestätigen die ersten Ergebnisse den Erfolg des Gesamtkonzepts: Die Einsparziele werden laut Bauherr erreicht und sogar übertroffen und Zeit- und Kostenplan eingehalten, der Leerstand sinkt. Und auch den Anspruch einer qualitätsvollen Neugestaltung können die bisher fertiggestellten Bauten weitgehend einlösen.

Übergreifendes Farbkonzept

Eigene Akzente konnten die für jede Gebäudegruppe, die sogenannte Wohnhausgruppe (WHG) einzeln beauftragten Architekten v. a. durch eine neue Farbgestaltung und den Umbau der Eingangsbereiche setzen. Für ein stimmiges Gesamtbild entwickelten die Gesobau und der Farbdesigner Markus Schlegel von der Hochschule für Gestaltung in Hildesheim einen gebäudeübergreifenden Masterplan, der auf Grundlage der ursprünglichen, kontrastreichen Farbgestaltung des Künstlers Utz Kampmann eine Auswahl an möglichen, neuen Farbtönen für jedes Bauteil definiert. Die Basis bilden dabei Weißtöne, die durch Akzentfarben ergänzt werden.

Diesen Gestaltungsspielraum nutzten Dahm Architekten + Ingenieure bei der für das Pilotprojekt ausgewählten, einst von Oswald Mathias Ungers entworfenen Wohnhausgruppe 908, um an der Fassade neue belebende, lindgrüne Akzente zu setzen. Geprägt werden die Baukörper damals wie heute durch die weißen Wohn-/Treppenhaustürme und die jeweils dazwischen liegenden, früher dunkelblau, heute grau abgesetzten Balkonzonen. Eine bessere Orientierung ermöglichen die großflächig verglasten, neuen Eingangspavillons, die mit ihrer Bekleidung durch Schichtstoffplatten überdies einen sehr angenehmen Material- und Farbkontrast zu Fassade und Fenstern bewirken.

Weniger gelungen erscheint dagegen die Neugestaltung der von Herbert Stranz entworfenen Wohnhausgruppe 905 durch SPP Property-Projekt-Consult. Der einst kräftige Kontrast zwischen weißen Wandflächen und dunkelblauen Fensterbändern blieb zwar weitgehend erhalten, wurde jedoch durch die Verwendung von Hellblau für einen Gebäudeteil verunklart. Mit Ausnahme der heute angenehm hellblau abgesetzten Balkone und der leider allzu plakativ roten, neuen Hauseingänge nutzten die Planer zu wenig neue Farben, um Akzente zu setzen und die Baukörper so zu beleben.

Betont farbig gegliedert zeigen sich dagegen die von Hans C. Müller und Georg Heinrichs errichteten und durch Stefan Ludes Architekten und SPP Property-Projekt-Consult sanierten Wohnhausgruppen 911, 912 und 922. Der ursprünglich starke Farbkontrast zwischen den weißen Wohnscheiben und den Erschließungs- bzw. Wohntürmen in Blau-, Gelb- und Rottönen wurde durch die Neugestaltung in gedeckteren Farbtönen wohltuend abgemildert. Unnötige Unruhe in das ohnehin stark bewegte Fassadenbild der vertikalen Bauteile bringen jedoch die zwischen den blauen Fensterbändern liegenden, heute im Gegensatz zu früher nicht mehr blau, sondern grau abgesetzten Fassadenflächen. Die neuen Hauseingänge, transparente bzw. farbig hinterlegte Glaswände in Stahlrahmen, präsentieren sich dagegen sehr gelungen.

Nochmal getoppt

Bei dem von René Gagès und Volker Theißen errichteten und ebenfalls von Dahm Architekten + Ingenieure sanierten Wohnhausgruppe 907, dem sogenannten langen Jammer, gelingt die Verknüpfung von Farbgestaltung, Energieeinsparung und pragmatischen Umgang mit dem Bestand beispielhaft. Aufgrund des kompakten Baukörpers und eines höheren Modernisierungsstandards, der durch den Erhalt der 80er-Jahre-Eingangspavillons des Gebäudes möglich wurde, konnte hier der Endenergieverbrauch sogar um 75 % auf 48 kWh/m²a gesenkt werden. Dabei wurde im Vergleich zu anderen Wohnhausgruppen stärker gedämmt, wurden dreifach verglaste Fenster eingesetzt und wird die Wärme aus der Abluft von Bädern und Küchen zurückgewonnen.

Außerdem wurde in die vorhandenen Eingangspavillons eine zusätzliche Tür eingebaut, um echte Windfänge herzustellen und damit eine klare thermische Trennung zu erreichen. Mit der Neugestaltung erhielten die Treppenhaustürme ihre zwischenzeitlich verschwundenen Farbbänder zurück, jedoch nicht mehr in konstrastreichem Blau und Rot, sondern ebenso attraktiv in Grau-, Gelb- und Rottönen, die erstmals, gemeinsam mit weiteren roten Farbakzenten auch die Rückseite des Gebäudes beleben.

In der Sanierung befinden sich zurzeit zwei weitere Wohnhausgruppen, die den überwiegend positiven Gesamteindruck noch verstärken. Kosteneffizienz, große Energieeinsparungen und hohe Gestaltungsqualität miteinander zu verbinden, gelingt im Märkischen Viertel ganz überwiegend. Voraussetzungen dafür sind jedoch ein ohnehin vorhandener, hoher Sanierungsbedarf, klar strukturierte Baukörper und Oberflächen, die den Einsatz von WDVS ohne großen Verlust an Gestaltungsqualität ermöglichen, und Bauherren sowie Planer, die energetische Sanierung als reizvolle Gestaltungsaufgabe begreifen.

db, Mo., 2012.11.19



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db 2012|11 Energetisch sanieren …

29. Februar 2012Carsten Sauerbrei
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Grün statt Gleis

Ein »Park neuen Typs« sollte mit dem kürzlich eröffneten, ersten Teil des Berliner »Parks am Gleisdreieck« entstehen. Auch wenn seine Gestaltung als inszenierter Kontrast zwischen Weite und Dichte, historischen Spuren und zeitgenössischem Design nicht gänzlich neu ist, fügen sich diese Gegensätze hier doch außergewöhnlich gut zu einem abwechslungsreichen und dennoch harmonischen Landschaftsbild zusammen.

Ein »Park neuen Typs« sollte mit dem kürzlich eröffneten, ersten Teil des Berliner »Parks am Gleisdreieck« entstehen. Auch wenn seine Gestaltung als inszenierter Kontrast zwischen Weite und Dichte, historischen Spuren und zeitgenössischem Design nicht gänzlich neu ist, fügen sich diese Gegensätze hier doch außergewöhnlich gut zu einem abwechslungsreichen und dennoch harmonischen Landschaftsbild zusammen.

Wo früher Eisenbahnzüge zur Versorgung der Reichshauptstadt rollten, wird heute Fahrrad gefahren, spazieren gegangen und geskatet. Im September 2011 wurde in der Berliner Innenstadt der 18 ha große Ostteil des »Parks am Gleisdreieck« eröffnet. Der genauso große Westteil soll im kommenden Jahr fertiggestellt werden. Die einst unzugängliche Gleisinsel wird damit öffentlich, dennoch prägen bis heute der Hochbahnhof Gleisdreieck und die ICE-Trasse mit Tunneleinfahrt das Bild des Geländes. Hier sollte nach den städtebaulichen Planungen des 19. Jahrhunderts ein zentraler Schmuckplatz des »Generalzugs«, der markanten Ost-West-Straßenverbindung entstehen. Stattdessen wurde das Gelände zunächst Teil des Berliner Eisenbahnnetzes. Nach dem Zweiten Weltkrieg und der Einstellung des Bahnverkehrs an dieser Stelle breitete sich über Jahrzehnte urbane Wildnis aus. In den 60er Jahren wurde dort die Westtangente als Teil der Berliner Stadtautobahn geplant, später, nach Bürgerprotesten, eine Grüntangente als Nord-Süd-Verbindung von Tiergarten und Stadtrand. Nach der Wiedervereinigung nutzte zunächst die Baulogistik der Bauvorhaben am Potsdamer und Leipziger Platz das Gelände. Und schließlich standen 24 Mio. Euro aus Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen aus diesen Bauprojekten für Grunderwerb, Planung und Bau eines neuen Parks zur Verfügung.

Grundlage für den 2005 durchgeführten, zweistufigen, landschaftsplanerischen Wettbewerb waren umfangreiche Bürgerbefragungen. Die Anwohner der umliegenden, stark verdichteten Altbauquartiere wünschten sich attraktive Freiräume mit vielfältigen Nutzungsangeboten. Gleichzeitig sollten die wertvollen Spuren der Eisenbahngeschichte und die geschützten Biotopflächen erhalten bleiben sowie darüber hinaus der Park mit neuen Nord-Süd- und Ost-West-Verbindungen an das umgebende Stadtgebiet angebunden werden. Außerdem sollte ein Bürgerpark mit Flächen für eine selbstständige Nutzung durch die Anwohner entstehen. Die z. T. sehr divergierenden Wünsche – Ruhe und Erholung, Sport und Aktivität – hatten eines der wichtigsten Wettbewerbsziele zur Folge – den Entwurf eines Parks mit einem klaren Gestaltungsrahmen, der Orientierung bietet und dennoch vielfältige Nutzungsmöglichkeiten offen hält.

Dichter Rahmen und »grüne Pause«

Die Wettbewerbsgewinner vom Berliner Atelier LOIDL erreichen dieses Ziel, indem sie das Gelände klar in Dichte und Weite, intensiv genutzte und ruhige Bereiche gliedern. Baumbestandene Promenaden als Rahmen laden zum Flanieren und Verweilen ein und nehmen außerdem die verschiedenen »Aktionsflächen« auf – anwohnernah im Osten Kinderspielplätze, Naturerfahrungsraum und interkulturelle Gemeinschaftsgärten; abgeschieden im Westen das Sportgleis mit Skatepark, Ballfeldern und Radfahrfernweg. Das Parkinnere bilden ein Wäldchen, geheimnisvolle Wildnis aus Spontanvegetation, und die »Kreuzberger Wiese« als großzügige Lichtung, die »grüne Pause«. Kontrastreich wechseln sich auch die verschiedenen Vegetationsflächen ab – intensiv genutzter Rasen in den Randbereichen der Lichtung, extensive Salbeiwiese im Innern, Schotterflächen mit Trockenvegetation entlang der Bahntrasse.

Nach eigener Aussage räumt das Atelier LOIDL »dem Neuen mehr Wichtigkeit« ein »als der Eisenbahngeschichte oder dem Naturmythos«. Trotzdem sind es die erhaltenen Zeugnisse der Vergangenheit, Prellböcke, Gleiswaagen, Laderampen, Kopfsteinpflasterbeläge, Stellwerke, Spontanvegetation, die dem Park seinen eigenen, individuellen Charakter geben. Zur Bahngeschichte gehören auch die denkmalgeschützten Brücken am Südende des Parks, die Yorkbrücken, die zukünftig zum sich anschließenden Erweiterungsteil, dem »Flaschenhals«, führen sollen.

Dort kann man gut erkennen, dass der Park auf einem ca. 5 m hohen, einst aufgeschütteten Plateau liegt. Die hier verlaufende, das Plateau durchschneidende Yorkstraße ist am Parkeingang zu einem kleinen Platz aufgeweitet worden. Auch für den Eingang zum Flaschenhals ist diese wohltuende Weitung des engen Straßenraums geplant. Die Zukunft der Brücken und damit der niveaugleichen Verbindung der beiden Parkteile ist dagegen leider noch ungeklärt.

Sie gehören der Deutschen Bahn, die bisher kein Geld für eine Sanierung zur Verfügung stellen will.

Park der zwei Geschwindigkeiten

Erschlossen wird der Park mit einem System von geradlinig verlaufenden Wegen unterschiedlicher Materialien und Nutzungscharakteristik. Blass-rot gefärbte, großformatige Betonplatten umlaufen die weite »Rasenfreiheit«, höhengleich mit dem Rasen oder als Sitzkante ausgebildet. An besonderen Stellen weiten sie sich zu Terrassen aus geschliffenem, roten Gussasphalt.

Einen zweiten großen Rahmen, der die unterschiedlichen Parkteile zusammenbindet, bilden die bis zu 6 m breiten Ortbetonwege mit ihrer von der Schalung gezeichneten, hellen Oberfläche als Hauptwegeverbindungen in Ost-West- bzw. Nord-Süd-Richtung.

Ergänzt wird dieses Hauptwegesystem durch 3 m breite Asphaltwege für die direkte, schnelle Querung und sportliche Nutzung des Parkraums. Ein »Park der zwei Geschwindigkeiten« sollte so entstehen. Durch die verschiedenen Materialien und Oberflächen ist tatsächlich ein an sinnlichen Erfahrungsmöglichkeiten reiches Wegesystem entstanden, auf dem man sich als Besucher sinnvoll und klar geleitet fühlt. Die verschiedenen Fortbewegungsarten und -geschwindigkeiten finden in der Regel genug Platz. Nur an einigen wenigen Stellen brechen die Wege ab und zwingen zu Umwegen. Gelegenheit zum Ausruhen bieten die Sitzkanten entlang der Wiesen, einzeln stehende Betonbänke und die bis zu 80 m langen Bankskulpturen aus Accoya-Schichtholz. Robust und einfach, aber dennoch einladend wirken diese. Für nächtliche Beleuchtung sorgen die linear entlang der Hauptwege angeordneten, abknickenden Lichtmasten, die ebenfalls vom Atelier LOIDL gestaltet wurden. Die robuste und dennoch abwechslungsreiche Gestaltung ist die Stärke dieses Parks, die auch den hohen Besucherzahlen seit Eröffnung standhielt. Intensiv diskutiert wurde seither über Probleme mit Müll und Graffiti. Zurückzuführen sind diese jedoch mehr auf die hohen Nutzerzahlen und damit die Beliebtheit, denn auf Verwahrlosung.

Auch Nutzungskonflikte sind bisher weitgehend ausgeblieben. Ob das auch in der kommenden Saison, der ersten kompletten, so bleibt, ist abzuwarten – Hundeauslauf- oder Grillplätze z. B. sind nicht vorgesehen. Und spätestens 2013 wird es eng am schmalen Übergang zum Westteil, wenn sich alle Besucher – Spaziergänger, Skater und die Benutzer des Fernradwegs – diesen teilen müssen.

Ausgerechnet die Brücke in Verlängerung des »Generalzugs«, die die verschiedenen Stadtgebiete zusammenführen und beide Parkteile direkt verbinden sollte, ist den Sparzwängen zum Opfer gefallen. Dennoch ist schon heute aus der vormals einsamen, eine belebte und beliebte grüne Insel geworden, die urbane Wildnis und gebaute Natur, zeitgenössische Gestaltung und historische Spuren, Dichte und Weite gelungen und anregend miteinander verbindet.

db, Mi., 2012.02.29



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db 2012|03 Freiräume

11. Mai 2010Carsten Sauerbrei
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Transparent Tagen

Das Café Moskau, ein herausragendes Beispiel der DDR-Moderne, wurde zum Veranstaltungszentrum umgebaut. Dabei stellten die Architekten die ursprünglichen Sichtbeziehungen und die Materialästhetik des Gebäudes wieder her. Mit einer Strategie des behutsamen Weiterbauens fanden sie vielfach, aber nicht überall überzeugende Lösungen für die neuen Anforderungen.

Das Café Moskau, ein herausragendes Beispiel der DDR-Moderne, wurde zum Veranstaltungszentrum umgebaut. Dabei stellten die Architekten die ursprünglichen Sichtbeziehungen und die Materialästhetik des Gebäudes wieder her. Mit einer Strategie des behutsamen Weiterbauens fanden sie vielfach, aber nicht überall überzeugende Lösungen für die neuen Anforderungen.

Laut tost der Verkehr auf der vielbefahrenen Berliner Karl-Marx-Allee am sanierten Café Moskau vorbei. Der Architekt Josef Kaiser errichtete es 1960–64 an der Vorzeige- und Paradestraße der DDR. Es bildet zusammen mit den gegenüberliegenden Gebäuden des Kino International, der einstigen Mokka-Milch-Eisbar und dem Neubau des Rathauses Berlin-Mitte – einer Referenz an das Hotel Berolina von 1963 – ein spannungsreiches städtebauliches Ensemble. Dies ist das Kernstück des zweiten Bauabschnitts der Straße, die als Stalinallee eher mit dem DDR-Neoklassizismus der 50er Jahre in Verbindung gebracht wird.

Die Kultur sollte hier zeigen, wie gut es sich im Sozialismus leben lässt: Filmpremieren im Kino International, sowjetische Kochkunst im Café Moskau. Im Gebäude befanden sich neben dem großen Restaurant eine Wein- und Teestube sowie ein Konzertcafé und eine Nachtbar. Letztere blieb auch in Betrieb, als das Haus in den 90er Jahren zum Technoclub und Ziel der Berliner Musikszene wurde. Das neue Nutzungskonzept sieht vor, die Räume in Zukunft für Veranstaltungen zu vermieten – Tanzen und Speisen nicht ausgeschlossen.

Zurück zu den Sechzigern

Das zweigeschossige Café Moskau wirkt transparent mit der umlaufenden Glasfassade im OG. Das EG allerdings präsentiert sich von außen eher verschlossen, wenngleich große Glasfenster die Wandfelder regelmäßig durchbrechen. Nach dem Betreten des Gebäudes hingegen eröffnet sich dem Besucher ein weites Blickfeld vom Eingangsfoyer über das zentrale Atrium bis hin zum rückwärtigen Außenbereich, dem Rosengarten. Diese vielfältigen Sichtbeziehungen und die durchdachte Materialästhetik von 1964 – ein Zusammenspiel von hellen Holzdecken, rotem Marmor, grauem Schiefer, Buntsteinputz und matt schimmernden Aluminiumprofilen – wiederherzustellen, war eines der Ziele des Umbaus durch das Berliner Büro Hoyer Schindele Hirschmüller (HSH). Wurden doch beim letzten Umbau 1981-83 Glaswände mit dunklem Holz verkleidet, großzügige Räume durch eine Vielzahl von Einbauten geteilt und die Leichtigkeit der 60er Jahre durch eine schwere, dunkle Innenausstattung aufgehoben. Dennoch stellten die Denkmalpfleger das Gebäude mitsamt den Einbauten nach 1989 unter Schutz. Sie stimmten der Entscheidung, diese Schicht des Gebäudes bis auf wenige Reste aufzugeben, nur unter der Bedingung zu, dass dafür die ursprüngliche Architektursprache soweit wie möglich wiederhergestellt würde. Die Architekten entfernten dazu zunächst diverse Einbauten und befreiten die Oberflächen von Übermalungen. Die ursprünglichen Materialien lassen sich heute wieder erleben. Einzelne Wandverkleidungen und Motive der 80er Jahre wurden an Ort und Stelle erhalten oder an anderer Stelle in neue Räume eingebaut. Mit dem Umbau konnten die Architekten das Raumerlebnis z. T. sogar noch steigern: Die Heizkörper, die ehemals vor der raumhohen Verglasung den Blick störten, ersetzten sie durch Bodenkonvektoren. Flexibel veranstalten

Das zweite, wichtige Ziel des Umbaus war es, möglichst viele, flexibel nutzbare Veranstaltungsflächen zu erhalten. Dafür reduzierten die Architekten den Anteil der Nebenräume entscheidend – für die zukünftige, temporäre Nutzung reicht z. B. eine Vorbereitungsküche aus. Mit neuem, zusätzlichem Eingang und Foyer an der Westseite bekam das Gebäude außerdem eine zweite, unabhängige Erschließung. Der Betreiber erhält mit dieser Maßnahme, den zusätzlichen Sanitärräumen und mehrfach teilbaren Veranstaltungsflächen, große Flexibilität in der Nutzung des Gebäudes. Durch eine der Umbaumaßnahmen ist jedoch der große Saal im EG in seiner Raumqualität deutlich gemindert worden. Um einen größeren, ungeteilten Innenraum zu erhalten, wurde die ursprüngliche, mittlere Stützenreihe entfernt. Zwei neue Reihen entlang der Längsseiten des Raums nehmen jetzt die Deckenlast auf. Der Blick durch die großen Glasfenster wird dadurch beeinträchtigt; der Raum vor den Fenstern wirkt beengt.

An vielen anderen Stellen gelang dagegen die Verbindung von Alt und Neu. So reflektiert die anthrazitfarbene Glaswand, die den neuen Eingang markiert, die historische Fassade des Café Moskau und setzt damit das schon 1964 angelegte Verwirrspiel mit Durchsichten und Spiegelungen fort. Ihre minimalistische Ästhetik – Profile fehlen außen völlig, lediglich Türgriffe unterbrechen die Glasfläche – zeigt außerdem deutlich die eigene, zeitgenössische Handschrift der Architekten. Tagsüber tritt die Wand zurück, nachts wird sie zum Leuchtzeichen und in Zukunft mit Hilfe einer LED-Wand zur bewegten Antwort auf das realsozialistische Mosaik an der Ostseite. Hinter der Glaswand weitet sich der Raum. Dort befindet sich das neue Treppenhaus. Die Architekten nehmen auch hier Motive des alten Gebäudes auf – die Oberlichter als Referenz an den ehemaligen Wirtschaftshof zum Beispiel – und finden ihren eigenen Materialausdruck: Helles Parkett für die Treppen, ein dunkler Magnesitestrich für die anderen Laufflächen, Glas und Edelstahl für Geländer und Brüstungen. Die Suche nach der zurückgenommenen Ästhetik des Eingangs bleibt an dieser Stelle jedoch vergebens.

Alte Fassung, neue Technik

Subtiler und gelungener ergänzen HSH Architekten die alte Fassade durch notwendige neue Öffnungen wie Lüftungsflügel oder Fluchttüren. Als Fassung dieser Elemente wählten sie schwarze Profile, ähnlich denen, die bereits 1964 verwendet worden waren, um die großen Glasflächen zu teilen. Damit fügen sich die neuen Bauteile wie selbstverständlich in die alte Fassade ein und beleben sie zusätzlich. Auch der neue Windfang am alten Eingang ist dafür ein überzeugendes Beispiel. Um eine bessere Wärmedämmung und einen besseren Sonnenschutz zu erreichen, wurde außerdem Isolier- und Sonnenschutzglas in die alten Profile eingesetzt. Da deren Anteil an der Fassadenfläche nur rund zehn Prozent beträgt, konnten gute Wärmewerte erreicht werden.

Die Architekten überzeugen mit ihrer Strategie des Weiterbauens jedoch nicht überall. Die neuen Decken in den großen Veranstaltungsräumen wurden als Referenz an die ursprüngliche Gestaltung als Holzdecken aus Esche entworfen. Damit sollte der alte Raumeindruck wiederentstehen. Im Gegensatz zur homogenen Oberfläche von 1964 ist die Decke heute aber durch eine Vielzahl von Technikelementen perforiert. Der historische Raumeindruck kann sich so nicht einstellen, ein neuer, eigenständiger nur schwer. In diesem Punkt verharrt die Architektursprache in einer unentschiedenen Haltung dem Bestand gegenüber. Das zeigt auch die Verwendung der gleichen Decke im 1964 noch nicht bestehenden, neuen Veranstaltungsraum. Von diesem fällt der Blick auf den Rosengarten, dem im Vergleich zum Atrium kleineren der beiden Freiräume. Die Rosen werden sich sicher noch entwickeln; derzeit lockert lediglich eine ebenerdige Wasserfläche den Bereich auf. Hier, wie auch beim Atrium und den Flächen um das Gebäude herum, lassen sich kaum Gestaltungsabsichten erkennen. Dennoch wird beim Blick auf die andere Seite der Karl-Marx-Allee deutlich, dass es das Café Moskau mit seiner behutsamen Sanierung und der ganz überwiegend gelungenen Neugestaltung gegenüber seiner Nachbarn wirklich sehr gut getroffen hat.

db, Di., 2010.05.11



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