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Texte

26. Juli 2005Jörn Ebner
Neue Zürcher Zeitung

Denken und Bauen

Architektur brauche keine Permanenz, ein jedes Gebäude müsse nur so lange bestehen, wie es seinen Nutzen erfülle. Das Credo des englischen Architekten...

Architektur brauche keine Permanenz, ein jedes Gebäude müsse nur so lange bestehen, wie es seinen Nutzen erfülle. Das Credo des englischen Architekten...

Architektur brauche keine Permanenz, ein jedes Gebäude müsse nur so lange bestehen, wie es seinen Nutzen erfülle. Das Credo des englischen Architekten Cedric Price (1939-2003) wandte sich nicht zuletzt gegen die Vorstellung, dass Architekten vor allem bauen müssten. Genauso wichtig sei es, dies zu unterlassen, meinte Price. Er selbst jedenfalls hielt sich mit dem Bauen zurück. Nach der Gründung seines Büros im Jahre 1960 setzte er zwar einige Projekte um, konzentrierte sich aber vor allem auf die konzeptuelle Auseinandersetzung mit Architektur - nicht als schreibender Theoretiker, sondern mit den Entwurfsmitteln des Architekten wie Skizze und Bauplan. Das Design Museum in London hält nun eine Rückschau auf acht wichtige Projekte von Price, die den Rahmen seiner Aktivitäten abstecken und einen Überblick über sein Denken geben. Dieses hatte einen nachhaltigen Einfluss auf Vordenker von heute wie Rem Koolhaas.

Neben seinem Zweifel an den herkömmlichen Vorgehensweisen der Architektur, denen er mit modularen und beweglichen Konzepten entgegentrat, war Frohsinn im Gebauten eines seiner Anliegen. Dem Architekten waren dabei Fragen nach dem Erscheinungsbild des Ganzen weniger wichtig als der Schulterschluss zwischen Struktur und Technologie. Das Projekt «Fun Palace» (1960-1965) vereinte all diese Aspekte: In einen Stahlrahmen sollten jeweils einzelne Elemente flexibel eingefügt werden. Dabei könnten die Nutzer dieses Gebäudes, das für Kulturveranstaltungen und deren Vermittlung entstehen sollte, die Bestandteile mittels Kränen aktiv verändern. 1971 setzte er diesen Denkansatz mit dem Inter- Action Centre in London in die Realität um. Dessen flache, offen-rechteckige Schale konnte mit Klassenzimmern, Büros oder Probesälen je nach Bedarf erweitert oder reduziert werden. Konsequenterweise wies Price den Ruf nach Denkmalschutz für das 2002 abgerissene Gebäude zurück. - Price vertrat die Meinung, Architektur finde an Umschlagplätzen statt und habe daher nur kurzfristige Gestalt, die Wandel antizipieren müsse. So hätte der «Potteries Think Belt» (1964) das ausgediente industrielle Bahnsystem in Staffordshire in einen gigantischen beweglichen Campus umfunktioniert; Laboratorien und Lehrsäle wären zwischen den Städten bewegt worden. Dreissig Jahre später entwickelte Price mit dem Projekt «Magnet» (1996-99) ein loses System für zehn bewegliche Stadtelemente. Aber solch fluktuierenden Formen setzte Price auch festere entgegen: etwa das Vogelhaus für den Londoner Zoo (1961), das aus dem Ingenieursdenken seines Freundes Buckminster Fuller entstand, oder einen Pferch (1977), der zur Tierhaltung sowie als Sonnenterrasse verwendbar ist.

[ Bis 9. Oktober im Design Museum in London. ]

Neue Zürcher Zeitung, Di., 2005.07.26

19. Januar 2005Jörn Ebner
Neue Zürcher Zeitung

Pop und Klassik

In fünf Wellen wölbt sich am Ufer des Tyne die Aussenhaut des Sage Music Centre. Dieser jüngst in der nordenglischen Stadt Gateshead eröffnete Kulturpalast...

In fünf Wellen wölbt sich am Ufer des Tyne die Aussenhaut des Sage Music Centre. Dieser jüngst in der nordenglischen Stadt Gateshead eröffnete Kulturpalast...

In fünf Wellen wölbt sich am Ufer des Tyne die Aussenhaut des Sage Music Centre. Dieser jüngst in der nordenglischen Stadt Gateshead eröffnete Kulturpalast umfasst zwei durch ein grosses Foyer erschlossene Musiksäle. Ausserdem finden sich Übungs-, Aufnahme- und Unterrichtsräume im Untergeschoss. Der von Norman Foster entworfene Gebäudekomplex wird von einer Hülle aus Stahl und Glas umschlossen, deren Form einem Kokon gleicht und den Schwingungen der nahe gelegenen Tyne-Brücken antwortet. Aber das auffällige architektonische Erscheinungsbild des Sage Music Centre ist nicht Selbstzweck. Es will in seiner Zeichenhaftigkeit auch Ausdruck einer regen regionalen Kulturpolitik sein.

Im Nordosten Englands versucht man nämlich seit einiger Zeit, den einstigen Mangel an staatlicher Kulturförderung auszugleichen. So bemühen sich die Städte Newcastle und Gateshead seit zehn Jahren um «Kultur der Weltklasse». Dieser sehen sie sich mit der Baltic-Kunsthalle und nun auch mit dem Sage Music Centre näher, soll doch das Sage den besten Häusern Europas in nichts nachstehen. Foster und die Ingenieure von Ove Arup orientierten sich nämlich bei der Einrichtung der beiden Konzertsäle (mit 1700 und 400 Plätzen) am Wiener Musikverein und am Amsterdamer Concertgebouw. Die Akustik wurde derart konzipiert, dass sowohl klassische Musik als auch Jazz und Pop gespielt werden können. Dazu entwarfen Foster und Arup im rechteckigen Hauptsaal eine verstellbare Decke, die den jeweiligen Anforderungen entsprechend in einer Höhe zwischen 10 und 21 Metern positioniert werden kann. Hinzu kommen in beiden Sälen räumlich flexible Bühnen sowie eine helle Holzverkleidung aus Birke und Esche, die im zehneckigen Nebensaal der intimen Atmosphäre wegen rot gebeizt ist. Übungssaal und Seminarbereich haben Fenster mit Blick auf den Tyne und das gegenüberliegende Ufer. Zudem sind alle Räume für analoge und digitale Ton- und Videoaufnahmen miteinander vernetzt.

Das Zusammengehen von Pop- und Hochkultur, das von der Stadt als Besitzerin des Hauses gewünscht worden war, zeigte sich schon, als die ersten Konzepte für das Sage entworfen wurden. Bereits vor 15 Jahren taten sich nämlich die Northern Sinfonia und die Folkworks zusammen, um für das Musikzentrum zu werben. Im Jahre 2000 gründeten sie den North Music Trust und warten nun mit einem umfangreichen Programm auf: Das Orchester unter Leitung von Thomas Zehetmair spielt Ligeti und Mozart; und im Februar wird Nick Cave solo auftreten.

Neue Zürcher Zeitung, Mi., 2005.01.19



verknüpfte Bauwerke
Sage Music Centre

04. März 2002Jörn Ebner
Neue Zürcher Zeitung

Jungstars der französischen Designerszene

Das neue Millennium begann auf der Mailänder Möbelmesse mit einer französischen Sensation: Die Schlafkabine «Lit clos» der Brüder Ronan und Erwan Bouroullec...

Das neue Millennium begann auf der Mailänder Möbelmesse mit einer französischen Sensation: Die Schlafkabine «Lit clos» der Brüder Ronan und Erwan Bouroullec...

Das neue Millennium begann auf der Mailänder Möbelmesse mit einer französischen Sensation: Die Schlafkabine «Lit clos» der Brüder Ronan und Erwan Bouroullec galt als Ereignis des Jahres und warf ein neues Schlaglicht auf die junge französische Designerszene. So jedenfalls stellt es das Londoner Design Museum dar, das zurzeit den umschwärmten Jungstars die erstmalige Gelegenheit bietet, ihr Gesamtwerk der Öffentlichkeit zu präsentieren. Fehlen darf die auf Stelzen erhöhte Schlafkabine dabei selbstverständlich nicht, da sie all jene Qualitäten vereint, die den Bouroullecs wichtig sind: Persönlichkeit, Poesie, Schönheit und Funktionalität.

Das schon recht umfassende Œuvre der Bouroullecs zeichnet sich sowohl durch klare Formgebung als auch durch munteres Formenspiel aus. Die «Vases combinatoires» von 1998 bestehen aus einem achtteiligen, einfarbigen Stecksystem aus Kunststoff, das in einem flachen Fuss zu über 2000 Konfigurationen gestöpselt werden kann. Diese Bereitstellung von Formen zur individuellen Handhabung durch den Käufer zieht sich durch das ganze Werk der Bouroullecs. Teppiche etwa, die an Reissverschlüssen entlang erweitert und umgestaltet werden können, oder eine «Cuisine désintégrée», die nur aus einer Tischkonstruktion besteht, an der gewünschte Bestandteile wie Regale beliebig angebracht werden können. Dieser Interpretation von Funktionalität als individuell adaptierbare Umweltgestaltung steht eine sanft gerundete Formensprache mit poetischem Witz zur Seite: Ihre jüngst entworfene TV-Vase beleuchtet die in ihr steckende Blume bläulich.

Der 30-jährige Ronan und sein fünf Jahre jüngerer Bruder Erwan erläutern ihre Arbeit als assoziative Poesie, die mit klarer Funktionalität kombiniere und damit der japanischen Gedichtform des Haiku vergleichbar sei, in der zwei Bilder nebeneinander gestellt werden. Gleichzeitig sehen sie ihre Produkte als eine Form des Logos, dessen Bildhaftigkeit schnell aufzunehmen ist. So sollen sich beispielsweise bekannte Gegenstände wie Fernseher und Vase in neuer Kombination zu einem erfrischenden, ebenso poetischen wie irritierenden Bild verdichten. Die Bouroullecs vergleichen ihr Werk mit einer Farbpalette und nicht mit einem Gemälde. Denn sie bieten nur die Voraussetzungen für die Nutzung und kein streng festgelegtes Erzeugnis.

Mit ihrer romantischen Funktionalität entzücken die in der Bretagne geborenen Brüder selbst arrivierte Kollegen wie Jasper Morrison und Issey Miyake. Für das Pariser Geschäft des japanischen Modedesigners konzipierten die Bouroullecs die gesamte Innenausstattung. Auch die Ausstellung im Design Museum haben die beiden als wohnlichen Showroom selbst installiert. Sitz- und Liegemöbel wollen als Exponate bewundert werden, sie dienen aber auch der Betrachtung von Videos über das Entstehen des zeichnerischen Entwurfs; Wandelemente stehen als Designobjekte aus Styropor für sich selbst und teilen gleichzeitig den Raum. Entstanden ist so eine schöne neue Welt - ganz im Geist der Brüder Bouroullec.


[Bis 16. Juni im Design Museum London; kein Katalog.]

Neue Zürcher Zeitung, Mo., 2002.03.04

01. März 2002Jörn Ebner
Neue Zürcher Zeitung

Gestickte Weinflecken

Niederländisches Produktdesign ist im Wandel begriffen, dies veranschaulicht eine Ausstellung im Londoner Crafts Council. Sie präsentiert unter dem Titel...

Niederländisches Produktdesign ist im Wandel begriffen, dies veranschaulicht eine Ausstellung im Londoner Crafts Council. Sie präsentiert unter dem Titel...

Niederländisches Produktdesign ist im Wandel begriffen, dies veranschaulicht eine Ausstellung im Londoner Crafts Council. Sie präsentiert unter dem Titel «Home Made Holland» Arbeiten aus den letzten zehn Jahren von 30 Designern, die ihren handwerklichen Ansatz mit einem Blick auf niederländische Traditionen koppeln. Hella Jongerius' Beitrag einer bestickten Vase bildet gleichsam den Fokus der Schau. Erscheint das Keramikobjekt «Giant Prince» altmodisch bezüglich der lasierten Dekoration, so verweist die brutale Oberflächenverletzung durch die Stickerei auf den zeitgenössischen Eingriff; gleichzeitig eignet dem Objekt die Aura des Kunsthandwerklichen. Entstanden ist es im «Jongerius Lab», dem Designunternehmen der 1963 geborenen Niederländerin. Ihr Name ist mit dem Kollektiv Droog Design verbunden, das für einige in der Ausstellung vertretene Gestalter eine wichtige Plattform war und noch immer ist. So zeigte Marcel Wanders seinen geknüpften Stuhl von 1996 erstmals mit Droog Design, bevor ihn die Möbelfirma Capellini in Produktion nahm.

Nicht fehlen darf natürlich das traditionelle Delfter Blau, das der Industriedesigner Roderick Vos auf den Prototypen seiner Vasen anwendet. Vos, der für bekannte Firmen wie Alessi und Authentics entwirft, entwickelt seine Arbeiten nicht am Computer, sondern von Hand zum endgültigen Produkt. Die 1972 in Mainz geborene Gésine Hackenberg folgt bei ihren schmuckartigen Bestecken einem kaum festgelegten Produktionsplan. Die Malerei des 17. Jahrhunderts ist hingegen eine Inspirationsquelle für Ed Annink: Seine glatten Kunststoffobjekte sind Stillleben des Malers Jan Steen entnommen. Eher von zeitgenössischen Anregungen zeugt dagegen die mit Weinflecken bestickte Tischdecke von Manon van Kouswijk. - Die in drei wohnliche Situationen aufgeteilte Schau präsentiert die Exponate in einer intimen Atmosphäre und lässt gleichzeitig die Grenzen zwischen Kunsthandwerk und Design verschwinden.


[ Bis 24. März. Katalog: Home Made Holland. Crafts Council, London 2002. ISBN 1903713048, 72 S., £ 9.50. ]

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2002.03.01

18. Januar 2002Jörn Ebner
Neue Zürcher Zeitung

Kunststoff Natur

Bei der «Restore Station» in Hiroshima gleiten die Autos vorbei an Hollywoodfilmen, grossflächig projiziert auf haushohe kubische Betonelemente. Dahinter...

Bei der «Restore Station» in Hiroshima gleiten die Autos vorbei an Hollywoodfilmen, grossflächig projiziert auf haushohe kubische Betonelemente. Dahinter...

Bei der «Restore Station» in Hiroshima gleiten die Autos vorbei an Hollywoodfilmen, grossflächig projiziert auf haushohe kubische Betonelemente. Dahinter liegt parallel zur Strasse ein gläsernes Café, während ein geodätischer Glasdom einen punktuellen Akzent setzt. Shinichi Ogawas multifunktionales Gelände von 1991, eine geometrische Komposition aus Beton, Stahl und Glas, sitzt in einer sonst leeren Landschaft, aktualisiert diese durch den menschlichen Eingriff und schafft so eine künstliche Natur. Auf ähnlich unkonventionelle Weise treten auch die anderen neun japanischen Landschaftsarchitekten auf, die derzeit im Royal Institute of British Architects in London zu sehen sind - einige erstmals ausserhalb Japans.

Klar definierte geometrische Linien bestimmen das Erscheinungsbild dieser Art von Landschaftsarchitektur, die sich in den letzten zwölf Jahren herauskristallisiert hat. Farbigkeit entsteht durch abgegrenzte unterschiedliche Pflanzungen, die zuweilen in ummauerten Rabatten rechteckig voneinander abgehoben sind wie beim Dachgarten des Gate Tower in Rinku von Makoto Noborisaka. Um diesen türmen sich die Betonpfeiler der umliegenden Autostrassen. Materialunterschiede rhythmisieren Wege und Ruheplätze, Holz und Stein beleben die oft pflanzenleeren Anlagen, skulpturale Objekte sind wie Blumen in den Boden gelassen. Bäume markieren oft nur vereinzelte Punkte im weiten Feld - etwa in den Parkanlagen von Yoshiki Toda, die sich dereinst wieder einem natürlichen Zustand annähern werden. Im Tsunan-Zentralpark und im Tateshina-Skulpturenpark verwendet Toda hingegen runde, fliessende Formen - allein, auch hier besteht kein Zweifel an der Künstlichkeit des Gebauten.

Die Grenzen zwischen Park und Garten verwischen sich bei diesen laut dem Ausstellungstitel zwischen «Moderne und Ma» positionierten Architekten. Ma? Koshi Ohashi erläutert diesen Begriff als unsichtbares Element des sich durch die menschliche Nutzung verändernden Raums. Jene mystische Komponente bleibt also eine unbekannte Grösse, die vielleicht als Gegenstück zu den geometrischen Mustern aus Gras und Wasser gelten mag, mit denen Yoji Sasaki den Vorplatz des NTT Musashino Center gestaltete. Aber auch dessen Anlage gilt der spirituellen Anregung der Mitarbeiter des Unternehmens. NTT drängte dabei übrigens auf eine Anlage, die das Firmenbild nicht widerspiegelt - ganz entgegen japanischer Corporate-Identity-Tradition. Insofern werden traditionelle Verfahren nicht nur mit einem modisch modernen Lebensstil verbunden, sondern auch der Wandlung eines Gesellschaftsbilds zugetragen.


[ Die Ausstellung «From Modernism to Ma. Contemporary Japanese Landscapes» in der RIBA Gallery in London dauert bis zum 16. Februar. Kein Katalog. ]

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2002.01.18

19. Februar 2001Jörn Ebner
Neue Zürcher Zeitung

Flexible Gedankengebäude

Zeichnungen von Cedric Price in London

Zeichnungen von Cedric Price in London

Architektur sei ein schlechter «Schauspieler». Sie tue nicht genug, um das Leben der Menschen zu bereichern - anders als etwa das Internet, die Literatur oder die Musik. Das jedenfalls meint der britische Architekt Cedric Price, dessen Zeichnungen aus den letzten 40 Jahren in einer kleinen Ausstellung im Londoner Institute of International Visual Art zu sehen sind. Im Mittelpunkt der Auswahl, die von Kurator Hans Ulrich Obrist besorgt wurde, steht sein Projekt «Magnet» aus den neunziger Jahren, das sich mit Zeit und Stadtraum beschäftigt. Die konzeptuellen Zeichnungen - Hebebühnen in Fussgängerzonen und Flugzeuge im Park - betonen die begrenzte Lebensdauer von Bauten sowie das Erleben von Stadtraum. Price entwirft ein Bild von Urbanität mit Blick auf neue Bewegungsmuster im Raum anstelle von Strategien räumlicher Bebauung. Dafür stehen Zeichnungen von Bahnfahrten und Abbildungen von Lastwagen.

Seine Skizze für den Neubau der Tate Modern wiederum war weniger eine Bauidee als ein provokantes Gedankenspiel: Price wollte das Kraftwerk an der Bankside selbst als Ausstellungsstück unter einen Glaskasten stellen. Die von ihm gebauten Strukturen sollten seiner Meinung nach nicht auf Dauer bestehen. 1998 stritt er gegen die Denkmalschützer für den Abriss seines «Interaction Centre». Der Bau in Londons Stadtteil Camden habe seine Lebensdauer schon fast überschritten, denn seine Bauten sollten nicht länger als 50 Jahre stehen. Price sieht - wie gesagt - seine Aufgabe darin, aus der Architektur einen besseren «Schauspieler» zu machen: Seine Gedanken zumindest haben sich bei der nachfolgenden Generation eingenistet. So hatte sein unausgeführtes Projekt «Fun Palace» von 1961 - als flexibler, durch die Benutzer veränderbarer Bau konzipiert - Einfluss auf das Centre Pompidou von Rogers und Piano.

[Bis zum 23. Februar im Institute of International Visual Arts in London (TheSpace@inIVA), anschliessend im Musée d'Art Moderne de la Ville Paris.]

Neue Zürcher Zeitung, Mo., 2001.02.19

15. Juni 2000Jörn Ebner
Neue Zürcher Zeitung

Interesse an Ökologie

Zum zweiten Mal schreibt das Londoner Design Museum seinen «Design Sense» genannten und mit 40 000 Pfund dotierten Preis für Nachhaltigkeit aus. Die Ausschreibung,...

Zum zweiten Mal schreibt das Londoner Design Museum seinen «Design Sense» genannten und mit 40 000 Pfund dotierten Preis für Nachhaltigkeit aus. Die Ausschreibung,...

Zum zweiten Mal schreibt das Londoner Design Museum seinen «Design Sense» genannten und mit 40 000 Pfund dotierten Preis für Nachhaltigkeit aus. Die Ausschreibung, an der Designer und Architekten aus aller Welt teilnehmen können, versteht sich als Beitrag zur Umorientierung der industriellen Zunft. Dabei soll nachhaltiges Design zu kommerziellem Erfolg führen. Diesmal zielt man bewusst auf den Mainstream, um nicht als Umweltveranstaltung abgetan zu werden. Denn in Grossbritannien, wo zwar ein starker Aktivismus von Naturschützern an der Tagesordnung ist, die Regierung aber bisher nur geringe Massnahmen für die ökologische Gestaltung der Zukunft ergriffen hat, wird Ökologie noch immer gerne mit Sektierertum gleichgesetzt. Allerdings scheint sich dies nun zu ändern. Die Regierung verkündete kürzlich, dass Abfall minimiert werden und dessen Wiederverwertung im Volumen stark ansteigen müsse, denn mit derzeit 9 Prozent rangiert das Königreich am unteren Ende der internationalen Recycling-Scala.

Auch wenn Tony Blairs Stellvertreter John Prescott im April das nahe dem Millennium Dome gelegene Millennium Village als Vorzeigeobjekt für Nachhaltigkeit im Wohnungsbau einweihte, verbleiben Initiativen für ökologische Gestaltung vornehmlich in der Hand privater Auftraggeber. Darauf geht derzeit das Royal Institute of British Architects (RIBA) in der Ausstellung «Living City» ein. Zu sehen sind Beispiele des ökologischen Häuserbaus der Wohnbaugenossenschaft Peabody, Pläne für eine Solarsiedlung des Architekturbüros CZWG und die «BedZed» benannte Siedlung der Bill Dunster Architects. Während sich «Living City» spezifisch mit dem urbanen Umfeld befasst, wendet sich «Design Sense» gleichzeitig an Designer und Architekten, auch wenn in dieser Preisausschreibung im letzten Jahr ein Architekt - Charlie Paton für sein «Seawater Greenhouse» auf Teneriffa - ausgezeichnet wurde.


[ Die Ausstellung «Living City» ist im RIBA noch bis zum 9. Juli zu sehen. Für den «Desing Sense»-Wettbewerb kann man sich noch bis zum 28. Juli bewerben. Formulare sind unter www.designmuseum.org/designsense erhältlich. ]

Neue Zürcher Zeitung, Do., 2000.06.15

11. März 2000Jörn Ebner
Neue Zürcher Zeitung

Der blanke Kunststoffschein

Just während seiner Retrospektive im Londoner Geffrye Museum wurde der britische Möbeldesigner Matthew Hilton von Design-Guru Tom Dixon zum «Head of Design»...

Just während seiner Retrospektive im Londoner Geffrye Museum wurde der britische Möbeldesigner Matthew Hilton von Design-Guru Tom Dixon zum «Head of Design»...

Just während seiner Retrospektive im Londoner Geffrye Museum wurde der britische Möbeldesigner Matthew Hilton von Design-Guru Tom Dixon zum «Head of Design» im Möbelbereich der Firma Habitat ernannt. Damit treffen zwei Kreative zusammen, die nicht nur seit den achtziger Jahren die Designwelt erkunden, sondern auch entwerferische Vorlieben teilen. Beide kommen von einer handwerklichen Ausgangsposition her und stehen für einen bildhauerischen Umgang mit Form und Material. Dies ist exemplarisch für das wiedererwachende britische Design im ausgehenden 20. Jahrhundert. Hiltons Möbeldesign ist zudem dem englischen Arts & Crafts Movement des späten 19. Jahrhunderts verpflichtet, knüpft aber auch an die klaren Konturen der klassischen Moderne und die technologischen Entdeckungen der jüngsten Zeit an: Sein Cocktail wurde in Grossbritannien - wie das Museum ermittelte - in den neunziger Jahren stilprägend. Die Ausstellung im neuen Flügel des Geffrye Museum, der sich ausschliesslich Inneneinrichtungen des 20. Jahrhunderts widmet, wurde von der Kuratorin Catherine McDermott eingerichtet.

Die in einer kleinen, aber aussagekräftigen Auswahl präsentierten Themenbereiche Metall, Plastic und Holz veranschaulichen Hiltons Umgang mit bildnerischen und kunsthandwerklichen Formen. So lassen sich Tischbeine und Kerzenständer aus Aluminium oft von abstrakten Skulpturen der klassischen Moderne ableiten, was Hilton etwa mit der Bezeichnung «Brancusi» für einen Kerzenständer offen darlegt. Der frühe «Tension»-Tisch von 1979, mit dem Hilton seine Studien abschloss, verweist auf die Bauhaus- Möbel aus Metallrohr. Die zentrale Position nehmen Polstermöbel ein: voluminöse weisslederne Sofas und Sessel vom Typ «Balzac» (1991) zeugen mit ihren sacht geschwungenen Konturen von Hiltons Flair für eleganteste Formen. - Besondere Aufmerksamkeit finden im Katalog die Produktionsorte - vornehmlich kleine Manufakturen, die nochmals den handwerklichen Aspekt hervorheben. Frühe Unterstützung und Verbreitung indes fand Hiltons Mobiliar seit den achtziger Jahren durch den englischen Hersteller Sheridan Coakley und dessen Unternehmen SCP, das immer noch massgeblich zur Verbreitung des jungen britischen Designs beiträgt. Die Möglichkeiten einer durchweg industriellen Entwicklung aber konnte Hilton erst kürzlich mit dem stapelbaren Plasticstuhl «Wait» (1999) für den deutschen Hersteller Authentics untersuchen: in der Ausstellung nachvollzogen durch die verschiedenen Modellstufen des Stuhls. Erneut zeigt sich daran Hiltons prozessorientierte Gestaltung. Hier offenbart sich nicht das Œuvre eines idealistisch- radikalen Erneuerers, sondern die zeitgenössische Fortführung englischer Möbeltradition.


[ Bis 25. Juni. Katalog: Catherine McDermott, Matthew Hilton: Furniture for our Time. Lund Humphries Publishers, London 2000. ISBN: 085331-807-7. 80 S., £ 16.50. ]

Neue Zürcher Zeitung, Sa., 2000.03.11

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Presseschau 12

26. Juli 2005Jörn Ebner
Neue Zürcher Zeitung

Denken und Bauen

Architektur brauche keine Permanenz, ein jedes Gebäude müsse nur so lange bestehen, wie es seinen Nutzen erfülle. Das Credo des englischen Architekten...

Architektur brauche keine Permanenz, ein jedes Gebäude müsse nur so lange bestehen, wie es seinen Nutzen erfülle. Das Credo des englischen Architekten...

Architektur brauche keine Permanenz, ein jedes Gebäude müsse nur so lange bestehen, wie es seinen Nutzen erfülle. Das Credo des englischen Architekten Cedric Price (1939-2003) wandte sich nicht zuletzt gegen die Vorstellung, dass Architekten vor allem bauen müssten. Genauso wichtig sei es, dies zu unterlassen, meinte Price. Er selbst jedenfalls hielt sich mit dem Bauen zurück. Nach der Gründung seines Büros im Jahre 1960 setzte er zwar einige Projekte um, konzentrierte sich aber vor allem auf die konzeptuelle Auseinandersetzung mit Architektur - nicht als schreibender Theoretiker, sondern mit den Entwurfsmitteln des Architekten wie Skizze und Bauplan. Das Design Museum in London hält nun eine Rückschau auf acht wichtige Projekte von Price, die den Rahmen seiner Aktivitäten abstecken und einen Überblick über sein Denken geben. Dieses hatte einen nachhaltigen Einfluss auf Vordenker von heute wie Rem Koolhaas.

Neben seinem Zweifel an den herkömmlichen Vorgehensweisen der Architektur, denen er mit modularen und beweglichen Konzepten entgegentrat, war Frohsinn im Gebauten eines seiner Anliegen. Dem Architekten waren dabei Fragen nach dem Erscheinungsbild des Ganzen weniger wichtig als der Schulterschluss zwischen Struktur und Technologie. Das Projekt «Fun Palace» (1960-1965) vereinte all diese Aspekte: In einen Stahlrahmen sollten jeweils einzelne Elemente flexibel eingefügt werden. Dabei könnten die Nutzer dieses Gebäudes, das für Kulturveranstaltungen und deren Vermittlung entstehen sollte, die Bestandteile mittels Kränen aktiv verändern. 1971 setzte er diesen Denkansatz mit dem Inter- Action Centre in London in die Realität um. Dessen flache, offen-rechteckige Schale konnte mit Klassenzimmern, Büros oder Probesälen je nach Bedarf erweitert oder reduziert werden. Konsequenterweise wies Price den Ruf nach Denkmalschutz für das 2002 abgerissene Gebäude zurück. - Price vertrat die Meinung, Architektur finde an Umschlagplätzen statt und habe daher nur kurzfristige Gestalt, die Wandel antizipieren müsse. So hätte der «Potteries Think Belt» (1964) das ausgediente industrielle Bahnsystem in Staffordshire in einen gigantischen beweglichen Campus umfunktioniert; Laboratorien und Lehrsäle wären zwischen den Städten bewegt worden. Dreissig Jahre später entwickelte Price mit dem Projekt «Magnet» (1996-99) ein loses System für zehn bewegliche Stadtelemente. Aber solch fluktuierenden Formen setzte Price auch festere entgegen: etwa das Vogelhaus für den Londoner Zoo (1961), das aus dem Ingenieursdenken seines Freundes Buckminster Fuller entstand, oder einen Pferch (1977), der zur Tierhaltung sowie als Sonnenterrasse verwendbar ist.

[ Bis 9. Oktober im Design Museum in London. ]

Neue Zürcher Zeitung, Di., 2005.07.26

19. Januar 2005Jörn Ebner
Neue Zürcher Zeitung

Pop und Klassik

In fünf Wellen wölbt sich am Ufer des Tyne die Aussenhaut des Sage Music Centre. Dieser jüngst in der nordenglischen Stadt Gateshead eröffnete Kulturpalast...

In fünf Wellen wölbt sich am Ufer des Tyne die Aussenhaut des Sage Music Centre. Dieser jüngst in der nordenglischen Stadt Gateshead eröffnete Kulturpalast...

In fünf Wellen wölbt sich am Ufer des Tyne die Aussenhaut des Sage Music Centre. Dieser jüngst in der nordenglischen Stadt Gateshead eröffnete Kulturpalast umfasst zwei durch ein grosses Foyer erschlossene Musiksäle. Ausserdem finden sich Übungs-, Aufnahme- und Unterrichtsräume im Untergeschoss. Der von Norman Foster entworfene Gebäudekomplex wird von einer Hülle aus Stahl und Glas umschlossen, deren Form einem Kokon gleicht und den Schwingungen der nahe gelegenen Tyne-Brücken antwortet. Aber das auffällige architektonische Erscheinungsbild des Sage Music Centre ist nicht Selbstzweck. Es will in seiner Zeichenhaftigkeit auch Ausdruck einer regen regionalen Kulturpolitik sein.

Im Nordosten Englands versucht man nämlich seit einiger Zeit, den einstigen Mangel an staatlicher Kulturförderung auszugleichen. So bemühen sich die Städte Newcastle und Gateshead seit zehn Jahren um «Kultur der Weltklasse». Dieser sehen sie sich mit der Baltic-Kunsthalle und nun auch mit dem Sage Music Centre näher, soll doch das Sage den besten Häusern Europas in nichts nachstehen. Foster und die Ingenieure von Ove Arup orientierten sich nämlich bei der Einrichtung der beiden Konzertsäle (mit 1700 und 400 Plätzen) am Wiener Musikverein und am Amsterdamer Concertgebouw. Die Akustik wurde derart konzipiert, dass sowohl klassische Musik als auch Jazz und Pop gespielt werden können. Dazu entwarfen Foster und Arup im rechteckigen Hauptsaal eine verstellbare Decke, die den jeweiligen Anforderungen entsprechend in einer Höhe zwischen 10 und 21 Metern positioniert werden kann. Hinzu kommen in beiden Sälen räumlich flexible Bühnen sowie eine helle Holzverkleidung aus Birke und Esche, die im zehneckigen Nebensaal der intimen Atmosphäre wegen rot gebeizt ist. Übungssaal und Seminarbereich haben Fenster mit Blick auf den Tyne und das gegenüberliegende Ufer. Zudem sind alle Räume für analoge und digitale Ton- und Videoaufnahmen miteinander vernetzt.

Das Zusammengehen von Pop- und Hochkultur, das von der Stadt als Besitzerin des Hauses gewünscht worden war, zeigte sich schon, als die ersten Konzepte für das Sage entworfen wurden. Bereits vor 15 Jahren taten sich nämlich die Northern Sinfonia und die Folkworks zusammen, um für das Musikzentrum zu werben. Im Jahre 2000 gründeten sie den North Music Trust und warten nun mit einem umfangreichen Programm auf: Das Orchester unter Leitung von Thomas Zehetmair spielt Ligeti und Mozart; und im Februar wird Nick Cave solo auftreten.

Neue Zürcher Zeitung, Mi., 2005.01.19



verknüpfte Bauwerke
Sage Music Centre

04. März 2002Jörn Ebner
Neue Zürcher Zeitung

Jungstars der französischen Designerszene

Das neue Millennium begann auf der Mailänder Möbelmesse mit einer französischen Sensation: Die Schlafkabine «Lit clos» der Brüder Ronan und Erwan Bouroullec...

Das neue Millennium begann auf der Mailänder Möbelmesse mit einer französischen Sensation: Die Schlafkabine «Lit clos» der Brüder Ronan und Erwan Bouroullec...

Das neue Millennium begann auf der Mailänder Möbelmesse mit einer französischen Sensation: Die Schlafkabine «Lit clos» der Brüder Ronan und Erwan Bouroullec galt als Ereignis des Jahres und warf ein neues Schlaglicht auf die junge französische Designerszene. So jedenfalls stellt es das Londoner Design Museum dar, das zurzeit den umschwärmten Jungstars die erstmalige Gelegenheit bietet, ihr Gesamtwerk der Öffentlichkeit zu präsentieren. Fehlen darf die auf Stelzen erhöhte Schlafkabine dabei selbstverständlich nicht, da sie all jene Qualitäten vereint, die den Bouroullecs wichtig sind: Persönlichkeit, Poesie, Schönheit und Funktionalität.

Das schon recht umfassende Œuvre der Bouroullecs zeichnet sich sowohl durch klare Formgebung als auch durch munteres Formenspiel aus. Die «Vases combinatoires» von 1998 bestehen aus einem achtteiligen, einfarbigen Stecksystem aus Kunststoff, das in einem flachen Fuss zu über 2000 Konfigurationen gestöpselt werden kann. Diese Bereitstellung von Formen zur individuellen Handhabung durch den Käufer zieht sich durch das ganze Werk der Bouroullecs. Teppiche etwa, die an Reissverschlüssen entlang erweitert und umgestaltet werden können, oder eine «Cuisine désintégrée», die nur aus einer Tischkonstruktion besteht, an der gewünschte Bestandteile wie Regale beliebig angebracht werden können. Dieser Interpretation von Funktionalität als individuell adaptierbare Umweltgestaltung steht eine sanft gerundete Formensprache mit poetischem Witz zur Seite: Ihre jüngst entworfene TV-Vase beleuchtet die in ihr steckende Blume bläulich.

Der 30-jährige Ronan und sein fünf Jahre jüngerer Bruder Erwan erläutern ihre Arbeit als assoziative Poesie, die mit klarer Funktionalität kombiniere und damit der japanischen Gedichtform des Haiku vergleichbar sei, in der zwei Bilder nebeneinander gestellt werden. Gleichzeitig sehen sie ihre Produkte als eine Form des Logos, dessen Bildhaftigkeit schnell aufzunehmen ist. So sollen sich beispielsweise bekannte Gegenstände wie Fernseher und Vase in neuer Kombination zu einem erfrischenden, ebenso poetischen wie irritierenden Bild verdichten. Die Bouroullecs vergleichen ihr Werk mit einer Farbpalette und nicht mit einem Gemälde. Denn sie bieten nur die Voraussetzungen für die Nutzung und kein streng festgelegtes Erzeugnis.

Mit ihrer romantischen Funktionalität entzücken die in der Bretagne geborenen Brüder selbst arrivierte Kollegen wie Jasper Morrison und Issey Miyake. Für das Pariser Geschäft des japanischen Modedesigners konzipierten die Bouroullecs die gesamte Innenausstattung. Auch die Ausstellung im Design Museum haben die beiden als wohnlichen Showroom selbst installiert. Sitz- und Liegemöbel wollen als Exponate bewundert werden, sie dienen aber auch der Betrachtung von Videos über das Entstehen des zeichnerischen Entwurfs; Wandelemente stehen als Designobjekte aus Styropor für sich selbst und teilen gleichzeitig den Raum. Entstanden ist so eine schöne neue Welt - ganz im Geist der Brüder Bouroullec.


[Bis 16. Juni im Design Museum London; kein Katalog.]

Neue Zürcher Zeitung, Mo., 2002.03.04

01. März 2002Jörn Ebner
Neue Zürcher Zeitung

Gestickte Weinflecken

Niederländisches Produktdesign ist im Wandel begriffen, dies veranschaulicht eine Ausstellung im Londoner Crafts Council. Sie präsentiert unter dem Titel...

Niederländisches Produktdesign ist im Wandel begriffen, dies veranschaulicht eine Ausstellung im Londoner Crafts Council. Sie präsentiert unter dem Titel...

Niederländisches Produktdesign ist im Wandel begriffen, dies veranschaulicht eine Ausstellung im Londoner Crafts Council. Sie präsentiert unter dem Titel «Home Made Holland» Arbeiten aus den letzten zehn Jahren von 30 Designern, die ihren handwerklichen Ansatz mit einem Blick auf niederländische Traditionen koppeln. Hella Jongerius' Beitrag einer bestickten Vase bildet gleichsam den Fokus der Schau. Erscheint das Keramikobjekt «Giant Prince» altmodisch bezüglich der lasierten Dekoration, so verweist die brutale Oberflächenverletzung durch die Stickerei auf den zeitgenössischen Eingriff; gleichzeitig eignet dem Objekt die Aura des Kunsthandwerklichen. Entstanden ist es im «Jongerius Lab», dem Designunternehmen der 1963 geborenen Niederländerin. Ihr Name ist mit dem Kollektiv Droog Design verbunden, das für einige in der Ausstellung vertretene Gestalter eine wichtige Plattform war und noch immer ist. So zeigte Marcel Wanders seinen geknüpften Stuhl von 1996 erstmals mit Droog Design, bevor ihn die Möbelfirma Capellini in Produktion nahm.

Nicht fehlen darf natürlich das traditionelle Delfter Blau, das der Industriedesigner Roderick Vos auf den Prototypen seiner Vasen anwendet. Vos, der für bekannte Firmen wie Alessi und Authentics entwirft, entwickelt seine Arbeiten nicht am Computer, sondern von Hand zum endgültigen Produkt. Die 1972 in Mainz geborene Gésine Hackenberg folgt bei ihren schmuckartigen Bestecken einem kaum festgelegten Produktionsplan. Die Malerei des 17. Jahrhunderts ist hingegen eine Inspirationsquelle für Ed Annink: Seine glatten Kunststoffobjekte sind Stillleben des Malers Jan Steen entnommen. Eher von zeitgenössischen Anregungen zeugt dagegen die mit Weinflecken bestickte Tischdecke von Manon van Kouswijk. - Die in drei wohnliche Situationen aufgeteilte Schau präsentiert die Exponate in einer intimen Atmosphäre und lässt gleichzeitig die Grenzen zwischen Kunsthandwerk und Design verschwinden.


[ Bis 24. März. Katalog: Home Made Holland. Crafts Council, London 2002. ISBN 1903713048, 72 S., £ 9.50. ]

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2002.03.01

18. Januar 2002Jörn Ebner
Neue Zürcher Zeitung

Kunststoff Natur

Bei der «Restore Station» in Hiroshima gleiten die Autos vorbei an Hollywoodfilmen, grossflächig projiziert auf haushohe kubische Betonelemente. Dahinter...

Bei der «Restore Station» in Hiroshima gleiten die Autos vorbei an Hollywoodfilmen, grossflächig projiziert auf haushohe kubische Betonelemente. Dahinter...

Bei der «Restore Station» in Hiroshima gleiten die Autos vorbei an Hollywoodfilmen, grossflächig projiziert auf haushohe kubische Betonelemente. Dahinter liegt parallel zur Strasse ein gläsernes Café, während ein geodätischer Glasdom einen punktuellen Akzent setzt. Shinichi Ogawas multifunktionales Gelände von 1991, eine geometrische Komposition aus Beton, Stahl und Glas, sitzt in einer sonst leeren Landschaft, aktualisiert diese durch den menschlichen Eingriff und schafft so eine künstliche Natur. Auf ähnlich unkonventionelle Weise treten auch die anderen neun japanischen Landschaftsarchitekten auf, die derzeit im Royal Institute of British Architects in London zu sehen sind - einige erstmals ausserhalb Japans.

Klar definierte geometrische Linien bestimmen das Erscheinungsbild dieser Art von Landschaftsarchitektur, die sich in den letzten zwölf Jahren herauskristallisiert hat. Farbigkeit entsteht durch abgegrenzte unterschiedliche Pflanzungen, die zuweilen in ummauerten Rabatten rechteckig voneinander abgehoben sind wie beim Dachgarten des Gate Tower in Rinku von Makoto Noborisaka. Um diesen türmen sich die Betonpfeiler der umliegenden Autostrassen. Materialunterschiede rhythmisieren Wege und Ruheplätze, Holz und Stein beleben die oft pflanzenleeren Anlagen, skulpturale Objekte sind wie Blumen in den Boden gelassen. Bäume markieren oft nur vereinzelte Punkte im weiten Feld - etwa in den Parkanlagen von Yoshiki Toda, die sich dereinst wieder einem natürlichen Zustand annähern werden. Im Tsunan-Zentralpark und im Tateshina-Skulpturenpark verwendet Toda hingegen runde, fliessende Formen - allein, auch hier besteht kein Zweifel an der Künstlichkeit des Gebauten.

Die Grenzen zwischen Park und Garten verwischen sich bei diesen laut dem Ausstellungstitel zwischen «Moderne und Ma» positionierten Architekten. Ma? Koshi Ohashi erläutert diesen Begriff als unsichtbares Element des sich durch die menschliche Nutzung verändernden Raums. Jene mystische Komponente bleibt also eine unbekannte Grösse, die vielleicht als Gegenstück zu den geometrischen Mustern aus Gras und Wasser gelten mag, mit denen Yoji Sasaki den Vorplatz des NTT Musashino Center gestaltete. Aber auch dessen Anlage gilt der spirituellen Anregung der Mitarbeiter des Unternehmens. NTT drängte dabei übrigens auf eine Anlage, die das Firmenbild nicht widerspiegelt - ganz entgegen japanischer Corporate-Identity-Tradition. Insofern werden traditionelle Verfahren nicht nur mit einem modisch modernen Lebensstil verbunden, sondern auch der Wandlung eines Gesellschaftsbilds zugetragen.


[ Die Ausstellung «From Modernism to Ma. Contemporary Japanese Landscapes» in der RIBA Gallery in London dauert bis zum 16. Februar. Kein Katalog. ]

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2002.01.18

19. Februar 2001Jörn Ebner
Neue Zürcher Zeitung

Flexible Gedankengebäude

Zeichnungen von Cedric Price in London

Zeichnungen von Cedric Price in London

Architektur sei ein schlechter «Schauspieler». Sie tue nicht genug, um das Leben der Menschen zu bereichern - anders als etwa das Internet, die Literatur oder die Musik. Das jedenfalls meint der britische Architekt Cedric Price, dessen Zeichnungen aus den letzten 40 Jahren in einer kleinen Ausstellung im Londoner Institute of International Visual Art zu sehen sind. Im Mittelpunkt der Auswahl, die von Kurator Hans Ulrich Obrist besorgt wurde, steht sein Projekt «Magnet» aus den neunziger Jahren, das sich mit Zeit und Stadtraum beschäftigt. Die konzeptuellen Zeichnungen - Hebebühnen in Fussgängerzonen und Flugzeuge im Park - betonen die begrenzte Lebensdauer von Bauten sowie das Erleben von Stadtraum. Price entwirft ein Bild von Urbanität mit Blick auf neue Bewegungsmuster im Raum anstelle von Strategien räumlicher Bebauung. Dafür stehen Zeichnungen von Bahnfahrten und Abbildungen von Lastwagen.

Seine Skizze für den Neubau der Tate Modern wiederum war weniger eine Bauidee als ein provokantes Gedankenspiel: Price wollte das Kraftwerk an der Bankside selbst als Ausstellungsstück unter einen Glaskasten stellen. Die von ihm gebauten Strukturen sollten seiner Meinung nach nicht auf Dauer bestehen. 1998 stritt er gegen die Denkmalschützer für den Abriss seines «Interaction Centre». Der Bau in Londons Stadtteil Camden habe seine Lebensdauer schon fast überschritten, denn seine Bauten sollten nicht länger als 50 Jahre stehen. Price sieht - wie gesagt - seine Aufgabe darin, aus der Architektur einen besseren «Schauspieler» zu machen: Seine Gedanken zumindest haben sich bei der nachfolgenden Generation eingenistet. So hatte sein unausgeführtes Projekt «Fun Palace» von 1961 - als flexibler, durch die Benutzer veränderbarer Bau konzipiert - Einfluss auf das Centre Pompidou von Rogers und Piano.

[Bis zum 23. Februar im Institute of International Visual Arts in London (TheSpace@inIVA), anschliessend im Musée d'Art Moderne de la Ville Paris.]

Neue Zürcher Zeitung, Mo., 2001.02.19

15. Juni 2000Jörn Ebner
Neue Zürcher Zeitung

Interesse an Ökologie

Zum zweiten Mal schreibt das Londoner Design Museum seinen «Design Sense» genannten und mit 40 000 Pfund dotierten Preis für Nachhaltigkeit aus. Die Ausschreibung,...

Zum zweiten Mal schreibt das Londoner Design Museum seinen «Design Sense» genannten und mit 40 000 Pfund dotierten Preis für Nachhaltigkeit aus. Die Ausschreibung,...

Zum zweiten Mal schreibt das Londoner Design Museum seinen «Design Sense» genannten und mit 40 000 Pfund dotierten Preis für Nachhaltigkeit aus. Die Ausschreibung, an der Designer und Architekten aus aller Welt teilnehmen können, versteht sich als Beitrag zur Umorientierung der industriellen Zunft. Dabei soll nachhaltiges Design zu kommerziellem Erfolg führen. Diesmal zielt man bewusst auf den Mainstream, um nicht als Umweltveranstaltung abgetan zu werden. Denn in Grossbritannien, wo zwar ein starker Aktivismus von Naturschützern an der Tagesordnung ist, die Regierung aber bisher nur geringe Massnahmen für die ökologische Gestaltung der Zukunft ergriffen hat, wird Ökologie noch immer gerne mit Sektierertum gleichgesetzt. Allerdings scheint sich dies nun zu ändern. Die Regierung verkündete kürzlich, dass Abfall minimiert werden und dessen Wiederverwertung im Volumen stark ansteigen müsse, denn mit derzeit 9 Prozent rangiert das Königreich am unteren Ende der internationalen Recycling-Scala.

Auch wenn Tony Blairs Stellvertreter John Prescott im April das nahe dem Millennium Dome gelegene Millennium Village als Vorzeigeobjekt für Nachhaltigkeit im Wohnungsbau einweihte, verbleiben Initiativen für ökologische Gestaltung vornehmlich in der Hand privater Auftraggeber. Darauf geht derzeit das Royal Institute of British Architects (RIBA) in der Ausstellung «Living City» ein. Zu sehen sind Beispiele des ökologischen Häuserbaus der Wohnbaugenossenschaft Peabody, Pläne für eine Solarsiedlung des Architekturbüros CZWG und die «BedZed» benannte Siedlung der Bill Dunster Architects. Während sich «Living City» spezifisch mit dem urbanen Umfeld befasst, wendet sich «Design Sense» gleichzeitig an Designer und Architekten, auch wenn in dieser Preisausschreibung im letzten Jahr ein Architekt - Charlie Paton für sein «Seawater Greenhouse» auf Teneriffa - ausgezeichnet wurde.


[ Die Ausstellung «Living City» ist im RIBA noch bis zum 9. Juli zu sehen. Für den «Desing Sense»-Wettbewerb kann man sich noch bis zum 28. Juli bewerben. Formulare sind unter www.designmuseum.org/designsense erhältlich. ]

Neue Zürcher Zeitung, Do., 2000.06.15

11. März 2000Jörn Ebner
Neue Zürcher Zeitung

Der blanke Kunststoffschein

Just während seiner Retrospektive im Londoner Geffrye Museum wurde der britische Möbeldesigner Matthew Hilton von Design-Guru Tom Dixon zum «Head of Design»...

Just während seiner Retrospektive im Londoner Geffrye Museum wurde der britische Möbeldesigner Matthew Hilton von Design-Guru Tom Dixon zum «Head of Design»...

Just während seiner Retrospektive im Londoner Geffrye Museum wurde der britische Möbeldesigner Matthew Hilton von Design-Guru Tom Dixon zum «Head of Design» im Möbelbereich der Firma Habitat ernannt. Damit treffen zwei Kreative zusammen, die nicht nur seit den achtziger Jahren die Designwelt erkunden, sondern auch entwerferische Vorlieben teilen. Beide kommen von einer handwerklichen Ausgangsposition her und stehen für einen bildhauerischen Umgang mit Form und Material. Dies ist exemplarisch für das wiedererwachende britische Design im ausgehenden 20. Jahrhundert. Hiltons Möbeldesign ist zudem dem englischen Arts & Crafts Movement des späten 19. Jahrhunderts verpflichtet, knüpft aber auch an die klaren Konturen der klassischen Moderne und die technologischen Entdeckungen der jüngsten Zeit an: Sein Cocktail wurde in Grossbritannien - wie das Museum ermittelte - in den neunziger Jahren stilprägend. Die Ausstellung im neuen Flügel des Geffrye Museum, der sich ausschliesslich Inneneinrichtungen des 20. Jahrhunderts widmet, wurde von der Kuratorin Catherine McDermott eingerichtet.

Die in einer kleinen, aber aussagekräftigen Auswahl präsentierten Themenbereiche Metall, Plastic und Holz veranschaulichen Hiltons Umgang mit bildnerischen und kunsthandwerklichen Formen. So lassen sich Tischbeine und Kerzenständer aus Aluminium oft von abstrakten Skulpturen der klassischen Moderne ableiten, was Hilton etwa mit der Bezeichnung «Brancusi» für einen Kerzenständer offen darlegt. Der frühe «Tension»-Tisch von 1979, mit dem Hilton seine Studien abschloss, verweist auf die Bauhaus- Möbel aus Metallrohr. Die zentrale Position nehmen Polstermöbel ein: voluminöse weisslederne Sofas und Sessel vom Typ «Balzac» (1991) zeugen mit ihren sacht geschwungenen Konturen von Hiltons Flair für eleganteste Formen. - Besondere Aufmerksamkeit finden im Katalog die Produktionsorte - vornehmlich kleine Manufakturen, die nochmals den handwerklichen Aspekt hervorheben. Frühe Unterstützung und Verbreitung indes fand Hiltons Mobiliar seit den achtziger Jahren durch den englischen Hersteller Sheridan Coakley und dessen Unternehmen SCP, das immer noch massgeblich zur Verbreitung des jungen britischen Designs beiträgt. Die Möglichkeiten einer durchweg industriellen Entwicklung aber konnte Hilton erst kürzlich mit dem stapelbaren Plasticstuhl «Wait» (1999) für den deutschen Hersteller Authentics untersuchen: in der Ausstellung nachvollzogen durch die verschiedenen Modellstufen des Stuhls. Erneut zeigt sich daran Hiltons prozessorientierte Gestaltung. Hier offenbart sich nicht das Œuvre eines idealistisch- radikalen Erneuerers, sondern die zeitgenössische Fortführung englischer Möbeltradition.


[ Bis 25. Juni. Katalog: Catherine McDermott, Matthew Hilton: Furniture for our Time. Lund Humphries Publishers, London 2000. ISBN: 085331-807-7. 80 S., £ 16.50. ]

Neue Zürcher Zeitung, Sa., 2000.03.11

03. Dezember 1999Jörn Ebner
Neue Zürcher Zeitung

Soziales Anschauungsmaterial

Zum Ende des Architekturmarathons «Glasgow 1999» präsentiert das Kelvingrove Museum die Ausstellung «Design Machine», die keine Produkte zeigt, sondern...

Zum Ende des Architekturmarathons «Glasgow 1999» präsentiert das Kelvingrove Museum die Ausstellung «Design Machine», die keine Produkte zeigt, sondern...

Zum Ende des Architekturmarathons «Glasgow 1999» präsentiert das Kelvingrove Museum die Ausstellung «Design Machine», die keine Produkte zeigt, sondern zehn Designer und Designerteams als sozial aktive Zeitgenossen vorstellt. Die Teilnehmer eint ein konzeptueller Ansatz in der Annäherung an Fragen der Nutzung, der zwischenmenschlichen Relevanz und der ökologischen Zukunft: auf Ilka Schaumbergs Kommunikationsmöbel «Love You + - Not» etwa können zwei Menschen ihren Gefühlen entsprechend sich zu- oder abwenden. Die modularen Kunststoffelemente der dänischen Gruppe N55 dienen menschlichen Grundbedürfnissen wie etwa der Hygiene. Einen Schritt weiter geht die Modemacherin Lucy Orta. Sie konzipiert Kleidung als Schutzhüllen und hat sich mit Glasgows Obdachlosen zusammengetan, um - wie schon zuvor in New York oder Sydney - auf deren Deprivation aufmerksam zu machen. So nutzt die Ausstellung Dargestelltes und Darstellungsform, um den Besuchern die soziale Bedeutung von Design nahezubringen.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 1999.12.03

06. August 1999Jörn Ebner
Neue Zürcher Zeitung

Ein Flughafen auf dem Meer

Grossprojekte des holländischen Kultarchitekten Rem Koolhaas zeigt derzeit das Londoner Institute of Contemporary Art (ICA) im Rahmen der Wanderausstellung...

Grossprojekte des holländischen Kultarchitekten Rem Koolhaas zeigt derzeit das Londoner Institute of Contemporary Art (ICA) im Rahmen der Wanderausstellung...

Grossprojekte des holländischen Kultarchitekten Rem Koolhaas zeigt derzeit das Londoner Institute of Contemporary Art (ICA) im Rahmen der Wanderausstellung «OMA Rem Koolhaas: Living». Gegenüber Bordeaux und Wien, den vorangehenden Stationen der Schau, wurde die Liste der Exponate um ein spektakuläres Projekt erweitert: Es handelt sich dabei um die erstmals öffentlich präsentierten Entwürfe der geplanten Erweiterung von Amsterdams Flughafen Schiphol, der auf einer der Küste vorgelagerten künstlichen Insel zu liegen kommen soll.

Ähnlich wie die Feldforschungen für ein Flughafenprojekt in Seoul und die Druckfahnen des im kommenden Jahr erscheinenden Buchs «Shopping» stellt das Amsterdamer Projekt eine Strukturanalyse der Konsumgesellschaft dar, die auch der Stadtplanung als Werkzeug dienen kann. Den Flughafen versteht Koolhaas als Stätte des Manipulierens. So soll er in Amsterdam das Prestige Hollands mehren, in Seoul hingegen Südkorea mit kulturell, kommerziell und politisch definierten Zonen als zukunftsorientiertes Land darstellen.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 1999.08.06

30. Juni 1999Jörn Ebner
Neue Zürcher Zeitung

Politik und Natur

In Schottland wurde am 6. Mai nach 292 Jahren zum erstenmal wieder ein Parlament gewählt. Die Volksvertreter sind zwar noch provisorisch untergebracht,...

In Schottland wurde am 6. Mai nach 292 Jahren zum erstenmal wieder ein Parlament gewählt. Die Volksvertreter sind zwar noch provisorisch untergebracht,...

In Schottland wurde am 6. Mai nach 292 Jahren zum erstenmal wieder ein Parlament gewählt. Die Volksvertreter sind zwar noch provisorisch untergebracht, werden aber - wenn alles nach Plan geht - in wenigen Jahren in dem vom spanischen Architekten Enric Miralles in Zusammenarbeit mit dem lokalen Büro RMJM entworfenen Parlamentsgebäude in Edinburg einziehen können. Gegenwärtig wird der ehrgeizige Entwurf in der Ausstellung «The Architecture of Democracy» in Glasgows McLellan Galleries in eine historische Perspektive gestellt. Parlamentsarchitektur, so argumentieren die Kuratoren Deyan Sudjic und Helen Caroline Jones, wird von zwei Traditionen bestimmt, der klassischen und der nationalen. Diese verfolgen sie von der griechischen Antike über den nordischen Thing und das Parlament zu Westminster bis heute und arbeiten dabei Typologien bezüglich Architektur und Sitzanordnung heraus. Vor allem im 20. Jahrhundert erweisen sich die Parlamentsgebäude als ausgesprochen vielfältig: Lehnte man sich beispielsweise in Australien an das Vorbild Westminster an, so sind die Betonstrukturen von Le Corbusier für Chandigarh und von Louis Kahn für Dhaka monumentale Neuorientierungen.

Am Ende des Jahrhunderts ist gläserne Transparenz besonders beliebt. Dafür steht in der Ausstellung Richard Rogers' Bau der Walisischen Versammlung, die zeitgleich mit dem schottischen Parlament gewählt wurde. Demgegenüber schlägt Miralles für Schottland eine gänzlich neue Richtung ein und reflektiert damit den politischen Optimismus der Region. Sein Bau leitet sich von pflanzlichen Strukturen ab und wächst am Fusse von Edinburgs Burghügel zu einem vertrackten Geäst. Dabei ist der Sitzungssaal, entgegen der üblichen Rundform, gleich der Hälfte eines länglichen Blattes aufgebaut. Miralles bietet mit seinem Entwurf allerdings keine definitive Baulösung an. Vielmehr deutete er auf eine Vorgehensweise. Symbolisch steht diese für die Weltoffenheit, mit der die Schotten in ihre politische Zukunft streben. (Bis 25. Juli)


[ Die Ausstellung «The Architecture of Democracy» in den McLellan Galleries findet im Rahmen von «Glasgow 1999. UK- City of Architecture and Design» statt. Ohne Katalog. ]

Neue Zürcher Zeitung, Mi., 1999.06.30

07. Mai 1999Jörn Ebner
Neue Zürcher Zeitung

Alltagsgeschichten

Letztmals widmete sich das Londoner Institute of Contemporary Art (ICA) Fragen des Designs vor zehn Jahren. Wurde damals noch die Produktästhetik des Stuhls...

Letztmals widmete sich das Londoner Institute of Contemporary Art (ICA) Fragen des Designs vor zehn Jahren. Wurde damals noch die Produktästhetik des Stuhls...

Letztmals widmete sich das Londoner Institute of Contemporary Art (ICA) Fragen des Designs vor zehn Jahren. Wurde damals noch die Produktästhetik des Stuhls erörtert, ist die Thematik diesmal weiter gefasst: Design als Phänomen zeitgenössischer Geisteskultur. Im Zentrum stehen dabei jüngere Designer, die sich als Entwerfer und Kleinproduzenten zugleich verstehen. Die Ausstellung Stealing Beauty untersucht deren Position im kulturellen Diskurs. Die Designer bedienen sich Mitteln, die sonst in der Kunst gebraucht werden. Daraus resultiert eine Art Konzept-Design, das in überraschende Nischen dringt, anstatt auf die Industrie zu schielen.

Den 16 Designern und Gruppen ist - wie in einem Schrebergarten - je eine längliche Parzelle zugewiesen, worin sie die Früchte ihrer Arbeit präsentieren: Die Architektinnen von Muf zeigen eine Sitzbank aus Porzellan (für die englische Stadt Stoke in Anlehnung an deren bekannte Toilettenfabrik Armitage Shanks entwickelt). Fashion Architecture Taste (FAT), ebenfalls eine Gruppe von Architekten und Künstlern, schuf ein Ambiente aus Baumstämmen und Glühbirnen. Vertreten Muf eine soziale Praxis - sie untersuchen die Bedürfnisse der lokalen Bevölkerung, bevor sie ihre Arbeit angehen -, so stehen FAT, die etwa Londons kürzlich eröffneten Tanzpalast Scala einrichteten, aber auch Kunst im öffentlichen Raum organisieren, in einer Mittelposition. Etwas subkultureller verhalten sich die Lichtdesigner und Video Jockeys von Light Surgeons: Deren gerümpelhafte Installation aus Film- und Diaprojektoren zeigt, dass Spektakel für die blühende Tanzszene auch ohne High-Tech auskommen können. Design, Architektur und Kunst verschmelzen zu einem Dekor, das sich in einem Geflecht aus Alltagsgeschichte und Unterhaltung vom gängigen Konsumkreislauf lösen möchte.

Das käufliche Produkt kommt dennoch nicht zu kurz, allerdings mit ebenfalls starkem Bezug zum Alltäglichen. Die Geschwister Azumi sind mit multifunktionalen Möbeln vertreten: ein Hocker aus Einkaufswagendraht mutiert, an die Wand montiert, zum Regal. Jenseits solch eleganter Gegenstände forciert die Schau eine Abkehr vom ästhetisch Gepflegten. Wo eine ältere Generation britischer Designer wie Jasper Morrison, Tom Dixon und Michael Marriott (der hier mitvertreten ist) durch die formale Bezugnahme auf Alltagsgegenstände und billige Materialien einst einen Trend setzten, da zeigen sich die Jüngeren radikaler. Tord Bootjes Stuhl kann per Faltplan zu Hause leicht nachgebaut werden. Der Fussboden von George Baldele wiederum lässt bei Abnutzung eine neue Farbe durchscheinen. Die Kehrseite solcher Leichtigkeit im Umgang mit Materialien sind die platten Schocktaktiken der Graphiker von Bump mit ihren leidlich provokativen Schimpfworten und obszönen Figuren. Etwas bemüht kommt auch der absichtlich schäbige Gesamteindruck der Präsentation daher - Kaufhausatmosphäre soll mittels herkömmlicher Punkstrategien um jeden Preis vermieden werden. Auch wenn die dabei angestrebte Subversivität etwas oberflächlich erscheint, ist «Stealing Beauty» anregend und mitunter sogar poetisch.

Jörn Ebner

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 1999.05.07

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