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Standfest gefügt

Die Autoren erstellen den Neubau des Théâtre de Vidy bei Lausanne als zweischichtiges Holz-Faltwerk aus Mehrschichtplatten. Die Konstruktion kommt mit Holz-Holz-Verbindungen aus. Neu dabei sind mit Computerhilfe vorgefertigte Schwalbenschwanzverbindungen der Platten.

Die Autoren erstellen den Neubau des Théâtre de Vidy bei Lausanne als zweischichtiges Holz-Faltwerk aus Mehrschichtplatten. Die Konstruktion kommt mit Holz-Holz-Verbindungen aus. Neu dabei sind mit Computerhilfe vorgefertigte Schwalbenschwanzverbindungen der Platten.

Der neue Holzbau für einen Theatersaal in Vidy nimmt derzeit Gestalt an. Er liegt neben dem Theater, das Max Bill als Provisorium für die Expo 64, die Landesausstellung von 1964, entwarf (vgl. Situationsplan). Als Ersatz für den provisorischen Zeltbau wünschte die Bauherrschaft eine repräsentative, gedämmte und akustisch vorteilhaftere Spielstätte. Sie sollte ausserdem zu dem bestehenden Kubus von Max Bill passen, sich aber in Form und Material davon unterscheiden. Das durch das Institut du bois (IBOIS) sowie den Architekten des Atelier Cube erarbeitete Projekt, ein rasch zu erstellendes Faltwerk aus Holz als innovative architektonische Struktur, umweltfreundlich und zerlegbar, stiess auf Interesse.

Der neue Theatersaal verbindet Konstruktion und Formgebung zu einem selbstverständlich wirkenden Faltwerk. Die Verbindungstechnik geht auf eine der ältesten Methoden im Holzbau zurück, nämlich auf Holz-Holz-Verbindungen (Schwalbenschwanzverbindungen). Diese nutzt die Form von Bauteilen, um Kräfte zwischen ihnen zu übertragen. Das IBOIS der EPF Lausanne hat solche traditionelle Holzplattenverbindungen erforscht und in den baulichen Massstab übertragen. Die so entstandene neuartige Methode ermöglicht es, den Neubau beim Théâtre de Vidy als gefaltetes Plattentragwerk unter minimem Einsatz von Metallverbindern und Leim zu erstellen. Diese Befestigungstechnik ist selbst ein Beispiel von komplexeren, zweifach gekrümmten, gefalteten Flächentragwerken, die aus einer grossen Anzahl unterschiedlich geformter Bauteile bestehen.

Computerberechnete Verbindungen

Grundlage für die Konstruktion ist ein neu entwickeltes CAD-Plugin, mit dem integrale Zapfenverbindungen automatisch berechnet werden können.​ Diese Zapfenverbindungen dienen als Fügehilfe für den schnellen und präzisen Zusammenbau einer grossen Anzahl unterschiedlich geformter Bauteile und übertragen gleichzeitig Kräfte.​

Die Form der Zapfen erlaubt nur eine Einschub­richtung (vgl. Abb.). Somit kann die einzig mögliche ­Position der Bauteile in der Konstruktion in die vor­gefertigte Verbindung eingebettet werden. Diese Verbindungstechnik erlaubt den schnellen und präzisen Zusammenbau eines Tragwerks mit einer doppelt gekrümmten Gesamtform. In einer Forschungsarbeit ­wurde gezeigt, dass sich durch derartig optimierte Faltformen die Verformungen unter Last um bis zu 40 % reduzieren lassen. So können auch grosse, stützenfrei​e Spannweiten mit dünnen Platten überspannt werden.

Eine weitere Entwicklung, mit der sich die Anzahl unterschiedlicher Kantenverbindungen nochmals deutlich erhöht, sind zweischichtige Faltwerkskonstruktionen aus Holzplatten. Für diese erlaubt eine neuartige Verbindungstechnik mit Doppelzapfenverbindern eine vollständige integrale Fügung. So lassen sich entlang gefalteter Kanten alle vier Platten direkt miteinander verbinden, wobei die Doppelzapfen auch als Abstandshalter zwischen den beiden Schichten dienen und Scherkräfte aufnehmen (vgl. Abb.).

Ein Prototyp mit dünner Schale

Die Konstruktion für das Théâtre de Vidy ist eine Weiterentwicklung auf Basis vorheriger Prototypen (vgl. «Entwicklung statt Superlativen»). Die zweischichtige Konstruktion nutzt die Möglichkeit der integralen Verbindungstechnik aus, besonders dünne Plattenquerschnitte miteinander zu verbinden. So kann das Tragwerk eine Distanz von 16 bis 20 m stützenfrei, mit einer Plattenstärke von nur 45 mm überspannen. Der Abstand zwischen den beiden Schichten beträgt 300 mm von der Oberseite der äusseren Plattenlage bis zur Unterseite der inneren Plattenlage. Der hohle, 210 mm tiefe Zwischenraum bietet Platz für die Dämmung, die über ­Bohrungen in der oberen Plattenlage vor Ort eingeblasen wird.

Somit bietet die doppellagige Konstruktion zusätzlich zu den statischen Eigenschaften einen Vorteil gegenüber einer einschichtigen Konstruktion mit dickeren Platten. Letztere erfordert zwar eine weniger anspruchsvolle Geometriegenerierung und Fügung, aber eine deutlich komplexere Feststoffdämmung, die in einem derart geformten Faltwerksdach nur mit hohem Aufwand zu realisieren wäre. Im Zwischenraum eingelegt sind zudem Feuchtemesser, die im Fall eines Eindringens von Wasser in die Konstruktion einen Alarm auslösen. Damit lassen sich frühzeitig Massnahmen einleiten, um einen Schadenfall zu verhindern.

Der Grundriss des Theaters überdeckt zwischen den zwei gefalteten, 9 m hohen Wandkonstruktionen eine Grundfläche von 538 m². Die Grundform der Dachkonstruktion basiert im Gegensatz zu den vorherigen Prototypen auf einer nicht abwickelbaren Form. An den Knotenpunkten des Polygonnetzes treffen sich sechs Kanten, und ihre Position in der Längsachse des Gebäudes folgt drei verschiedenen Kreisbögen, von denen die zwei äusseren auf unterschiedlicher Höhe in der vertikalen Schnittebene des Gebäudes liegen. Diese asymmetrische Form ermöglicht unter anderem den Ablauf des Regenwassers.

Fügen und Verbinden

Der Aufbau des Gebäudes erfolgt in elf Achssegmenten (vgl. Abb.). Jedes Segment wird mit zwei Wandelementen und einem Dachelement vorgefertigt. Vor Ort werden die Wandsegmente mit dem jeweiligen Nachbarsegment verbunden. Anschliessend wird das Dachsegment aus 20 in der Vorfertigung zusammengefügten Plattenbauteilen aufgesetzt (vgl. Abb.). Somit erfolgen 18 Fügungsschritte für jedes Achssegment, davon 17 in der Vorfertigung und einer auf der Baustelle.

Bei der zweischichtigen Fügungstechnik existieren vier Schritte mit unterschiedlichen Zapfenformen, abhängig von der Position der Faltkante in der Konstruktion. In denselben Abständen wie die Zapfen wurden die bereits eingesetzten Platten in der endgültigen Position mit Schrauben fixiert. Dies ist lediglich für die Montage wichtig, vor allem während des Transports und des Aufbaus der vorgefertigten Elemente. Bezüglich Festigkeit ist diese Verschraubung unnötig.

Grundsätzlich wird zwischen zwei Situationen unterschieden. Im ersten Fall wird ein Segment mit einem und im zweiten Fall gleichzeitig mit zwei Nachbarsegmenten verbunden. Während im ersten Fall die Zapfen rechtwinklig zur Kante orientiert sind, wird im zweiten Fall eine Rotation der Zapfen innerhalb der Plattenebene nötig, sodass die Einschubrichtung aller Zapfen des Bauteils parallel ist (vgl. Abb.).

Ein Sonderfall liegt vor, wenn ein Bauteil mit Rechteckdurchbrüchen gleichzeitig auf vier Bauteile mit Zapfen- und Doppelzapfenverbindern aufgesteckt wird. Es ist nur möglich, diese Platte einzuschieben, wenn die Zapfen auf den vier anderen Platten parallel sind. Nachdem zwei dieser Platten sich aber auf unterschiedlich orientierten Ebenen befinden, existiert nur eine mögliche Einschubrichtung für die Platte mit den Durchbrüchen. Diese Richtung findet sich entlang der Verschneidung der Ebenen der zwei Nachbarsegmente.

Verbindungen experimentell untersucht

Die Theaterkonstruktion verhält sich mechanisch komplex, insbesondere mit dem anisotropen Material Holz. Aus diesem Grund wurden experimentelle Versuche durchgeführt, um die Festigkeit der Verbindungen zu untersuchen und die am besten geeigneten Holzwerkstoffplatten zu bestimmen. Im Fokus stand das Verhalten der Doppel- und der Einzelzapfenverbindungen unter einer Biegebeanspruchung. Diese ist in gefalteten Holztragwerken entscheidend. Mittels eines vereinfachten Finite-Elemente-Modells wurden die zu erwartenden Biegemomente ermittelt (vgl. Abb.).

Zuerst wurden die einschichtigen Zapfenverbindungen und die 45 mm starken Brettsperrholzplatten als am besten geeignetes Material untersucht. Dann erfolgten Biegeversuche mit dem tatsächlichen, zweischichtigen Aufbau. Hierbei ist die obere Schicht der Probekörper mit einem Einzelzapfen verbunden, während sich die beiden unteren Schichten mit einem Doppelzapfen durchdringen und im Anschluss mit der Oberschicht verbunden sind. In den Versuchen zeigte sich, dass die zweischichtige Ausführung die mechanische Effizienz erheblich steigert. Die Verbindung verhält sich dabei prinzipiell wie die einschichtige Variante: Um das Biegemoment auszugleichen, wirken zwei entgegengesetzte Kräfte, deren Intensität proportional zum Hebelarm ist. Bei einer einschichtigen Verbindung ist dies gleich der Plattenstärke von 45 mm. Bei der zweischichtigen Platte vergrössert sich der Wert auf ca. 250 mm. Hierdurch werden die Kräfte gegenüber der einschichtigen Variante auf ein Fünftel reduziert.

Tausende Zapfengeometrien erzeugt

Die Erzeugung aller Bauteile erfolgt automatisch mittels eines für das Projekt entwickelten CAD-Plugins[1] mit den folgenden vier Eingabeparametern:

einem einfachen, einschichtigen Polygonnetz mit planaren Dreiecksflächen für die Dach- und Vierecksflächen der Wandelemente. Mit dem Flächenmodell werden die Identifikationsnummern der Bauteile und Kantenverbindungen verwaltet.

einer CSV-Textdatei (Comma-separated Value), in der die Parameter der Verbindungen verwaltet werden. Dies sind unter anderem Informationen zur Art der Verbindung an dieser Kante, die Einschubrichtungen für die integralen Zapfenverbindungen und weitere verbindungsspezifische Variablen.

der Plattenstärke in Millimetern

dder Gesamttiefe des zweischichtigen Aufbaus, von der Unterseite der unteren Platte zur Oberseite der oberen Platte

Dieses CAD-Plugin erzeugt zwei Datenausgaben. Zum einen werden die 3-D-Bauteile im Gesamtmodell dargestellt, zum andern werden alle Platten auf der zweidimensionalen xy-Ebene des CAD-Modells flach ausgelegt. Aufgrund der 114 unterschiedlichen Winkel in der Faltform des Theaters sind diverse Schrägschnitte für die Herstellung der Bauteile erforderlich. Die ­Fabrikation der Teile erfolgt daher in einem 5-Achs-CNC-Bearbeitungszentrum.

Wegen der vielen konkaven Eckpunkte in den Polygonzügen, beispielsweise zwischen den Zapfen und bei den Durchbrüchen, bietet sich eine Bearbeitung mit einem Fingerfräser an. Die dafür notwendige 5-Achs- CNC-Simultanbearbeitung, die an ungefähr 500 verschiedenen Bauteilkanten mit Tausenden unterschiedlich geneigten Zapfengeometrien erforderlich ist, lässt sich mit CAM-Softwarelösungen für reguläre Holz­bauaufgaben nicht effizient erzeugen. Stattdessen kam ein spezielles CAD-Plugin zum Einsatz, das für die ­automatisierte G-Code-Generierung integral gefügter Holzwerkstoffplatten entwickelt wurde.

Datengrundlage für die Erzeugung des Maschinencodes sind Polygonkonturzugpaare. Nach der Auswahl eines Bauteils wird der G-Code für die Bearbeitung angezeigt. Gleichzeitig werden die Fahrwege der Maschine visualisiert, und eine Simulation der Maschinenbewegungen kann abgespielt werden.


Anmerkung:
[01] Entwickelt mit dem Software Development Kit (SDK), Rhino Commons und der Programmiersprache C#. Als Benutzerschnittstelle dient die Software Grasshopper, in der die Eingabeparameter der Konstruktion mit einer Visualisierung der 3-D-Bauteile bearbeitet und verändert werden können.

Dokumentation:
Ein Film zur Konstruktion für ein doppeltes Schalendach aus Holz im Labor des IBOIS findet sich auf YouTube.

TEC21, Fr., 2017.06.02



verknüpfte Zeitschriften
TEC21 2017|22 Innovativer Holzbau

13. Juli 2010Hani Buri
Yves Weinand
zuschnitt

Origami-Faltwerke

Der Lehrstuhl für Holzkonstruktionen (IBOIS) der Ecole Polytechnique Fédérale de Lausanne, kurz EPFL genannt, erforscht die Machbarkeit von Faltwerken...

Der Lehrstuhl für Holzkonstruktionen (IBOIS) der Ecole Polytechnique Fédérale de Lausanne, kurz EPFL genannt, erforscht die Machbarkeit von Faltwerken...

Der Lehrstuhl für Holzkonstruktionen (IBOIS) der Ecole Polytechnique Fédérale de Lausanne, kurz EPFL genannt, erforscht die Machbarkeit von Faltwerken aus Holz. Als Grundlage dient Origami, die japanische Kunst des Papierfaltens. Die Kapelle von Saint-Loup ist der erste Referenzbau.

Wegen ihrer tragenden und räumlich-plastischen Wirkung interessieren Faltwerke Ingenieure und Architekten gleichermassen. Die Falten erhöhen die Steifigkeit einer dünnen Fläche, die dadurch nicht nur raumüberdeckend, sondern auch tragend wirkt. Der Rhythmus der Falten sowie das Wechselspiel von Licht und Schatten entlang der gefalteten Fläche können gezielt zur räumlichen Gestaltung eingesetzt werden. Gleichzeitig kann die Tragfähigkeit des Faltwerks durch die Tiefe und die Neigung der Falten beeinflusst werden. Bisher wurden Faltwerke vor allem mit Beton oder mit glasfaserverstärkten Kunststoffen hergestellt. Die Entwicklung von grossformatigen Brettsperrholzplatten und die Möglichkeit, diese mit cnc-Maschinen abzubinden, eröffnen nun auch neue Perspektiven für den Bau von Faltwerken aus Holz.

Wir setzten uns zum Ziel, eine Methode zu entwickeln, durch die solche Faltwerke rasch räumlich dargestellt und verändert werden können. Origami, der Ausgangspunkt der Arbeit, arbeitet mit einfachen Grundtechniken, die durch geometrische Variationen zu einer erstaunlichen Formenvielfalt führen. Auf diese Weise können komplexe Formen rationell und mit einfachen Mitteln erzeugt werden. Diese Eigenschaften wollten wir auf die Konstruktion von Faltwerken mit Brettsperrholz übertragen. Durch intuitives Papierfalten ermittelten wir geeignete Faltmuster und analysierten anschliessend deren Geometrie, um sie in einem 3D-Zeichenprogramm darstellen zu können.

Wir entwickelten eine Methode, bei der doppelt geriffelte Flächen durch zwei polygonale Linien definiert werden: das Riffelungsprofil und das Querschnittsprofil. Das Riffelungsprofil definiert die geraden Hauptfalten von einfach geriffelten Flächen. Diese können durch Umkehrfalten geknickt werden. Eine zweite Riffelung der Fläche verläuft quer zu den Hauptfalten und wird durch das Querschnittsprofil definiert. Dieses bestimmt die Gesamtform der Faltwerkgeometrie und die Knickwinkel der Umkehrfalten. Der gewünschte Faltwerktyp und seine statischen Eigenschaften können durch das Zusammenspiel der beiden Profile festgelegt werden. Die Arbeit zeigt auf, wie durch die Steuerung verschiedener Einflussgrössen Form und Tragfähigkeit der Faltwerke beeinflusst werden können. Die verschiedenen Faltwerktypen haben eine starke, eigenständige Gestalt, sodass einzelne Parameter der Geometrie verändert und projektspezifischen Bedingungen angepasst werden können, ohne dass der architektonische Ausdruck beeinträchtigt wird. Wir sind davon überzeugt, dass dieses Modell zur Darstellung von Faltwerken zu einer produktiven Zusammenarbeit von Ingenieuren und Architekten und zu einer neuen Generation von Holztragwerken führen wird.

Der Bau von Prototypen hat gezeigt, dass solche Faltwerke machbar sind. Die Kapelle von Saint-Loup ist ein erstes Anwendungsbeispiel. Origami-Faltwerke sind jedoch nur eine Möglichkeit, Tragwerke aus Brettsperrholzplatten zu bauen. Weitere Forschungsarbeiten des IBOIS beschäftigen sich mit Modellen, die Flächentragwerke durch iterative Algorithmen generieren, und mit Tragwerken, die von textilen Techniken inspiriert sind.

zuschnitt, Di., 2010.07.13

26. Februar 2009Hani Buri
Yves Weinand
TEC21

Gefaltet

Am Lehrstuhl für Holzkonstruktionen der EPFL arbeitet ein interdisziplinäres Team unter der Leitung von Yves Weinand an der Entwicklung eines digitalen Modellierwerkzeugs, das unter anderem die Zusammenarbeit von Architekten und Ingenieuren bereits in der Entwurfsphase unterstützen könnte. Beispielsweise sollen damit Faltwerke gleichzeitig aus architektonischer und ingenieurtechnischer Sicht enwickelt werden können. Nun konnte die Forschungsarbeit mit einer Architektengruppe erstmals praktisch umgesetzt werden: Seit letztem Sommer steht eine Kapelle im waadtländischen Pompaples – ein Faltwerk konstruiert aus Brettsperrholzplatten.

Am Lehrstuhl für Holzkonstruktionen der EPFL arbeitet ein interdisziplinäres Team unter der Leitung von Yves Weinand an der Entwicklung eines digitalen Modellierwerkzeugs, das unter anderem die Zusammenarbeit von Architekten und Ingenieuren bereits in der Entwurfsphase unterstützen könnte. Beispielsweise sollen damit Faltwerke gleichzeitig aus architektonischer und ingenieurtechnischer Sicht enwickelt werden können. Nun konnte die Forschungsarbeit mit einer Architektengruppe erstmals praktisch umgesetzt werden: Seit letztem Sommer steht eine Kapelle im waadtländischen Pompaples – ein Faltwerk konstruiert aus Brettsperrholzplatten.

In der Natur – etwa bei den Blättern vieler Pflanzen – sind gefaltete Strukturen weitverbreitet: Sie ermöglichen es, grosse Oberflächen mit einem minimalen Materialaufwand zu stabilisieren. Von der japanischen Papierfaltkunst inspirierte Faltwerke aus Holz sind deshalb ein Forschungsschwerpunkt am IBOIS. Dabei geht es nicht nur darum, ihr Tragverhalten zu untersuchen: Das Forschungsteam hat auch ein auf diskreten (finiten) Elementen basierendes digitales Tool entwickelt, mit dessen Hilfe Fachleute aus Architektur und Ingenieurwesen solche Faltwerke gemeinsam entwerfen können (vgl. auch TEC21 12/2008 und 17–18/2008). Seit 2007 galt es, das Tool zu testen und praktische Erfahrungen im Entwurfsprozess sowie bei Bau und Montage eines Faltwerks aus Brettsperrholzplatten zu sammeln. Shel, ein explizit für die praktische Umsetzung von Forschungsarbeiten des IBOIS gegründetes Planungsbüro, suchte und fand eine Partnerschaft für eine erste Realisierung. Die Diakonissen gemeinschaft von St-Loup im waadtländischen Pompaples organisierte im Sommer 2007 einen Wettbewerb, um ihr Mutterhaus umzubauen und zu renovieren.

Die Arbeitsgemeinschaft Bureau d’architecture Danilo Mondada und Localarchitecture gewann den Wett -bewerb und plante daraufhin die Ausführung. Für die Zeit des Umbaus – von Sommer 2008 bis Ende 2009 – musste jedoch eine provisorische Lösung für die täglichen Gottesdienste der Diakonissen gefunden werden. Das Anmieten von Baucontainern oder eines Zeltes empfanden sowohl von die Bauherrinnen als auch von die Architekten als unangemessen. Weil Holz schon immer ein bevorzugtes Baumaterial von Localarchitecture war – ihr Stall in Lignières wurde 2006 mit dem Preis Holz 21 ausgezeichnet – und weil die Architekten sich für die Forschungsarbeiten am IBOIS interessierten, schlugen sie den Diakonissen vor, gemeinsam mit den Planern von Shel eine innovative Lösung für die provisorische Kapelle zu finden. So stiessen diese im Dezember 2007 zum Planerteam. Schon die ersten Papiermodelle über-zeugten die Schwesterngemeinschaft von der Angemessenheit einer solchen Lösung, und innerhalb weniger Wochen konnte ein definitives Projekt erarbeitet werden.

Formfindung

Mit dem entwickelten digitalen Modellierwerkzeug können Faltwerke, die man bisher als Modell von Hand hergestellt hat, direkt im Computer gefaltet werden. Die Form der Kapelle wurde durch zwei Linien generiert. Eine definiert die charakteristische Form im Schnitt: ein Rechteck (rote Linien, Bild 2); die andere schliesst die Grundrissform (blaue Linie, Bild 2) und definiert als Zickzacklinie die Riffelung der Faltung (Bild 3). Die Form der Riffelung kann durch Variieren der einzelnen Segmentlängen zusätzlich moduliert werden (Bild 4). Die beiden Linien beeinflussen sich gegenseitig: Dadurch, dass die allgemeine Form der Grundrisslinie leicht gebogen ist, entwickelt sich die Schnittform von einem auf der Längsseite liegenden Rechteck zu einem hochkant stehenden.

Der Faltungsprozess – beziehungsweise der Formfindungsprozess – kann dementsprechend nach folgenden, unterschiedlichen Kriterien beeinflusst werden:
1. Architektur: Das Schiff der Kapelle entwickelt sich aus architektonischem Gestaltungswillen von einem von der Horizontalen zu einem von der Vertikalen dominierten Raum, an dessen Ende Licht in den Altarraum scheint.
2. Konstruktion: Das Regenwasser soll über die Form fliessend entsorgt werden. Mit der Modulation der Riffelung konnte das dafür notwendige Gefälle in der Faltung erreicht werden. Das Wasser fliesst in Querrichtung jeweils in die eine oder andere Richtung ab.
3. Tragwerk: Die Steifigkeit der Tragstruktur entsteht durch die Faltung. Der Faltmechanismus erlaubt somit, die Steifigkeiten lokal zu erhöhen, indem zum Beispiel tiefere Falten vorgesehen werden oder die Anzahl der Falten lokal erhöht wird. Hierdurch lassen sich grössere Spannweiten verwirklichen, oder es können dünnere Holzplatten eingebaut werden.

Mit diesem interdisziplinären Formfindungsprozess fallen die wichtigsten Entscheidungen, die das Tragwerk und die Proportionen im Wesentlichen bestimmen, in einer sehr frühen Entwurfsphase. Sie können auf sehr effiziente Weise direkt in den Formgebungsprozess eingebracht werden. Das allerdings befreit das Planungsteam und insbesondere den verantwortlichen Bauingenieur keineswegs davon, die allgemeingültigen Nachweise der Tragsicherheit und Gebrauchstauglichkeit durchzuführen.

Statisches System der räumlichen Konstruktion

Um das mechanische Verhalten des aus dem Formgebungsprozess entwickelten Faltwerks zu analysieren, wurde die digitale Datei aus dem Modellierwerkzeug direkt in das Statikprogramm Diamond (Buildsoft) importiert und als Vernetzung flächiger, finiter Elemente eingelesen. Das Tragwerk sollte aus Brettsperrholzplatten konstruiert werden und wurde mit den entsprechenden Eigenschaften und Stärken von 40 mm für vertikal und 60 mm für horizontal angeordnete Bauteile in das Statikprogramm eingegeben. Mit den Berechnungsanalysen wurden die Eingaben verifiziert und die definitiven Plattendicken schliesslich in das Modellierwerkzeug eingegeben.

Die Kanten der Faltungen (die Geraden und die Kehlen) wurden in der Berechnung als Gelenke modelliert (Bild 5). Trotz durchgängig gelenkiger Lagerung ist die Gesamtsteifigkeit mit der speziellen räumlichen Anordnung der Tragelemente gegeben. Alle Drehungen sind frei modelliert – lediglich die Freiheitsgrade der Translationen (Parallelverschiebung in Kantenrichtung) wurden im Modell blockiert. Tatsächlich entstehen entlang der Falten jedoch Einspannmomente, da die Holzplatten mit dünnen Stahlblechen miteinander verbunden sind. Je nach Drehrichtung der Momente entstehen durch den einseitigen Anschluss der Holz- mit den Stahlplatten unterschiedlich grosse Hebelarme. Diese lokalen Einspannmomente wurden in diesem Modell jedoch vernachlässigt.

Aus dem Statikprogramm konnten sowohl die Schnittkräfte (Bild 6) als auch die Verformungen ermittelt werden. Die 60 mm starken Platten des Daches tragen über rund 9 m Spannweite, was einer Schlankheit von 1/150 entspricht. Die enorme Effizienz der Faltstrukturen wird gerade durch diese hohe Schlankheit deutlich. Der Punkt mit der grössten Verformung der gesamten Struktur befindet sich an der Aussenkante des Faltwerks direkt über dem Eingang. Da hier keine weitere Faltung ansetzt, wirkt der Rand frei und ist nicht ausgesteift (Bild 7).

Architektur und Kosntruktion

Der Innenraum ist sowohl horizontal als auch vertikal zum Altar hin ausgerichtet. Der Rhythmus der Stützen wird durch die Faltungen aufgenommen, wobei die beiden Längsfassaden jeweils eine leichte Bogenform beschreiben. Dadurch verengt sich der Raum zum Altar hin, und die Faltung wird vertikal aufgestossen. Der progressive Übergang von der Horizontalen zur Vertikalen fokussiert die Aufmerksamkeit zur kürzeren «Giebelwand», wo der Altar steht. Dabei beleben die gegenläufigen Falten den Raum nicht nur optisch, sie verbessern auch seine Akustik und lösen das Problem des Dachwasserabflusses.

Die Verbindung der vertikalen Elemente des Faltwerkes wurde mit gefalteten Lochblechen und Schrauben bewerkstelligt. Innen sind die Platten roh belassen, die Aussenhaut besteht aus einer Dichtungsbahn und 19 mm starken, imprägnierten Dreischichtplatten. Die beiden «Giebelwände» bestehen aus unregelmässigen Kantholzrahmen, auf denen innen ein transparentes Polykarbonat und aussen ein Windschutztextil angebracht ist. Formal erinnern sie an klassische Kirchenfenster, doch ihr Nutzen ist auch praktisch: Die Maschenweite des Textils verhindert Einblicke und garantiert die Intimität des Gottesdienstes – von innen her gesehen scheint sich die Landschaft in ein impressionistisches Bild aufzulösen.

Erfahrungen aus der Praxis

Die Erfahrungen bei Entwurf und Bau der Kapelle waren sehr positiv. Das digitale Modellierwerkzeug ermöglichte es, in der Entwurfsphase gut auf formale, funktionelle und konstruktive Anforderungen einzugehen und das Projekt zu vertiefen. Es zeigte sich auch, dass neue und eigenständige architektonische Formen erzeugt werden können, die ohne das Werkzeug nur schwer vorstellbar wären. Der Produktionsprozess wird ausserdem rationalisiert, indem die digitalen Dateien für den Zuschnitt der Brettsperrholzplatten direkt im Modellierwerkzeug gezeichnet und danach an den Produzenten geliefert werden – ein nochmaliges Zeichnen der Pläne für die Herstellung entfällt.

Die Kapelle von St-Loup wurde mit diesem gemeinsamen Entwurfsprozess zum Resultat einer gelungenen Zusammenarbeit zwischen Architekten, Forschern und Ingenieuren. Dabei spielte die Begeisterungsfähigkeit und Innovationsbereitschaft der Bauherrinnen eine wesentliche Rolle in der Umsetzung. Die Diakonissen sind von der neuen Kapelle sehr eingenommen: Die Klarheit und Einfachheit von Raum und Konstruktion dieser komplexen Form findet in ihrem Glaubensbekenntnis Resonanz.

Literatur:
[1] Buri, Hani, Weinand, Yves: Origami: Faltstrukturen aus Holzwerkstoff en. Bulletin Holzforschung Schweiz, Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für Holzforschung SAH, Dübendorf 2006, 2/2006, p. 8–12
[2] Buri, Hani, Weinand, Yves: Origami – Folded Plate Structures. Architecture, 10th World Conference on Timber Engineering, Miyazaki, WCTE, Japan, 2008, zur Verfügung auf: www.ewpa.com/Archive/2008/june/Paper_286.pdf
[3] Haasis, Marcel, Weinand, Yves: Origami – Folded Plate Structures. Engineering, 10th World Conference on Timber Engineering, Miyazaki, Japan, 2008, zur Verfügung auf: www.ewpa.com/Archive/2008/june/Paper_287.pdf

TEC21, Do., 2009.02.26



verknüpfte Bauwerke
Chapelle de St- Loup



verknüpfte Zeitschriften
tec21 2009|08 Holztragwerke

Bauwerke

Presseschau 12

Standfest gefügt

Die Autoren erstellen den Neubau des Théâtre de Vidy bei Lausanne als zweischichtiges Holz-Faltwerk aus Mehrschichtplatten. Die Konstruktion kommt mit Holz-Holz-Verbindungen aus. Neu dabei sind mit Computerhilfe vorgefertigte Schwalbenschwanzverbindungen der Platten.

Die Autoren erstellen den Neubau des Théâtre de Vidy bei Lausanne als zweischichtiges Holz-Faltwerk aus Mehrschichtplatten. Die Konstruktion kommt mit Holz-Holz-Verbindungen aus. Neu dabei sind mit Computerhilfe vorgefertigte Schwalbenschwanzverbindungen der Platten.

Der neue Holzbau für einen Theatersaal in Vidy nimmt derzeit Gestalt an. Er liegt neben dem Theater, das Max Bill als Provisorium für die Expo 64, die Landesausstellung von 1964, entwarf (vgl. Situationsplan). Als Ersatz für den provisorischen Zeltbau wünschte die Bauherrschaft eine repräsentative, gedämmte und akustisch vorteilhaftere Spielstätte. Sie sollte ausserdem zu dem bestehenden Kubus von Max Bill passen, sich aber in Form und Material davon unterscheiden. Das durch das Institut du bois (IBOIS) sowie den Architekten des Atelier Cube erarbeitete Projekt, ein rasch zu erstellendes Faltwerk aus Holz als innovative architektonische Struktur, umweltfreundlich und zerlegbar, stiess auf Interesse.

Der neue Theatersaal verbindet Konstruktion und Formgebung zu einem selbstverständlich wirkenden Faltwerk. Die Verbindungstechnik geht auf eine der ältesten Methoden im Holzbau zurück, nämlich auf Holz-Holz-Verbindungen (Schwalbenschwanzverbindungen). Diese nutzt die Form von Bauteilen, um Kräfte zwischen ihnen zu übertragen. Das IBOIS der EPF Lausanne hat solche traditionelle Holzplattenverbindungen erforscht und in den baulichen Massstab übertragen. Die so entstandene neuartige Methode ermöglicht es, den Neubau beim Théâtre de Vidy als gefaltetes Plattentragwerk unter minimem Einsatz von Metallverbindern und Leim zu erstellen. Diese Befestigungstechnik ist selbst ein Beispiel von komplexeren, zweifach gekrümmten, gefalteten Flächentragwerken, die aus einer grossen Anzahl unterschiedlich geformter Bauteile bestehen.

Computerberechnete Verbindungen

Grundlage für die Konstruktion ist ein neu entwickeltes CAD-Plugin, mit dem integrale Zapfenverbindungen automatisch berechnet werden können.​ Diese Zapfenverbindungen dienen als Fügehilfe für den schnellen und präzisen Zusammenbau einer grossen Anzahl unterschiedlich geformter Bauteile und übertragen gleichzeitig Kräfte.​

Die Form der Zapfen erlaubt nur eine Einschub­richtung (vgl. Abb.). Somit kann die einzig mögliche ­Position der Bauteile in der Konstruktion in die vor­gefertigte Verbindung eingebettet werden. Diese Verbindungstechnik erlaubt den schnellen und präzisen Zusammenbau eines Tragwerks mit einer doppelt gekrümmten Gesamtform. In einer Forschungsarbeit ­wurde gezeigt, dass sich durch derartig optimierte Faltformen die Verformungen unter Last um bis zu 40 % reduzieren lassen. So können auch grosse, stützenfrei​e Spannweiten mit dünnen Platten überspannt werden.

Eine weitere Entwicklung, mit der sich die Anzahl unterschiedlicher Kantenverbindungen nochmals deutlich erhöht, sind zweischichtige Faltwerkskonstruktionen aus Holzplatten. Für diese erlaubt eine neuartige Verbindungstechnik mit Doppelzapfenverbindern eine vollständige integrale Fügung. So lassen sich entlang gefalteter Kanten alle vier Platten direkt miteinander verbinden, wobei die Doppelzapfen auch als Abstandshalter zwischen den beiden Schichten dienen und Scherkräfte aufnehmen (vgl. Abb.).

Ein Prototyp mit dünner Schale

Die Konstruktion für das Théâtre de Vidy ist eine Weiterentwicklung auf Basis vorheriger Prototypen (vgl. «Entwicklung statt Superlativen»). Die zweischichtige Konstruktion nutzt die Möglichkeit der integralen Verbindungstechnik aus, besonders dünne Plattenquerschnitte miteinander zu verbinden. So kann das Tragwerk eine Distanz von 16 bis 20 m stützenfrei, mit einer Plattenstärke von nur 45 mm überspannen. Der Abstand zwischen den beiden Schichten beträgt 300 mm von der Oberseite der äusseren Plattenlage bis zur Unterseite der inneren Plattenlage. Der hohle, 210 mm tiefe Zwischenraum bietet Platz für die Dämmung, die über ­Bohrungen in der oberen Plattenlage vor Ort eingeblasen wird.

Somit bietet die doppellagige Konstruktion zusätzlich zu den statischen Eigenschaften einen Vorteil gegenüber einer einschichtigen Konstruktion mit dickeren Platten. Letztere erfordert zwar eine weniger anspruchsvolle Geometriegenerierung und Fügung, aber eine deutlich komplexere Feststoffdämmung, die in einem derart geformten Faltwerksdach nur mit hohem Aufwand zu realisieren wäre. Im Zwischenraum eingelegt sind zudem Feuchtemesser, die im Fall eines Eindringens von Wasser in die Konstruktion einen Alarm auslösen. Damit lassen sich frühzeitig Massnahmen einleiten, um einen Schadenfall zu verhindern.

Der Grundriss des Theaters überdeckt zwischen den zwei gefalteten, 9 m hohen Wandkonstruktionen eine Grundfläche von 538 m². Die Grundform der Dachkonstruktion basiert im Gegensatz zu den vorherigen Prototypen auf einer nicht abwickelbaren Form. An den Knotenpunkten des Polygonnetzes treffen sich sechs Kanten, und ihre Position in der Längsachse des Gebäudes folgt drei verschiedenen Kreisbögen, von denen die zwei äusseren auf unterschiedlicher Höhe in der vertikalen Schnittebene des Gebäudes liegen. Diese asymmetrische Form ermöglicht unter anderem den Ablauf des Regenwassers.

Fügen und Verbinden

Der Aufbau des Gebäudes erfolgt in elf Achssegmenten (vgl. Abb.). Jedes Segment wird mit zwei Wandelementen und einem Dachelement vorgefertigt. Vor Ort werden die Wandsegmente mit dem jeweiligen Nachbarsegment verbunden. Anschliessend wird das Dachsegment aus 20 in der Vorfertigung zusammengefügten Plattenbauteilen aufgesetzt (vgl. Abb.). Somit erfolgen 18 Fügungsschritte für jedes Achssegment, davon 17 in der Vorfertigung und einer auf der Baustelle.

Bei der zweischichtigen Fügungstechnik existieren vier Schritte mit unterschiedlichen Zapfenformen, abhängig von der Position der Faltkante in der Konstruktion. In denselben Abständen wie die Zapfen wurden die bereits eingesetzten Platten in der endgültigen Position mit Schrauben fixiert. Dies ist lediglich für die Montage wichtig, vor allem während des Transports und des Aufbaus der vorgefertigten Elemente. Bezüglich Festigkeit ist diese Verschraubung unnötig.

Grundsätzlich wird zwischen zwei Situationen unterschieden. Im ersten Fall wird ein Segment mit einem und im zweiten Fall gleichzeitig mit zwei Nachbarsegmenten verbunden. Während im ersten Fall die Zapfen rechtwinklig zur Kante orientiert sind, wird im zweiten Fall eine Rotation der Zapfen innerhalb der Plattenebene nötig, sodass die Einschubrichtung aller Zapfen des Bauteils parallel ist (vgl. Abb.).

Ein Sonderfall liegt vor, wenn ein Bauteil mit Rechteckdurchbrüchen gleichzeitig auf vier Bauteile mit Zapfen- und Doppelzapfenverbindern aufgesteckt wird. Es ist nur möglich, diese Platte einzuschieben, wenn die Zapfen auf den vier anderen Platten parallel sind. Nachdem zwei dieser Platten sich aber auf unterschiedlich orientierten Ebenen befinden, existiert nur eine mögliche Einschubrichtung für die Platte mit den Durchbrüchen. Diese Richtung findet sich entlang der Verschneidung der Ebenen der zwei Nachbarsegmente.

Verbindungen experimentell untersucht

Die Theaterkonstruktion verhält sich mechanisch komplex, insbesondere mit dem anisotropen Material Holz. Aus diesem Grund wurden experimentelle Versuche durchgeführt, um die Festigkeit der Verbindungen zu untersuchen und die am besten geeigneten Holzwerkstoffplatten zu bestimmen. Im Fokus stand das Verhalten der Doppel- und der Einzelzapfenverbindungen unter einer Biegebeanspruchung. Diese ist in gefalteten Holztragwerken entscheidend. Mittels eines vereinfachten Finite-Elemente-Modells wurden die zu erwartenden Biegemomente ermittelt (vgl. Abb.).

Zuerst wurden die einschichtigen Zapfenverbindungen und die 45 mm starken Brettsperrholzplatten als am besten geeignetes Material untersucht. Dann erfolgten Biegeversuche mit dem tatsächlichen, zweischichtigen Aufbau. Hierbei ist die obere Schicht der Probekörper mit einem Einzelzapfen verbunden, während sich die beiden unteren Schichten mit einem Doppelzapfen durchdringen und im Anschluss mit der Oberschicht verbunden sind. In den Versuchen zeigte sich, dass die zweischichtige Ausführung die mechanische Effizienz erheblich steigert. Die Verbindung verhält sich dabei prinzipiell wie die einschichtige Variante: Um das Biegemoment auszugleichen, wirken zwei entgegengesetzte Kräfte, deren Intensität proportional zum Hebelarm ist. Bei einer einschichtigen Verbindung ist dies gleich der Plattenstärke von 45 mm. Bei der zweischichtigen Platte vergrössert sich der Wert auf ca. 250 mm. Hierdurch werden die Kräfte gegenüber der einschichtigen Variante auf ein Fünftel reduziert.

Tausende Zapfengeometrien erzeugt

Die Erzeugung aller Bauteile erfolgt automatisch mittels eines für das Projekt entwickelten CAD-Plugins[1] mit den folgenden vier Eingabeparametern:

einem einfachen, einschichtigen Polygonnetz mit planaren Dreiecksflächen für die Dach- und Vierecksflächen der Wandelemente. Mit dem Flächenmodell werden die Identifikationsnummern der Bauteile und Kantenverbindungen verwaltet.

einer CSV-Textdatei (Comma-separated Value), in der die Parameter der Verbindungen verwaltet werden. Dies sind unter anderem Informationen zur Art der Verbindung an dieser Kante, die Einschubrichtungen für die integralen Zapfenverbindungen und weitere verbindungsspezifische Variablen.

der Plattenstärke in Millimetern

dder Gesamttiefe des zweischichtigen Aufbaus, von der Unterseite der unteren Platte zur Oberseite der oberen Platte

Dieses CAD-Plugin erzeugt zwei Datenausgaben. Zum einen werden die 3-D-Bauteile im Gesamtmodell dargestellt, zum andern werden alle Platten auf der zweidimensionalen xy-Ebene des CAD-Modells flach ausgelegt. Aufgrund der 114 unterschiedlichen Winkel in der Faltform des Theaters sind diverse Schrägschnitte für die Herstellung der Bauteile erforderlich. Die ­Fabrikation der Teile erfolgt daher in einem 5-Achs-CNC-Bearbeitungszentrum.

Wegen der vielen konkaven Eckpunkte in den Polygonzügen, beispielsweise zwischen den Zapfen und bei den Durchbrüchen, bietet sich eine Bearbeitung mit einem Fingerfräser an. Die dafür notwendige 5-Achs- CNC-Simultanbearbeitung, die an ungefähr 500 verschiedenen Bauteilkanten mit Tausenden unterschiedlich geneigten Zapfengeometrien erforderlich ist, lässt sich mit CAM-Softwarelösungen für reguläre Holz­bauaufgaben nicht effizient erzeugen. Stattdessen kam ein spezielles CAD-Plugin zum Einsatz, das für die ­automatisierte G-Code-Generierung integral gefügter Holzwerkstoffplatten entwickelt wurde.

Datengrundlage für die Erzeugung des Maschinencodes sind Polygonkonturzugpaare. Nach der Auswahl eines Bauteils wird der G-Code für die Bearbeitung angezeigt. Gleichzeitig werden die Fahrwege der Maschine visualisiert, und eine Simulation der Maschinenbewegungen kann abgespielt werden.


Anmerkung:
[01] Entwickelt mit dem Software Development Kit (SDK), Rhino Commons und der Programmiersprache C#. Als Benutzerschnittstelle dient die Software Grasshopper, in der die Eingabeparameter der Konstruktion mit einer Visualisierung der 3-D-Bauteile bearbeitet und verändert werden können.

Dokumentation:
Ein Film zur Konstruktion für ein doppeltes Schalendach aus Holz im Labor des IBOIS findet sich auf YouTube.

TEC21, Fr., 2017.06.02



verknüpfte Zeitschriften
TEC21 2017|22 Innovativer Holzbau

13. Juli 2010Hani Buri
Yves Weinand
zuschnitt

Origami-Faltwerke

Der Lehrstuhl für Holzkonstruktionen (IBOIS) der Ecole Polytechnique Fédérale de Lausanne, kurz EPFL genannt, erforscht die Machbarkeit von Faltwerken...

Der Lehrstuhl für Holzkonstruktionen (IBOIS) der Ecole Polytechnique Fédérale de Lausanne, kurz EPFL genannt, erforscht die Machbarkeit von Faltwerken...

Der Lehrstuhl für Holzkonstruktionen (IBOIS) der Ecole Polytechnique Fédérale de Lausanne, kurz EPFL genannt, erforscht die Machbarkeit von Faltwerken aus Holz. Als Grundlage dient Origami, die japanische Kunst des Papierfaltens. Die Kapelle von Saint-Loup ist der erste Referenzbau.

Wegen ihrer tragenden und räumlich-plastischen Wirkung interessieren Faltwerke Ingenieure und Architekten gleichermassen. Die Falten erhöhen die Steifigkeit einer dünnen Fläche, die dadurch nicht nur raumüberdeckend, sondern auch tragend wirkt. Der Rhythmus der Falten sowie das Wechselspiel von Licht und Schatten entlang der gefalteten Fläche können gezielt zur räumlichen Gestaltung eingesetzt werden. Gleichzeitig kann die Tragfähigkeit des Faltwerks durch die Tiefe und die Neigung der Falten beeinflusst werden. Bisher wurden Faltwerke vor allem mit Beton oder mit glasfaserverstärkten Kunststoffen hergestellt. Die Entwicklung von grossformatigen Brettsperrholzplatten und die Möglichkeit, diese mit cnc-Maschinen abzubinden, eröffnen nun auch neue Perspektiven für den Bau von Faltwerken aus Holz.

Wir setzten uns zum Ziel, eine Methode zu entwickeln, durch die solche Faltwerke rasch räumlich dargestellt und verändert werden können. Origami, der Ausgangspunkt der Arbeit, arbeitet mit einfachen Grundtechniken, die durch geometrische Variationen zu einer erstaunlichen Formenvielfalt führen. Auf diese Weise können komplexe Formen rationell und mit einfachen Mitteln erzeugt werden. Diese Eigenschaften wollten wir auf die Konstruktion von Faltwerken mit Brettsperrholz übertragen. Durch intuitives Papierfalten ermittelten wir geeignete Faltmuster und analysierten anschliessend deren Geometrie, um sie in einem 3D-Zeichenprogramm darstellen zu können.

Wir entwickelten eine Methode, bei der doppelt geriffelte Flächen durch zwei polygonale Linien definiert werden: das Riffelungsprofil und das Querschnittsprofil. Das Riffelungsprofil definiert die geraden Hauptfalten von einfach geriffelten Flächen. Diese können durch Umkehrfalten geknickt werden. Eine zweite Riffelung der Fläche verläuft quer zu den Hauptfalten und wird durch das Querschnittsprofil definiert. Dieses bestimmt die Gesamtform der Faltwerkgeometrie und die Knickwinkel der Umkehrfalten. Der gewünschte Faltwerktyp und seine statischen Eigenschaften können durch das Zusammenspiel der beiden Profile festgelegt werden. Die Arbeit zeigt auf, wie durch die Steuerung verschiedener Einflussgrössen Form und Tragfähigkeit der Faltwerke beeinflusst werden können. Die verschiedenen Faltwerktypen haben eine starke, eigenständige Gestalt, sodass einzelne Parameter der Geometrie verändert und projektspezifischen Bedingungen angepasst werden können, ohne dass der architektonische Ausdruck beeinträchtigt wird. Wir sind davon überzeugt, dass dieses Modell zur Darstellung von Faltwerken zu einer produktiven Zusammenarbeit von Ingenieuren und Architekten und zu einer neuen Generation von Holztragwerken führen wird.

Der Bau von Prototypen hat gezeigt, dass solche Faltwerke machbar sind. Die Kapelle von Saint-Loup ist ein erstes Anwendungsbeispiel. Origami-Faltwerke sind jedoch nur eine Möglichkeit, Tragwerke aus Brettsperrholzplatten zu bauen. Weitere Forschungsarbeiten des IBOIS beschäftigen sich mit Modellen, die Flächentragwerke durch iterative Algorithmen generieren, und mit Tragwerken, die von textilen Techniken inspiriert sind.

zuschnitt, Di., 2010.07.13

26. Februar 2009Hani Buri
Yves Weinand
TEC21

Gefaltet

Am Lehrstuhl für Holzkonstruktionen der EPFL arbeitet ein interdisziplinäres Team unter der Leitung von Yves Weinand an der Entwicklung eines digitalen Modellierwerkzeugs, das unter anderem die Zusammenarbeit von Architekten und Ingenieuren bereits in der Entwurfsphase unterstützen könnte. Beispielsweise sollen damit Faltwerke gleichzeitig aus architektonischer und ingenieurtechnischer Sicht enwickelt werden können. Nun konnte die Forschungsarbeit mit einer Architektengruppe erstmals praktisch umgesetzt werden: Seit letztem Sommer steht eine Kapelle im waadtländischen Pompaples – ein Faltwerk konstruiert aus Brettsperrholzplatten.

Am Lehrstuhl für Holzkonstruktionen der EPFL arbeitet ein interdisziplinäres Team unter der Leitung von Yves Weinand an der Entwicklung eines digitalen Modellierwerkzeugs, das unter anderem die Zusammenarbeit von Architekten und Ingenieuren bereits in der Entwurfsphase unterstützen könnte. Beispielsweise sollen damit Faltwerke gleichzeitig aus architektonischer und ingenieurtechnischer Sicht enwickelt werden können. Nun konnte die Forschungsarbeit mit einer Architektengruppe erstmals praktisch umgesetzt werden: Seit letztem Sommer steht eine Kapelle im waadtländischen Pompaples – ein Faltwerk konstruiert aus Brettsperrholzplatten.

In der Natur – etwa bei den Blättern vieler Pflanzen – sind gefaltete Strukturen weitverbreitet: Sie ermöglichen es, grosse Oberflächen mit einem minimalen Materialaufwand zu stabilisieren. Von der japanischen Papierfaltkunst inspirierte Faltwerke aus Holz sind deshalb ein Forschungsschwerpunkt am IBOIS. Dabei geht es nicht nur darum, ihr Tragverhalten zu untersuchen: Das Forschungsteam hat auch ein auf diskreten (finiten) Elementen basierendes digitales Tool entwickelt, mit dessen Hilfe Fachleute aus Architektur und Ingenieurwesen solche Faltwerke gemeinsam entwerfen können (vgl. auch TEC21 12/2008 und 17–18/2008). Seit 2007 galt es, das Tool zu testen und praktische Erfahrungen im Entwurfsprozess sowie bei Bau und Montage eines Faltwerks aus Brettsperrholzplatten zu sammeln. Shel, ein explizit für die praktische Umsetzung von Forschungsarbeiten des IBOIS gegründetes Planungsbüro, suchte und fand eine Partnerschaft für eine erste Realisierung. Die Diakonissen gemeinschaft von St-Loup im waadtländischen Pompaples organisierte im Sommer 2007 einen Wettbewerb, um ihr Mutterhaus umzubauen und zu renovieren.

Die Arbeitsgemeinschaft Bureau d’architecture Danilo Mondada und Localarchitecture gewann den Wett -bewerb und plante daraufhin die Ausführung. Für die Zeit des Umbaus – von Sommer 2008 bis Ende 2009 – musste jedoch eine provisorische Lösung für die täglichen Gottesdienste der Diakonissen gefunden werden. Das Anmieten von Baucontainern oder eines Zeltes empfanden sowohl von die Bauherrinnen als auch von die Architekten als unangemessen. Weil Holz schon immer ein bevorzugtes Baumaterial von Localarchitecture war – ihr Stall in Lignières wurde 2006 mit dem Preis Holz 21 ausgezeichnet – und weil die Architekten sich für die Forschungsarbeiten am IBOIS interessierten, schlugen sie den Diakonissen vor, gemeinsam mit den Planern von Shel eine innovative Lösung für die provisorische Kapelle zu finden. So stiessen diese im Dezember 2007 zum Planerteam. Schon die ersten Papiermodelle über-zeugten die Schwesterngemeinschaft von der Angemessenheit einer solchen Lösung, und innerhalb weniger Wochen konnte ein definitives Projekt erarbeitet werden.

Formfindung

Mit dem entwickelten digitalen Modellierwerkzeug können Faltwerke, die man bisher als Modell von Hand hergestellt hat, direkt im Computer gefaltet werden. Die Form der Kapelle wurde durch zwei Linien generiert. Eine definiert die charakteristische Form im Schnitt: ein Rechteck (rote Linien, Bild 2); die andere schliesst die Grundrissform (blaue Linie, Bild 2) und definiert als Zickzacklinie die Riffelung der Faltung (Bild 3). Die Form der Riffelung kann durch Variieren der einzelnen Segmentlängen zusätzlich moduliert werden (Bild 4). Die beiden Linien beeinflussen sich gegenseitig: Dadurch, dass die allgemeine Form der Grundrisslinie leicht gebogen ist, entwickelt sich die Schnittform von einem auf der Längsseite liegenden Rechteck zu einem hochkant stehenden.

Der Faltungsprozess – beziehungsweise der Formfindungsprozess – kann dementsprechend nach folgenden, unterschiedlichen Kriterien beeinflusst werden:
1. Architektur: Das Schiff der Kapelle entwickelt sich aus architektonischem Gestaltungswillen von einem von der Horizontalen zu einem von der Vertikalen dominierten Raum, an dessen Ende Licht in den Altarraum scheint.
2. Konstruktion: Das Regenwasser soll über die Form fliessend entsorgt werden. Mit der Modulation der Riffelung konnte das dafür notwendige Gefälle in der Faltung erreicht werden. Das Wasser fliesst in Querrichtung jeweils in die eine oder andere Richtung ab.
3. Tragwerk: Die Steifigkeit der Tragstruktur entsteht durch die Faltung. Der Faltmechanismus erlaubt somit, die Steifigkeiten lokal zu erhöhen, indem zum Beispiel tiefere Falten vorgesehen werden oder die Anzahl der Falten lokal erhöht wird. Hierdurch lassen sich grössere Spannweiten verwirklichen, oder es können dünnere Holzplatten eingebaut werden.

Mit diesem interdisziplinären Formfindungsprozess fallen die wichtigsten Entscheidungen, die das Tragwerk und die Proportionen im Wesentlichen bestimmen, in einer sehr frühen Entwurfsphase. Sie können auf sehr effiziente Weise direkt in den Formgebungsprozess eingebracht werden. Das allerdings befreit das Planungsteam und insbesondere den verantwortlichen Bauingenieur keineswegs davon, die allgemeingültigen Nachweise der Tragsicherheit und Gebrauchstauglichkeit durchzuführen.

Statisches System der räumlichen Konstruktion

Um das mechanische Verhalten des aus dem Formgebungsprozess entwickelten Faltwerks zu analysieren, wurde die digitale Datei aus dem Modellierwerkzeug direkt in das Statikprogramm Diamond (Buildsoft) importiert und als Vernetzung flächiger, finiter Elemente eingelesen. Das Tragwerk sollte aus Brettsperrholzplatten konstruiert werden und wurde mit den entsprechenden Eigenschaften und Stärken von 40 mm für vertikal und 60 mm für horizontal angeordnete Bauteile in das Statikprogramm eingegeben. Mit den Berechnungsanalysen wurden die Eingaben verifiziert und die definitiven Plattendicken schliesslich in das Modellierwerkzeug eingegeben.

Die Kanten der Faltungen (die Geraden und die Kehlen) wurden in der Berechnung als Gelenke modelliert (Bild 5). Trotz durchgängig gelenkiger Lagerung ist die Gesamtsteifigkeit mit der speziellen räumlichen Anordnung der Tragelemente gegeben. Alle Drehungen sind frei modelliert – lediglich die Freiheitsgrade der Translationen (Parallelverschiebung in Kantenrichtung) wurden im Modell blockiert. Tatsächlich entstehen entlang der Falten jedoch Einspannmomente, da die Holzplatten mit dünnen Stahlblechen miteinander verbunden sind. Je nach Drehrichtung der Momente entstehen durch den einseitigen Anschluss der Holz- mit den Stahlplatten unterschiedlich grosse Hebelarme. Diese lokalen Einspannmomente wurden in diesem Modell jedoch vernachlässigt.

Aus dem Statikprogramm konnten sowohl die Schnittkräfte (Bild 6) als auch die Verformungen ermittelt werden. Die 60 mm starken Platten des Daches tragen über rund 9 m Spannweite, was einer Schlankheit von 1/150 entspricht. Die enorme Effizienz der Faltstrukturen wird gerade durch diese hohe Schlankheit deutlich. Der Punkt mit der grössten Verformung der gesamten Struktur befindet sich an der Aussenkante des Faltwerks direkt über dem Eingang. Da hier keine weitere Faltung ansetzt, wirkt der Rand frei und ist nicht ausgesteift (Bild 7).

Architektur und Kosntruktion

Der Innenraum ist sowohl horizontal als auch vertikal zum Altar hin ausgerichtet. Der Rhythmus der Stützen wird durch die Faltungen aufgenommen, wobei die beiden Längsfassaden jeweils eine leichte Bogenform beschreiben. Dadurch verengt sich der Raum zum Altar hin, und die Faltung wird vertikal aufgestossen. Der progressive Übergang von der Horizontalen zur Vertikalen fokussiert die Aufmerksamkeit zur kürzeren «Giebelwand», wo der Altar steht. Dabei beleben die gegenläufigen Falten den Raum nicht nur optisch, sie verbessern auch seine Akustik und lösen das Problem des Dachwasserabflusses.

Die Verbindung der vertikalen Elemente des Faltwerkes wurde mit gefalteten Lochblechen und Schrauben bewerkstelligt. Innen sind die Platten roh belassen, die Aussenhaut besteht aus einer Dichtungsbahn und 19 mm starken, imprägnierten Dreischichtplatten. Die beiden «Giebelwände» bestehen aus unregelmässigen Kantholzrahmen, auf denen innen ein transparentes Polykarbonat und aussen ein Windschutztextil angebracht ist. Formal erinnern sie an klassische Kirchenfenster, doch ihr Nutzen ist auch praktisch: Die Maschenweite des Textils verhindert Einblicke und garantiert die Intimität des Gottesdienstes – von innen her gesehen scheint sich die Landschaft in ein impressionistisches Bild aufzulösen.

Erfahrungen aus der Praxis

Die Erfahrungen bei Entwurf und Bau der Kapelle waren sehr positiv. Das digitale Modellierwerkzeug ermöglichte es, in der Entwurfsphase gut auf formale, funktionelle und konstruktive Anforderungen einzugehen und das Projekt zu vertiefen. Es zeigte sich auch, dass neue und eigenständige architektonische Formen erzeugt werden können, die ohne das Werkzeug nur schwer vorstellbar wären. Der Produktionsprozess wird ausserdem rationalisiert, indem die digitalen Dateien für den Zuschnitt der Brettsperrholzplatten direkt im Modellierwerkzeug gezeichnet und danach an den Produzenten geliefert werden – ein nochmaliges Zeichnen der Pläne für die Herstellung entfällt.

Die Kapelle von St-Loup wurde mit diesem gemeinsamen Entwurfsprozess zum Resultat einer gelungenen Zusammenarbeit zwischen Architekten, Forschern und Ingenieuren. Dabei spielte die Begeisterungsfähigkeit und Innovationsbereitschaft der Bauherrinnen eine wesentliche Rolle in der Umsetzung. Die Diakonissen sind von der neuen Kapelle sehr eingenommen: Die Klarheit und Einfachheit von Raum und Konstruktion dieser komplexen Form findet in ihrem Glaubensbekenntnis Resonanz.

Literatur:
[1] Buri, Hani, Weinand, Yves: Origami: Faltstrukturen aus Holzwerkstoff en. Bulletin Holzforschung Schweiz, Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für Holzforschung SAH, Dübendorf 2006, 2/2006, p. 8–12
[2] Buri, Hani, Weinand, Yves: Origami – Folded Plate Structures. Architecture, 10th World Conference on Timber Engineering, Miyazaki, WCTE, Japan, 2008, zur Verfügung auf: www.ewpa.com/Archive/2008/june/Paper_286.pdf
[3] Haasis, Marcel, Weinand, Yves: Origami – Folded Plate Structures. Engineering, 10th World Conference on Timber Engineering, Miyazaki, Japan, 2008, zur Verfügung auf: www.ewpa.com/Archive/2008/june/Paper_287.pdf

TEC21, Do., 2009.02.26



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Chapelle de St- Loup



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